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Ein neues Rudelmitglied

Thorik

 

Lautes Geschrei ertönte hinter der Sicherheitstüre, doch Thorik konnte nichts machen, als davor stehen und innerlich mitfühlen. „Wie lange wird sie noch so leiden müssen?“
Die Kojotenärztin senkte die Schultern. „Noch mindestens eine Stunde. Dann sollte das Kind eigentlich richtig liegen. Jedoch wenn ihr Geburtskanal noch weiter aufgeht, muss ich es schon früher holen.“
Thorik nickte und blickte durch das kleine Sichtfenster. Chattan saß neben dem Bett auf einem Stuhl, während Mirana verschwitzt und müde in einem Krankenhausbett lag und auf den Wehenmesser neben sich blickte. Bereit zur nächsten Wehe.
„Weiß Thuriel schon Bescheid?“
Die Ärztin nickte und desinfizierte nun schon zum vierten mal in den letzten zehn Minuten ihre Hände.
„Sie kommt immer noch nicht aus ihrem Versteck?“
Die Ärztin schüttelte den Kopf und seufzte leise. „Nein... Sie ist vollkommen panisch und lässt Besuch nur mit einem Lederschutz hinein.“
Thorik verdrehte die Augen. „Ich werde einmal nach ihr sehen...“
„Neben der Türe hängen die Gurte.“
Thorik winkte ihr zum Abschied und ging drei Etagen tiefer. Hier unter der Erde hatte sich Thuriel schon vor einem Monat verkrochen, seit sie von ihrem Himmelfahrtskommando zurück gekommen war. Weder sie noch der Priester sprachen sonderlich darüber was passiert war.
Fakt war, dass sie sich gegen sein Verbot trotzdem auf zu den Magier gemacht hatte und Rouge zufällig in den Zauber geraten war, den sie eigentlich für sich bestimmt hatte um schneller vor Ort zu kommen. Dort hatten sie einige Gegenstände markiert und diese in ihr Haus transferiert. Von dort hatten die Möbelpacker sie heimlich her ins Dorf geschaffen.
Seitdem saß Thuriel unten in einem trockenen Keller, wo sie die Aufzeichnungen der Magier für ihre hiesige Ärztin übersetzte und zu neuen Büchern band. Und das alles nur um ihrer Schwester zu helfen, und doch war sie jetzt nicht als Geburtshelferin dabei.
Thorik vermutete das in der Magierburg irgendetwas passiert war, doch Rouge erklärte immer wieder das die Geschichte von Thuriel war, doch Thuriel wollte nicht darüber sprechen. Er selbst würde ja gerne die Magier dazu befragen, doch das ging nicht ohne sein ganzes Rudel in einen sinnlosen Streit zu führen.
Thorik klopfte an der Eisentüre, hinter der sich Thuriel versteckte und blickte schnaufend zu den Lederhalsbändern, die den Hals und die Handgelenke vor Vampirbissen schützen sollte.
Thuriel spähte durch ein Guckloch und schloss es sofort wieder. „Du hast keine Bänder oben. Ich lass dich nicht hinein.“ Ertönte ihre mittlerweile heißere Stimme von der anderen Seite.
„Ich bin dein Rudelführer. Ich kann dir befehlen nicht auf mich loszugehen, und jetzt lass mich endlich rein!“
Thuriel schwieg noch eine weile, dann hörte er wie ein Riegel zurückgeschoben wurde. Wann hatte sie den denn angebracht?
„Mirana liegt oben in den Wehen.“ Sagte er zur Begrüßung und betrat den Kerzen beschienen stickigen Raum.
„Ich habe bereits davon gehört... Wie geht es ihr?“
Thorik hockte sich auf den einzigen freien Sessel und hob die Schultern abweisend. „Geh hoch und frag sie, vorher wirst du es nicht erfahren!“
Thuriel seufzte und verdrehte die Augen. „Ja, ich habe es schon verstanden. Trotzdem gehe ich nicht hinaus, bevor ich meinen Durst nicht kontrollieren kann.“
Thorik wischte ihre Ausrede einfach mit einer Handbewegung fort. „Papperlapapp! Das ist nur eine bequeme Ausrede um dich nicht deinen Dämonen zu stellen. Also stelle ich dich jetzt vor die Wahl. Entweder du erzählst mir jetzt sofort was passiert ist, das du dich hier verkriechst, oder ich zwinge dich mit meinem Rang dazu zu deiner Schwester zu gehen und ihr beizustehen!“
Thuriel verschränkte die Arme vor der Brust und blickte die Wand ganz interessiert an. „Nein, ich werde mich so lange von den anderen fern halten, bis ich wieder gesund bin!“
„Und wie willst du das schaffen? Wie willst du Selbstkontrolle bekommen, wenn du nicht in Versuchung kommst.“
Thuriel wurde plötzlich ganz weiß im Gesicht und griff sich auf den Kopf. Thorik sprang auf um sie vor einem schmerzhaften Sturz zu bewahren und hob sie auf um sie auf das Bett zu legen.
„Bitte... Bitte, ich kann nicht. Ich will nicht noch jemanden weh tun. Lasst mich einfach hier unten verrotten. Ich meine das ernst...“
Thorik legte sie flach ins Bett, eilte zum Waschbecken und füllte einen Plastikbecher halb an um ihn ihr zu bringen.„Trink das, dann geht es dir besser.“
Thuriel nahm das Wasser in zittrige Hände und trank zwei Schlucke bevor sie das Gesicht verzog. „Ihr solltet die Rohre erneuern. Das Wasser ist echt widerlich.“ Thorik schnupperte am Wasser und verzog ebenfalls das Gesicht. „Kein Wunder das du Dehydrierst. Ich werde dir die Ärztin herunter schicken, das sie dir Flüssigkeit zuführt.“
Thuriel wehrte sofort ab. „Nein! Meine Schwester braucht sie dringender als ich. Wenn alles vorbei ist, dann komme ich einmal hinauf, in Ordnung?“
Ihr Rudelführer nickte und strich ihr einige Strähnen aus dem Gesicht. „Ruh dich aus.“ Sie nickte und schloss die Augen. Thorik war sich bewusst, dass sie wieder aufstehen würde, sobald er weg war, doch er konnte es auch nicht verhindern. Er wollte dabei sein, wenn das Kind geholt wurde.
In wenigen Minuten war er wieder oben und lief beinahe in Kors hinein. „Kors? Was machst du hier?“
Der Fuchswerwandler wurde knallrot und seine Augen veränderten sich von grau auf gelb. „Ähm... Also, eigentlich... Ich wollte nicht stören, sondern Thuriel besuchen. Ich komme jeden zweiten Tag herunter um mich mit ihr zu unterhalten.“
Thorik lächelte ihn schräg an, nickte und machte ihm Platz. Der junge Werwandler sprang beinahe die Stiegen hinunter. Plötzlich fragte er sich, ob Thuriel tatsächlich so anziehend war. Viele der jüngeren Werwandler schienen sie geradezu zu verehren. Er selbst hatte sie nie so genau angesehen, da er ständig nur eine Frau in seinem Kopf herumspuken hatte.
Knurrend verbannte er sie wieder aus seinem Kopf und klopfte an die Türe des Entbindungssaals. Er winkte die Ärztin zu sich.
„Wie läuft es?“
Die Ärztin schüttelte den Kopf. „Das Kind wird sich nicht mehr drehen, das heißt wir können es auf den üblichen Weg nicht einmal versuchen. Im Nebenraum habe ich bereits alles für eine Operation vorbereitet. Ivy, Donna und Ella warten drüben bereits. Sie werden mir assistieren.“Thorik nickte und fühlte wie eine eiserne Faust sein Herz umschloss. Das dort drinnen waren seine Freunde. Chattan schon seit Jahren und Mirana hatte nur in wenigen Tagen einen Platz in seinem Herzen eingenommen. Dass sie dort drinnen saßen und beide litten, machte ihm schwer zu schaffen. Doch er würde nicht gehen, sondern hier bleiben und den beiden von weiter entfernt Trost spenden.

„Ich helfe dir!“ Die Ärztin nickte und wechselte ihre blutigen Handschuhe. „Warte! Warum ist da Blut dran?“ Die Ärztin verschränkte die Arme hinter ihre Rücken und seufzte. „Ich wollte die beiden nicht beunruhigen, doch es scheint, als würde ihr Körper die Belastung des Drachen nicht mehr lange mitmachen. Das sind keine Wehen mehr die mein Messgerät entwerten kann. Das ist einzig und alleine das Kind das sich in ihr drinnen windet. Ich wollte mir vor ihnen nichts anmerken lassen, doch ich denke nicht das ich ihre Gebärmutter retten kann.“
Thorik spürte wie dem beklemmenden Gefühl ein trauriges wich. „Ach, du... Das wird sie bestimmt beide mitnehmen. Und du kannst wirklich nichts tun?“
Die Ärztin schüttelte den Kopf und wischte sich mit einer schnellen Bewegung eine Träne aus dem Gesicht. „Ich hoffe nur das es lediglich bei der Gebärmutter bleibt. Die Schuppen reiben an der zarten Haut in ihr und die kleinen Hörner stechen bei jeder Bewegung die das Kind macht Löcher.“ Ein neuer Schrei ertönte und Thorik musste sich beherrschen das was er vorhin gegessen hatte bei sich zu behalten. „Okay das war es! Wir müssen uns beeilen!“ Thorik nickte und eilte hinter der Kojotenärztin hinein. „Thorik?“ Chattan blickte auf und blickte ihn mit geschwollenen Augen an.
„Ich bleibe bei euch mein Freund!“ Freundschaftlich legte er ihm eine Hand auf die Schulter und es schien ihm neue Kraft zu geben. Man sah beiden die Strapazen der letzten Stunden an, doch immer noch kämpften sie tapfer weiter. Schnell entriegelten sie das Bett und Thorik schob alleine das Bett in den gegenüberliegenden Raum, während die Ärztin das Blut vor Chattan verdeckte.
Ein weiterer Schrei und Mirana krümmte sich vor Schmerzen. Thorik konnte beinahe in Chattans Augen sehen wie seine Lebensgeister schwanden. Es war anscheinend nicht nur die Geburt seltsam.
Während Ivy und die Ärztin Mirana einen Kreuzstich verpassten, zog sich Thorik steril an und desinfizierte sich die Hände. Als er sich im Spiegel betrachtete erkannte er sich überhaupt nicht wieder. Dicke Ringe lagen unter seinen Augen, die durch das hellblau der OP-Kleidung noch hervorgehoben wurden. Er atmete noch einmal ein und betrat dann den Operationssaal. Hier stach ihm der beißende Geruch des Desinfektionsmittels regelrecht in die Nase und er bemühte sich nicht zu niesen. Donna rief ihn sofort zu sich, daher hatte er keine Chance sich umzusehen. Doch er erblickte in der Ecke des Raumes ein kleines Badebecken aus dem heißer Dampf aufstieg und daneben befand sich ein Wickeltisch mit den dazugehörigen Artikel.
„Hier, trage die Tücher hinüber auf das Tablett. Wir brauchen sie dann.“ Sofort eilte er hinüber und fragte sich wann er eigentlich von Rudelführer zu Arzthelfer geworden war.
Mirana lag schwer atmend in den Armen von Chattan, der wie eine Glucke über ihr saß und alles genau beobachtete.
„Fühlst du das?“ Mirana dachte angestrengt nach und schüttelte den Kopf. Die Ärztin nahm eine kalte Wasserflasche vom Miranas Bein und nickte zufrieden. „In Ordnung, wir können beginnen. Thorik spann das Leintuch!“ Thorik hob das Tuch an, das über Miranas Körper gespannt war und hackte es in die dafür vorgesehene Vorrichtung. „Komm hier her. Du musst mir sofort jeden metallenen Gegenstand gründlich abspülen und spare mit dem Desinfektionsmittel nicht zu sehr, verstanden?“ Thorik nickte gehorsam und fühlte sich auf einmal wieder Minderjährig.
Die Ärztin griff nach einem spitzen Gegenstand und besah alle noch einmal mit einem mahnenden Blick. Das war anscheinend die letzte Chance um noch hier hinaus zu kommen.
Ivy stand neben Miranas Kopf und streichelte ihren Arm tröstend. Donna stand mit einem Sauger da und nickte. Ella stand neben dem Tablett und wechselte mit Thorik einen Blick. Beide nickten entschlossen und die Ärztin setzte zum Schnitt an. Es dauerte nicht lange, da hatte sich die Ärztin von der Bauchdecke bis zur Gebärmutter hindurch geschnitten. Zwischendurch erklärte sie immer wieder warum sie was tat und wies die anderen an ihr etwas zu bringen oder wegzulegen.
„Ich schneide jetzt die Fruchtblase auf. Donna, sauge so viel du kannst ab. Schau das nichts daneben läuft.“Alle hielten sich bereit und wirkten schon ganz gespannt was jetzt passierte. Sogar Mirana schien sich endlich einmal zu entspannen und wartete neugierig auf den ersten Schrei ihres Kindes. Chattan selbst bekam überhaupt nichts mehr mit, sondern lehnte an einer Stange und schlief im Stehen. Ivy rüttelte ihn sachte wach und er blickte sich irritiert um.
Thorik beobachtete währenddessen wie nun auch die letzte Schicht um das Kind aufgeschnitten wurde und Donna saugte alles ab bis man den Rücken des Drachen gut sehen konnte.
Alle die hinein sehen konnten atmeten gleichzeitig aus und lächelten sich betroffen an.
„In Ordnung, ich nehme es jetzt.“ Die Ärztin legte alles weg und griff mit beiden Behandschuhten Hände hinein um das Kind sachte heraus zu ziehen.
Mirana stöhnte hustend, da das Kind ihr gegen die Organe drückte und plötzlich war es mit einem schmatzenden Geräusch her außen. Ella wickelte den Drachen in eine Decke und die plötzliche Stille wurde vom Wehklang einer zum ersten Mal benutzten Lunge erfüllt.
Chattan blickte zu seinem Kind auf und Mirana versuchte über das Laken etwas zu erkennen. „Gut gemacht kleines! Nun wascht das Kind gemeinsam. Lass aber das meiste Chattan machen, das Kind wird ihm mehr vertrauen als uns. Donna Thorik und ich schließen jetzt wieder.“
Thorik riss sich vom Anblick dieser wunderschönen Kreatur los und übernahm das Saugen, während Donna und die Ärztin sich darüber unterhielten, wie schwer die Gebärmutter verletzt war und das sie diese  wohl herausnehmen musste, damit der Körper sie nicht abstieß. „Ich denke diese Entscheidung sollte sie treffen, wenn sie so weit ist!“ Beharrte Donna.
„Aber wenn der Körper das kaputte Organ abstößt, vergiftet es sie von innen. Da nehme ich lieber ihren Zorn in kauf. Lieber soll sie mich hassen, als das sie so qualvoll stirbt.“
Thorik blickte noch eine weile zwischen den beiden hin und her bis er sich räusperte und einfach zu Mirana ging.
„Mirana! Hör jetzt ganz genau zu. Deine Gebärmutter ist stark beschädigt, wir müssen sie hinaus nehmen. Ist das in Ordnung für dich?“
Mirana blickte unsicher auf das Laken und dann wieder zu Thorik. Sie nickte. „Ein Drache in meinem Leben reicht mir vollkommen!“ Thorik lächelte sie unterstützend an und die Ärztin begann nickend mit ihrer Arbeit.
Fünfundzwanzig Minuten später saßen sie gemeinsam im Aufwachraum und warteten das Mirana endlich einschlief. Stolz hielt sie einen kleinen Drachen im Arm, der mit Schwanz mindestens so groß war wie ihr Arm und er kuschelte sich liebevoll in ihre Decke. Chattan saß daneben und streichelte den Kopf seiner Frau, sowie die Pfote des Drachen. Jeder aus dem OP-Raum hatte sich gedrängt das Kind endlich einmal anzufassen und die Frauen kamen aus dem kichern und schwärmen überhaupt nicht mehr hinaus.
Thorik hatte der Ärztin noch geholfen den OP sauber zu bekommen und hatte sich danach hinaus auf den Gang gesetzt. Die Bilder die nun in seinem Kopf spukten waren schlimmer als alles was er sich vorstellen konnte. Nie wieder würde er eine Frau auf die gleiche weiße ansehen können.
„Wie geht es ihr?“ Thorik erschrak, als Thuriel ihn ansprach, doch winkte sie sogleich her. „Komm.“
Noch bevor sie sich wehren konnte, schob er sie in den Aufwachraum, ohne auf ihre schreie zu achten.
„Thuriel!“ Mirana blickte auf und sofort wirkte sie wie die Ruhe in Person.
„Mirana!“ Thuriel hörte sich auf zu wehren und eilte an die Seite ihrer Schwester. Sie nahm deren Hand in ihre und küsste sie. Als sie das Kind erblickte wurde ihr Blick weicher. „So wunderschön! Darf man es anfassen?“
Mirana nickte und schob das Deckchen etwas zur Seite. Vorsichtig berührte sie die Flanke des kleinen schlafenden Drachen und quiekte entzückt auf.
„Ist das Toll! Ich habe so etwas noch nie angefasst. So weich und doch so stabil! Ein Wunder der Natur!“ Die beiden Schwestern kichernden und Thorik winkte Chattan unauffällig zu sich.
Der Werwandler küsste seine Frau auf die Stirn und kam zu seinem Rudelführer. „Wie fühlst du dich?“
Chattan ließ die Schultern sinken und fiel geradezu auf den Sessel. „Ich habe Mirana die ganze Zeit Energie geschickt durch unser dünnes Band. Ich wollte nicht das sie Ohnmächtig wird, daher habe ich den Schmerz auch noch mit ihr geteilt. Ich sage dir... So etwas mache ich niemals wieder durch.“
Thorik klopfte seinem klügsten Mann im Rudel auf die Schulter. „Ich bin stolz auf dich Mann! Nicht jeder hätte das für seine Frau getan. Oder wäre gar in Ohnmacht gefallen!“
Chattan lächelte halb. „Nun, ja. Hin und wieder war ich in einem Sekundenschlaf. Ich glaube mein Körper hasst mich.“
Thorik lachte auf. „Würde mich wundern wenn nicht. Aber ich denke du solltest jetzt schlafen gehen. Die Frauen werden sich derweilen um den Drachen kümmern. Du kannst sie ja später ablösen!“
Chattan blickte noch einmal zu Mirana und Thorik sah den inneren Kampf. „Na, ja... Thuriel ist ja jetzt hier. Sag ihr das ich sie liebe...“
Thorik blickte ihn überrascht an, das sein Freund ihm so sehr vertraute und nickte dann. „Natürlich, mein Freund.“
Chattan verließ unbemerkt den Raum und Thorik stellte sich nun auch zu Mirana.
„Chattan ist gegangen. Er ist schon fürchterlich fertig.“ Flüsternd fügte er hinzu „Und ich soll dir ausrichten, dass er dich liebt.“
Mirana lächelte und gähnte ausgiebig. „Na endlich. Ich dachte schon er würde erst zusammenbrechen müssen, bevor er endlich geht.“

Sie lachten gemeinsam und warteten bis Mirana tief schlief, bevor sie ihr den Drachen aus dem Arm nahmen. „Ich gebe ihr noch ein Beruhigungsmittel. Sie sollte eigentlich jetzt einige Stunden schlafen. Thuriel, du bist diejenige die Mirana als Patentante auserwählt hat. Bleibst du beim Kind? Du wirst nur ein Zimmer neben Mirana sein und wir werden dir das mit dem Füttern und Wickeln zeigen.“
Thuriel und Thorik blickten gleichzeitig auf und blickten sie schockiert an. „Wickeln? Füttern?“
Die Ärztin lachte. „Ich werde euch zeigen wie man eine Stoffwindel richtig wickelt und das mit dem Essen müssen wir sowieso erst gemeinsam probieren. Ich habe verschiedene Milchpulver liefern lassen und außerdem habe ich die letzten Tage mit verschiedenen Nahrungsmittel experimentiert.“Thuriel blickte zu Thorik und Thorik von ihr zur Ärztin. „Was? Euch? Warum ich?“ Die Ärztin drückte ihm den schlafenden Drachen in die Hand. „Weil du der Patenonkel bist. Viel vergnügen euch beiden.“
Sie besahen sich unsicher und lachten dann. „Gut das wir das auch einmal erfahren...“ Murmelte Thuriel. Thorik stimmte ihr zu, doch freute sich ungemein darüber.
Die erste Nacht verbrachten sie ohne Schlaf und sprangen selbst beim kleinsten Pups panisch auf. Ihnen wurde gezeigt wie sie füttern sollten und wickelten pünktlich zu jeder vollen Stunde die Windel.
Thorik war froh, dass er sich mit Thuriel so gut verstand, ansonsten wären sie beide bestimmt schon an der Decke.
„Wie geht es deinem Durst?“
Thuriel blickte ihn verwirrt an. „Durst? Ah! Durst! Ja das passt zur Zeit. Alles in Ordnung.“ Thorik bemerkte ihren beschämten Blick und wiegte das Kind in seinem Arm.
„Thuriel! Es wird nicht besser, wenn du darüber schweigst. Ich bin auch dein Rudelführer und möchte dir helfen, doch das kann ich nicht wenn du mir nicht vertraust. Ich habe genauso wie ein Arzt ein Schweigegelübde. Ich werde nichts verraten.“
Thuriel blickte sich im geschlossenen Raum unsicher um.
„In Ordnung. Also... in der Burg... Rouge und ich waren unten in den Untersuchungslaboren. Wir haben Genstände markiert, damit ich sie später mit einem Zauber Teleportieren konnte. Leider hatten wir das Problem, das wir auch wieder von der Insel hinunter mussten, doch das ging ohne Teleportation nicht. Ich beherrsche diese Art der Magie schon lange nicht mehr, deswegen musste ich mir einen Magier aneignen. Ich sagte Rouge dass er unten bleiben sollte, damit man nicht auf die Werwandler aufmerksam wurde und...“ Ihre Stimme brach, doch Thorik drängte sie nicht. Es wirkte als wäre sie wieder in die Zeit zurückversetzt.
„Ich wollte mich an meiner Mutter rächen. Ich habe diese Insel ausgesucht, weil ich wusste das sie dort sein würde.
Also habe ich... Wir haben gekämpft und sie... sie benutzte Tricks um mich zu täuschen und plötzlich war sie mit einem Dolch über mir und.... Sie sagte ich wäre nur ein Bastard und Abschaum. Ich wäre nicht ihre Tochter. Und plötzlich... hatte ich ihr Herz in der Hand. Es schlug so fest und ich sah wie ihre Energie entschwand. Sah wie ihre Lebenslinie zerbrach. Dann lag sie da auf den Boden und ich war nicht mehr ich selbst.
Ich habe alle Magier dort getötet.“
Thorik sog erschrocken die Luft ein. Damit hatte er nicht gerechnet. „Deswegen habt ihr euch in dein Haus teleportiert. Um euch zu waschen und die Kleidung zu wechseln!“
Thuriel nickte. „Ja... Außerdem hatten die vielen Zauber mich geschwächt und ich musste schlafen. Rouge hat mich die ganze Zeit so gut wie er konnte unterstützt und alles für sich behalten... und das obwohl...“
Thuriel brach in Tränen aus. Plötzlich ertönte eine neue Stimme hinter Thorik. „Das Blut von Magiern ist nicht sättigend für Vampire! Deswegen habe ich sie von mir trinken lassen.“
Thuriel sprang auf und warf dabei beinahe den Stuhl um. „Was machst du hier?“ Ihre Augen begannen zu glühen und Thorik zog die Augenbrauen hoch.
„Ich will mit dir endlich sprechen. Ist das etwa zu viel verlangt?“ Thorik legte das Kind in sein Bettchen und schob die beiden nach draußen.
„Unterhalten wir uns gemeinsam. Ivy!“
Ivy huschte sofort ins Zimmer und schien das Ereignis das sich vor ihr Bot vollkommen auszublenden.
Thuriel knurrte bedrohlich, als sie an Rouge vorbei ging und Thorik versuchte seine gelassene Maske nicht zu verlieren. „Wir sollten in meinem Büro reden.“ Thorik ging voran, ohne zu warten ob sie auch brav folgten.
„Ich bezweifle das es etwas bringt.“ Nuschelte Thuriel und reihte sich zwischen den beiden Männern ein.
Als Thorik die Türe hinter sich schloss, begann auch schon der Streit.
„Was willst du denn überhaupt noch reden? Ich finde es ist alles gesagt. Ich habe etwas Schlimmes getan, du hast mir geholfen. Später habe ich dich auch noch halb leer getrunken. Außerdem habe ich mich mehr als einmal bei dir bedankt und entschuldigt. Was willst du mehr?“
Rouge schien auf die Frage keine Antwort zu haben, obwohl sich Thorik genau vorstellen konnte was er wollte. Leise setzte er sich auf seinen eingesessenen Stuhl und legte die Beine auf den Tisch.
„Ich will einfach mit dir reden. Dich verstehen, warum du dich mir zuerst so öffnest und dann tust als wäre nie etwas gewesen.“
Thuriel verschränkte die Hände und blickte ihn störrisch ins Gesicht.
„Ja! Und? Toll für dich. Von mir aus schreibe ich dir einen Bericht über das was ich aus meiner Sicht dort erlebt habe und schicke in dir danach. Vielleicht bist du einfach zu vergesslich.“
„Wieso vergesslich? Ich habe noch alles ziemlich genau vor Augen!“
Thuriel lachte theatralisch. „Ja, nachdem du halb bewusstlos eingeschlafen bist. Und das durch meine nicht vorhandene Selbstkontrolle!“
„Ach, davon rede ich doch gar nicht. Ich will eigentlich nur über das reden was danach passiert ist.“
Thuriel blickte ihn verständnislos an, doch unter ihren fest zusammengepressten Fäuste konnte er erahnen das sie sich nur so dumm stellte.
„Also, wie wäre es, wenn ihr euch einmal setzt und durch atmet.“ Thuriel und Rouge funkelten sich noch eine weile mahnend an, dann gaben sie gleichzeitig nach und befolgten den nett verpackten Befehl ihres Rudelführers.
„Also wenn ich das richtig verstehe... Ihr habt euch zu deinem Haus teleportiert, indem ihr einen toten Magier benutzt habt.“ Thorik deutete mit dem Kugelschreiber auf Thuriel die nickte. „Danach wart ihr euch das Blut abwaschen, nehme ich an. Was ist dann genau passiert?“
Thuriel versank im Stuhl, daher antwortete Rouge. „Als ich mein Hemd gesäubert habe und das restliche Blut los war, habe ich den Kamin angezündet, damit es schneller trocknete. Thuriel kam aus der Dusche und wollte frische Kleidung heraussuchen. Wir haben uns etwas über das was passiert ist unterhalten und danach bin ich hinaus gegangen um wache zu halten. Leider bin ich sofort auf der Bank eingeschlafen, da ich dummerweise in einen Zauber eingegriffen habe, der für eine Person bestimmt war, daher hatte dieser Zauber mehr Energie gefordert, die mir dann später fehlte. Als ich einmal kurz aufwachte, machte es Thuriel mir gerade etwas bequemer und zog die Bank aus. Sie gab mir auch Decke und Polster und erzählte mir das sie nicht schlafen könne. Da ihre Augen die ganze Zeit rot geleuchtet hatten, nahm ich an dass sie noch Hunger hätte. Ich weiß das Magierblut nicht sättigend für Vampire ist, da sie mehr aus Energie bestehen als aus sonst was und tote Lebewesen können keine Energie speichern. Eigentlich dachte ich schon, das es Thuriel könnte, da sie ja ihre Energie beherrscht. Ich bat ihr an von mir zu trinken, doch es dauerte eine Weile bis sie sich dazu zwang. Danach...“ Thuriel fiel ihm ins Wort und Thorik konnte ihre aufgestaute Energie schon fast greifen. „... sind wir völlig erschöpft eingeschlafen!“ beendete sie den Satz.
„Nein. Da war noch etwas...“ Plötzlich wurde es brennend heiß im Raum und Rouge knallte gegen die Wand rechts von sich.
„Das war nicht nett, Thuriel!“ Mahnte Thorik und räusperte sich um nicht zu lachen. „Du musst verstehen, das Werwandler sehr leidenschaftliche Lebewesen sind und die bis in den Tod schützen, die sie Lieben und als ihre Familie oder Freunde erachten. Jede Art von Werwandler hat ihre ganz eigenen charakteristische Lebensart. Du kennst doch Fuchswerwandler und Wolfswerwandler bereits. Worin siehst du ihren Unterschied?“Thuriel verschränkte die Arme und blickte zornig zu Rouge hinab, der sie immer noch ungläubig anstarrte.
„Wolfswerwandler sind eher familiär fixiert. Sie haben ihre eigenen unterschiedlich starken Gruppen, wo immer ein Pärchen bestimmt wo es lang geht. Zum Beispiel Eltern und ihre Kinder sowie deren Kinder und Tanten und Onkeln. Sie kümmern sich als Gemeinschaft. Fuchswerwandler wiederum sind eher Einzelgänger. Sie genießen ihre Freiheit und sind sehr emotional veranlagt. Jedoch würden sie genauso wie die Wölfe ihre Kinder und Geschwister bis in den Tod verteidigen. Trotzdem verstehe ich nicht worauf du hinaus willst“
Thorik nickte zufrieden. Thuriel war eine besonders talentierte Beobachterin. Dafür musste er sie einmal loben. „Sehr gut beobachtet. Jetzt denk einmal an die Tigerwerwandler. Hier haben wir nur einen Erwachsenen. Wie denkst du über ihn?“

Thuriels Blick glitt in die Ferne, als versuche sie sich an etwas zu erinnern. „Sie sind sehr.... Herrisch... Was ich so vom hören weiß sind sie eher emotionslos im Gegensatz zu den Füchsen. Sie sind... Grob geschliffen mit einer sehr harten Schale. Mehr könnte ich nicht sagen, denn ich hatte noch keinen Kontakt.“
„Siehst du! Da liegt auch schon das Problem in unserer Gemeinschaft. Jeder ist anders, jeder hat einen eigenen Charakter und jeder ein eigenes Denken. Man muss sich nicht auf das Auftreten des Clans beschränken, sondern auf die einzelnen Leute. Sie machen es aus. Sie bestimmen wie stark eine Gruppe oder ein ganzes Dorf ist. Wenn einer jedoch beschließt abseits zu leben, und das kommt häufiger vor als das du denkst, dann lässt  das Rudel dies auch zu. Wir sperren niemanden ein oder zwingen ihn zu etwas. Wir verlassen uns auf die Person, dass sie, obwohl sie nicht da ist, zum richtigen Zeitpunkt anwesend ist. Genauso wie wir den jederzeit in unserer Gemeinschaft willkommen heißen, sobald diese Person zurück will. Wir sind verschieden und doch vereint uns unsere Genetik. Wir sind einzigartig so wie alle anderen Arten dort draußen, Thuriel. Sogar du bist einzigartig Thuriel! Du musst es nur sehen. Rouge versucht lediglich für dich da zu sein. Jedoch musst du ihm auch helfen. Uns vertraut er doch nicht. Er kennt uns ja nicht mehr. Du bist diejenige die ihm den sozialen Kontakt beibringen sollte.“
Thorik hatte versucht unauffällig Rouge wieder in die Gemeinschaft einzugliedern, was er jedoch nicht direkt an ihn gewandt machen konnte, da er abblocken würde. Thuriel jedoch schien zu begreifen, dass es Thorik wichtig war endlich noch einen starken Werwandler in der Gruppe zu haben, was sie jedoch nicht wundern sollte. Thorik konnte sich nicht direkt vorstellen, wie stark Rouge war, doch nach dem was er als Rudelführer fühlte... Ein Klopfen unterbrach seine Gedanken und Thuriel atmete sichtlich erleichtert aus.
Thorik knurrte „Herein!“ Und sofort wurde die Türe aufgerissen. „Entschuldigung, doch Thuriel du wirst gefragt!“
Thuriel sprang sofort auf und blickte dem jugendlich aussehenden Koras unsicher in die Augen. „Was? Um was geht es?“
„Deine Schwester ist aufgewacht und will sofort mit dir sprechen!“ Beide warfen einen erwartenden Blick zu Thorik der sie mit einem nicken natürlich entließ. Das Gespräch war zwar noch lange nicht beendet, doch andererseits wollte er Mirana nicht von ihrer Schwester trennen.
Das leise klicken der Türe ertönte und Rouge blickte immer noch entgeistert auf die Türe. „Alles in Ordnung?“
Rouge zuckte zusammen, als hätte er vergessen, das Thorik noch hier war. „Möchtest du mir jetzt noch erzählen was nicht, oder doch noch passiert ist?“
Rouge knurrte und ließ sich auf den Sessel sinken, in dem vorher noch Thuriel gesessen hatte. Thorik fiel auf, wie unterschiedlich die beiden waren. Thuriel war beinahe in dem großen Stuhl der für Werwandler gedacht war untergegangen, sie hatte schmal und klein gewirkt, doch jetzt wo Rouge darin saß, sah es so aus als würde der Stuhl winzig klein sein.
„Nicht wirklich, aber ich verstehe es einfach nicht und muss mit jemanden reden. Kann ich mich auf dein Stillschweigen verlassen?“
Thorik nickte und legte den Kugelschreiber weg. Rouge hatte seine ganze Aufmerksamkeit als der Rudelführer der er war.

Ein Blick in die Zukunft

Thuriel

 

Thuriel eilte neben Koras her und fragte sich was wohl passiert war. Es half ihr Rouge aus ihren nervlichen Gedanken zu vertreiben. War es wirklich schon wieder einen Monat her, seit sie sein Blut getrunken hatte und Seite an Seite neben ihm geschlafen hatte? War es tatsächlich erst einen Monat her, seit dem kurzen Augenblick als sie ihre Zukunft gesehen hatten? Thuriel konnte sich das einfach nicht vorstellen.
Plötzlich fühlte sie sich wieder zurückversetzt in den Moment, als sie von seinem Hals abgelassen hatte. Er hatte sich nicht gewehrt, keinen Mucks von sich gegeben. Im Gegenteil, er hatte sie sogar noch fest an sich gedrückt. Sie war sich als sie aufhörte zu trinken so jämmerlich klein und zerbrechlich angefühlt. Wie eine Straftäterin auf dem Weg nach dem letzten Mahl zum elektrischen Stuhl. Oder noch schlimmer, als hätte man vor sie an ein Kreuz zu nageln. Als sie so auf sein friedliches Gesicht hinab blickte, lächelte er sie an und wischte ihr einen Tropfen von seinem Blut von der Unterlippe. Er hatte sie angesehen, als hätte er nie etwas Schöneres gesehen. Als sie wieder von seinem Brustkorb hinunter wollte, hatte er sie zu sich gezogen und so innig geküsst, dass ihr Herz stundenlang außer Betrieb war. Zumindest hatte es sich für sie so angefühlt. Thuriel war zu dieser zeit viel zu erschrocken gewesen um sich zu wehren oder irgendetwas zu sagen. Doch noch bevor sie etwas dagegen tun konnte, hatte sie ihn zurück geküsst und hatte es genossen. Ihr eigener Körper hatte so gut zu seinem gepasst, dass sie vor Glück fast geweint hätte, wenn nicht plötzlich etwas passiert wäre. Während seine Hände über ihre Körper gewandert waren, hatte alles aufgehört zu existieren. Die Welt hatte aufgehört sich zu drehen, die Pflanzen zu wachsen und die Lebewesen zu Atmen.
Thuriel und Rouge setzten sich verwirrt auf und blickten sich um. Man konnte es beinahe angreifen, dieses Gefühl von nichts. Im nächsten Moment hatte sie ein mächtiger Windstoß erfasst und sie waren ganz wo anderes. Sie waren zurück im Dorf der Werwandler, doch es war anders. Voller Leben erfüllt, viel grüner und brauner als zuvor. Alles war einfach nur intensiv gewesen, als sie durch die Gassen glitten wie Geister, sich gegenseitig festhaltend. Plötzlich standen sie vor einer Lichtung, vor ihnen erhoben sich graue Steine umzäunt von schwarzen Stahl. Thuriel sah sich selbst wie sie auf einen Mann zuging, der gerade ein kleines Kind am Arm trug und es schien als würde er ihm etwas erzählen. Plötzlich drehte sich der Mann um und er ließ das Kind hinunter, das aufgeregt auf sie zulief. Es war ein Junge, sie schätzte ihn auf sieben oder acht Jahre. Er sprang Thuriels Ebenbild in die Arme und rief freudig „Mama! Du bist wieder da!“
Thuriel küsste ihren Sohn auf die Wange und drückte ihn fest. „Und rate wen ich mitgebracht habe!“
Plötzlich trat aus dem Dickicht Mirana und Chattan Arm in Arm und hinter ihnen folgte ihnen ein Mädchen. Es hatte dieselben Haare wie Mirana und die Augen von Chattan. Sie war wunderschön, hatte Thuriel gedacht, als sie diese sah. Plötzlich drehte sich das Mädchen zu ihnen um und winkte >ihnen<. Die echte Thuriel drehte sich zu Rouge um, der nur mit den Schultern zuckte. Gleichzeitig drehten sie sich um, doch dort war niemand. Die Illusion meinte tatsächlich sie beide. Geschockt versuchten sie etwas zu sagen, doch es kam nicht ein Ton aus ihrem Hals.
„Mama! Sie sind bereits hier, ich kann sie sehen! Wo ist Thorik schon wieder?“
Mirana blickte sich um, doch schien sie nicht zu sehen. „Dort am Friedhof. Er zeigt den Zwillingen das Grab.“
Plötzlich sah man Thorik hinter einer Gruft hervorkommen mit zwei kleinen Bären im Schlepptau. Sie kugelten sich übereinander und Thorik mahnte sie sich zu benehmen. Thuriel lief plötzlich eine Träne hinab, da sie erkannte was das war. Es war die Zukunft. Sie hatten tatsächlich eine Vision von der Zukunft.
„Thorik beeile dich, sie sind da!“ Brüllte Chattan und Thorik lief mit den kleinen los. Sie benutzten nicht erst das verschlossene Tor, sondern sprangen darüber und die kleinen folgten ihm mit Leichtigkeit.
Als sich alle mehrere Meter vor ihnen versammelt hatten staunte Thuriel nicht schlecht. Vor ihr stand ihre ganze Familie. Thuriel neben Rouge, der den kleinen Jungen mit den dunkelgrünen Augen im Arm hielt, Mirana Arm in Arm mit Chattan, der seine Hand stolz auf seine Tochter gelegt hatte und hinter ihnen Thorik mit den Zwillingen auf den Schultern. Sie hatten sich wieder in Menschen verwandelt und Thuriel bemerkte das der eine Junge ein blaues und ein braunes Auge hatte und der andere Junge ebenfalls. Sie sahen sich komplett ähnlich, bis auf die Haarlänge. Dem linken fielen schwarze Strähnen ins Gesicht, der andere hatte die blonden Haare stachelig aufgestellt. Doch wer war die Mutter? War sie nicht auch hier?
Thuriel versuchte wieder etwas zu sagen, doch konnte nicht. Es war wie ein Kloß im Hals.
„Entschuldige, das wir euch gestört haben, doch Tante Thuriel meinte dieser Tag sei entscheidend gewesen. Also hört mir genau zu. Ich habe nur einen begrenzten Einfluss in die Zeit. Onkel Rouges Vater will das Dorf auslöschen um seinen Sohn bei sich zu haben. Die Details werdet ihr noch früh genug bekommen. Bitte! Wir sind noch zu jung und schwach. Ich brauche meinen Seelengefährten! Bitte!...“ Thuriel verstand nicht mehr was sie sagte. Sie klang auf einmal so weit weg. „Euer Sohn muss...“ Dann brach es wieder ab. „... mein Seelengefährte, Bitte!“

Plötzlich war es als würden sie mehrere Meter in die Tiefe fallen. Thuriel und Rouge lagen ausgestreckt nebeneinander am Sofa und es dämmerte bereits zur Nacht. Thuriel war wieder voller Energie gewesen so wie Rouge, doch sie konnte sich keinen Reim darauf machen. Was war passiert? Warum der Zeitsprung? Und vor allem... wer war das Mädchen? Sie sagte das Thuriel ihre Tante war, doch Mirana konnte keine Kinder mehr bekommen und der Drache der in der Kinderstube lag, sah nicht gerade menschlich aus.
„Thuriel! Thuriel!“
Thuriel erschrak und blickte in die weichen grauen Augen von Koras. „Was?“
„Es schien als wärst du in einer Art Trance! Ist alles in Ordnung?“
Thuriel nickte und griff sich an den Kopf. „Schon gut... Nur ein Flashbag. Was sagtest du?“
Koras klopfte an eine Türe. Thuriel erkannte das es das Krankenzimmer ihrer Schwester war und drückte sich an Koras vorbei um zu Mirana zu eilen. Sie lag wie eine blasse Leiche im Zimmer, doch lächelte freudig. „Thuriel...“ Ihre Stimme war leise und Chattan mahnte sie nicht zu viel zu reden. Sie warf ihm einen halbherzigen Blick zu und Thuriel nahm ihre Hand in die ihre. „Oh, Mirana! Wie geht es dir?“
„Ihr geht es gut genug, glaube mir. Sie will das Kind sehen, doch wir meinen sie ist noch viel zu schwach dafür. Sie kann nicht einmal eine Tasse halten. Danach schimpfte sie mich einen störrischen alten Mann und ließ nach dir schicken..“
Thuriel lachte und küsste ihre Schwester auf die viel zu heiße Wange. „Ich gehe die kleine holen!“ Sie blickte Chattan mahnend an und er warf sich ergebend die Hände in die Luft.
Thuriel eilte in den Nebenraum und fand Ivy schlafend mit dem kleinen Drachen vor. Sanft weckte sie sie und nahm ihr die Schicht ab. „Danke, ich bin wohl zu überarbeitet.“ Meinte Ivy und schlenderte erschöpft hinaus. Koras fing auf dem Gang seine Schwester ab und trug sie irgendwo hin. Thuriel konzentrierte sich aber nicht länger darauf, sondern betrachtete das kleine rote Geschöpf in ihrem Arm. „Also du wirst einmal so ein hübsches Mädchen? Die bist zwar irgendwie niedlich mit deinem zahnlosen Mund und deinen weichen Krallen, doch wie wird aus so einem schuppigen kleinen Baby ein blondes Mädchen?“ Der kleine Drache rülpste und seufzte heftig. „Tja... Wenn das in zehn Jahren auch noch deine Antwort auf alles ist, haben wir ein Problem...“ Witzelte Thuriel mehr zu sich selbst und ging ins Zimmer von Mirana. Mirana versuchte sich aufzurichten, doch war noch auf die Hilfe von Chattan angewiesen.
„Also kleine süßes Drachenbaby, darf ich vorstellen! Deine Mama und dein Papa! Bitteschön!“ Thuriel schritt freudig auf die beiden zu, die es kaum noch erwarten konnten ihren Sprössling zu sehen. Thuriel schob das Tuch zur Seite und Mirana sog scharf die Luft ein, bevor ein langgezogenes „Oh, wie süß!“ aus ihrem Mund kam. Thuriel übergab ihr das Kind und rieb sich das Ohr wo sie nach dem freudigen Aufschrei ein pfeifen spürte. „Sie ist ja wunderschön!“ Chattan lag schon halb in Miranas Bett um seinen beiden Frauen nahe zu sein.
„Ja, das ist sie. Nur etwas schuppig!“ Erinnerte Thuriel und kicherte. Mirana lachte ebenfalls, doch wandte nicht ihren Blick ab. Der kleine Arm große Drache gähne ausgiebig, als hätte es die Stimme seiner Mutter erkannt und streckte die Vorderpfoten nach ihr aus. Mirana drückte das zarte Wesen an ihre Brust und drückte es so fest wie sie sich traute. Chattan streichelte ein Beinchen, dabei kamen Thuriel seine Hände wie Äste vor. Wie Äste die einen Grashalms streichelten.
Plötzlich schien die kleinen Krallen zu verschwimmen bis sie zu kleinen Händen wurden. Die Schuppen schienen sich unter die Haut zu schieben und der Kopf wurde runder. Plötzlich lächelte ihnen ein kleines hell blauäugiges Baby ins Gesicht.

„Bitte sagt mir das ihr gerade dasselbe gesehen habt...“ Chattan wirkte als hätte er gerade ein Gespenst gesehen, auch Mirana und Thuriel konnten lediglich nicken.
„Das ist ja erstaunlich! Wie hast du das gemacht?“
Die Ärztin streichelte den Kopf des kleinen Mädchens und strahlte es an. Mirana schien als einziges nicht gemerkt zu haben das sie Thuriel vorhin hinein gefolgt war.
Staunend bewunderten sie das Kind das bereits wieder müde die Augen schloss und weiterschlief als wäre nichts passiert.„Das ist bemerkenswert. Denkst du sie kann immer wandeln so wie sie will?“ Fragte Mirana Chattan, der sie daraufhin ansah als würde sie in einer fremden Sprache sprechen.
„Vielleicht macht sie es ja nicht bewusst, sondern hat sich lediglich an deinen menschlichen Körper angepasst. Du wirst wohl erst in einem oder zwei Jahren wissen ob sie es bewusst kann.“ Bemerkte Thuriel, nachdem Chattan kein Wort heraus brachte.
„Ist sie jetzt überhaupt eine sie, oder ein er?“
Die Ärztin schob die nun locker sitzende Windel beiseite und lächelte zufrieden. „Sie ist immer noch ein Mädchen.“

Chattan strahlte nun mehr denn je. Anscheinend hatte er sich immer ein Mädchen gewünscht. Thuriel konnte sich bei ihm gar nicht vorstellen das er überhaupt Kinder habe wollte. „Und ihr wolltet nicht an meine Fähigkeiten glauben...“ Tadelte Thuriel und Mirana grinste schräg. „Ich hätte mich eben über einen Jungen gefreut, doch bei so einem besonderen Kind, ist es mir egal ob sie männlich oder weiblich ist. Sie ist so und so wunderschön.“ Mirana blickte mit so einem verträumten Blick hinab, das Thuriel unweigerlich an ihre Vision erinnert wurde und den Blick vom Baby abwenden musste.
„Nun, ja. Wir können es ja weiter versuchen um deinen Wunsch zu erfüllen.“ Chattan setzte ein Schmunzeln auf, das aber sofort wieder verschwand, als er in Miranas betrübten blickten.
„Leider ist das jetzt nicht mehr möglich, mein Lieber. Sie mussten meine Gebärmutter entfernen, da sie sehr mitgenommen war.“
Chattan blickte entsetzt drein und schlug sich auf den Mund. „Ach du... Das war völlig taktlos von mir. Mirana, es tut mir so unendlich leid. Wie fühlst du dich dabei?“
Mirana tätschelte ihm die Hand. „Schon in Ordnung. Ich war noch nicht einmal für eines bereit. Doch sollte es jemals, so weit sein dass ich mir noch eines wünsche, dann können wir eines Adoptieren.“ Mirana sprach als wäre es ihr vollkommen egal, doch Thuriel spürte das sie das nur vor Chattan so herunterspielte.
„Süße, mach dir nichts daraus. Du hast noch viele hunderte von Jahre vor dir. Mach dir erst einen Kopf darüber, wenn es soweit ist. Bis dahin hast du ohnehin genug zu tun.“
Mirana blickte kichernd zu ihrer Tochter hinab.
„Thuriel hat recht! Also sollten wir auf die gegenwärtigen Fragen blicken. Und die erste ist... Wie nennen wir sie?“
Thuriel überlegte und Mirana schien in die Ferne zu blicken. Plötzlich kicherte Chattan und beide Frauen blickten ihn verwirrt an. „Wisst ihr, meine Familie hat einen langen Stammbaum, der weit zurück ins Irische reicht. Wie wäre es mit Edana?“
Die Schwestern blickten ihn verwirrt an. „Was meinst du damit?“Fragte Thuriel schließlich.

„Edana bedeutete >die kleine Feurige<“ Mirana lächelte über den Namen und nickte.

„Er ist perfekt. So wie unsere kleine Prinzessin.“
Thuriel kniete sich vor das Krankenbett und kitzelte die kleine Prinzessin an der Fußsohle. „Nein, sie ist eine Königin. Die Drachenkönigin Edana. Sie wird euch für die Bedeutung später einmal hassen.“
Lachend verließ Thuriel einige Zeit später das Krankenzimmer um die verträumten Eltern alleine zu lassen und lief beinahe Rouge in die Arme. „Alles in Ordnung?“ Thuriel, die immer noch lächelte über den Namen, blickte strahlend zu ihm auf. „Ja. Alles ist perfekt. Fast so wie es sein sollte. Außerdem hast du recht... Wir sollten reden.“
Rouge schien etwas verwirrt zu sein, doch freute sich andererseits darüber. „Wenn du willst kann ich uns etwas kochen. Du hast bestimmt Hunger.“
Thuriel ließ sich darauf ein. Wenn sie genauer darüber nachdachte, über das was sie in ihrer Zukunft gesehen hatte, sollte sie sich eigentlich darauf einlassen.
Schweigend schlenderten sie gemütlich hinaus zum Friedhof und erst jetzt besah sich Thuriel die kleine Kirche genauer. Ihr Innenleben bot genug Plätze für alle Einwohner und war einwandfrei staubfrei gehalten. Die großen bunten Fenster, erzählten die beschwerliche Geschichte von Tier und Mensch und wie sie eines wurden. Fasziniert betrachtete sie jede Einzelheit, jeden Schatten der das Licht warf und jeden funken, den die goldenen Schätze warfen. „Es ist wunderschön. Und du lebst hier wirklich alleine?“
„Natürlich.“ Er sagte es, als wäre es vollkommen ausgeschlossen, das hier noch jemand leben würde und Thuriel lächelte.
„Und was ist jetzt mit dem essen?“ Rouge lächelte und deutete auf eine Treppe die hinab führte. Gut verborgen hinter einer Statue, folgte sie ihm hinab in sein kleines Reich und staunte nicht schlecht. Es war alles hell gehalten und ließen die Räume größer wirken, als das sie überhaupt waren. Unter der Erde, verlief eine ganze Reihe von Gängen und Räumen, die unbenutzt zu sein schienen, bis auf ein paar, die als Wohnzentrum dienten. „Was ist das hier?“
Rouge zeigte ihr die einzelnen Räume angefangen von Küche, Esszimmer, einem unbenutzten Speisesaal deren Stühle und Tische in die Ecken geschlichtet worden waren, einem spärlich eingerichteten Schlafzimmer, einem kleinen Wohnzimmer mit Leseecke und einer riesigen Bibliothek. „Der Wahnsinn! Hast du die alle schon gelesen?“
Rouge schüttelte den Kopf. "Natürlich nicht. Hier befinden sich sämtliche Aufzeichnungen der Werwandler und anderer bekannter Arten. Geschichten aus aller Länder sind hier ebenfalls gesammelt und hin und wieder bestelle ich ein paar modernere Ausgaben um sie mit den alten zu vergleichen.“ Begeistert lief sie zu den magischen Werken hinunter und strahlte. „Das sind Zauberbücher, die ich noch nie gesehen habe. Und... Die Sprache, welche ist das?“
Rouge blickte ihr über die Schulter und überlegte. „Ich denke eine der nördlicheren. Zu mindestens wirkt sie so.“ Thuriel stellte das Buch an ihren Platz zurück und griff nach dem nächsten, an das sie heran kam. Rouge zog sich unauffällig zurück, doch Thuriel war so sehr mit den ganzen Schriften und dem Auswendiglernen beschäftigt, dass sie erst merkte das er weg war, als er mit frisch gepressten Orangensaft und einigen Häppchen wiederkam. Gierig stürzte sie sich darauf und stöhnte zufrieden. „Das schmeckt echt lecker. Wer bist du?“ Thuriel scherzte, doch Rouge schien es nicht sonderlich lustig zu finden.

„Sein nicht albern. Das ist mein Leben. Ich bin der Wächter über das alles hier. Ich zeige es dir bloß, weil ich weiß das es dich interessiert.“ Thuriel lächelte über die seltsame Ansicht.
“Und wenn es die anderen ebenfalls interessiert? Zeigst du ihnen dann ebenfalls alles?“
Er schmunzelte leicht und hob unwissend die Schultern. „Wenn sie einsichtig werden... Vielleicht. Vorher muss jedoch etwas Gröberes passieren.“
Thuriel setzte sich neben Rouge an eine Arbeitsfläche die anscheinend erst vor kurzem benutzt worden war. Genüsslich kaute sie auf dem Käse herum und steckte eine Weintraube hinterher während sie an den kleinen Drachen dachte. „Wie weit waren wir denkst du wohl in der Zukunft?“
„Vielleicht siebzehn bis zwanzig Jahre. Oder mehr. Edana wirkte bereits volljährig.“
Thuriel blickte ihn ungläubig an. „Edana war doch niemals volljährig. Sie war immerhin noch nicht einmal vierundzwanzig.“
Er lächelte spöttisch und hielt ihr noch eine Weintraube hin, die sie ihm aus den Fingern riss. Wein und Weintrauben... Bei der Erinnerung an Alkohol fühlte sie eine gewisse Sehnsucht. „Werwandler werden wesentlich früher volljährig, im Gegensatz zu euch Magiern. Wir sind es bereits sobald wir sechzehn sind.“
Sie blickte ihn wütend an und schickte ihm einen geistigen Schlag. „Nenn mich niemals mehr eine Magierin. Ich bin vielleicht vieles in deren Augen, doch bestimmt keine Magierin!“
Lächelnd lehnte er sich vor und sog ihren Geruch ein. Was sollte das denn jetzt? „Wieso riechst du so stark nach Koras?“ Sie konnte so etwas wie ein Knurren in seiner Stimme vernehmen. War er etwa eifersüchtig.
Etwas beleidigt wandte sie sich ab. Im Grunde hatte es ihn doch nicht zu interessieren. Er hatte sie doch markiert, ohne sie um Erlaubnis zu fragen. Was wollte er mehr?
„Hat er dich etwa angefasst?“ Sein Knurren wurde lauter und sie stand auf. Natürlich hatte er das nicht, doch das hatte ihn kein bisschen zu interessieren. „Rouge. Ich denke kaum das es dich etwas angeht. Ja, ich bin dir für den letzte Monat dankbar und du hast mich markiert, doch das heißt noch lange nicht, dass du mir vorschreiben darfst...“
Wütend klopfte er auf den Tisch. Nur einen Wimpernschlag später stand er vor ihr und biss sie ein drittes mal in die Schulter. Dieses Mal war sie darauf gefasst und schlug einen schwachen Energieball durch seinen Körper, der sich hinter ihm wieder auflöste.
Doch Rouge wich nicht zurück. Er hielt seine Zähne weiterhin auf ihre Schulter gepresst, jedoch ohne ihr Schmerzen zu bereiten. Verdammt dieser Werwandler würde sie noch in den Wahnsinn treiben. „Was zur Hölle noch einmal möchtest du von mir hören? Nein ich habe nichts mit dem Fuchswerwandler. Und nein, er hat mir nur tröstend eine Hand auf die Schulter gelegt.“Sie fühlte seinen heißen Atem auf ihrer Schulter und wie sich langsam eine Gänsehaut über ihren Körper zog. Er war ihr abermals so nahe und das wollte sie irgendwie nicht. In ihr drinnen wehrte sich einfach alles gegen ihn, obwohl sich ihr Körper zu ihm hingezogen fühlte. Er war wie ein verletztes Tier. Mann wollte ihm helfen, doch wagte es nicht ihm zunahe zu kommen, da es nach den helfenden Finger schnappte.
„Das nächste mal wenn du nach einem anderen Werwandler riechst, abgesehen von Thorik, oder Chattan, dann breche ich ihn entzwei!“
„Und was ist wenn ich jemanden anfasse? Tötest du mich dann auch?“
Etwas das nach einem schnauben klang ertönte neben ihrem Ohr. „Das würdest du nicht.“

„Ich bin ein Hexenmeister. Ich bin nicht an die Gewohnheiten und Gesetze der Werwandler gebunden. Solange ich hier bin, gehört mein Respekt dem Rudelführer und meine Liebe meiner Schwester so wie meiner Nichte. Ich bin dir absolut nichts schuldig.“
Er zog so langsam ihren Träger vom Kleid von ihrer Schulter, dass ihr ganz heiß bei diesem wenigen Körperkontakt wurde. „Wenn das Mal verschwinden sollte, irgendwann einmal. Dann weiß ich das du nicht mir gehörst. Bis dahin...“ Er ließ den Satz unausgesprochen und starrte einfach die Stelle an meiner Schulter an, an der der Biss sehr gut sichtbar war. Was war bis dahin? Musste ich ihm gehorchen? Das bezweifelte ich. Aber was möchte er sagen?
„Rouge? Was ist bis dahin?“ Sie merkte jetzt dass ihre Stimme bei dem Satz brach und ihre Hände nervös zitterten. Sie hatte alles andere als Angst vor ihm, trotzdem verhielt sich ihr Körper in seiner Nähe so irrational.
„Werwandler suchen sich ihre Partnerin nicht aus. Die meisten Jahre, verbringen sie mit verschiedenen Frauen aus dem Rudel, die sich ebenfalls einen Scheiß darum kümmern, mit wem sie in Bett steigen. Jedoch sobald ein Werwandler seinen Partner gefunden hat, weiß es sein Tier sofort. Es markiert den, oder die Auserwählte sofort und ab diesem Zeitpunkt gibt es keine andere Frau und keinen anderen Mann in deren Leben, abgesehen von ihren gemeinsamen Kindern.“
„Die Seelenverschmelzung? Das hatten doch auch deine Eltern, oder?“
Er nickte stumm. „Mein Vater ist bereits an einer angeborenen Krankheit vor meiner Geburt gestorben. Er war schwach und... nicht einmal mein richtiger Vater. Sie haben sich erst wenige Tage nachdem sie mit meinem richtigen Vater herum gemacht hat, an ihn gebunden. Sie hatten nur ein kurzes Jahr zusammen und meine Mutter starb an gebrochenem Herzen, nur wenige Tage nach meiner Geburt. Nicht einmal ihr eigenes Kind hat gereicht um am Leben zu bleiben. Sie wusste sofort, dass ich nicht sein Kind war. Ich gehörte nicht einmal ihr. Sie war nur eine Frau die mich ausgetragen hat. Mein Vater war sobald ich alt genug war um zu verstehen wer ich bin, immer in meinem Kopf. Er hat mir angewiesen wie ich denken sollte und wie es meine Pflicht war mich zu verhalten. Aber ich war schon immer ein störrisches Kind. Ich wollte nicht nach seinem Vorbild leben. Ich wollte eine Familie und Freunde. Er verwehrte mir dies und zwang mich das zu lernen, was ich wissen musste, als ein Nachkomme eines Gottes. Ich beschloss als ich im Rudel volljährig wurde, mich lieber hier zu verkriechen. Eine Kirche. Nichts gab es das er mehr hasste. Er wandte sich von mir ab und ich ging in die Lehre des vorherigen Priesters. Als dieser Verstarb nahm ich seinen Platz ein und kümmere mich seitdem um die Zimmer und die Verpflegung. Regelmäßig putze ich und halte alles am neuesten Stand. Ich habe technisch alles so weit erneuert, wie es mir Finanziell möglich war, doch trotz allem ist es zu wenig. Als Priester, bekommt man nicht sonderlich viel ein. Ich musste mehr verkaufen, als das mir lieb war. Das hier ist mein zuhause. Ich habe nichts anderes... Und jetzt bist du da und ich bin mit meinem Schakal mehr im Streit als jemals zuvor.“
Rouge war vor ihr auf die Knie gegangen und Thuriel nahm die negative Energie wahr, die sein Schakal verströmte. Deshalb nahm sie niemals direkt von ihm irgendwelche Stimmungen wahr. Alles ging von seinem Schakal aus.
Von allen Werwandler war ausgerechnet sie an den wildesten gebunden. Sein Tier saß die gesamte Zeit direkt unter seiner Haut und verlangte sein Anrecht.
„Ich bin ein Hexenmeister. Ich kann dir alles zurückholen, wenn es dir dann etwas besser geht.“
Er knurrte und sie ließ sich neben ihm vor ein Regal sinken. „Ich brauche keine Almosen.“ Lehnte er ab.
Sie musste über diese Logik kichern. „Aber ich könnte doch etwas spenden, oder? Ich meine, ich wüsste nicht was du an diesem Ort noch beeindruckender machen möchtest. Ich bin bereits jetzt überrascht, was du ganz alleine aus diesem riesigen Reich gemacht hast. Die Tunnel ziehen sich doch bestimmt bis weit unter das Dorf.“
Er lächelte und strich wie beiläufig mit den Fingern über ihren Unterschenkel. „Es ist so viel Platz, dass das gesamte Rudel zweimal hier unten eine neue Heimat finden könnte. Unter dem Tunnelsystem liegt noch ein älteres Reich. Es ist noch von damals, als die Werwandler sich noch in ihrer Urgestalt unter der Erde bewegten und dort in großen Höhlen nisteten. Wir sind erst vor ein paar tausend Jahren hier an die Oberfläche gekommen und haben eine neue sichere Heimat gefunden.“
Thuriel ließ ihren Blick über die Regale gleiten. Vermutlich fand man hier sogar noch Aufzeichnungen davon.
Unsicher legte sie ihren Kopf an seine Schulter. Er wirkte so einsam, wenn er über dieses Reich hier redete. Es war, als würde er sich wünschen es allen zeigen zu können und Lob dafür zu ernten, doch hatte andererseits Angst davor.
„Sollte ich noch länger hier bleiben, dann verspreche ich dir, dass ich dir hier unten helfen werde, und dafür darf ich etwas hier in den Büchern stöbern. Und natürlich werde ich ein bestimmtes Sümmchen spenden, damit du deine Relikte zurück bekommst.“
Sie sah sofort Dankbarkeit in seinen Augen aufflackern und er blickte sich stolz um. Das war sein Reich, sein Leben und es steckte wirklich in jedem Detail ein Stück seiner Liebe zu dieser Kirche. Sie konnte sich überhaupt nicht ausmalen, was er wohl hieraus machen würde, wenn er die finanziellen Mittel besäße.
„Und was machst du danach? Wenn diese Verrückten dort oben tatsächlich den Krieg gewinnen?“
Thuriel lächelte und dachte an ihren Preis. „Ich werde die mächtigste Hexenmeisterin auf diesem Planeten sein, die man jemals zuvor gesehen hat.“

Rouges Relikte

Eine Woche später und etliche Behandlungen danach, saßen Chattan, Thuriel, Rouge und Mirana, mit der neugeborenen Edana am Arm im Büro des Rudelführers.
Rouge stand lediglich neben der Türe und wartete, dass Thuriel endlich entlassen wurde aus der privaten Sitzung, damit er mit ihrer Hilfe einige wichtige Relikte in seiner Sammlung zurückführen konnte. Mirana stillte währenddessen den beiets wieder in einen Drachen zurückverwandelte Königin und Chattan blickte gereizt auf den Boden. „Thuriel und Thorik waren die einzigen die noch diskutierten. „Niemand zwingt sie dazu. Die Gestaltwandler, waren schon immer ein eigenes Volk. Sie haben sich nie mit anderen Wesen zusammen getan, bis auf einmal den Drachen. Doch die wurden restlos ausgelöscht!“
Mirana zischte sie an und Thuriel bereute es sofort wieder, so etwas in der Gegenwart von Edana anzusprechen.
„Ich weiß, aber wenn sie nicht auf unserer Seite kämpfen, dann kämpfen sie vielleicht auf der des Wasserdrachen. Außerdem weiß ich nicht, inwieweit uns ein kleiner Drache helfen sollte, wenn sie noch nicht einmal ihre Gestalt zu behalten beherrscht.“
Nun war es Mirana die sprach. „Also, wagt es ja nicht meine Tochter als nicht zuverlässig zu bezeichnen. Ohne sie würde ich nun bestimmt nicht vor euch stehen.“
Chattan musste der Argumentation zustimmen.
Thuriel griff sich an die Stirn. „In, Ordnung. Können wir das vielleicht morgen weiter diskutieren? Ich habe heute noch andere Pläne.“
Thoriks Blick glitt bedeutungsschwer zu Rouge der sich bei dem Wort Pläne aufrichtete.
„Was habt ihr zwei hübschen denn heute geplant?“ In Miranas Stimme schwang etwas Unterschwelliges mit und Thuriel verdrehte die Augen.
„Nichts was dich auf solche Gedanken kommen lassen würde. Wir holen nur etwas zurück dass seinem rechtmäßigen Besitzer gehört.“
„Ihr holt aber ziemlich oft in letzter Zeit Sachen zurück. Was hat es damit auf sich?“
Thuriel hauchte ihrer Schwester einen Kuss auf die Wange, bevor sie dem kleinen Drachen über den geschuppten Kopf streichelte. „Sagen wir so... Ich habe viel Geld un d er kann körperlich überzeugen. Die Kirche braucht dringend ein paar Sachen zurück und genau diese holen wir.“
Rouge knurrte, dass sie schweigen sollte und sie verdrehte gespielt genervt die Augen.
Seit sie ihm vor über einer Woche das versprechen gegeben hatte alle Sachen zurückzuholen, solange sie hier war, nahm er das ziemlich ernst. Er stöberte aus welchem Loch auch immer die Käufer auf und verlangte dass sie dort hin gingen um seine Sachen zu holen. Sobald er seine Gegenstände fest in der Hand hielt, ließ er sie nicht mehr los und war einige Stunden damit beschäftigt sie zu putzen und an ihren rechtmäßigen Platz zurückzustellen. Jedes mal sah er dabei aus wie ein kleines Kind, dass eines seiner Spielzeuge zurück bekam.
So auch nun, als er triumphierend einen Stein in der Hand hielt, der seltsame Runen eingezeichnet hatte. Sie selbst bediente sich gerade an der Lebensenergie der Vampirin und ließ ihren vertrockneten Körper in eine Ecke des Hauses fallen. „Können wir dann jetzt endlich zurück?“
Rouge schüttelte den Kopf. „Nein, ich habe hier in der Nähe noch jemanden, der etwas von mir besitzt.“
Thuriel seufzte. „Übertreibst du nicht etwas mit deinem Besitzwahn? Du benimmst dich beinahe wie eine Elster. Alles was glitzert und sich nicht bei drei versteckt hast, nach dem greifst du wie nach einer Rettungsleine.“
Sie nahm ihm sein neues >Spielzeug< aus der Hand und drehte es in ihrer Hand gegen das Licht. Der Stein war in einem cremeweiß und schien von selbst sogar etwas zu strahlen. „Was ist das für ein Material?“
Er nahm es ihr gierig aus der Hand und steckte es in die Hosentasche. „Das ist ein Relikt, dass in die Leuchter der Kirche gehören. Lass deine dunklen Pfoten davon.“ Gab er bissig zurück und verließ stampfend das Haus in dem sie sich befanden. „He! Du bist hier der Werwandler, also besitzt du Pfoten. Ach, ja. Wenn wir schon dabei sind. Wieso verwandelst du dich nie in deine Tiergestalt? Ich habe dich bisher nur als Mensch und als Zwischenwesen gesehen. Aber nie als Schakal.“„Doch, als wir uns das erste Mal trafen, sahst du mich als Schakal.“
Sie dachte an die seltsame Begegnung zurück. „Stimmt. Da hielt ich dich für einen blöden Köter.“
Er grinste sie plötzlich an und blieb abrupt stehen, sodass sie in ihn hinein lief. Er fing sie ab und legte beide Arme um sie. „Und was denkst du jetzt über mich?“
Thuriel lächelte. Seine starken Arme lagen wie ein Schutzschild um sie und es gab keine Momente wo sie sich sicherer fühlte, auch wenn er mehr als genug Kraft besaß um sie einfach zu zerdrücken.
„Jetzt? Im Moment?“ Er nickte und seine Nase strich sanft über ihre Wange. „Im Moment, denke ich eigentlich nur wie aufdringlich du bist.“
Er schnaufte belustigt und zwickte sie ins Kinn. „Nicht über diesen Moment. Ich meine wie du jetzt über mich denkst.“
„Ehrlich gesagt, halte ich dich für fürchterlich unverschämt. Du nutzt mein Angebot schamlos aus und benutzt meine Kräfte wie du möchtest. Ich komme kaum dazu auch nur eines deiner wertvollen Bücher anzufassen. Und wenn, dann kann ich keinen Schritt ohne deine wachenden Augen machen. Das zieht ziemlich an meinen Nerven.“
Rouge legte eine Hand an ihre Wange und strich ein paar lose Haare aus ihrem Gesicht. „Ich habe gerne ein Auge auf meinen Besitz und gebe ihn nicht gerne aus der Hand.“
Thuriels Herzschlag beschleunigte sich plötzlich rasant. Meinte er damit auch sie, oder tatsächlich nur seine Bücher?
Plötzlich lagen seine Lippen zum ersten Mal nach einem Monat wieder auf ihren. Sie konnte sich noch erinnern, wie überrascht sie gewesen war, als er sie damals, nachdem sie von ihm getrunken hatte, küsste. Es hatte sich so gut angefühlt endlich einmal wieder als Frau angesehen zu werden und nicht immer nur als Hexenmeister.

Wie damals erwiderte sie seinen wilden und vor allem besitzergreifenden Kuss sofort und ließ sich von ihm auf den Tisch setzten, der im Hintergarten in einer Grillecke stand. Gierig zog sie ihn an sich und wollte das er niemals mehr damit aufhörte. Sie wollte, dass er für immer so an ihren Lippen hing und in ihr dieses Hochgefühl auslöst. Selbst ihr ganzer Körper prickelte als er mit den Händen darüber strich um jede ihrer Kurven zu ertasten. Was war nur los mit ihnen? Sich so zueinander hingezogen fühlen und trotzdem gingen sie sich bei jedem kleineren Thema an die Kehle.
Zornig geworden, stieß sie ihn von sich und fauchte ihn an. „Hör auf damit! Ich will nicht das du mich küsst! Du hast mich zwar markiert, doch das heißt nicht, dass du mit mir machen kannst was du...“ Sie kam nicht dazu den Satz fertig zu sprechen, denn er küsste sie bereits wieder und raubte ihr damit den Atem. Er küsste einfach zu gut.
Sie ließ ihre Hände in sein Haar gleiten und zog sich stöhnend an ihn. Sein Körper war zwar viel kräftiger gebaut, doch ihr kleinerer wendigerer Körper passte sich seinem einfach perfekt an.
Auf einmal löste er sich von ihr und sie konnte einen enttäuschen Laut nicht zurück halten. „Ich dachte du willst nicht das ich dich küsse?“ Thuriel nickte und versuchte sich zu zwingen, ihn nicht gleich wieder an sich zu ziehen. Rouge Augen leuchteten gelb und sie konnte seinen Blick genauso wie seine Hände auf ihrem Körper spüren.

„Ich dachte, du wolltest noch ein zweites Relikt zurück holen?“
Lachend küsste er sie noch einmal, bevor er sie auf den Boden zurück stellte. Peinlich berührt wandte sie das Gesicht ab und versuchte zu erraten wohin sie nun gingen. „Ein Farmer auf der anderen Seite, des Feldes, soll dem Vampir tagsüber ein Relikt gestohlen haben. Ich will das wir da überprüfen.“
Thuriel nickte und griff nach seiner Hand um sie beide in den Schatten zu ziehen. Durch das Maisfeld erreichten sie ziemlich schnell den Hof des Farmers. „Verwandel dich in einen Schakal.“
Befahl sie und ging los, ohne sich umzusehen, ob er es auch wirklich tat. Lächelnd zog sie ihre Kapuze über den Kopf und beschwor etwas dunkle Energie herauf. Nachdrücklich klopfte sie an die Türe. Noch bevor die Frau des Farmers aufspringen konnte, ließ sie die Türe von selbst aufgehen und sie krachte an der Rückseite gegen eine Wand. Mit lauten Schritten ging sie in das Haus und verstellte ihre Stimme. „Wo finde ich den vorübergehenden Besitzer eines Reliktes das mir entwendet wurde?“ Zwei Kinder versteckten sich schreiend hinter ihrer Mutter und ein bewaffneter Mann trat ihr entgegen. „Hexenmeister! Was suchst du in meinem Haus? Wir haben keine Relikte, die schwarzer Magie angehören.“ Lachend ließ sie die Lichter flackern um den Leuten Angst einzujagen. „Das sehe ich aber anders. Schakal! Such weswegen wir gekommen sind.“ Knurrend lief dieser an ihr vorbei, doch nicht ohne an ihrem Bein vorbei zu streifen und blickte sich suchend im Wohnzimmer um. Als er nicht fand was er suchte, warf er beiläufig Sachen von den Regalen und bei jedem Aufschlag wurde die Familie ängstlicher.
Knurrend lief der Schakal in die andere Richtung und durchsuchte auch noch die anderen Räume.
„Gut, ja ich gebe es zu. Ich habe vom Vampir auf der anderen Seite einige Sachen gestohlen als sie tagsüber schlief, doch ich brauchte die...“ Rouge kam mit einer kleinen Statue zurück und legte sie in Thuriels ausgestreckte Hand. Langsam drehte sie diese in der Hand, als würde sie sie auf etwas untersuchen. „Gut, Menschen. Sollte noch ein einziges mal etwas in euren Händen landen, dass nicht euch gehört und als Diebesgut angesehen werden kann. Dann...“ Sie legte den Kopf schräg und blickte die Kinder an. „... komme ich wieder und werde die Körper deiner Nachkommen stehlen.“ Laut lachend verließ sie das kleine Haus und Rouge folgte ihr dicht an der Seite. Als sie merkte, dass die Familie ihnen neugierig hinterher sah, beschwor sie etwas Energie und ließ den Staub der Straße aufwirbeln. Im Schutz der kleinen Wolke griff sie in das Fell des Schakals und glitt mit ihm in den Schatten zurück. Erst als sie eine Stunde später das Dorf erreichte, ließ sie sich in die Wiese sinken und keuchte schwer. So viele Kilometer im Schatten zu wandeln, setzten ihr mehr zu als gedacht. Ließen ihre frisch zurück gewonnen Kräfte etwa wieder nach? Das konnte doch unmöglich sein, oder?
„Wie fühlst du dich? Du bist ganz blass.“
Sie ließ sich von Rouge auf helfen und er trug sie hinunter in seine, unter der Kapelle versteckten kleinen Welt.
An seiner Schulter hielt sie sich ganz fest und atmete seinen Geruch ein. Verdammt sie war am besten weg sich in ihn zu verlieben. Zumindest, wenn er nicht gerade wieder einen Wutanfall hatte. „Hier, trink erst einmal was.“ Er legte sie ins Bett und griff in einen kleinen Minikühlschrank. Seit wann stand der denn hier? Thuriel musste unweigerlich an ihre sehr großzügige Spende denken. Sie hatte ihm mehr als die Hälfte ihres angesparten überschrieben. Doch wieso auch nicht? Er brauchte es um weiter zu renovieren und sie selbst hatte nicht viel davon, wenn es in ihrem Bankkonto verstaubte.
Gähnend rieb sie sich die Augen und nahm die Wasserflasche entgegen. Hier gab es, wenn sie so darüber nach dachte, kaum süße Getränke. Die Werwandler waren generell nicht wirklich von süßen Dingen angetan, bis auf ein paar vereinzelnde. Sie sah sie immer nur Wasser trinken, oder Tee aus eigen angebauten Kräutern. „Hast du vielleicht etwas Alkohol da?“ Rouge legte kurz den Kopf schräg, doch lief dann mit eiligen Schritten hinaus und kam wenige Minuten später mit drei verschiedenen Flaschen zurück. „Da sind ja meine Babys!“ Rief sie begeistert und nahm ihm sofort die Flaschen aus der Hand. Wie lange hatte sie schon nicht mehr diesen brennenden Geschmack genossen, wenn er ihrer trockenen Kehle hinab lief und sie von innen wärmte?
Ungeduldig schraubte sie den Stöpsel ab und hielt ihn Rouge hin. „Den werde ich nicht mehr benötigen.“
Verwirrt sah er ihr dabei zu, wie sie die halbe Rumflasche austrank und erst absetzte, als sie kräftig rülpsen musste. Ja. Das war ihre Welt.
Sie fühlte wie der warme Alkohol in ihrem leeren Magen zu arbeiten begann und ließ das schwummrige Gefühl in ihren Kopf steigen. Nach einer halben Stunde war sie bereits in einen tiefen Schlaf gesunken und sie nahm nur mehr am Rande wahr, wie Rouge ihr die leere Flasche weg nahm. Die anderen beiden würde sie später leeren.

 

Thoriks ersten Erinnerungen

Thorik

Gähnend streckte der Eisbärenwerwandler sich und ließ sich mit einem lauten Platsch ins Wasser sinken. Seine dicke Fellschicht hielt ihn an der Oberfläche und trieb entspannt durch den See. Für ihn gab es nichts Schöneres, als wenn sein Bär sich so richtig gehen ließ.
Thorik gähnte noch einmal und erblickte einen Fisch. Vielleicht war er nicht so geschickt wie ein Grizzlybär, beim Fang eines Fisches, doch es machte ihm mindestens genauso viel Spaß. Schnaufend schnappte er ins Wasser und tauchte mit einem Maul voller Steine wieder auf. Angewidert spuckte er sie aus und wartete bis sich das Wasser beruhigt hatte um nach dem nächsten Fisch zu schnappen.
Als er nach dem fünften mal einen erwischte brachte er ihn freudig lächelnd an das Ufer. „Gratulation, großer Meister des Fischfangs. Ertönte eine spöttische weibliche Stimme und er verwandelte sich in einen Menschen zurück, um mit ihr sprechen zu können.„Ich bin auch ein Eisbärenwerwandler und kein Grizzlybär, da wird es wohl erlaubt sein, wenn ich darin nicht allzu gut bin. Aber immerhin habe ich einen gefangen.“ Stolz hielt er Mirana den toten Fisch vor die Nase, doch sie blickte ihn nur angewidert an. Der kleine Drache in ihrem Arm wurde plötzlich wach und schnappte nach dem Fisch. Sie ließ die kleine Edana hinunter und diese stürzte sich genüsslich darüber.
„Pass auf dass du die...“ Doch es war schon zu spät. Sie stach sich an einer Gräte und verwandelte sich in ein kleines Baby. Plötzlich fing sie bitterlich an zu weinen und Mirana zog ihr die kleine Gräte aus dem Zahnfleisch.
Thorik musste darüber lachen und verwandelte sich in einen Bären zurück. Mit seinem starken Gebiss und seinen scharfen Krallen, rieb er die Schuppen hinunter und warf den Kopf samt die Flossen zurück ins Wasser. Die Gedärme legte er zur Seite und die Gräten vergrub er neben einem Baum. Den Rest, der für das Kind sicher war, hielt er dem Baby hin und es fing an genüsslich daran herum zu lutschen, da es keine gefährlichen scharfen Zähne besaß, so wie in seiner Drachenform.
„Sie ist wirklich niedlich. Ich bin mir ziemlich sicher sie wird seltsame gelüste haben, wenn sie erst einmal älter ist und sie jeder so verwöhnt.“
Lachend ließ sich Mirana mit dem kleinen Baby auf den Boden sinken und schwebten jedoch nur wenige Zentimeter über den Erdboden.„Wohl wahr... Edana ist schon etwas Besonderes. Aber die Leute hier auch. Niemand schreckt sich vor ihr und jeder findet sie entzückend. Selbst die kleinsten haben keine Angst vor ihrem festen Gebiss. Sie wollen sie sogar schon zum Spielen animieren. Aber sie kann noch nicht einmal krabbeln und kann ihre vier Beine nicht koordinieren. Sie ist wohl viel menschlicher, als dass es den Anschein hat.“
Thorik hob den kleinen grunzenden Fratz hoch in die Luft und sie fing an zu schielen. Lachend kitzelte er sie und sie verwandelte sich wieder in einen Drachen. Fauchend kaute sie mit ihren spitzen Zähnen auf seinem Finger herum und er musste anfangen zu lachen. Ja, die kleine war tatsächlich etwas Besonderes.
„Mirana du hast wirklich ein Glück, dass du Chattan getroffen hast. Er liebt dich und die kleine einfach über alles. Und hier habt ihr es viel besser als bei den Magiern. Sie ist sicher und kann nichts als Dummheiten lernen.“ Lachte Thorik und gab ihr das kleine rote gähnende Knäuel zurück. Sie schlief auf der Stelle wieder ein und Mirana gab ihm den Fisch zurück.
„Ja. Hier kann sie sein wer sie will. Wenn sie von den Magiern erzogen werden würde, würde sie verkorkst werden und bestimmt irgendwann einmal total herrschsüchtig. Hier kann sie sich austoben und hat Leute die sie verstehen und die ihr Liebe schenken. Genau das braucht so ein kleines Wesen wie sie. Sie muss zwar noch sehr, sehr viel Lernen, aber sie ist sicher vor den strickten Ansichten der Magier.“
Thorik dachte an das Gespräch mit Rouge zurück. Anscheinend wusste Mirana immer noch nichts vom Ableben ihrer Mutter.
„Hasst du etwa deine Mutter für deine Ausbildung?“
Mirana legte den Kopf schräg. „Ich weiß nicht so recht. Ich hasse sie dafür, dass sie mir meine ältere Schwester vor enthalten hat. Ich hätte bestimmt einen anderen Weg genommen, wenn ich gewusst hätte was ich heute weiß. Aber sie war mir an sich eine gute Mutter. Zwar eine Mutter die ich niemals sein möchte, doch sie hat mich eigentlich gut erzogen. Oder was denkst du?“
Lachend wischte er sich die viel zu langen Haare aus dem Gesicht. Er sollte sie dringend einmal wieder schneiden lassen. „Ich denke sie hat viele Fehler gemacht und sie hat bestimmt eine ganz eigene Art der Erziehung genossen. Doch aus dir hat sie schon etwas Gutes heraus geholt. Am Anfang jedoch, fand ich dich schon... ziemlich hochnäsig.“ Gab er zu, doch Mirana lachte darüber. Warum auch nicht. Sie war mittlerweile eine seiner engsten Freude. So wie Chattan und damit hätte er am wenigsten gerechnet. Die beiden beeinflussten sich gegenseitig seit, doch nur auf das beste hinaus laufend.
„Das habe ich schon bemerkt. Doch ich habe niemals etwas anderes gelernt. Selbst jetzt ist es mir noch unangenehm, wenn ich umarmt und herzlich begrüßt werde. Ich kannte das nie. Man nickt sich lediglich nur höflich zu und teilt anderen das nötigste mit. Ansonsten gibt es dort keine Art der Kommunikation.“
„Klingt irgendwie traurig und grau.“ Gab Thorik zu.
„Wenn man von Geburt an nichts anderes gewohnt ist, merkt man es irgendwann nicht einmal mehr. Wie sieht es bei dir aus. Wieso hast du beschlossen dich dem Clan hier anzuschließen.“
Thorik seufzte und dachte zurück an sein altes Rudel. „Mein altes Rudel lebt hinter den Alpen, tief in einer Schneelandschaft. Wir bestehen zum größten Teil aus Walwerwandler und Eisbärenwerwandler. Einige Polarwolfwerwandler haben wir zwar auch, doch sie leben eher für sich. Walwerwandler sind alle ziemlich dominant und du kannst dir vorstellen, wie viele Alpha schon in einer Saison geboren wurden. Ich beschloss mich selbstständig zu machen und ging fort. Nach einem Jahr fand ich durch Zufall dieses Rudel und beobachtete es eine Weile. Der Alpha hier biss mich schon weg, ohne dass ich mich überhaupt vorstellen konnte. Er hasste andere Alphatiere. Er verbot mir mich dem Rudel zu nähern, doch irgendetwas zog mich dennoch immer wieder hier her. Es war ein Geruch, der mir einfach nicht aus der Nase ging. Nach ein paar Wochen und einigen interessanten Gesprächen mit den Einheimischen hier, erfuhr ich dass der Rudelführer überhaupt keine Leute von außen mehr an das Rudel heran ließ. Ich schaffte es nach Monaten des Redens, dass er mich als Rudelmitglied akzeptierte und merkte wie... zurückgezogen alle hier waren.

Eines kalten Tages... sah ich eine Blutspur die hier her an den See reichte. Ich folgte dem süßen Geruch und fand ein blutverschmiertes schwarzhaariges Mädchen. Sie schrie laut, während sie die Knochen an ihren gebrochen Flügeln wieder richtete. Sie wusch unter zurück gehaltenen Tränen das Blut aus ihren Federn und zitterte wie Blätter im Wind. Ich beobachtete sie, wie sie sich auf den Rückweg machte. Kurz vor dem Dorf brach sie zusammen und ich lief zu dem Mädchen um es zum Rudelführer zu bringen. Als ich jedoch ankam... lachte er. Er lachte sie aus und meinte sie habe es verdient. Er meinte... Sie sei Abschaum und eine Mörderin. Sie gehöre nicht in das Rudel und hatte die Schmerzen verdient. Ich verlor zum ersten Mal in meinem Leben die Kontrolle über meinen Bär und er riss den alten Wolf in Stücke. Ich hörte erst auf, als er unerkennbar vor mir in einer Blutlache lag. Danach  wusch ich mir das Blut aus dem Gesicht und trug das kleine immer noch bewusstlose Mädchen in die Bibliothek. Chattan half mir mich zu beruhigen und erst da merkte ich was ich getan habe. Ich war der neue Rudelführer und beschloss das beste daraus zu machen. Ich wies alle auf ihren Rang zurück und teilte die mürrischen Leute für neue Aufgaben ein. Nach zwei Jahren, wo ich das kleine Mädchen immer wieder heimlich beobachtete, sah ich sie endlich zum aller ersten mal lächeln. Sie lächelte hoch zu Chattan und bedankte sich bei ihm für ein Buch über sich selbst. Ab diesem Moment, der mein Herz so hoch schlagen ließ wie noch niemals etwas anders zuvor, wusste ich wieso ich hier bin. Ich verstand, dass es mein Schicksal war über sie zu wachen und tat nichts anderes. Sie wurde älter, volljährig und ich erkannte dass sie furchtbare Angst vor mir hatte, wegen dem, was ihr alter Rudelführer getan hatte. Und nun, ja. Den Rest kennst du ja bereits. Kaum hatte ich ihr meine Liebe gestanden, verschwand sie zu einem untoten Drachen in dessen Körper die Personifizierung des Bösen sitzt.“
Mirana legte ihm eine Hand auf den Unterarm und lächelte ihn aufmunternd an. „Sie ist nicht vor dir weg gelaufen. Sie ist gegangen um dich zu beschützen. Sie dachte, wenn sie zu ihm zurück geht, dann lässt er dich und das Rudel in Ruhe. Sie wollte das du weiter lebst. Für sie. Du musst wissen Fearchara wurde noch niemals von jemanden auf diese Weise geliebt. Du hast ihr ganzes bisherige Leben geändert, einfach indem du sie als das geliebt hast was sie ist. Du wirst sehen. Wenn wir sie zurück haben, werdet ihr glücklich sein.“
Thorik nickte, doch verkniff sich zu erwähnen, dass es hier um einen Engel ging, über den sie sprachen. Konnte denn ein Jahrtausende alter Engel, der über den Tod gebietet einen Eisbärenwerwandler lieben? Wohin hatte sein Leben nur wegen einer kleinen Entscheidung geführt, sein altes Rudel zu verlassen.

Tick Tack Tick Tack

Beathag

„Ein halbes Jahr! Ich sitze hier ein halbes Jahr bereits herum. Du hast versprochen das ich in diesem Leben endlich hinaus darf! Du kannst mich nicht jedes mal einsperren, wie es dir in den Kram passt. Ich bin solange ich hier auf der Erde wandle ein menschliches Wesen und brauche meinen Freiraum.“
Luzifer beugte sich mit vor Zorn funkelnden Augen über sie und den Sessel in dem sie bequem saß und knurrte wütend. „Solange ich nicht meine Freiheit bekomme, bekommst du deine schon gar nicht. Von Jahr zu Jahr macht es mir hin und wieder Spaß mit dir zu spielen, doch dieses mal möchte ich das du mir gibst was ich verlange.“
„Was denn? Hast du schon wieder deine Launen? Wie möchtest du mich denn noch foltern? Du hast schon alles getan um mich herumzukriegen, aber das nutzt nichts. Ich will, dass du dich genauso wie ich demütig vor den Engeln verbeugst und bereust. Das sind wir ihnen schuldig. Immerhin haben sie uns nicht für unsere gewissenlosen Taten ausgelöscht.“
„Hast du mich eigentlich in den letzten Jahren einmal angesehen? Ich stecke im Körper eines Drachen. Ich besitze keine Flügel mehr und bin auf diese lächerlichen angewiesen. Bitte entschuldige, wenn ich deine Ideale etwas in den Dreck ziehe aber das ist wie du siehst die Wahrheit. Sie würden mich sofort auslöschen, sobald ich diesen Körper los lasse, oder dein heiß geliebter Bruder muss mich wieder in das Loch stecken, in das er mich beim letzten Mal geworfen hat. Und ich bin auf weder noch neugierig.“
Beathag stieß ihn weg und rammte ihr Messer, mit dem sie bereits über eine Stunde spielte, abermals in den Hocker vor ihren Beinen.
„Du willst doch nur Mitleid! Du kennst die Gesetze der Engel. Der Schöpfer sieht alles, der Schöpfer weiß alles und der Schöpfer verzeiht alles. So war es seit jeher. Daran wird sich niemals etwas ändern, solange du nur bereust.“Eine Feuerkugel flog durch das Zimmer und riss ein Loch in die Zwischenwand. Sofort erschien ein Dämon und löschte das Feuer. „Ich habe niemals bereut und ich werde niemals bereuen. Verdammt du bist so uneinsichtig. Was ist so verkehrt daran, den Engeln nur ein einziges mal eine Lektion zu erteilen?“
Beathang verdrehte die Augen und versuchte sich zu erinnern wie oft sie dieses Thema in den letzten Jahrtausenden wohl schon durchgegangen sind. Er würde niemals etwas ändern und sie konnte ihn niemals so etwas Fürchterliches tun lassen. Langsam verstand sie nicht einmal mehr, wieso sie überhaupt hier war.
„Ich gehe in mein Zimmer.“ Verkündete sie und verließ den Raum. Genervt ließ sie die Türe hinter sich ins Schloss fallen und setzte sich wie jede freie Minute vor den Spiegel und wartete, dass wieder etwas geschah. Vor zwei Monaten war ihr erstes >Ich< erschienen und hatte gesagt, dass sie schon öfter versucht hatte sie zu erreichen. Beathag sah auch ein, dass sie sich in diesem Leben stark verändert hatte, doch kam einfach nicht darauf wieso das so war. Es hatte sich nichts verändert. Sie war wieder von einer jungfräulichen Frau geboren worden, die bei ihrer Geburt starb. Sie bekam eine harte kriegerische Erziehung und litt ihre Kindheit lang. Vielleicht, weil sie nach ihrem elften Lebensjahr zu Chattan gekommen ist. Hatte das vielleicht etwas damit zu tun? Oder dass sie sich damals von der Magierin Mirana ihre Erinnerungen blockieren hatte lassen? Sonst hatte sie selbst ja nichts anders gemacht, oder?
Frustriert ließ sie ihre Stirn gegen den kalten Spiegel sinken und schnaufte. „Verdammt, was soll ich nur machen?“
„Dich erinnern, vielleicht.“
Überrascht zuckte sie zurück und betrachtete den schwarzen Engel der direkt vor ihr saß und mit ihren Nägeln spielte.
„Und an was sollte ich mich nach Jahrtausenden erinnern?“ Der schwarze Engel der sie selbst war, wackelte verneinend mit dem Zeigefinger. „Nicht an früher. An heute. Kannst du dich noch an den alten Wolf erinnern?“
Sie dachte an das verschwommene Bild, dass sie noch von ihm hatte. Seine vernarbten Gesichtszüge, seine grauen Haare, das blasse Gesicht. Er war alt und kränklich, doch niemand wagte es ihn heraus zu fordern. Außer Thorik...
Sie fühlte ein Lächeln aufkommen und sah glasklar sein Gesicht vor sich. Wie er lächelnd auf sie hinab blickte, seine gefühlvollen Augen sie liebevoll anblickten, als würde nichts und niemand sie jemals voneinander trennen können. Und vor allem erinnerte sie sich an seinen Geruch... Wie von selbst glitt ihre Hand an ihre Schulter, dort wo ihr Mal saß.
„Er war es der dein Leben geändert hat. Du wärst weiter deine Schiene gefahren, wie früher, doch er hat dich unbewusst beeinflusst. Er tut es sogar jetzt im Moment noch.“
Kopfschüttelnd wandte sie den Blick ab. „Das ist doch lächerlich. Ich bin ein verfluchter Engel. Ein normaler Gestaltwandler kann daran nichts ändern.“
Abschätzig blickte der Engel sie an und wackelte ungeduldig mit dem Kopf hin und her. „Die Zeit tickt mein junges >Ich<. Bald wird das Horn zum Krieg geblasen werden. Du wirst dich entscheiden müssen, für wen du kämpfst. Für deine erste Liebe den Engel, oder für deinen Retter den Werwandler. Tick. Tack. Tick. Tack....“ Ihr Spiegelbild verschwamm und sie sah nur mehr sich selbst, wie sie verzweifelt versuchte noch etwas aus dem Spiegelbild heraus zu bekommen. Verärgert zersplitterte sie den Spiegel und schrie laut auf. Was sollte das? Er hatte versprochen, dass dem Rudel nichts geschieht!
„Waaaah!“

Rouges bitte

Thorik

Thorik betrachtete, wie jeden Morgen wenn er alleine in seinem chaotischen Zimmer aufwachte die beiden Male an seiner Handinnenfläche. Vor etwas weniger als einem halben Jahr waren sie über ein Buch in seine Handinnenflächen gebrannt worden und ruhten nun dort still. Wartend auf ihren rechtmäßigen Besitzer. Niemand außer er selbst wusste davon. Aber er selbst wusste nicht recht, was er davon halten sollte. So viele Fragen bombardierten ihn immer und immer wieder, tagein, tagaus. Doch niemals kamen Antworten. Immer noch mehr und mehr Fragen. Wie sollte er das alles nur ertragen.
Knurrend wischte er sich Tränenspuren aus dem Gesicht und erschrak über sich selbst, als er sich mit einer Klaue auf kratzte. Sein Tier wurde von Tag zu Tag ungeduldiger und verlangte das zurück was ihm gehörte. Dass er vor Monaten, nein bereits vor Jahren markiert hatte. Beathag.
Ein gefallener Engel der niemandem außer sich selbst gehört. Verbannt aus dem allmächtigen Reich der Engel in seine und dazu verflucht immer wieder geboren zu werden, bis sie ihren Fluch gebrochen hat.
„Dabei hat sie dieses Leben mir zugesprochen!“ Wütend schlug er auf seinen Nachtkasten ein, der sofort in seine Einzelteile zerfiel. „Verdammtes Balg!“ Knurrte er und stellte sich unter die kalte Dusche um seinen inneren Bären zu beruhigen. Wenn das so weiter ging, konnte er nicht mehr verheimlichen wie knapp er daran war, wild zu werden.
Wild gewordene Werwandler, waren so ziemlich die gefährlichsten, Sie waren unberechenbar und scheuten keinen Kampf, keine Niederlage und schon gar nicht gaben sie auf, bis sie das hatten was sie wollten. Oder starben.
Als er ruhiger war, ging er hinunter ins Erdgeschoss und wurde von dem viel zu ruhigen Priester abgefangen. „Er warf nur einen kurzen Blick auf seinen Rudelführer, bevor er auch schon lossprach. „Ich habe ein Problem. Es geht um Thuriel.“
Thorik raffte sich zusammen. „Wieso sagst du es nicht ihrer Schwester Mirana? Sie stehen sich näher.“
Thuriel war in seinen Augen eine Einzelgängerin und ließ aus Prinzip Leute nicht sonderlich an sich heran. Das hatte etwas mit ihrer Vergangenheit zu tun.
Rouge war genauso wie sie ein Einzelgänger, was ebenfalls etwas mit seiner Vergangenheit zu tun hatte, doch diese verstand er selbst nicht gut genug.
„Was ist los? Wenn sie wieder einmal deine Gräber angefasst hat, dann macht das untereinander...“
„Nein, natürlich nicht. Das würde sie niemals ohne meine Erlaubnis. Sie hat zu lange keine negative Energie mehr gespeichert und Blut getrunken hat sie ebenfalls nicht. Jetzt trinkt sie sich seit einigen Tagen ständig ins Koma und ernährt sich von ihrer eigens erzeugten negativen Energie. Und nein, es geht mir jetzt nicht darum, dass mein Alkoholvorrat sich dem Ende nähert!“ Den letzten Satz knurrte er beinahe, anscheinend hatte er das die Tage öfters von Thuriel zu hören bekommen.
„Das klingt tatsächlich schrecklich. Hast du mit ihr gesprochen?“
Rouge funkelte ihn wütend an. Er nahm es einmal als ein >Ja< hin. „Gut, wo ist sie?“
Rouge führte ihn zur Kapelle, wo er ihn anwies sie nicht zu betreten, bis er ihn rief. Er selbst verschwand hinter zuschlagenden Türen und nur wenige Minuten später hörte er laute Protestrufe und plötzlich explodierte etwas. Thorik wollte schon hinein um zu sehen was es damit auf sich hatte, doch Rouge hatte ihn angewiesen draußen zu bleiben. Zwar war Thorik der Rudelführer des Clans, doch wenn jemand wie Rouge einem etwas sagte, dann hielt man sich besser daran.
„Du kannst rein.“
Thorik öffnete lediglich zögerlich die Türe und staunte nicht schlecht. Thuriel hielt Rouge mehrere Meter in der Luft und blickte ihn mit einem beinahe tödlichen Blick an.
Er versuchte sich aus der magischen Verankerung zu lösen, doch da er selbst nicht auf Magie zugreifen konnte war er machtlos.
Knurrend versuchte er nach ihr zu schlagen, doch das belustigte sie lediglich.
„Lass ihn sofort hinunter!“ Brüllte er mit seiner mächtigen Bärenstimme und Thuriel erschreckte sich so sehr, dass sie die Kontrolle über ihren Zauber verlor und Rouge irgendwo schreiend hinter den Statuen landeten, die über dem großen steinernen Altar aufleuchteten. Um das Wohlergehen seines Rudelmitglieds machte er sich weniger Sorgen, denn er wusste seine Verletzungen würden heilen.
„Thuriel! Verdammt, was machst du hier? Wieso bist du nicht bei deiner Schwester und...“
„Mirana? Wo ist Mirana?“ Thuriel blickte sich angestrengt um. Suchte sie tatsächlich gerade ihre Schwester?„Sie ist nicht hier, sie vermisst dich schon, immerhin warst du schon einige Tage nicht mehr bei ihr.“
Thuriel zog einen Schmollmund und seufzte enttäuscht. „Wieso sagst du dass sie hier ist, wenn sie nicht hier ist? Das ist gemein! Ihr seid alle nicht fair mit mir. Immer diese Vorurteile. Das ist einfach nur...“ Sie bückte sich über eine Bank und übergab sich.
Rouge sprang sofort an ihre Seite und hielt ihre Haare zurück.
„Du bist eine verrückte Gans! Sich in einem Gotteshaus zu übergeben! Wie taktlos!“ Knurrte Rouge, doch hielt ihr besorgt ein Tuch und eine Flasche mit Wasser hin. Das Tuch nahm sie entgegen, doch die Wasserflasche warf sie in einem hohen Bogen durch die Kapelle.
„Das Wasser kannst du selbst trinken. Ich brauch den Dreck nicht. Ich will sofort nach Hause! Du hältst mich hier fest wie ein Kleinkind. Das ist gemein... Ich hasse dich!“
Rouge fing ihre Hände ab, die wütend nach ihm schlugen und er blickte bedeutungsschwer zu seinem Rudelführer.
„Sie ist dein. Wenn du sie nicht unter Kontrolle bekommst, wie soll ich es dann?“ Thorik lehnte sich an eine der vielen Bankreihen und beobachtet wie sich das Gefühlsspiel in Thuriels Blick immer wieder änderte.
„Ich bin nicht sein! Ich bin ich. Ich gehöre niemanden. Ich werde niemals jemanden gehören! Das ist so gemein! Niemand liebt mich. Ich bin wie ich bin... das ist nicht fair... nicht fair...“
Sie brach in seinen Armen zusammen und schlief plötzlich ein. Seufzend hob Rouge sie auf seine Arme und drückte sie fest an sich. Egal wie lang man Rouge kannte, dieser Gesichtsausdruck war vermutlich einmalig. Rouge blickte Thorik flehend an. „Ich weiß nicht mehr weiter.“
Lachend wandte er sich ab und war auf dem Weg aus der Kapelle. Was sollte er da großartig ausrichten? Sie gehörte nicht zu ihm. Sie war noch nicht einmal eine Werwandlerin. „Entweder du lässt sie von dir trinken, oder du lässt sie etwas vom Friedhof nehmen. Mehr kann ich nicht helfen.“
Er wusste selbst wie kalt er klang. Doch er wollte nicht hier die Beherrschung verlieren. Ausgerechnet heute musste jemand zu ihm kommen, der bereits eine Gefährtin im Arm halten konnte.
Verdammt, genau das war nicht fair!
Knurrend lief er in den Wald um sich abzureagieren.

Miranas Ansichten

Mirana

Sie blickte hinab auf ihre schlafende Tochter, die schon wieder ein kleines Menschenbaby war. Sie fühlte die starken Arme von Chattan an ihrem Rücken und genoss es, als er sie vorsichtig zu massieren begann.
„Du siehst erschöpft aus. Legen wir uns etwas hin?“
Sie nickte und ließ sich von ihm in das kürzlich eingebaute Bett tragen. Auch wenn es für sie immer noch seltsam war, in den Balken einer Bibliothek zu leben, schaffte es Chattan es immer gemütlicher für sie alle drei einzurichten. Er hatte die Balken mittlerweile soweit verstärkt, dass er ein Kinderbett, einen Wickeltisch , für ihr Kind
und ein Schlafbett für sie beide einrichten konnte. Seufzend zog sie ihren Werwandler an sich und küsste ihn dankbar.
Wenn sie daran zurück dachte, wie anstrengend sie gewesen war, wunderte es sie bis heute, dass er sie so sehr liebte.
Thorik hatte sie vor Monaten für ein paar Tage bezahlt dass sie half einen Feind aufzuspüren und dessen Schutzwall außer Gefecht zu stellen. Als dies nicht gut ausging, für das Rudel, ertappte sie sich selbst dabei, wie sie nicht aufhören konnte Mitleid für die Werwandler zu empfinden. Sie hatte helfen wollen und wäre beinahe auf der Stelle los um dem von einem Engel besessenen Drachen selbst auszuschalten. Als sie erkannte wie nah sie dran war, einen Unsinn zu machen, wollte sie ihren Kopf in alte Bücher stecken um diese dummen Gedanken loszuwerden. Gefühle hatten niemals in ihrem Leben eine Rolle gespielt. Sie waren verboten. Selbst eine Mutter empfand für ihr eigenes Kind nicht mehr, als eine Absicherung für die Zukunft.
In der Bibliothek hatte sie Chattan ein weiteres mal getroffen und sagte aus Absicht gemeine Sachen zu ihm, die ihn verletzten und beobachtete fasziniert, wie seltsam er auf solch einfache Sachen reagierte. Gerade er schien einer der ruhigeren Werwandler und der gebildetste hier zu sein.
Plötzlich fühlte sie sich stark zu ihm hin gezogen und die einfachste Berührung reichte aus, dass sie nichts lieber wollte als ihn zu küssen. Einfach, weil er nicht einmal annähernd so war, wie erwartet.
Das eine führte zum anderen und sie erfuhr einige Geheimnisse vom Rudel, die sie dazu brachten dem Rudel ohne Entgelt zu helfen. Sie half einen Krieg zu organisieren und kam drei Monate schwanger wieder zurück.
Zu dieser Zeit wusste sie nicht, dass sich Vogelwerwandler, nicht mit anderen Geschöpfen fortpflanzen konnten. Es kam zu einem Missverständnis, doch von diesem Streit an... waren sie beide unzertrennlich. Chattan vergötterte sie so sehr, wie noch niemals jemand zuvor. Er redete stundenlang mit ihr und hörte ihr aufmerksam zu. Er merkte sich jedes Detail, dass er über sie erfuhr und war aufgeschlossen ihren Verbesserungsvorschlägen.
Wenn sie ehrlich war, war sie vom ersten Moment mehr als nur angetan von diesem Werwandler. Er hatte sie ohne etwas Großartiges zu tun einfach in seinen Bann gezogen und mit seiner treue überzeugt.
„Mirana? Alles in Ordnung?“ Sie wandte peinlich berührte den Blick ab und schlug die Decke über sie beide.
„Es ist alles perfekt.“ Ohne auf seinen fragenden Blick zu achten, zog sie ihn an sich und küsste ihn innig. Dank Thuriels Behandlungen waren ihre Verletzungen, die ihr die Schuppen des Drachen zugeführt hatten schneller verheilt und sie fühlte in ihrer Bauchgegend kaum noch etwas außer ein kleines ziehen, wenn das Wetter stark um schwang.
„Mirana, warte... Bist du dir sicher, dass du das jetzt schon willst?“
Mirana sah zu ihrem fort geworfenen Shirt und blickte ihn dann vielsagend an.
Seufzend küsste er sie auf die Nasenspitze. „Ich meine ja nur. Du hast gerade eine sehr komplizierte Geburt hinter dir und du hast deswegen ein Organ verloren. Ich kann es mehr als nur verstehen, wenn du die nächsten drei Jahre nicht wollen würdest.“Mirana lachte. Das würde er für sie tun? „Du würdest damit drei Jahre warten, nur wegen eines heraus geschnittenen Organs?“
Er verzog bei der Wortwahl das Gesicht und rollte sich von ihr hinunter. „Sag das doch nicht so...“
„Wieso denn nicht? Es ist doch so. Ich habe noch nicht einmal darüber nachgedacht jemals ein Kind zu bekommen. Es hat mich einfach so überrascht. Ja, ich bin durchaus glücklich damit, doch mein Bedürfnis Erfahrungen mit einer Schwangerschaft und ähnlichem zu machen, ist für meine nächsten drei Leben gestillt.“Lächelnd strich er ihr die Haare aus dem Gesicht und sie pustete ihn mahnend an. Er war schon wieder viel zu süß.
„Ich weiß es ja. Aber ich möchte einfach nicht das du dich übernimmst und...“ Weiter ließ sie ihn nicht sprechen, sondern drückte ihn zurück ins Bett und brachte ihn die nächsten Stunden nichts als ihren Namen zu rufen.
Als Edana hinter der improvisierten Holzwand aufwachte, sprang sie sofort auf und ließ ihren völlig erschöpften Werwandler weiter schlafen. Sie zog sich nur sein Hemd über und tapste vorsichtig in das kleine Kinderzimmer. Der kleine Drache war schon wieder aus seinem Bett geklettert und kaute genüsslich auf einem Stofftier herum. Sie nahm es ihr weg und langte nach einem Fläschchen mit püriertem Gemüse. Sofort ließ sich der kleine Drache beruhigt ins Bett zurück legen und Mirana beobachtete ihre Tochter dabei, wie sie langsam wieder einschlief und sich davor in ein menschliches Baby verwandelte. Sie war einfach zu entzückend. Immer wieder fragte sie sich wie das kleine glatzköpfige Wesen wohl einmal aussehen würde. Mirana hatte niemals direkt Kontakt mit einem Drachen gehabt, außer mit Neros, der weit östlich an einem Kliff lebte, dass normalerweise überhaupt kein Leben zuließ. Durch ihrer einzigartigen Kräfte jedoch jetzt schon.
Würde ihre rote Farbe bleiben? Würde sie umschuppen? Würde sie sich überhaupt jemals endgültig in einen Drachen verwandeln und wie würde sie sich überhaupt ernähren. Bisher aß sie eigentlich alles. Angefangen von Milch bis hin zu pürierten Fertiggerichten. Ultraschall ließen ihre dicken Schuppen überhaupt nicht zu und sie verwandelte sich in einem Untersuchungsraum immer in einen Drachen, als wüsste sie, dass wir so schneller von dort weg kamen, da die Ärztin nicht wirklich etwas Neues sagen konnte.
Überrascht sog sie die Luft ein, als sich eine Hand auf ihren Mund und ein Gebiss in ihre Schulter bohrte. Mit weichen Beinen, ließ sie sich in Chattans Griff fallen und betrachtete den verrückten Gestaltwandler verwirrt. Wieso hatte er sie gebissen? Chattan schüttelte sein Eulengesicht wieder ab und nahm ihr Gesicht zwischen seine Hände.
„Ich liebe dich.“ Flüsterte er leise um die kleine nicht zu wecken und küsste sie so innig, dass ihr beinahe die Tränen kamen. War das gerade ein Traum? Wenn ja würde sie sterben aus Trauer, wenn sie genau jetzt aufwachte. Hilflos Worte zu finden, die beschreiben konnten, was sie für ihn empfand betrachtete sie sein ausgeprägtes Gesicht für einige Sekunden bevor sie nickte und ihn ebenfalls küsste. Das konnte doch nur ein Traum sein, wo sonst sollte man einen Mann finden, wie ihn. Und sie gehörte ihm ganz alleine. Bis jetzt hatte sie sich gefragt, wieso er sie bisher nicht markierte. Selbst ihre Schwester Thuriel war markiert worden und das obwohl sie und Rouge nur aneinander geraten. Dieses Mal würde sie aus Stolz tragen. Auch ohne dies, wäre er der einzige Mann den sie jemals wieder ansehen würde. Er bedeutete ihr einfach die Welt. Er und ihre gemeinsame Tochter. Liebevoll blickte sie wieder zu Edana hinab, die etwas grunzte. Die Welt war tatsächlich verdreht.

Wie beschäftige ich meinen Schakalwerwandler?

Thuriel

Eine plötzliche Erkenntnis riss sie aus dem Schlaf. Was suchte sie hier? Verwirrt leckte sie das Blut von ihren Lippen und betrachtete den Bewusstlosen Werwandler. „Rouge? Rouge! Rouge! Wach auf!“ Sie rüttelte ihn, doch er reagierte kaum. Was war nur passiert? Wieso hatte sie von ihm getrunken? Sein linker Unterarm sah aus, als hätte sich ein Untier darüber her gemacht, dabei war sie das gewesen. Die letzten Tage hatte sie sich von ihrer eigenen negativen Energie ernährt und gehofft so ihre eigene Energie wieder aufzubauen. Doch dies war nicht geschehen. Sie hatte ihren Durst nicht regulieren können und konnte sich nur mehr verschwommen an die letzten Stunden erinnern. Was hatte sie nur getan?
Stöhnend rührte sich Rouge unter ihr und setzte sich auf. Seine schwarzen Haare hingen ihm wirr ins Gesicht und sie konnte einfach nicht anders, als sie zurück zu streichen. Verdammt was tat sie da? Sie konnte ihn nicht beinahe töten und dann liebevoll berühren! Sie riss ihre Hand fort, doch er fing sie ab und küsste deren Handinnenfläche. Wusste er eigentlich was er ihr damit antat? Bitterlich blickte sie auf ihn herab und war den Tränen nahe.
„Ich dachte ich hätte dich umgebracht! Ich dachte...“ Weinend umarmte sie ihn so fest sie konnte und schwor sich ihn nie wieder loszulassen. "… ich hätte dich verloren...“ beendete sie schniefend ihren Satz und Rouge löste sanft ihre Arme von seinem Hals.
„Es ist in Ordnung. Mir geht es gut. Ist mit dir alles in Ordnung? Ich habe mir solche Sorgen gemacht.“
Sorgen? Um sie? Gerührt blickte sie zu ihm auf und fühlte wie ihr Herz freudig im Kreis sprang. „Du bist verrückt. Ich hätte dich getötet!“
Plötzlich küsste er sie, doch sie schob ihn sofort wieder weg. „Nicht! Ich habe gerade dein Blut getrunken, das ist doch ekelhaft!“
„Was mein Blut?“ Sein Blick wurde wieder zornig und sie musste lächeln.
„Nein, ich meinte, dass es für dich doch ekelhaft sein muss. Immerhin schmeckt...“Seine Augen leuchteten auf und plötzlich lag sie mit dem Rücken im Bett und er hielt ihre Hände auf das Bett gedrückt. Sie konnte nicht sagen, dass sie Angst hatte, denn das hatte sie absolut nicht. Doch trotzdem raste ihr Herz, als würde es einen Marathon laufen.
„Ich bin ein Schakal! Ich bin meinem Tier näher als jeder andere hier. Etwas Blut in meinem Fleischfressermaul stört mich nicht." Eigentlich sollte sie das jetzt anekeln. Aber Thuriel konnte nicht anders als lächeln und fuhr ihre Fangzähne aus.
Fauchend schnappte sie nach seiner Lippe und genoss den überraschten Gesichtsausdruck von Rouge. „Dann wird es zeit, wenn du etwas Blut leckst, kleiner Hund.“ Sie hauchte ihm einen Kuss auf die Lippen und ließ sich in den Schatten gleiten. Knurrend versuchte er sie zu wittern, doch sie ließ sich durch den Türspalt hinaus in auf den Gang treiben und verwandelte sich in der Küche zurück. Dort holte sie eine Dose aus dem Kühlschrank und trank einige gierige schlucke, bevor sie die kratzenden Krallen des Schakals hörte, wie er über den festen Holzboden lief. Lachend glitt sie zurück in den Schatten, hinauf in die Kapelle und hinaus an die frische Luft. So ein kleines Spiel würde ihm schon zeigen wer das bessere Raubtier war. Draußen angekommen band sie ihre Haare, mit ihrem Armband hinauf und raffte ihre Röcke. Als Thuriel jedoch merkte, dass sie nicht so schnell voran kam wie beabsichtigt, streifte sie ihre Weste ab und hing sie auf einen Ast. Sie glitt abermals in den Schatten und kam so im Wald viel schneller voran. Als sie das nächste mal aus dem Schatten glitt, hing sie einen ihrer Röcke über die Eisengitter des Friedhofs und wandte sich davon ab. Als sie das nächste mal aus dem Schatten glitt, konnte sie Rouge hören und fühlte seinen schlagenden Blutkreislauf selbst auf diese Entfernung. Er war erfreut über diese Art des Spieles. Sein Schakal schien geradezu darin auf zugehen. Knurrend fühlte sie ihn näher kommen und verschwand im Schatten.
Thuriel kam an der Sonnenseite eines steilen Berghangs wieder aus dem Schatten und fragte sich was sie jetzt tun sollte. In der Sonne konnte sie klarerweise nicht durch den Schatten gleiten.
Plötzlich kam ihr eine Idee. Sie zog ihr restliches Kleid ebenfalls aus und stand nun in Unterwäsche da. Ihr Korsett saß immer noch streng um ihren Körper und ihr Unterkleid lag eng an ihrem Körper an. Damit sollte es eigentlich gehen. Mit ihren festen Stiefel fand sie genug Halt um den Berg hinauf zu klettern und genoss das Gefühl des Windes, wie er über ihre Haut glitt. Mehr als einmal verlor sie beinahe den Halt, doch schaffte es bis zu einem Vorsprung. Oben angekommen ließ sie sich völlig außer Atem auf den Stein fallen und beobachtete wie Rouge aus dem Wald kam. Als er ihre Kleider auf dem Felsen erkannte, verwandelte er sich in einen Menschen und sog ihren Geruch ein.
Verwirrt sah er sich um.
Thuriel griff an die Schnüre die ihr Korsett zusammen hielten und öffnete diese. Geschickt ließ sie es fallen und es traf wenige Sekunden später die Schulter von Rouge. Erschrocken blickte er nach oben, doch sie versteckte sich in einer Höhle und wartete dort auf ihn. Thuriel war sich bewusst, dass es dumm war was sie da tat, doch sie konnte fühlen wie sehr sich sein Schakal darüber freute. Sie ließ ihren Geist über den seines Schakals streifen und genoss dessen Lebensenergie. Sie pulsierte so stark und wild in ihm, dass Thuriel bereits wieder Hunger bekam. Doch nicht nach Blut.

Als er einige unzählige Minuten später keuchend im Höhleneingang stand, sprang sie ihm von der Decke aus auf den Rücken und klammerte sich an ihn.
Lachend griff er mit einer Hand in ihr Haar und öffnete es wieder, während er sie mit der anderen Stützte. Ihre Beine waren vollkommen erschöpft, doch das war es wert gewesen.
„Es war wirklich schwer deiner Spur zu folgen.“ Gab er zu.
Sie schabte über seinen Hals mit ihren Fangzähnen, doch ohne ihn zu verletzen. „Also bin ich ebenfalls ein gutes Raubtier?“
Sie ließ von ihm ab und ließ sich von ihm aufheben. „Du bist eine zähe Beute. Das macht dich noch lange nicht zu einem hervorragenden Jäger wie mich.“
Zur Strafe fauchte sie ihn an, was ihn dazu brachte seine Raubtieraugen zu zeigen. „Ohne meine Kleidung hättest du mich nie gefunden, also bist du ein schlechter Jäger.“
Jetzt da sie ihre Kleidung erwähnte, merkte sie wie weit sie sich ausgezogen hatte. Lächelnd betrachtete er sie im dämmrigen Schein, der untergehenden Sonne und knurrte begeistert.
„Aber das >ohne deine Kleidung< steht dir besser.“
Sie entwand sich seinem Griff und ging rückwärts tiefer in die Dunkelheit hinein. „Dann werde ich nächstes mal der Jäger sein und dir zeigen, was es bedeutet gehetzt zu werden!“
Rouge versuchte im Dunkeln der Höhle etwas zu erkennen, doch außer Thuriel Stimme nahm er nichts mehr wahr. Als ihn plötzlich etwas im Gesicht traf, staunte er nicht schlecht. Es war ihr Unterkleid.
Mit einem erregten Knurren folgte er seiner verrückten Hexenmeisterin in das dunkle der Höhle. „Meins!“

Myteriöse Anrufe

Thorik

Die flüssige Stimme auf der anderen Seite der Leitung trieb ihn beinahe in den Wahnsinn. Der König der Vampire war nicht gerade ein einfaches Wesen, doch dank Thuriels Beeinflussung stand er auf ihrer Seite in diesem Krieg. „Und der Finstone Clan? Ihr habt gesagt, dass sie sich ohne Probleme dem König beugen. Wo liegt das Problem?“ Thorik rieb sich genervt das Nasenbein. Vampire waren ihrem Schöpfer machtlos untergeben, doch der Schöpfer war nicht immer gleich der König aller Clans. Mittlerweile versuchte er das Problem seit drei Tagen zu lösen. Anscheinend war der Schöpfer dieses Clans verschwunden und nicht auffindbar. Ohne ihn, spielte der Clan beinahe verrückt.
„Ich würde ja gerne ein paar meiner Krieger hinüber schicken, doch ich brauche meine Krieger an vorderster Front. Ich kann sie nicht entbehren. Schick doch einen deiner Leute, immerhin wollt ihr doch, dass wir euch im Krieg helfen, also helft uns zumindest bei dieser kleinen...“
Thorik ließ den Hörer auf sein Feld zurück fallen und zertrümmerte dabei das ganze Gerät. Das konnte doch nicht wahr sein! Jetzt machte der König der Vampire auch noch ihn dazu verantwortlich, dass seine Geschöpfe nach der königlichen Pfeife tanzen.
„Sir, alles in Ordnung?“
Thorik bemerkte erst jetzt, dass seine Augen gefährlich leuchteten und beruhigte seinen inneren Bären. „Nichts ist in Ordnung, Erster. Ich muss dich leider losschicken, auf eine Mission die dir gefallen könnte. Der Flinstone Clan macht dem Vampirkönig zu schaffen, da deren Schöpfer fehlt. Würdest du nachsehen was dort los ist?“Der Tigerwerwandler legte den Kopf schräg und nickte bestimmt. „Natürlich, Sir.“
Damit verschwand sein Erster Offizier aus dem Büro und er war wieder alleine. Wie schon oft die Tage. Jeder machte sich für den Krieg bereit und die Anspannung lag nun schon so fest über dem Dorf, dass er die meiste Zeit außerhalb verbrachte, da er den Druck nicht mehr aushielt.
Wie denn auch?
Das Telefon klingelte erneut und er seufzte schwer. Heute war der Vampirkönig wirklich schwer von Begriff. „Was denn noch?“
Auf der anderen Seite der Leitung herrschte eisiges Schweigen. War das jetzt eine neue Art des Spiels? Wollte der Vampirkönig ihn in den Wahnsinn treiben? „Verdammt, ich habe bereits meinen ersten Offizier los geschickt, was denn noch?“
Weiterhin schweigen. War das etwa überhaupt kein angehöriger des Vampirkönigs?
„Hallo? Ist überhaupt jemand am Telefon?“ Als sich nach einer Minute immer noch niemand meldete, legte er knurrend auf.
Sollte es wichtig sein, würde man schon zurück rufen.
Thorik beschloss eine Runde laufen zu gehen, als es abermals läutete. Dieses Mal hob er lediglich ab und wartete. Wer zur Hölle war das?
Als er plötzlich einen Seufzer hörte, wurde sein Bär nervös. Er mochte solche Spielchen nicht.
Er legte einfach wieder auf und ging aus dem Büro, bevor das Läuten von neuem Begann.
Draußen lief er einmal ein paar Runden, bis er an den See kam. Warum es ihn immer wieder dorthin verschlug, wusste er selbst nicht. Vielleicht war es ja wegen dem kleinen blutverschmierten Engel, den er hier das erste Mal im Arm halten durfte. Plötzlich gingen seine Gedanken zurück zu dem mysteriösen Anrufer. War es vielleicht tatsächlich Bea? Aber wieso sollte sie nichts sagen? Oder bildete er sich die Anrufe nur ein? Vielleicht wurde er ja jetzt schon ganz verrückt.
Gähnend trabte er zurück zum Dorf und hörte dabei ein seltsames Geräusch. Kam das etwa von den Klippen? Er schleppte seinen müden Körper in die Richtung und staunte nicht schlecht, als er Kleidungsstücke vor einer steilen Bergwand fand. Dem Geruch nach zu urteilen, gehörten sie Thuriel. Aber wieso sollte sie ihre Kleidungsstücke an so einem Ort verlieren? Die plötzliche Erkenntnis traf ihn wie eine Ohrfeige. Auch sie hatte sich ihrem Schicksal hingegeben. Jetzt konnte er auch Rouge in der Nähe wittern und beschloss lieber schnell um zu drehen um die beiden nicht zu stören.
Eine Stunde später war er wieder in seinem Büro und kam gerade noch rechtzeitig zum Telefon. Dieses Mal beschloss er herauszufinden, wer der Anrufer war. Knurrend hob er ab. „Hier ist Thorik, der Alpha des Rudels. Wer ist dran?“
Keine Antwort.
„Wünschen Sie jemand bestimmtes zu sprechen?“ Ein Klopfen riss ihn aus seiner Konzentration.
„Ja?“
„Hallo, ich bin es.“ Mirana trat mit einem frischen Lächeln ein und er legte auf.
„Habe ich dich gestört? Du hättest ruhig fertig telefonieren können.“
„Schon gut. War nicht wichtig. Was gibt es?“
Mirana nahm ihm gegenüber Platz und lächelte freudig. „Ich wollte nur nachfragen, ob es etwas gibt, dass ich als Magierin machen kann. Chattan ist heute schon vor Sonnenaufgang mit Edana verschwunden. Er hat mir nur einen Brief hinterlassen wo er meinte, dass ein Flugtraining nicht früh genug beginnen kann.“
Thorik lächelte darüber. „Ja, das ist wahr. Alle Vogelwerwandler können bereits fliegen, bevor sie gehen anfangen. Es stärkt ihre Flugmuskeln und ist sehr wichtig für die Entwicklung.“
Das Telefon läutete erneut. Thorik hob ab. „Ja, bitte?“
Schweigen.
Seufzend stellte er auf Lautsprecher. Rede ruhig weiter. Natürlich habe ich Arbeit für dich. Aber fühlst du dich denn wieder fit genug. Ich weiß nicht ob du schon dafür bereit ist. Edana ist erst zwei Monate.“Mirana blickte den Hörer verständnislos an. „Ich bin mir sicher, dass Chattan sich gut um die kleine kümmert. Außerdem weiß er über das Fliegen mit Flügel wesentlich mehr als ich.“
Ein Schnaufen erklang an der anderen Leitung und Thorik musste lächeln. Er wandte sich wieder an den Hörer und stellte den Lautsprecher ab. „Du bist jemand der das Rudel kennt. Sag mir deinen Namen, oder wieso meine Magierin dich nicht sofort in meine Klauen teleportieren sollte.“
Miranas Blick wurde aufmerksamer. Er wusste zwar nicht, ob sie das konnte, doch das war ihm egal. Gerade er hatte keine Zeit für diese Spielchen.
„Unwichtig.“ Ein Auflege-Signal ertönte. Seine ganze Welt fing sich an zu drehen. Diese Stimme! Einzigartig und unverkennbar in seinen Ohren. Die einzige Stimme die er jemals gerne gehört hatte. Die einzige Stimme für die er alles geben würde um sie abends zu hören wenn er einschlief und morgens wenn er aufwachte.
Tränen sammelten sich in seinen Augen und er betätigte die Rückruftaste.
>Nummer nicht vergeben<
Er drückte sie noch einmal
>Nummer nicht vergeben<
„Verdammt was soll das!“ Brüllte er und wiederholte dieses verfahren so lange bis sich das Telefon einfach in Luft auflöste und sich in Miranas Armen wieder verfestigte. Sie sah aus als hätte sie mehrmals versucht ihn anzusprechen, doch das ging jetzt einfach nicht. Das war die Stimme seines Engels, den er zurück wollte.
„Thorik! Hör auf, es nutzt nichts! Wenn sie nicht zurückgerufen werden möchte, wird sie das auch nicht!“
Ihre Worte trafen ihn so hart, dass er nicht anders konnte als auf dem Boden zusammen zu sinken. Das kann doch nicht wahr sein! Das war seine Chance sie wieder zu bekommen. Sie zu überreden her zu kommen. Zu ihm. Zornig brüllend schlug er auf den Boden ein, sodass im Stein ein Abdruck seiner Faust entstand. Das war nicht fair! Wieso ausgerechnet er?
Er betrachtete die plötzlich glühenden Male in seinen Handflächen und konnte es nicht fassen. Sie waren die einzige Verbindung die er zu ihr hatte. Er musste sie wieder haben.
Brüllend übernahm sein Bär die Führung und er sprang klirrend durch das Fernster hinaus.

Der >Wilde< Werwandler

Thuriel

Thuriel wachte im Arm von Rouge auf, der auf dem kalten Stein lag und schützend beide Arme um sie gelegt hatte, damit sie nicht von ihm herunter kugelte. Lächelnd küsste sie sein Brustbein und fühlte wie er sich lächelnd unter ihr bewegte. Als sie ihren Geist über ihn gleiten ließ, fühlte sie sogar den mehr als zufriedenen schlafenden Schakal. Er genoss ihre Berührung, als wäre es das beste das ihm passieren konnte.
„Lass uns noch etwas schlafen.“ Beschwerte sich Rouge und zog sie etwas höher um sie küssen zu können.
Sofort übernahm Thuriel den Kuss und dankte wem auch immer dafür, dass sie jemanden wie ihn gefunden hatte. Oder eher umgekehrt.
Als sie plötzlich unter ihm lag, stockte ihr der Atem. Doch nicht, da der Boden kalt war, oder da sie seine flinken Bewegungen überraschten.
Thuriel schob Rouge von sich, schnappte sich sein viel zu großes Shirt und zog es sich über, bevor sie über das Tal hinab auf das Dorf blickte. Etwas Schreckliches war gerade passiert.
Sie konnte plötzliche Panik ausbrechen spüren und ein Geist getrieben von Verzweiflung und Sehnsucht raste durch das Dorf. Sie konnte ihm kaum folgen. Was war das nur für ein Ding?
„Thuriel? Was fühlst du?“
Ihr Herz machte einen freudigen Sprung und er entlockte ihr ein Lächeln. „Etwas verzweifeltes läuft durch das Dorf... nein jetzt läuft es aus dem Tal hinaus. Es ist dunkel... es hat Angst und ist so unglaublich wild... Ich kann es überhaupt nicht beschreiben.“
„Folge mir. Jemand ist >Wild< geworden. Wir müssen ihn stoppen, bevor der Werwandler sich oder anderen Schaden zufügt.“
Kaum hatte er seinen Satz fertig gesprochen verwandelte er sich in einen Schakal und lief los. Sein schwarzes Fell glitt ohne Mühe die Steile hinab und Thuriel folgte ihm, indem sie in den Schatten glitt. Im Schatten hatte sie keinerlei Mühe mit Rouge mitzuhalten, der sich so flink durch das Unterholz bewegte, als wäre es eine gerade Strecke. Jeder Muskel in seinem Körper war angespannt und sie erkannte die Kraft die in diesem kleinen Tier steckte.
Plötzlich traf ihr schwarzer Schakal auf etwas Weißes, unsagbar großes und biss sich in dessen Fell fest.
Er brachte den weißen Blitz zum Stolpern, doch nicht ohne eine riesige Pranke gegen den Kopf zu bekommen.
Taumelnd kam Rouge auf und sie konnte erkennen wie er gegen die Ohnmacht ankämpfte. Ihr Blick zuckte zu dem Eisbären zurück und plötzlich wusste sie wer er war. „Thorik! Nicht! Er ist einer deiner Krieger!“ Schrie Thuriel, doch der Eisbär ging auf den benommenen Schakal los.
Noch bevor sie realisierte, dass sie ein schwacher Mensch war, sprang sie auf den Rücken, des dreimal größeren Bären, als das sie selbst war und verbiss sich mit ihren Zähnen in seinem Rücken.
Brüllend versuchte er nach ihr zu schlagen, doch sie hatte sich gut in seinem Rücken gebissen.
Zornig riss sie etwas Fell aus seinem Rücken, spuckte es aus und begann zu trinken. Es kam zwar nicht so viel, wie aus einer Halsschlagader, doch genug um ihn bewusstlos zu bekommen.
Als der Bär unter ihr zusammen Brach, befreite sie ihre steifen Finger aus seinem Fell und taumelte zu ihrem Schakal. Sie schloss ihn zwischen ihre Arme und wartete bis ihr zittern aufhörte.
Rouge leckte ihr tröstend über den Oberarm und sie musste lächeln. Sie hatte Angst um ihn gehabt, doch er tröstete sie.
„Idiot! Mach so etwas niemals wieder!“
Sie fühlte wie sich der Körper des Werwandlers veränderte und ließ ihn wieder los. Als Rouge vor ihr kniete, küsste sie ihn sofort, noch bevor er etwas sagen konnte.
Langsam löste er sie wieder von sich und betrachtete den bewusstlosen Bären. Sie folgte seinem Blick und bekam Mitleid. Was war wohl passiert, dass er so außer Rand und Band geraten war?
Nur wenige Sekunden später erschienen Wächter, die halfen ihren Rudelführer wieder in das Dorf zurückzubringen.
„Thuriel! Was ist nur passiert? Du bist voller Blut!“
Ein weicher Körper umarmte sie und blonde Haare versperrten ihr das Gesicht. Lächelnd löste sie ihre Schwester von sich. „Es ist schon gut. Mit mir ist alles in Ordnung. Das ist Thoriks Blut. Ich musste von ihm trinken, damit er bewusstlos wird.“
Erst jetzt schien Mirana aufzufallen, dass Thuriel nichts als eins Shirt trug, dass ihr bis zu den Knien reichte.
„Das besprechen wir später. Aber jetzt sag, wie habt ihr ihn gefunden?“
„Ich habe eine verzweifelte Seele durch das Dorf laufen gefühlt. Es war so intensiv und brennend, das hat mich in den Bann gezogen. Rouge und ich sind los um ihn aufzuhalten, doch Thorik hat Rouge so fest am Kopf getroffen, dass ich schon dachte er würde ihn spalten. Ich habe mich in seinen Rücken gehängt und habe von ihm getrunken, damit er Ohnmächtig wird. Das ist alles. Wo kommst du her?“
Mirana erzählte von dem seltsamen Anruf und dass Thorik aufgebracht durch sein Bürofenster gesprungen ist um sie zu suchen. „ Er ist nicht einfach nur los um sie zu suchen. Seht ihn euch an. Wenn ein Werwandler bewusstlos ist, oder schläft, verwandelt er sich unweigerlich in seine menschliche Form zurück. Thorik ist immer noch ein Bär, das heißt er ist >Wild< geworden.“
Die Schwestern blickten lediglich verständnislos zu ihm auf. „>Wild< zu werden, bedeutet zu seinem Ursprung zurückzukehren. Mensch und Tier in einem Körper sind eine Einheit. Sie sind eins. Sie sind weder das eine noch das andere, sondern das beste aus beidem. Intelligent, schnell, gefährlich und stark. Da wir Werwandler einen angeborenen menschlichen Instinkt besitzen, der uns unser wildes Wesen beherrschen lässt, sind wir die perfekten Rudeltiere.
Wenn sich jedoch dieser menschliche Teil ausklingt. Wie in Thoriks Fall... Bleibt das Intelligent, stark und schnell, doch das gefährlich nimmt ein anderes ausmaß an. Er ist unberechenbar. Nichts und niemand ist vor ihm sicher. In diesem Stadium würde er sogar sein eigenes Kind umbringen und nach mehr verlangen.“„Und wie legt sich das?“
„Das kommt darauf an, was der Auslöser war. In seinem Fall, wäre es vermutlich Beathag. Wäre es weil jemand gestorben ist, wie sein Gefährte, dann so lange bis er selbst ebenfalls stirbt, doch nicht ohne eine Spur zu hinterlassen. Ist es weil einem etwas Wichtiges genommen wurde, ist er zu allem fähig um es wieder zu bekommen. Wenn er aufwacht. Sollte er gut angekettet sein.“
Thuriel wechselte mit Rouge einen vielsagenden Blick. Sie wusste von den Auswirkungen die der Verlust eines Gefährten mit sich bringen konnte. Thorik hatte zwar Beathag nicht an den Tod verloren, wie die Mutter von Rouge ihren Gefährten, doch sie wussten alle wie aussichtslos es war. Ein Engel. Selbst wenn sie es schafften Luzifer loszubekommen und es für alle beteiligten gut aus ginge, würde für Beathag, oder Azriel wie ihr richtiger Namen war, ein neues Leben im Engelsreich beginnen. Sie würde alle ihre Erinnerungen wieder erlangen und mächtiger sein, als alle anderen.
Bedrückt blickten alle drei zu Boden und wussten nicht recht was sie sagen sollten. Rouge legte einen Arm um Thuriel und küsste sie auf den Scheitel. Sie lehnte sich freudig an ihn und genoss das Gefühl seiner Nähe. Es gab ihr halt und spendete ihr Trost.
„Wir sollten zurück gehen. Du verkühlst dich noch. Wir kommen dann nach.“ Thuriel warf ihm einen mahnenden Blick zu. Es war Hochsommer. Wie sollte sie sich da... Plötzlich verstand sie was er wollte und folgte ihm nickend zurück zur Kapelle. Da sie sich eine Stunde davon entfernt befanden, zog sie ihn mit sich hinein in den Schatten und beschleunigte ihr Tempo so weit, dass sie in zehn Minuten dort waren.
„Bist du dir sicher, dass du ihn dort unten einsperren möchtest?“
Er nickte. „Wir haben keine Wahl, wenn wir sein überleben wollen. Wir müssen es schaffen ihn zu Beathag zu bringen, sonst wird er niemals eine Chance haben.“Rouge schloss den Abgang hinter sich und er brachte sie erst einmal zu seinem Schlafzimmer, damit sie sich umziehen konnte.
„Eine Frage. Wieso liegen meine Sachen bei dir?“ Sie konnte sich nicht erinnern irgendwelche Sachen her gebracht zu haben und doch war ein ganzer Kleiderschrank voll damit.
Sie suchte vergeblich im Kasten nach einem Hinweis, doch seufzte nur schwer. War das etwa seine Art zu sagen, dass er wollte das sie bei ihm lebt? Als sie sich um wandte um ihn danach zu fragen, war er bereits aus der Türe verschwunden. „Verrückter Kerl...“ Lächelnd schnappte sie sich ihre Sachen und stieg unter die Dusche. Dort ließ sie sich erst einmal so lange vom heißen Wasser abspülen, bis sie dachte dass der Geruch von letzter Nacht endlich von ihr herunter gespült war. Thuriel hatte eine gewisse Ahnung davon wie gut der Geruchssinn der Werwandler war. Und schon alleine dass sie Angst riechen konnten, sagte ihr wie es dann ebenfalls um den Geruch von Sex und Schweiß stand.
Gerade als sie sich um wandte um nach einem Duschgel zu greifen, sah sie den Schemen von Rouge im Dampf.
Lächelnd winkte sie ihn zu sich. „Du weißt dass spannen illegal ist.“
Breit lächelnd beugte er sich zu ihr hinunter und küsste sie leidenschaftlich. „Nicht wenn du mich nicht dafür anzeigst.“ Bemerkte er und hob sie gegen die Wand.
„Rouge! Nicht jetzt wir müssen den anderen sagen, wo sie Thorik sicher anbinden können, sonst legt er das ganze Dorf in Schutt und Asche.“Er küsste sie noch einmal und gab einen enttäuschen Laut von sich, als sie ihn wieder von sich schob.
„Hör auf jetzt! Von mir aus können wir zusammen duschen, aber nicht mehr. Wir müssen uns beeilen.“Er kniff sie beleidigt in die Schulter und sie musste lachen. „Hör auf, sonst spreche ich dich wegen meiner Kleidung in deinem Schrank an.“ Sofort ließ er sie hinunter und reichte ihr das Duschgel.
„Das ist Erpressung!“ Meckerte er, doch wusch sich seinerseits.
Thuriel kniff ihn in den Po, den sie unglaublich anziehend fand. Er knurrte und Thuriel wurde bewusst, dass sie wohl noch etwas brauchen würden.

Mr. und Mrs. Right?

Thuriel

 

Eine Stunde später standen sie im Büro des immer noch schlafenden Bären, der mit schweren Eisenketten auf den Boden gekettet war und taten so, als wären sie bereits die ganze Zeit da. „Wo wart ihr so lange? Das ist wichtig!“ Tadelte Mirana, sie und Rouge. Betreten blickten sie auf den Boden und Thuriel griff nach der Hand von Rouge.
„Wir... Wir haben eine Idee wo wir den Rudelführer derweilen unterbringen können. Es ist sicher, er kann weder sich selbst noch andere verletzen und es ist absolut ausbruchssicher.“
Miranas verärgerter Blick wich einem fragenden. „Was habt ihr eigentlich für Geheimnisse?“
„Genug, die wir nicht teilen können. Aber für diesen Fall, kann ich eine Ausnahme für zumindest ein paar Werwandler machen.“
Rouge erzählte den Anwesenden, Mirana, Chattan, Edana, die schlief, dem wieder anwesenden Ersten Offizier, dessen Namen Thuriel nicht kannte und der Ärztin von den geheimen Gängen.
„In der Bibliothek gibt es einen geheimen Zugang, der sichert, dass wenn etwas Schlimmes passiert, alle Beteiligten des Dorfes auf der Stelle flüchten können. Es ist so etwas wie eine sehr gut verborgene Falltüre, die durch einen Mechanismus ausgelöst werden kann.“Chattan wurde bereits bei der Erwähnung der Bibliothek unruhig. „Die Stelle in der siebenten Reihe! Ich hätte es wissen müssen. Dort gibt es im Boden eine kleine Stelle die ganz leicht nachgibt. Ich bin dort schon öfter gestolpert, doch dachte es wäre eine Erdverschiebung unter der Bibliothek. Auf so etwas wäre ich allerdings niemals gekommen.“Mirana legte dem sich grämenden Werwandler eine Hand auf die Schulter und lächelte ihn liebevoll an. „Mach dir nichts daraus. Niemand wusste es außer Rouge. Wie hättest du jemals mit so etwas rechnen sollen.“Der Vogelwerwandler blickte beleidigt aus dem Fenster und Mirana musste lachen.
Der Drache in ihrem Arm grunzte plötzlich und ein kleiner Funke kam aus ihrem Mund. „Mirana löschte das entstehende Feuer sofort und blickte sich entschuldigend um. „Tut mir leid. Sie hat erst vor ein paar Stunden ihre Feuerfähigkeit entdeckt und spielt seitdem hin und wieder damit. Außerdem ist das noch ein Grund endlich auszuziehen!“ Sie blickte Chattan vorwurfsvoll an. Anscheinend war das bereits etwas länger ein Streitpunkt.
Chattan ignorierte ihre Bemerkung gekonnt. „Gut, dann geht vor und Mirana bringt ihn dann zu euch. Haltet euch bitte bereit.“
Thuriel glitt mit Rouge in den Schatten und zurück zur Kapelle. Unten richteten sie alles her um einen Bärenwerwandler anketten zu können und Thuriel verstärkte zur Sicherheit die Ketten mit Magie.
Kurz darauf spitzte Rouge die Ohren. „Sie sind da.“ Thuriel glitt durch den Schatten hinauf zum Besuch und lächelte freudig, als sie ihren Vater in der Gruppe erkannte.
“Vater! Wie schön dich endlich wieder zu sehen!“ Sie nahm ihn freudig in den Arm und genoss die Zuneigung.“ Sie hatte ihn nun schon seit Monaten nicht mehr gesehen.
„Hallo Thuriel. Es ist auch schön dich wieder zu sehen. Ich bin gerade zurück gekommen und musste mir von deiner Schwester die furchtbaren Neuigkeiten erzählen lassen. Der arme Rudelführer. Ich hoffe er schafft es.“
Plötzlich bemerkte sie eine Untote Person neben ihrem Vater. „Ein Vampir?“
Mirana erschuf sofort magisches Feuer und Chattan kreischte auf, als er sich in eine Harpyie verwandelte.
„Du sagtest das wäre eine Werwandlerin. Was sollte das?“Mirana schien überaus wütend zu sein.
„Ja, ich weiß. Aber ich kann euch leider nicht anvertrauen wer sie ist. Aber ich kann euch garantieren, dass sie euch nichts tun wird! Sie braucht lediglich ein Versteck und wir sind auch auf der Stelle wieder weg. Ich will mir nur den Gesundheitszustand...“
Thuriel streckte ihren Geist nach ihrem Vater und den unbekannten Vampir aus. Sie gehorchten auf der Stelle. Thuriel tat es mehr als nur leid, ihren Vater so zu manipulieren, doch sie konnte nicht anders.
„Setz deine Kapuze ab, Vampirin!“
Sie fühlte Rouge Anwesenheit hinter sich und bereute es ausgerechnet jetzt ihre Kräfte zu benutzen. Sie hasste es wenn er sie so sah.
Die Vampirfrau nahm die Kapuze ab, doch Thuriel erkannte sie nicht. Mirana schien ebenfalls ratlos, genauso wie Rouge. „Das ist die Anführerin des Vampirclans. Sie wurde doch entführt...“ Chattan war über die maßen verwirrt und wackelte mit einer Hand vor deren Gesicht herum. „Was hast du mit ihr gemacht?“
„Sie steht unter meinem Einfluss. Sie wird alles tun und sagen, was ich möchte. Ihr könnt ihr ruhig Fragen stellen. Sie kann nichts anderes tun als zu gehorchen.“
Chattan trat wieder einen Schritt zurück. „Ich würde mich nicht allzu sehr darauf verlassen. Sie ist neben dem Vampirkönig eine der ältesten Vampire.“Thuriel griff nach der Lebensenergie des Vampirs und zog mahnend daran. Schreiend wandte sie sich auf dem Boden. „Nenn uns deinen Namen!“
„Eden! Man nennt mich Eden!“
Thuriel ließ ihre Lebensenergie los. „Wieso bist du mit meinem Vater unterwegs?“
„Er beschützt mich vor dem Vampirkönig. Ich bin gegen den Krieg und somit beinahe geköpft worden.“

„Wieso bist du gegen die Auslöschung von Luzifer?“ Mirana stemmte die Hände in die Hüften und schien das beinahe persönlich zu nehmen.
„Ich sehe keinen Sinn darin. Es ist nicht mein Krieg. Die Engel sollen ihn sich selbst hohlen, immerhin ist er einer von ihnen.“Thuriel schüttelte den Kopf und Mirana wirkte beinahe aufgebracht. „Luzifer hat auf dieser Erde schon so viele Opfer getötet. Er schreckt nicht einmal davor zurück die Erde zu einem brennenden Ball zurück zu verwandeln, nur um den Engeln eines besseren zu belehren. Findest du das etwas fair? Immerhin ist es...“ Mirana schwieg plötzlich und legte ihr eine Hand auf die Stirn. Stark sog sie Luft ein und schüttelte den Kopf.
„Es sitzt ein Dämon ihn ihr. Wir werden sich nicht beeinflussen können. Anscheinend scharrt er Anhänger.“
Thuriel versuchte ebenfalls den Dämon zu sehen, doch erkannte absolut nichts.„Versuch es gar nicht erst. Ich kann Dämonen im Körper eines Wesens fühlen, wenn ich aktiv danach suche. Ich war selbst für einige Monate besessen und weiß nun wie ich sie unterscheiden kann. Tötet sie einfach. Das wird das gnädigste sein.“Rouge legte den Kopf schräg und griff in den Brustkorb der Vampirin. Schreiend versuchte sie sich zu befreien, doch Thuriel hielt sie auf den Knien fest. Sie konnte nicht weg, ohne sich entzwei zu reißen.
Plötzlich schien sich der Vampir wirklich zu teilen. Rouge zog so heftig seine Hand aus ihrem Körper, dass sich etwas Dunkles daraus löste. Den wahren Tod gefunden, fiel die Vampirin rückwärts in das Gras und Thuriel lief beinahe das Wasser im Mund zusammen. Sie griff nach ihren Saphiersteinen und sog den Dämon in sich auf. Rouge blickte sie verständnislos an. „Was hast du getan? Wieso behältst du ihn?“
Lächelnd betrachtete sie das mehr als volle Gefäß und konnte ihr Glück kaum fassen. Es gab beinahe nichts, das mehr negative Energie abgab als ein Dämon. Doch einen zu bekommen war so selten wie einen Diamanten einfach so im Briefkasten zu finden.
„Er wird mir in den nächsten Monaten mehr Energie geben, als das ich benötige. Weshalb denkst du bin ich wohl hinter der geschändeten Seele von Neros her?“
Rouge schüttelte den Kopf, als würde er sie nicht verstehen. „Wieso lässt du die arme Seele nicht einfach ruhen. Denkst du nicht er hat schon genug durch gemacht?“
Thuriel verdrehte die Augen und blickte Rouge danach tief in die Augen. „Werwandler! Ich bin eine dunkle Magierin. Eine Hexenmeisterin um genau zu sein. Ich beziehe meine Energie aus der Dunkelheit von anderen, so wie Magier aus ihrer eigenen Magie. Ich habe nicht die Macht, meine Energie selbst her zu stellen, ohne verrückt zu werden, deshalb nehme ich was ich bekommen kann. Ich werde nun für viele Monate keine andere Energiequelle brauchen. Das heißt ich brauche auch nicht zu deinem ach so heiligen Friedhof zu gehen.“

Der Schakalmensch knurrte sie wütend an. „Ich würde dich auch niemals an meinen Friedhof für so etwas entweihendes lassen. Die Toten müssen ruhen, so wie es ihnen gebührt. Wir haben nicht das recht da einfach einzugreifen.“
„Aber es laufen auch Untote durch unsere Gassen und das findest du in Ordnung? Sie sind Leichen die sich von den Lebenden ernähren. Und die lassen wir auch gewähren. Schick sie doch auch dort hin wo sie eigentlich hin gehören, oder bist du dir dazu zu fein, Werwandler!“
Sie fühlte seine Klauen an ihrem Hals, doch starrte ihm weiterhin zornig entgegen. Seine gelben Augen leuchteten so wuterfüllt, dass sie eigentlich bereits tot sein musste. Aber sie war sein. Und er würde ihr niemals etwas tun. Nicht einmal an ihrem ersten Tod war er schuld. Sie hatte bei einer geringen Verletzung einfach los gelassen. Hatte sich selbst ins Reich der Toten geschickt und er hatte sie trotzdem an sich gebunden. Sein Schakal hatte das schon vor ihnen beiden gewusst. Dass sie zusammen gehören.
Rouge verwandelte sich wieder zurück und küsste sie so intensiv, dass ihr ganz heiß wurde. Wie konnte sie nur die richtige für so einen Temperamentvollen Werwandler sein? Und wie konnte jemand wie er der Richtige für ein dunkles Wesen wie sie sein? Eines das sogar lieber gestorben wäre um ihre eigene Schwester zu verraten, anstatt zuerst ihre Meinung zu hören.
Sie packte ihm in den Haaren und zog ihn an sich. „Mistkerl!“ Fluchte sie und er biss sie zur Strafe in die Unterlippe.

„Dann passt ja ein Miststück wie du zu einem Mistkerl wie mich.“ Sie sah ein sarkastische Grinsen in seinem Gesicht und funkelte ihn dafür wütend an. „Ich hasse dich, Rouge.“ Knurrend küsste er sie. „Ich dich auch, Thuriel.“
Ein Räuspern ließ sie beide sich erschrecken. Stimmt, sie mussten noch Thorik in eine Zelle bringen.
Thuriel entzog sich ihm und ging zu ihrer Schwester zurück, ohne ihn noch eines Blickes zu würdigen. Dieses Gespräch würden sie später vertiefen.
„Entschuldigt. Bringen wir ihn jetzt hinunter.“
„Hinunter?“ Chattan schien verwirrt zu sein. „Ja, hinunter. Es gibt einen Abgang hinter den Engelsfiguren. Kommt.“ Thuriel ging mit rauschenden Röcken einfach an Rouge vorbei und zeigte Mirana den Weg. Chattan bewachte mit Rouge draußen den schlafenden Eisbärenwerwandler.
„Also seid, ihr jetzt zusammen?“ Mirana schien ernsthaft amüsiert darüber zu sein.„Ich hasse ihn. Er nervt mich so. Wie hält man denn so jemanden sein Leben lang aus?“
Mirana lachte laut. „Ich verstehe was du meinst. Werwandler sind schon eigen. Aber vertraue mir. Es wird einfacher. Du musst ihn akzeptieren wie er ist und er dich. Daran führt kein Weg vorbei.“
Thuriel dachte über seinen rasant wechselnden Geist nach. Wie konnte sie nur so jemanden akzeptieren. Er war wilder als normale Werwandler, voller Zorn und Trauer, er hasste alle anderen Werwandler und vertraute niemanden. Ja, an seiner Seite würde es bestimmt niemals langweilig werden und sie konnte fühlen, dass er bereits Gefühle für sie entwickelte hatte und sie für ihn. Sein Schakal lag ihr nun auch zu Füßen, seit letzter Nacht. Thuriel hatte erkennen müssen, dass Rouge und sein Schakal von Grund auf anders waren. Er ist der ernste gefährliche geheimnisvolle und sein Schakal ist der aufgeweckte, verspielte Rotzlöffel. Vielleicht konnte sie die beiden doch irgendwie auf einen Grad bringen.„An was denkst du gerade?“ Mirana legte ihrer älteren Schwester eine Hand auf die Schulter und musterte sie ernst. „Ich denke daran, wie... verkehrt Rouge ist. Er ist nicht einmal ein ganzer Werwandler. Er hasst jeden und vertraut nicht einmal seinem eigenen Schakal. Ja, im Kampf sind sie eins, aber sonst? Wie soll ich einen Lieben, der nicht einmal sich selbst respektiert?“
Mirana umarmte sie tröstend. „Wie soll eine strikt nach den Regeln erzogene Magierin einen Werwandler lieben? Wie soll eine anders Wesen einen Drachen zur Welt bringen? Unsere Welt ist nicht perfekt, also wieso sollten es wir sein?
Thuriel nickte verstehend. Zum Glück hatte sie ihre Schwester. Ohne sie wäre sie vermutlich schon längst schreiend weg gelaufen.
„Also, wo sind jetzt diese sicheren Zellen?“
Thuriel führte sie hinab zu den Kerkern und zeigte ihr die abgeriegelte Einheit. „Teleportiere ihn einfach hier hinein. Rouge und ich machen den Rest. Vergiss aber danch bitte, dass es diesen Ort gibt. Es ist sicherer, wenn niemand davon weiß. Es ist lediglich für den äußersten Notfall gedacht.“
Mirana nickte. Plötzlich verschwand sie und erschien nur wenige Sekunden darauf wieder mit einem schnarchenden Bären.
Auf einmal verschwand sie wieder und erschien mit einem vollkommen verwirrten Rouge. „Viel Glück euch beiden. Und passt gut auf unseren Rudelführer auf.“
Beide nickten sie nur stumm an und begannen den Bären anzuketten. Mehr konnten sie nicht machen. Sie steckten seine Tatzen in Eisenhanfschuhe und banden ihm ein eisernes Gebiss um, dass andere vor seinen scharfen Zähnen schützte. Wenn er aufwachte würde er sich kaum mehr als drei Meter bewegen können. „Das wird nicht schön wenn er aufwacht. Du solltest hoch gehen.“ Rouge schloss die Zellentüre ab, die nicht einmal ein Werwandler noch einreißen konnte und hängte den Schlüssel an seinen Platz zurück.
„Danke für deine Rücksichtnahme, doch ich denke, ich kann ihn eher beruhigen indem ich ihm die negative Energie...“„Das wirst du nicht tun. Wir wissen nicht ob er dadurch nicht noch mehr ins >Wilde< verfällt.“Thuriel seufzte schwer. Es war dumm das sie beide es gewohnt waren alleine zu arbeiten und niemals jemanden an sich heran zu lassen.
„Wird das nun immer so zwischen uns gehen? Ich dachte, wir wären uns die letzten Stunden näher gekommen. Selbst dein Schakal mag mich bereits.“Vielleicht war es nicht der beste Moment um das zu bereden, doch sie konnten doch nicht ewig so weiter machen. Der Rudelführer brauchte sie nun beide.
„Er mag dich nicht.“ Gab Rouge trotzig zurück. Beinahe wäre sie ihn angefahren doch atmete sich selbst beruhigend durch, damit sie nicht an die Decke ging. Was sollte das denn jetzt? Wollte er so dringend einen Streit?
„Es hat den Anschein als würde er dich wesentlich mehr lieben als mich.“Das &gt;L< Wort! Ihr Herz begann plötzlich so schnell zu rasen, dass ihr für einen Moment schwindelig wurde. Was hatte er gerade gesagt?
„Was... Was meinst du damit?“„Ich weiß es nicht. Seit meiner Geburt ist es schon so, dass er mir Angst gemacht hat. Ich wurde älter und verstand dass, er mich einfach nicht mochte. Wir schafften es einen Weg zu finden, indem ich einfach meiner Beschäftigung nach gehe und er Nachts das machen konnte was er wollte. Aber seit du hier bist, übernimmt er ständig von sich aus die Führung und sucht dich. Das hat mich fürchterlich genervt. Aber gestern... Die letzten Tage waren der Horror. Ich wollte dich am liebsten einfach deiner Schwester übergeben und wäre somit ein Problem los geworden. Aber er... er wollte dich beschützen... vor mir selbst. Das hat mir Angst gemacht. Zum ersten Mal seit zweihundert Jahren habe ich wieder Angst vor ihm, da ich nicht weiß wie ich ihm das Geben kann was er will, ohne mich selbst zu verlieren. Und letzte Nacht. So einig waren mein Schakal und ich uns noch nie. Das Jagen durch den Wald, das Klettern an der Felswand und dann die ganze Nacht mit dir verbringen. Das war da erste mal in meinem ganzen Leben, dass ich mich wie ein Werwandler gefühlt habe. Und das war schön. Aber du hast selbst gesehen wie schnell uns die Realität wieder einholt. Ich bin in Wahrheit ein Halbgott und du bist eine Hexenmeisterin. Obwohl wir so unterschiedliche Ansichten haben, sind wir beinahe identisch in unserem inneren.“
Thuriel verstand nicht ganz was er damit sagen wollte. Konnte er sich nun eine Zukunft mit ihr vorstellen, oder nicht?
„Kannst du dich noch an den Tag erinnern, als wir in meinem Haus waren und einen blick in die Zukunft werfen durften? Wir haben gesehen was aus uns werden kann. Wir können einen echt umwerfend süßen Sohn haben. Er wird der Gefährte des kleinen Drachen meiner Schwester, daher nehme ich an, wird er mehr wie du sein. Wenn ich ehrlich bin, habe ich große Angst davor.“

„Und mein Vater wird sich in Zukunft auch noch bei uns einmischen. Das heißt, wenn wir einen Engel besiegt haben, dürfen wir einen Gott besiegen.“

Thuriel horchte überrascht auf und strahlte ihn an. „Uns?"

Er wurde rot, doch lächelte trotzdem bei dem Gedanken. „Weißt du. Ich denke ich tauge eigentlich nicht zur Mutter, oder du als Vater. Ich hatte die vermutlich strengste und liebloseste Erziehung die ein Kind bekommen kann und du wurdest von Anfang an von deinen Eltern verlassen. Wir sind nicht gerade qualifiziert für den Preis der >Eltern des Monats<.“
„Hmpf. Wer ist das schon? Werwandler liegt es im Blut Kinder zu lieben und sich um sie zu kümmern, egal wie kaltherzig man ist. Aber wie sieht es als verwaister Halbgott und verkorkster Hexenmeisterin aus?“
„Vermutlich genauso schlecht, wie es klingt.“ Thuriel ließ sich lachend in seine Arme fallen. Nein, sie waren beide alles andere als bereit eine Beziehung einzugehen und ein Kind, oder mehrere in die Welt zu setzen. Außerdem wer konnte schon sagen, ob das nicht alles einfach nur ein sehr fürchterlicher Albtraum gewesen ist. Einen Blick in die Zukunft werfen zu können war zwar Gold wert, doch veränderte man dadurch nicht einfach alles?

Schmerz eines Engels

Beathag

Beathag weinte bereits seit heute Morgen. Sie hatte versucht Kontakt mit Thorik aufzunehmen, doch jedes mal, wenn sie seine tiefe Stimme hörte, sammelte sich so etwas wie ein Kloß in ihrem Hals. Sie hatte kein Wort heraus gebracht. Erst als er nach ihrem siebenten Anruf noch einmal abgehoben hatte wagte sie es zu sprechen. Doch auch diese Worte gingen lediglich in einen Windhauch über. Verdammt was war das nur? Als sie dann über Mirana und ihr Kind gesprochen hatten, war es vorbei gewesen, mit ihrem Kloß. Er war von einem Moment auf den anderen von ihrem Hals um ihr Herz gerutscht und hatte es schmerzhaft zusammen gezogen. >Seine Magierin< und >Chattan passte auf die kleine auf< Was war nur los? Hatte er sie denn etwa so schnell vergessen? Hatte das ganze Rudel sie so schnell vergessen?

Beathag zog ihr Shirt an ihrer Schulter zur Seite und betrachtete das blasse Mal, dass trotz allem immer noch gut zu sehen war. Deshalb versteckte sie es auch von Neros. Gerade er durfte das nicht wissen. Er würde es gegen sie verwenden. Die nächste Tränenflut übernahm sie und sie brach heulend auf dem Bett zusammen. Verdammt was war das nur? Sie hatte nur siebzehn Jahre dort verbracht. Nur der hauch einer Sekunde im Vergleich der vielen tausenden von Jahren die sie bereits lebte. Doch schmerzte es mehr, als alles das sie jemals erlebt hatte.

Frustriert zertrümmerte sie ihr ganzes Zimmer und vernichtete alles so weit, bis es nichts mehr zu zerstören gab. „Azriel! Verdammt was tust du da?“Luzifer, an dessen wahres Gesicht sie sich überhaupt nicht mehr erinnern konnte, kam in ihren Raum und zog sie von den spitzen Trümmern fort. „Beruhige dich doch! Was ist passiert? Wieso sieht dein Zimmer aus wie auf einem Sperrmüll?“

Azriel klammerte sich an ihn und schluchzte einfach noch. Was los war? Woher sollte sie das wissen? „Ich habe das noch nie gefühlt was ist das? Es... Es zerreißt mich innerlich und ich fühle mich so... so verzweifelt und verletzt. Es ist als würde mir jemand das Herz heraus reißen und das immer wieder! Ich... ich verblute innerlich!“Luzifer blickte sie einfach nur verständnislos an. Er verstand kein Wort von dem was sie sagte. Wie denn auch? Sie hatte mehr unter Menschen verbracht, als jemals jemand davor. Sie verstand die Menschen besser als sie sich selbst und trotzdem explodierte ein Schmerz in ihrem Inneren, der sie aufzufressen schien. Schmerz. Verzweiflung. Sehnsucht...

Plötzlich riss etwas in ihrem Kopf und sie schrie vor Schmerzen. „Nein! Nein! Das ist nicht möglich! Nein!“ Neros Stimme ging in ihrem Schrei unter. Aber was war das?Beathag blickte verwirrt auf ihre Hände ein sanfter goldener Schimmer zog sich darüber wie eine zweite Haut. „Das ist nicht möglich...“ Sie schluckte schwer und blickte in den Spiegel. Ihr Haar war wieder schneeweiß und ihre natürlichen Locken wickelten sich wie ein Schutzschild um ihren nackten Körper. Es bedeckte sie wie ein Kleid bis zu den Knien und ihre Augen strahlten in einem unendlichen Gold.

Wie ein schimmernder Edelstein, starrten sie ihr im Spiegel vollkommen verwirrt entgegen und ihre zarten weißen Flügel ragten hinter ihr auf wie ein Heiligenschein. Neros, der vollkommen aufgelöst vor ihr kniete und nicht wusste ob er weinen, oder wütend sein sollte, tat einfach überhaupt nichts. Er starrte sie einfach nur sprachlos an.

Ohne auf den Schutzwall zu achten, der das ganze Schloss umgab, riss sie alleine mit ihrem Willen die steinernen Wände ein und ließ sich fallen. Hinab in die Tiefe, viele hundert Meter und erst kurz vor dem Erdboden zog sie sich mit kräftigen Flügelschlägen in die Höhe. Flügel auf die sie sich immer verlassen kann. Der Wind, der sie auf seinen Armen vorwärts trug und die Berge, die sich aus Respekt von selbst aus dem Weg schoben, ragten vor ihr auf. Sie wusste zwar nicht in welche Richtung, doch Bea wusste, dass ihr Herz sie schon führen würde. Nach dem Ausgang dieses Schmerzes. Sie würde es in Grund und Boden stampfen!

Verlust eines Herzens

 Thuriel

 

Thuriel löste sich von dem schlafenden Werwandler und hauchte ihm einen Kuss auf die Wange. „Ich Liebe dich...“ Flüsterte sie leise, doch er bewegte nicht einmal ein Ohr.

Er war so erschöpft von den letzten Stunden, dass sie beschloss ohne ihn wieder hinunterzugehen. Thuriel zog die Decke über ihn und schlich sich hinab zu den Kerkern. Unten angekommen zündete sie eine Kerze an und betrachtete den ebenfalls vollkommen erschöpften Eisbärenwerwandler, der wild schnaufte. Anscheinend hatte er es endlich aufgegeben sich gegen die Ketten zu wehren, oder war einfach nur zu erschöpft dafür.

„Hallo, Thorik. Du hast dich endlich beruhigt?“ Der Werwandler knurrte bösartig. Sie lächelte ihm aufmunternd zu und legte ihre Stirn gegen die kalten Gitterstäbe. Nun erkannte sie auch, wie angespannt er war. Ein jeder Muskel war dauerhaft angespannt gewesen und nun zitterte er, als würde er frieren. Natürlich fror er nicht, das war ihr bewusst. Trotzdem befiel sie alleine bei diesem Anblick Mitleid. Wie konnte man einem wunderschönen Tier wie ihm nur so etwas antun.

Rouge hatte die letzten drei Stunden damit verbracht Thoriks Ketten fester zu ziehen und hatte auf ihn eingeredet, dass er sich beruhigen müsse. Thuriel alleine hatte gefühlt wie wenige Mensch noch dort drinnen streckte. Alleine die Instinkte des Tieres waren noch da. Vorsichtig versuchte sie die Hand nach ihm auszustrecken, doch er schnappte sofort nach ihr. Gerade einmal das eiserne Gebiss, welches verhinderte, dass er sein Maul schließen konnte, rettete ihren Arm. Trotz seiner Erschöpfung war er immer noch blitzschnell.

Sie schickte eine tröstende Welle über den Bären hinweg, doch er brüllte schmerzerfüllt auf. „Thorik. Beruhige dich bitte. Es wird alles in Ordnung kommen. Niemand hier will dir etwas Schlechtes. Sag mir... wieso hast du dir so etwas angetan? Ich bin kein Werwandler und kann es nicht nachempfinden, wie du dich fühlen musst. Ich kann kaum noch Menschlichkeit in dir fühlen. Dein Zorn und deine Verzweiflung sind so stark, dass sie beinahe alles überdecken. Ich kann das nicht nachempfinden. Ich wünschte ich könnte es, dann würde ich dir helfen. Wenn ich die negative Energie abziehe, dann wirst du noch wütender und versuchst dich selbst zu verletzen, doch das hat doch keinen Sinn.“ Kopfschüttelnd wandte sie sich ab.

Der Blick des Werwandlers folgte ihr bei jeder noch so kleinen Bewegung. Was sollte sie nur tun? Vielleicht war es tatsächlich das humanste, wenn sie ihn einfach töteten. Sie kannte Thorik nicht so lange, wie alle anderen, doch selbst sie wünschte niemanden diesen Schmerz.

Nein! So eine Entscheidung konnte sie und wollte sie nicht alleine treffen. „Verdammt, ich wünschte wirklich ich könnte auch nur annähernd irgendetwas tun. Ich will wieder mit dir reden können. Du bist so ein außergewöhnlicher Rudelführer. Selbst in dem schlimmsten letzten halben Jahr, das jemals jemals haben kännte, hatte man immer ein offenes Ohr bei dir gefunden. Du hast sogar Rouge und mir geholfen. Bitte. Ich flehe dich an. Sag mir wie ich dir helfen kann. Bitte...“

Weinend fiel sie auf die Knie und sie hörte ein Schnaufen. Lachte er sie etwa jetzt dafür aus? Vielleicht, wenn sie mit Mirana redete? Vielleicht hatten sie und Chattan derweilen eine Lösung, oder zumindest irgendetwas dass ihr Hoffnung geben konnte, dass man so eine traurige Seele noch erlösen konnte? 

Thuriel stand auf, doch nur um im selben Moment wieder um zu fallen. Ein Erdbeben erschütterte die Räume und nur die Stützbalken, hielten die Wände davon ab, auf sie herabzustürzen. Schreiend schützte sie sich mit etwas Energie aus ihrem gefangenen Dämon, vor dem herabfallenden Staub und gelösten kleine Steinchen. Gerade als alles aufhörte zu wackeln und ruhig wurde, stand so etwas wie ein goldenes Licht vor ihr. Durch den Staub hindurch zwinkerte sie verwirrt die Halluzination an. Hatte sie ein Stein getroffen? Der Engel riss alleine mit einer Bewegung die Eisengitter aus der Verankerung und sie trafen sie und rissen sie mit sich. Schreiend wurde sie gegen die Wand geschleudert und fühlte wie sich etwas Warmes um ihre Hüfte herum sammelte. Verwirrt starrte sie den zornigen Engel an, wie er besorgt eine Hand auf den völlig verängstigen Werwandler legte und ihm ohne Mühe die Ketten abnahm. Sofort fiel der Bär in sich zusammen und ein bewusstloser Thorik in seiner menschlichen Gestalt lag vor ihr. Das letzte das sie sah, war ihr eigenes Blut auf ihren Händen und das letzte das sie hörte, war die glockenklare Stimme eines Engels, der schwor Thorik niemals wieder alleine zu lassen.

 

 

Rouge

 

Etwas das nach einem Erbeben sich anfühlte, riss ihn aus den Schlaf. Die letzten Stunden hatte er versucht Thorik zu Vernunft zu bringen, doch er hatte alleine in Thuriels Blick gesehen, dass etwas nicht stimmte. Nein, er hatte es auch selbst gefühlt. Er war so tief in seinen Gefühlen versunken, dass dort darin kaum noch ein Thorik zu erkennen war.

Knurrend lief er die Stiegen zu den Kerkern hinunter und staunte nicht schlecht. Die Luft war voller Staub und man konnte kaum die Hände vor Augen sehen. Verwirrt blickte er sich um und folgte einem leichten Lichtschein, der sich über Thorik gebeugt hatte. „Thorik? Beathag? Ihr lebt?“

Beathag blickte nicht auf, sondern zog ihren Thorik fester an sich. Sie schien alleine nur ihn zu sehen und niemand anderen. Sein Blick glitt suchend durch den Gang in dem immer noch der Staub stand und sich nur langsam legte. Plötzlich stach ihm ein beißender Geruch von Tod in die Nase.

„Nein... Nein...“ Tränen sammelten sich in seinen Augen. „Das kann nicht wahr sein...“ Stolpernd fiel er auf seine Hände und landete in etwas warmen roten. Zitternd bewegte er sich vorwärts und folgte dem Blutfluss vom Kanal bis zu einem verdrehten Bein. „Thuriel...“

Sein Atem wurde schwerer und seine Sicht verschwamm. Er träumte! Das war das logisch. Er träumte nur und würde jeden Moment aufwachen. Doch er hatte noch nie großartig an Träume und Illusionen geglaubt. Nein, für ihn gab es nur die trostlose Realität. Und genauso schlug sie ihm nun direkt ins Herz. Es wurde in zwei Hälften gerissen und zerbrach danach in tausende von Teile. Schwach wie noch nie, zog er sich zu der nur mehr leblosen Frau, die ihm mehr bedeutete als alles andere.

Weinend zog er das Eisengitter aus ihrem Körper und versuchte dabei, ihr so wenig Schaden zuzufügen wie nur möglich. Vorsichtig strich er ihr Haar aus dem Gesicht und blickte in die leeren Augen, die entsetzt in die Ferne starrten. Die hellbraunen Augen, die ihn immer so mahnend und stur entgegen gestarrt hatten. Augen in denen er sein Herz verloren hatte.

Sie konnte doch nicht tot sein!

Wie konnte sie tot sein?

Nein! Das war einfach nicht möglich. „Thuriel. Wach auf... Bitte. Erinnere dich. Wir haben eine Zukunft vor uns... unser Sohn braucht uns. Ich kann nicht ohne dich... Thuriel sieh mich an... Bitte wach auf....“ Tränenüberströmt, nahm er ihren Kopf vorsichtig zwischen seine Hände und zog ihren beinahe halbierten Körper an sich. Es war ihm dabei egal, ob er seine eigene Kleidung in ihrem Blut tränkte. „Das kann nicht sein... Ich habe sie gesehen. Unsere Zukunft. Wir haben sie beide gesehen... Das ist unmöglich...“ Eine zarte Hand legte sich auf seine Schulter und so etwas wie Müdigkeit, oder Ruhe legte sich über ihn. Er hatte absolut kein Bedürfnis dazu auch nur irgendetwas zu fühlen. Keinen Schmerz, keine Trauer, nichts...

„Es tut mir leid. Ich nahm an sie wäre Mirana. Ich wusste nichts von einer Schwester. Bitte verzeih und nimm mein Geschenk an.“ Rouge fühlte wie seine Körper schwer wurde und sank mit Thuriel gegen die Wand. Beinahe augenblicklich schlief er ein und fühlte einfach nichts mehr.

 

 

Mirana

 

Mirana schmökerte gerade mit Chattan zum gefühlten hundertsten mal die Bücher der Bibliothek durch, doch sie fanden einfach keinerlei Aufzeichnungen darüber, wie man einen in >Wild< verfallenen Werwandler wieder normal bekam. Ging das denn überhaupt? Mirana war bereits am Ende ihrer nerven gewesen, als Chattan angelaufen kam und sie anwies sich mit Edana zu verstecken. Sofort hatte sie sich den kleinen, am Boden spielende Drachen geschnappt und hatte einen Verhüllungszauber über sie beide gelegt.

„Sind Magier hier?“ Chattan schüttelte den Kopf.

„Nein, soeben ist etwas Unbekanntes über das Dorf hinweg geflogen und beim Friedhof eingeschlagen. Die Wächter sind bereits dort und untersuchen alles.“

Etwas Unbekanntes? Das war eine außergewöhnliche Wortwahl für Chattan und jagte ihr einen Schauer über den Rücken. „Was soll das bedeuten?“

„Das ich es zwar gesehen habe, doch nicht weiß was es ist. Ich bin in die Höhe geflogen um ihm mit dem Blick folgen zu können, doch es war einfach zu schnell für mich.“

„>Es<? Spann mich doch nicht so auf die Folter, wie sah es aus?“ Chattan versuchte mit den Händen und Worten zu beschreiben, wie ein helles leuchtendes etwas über sie hinweg geflogen ist, doch Mirana verstand überhaupt nichts.

„Sehen wir es uns an und...“

„Nein! Mirana, wir haben strenge regeln hier, wenn es um Eindringlinge geht. Lass die Wächter erst ihre Arbeit tun.“

Mirana nickte und strich ihm lächelnd über die Wange. „Ich verstehe. Dann warten wir eben, wenn es dein Wunsch ist.“ Er nahm ihr Gesicht zwischen die Hände und küsste sie glücklich.

Plötzlich meldete sich der kleine gelangweilte Drache und verlangte nach Aufmerksamkeit. „Was ist denn meine kleine Prinzessin? Gönnen wir dir schon wieder zu wenig Aufmerksamkeit?“ Schnatternd nahm Edana Chattans Finger zwischen ihre weichen Klauen und zog ihn an sich um darauf herumzukauen.

„Sicher dass du ein Drache und kein Werwandler bist? Du benimmst dich verdächtig wie ein Wolfswerwandler.“ Scherzte Chattan und hauchte ihr einen Kuss auf die schuppige Wange.

„Chattan! Mirana! Es tut mir ehrlich unglaublich leid...“ Ivy stand an der Eingangstüre und wirkte völlig aufgelöst. Sofort zog Mirana ihren Schleier so fest, dass außer Chattan sie niemand mehr wahrnehmen konnte und folgte dem verwirrten Werwandler hinaus auf den Platz.

Zuerst wurde ihr Blick von Thorik an gezogen, der Arm in Arm mit einer wunderschönen Person stand. Mirana fiel beinahe der Unterkiefer hinunter, als sie Beathag erkannte. „Nimm sie..." Wie benommen drückte sie Chattan Edana in die Hand und ging zu dem strahlenden Engel.

„Azriel... Du... Wie konntest du...“ Ohne zu Antworten fiel ihr der Engel in die Arme und sie fühlte tröstende Energie über sich strömen. Was war nur los?

„Es tut mir so leid. Ich war so außer mir und habe mich gerade erst wieder in einen Engel verwandelt. Ich habe meine Kräfte unterschätzt und wollte sie überhaupt nicht treffen... Ich habe nur dort drinnen Thorik angebunden gesehen und einfach geschlussfolgert ohne nachzufragen... Mirana... Mirana?“

Mirana betrachtete die blasse Gestalt, die mehrere Meter, beinahe außerhalb des Dorfes lag. Zwei Wächter hatten sie auf einen Barren her getragen und wirkten äußerst unsicher. Mirana fiel neben dem toten Körper ihrer Schwester auf die Knie und rüttelte sie instinktiv. „Thuriel. Bitte...“ Das konnte nicht möglich sein. Ihre Schwester lag beinahe in zwei Hälften geteilt und getränkt in ihrem eigenen Blut vor ihr auf einem Barren und starrte ins Nichts. Mirana strich über die leeren Augen von Thuriel und schloss sie. Sie sollte nicht so hier liegen. Sie sollte eigentlich im Bett eines überaus bedrohlichen Werwandlers liegen, der ihr den Kopf verdreht hatte.

Neben Thuriel, ebenfalls auf einem Barren lag Rouge, der heftig und schnell atmete. „Ich habe versucht ihm den Schmerz zu nehmen, doch er fiel in einen Schockzustand und... seitdem ist er Bewusstlos. Es tut mir alles so leid.“

Mirana nahm die Hand von Rouge in die ihre und drückte sie sanft. Wie musste er sich wohl jetzt fühlen? Von einem Moment auf den anderen erklang ein lauter Schrei und Rouge fing heftig an zu zucken. Er spuckte Blut und schien so etwas wie einen Anfall zu bekommen. Sofort war die Ärztin an seiner Seite und Mirana fühlte starke Hände die sie weg zogen. Aber sie wollte doch bei Thuriel bleiben. Ihrer nun toten Schwester...

„Ist schon gut. Es wird alles gut werden. Sssch....“ Ivy nahm sie in den Arm und sprach tröstende Worte auf sie ein. Mirana fühlte wie Tränen in ihre Augenwinkel aufstiegen, doch schaffte es nicht zu weinen. Sie schaffte es nicht einmal einen klaren Gedanken zufassen. Erst als Chattan sie in eine tröstende Umarmung zog konnte sie endlich los lassen. Sie war tot. Wirklich fort...

„Azriel! Wieso? Tu doch etwas. Du bist der Engel des Todes... Tu bitte etwas. Irgendetwas...“ Azriel blickte sich unsicher um. Wieso zögerte sie denn?

„Es tut mir leid, Mirana...“ Zornig warf sie Feuerbälle auf den verfluchten Engel. Das konnte doch nicht ihr Ernst sein. Sie konnte sie doch nicht einfach so gehen lassen. Sie warf einen nach dem anderen so lange, bis Chattan es schaffte ihre Hände ruhig zu halten.

Immer noch brüllend versucht sie Magie zu wirken, doch sie war vollkommen ausgeschöpft. Sie hatte so starke Bälle erzeugt, dass alles um sie herum hoch in Flammen stand und langsam wieder herunter brannte. „Wieso tust du mir das an? Ich war deine Freundin. Wir haben gelacht und geredet. Wir haben trainiert und ich habe versucht dich zu retten. Wieso? Verdammt sag mir wieso!“

Azriel fiel vor ihr auf die Knie und umarmte sie. „Ich bin nur der Engel des Todes. Ich kann Leben nehmen, doch nicht mehr zurück geben. Ich schicke ihre Seelen auf eine neue, wunderschöne Reise. Aber ich kann sie nicht wieder zurück holen. Es tut mir leid.“ Ihr Blick war so ehrlich und schuldbewusst, dass Mirana nicht anders konnte, als sie ihrerseits in den Arm zu nehmen. „Ich dachte sie wäre du. Es tut mir so leid... Alles.“

Mirana nickte nur. Was sollte sie ansonsten tun? „Du warst der unbekannte Anrufer. Ich hätte es wissen müssen. Aber wieso wolltest du mich töten?“

„Ich habe das Gespräch falsch verstanden. Ich dachte, dass du und Thorik... und die Sache dass Chattan sich um ein Kind kümmert... das hat mich einfach fertig gemacht. Ich bin einfach los geflogen und wollte das dieser Schmerz aufhört. Ich wollte einfach nur endlich Frieden. Niemals mehr dieser Schmerz und immer dieser Streit... Ich kann das einfach nicht mehr. Es reicht langsam... Das alles muss ein Ende haben.“ Azriel löste sich von ihr und ging zu Thuriel und Rouge. Dort beugte sie sich über Rouge und küsste ihn sanft auf die Lippen. Sofort wurde er ruhig und blieb bewegungslos liegen. „Mehr kann man nicht mehr machen. Es tut mir leid.“

Mit Tränen in den Augen fiel sie auf die Knie und fing an zu beten. Sie betete zum Schöpfer, dass er sich gut um diese beiden unschuldigen Seelen kümmerte, die ihretwegen den Tod finden ahtten müssen. Mirana konnte nicht anders, als ihr dabei zuzusehen. Nach alle den Jahren, konnte der Engel, der verflucht worden war doch seinem Amt nach gehen und die Seelen zweier Menschen ruhig in das Reich der Toten über führen. „Wird es ihnen dort gut gehen?“ Mirana stellte die Frage nicht direkt zu jemanden, doch hoffte das ihr zumindest irgendjemand sagte, dass es ihnen bestimmt nicht schlechter gehen konnte. Chattan zog sie wieder an sich und raunte ihr ins Ohr, dass sie sicher ihren Platz nebeneinander gefunden hätten um dort weiter streiten zu können. Mirana wusste, das er es gut meinte, doch schaffte es nicht einmal zu einem falschen lächeln. Wie könnte sie an einem Tag wie diesem lächeln? Es fühlte sich einfach alles so falsch an.

„Komm. Du solltest etwas gehen. Das hilft.“ Thorik hielt ihr die Hand hin um ihr aufzuhelfen. Chattan war an ihrer Seite eingeschlafen und die Sonne war anscheinend schon seit Stunden untergegangen. Azriel saß immer noch vor den beiden Toten und betete in derselben Stellung.

Wo war nur die Zeit hin gegangen? Wie konnte sie sich weiter drehen, während andere litten?„Was sollte das schon helfen? Ändert es irgendetwas?“Thorik nahm einfach ihren Arm und zog sie auf.

„Natürlich ändert es nichts, doch wenn du dich nicht bewegst, dann teilst du dir bald mit deiner Schwester ein Grab und deine Tochter braucht dich. Und dein Mann ebenfalls.“

Tochter? Mann? Sie betrachtete den immer noch schlafenden Chattan, wie er da vollkommen unbequem an einer Hauswand lehnte. „Ja... Ich sollte etwas gehen. Wo ist Edana?“

„ Sie spielt mit Donnas Kindern. Ihr geht es gut. Vermutlich schläft sie schon tief.“ Thorik lächelte aufgesetzt und Mirana hasste es. Er versuchte sie an so einem Tag auf zu muntern.... Vermutlich war er sogar der einzige, der sich freuen konnte. Beathag hatte ihn zurück vom sicheren Tod geholt. Wieso konnte sie das nicht mit ihrer Schwester?

Tränen sammelten sich erneut und sie brach in Thoriks armen zusammen. „Das ist nicht fair. Das ist alles so verkehrt. Wieso? Ich habe sie doch erst wieder gefunden. Wir sollten doch endlich glücklich werden.“

Thorik strich ihr das Haar aus dem Gesicht und führte sie langsam um das Dorf herum, bis sie sich beruhigt hatte. Eigentlich wollte sie nicht ruhig werden. Niemals mehr. „Du hast doch Chattan und eure kleine Edana. Bist du damit etwa nicht glücklich?“

Mirana schüttelte den Kopf. Ja sie war glücklich mit den beiden, doch es war ihre Schwester... „Wir hatten schon immer eine schwierige Beziehung. Meine Mutter verbot mir immer sie zu treffen, da sie meinte, sie wäre nicht würdig eine Magierin zu sein. Sie hat öfters den Wunsch geäußert, dass sie Thuriel niemals geboren hätte. Ich fing an mich mehr für sie zu interessieren, da sie so anders war als alle anderen Magier. Ich liebte sie und traf mich heimlich mit ihr. Sie war so etwas... wie mein Sonnenschein, wenn Mutter wieder einmal mit mir geschimpft hat. Und das kam jeden Tag vor. Thuriel kam dann immer. Sie hatte immer Zeit für mich. Sie tätschelte meinen Kopf und meinte: >Du wirst sehen. Wenn wir groß sind, nehme ich dich an die Hand und wir laufen weg. Wir laufen so weit, bis uns die Magie ausgeht und genau dort, an diesem Ort an dem wir landen, dort werden wir uns hübsche Ehemänner suchen, die uns für Götter halten und uns jeden Wunsch erfüllen.<“

Thorik lachte darüber. „Also ist eurer beider Wunsch wahr geworden. Sie hat Rouge doch noch gefunden und du hast Chattan. Beides Männer, die an eurer Seite sterben möchten.“

„Deswegen ist Rouge nicht aufgewacht... Er hat ihren Tod selbst ohne Gefühle nicht ertragen und ist ihr gefolgt?“

Thorik nickte. „Ja, so wie seine Mutter. Sie ist ihrem Gefährten auch in den Tod gefolgt.“

Mirana griff nach einem Apfel, der vom Baum hing und biss hinein. Sein süßer Saft lief ihren Mund hinunter und füllte ihren leeren Magen etwas. „Das ist eine sehr schlechte Liebesgeschichte. Wird das mit Chattan und mir auch passieren? Wenn der eine stirbt, folgt ihm der andere?“Thorik nickte stumm.

„Werwandler sind nicht wirklich rational. Ja es gibt tausende von anderen Männern und Frauen die unser Leben versüßen könnten. Doch wenn wir den oder die Eine gefunden haben, dann geht es einfach nicht ohne. Natürlich wenn man neugeborene hat, dann klammert man sich an diesen kleinen letzten Funken, den man von seinem Gefährten hat. Aber sobald sie alt genug und eigenständig sind...“ Thorik ließ den Satz unausgesprochen, doch sie verstand auch so. Welch tragisches Schicksal hatte sie sich da erwählt?

„Woher weißt du das?“

„Mein Bruder. Er hatte eine Kindheitsfreundin, aus einem Rudel, das neben unserem friedlich lebte. Sie trafen sich oft und während des Spielens, einfach so, markierte er sie. Ihre Eltern erklärten ihnen was das bedeutet und sie sahen sich eine ganze Weile nicht mehr, da es ihnen beiden Angst machte. Als sie sich auf einem kleinen Fest wieder einmal trafen, war sofort der Funke da. Ich habe ihn noch angesprochen was los sei, doch er war wie hypnotisiert. Sie heirateten noch im selben Jahr und sie gebar seine ersten beiden Kinder. Danach bekam sie noch eines, doch sie verstarb bei der Geburt. Er folgte ihr vor drei Jahren, indem er sich selbst ertränkte. Meine Eltern baten mich für die Beerdigung heim zu kommen. Sie kümmern sich seitdem um die Kleinen.“

„Wieso binden sich Werwandler überhaupt, wenn es doch nur schmerzen verursacht?“

Thorik drehte ihr Kinn zu sich und sah ihr tief in die Augen. Wenn das jemand anderes getan hätte, würde er nun brennen. Doch Thorik vertraute sie. Sie sah zu ihm auf und er war ihr bester Freund hier. Sie könnte ihm niemals etwas tun. „Das einzige traurige was so eine Beziehung hat, ist das Ende das man findet. Doch dieses Ende, ist nichts im Vergleich dazu, was für ein Glück man die Jahre davor fühlt, oder?“ Mirana nickte. Ja vermutlich hatte er recht. Thuriel hatte wenigstens für kurze Zeit ihr Glück gefunden.

Die Schuld des gestürzten Engels

Mirana

 

Zwei Tage später, stand Mirana vor dem Grab ihrer Schwester und deren Gefährten, die gemeinsam in einem Grab, Seite an Seite ruhten. Da es keinen Priester gab, hatte sich Thorik bereit erklärt die Zeremonie abzuhalten. „Rouge, ist schon seit seiner Geburt ein Mitglied dieses Rudels gewesen. Ja, er hatte seine Eigenheiten und lebte lieber für sich selbst, doch war er da wenn man geistigen Rat brauchte, oder eine Beichte. Er führte immer Verständnis mit sich herum und tat sein bestes um ein sicheres Reich für uns, unter dem Dorf zu schaffen. Sein Leben lang hatte er nichts anderes im Sinn, als die Sicherheit des Rudels und eine Rückzugsmöglichkeit für jedes... einzelne... Mitglied.“ Thorik biss sich für eine Sekunde auf die Lippe, als müsse er sich zwingen weiter zu reden.

Beathag, der mittlerweile goldene Engel, legte ihm eine Hand auf den Unterarm und schien ihm neue Kraft zu schenken. „Und neben ihm ruht seine Gefährtin, der er in den Tod gefolgt ist. Thuriel. Eine verstoßene und sehr falsch verstandene Magierin. Nein, eine mächtige Hexenmeisterin. Sie war eine Freundin, für diejenigen die sie gebraucht haben. Eine Tochter, die geliebt wurde und eine Schwester, die vermisst wird. Sie war nur sehr kurz ein Mitglied dieses Rudel und das bereue ich zu tiefst. Sie war das beste, dass einem so einzigartigen Werwandler wie Rouge passieren konnte. Und ergänze das Rudel auf ihre eigene Art und weiße.“

Mirana war die erste die voran ging, um etwas Asche auf den Sarg zu streuen. Danach kam Thuriels Vater, der Vampir, gefolgt vom Rest. Selbst Beathag sprach tröstende Worte über die beiden Ruhenden aus. Gerade als sich die Werwandler langsam verabschiedeten und zwei Werwandler, die sich freiwillig gemeldet hatten, anfingen die Gräber zu, zu schaufeln, erklang ein grunzendes Lachen.

Wie eine Einheit, verwandelten sich die Werwandler teils in Halbwesen, teils in ihre Tiere und knurrten bedrohlich den dunklen Schatten an, der sich über dem Wald erhob. Gemächlich landete der große blaue Drache und besah sich amüsiert die Gräber. „Wie jämmerlich. So verzweifelt können auch nur menschliche Wesen sein. Jemandem verstorbenen auf diese Weise nachzutrauern. Und dann auch noch deren Mörder einfach so aufzunehmen, als wäre es selbst verständlich.“

Beathag wollte vor treten und den Drachen anschreien, doch Thorik hielt sie auf. Er beschützte sie obwohl er gegen einen Drachen nicht das geringste ausrichten könnte. Etwas zog sich schmerzhaft um ihr Herz und sie griff an die blaue Halskette mit den Saphiren, die sie als Andenken an Thuriel behalten hatte. Selbst jetzt fühlte sie den Dämon unruhig in der Kette hin und her schwingen.

„Verschwinde Luzifer.“ Mirana stand ihm beinahe am nächsten und jeder blickte sie verwirrt an. Der Drache selbst schien überrascht zu sein, doch setzte ein überaus belustigtes Lächeln auf.

„Die kleine Magierin spricht? Wie niedlich. Aber du standest schon immer auf Azriels Seite. Kein Wunder, dass sie es selbst jetzt schafft dich zu manipulieren. Immerhin bist du ihr schutzlos...“

„Du bist schuld!“ Schrie sie plötzlich, überrascht über sich selbst.

„Was? Ich war nicht einmal hier.“ Er schnaufte abweisend.

„Du bist an allem Schuld! Verschwinde. Verschwinde von dieser Erde. Verschwinde und dreh dich niemals mehr um. Du bist vielleicht der Morgenstern und für andere das schönste Geschöpf, das jemals erschaffen worden ist. Aber Schönheit bringt Hässlichkeit immer mit sich. Sieh dich um! Das ist ein Tag der Trauer. Wir trauern und das ist deine Schuld! Seit du deinen eigenen kleinen Krieg begonnen hast, seitdem gibt es nichts das es Wert wäre zu leben. Du bist... du bist Abschaum. Du bist kein Engel. Du bist der Teufel in Person!"

Mit aller Kraft ließ sie eine Energiewelle über die Beine des Drachen gehen und er verlor den Halt. Der Länge nach schlug er auf den Boden auf. Die Werwandler reagierten sofort um sich auf den gestürzten Drachen zu stürzen und bissen sich in dessen Seiten fest. Sogar Thorik lief gegen den Protest von Beathag los und verbiss sich in der Kehle des viel zu großen Drachen. Sie schafften es ihm einige Schuppen heraus zu ziehen, doch das war nichts, dass ihm ernsthaften Schaden zu fügte.

Als er sich erhob und die lästigen Werwandler abschüttelten, die knurrend nach seinen Beinen fassten, blickte er Mirana so hasserfüllt an, dass sie wusste, jetzt war es vorbei. Der Drache würde sie sich holen kommen.

Aber nicht kampflos! Nahm sie sich vor und sammelte abermals Energie, die sie als elektrische Blitze auf den Drachen niederfahren ließ. Knurrend blies er seinen Bauch auf und sein Hals leuchtete bedrohlich auf.

„Lauft weeeg!“ Sofort liefen alle Werwandler weg und eine Hitzewelle glitt über die verbliebenen hinweg. Der Geruch von verbrannten Fleisch lag in der Luft, doch niemand schien darauf zu achten. Nicht einmal die betroffenen Werwandler. Sie warfen sich abermals auf den Drachen und Thuriel ließ die nächsten Blitzte auf den so gut wie toten Drachen niederfahren. Luzifer schüttelte die Werwandler von seinem Rücken und sie flogen in alle Himmelsrichtungen. Die fliegenden Werwandler, die jemanden Abfangen konnten, fingen betroffene Werwandler, so gut es ging ab und federten deren Sturz. Leider konnten sie nicht alle erwischen und viele Schlugen unnatürlich auf.

Mit Tränen in den Augen, griff sich Mirana an die Halskette, die nervös an ihrem Hals herum wackelte, als würde sie auf sich aufmerksam machen wollen. Sie griff nach der dunklen Energie an ihrem Hals und benutzte diese um noch kräftigere Blitze zu erschaffen. Ein plötzlicher Schmerz zuckte durch ihre linke Körperhälfte und sie wurde durch die Luft geschleudert. Starke Arme fingen sie auf, bevor sie sich das Genick an einem Baum brechen konnte.

Freudig blickte sie auf, in die strahlenden blauen Augen von Chattan, doch ihr stockte der Atem bei seinem Gesichtsausdruck. Seine bereits gelben Augen leuchteten bedrohlich und voller Hass. Er wollte den Drachen genauso tot sehen, wie sie selbst. Das machte ihr Mut. Sie griff abermals an die Kette um ihren Hals und ballte Energie in ihren Händen. Mit ihrem Willen formte sie einen elektrischen Bogen, mit dem sie kräftige Blitze abfeuern konnte, während Chattan sie sicher in seinen Armen trug.

Grüne Pfeile trafen den Drachen im Gesicht und brachten ihn dazu das Feuer auszulöschen. Brüllend schnappte er sich eine Handvoll Werwandler und warf sie fort, sodass zumindest eines seiner Beine wieder frei wurde. „Hört auf! Ihr wisst nicht was ihr tut!“Beathag stellte sich vor den Drachen und alle Werwandler wichen verwirrt zurück. Der Drache verwandelte sich in einen gutaussehenden Mann und lächelte spöttisch.

„Das ist mein Engel. Sie weiß wo ihr Platz ist.“ Zärtlich strich er ihr mit einer Hand durchs Haar und sog demonstrativ ihren Duft ein. In seinem Blick lag kein Fünkchen Liebe. Das konnte Mirana sogar von der anderen Seite des Friedhofes erkennen, während ihr Mann sie vorsichtig wieder auf dem Boden absetzte. Thorik lief trampelnd an ihr vorbei, direkt auf den besessenen Drachen zu. Kurz vor ihm blieb er stehen, stellte sich auf seine Hinterbeine und brüllte zornig. Jeder konnte verstehen was er sagte, selbst Mirana musste dafür nicht einmal genau zuhören. „Sie ist mein!“

Lachend trat der Drache einige Schritte auf ihn zu und schien ihn verhöhnen zu wollen. „Sie ist dein? Sie ist ein Engel und gehört alleine dem mächtigen Schöpfer. Sie ist mir versprochen und das schon seit tausenden von...“

„Ihn nehme es zurück.“Jeder blickte sie überrascht an.

„Was?“ Mirana blickte Chattan genauso irritiert an, wie er sie.

„Ich gehöre nicht länger dir. Ich gebe dich los. Luzifer, Morgenstern und schönster Engel, den ich jemals zuvor gesehen habe. Ich habe es schon lange bemerkt, doch niemals verstanden. Ich Liebe dich nicht. Ich Liebe nur deine Macht, dein Aussehen und deine Ausstrahlung. Nein, das ist auch falsch. Ich bewundere sie lediglich. Aber es ist nun genug. Sieh her.“

Sie schob ihr langes Haar etwas zur Seite und zeigte ihm das Mal, dass immer noch an ihrer Schulter weilte, obwohl sie bereits wieder ein Engel ist. „Ich gehöre Thorik, demE Eisbärenwerwandler und zudem Alpha des WhiteForest Clans schon seit ich meinen ersten Atemzug in diesem Leben gegeben habe.“

Plötzlich wandte sie sich ab und stellte sich neben den Eisbärenwerwandler. Sie griff in sein weiches Fell und kuschelte sich an ihn. „Ich gehöre alleine dir. Egal was kommt.“

Der Werwandler blickte so liebevoll zu ihr hinab, dass Mirana ganz warm ums Herz wurde. Thorik hatte recht. Der leidvolle Abschied von einem Gefährten, war nur ein kleiner Preis für das Glück das man Jahrelang empfinden durfte, an dessen Seite. Thorik verwandelte sich in einen Menschen zurück und küsste sie so leidenschaftlich, dass man die Zornesröte in Luzifers Gesicht aufscheinen sehen konnte.

 

 

Beathag

 

Nur unwillentlich löste sie sich von ihrem Werwandler und überkreuzte ihre Finger mit seinen. Egal wie viele Leben sie nun noch Leben muss, sie wusste sie hatte die richtige Entscheidung getroffen. Eine Wasserlacke neben ihr lächelte ihr aus schwarzen Augen zu und sie lächelte ihrem ersten >Ich< zurück. Sie hatte sich entschieden. „Dann gebe ich dir nun das, was du brauchst um in Frieden leben zu können.“ Murmelte Thorik und fiel vor ihr auf die Knie.

Mit ausgestreckten Armen, die er ihr erwartungsvoll hin hielt, erkannte sie die Zeichen ihrer Schwerter in seinen Handflächen. „Excidio und Internecio! Ich, als Engel der reinsten Abstammung. Befehle euch, mir euer wahres Gesicht zu zeigen und an meiner Seite zu kämpfen!“ Die Male an seinen Handinnenflächen leuchteten auf und sie griff nach den Griffen die darin erschienen. Nur widerwillig zog sie, sie heraus, da es Thorik sichtlich Schmerzen verursachte, doch er gab keinen Laut von sich. Wieso sich die beiden Schwerter ausgerechnet in Thoriks Fleisch gebrannt hatten, verstand sie zwar nicht ganz, doch vertraute sie darauf, dass die beiden schon wussten was sie da taten.

Sie besah sich die Griffe, die wie Bärentatzen geformt waren und nun auch mit diesem Ende gefährlicher Kratzer verursachen konnten. Lächelnd zog sie nun auch die Klingen heraus und betrachtete ihre Schwerter voller Liebe, die wie eine Armverlängerung vor ihr Aufragten. Sie musste sich selbst eingestehen, dass sie die schönsten Waffen waren, die sie jemals zuvor gesehen hatte.

„Azriel! Denk daran was du tust! Ich habe mich all die Jahre um dich gekümmert und dich vor diesen dummen Menschen beschützt!“

Beschützt? „Du hast vieles getan. Du hast mich immer daran erinnert wer ich bin. Wo ich hin gehöre. Du hast mir deine Gedanken und deinen Wahnsinn eingeredet Du wolltest das ich so werde wie du. Dies alles hier zerstöre. Aber das kann ich nicht. Ich bin das nicht. Ich habe hier jemanden der mich liebt. Ich habe wegen dir zwei unschuldige Seelen getötet. Aber das bin ich nicht.... Ich bin Azriel. Der Engel des Todes!“ Mit einem kräftigen Stoß wirbelte Bea herum und ritzte ihm über den Oberarm, als er dem ursprünglich tödlichen Stoß auswich.

Sie setzte ihm nach und ließ ihre beiden Teufelsklingen nach ihm schnappen. Er war schnell und geschickt, als er durch den Wald setzte und Azriel ihre Klingen hier etwas verkürzter einsetzten musste. Wenn Luzifer fliehen wollte, dann musste er sich verwandeln und weg fliegen. Doch dafür musste er stehen bleiben und sich verwandeln, was Zeit kostete. Jedoch war ein zorniger Engel und ein Dorf voller Werwandler hinter ihm her. Er hatte keine Chance, wenn er stehen blieb.

Plötzlich sprang ein gewaltiger Bär an ihr vorbei und verbiss sich im Arm des flügellosen Engels. Fluchend fielen sie übereinander, doch Luzifer schleuderte ihn mit einem Hieb gegen einen Baum. Er stand auf und wirkte leicht betäubt. Von Zorn übernommen, schoss sie auf den am Boden liegenden gefallenen Engel zu und rammte ihm ihr Schwert in das Knie. Mit einem lauten Aufschrei blickte er entsetzt zu ihr hoch.

Lucifer konnte es nicht fassen. Sie stellte sich tatsächlich gegen ihn.

Selbst sie konnte es nicht verstehen. Wieso war sie eine so lange Zeit bei ihm geblieben, hatte ihn geliebt, auch wenn er ihr unermessliche Qualen zugefügt hat? Wieso war sie nicht geblieben und hatte an der Seite des einzigen Mannes gekämpft, der ihr tatsächlich etwas bedeutete? Den sie nicht nur bewunderte, wegen seiner strahlenden Schönheit, sondern weil er stark war, liebenswert und zärtlich. Niemals würde Thorik eine Hand gegen sie erheben. „Das ist für meinen Mann!“ Schrie ist dem immer hässlicher werdenden Engel zu und stieß ihr zweites Schwert in seinen Unterleib.

Beathag, nein sie war wieder Azriel der Engel des Todes. Und genau diesen brachte sie nun dort hin wo er hin gehörte. Azriel beobachtete wie sich die Haut vom Körper des falschen Drachen lösten. „Das ist für meine hunderten Familien die du bedroht und ausgelöscht hast!“ Brüllte sie wieder, zog das Schwert aus seine Magen und rammte es in sein Brustkorb. Selbst diese Wunde würde ihn nicht töten, das wusste sie und genoss es.

„Und das ist für all die, die du geknechtet und getötet hast. Das ist für deine Eifersucht und deinen Wahnsinn. Du sollst im Namen aller Engel die gerechte Strafe erhalten die du auch verdienst!“ Als sie das dritte mal das Schwert hob, fühlte sie eine Wärme auf ihrer Haut die sie beinahe zum Lächeln brachte. Die schwere und reine Energie der Engel erstrahlte von oben auf sie herab und schien sie anzufeuern. Sie warteten bereits. Die Engel waren bereit Luzifer Morgenstern das zu geben was er auch verdiente.

„Aaaah!“ Azriel stieß, mit einem lauten Aufschrei des Zornes, die Klinge direkt in sein Herz und zerteilte es in einer flüssigen Bewegung. Schmerz zog nun ebenfalls durch ihr Herz und sie blickte an sich herab. Ihr Brustkorb war gespalten, so wie der von Luzifer. Ein unsagbarer Schmerz erfüllte ihren Körper, doch sie empfand keine Reue. Im Gegenteil. Zum ersten Mal seit tausenden von Jahren... empfand sie Glück und Liebe.

Starke Arme fingen sie auf, als sie rückwärts fiel. Doch es waren nicht die Arme von Thorik. Das wusste sie sofort. Sie fühlte die Vertrautheit in ihr aufkommen, die sie schon immer empfunden hatte. Bereits vor ihrer Straftat, hatte sie ihn geliebt. Jetzt wusste sie dies auch. „Abaddon.“ Flüsterte sie mit ihrem letzten Atemzug. Dann wurde alles schwarz.

Wahre Liebe

Thorik

 

Thorik war der erste, der aus seiner Starre erwachte, doch wagte es nicht näher an den wunderschönen Engel heran zu treten. Das golden weise Haar, der seltsam strahlende Farbton seiner Haut, die unzähligen Zeichen, die wie eine Kleidung um dessen Körper ragte und der stechende Blick mit den tausenden von Sternen darin, machten ihm angst. Nein er war nicht ängstlich, immerhin hatte er nichts von einem Engel zu befürchten, insofern er ihn nicht unüberlegt angriff.

Nein, er war ehrfürchtig. Ehrfürchtig einem solchen mächtigen Wesen gegenüber zu stehen. Er nahm überhaupt nicht wahr, wie sich seine Familie, sein ganzes Rudel hinter ihm versammelte. Lediglich der traurige Aufschrei von Mirana erklang in der Ferne. Sie trug Edana im Arm und verschränkte seine Finger mit deren ihrer. Nur am Rande nahm er ihre Tränen wahr, oder das sie ihm seine eigenen aus dem Gesicht wischte. Er konnte einfach nicht anders und das tote zerbrechliche Wesen im Arm des Engels anzusehen.

„Thorik... sag doch etwas.“ Schrie ihn Mirana beinahe an. Er schüttelte lediglich den Kopf und seine Beine gaben nach. Sie war fort. Aber was hatte er denn erwartet? Es war doch vorherbestimmt, dass sie zurück gehen würde, sobald sie den Morgenstern getötet hätte. Nun hat sie es getan und durfte an ihren rechtmäßigen Platz im Himmel zurück.

„Das stimmt alles nicht... Thuriel und Rouge.... sie sagten...“ Seine Stimme brach und er dachte daran zurück was die beiden gesehen hatten.

„Was hat meine Schwester gesagt, Thorik.“ Er schüttelte wieder den Kopf.

„Das ist einfach alles nicht wahr. Es passt nicht. Thuriel und Rouge sollten leben. Sie sollten einen Sohn haben. Edana hat ihnen das gesagt.“

Mirana betrachtete das kleine quengelnde Wesen in ihrem Arm. „Edana... hat das gesagt?“ Wiederholte sie fragend.

„Edana erschien Thuriel und Rouge aus der Zukunft. Sie zeigte ihnen einen Teil davon und wollte... wollte sie warnen, dass sie sich früher zusammen raufen mussten. Sie waren so gleich die beiden. Sie... sie sind tot. Es kann nicht mehr eintreten. Thuriels Sohn sollte der Gefährte von Edana werden und ihre Macht sollte zusammen unbesiegbar sein. Sie sollten uns beschützen vor... einem Gott.“ Mirana verstand überhaupt nichts, sondern versuchte die unruhige Edana zu halten. Anscheinend hatte sie Angst.

„Schätzchen, es ist alles gut. Edana, meine süße. Beruhige dich.“ Doch egal wie gut sie auf den kleinen Drachen einsprach, sie wandte sich aus ihren Armen und kam taumelnd auf dem Boden auf. Sofort tappte sie zu Thorik und stieß ihn am Arm an.

„Edana... was ist passiert...“ Fragte er, doch wusste dass er von dem Babydrachen noch keine Antwort zu erwarten hatte. Wieso hatte sich ihre Vorhersage nicht erfüllt? Was ist nur falsch gelaufen?

„Bist du der Werwandler, den meine Schwester Thorik nennt.“ Nennt. Das ist doch die Gegenwartsform.

„Ja... das bin ich.“

„Ich bin derjenige den die MenschenAbaddon nennt. Ihr Zwillingsbruder.“

„Abaddon... der Abgrund.“ Er nickte, als Mirana ihn so nannte.

„Wer ist diese Edana über die ihr sprecht, Menschen?“ Mirana legte eine Hand auf die roten Schuppen des kleinen Drachens, der bei seinem Namen aufhorchte. Erst jetzt fiel Thorik auf, dass Azriel überhaupt nicht mehr da war. Sie war nach Hause zurück gekehrt.

„Sie ist meine Tochter. Edana ist der erste Drache seit deren Ausrottung. Sie ist eine Königin unter ihrer Art.“ Der Engel kam leichtfüßig auf sie zu. Die Blätter unter seinen Fußsohlen verdorrten und die Blumen so wie das Gras blühte freudig auf. Überhaupt schien die ganze Erde um ihn herum, alleine durch seine Anwesenheit mehr Energie zu bekommen. Die reine Energie eines Engels.

„Sie soll in die Zukunft sehen können, meint ihr?“ Fragte er und ging vor dem kleinen Wesen auf die Knie. Mirana wollte nach Edana greifen, doch die kleine entwand sich ihrem Griff und lief zu dem Engel. Sie konnte wohl genauso wie alle anderen fühlen, dass keine Gefahr von diesem drohte. Neugierig schnüffelte sie an seiner Hand und stieß ihn sanft hinein. Beinahe auffordernd.

„Sie kann nicht direkt in die Zukunft sehen. Sie hat lediglich einen Zeitsprung gemacht und aus der Zukunft der Schwester ihrer Mutter mitgeteilt, dass eine Gefahr auf uns zu kommt.“

Beinahe fasziniert von dem Wesen, stieß er mit dem Finger sanft gegen ihre Nase und sie zog mit ihren Nüstern scharf die Luft ein, als wollte sie seinen Geruch abspeichern.„Ein sehr... interessantes Wesen. Sie ist so rein und... stark.“ Die Augen des Engels waren wie gebannt von dem kleinen Wesen und Mirana schluckte schwer. Anscheinend wusste sie nicht recht was sie tun sollte. Einerseits wollte sie ihr Kind beschützen, doch wieso sollte sie es auch vor einem Engel beschützen müssen? Das war absurd.

„Kann ich sie anfassen?“ Fragte er, doch wartete nicht erst auf eine Antwort. In den Armen des Engels verwandelte sich der kleine Drache in ein Menschenbaby und gluckste vor Freude. „Was... habe ich falsch gemacht?“ Fragte er beinahe ängstlich. Mirana musste unwillkürlich lächeln. Thorik ebenso. Normalerweise sollte man denken dass Engel allwissend sind, doch dieser schien beinahe Angst vor einem Baby zu haben.

„Edana ist ein Baby. Sie kann noch nichts tun. Sie wird einmal eine Königin sein, von tausenden von Drachen. Eine Urmutter einer ganz besonderen Art.“ Wiederholte sie das was sie aus den Büchern erfahren hate. 

Abaddon wiegte sanft das klein Wesen hin und her und ein Lächeln zauberte sich auch auf seine Lippen. „Sie ist wunderschön. Passt gut auf dieses Wesen auf. Und nun...“ Er reichte Mirana ihr Baby zurück, das ganz und gar nicht begeistert davon war. „... zu eurer Frage. Edana hat die Vergangenheit alleine dadurch geändert, dass sie jemanden einen Blick in die Zukunft gestattet hat. Dadurch hat sie den Zeitfluss einen Knick verpasst der einen Teil der Zukunft verändert hat. Dies war unausweichlich. Vermutlich wusste sie es nicht besser. Wir Engel mischen uns auch deshalb nicht ein. Auch wenn wir Einfluss auf manche Dinge nehmen können, so könnten wir durch eine unbedachte Tat die ganze Welt auslöschen. Edana meinte es zweifellos nicht böse, doch das spielt nun keine Rolle mehr. Die Vergangenheit kann man nicht ändern, nicht ohne sein Leben in der Zukunft zu riskieren.“

Thorik nickte stumm. „Deshalb kommt Azriel auch nicht zurück, oder... Niemals wird unsere gemeinsame Zukunft...“ Er konnte nicht weiter sprechen, denn ein harter Kloß sammelte sich in seinem Hals. Das war ein Albtraum. Ein Albtraum aus dem er unbedingt erwachen wollte.

„Eine gemeinsame Zukunft. Genau das ist es was sich Azriel gewünscht hat. Ich verstehe es nicht... doch sie ist mir das wichtigste Wesen in unserer Welt. Daher möchte ich euch zumindest diesen einen Wunsch erfüllen. Sofern ihr mir versprecht... dieses Wesen auf einen reinen Pfad zu lenken.“ Sein Blick flog wieder zu Edana. Thorik wusste nicht genau was der Engel in Edana sah, doch wenn es ihm half seine Azriel wieder zu bekommen, würde er alles tun.

„Natürlich tun wir das. Sie hat weit mehr verdient, als das wir ihr bieten könnten, doch wir werden alles tun was in unserer Macht steht.“ Versprach Mirana, da Thorik keine Worte fand.

„Jedoch, muss ich ihr derweilen ihrer Kräfte entsagen. Sie wird nicht wissen wer sie ist, noch wer ihr alle seid. Keine Sorge ihr Leben wird an deines gebunden sein. Sobald du stirbst, erhält sie alles zurück und kann an ihren rechtmäßigen Platz zurückkehren. Sofern sie dies ebenfalls wünscht.“ Thorik nickte und konnte sein Glück nicht fassen. Zwar musste er sie wieder von vorne für sich gewinnen, doch dies war ihm egal. Alleine dass sie wieder hier war zählte für ihn und im Angesicht des letzten Jahres, sollte dies wohl ein Klacks sein.

Der Engel schloss für eine geschlagene Minute die Augen, in dieser Thorik von Zweifeln gepackt wurde. Azriel ist ein Engel. Ein mystisches Wesen, dass auf dem Thron neben dem heiligen Schöpfer selbst saß. Was konnte er ihr hier schon bieten? Ein Leben in einem Dorf, mitten in einem Wald. Wer würde dies in ihrer Position schon wollen? Traurig schloss er die Augen und betete. Betete für den wunderschönen Engel, dessen Anblick er niemals wieder ertragen könnte, wenn sie sich gegen ihn entschieden würde. Selbst den Tod würde er fürchten... der Tod, das einzige was sie trennte. Wenn er vielleicht...

„Zweifle nicht. Sagt sie. Und ja, sie wird heute Nacht wieder kommen. Haltet euch bereit. Sie wird nicht wissen wer sie ist und was sie hier tut.“ Thorik horchte auf. Er solle nicht zweifeln. Wie sollte er nicht? Ein Engel konnte sich doch nicht in ein halb menschliches Wesen verlieben, oder? Jedoch ein Engel der Menschen und Anderwesen genauso gut kannte wie die Engel, zu deren Seite sie ihren Sitzt hatte. Sie würde wieder kommen. Das wusste er plötzlich.

„Beathag... wird sie heißen. Sie soll wieder in unserer Mitte den Platz bekommen, den sie bereits hatte.“ Einstimmiges knurren ertönte hinter ihm und erst jetzt bemerkte er, dass sein gesamtes Rudel wie ein riesiger Schatten hinter ihm stand. Sie würden immer hinter ihm stehen. Egal was er tat. Egal für wen er sich entschied. Mit einem stolzen Gebrüll stimmte er auf das Knurren seiner Familie ein und alle Vögel der Umgebung flogen auf. Niemand außer die Zeit selbst, konnte sie ihm nun noch nehmen.

 

Die Stunden verstrichen und Thorik saß aufrecht in seinem Bett. Er wartete und wartete, dass sie endlich auftauchte. Selbst als der Morgen bereits dämmerte, sah er zum gefühlten hundertsten mal aus dem Fenster und seine Gedanken wurden immer trüber. Was wäre, wenn sie doch nicht gekommen ist. Vielleicht hatte sie ihn bereits vergessen und lebte nun ihr glückliches Leben unter den Engeln? Schwebte auf ihren Wolken herum und genoss die Musik der Harfen. Zumindest stellte er es sich so vor.

Mit einem ungeduldigen knurren, verließ er sein Haus. Vielleicht hatte sie sich ja in den Wäldern verlaufen, immerhin wusste sie nicht mehr wer sie ist. Falls sie gekommen ist. Es dauerte über eine Stunde, in der er im Kreis lief und seine Bahnen um das Dorf immer großflächiger zog. Irgendwann, als die Sonne bereits deutlich am Himmel stand, gab er auf. Sein Schicksal war dahin. Vielleicht hätte er bereits früher mit seiner Suche beginnen sollen? Vielleicht...

Nein! So etwas durfte er nicht denken. Azriel selbst hat gesagt, er solle nicht zweifeln. Trotzdem... er konnte verstehen, dass sie nach tausenden von Jahren und hunderten von verschiedenen Leben endlich wieder zuhause angekommen, auch eine weile dort bleiben möchte. „Entschuldigen Sie.“ Thorik seufzte schwer und wandte sich um. Niemand war hier. Hatte er sich das eingebildet?

Jetzt spielten ihm sogar seine Sinne streiche. Mit schweren Schritten ging er zu dem kleinen See, der mitten im Wald still vor sich hin trieb und dachte an das erste Mal zurück, als er Beathang getroffen hatte. Nicht die Azriel die er heute liebte, sondern das kleine Mädchen, das voller Blut versucht hat alles abzuwaschen, damit niemand Wind davon bekam wie sehr ihr Rudelführer sie misshandelte. Trotz ihres schwachen Körpers damals, besaß sie einen eisernen Willen. Das hatte ihn bereits damals fasziniert.

Traurig blickte er in den See und dachte an das viele rot, das ihn damals durchzogen hatte. Die schwarzen Flügel, die damals völlig verdreckt und verkrustetet am Boden geschleift hatten. Der dunkle Blick, eines gebrochenen Kindes, das trotz allem versuchte glücklich zu sein. Über die Jahre waren seine stillen Beobachtungen zur Gewohnheit geworden. Er wollte sie lediglich beschützen, für den Fall, dass noch einmal jemand die Hand gegen sie erheben sollte, doch aus seinem Beschützerinstinkt ist eine immer größer werdende Anziehung entstanden. Seine Gefühle sind sogar so weit gegangen, dass sie für ihn das wichtigste auf der Welt wurde. Der dreh und Angelpunkt seines Lebens. Seine große Liebe. Und nun war sie fort.

Bittere Tränen liefen seine Wangen hinab und Thoriks Beine gaben nach. Er bemerkte überhaupt nicht, wie seine Knie im Wasser des Sees landeten und seine Hose vollkommen durchnässte. Sollte er doch einfach ertrinken, dann würde er wieder bei ihr sein. Der Engel des Todes, seine einzige Liebe würde ihn holen kommen und er würde für immer an ihrer Seite sein können. „Heißt es nicht... bis dass der Tod uns scheidet? Bei uns ist es wohl eher umgekehrt... meine Liebe.“ Flüsterte er zu sich selbst.

Eine Alge, die sich um seine Arme schlängelte, riss ihn aus seiner Trauer. Verwirrt betrachtete er die schwarze Wasserpflanze und zog seine Arme aus dem Wasser. Verwirrt beobachtete wie sie sich spaltete. „Was zur...“

Regel Nummer eins: Ihr werdet ihr niemals sagen, wer sie wirklich ist. Ertönte es in seinem Kopf, während sein Blick den immer mehr werdende Haare folgte.

Regel Nummer zwei: Sie hat ihre Erinnerungen und ihre Kräfte mit einem Siegel blockiert, daher ist sie wie ein Mensch.

Plötzlich tauchte unter dem schwarz an Haaren ein Gesicht auf.

Regel Nummer drei: Ihr Leben hier auf der Erde ist lediglich an dein eigenes Leben gebunden, Alpha des WhitForest Clans.

Thorik griff wieder ins Wasser und blickte für einige Sekunden in die dunklen Augen von Beathag. Sie ist es tatsächlich! Schoss es ihn durch den Kopf. Sofort zog er ihr Gesicht aus dem Wasser und ihre Lungen füllten sich mit Luft.

Regel Nummer vier: Sie kann sich lediglich innerhalb des Tales bewegen. Meine Schwester ist unwiderruflich mit dem Dorf verbunden.

Die Stimme löste sich aus seinem Kopf, als Beathag einen gequälten Schrei ausstieß. Wieso war jetzt diese Stimme weg? Gerade wo er so vieles Fragen konnte. Wieso war sie wieder vollkommen dunkel? Wieso besaß sie keine Kräfte? Wie sollte er sie beschützen, wenn sie ihn nicht kannte?

So viele Fragen, doch diese wurden bedeutungslos, als sie ihn vollkommen durchnässt und ängstlich an blickte. Ihre nassen hüftlangen Haare klebten an ihrem Körper und Thorik kämpfte mit sich selbst ob er ihren wunderschönen Körper weiter anstarren sollte, oder ihn um ihretwillen bedecken. Beides kam ihm falsch vor.

„B... Beathag?“ Fragte er vorsichtig. Beathag hob unsicher die Schultern. Natürlich sie erinnert sich ja nicht an ihren Namen.

„Wo... bin ich?“ Fragte sie mit dieser ängstlichen Stimme die er schon immer gehasst hatte. Sie hatte ihn so lange gefürchtet, ohne Grund. Niemals wieder sollte sie ihn fürchten. Dafür würde er sorgen. Er packte ihren Arm und zog sie aus dem Wasser. Sofort zog er seine Jacke aus, die zwar an den Ärmeln nass war, doch das war ihm gerade eben egal. Er würde in Zukunft alles mit ihr teilen.

„Schon gut, mein Liebling. Ich kümmere mich um dich.“ Schwor er ihr und trocknete sie mit seinem Hemd ab, bevor er ihr die Herbstjacke umhängte. Sie sah ihm verwirrt dabei zu und folgte jedem seiner Handgriffe. „Ich bin Thorik, dein Rudelführer. Ich bin hier um dich zu beschützen. Für immer.“ Den letzten Satz sagte er, während er ihr tief in die Augen sah. Er konnte ihren Zwiespalt in den Augen genau erkennen, das brachte ihn zum Lächeln.

„Wer bin ich?“ Fragte sie mit zitternder Stimme. Wie gern würde er sagen, dass sie seine große und einzige Liebe ist. Sein Herz und sein Leben besaß. Doch das alles würde sie erst in ein paar Wochen, Monaten oder Jahren erfahren. Je nachdem wie viel Zeit sie brauchte. Er würde sie ihr geben. Thorik lehnte sich vor und legte seine erhitzte Stirn gegen ihre beinahe unterkühlte. Sie musste unheimlich frieren und doch stand sie da und blickte ihm stur in die Augen.

„Du bist Beathag. Du bist mein Rudelmitglied und ich bin für deinen Schutz und dein Leben verantwortlich.“

Beathag ging einen halben Schritt zurück und betrachtete sich selbst. „Mein Schutz... Leben...“ ihre Stimme klang beinahe fragend, während sie die Worte wiederholte. „Dann bist du kein guter Rudelführer.“ Bemerkte sie schlau.Thorik konnte nicht fassen was sie sagte. Gut, sie konnte nur nach dem Schlussfolgern was sie gerade sah und er hatte sie gerade aus einem See gezogen.

Laut lachend zog er sie in eine Umarmung und gab ihr einen Kuss auf den Scheitel. Es tat gut sie wieder im Arm zu halten und zu wissen dass er sie nun nicht wieder so schnell verlieren würde. „Nein, Beathag... da hast du wohl recht. Ich bin vermutlich der schlechteste Mann auf der Welt.“ Wie ihre gemeinsame Zukunft nun weiter gehen würde, wusste er noch nicht. Natürlich würde sie Fragen haben zu ihrer Vergangenheit, oder was sie in einem See zu suchen hatte, doch das würde sich mit der Zeit ergeben. Thorik glaubte daran. Chattan, seine Gefährtin Mirana und alle anderen in seinem Rudel würden ihr helfen und er konnte langsam das Vertrauen von ihr zu sich wieder aufbauen. Ab nun würde er alles tun, was er nur konnte, damit sie glücklich ist.

 

- -Ende der 3-Teiligen Reihe- - 

Zusatzkapitel: Edana

„Und was denkst du wird deine Mutter dazu sagen?“

Der Junge mit der Mütze lachte spöttisch. „Denkst du sie kümmert es wenn ich ein oder zwei Bier mit dir trinke? Außerdem hat sie mir nichts zu sagen. Sie ist verrückt. Vergessen?“

Seufzend verdrehte ich die Augen und wandte meine Aufmerksamkeit den nächsten Lokalbesuchern zu. Dort ging es auch nicht besser zu. Aber was erwartete ich denn auch von Kinder die nicht einmal sechzehn sind?

„Hi, Süße. Kann ich dir...“ Ich betrachtete den Jungen neben mir und unterbrach ihn einfach.

„Geh wieder weg. Ich muss recherchieren und das geht nicht wenn du mich voll laberst.“ Ich verließ meinen Stammplatz der Bar und stellte mich in eine Ecke, in der ich nicht so herausstach. Ich verstand ja dass sich Jugendliche heutzutage von gefährlichen und außergewöhnlichen Leuten angezogen fühlen, doch mich nervte es nur. Ich stellte mir meine Abende wesentlich interessanter vor, als von früh bis spät drei verschiedenen Bars ab zu klappern und mir jeden Jungen genau an zu sehen. Ich wollte >ihn< finden. Ich musste >ihn< finden. Wenn ich ihn nicht fand, werde ich niemals normal sein.

Einige Stunden später, als alle schon wieder nach Hause gingen machte ich mich ebenfalls auf den Weg um nach Hause zurück zu kehren. Doch was ist schon ein >zu Hause<? Ist es der Ort den du liebst? Ist es der Ort an den du deine schönsten Momente verbracht hast? Oder ist es der Ort an dem du dich zurückziehen kannst, wo dich niemand stört und du einfach du selbst sein kannst, so wie du willst? Schniefend wischte ich eine Träne aus meinen Augenwinkel und schwor mir es irgendwann einmal heraus zu finden. Zurzeit war mein zu Hause eine halb verfallene Burg mitten in einem Gebiet in dem man nicht leben konnte. Voller Stürme, von tiefen Schluchten umgeben und kein einziger Grashalm wagte es dort zu wachsen. Ich war die einzige die sich dorthin wagen konnte, da ich stark und robust genug war. Wenn es jemand anders wagen sollte das Gebiet zu betreten, dann ist es mein Monster dass sie alle verscheucht oder auf frisst.

„He! Warte einen Moment!“

Ich wischte mir die letzten Tränenspuren aus dem Gesicht und betrachtete den blonden jungen Mann der auf mich zu gelaufen kam und sich unsicher am Kopf kratzte. Erwartend blickte ich ihn an. Auf was wartete er denn? „Es tut mir leid dass ich dich jetzt erst anspreche. Ich bin der Barkeeper der dir jeden Tag deine Getränke ausschenkt. Ich weiß es ist etwas seltsam, doch ich dachte einfach dass ich dich einmal anspreche.“

Ich nickte verstehend. „Dann wäre das wohl nun erledigt. Einen schönen Abend noch.“ Ich wandte mich ab und ging weiter die Straße entlang die aus der Stadt hinaus führte. Weit kam ich jedoch nicht.

„Nein, ähm... so meinte ich das nicht. Mein Name ist...“ Ich hob den Arm damit er schwieg. Ich würde mir seinen Namen so wie so nicht merken, also was sollte das?

„Das ist mir egal. Ich werde ihn mir nicht merken, da es nichts Wichtiges ist. Ich habe kein Interesse an dir, bitte verschwende meine Zeit nicht mit solchen überdrüssigen Gesprächen! Davon habe ich täglich genug. Guten Abend noch.“

Er schien ziemlich verärgert zu sein, doch das konnte ich ihm nicht verübeln. An seiner Stelle wäre ich das ebenfalls. Aber ich hatte keine Verwendung an Fußvolk wie ihn. Ich suchte jemand anders. Ich suchte >ihn<. Ich suchte immer nur nach ihm. Wie anders sollte ich ihm denn sonst begegnen? Niemand war wie er. Oder könnte ihn jemals ersetzen.

Aber wie soll ich diese bestimmte Person finden, wenn ich nicht weiß wie er aussieht und heißt? Wie konnte man jemanden finden, den man nicht kannte und nicht wusste ob er überhaupt einmal geboren werden soll? Natürlich wäre er geboren worden… bereits seit Jahrhunderten sollte er an meiner Seite sein, doch das ist er nicht, weil ich mir eingebildet hatte einfach nur eine einzige Information zu ändern. Eine Information die seine Eltern zerstört hat.

Er sollte alles ändern. Mich sollte er ändern. Wie ich bin, was ich bin und mir helfen mich zu kontrollieren. Wie konnte mir jemand helfen, wenn ich nicht damit gesegnet worden bin zu erfahren wann und wo ich ihm begegne? Ich konnte alles sehen. Wenn ein Kind geboren wurde, wenn jemand starb, wenn jemand lachte, oder weinte. Ich bin so tief mit der Erde verbunden, dass ich alles fühle. Die Gefühle der anderen sind meine. Die Gedanken sind in mir und ihr Schmerz ist der meine. Und alles nur wegen eines dummen Males. Es prägt meine Stirn, die ich immer mit meinen Haaren verborgen hielt.

Niemand würde es verstehen. Wieso ich so war. Warum ich so dringend meine Erlösung wollte. Verdammt es war schwer ich zu sein. Ich würde es niemanden empfehlen.

Meine Schritte führten mich zu der Stelle an der ich mich jeden Abend verwandelte. Eine Stunde von der großen Stadt, die jeder mindestens ein Mal in seinem Leben betrat, entfernt. Eine Stadt voller Gassen, Menschen und Gefühle. Schwingungen die gleichzeitig gut so wie schlecht waren. Eine Stadt an der mein Schicksal hing. Er musste einfach hier vorbei kommen.

An einem Felsen hinter einem Wald, nickte ich und ließ meinem inneren Monster die Führung übernehmen. Ich ließ es von den Ketten frei und fühlte wie es mich übernahm. Mein Körper formte sich, meine Kraft stieg an und mein Wesen änderte sich. Ich wurde zu diesem Monster, das einen Körper mit mir teilte und wir flogen zu meinem zu Hause. Der Ort an dem ich hauste, schlief und wo ich einfach ich selbst war. Mein mächtiger Schwanz schlug einige Bäume in der Umgebung um und ich beschloss mich zu beeilen. Das Monster breitete seine kraftvollen Schwingen aus, trieb uns mit mächtigen Schlägen hinauf gegen den Himmel, bis ich in wenigen Sekunden verschwanden, hinter den Wolken und sicher vor jedem einzelnen Blick. Niemand sah mich so. Diejenigen die es taten starben. Sie hauchten noch im selben Moment ihr Leben aus und konnten nicht von mir und meinem Monster berichten. So waren wir sicher, geschützt und behütet. Nur so konnte ich uns beide vor gierigen Menschen beschützen, die wild auf unseren Kopf war. Ich wünschte nur es würde endlich enden.

 

Einige Tage später, zog ich mich aus einer Grube und besah meine beschmutzte Kleidung. „Was hast du getan? Wieso musstest du das machen? Ich habe noch Zeit. Ich muss erst... Du kannst nicht... Sieh dir an was du getan hast!“

Mein Blick schweifte über das Feld auf der gerade noch eine Herde von Kühen und einigen Schafen geweidet hatten. Wie lange war ich nur fort gewesen? Wieso passierte so etwas mir?

Angewidert zog ich mir einen Knochen aus meinem wild abstehenden Haar und Fell aus meinen Zähnen. Das war einfach widerlich. Sie waren alle tot. Über dreißig Tiere einfach innerhalb eines Momentes abgeschlachtet. Wie konnte es das nur tun? So etwas wollte ich nicht. Sie sollten doch alle leben. Weinend fiel ich auf die Knie. Das konnte doch nicht wahr sein. Das ist schrecklich.

Einmal im Monat musste ich mein Monster füttern. Dafür flog ich immer in ein Gebiet, das vor Fleisch nur so wimmelte. Wo keine Menschen waren, nur wilde Tiere. Aber das hier. Ich erkannte die zerfleischte Leiche eines Hundes. Menschliche Gliedmaßen lagen einfach lose herum. Die Köpfe hatte es vermutlich gegessen. Es liebte Köpfe. Sie waren nahrhaft und schön knusprig. „So ist nicht die Abmachung. Ich fliege immer pünktlich zu unserer üblichen Stelle. Hör bitte auf damit...“

Ich suchte in einem abgebrannten Schuppen nach frischer Kleidung und wusch mir das viele Blut aus dem Gesicht. Als mich plötzlich tiefblaue Augen anstarrten erstarrte ich für einen Moment. Ich sah einfach furchtbar aus beinahe wie ein Vampir der einen Trip hinter sich hatte. Meine schulterlangen blonden Haare standen wild ab und mein Körper hatte anscheinend in Blut gebadet. Ich konnte nicht sagen was Blut und was Erde war. Beides sah beinahe gleich aus. Alles rot und feucht.

Schreiend schüttete ich den gesamten Eimer über meinen Kopf aus und bestrafte mich damit. Ich... mein Monster hasste Kälte. Es zog an seinen Ketten und brüllte wütend mit meiner Kehle. „Verdammtes Ding! Lass mich in Ruhe.“

Ich schrubbte meinen frierenden Körper mit einem halbwegs sauberen Stück Stoff ab und ging in das zerstörte Haus des ehemaligen Besitzers der Farm. Dort zog ich mir ein Hemd über und eine Boxershort, die anscheinend einem jungen Mann gehörten, danach machte ich mich auf den Weg nach Hause. Dieses Mal zu Fuß.

Wie viele Tage war ich wohl dieses Mal fort gewesen? An einem Tag flog ich noch nach Hause und an einige Tage später wache ich umringt von toten Tieren und Menschen auf. Das war einfach nicht normal. Wieso konnte ich es nicht kontrollieren? Wie hatten es die anderen vor mir geschafft das zu sein was sie waren? Wie konnten sie damit umgehen? Hatten sie das Monster in ihrem inneren einfach akzeptiert? Wenn ja, dann widerten mich meine Vorfahren an. Mich mit einer solchen Bürde alleine zu lassen… das war einfach… Wieso hatte ich das nur verdient?

Als ich nach einem Tag Fußmarsch endlich wieder meine Ebene erreichte, manipulierte ich die Erde so, dass sich vor mir ein gerader Weg auftat der mich zu meiner Ruine führte und hinter mir sich wieder verschloss. Es brauchte hier niemand her kommen. Wir beide hassten Besucher in unserem Reich. Kein Mensch hatte hier etwas verloren. Es war nicht sicher für sie.

Als ich endlich an der Burg ankam, und endlich in ein Bad mit heißem Vulkanwasser springen konnte, genoss ich das Gefühl der Wärme auf meiner Haut. Ich tauchte hinab in die Tiefe des Wassers, das andere Menschen restlos verbrennen würde und ließ mich von den giftigen Gasen wieder in die Höhe tragen. Hier zu sein war einfach wundervoll. So befreiend. So beruhigend. So... nicht alleine?

Gerade sah ich noch einen Schemen am Eingang meiner Burg, als sie auch schon darin verschwand. „Verdammter Mist! Was...“ Ich zog mich wieder aus dem Wasser und dampfte am ganzen Körper. So schnell ich konnte, lief ich hinüber zur Burg und benutzte den Hintereingang. So nah war ein Mensch noch niemals hier her gekommen. Aber wieso konnte ich ihn nicht fühlen? Ich konnte jedes Erdverbundene Wesen aus der ganzen Welt fühlen. Wieso dann dieses Menschlein nicht?

Ich sprang über die umgestürzte Umzäunung hinweg und kletterte durch ein zerbrochenes Fenster ein. Wer war dieses Ding? Vielleicht ein Magier? Denn die waren mit dem, Feuer verbunden, sie konnte ich nicht fühlen.

Ich hörte Schritte am Flur und überwand die Distanz zwischen Fenster und Türe mit einem Sprung. Vorsichtig streckte ich den Kopf hinaus und sah wie der Mensch die Treppen hinauf benutzte.

Ich sprang zurück zum Fenster und zog mich hinauf in den zweiten Stock. Dort tat der Mensch genau das selbe, er stieg die Treppen hoch. Ich folgte ihm abermals durch die Außenwand und das ging immer so weiter, bis er hoch oben angekommen war. Was suchte er oben bei den Nestern? Der Mensch schritt über die alten vermoderten Nester hinweg zu einem Turm, der einmal einem König der Lüfte gehört hatte. Ich sah ihm dabei zu und wartete bis er ganz oben angekommen war. Dort nach oben verirrten sich keine Menschen. Kein einziger würde es wagen, eine Bruststätte eines Königs dermaßen zu entehren! Dafür würde er qualvoll sterben!

Knurrend zog ich mich auch diese Hauswand hoch und betrachtete den Menschen durch ein Fenster. Leise stieg ich hindurch und setzte mich auf die Balken über diesen, während er von einem Fenster zum andern ging, als würde er etwas suchen. Was hatte er nur vor?

„Wie lange willst du mich noch beobachten, bevor du mich fragst was ich hier tue?“

Erschrocken sog ich die Luft ein. Er hatte mich bemerkt? „Das kommt darauf an was du jetzt weiter vor hast. Wenn du einfach weg gehst, werde ich vergessen dass du jemals hier warst. Solltest du jedoch das Erbe der Drachen noch weiter mit deiner Anwesenheit entehren, dann köpfe ich dich.“

Plötzlich drehte er sich zu mir um und blickte mich mit schief gelegtem Kopf an.

„Gibt es denn hier noch Drachen in der Gegend?“

„Natürlich nicht! Sie sind vor einigen Generationen endgültig ausgestorben.“ Schon als der letzte von einem verstoßenen Engel besessen und getötet worden war.

„Und wie kannst du dann beurteilen, ob sie wollen das hier her jemand kommt, oder nicht?“

„Ich bin die Wächterin über dieses Reich. Es ist meines, bis ganz nach vorne zu den Schluchten. Du hattest kein Recht es zu betreten.“

Nickend wandte er sich ab und sah wieder aus dem Fenster. „Menschen und ihre Besitzansprüche. Ein Mysterium für unsresgleichen. Gut. Ich gehe wieder. Ich habe nur versucht mich von hier oben zu orientieren.“

Ich sprang hinunter auf den Boden und stellte mich neben den Unbekannten Mann um zu erkennen was er sah. Das einzige was ich sah, war vertrocknetes Gelände und hohe Berge, die mein Reich umgaben. Wie lange ist er wohl gegangen bevor er hier her kam? „Was genau versuchst du zu finden?“ Ich konnte mir die Frage einfach nicht verbieten.

„Ein Land das Werwandlern gehört. Kennst du es?“
Es gab heutzutage nur mehr wenige Clans die noch Werwandler beherbergten. Sie waren von dem Aufbau der Städte beinahe gänzlich vertrieben worden.
„Es gibt sehr wenige noch. Brauchst du irgendeines, oder ein bestimmtes?“

„Ein bestimmtes Rudel. Ich suche den WhiteForest Clan.“

Ein Dolch bohrte sich mir durchs Herz. Schmerzhafte Erinnerungen die ich so gut verdrängt hatte, bahnten sich ihren Weg zurück an die Oberfläche. „Ein Name den ich schon lange nicht mehr gehört habe. Er existiert nicht mehr. Das tut mir leid.“

„Vielleicht denkst du das. Ich denke das nicht. Ich habe jemanden verloren, der sich in einer sensiblen Zeit befindet. Ich muss sie wieder finden. Ich weiß dass der Clan noch existiert, doch ich kann ihn nicht erreichen.“

Ich seufzte schwer. „Manches sollte man einfach ruhen lassen. Sie wird ihre Gründe haben einfach zu verschwinden. Vergiss sie einfach und verlasse nun bitte meine Burg, so wie du sie betreten hast.“

Ein kehliges Lachen erklang, das keinerlei Freude in sich trug. „Täte ich das, würdest du verglühen neben mir. Aber schon gut ich verstehe. Ich werde dein Land wieder verlassen.“

„Ich begleite dich zurück. Nur um sicher zu gehen.“ Meinen mahnenden Unterton verstand er offensichtlich. Er nickte und ich folgte ihm nach unten. „Warte einen Moment. Ich muss mich noch anziehen.“

Er schien erst jetzt zu merken, dass ich nackt herum lief und nickte wieder. „Wenn du das tun musst dann tu das. Ich gehe derweilen vor.“

Er machte sich auf den Weg zum Ausgang und ich lief schnell in mein Zimmer um mir ein Kleid über zu ziehen. Es war einfacher zum Ausziehen und wenn mein Monster mich aus versehen überraschte, dann würde es nicht so schade um meine Kleidung sein. Mit einer Masche band ich mein blondes Haar hoch und überprüfte ob mein Mal auch wirklich gut versteckt war. Zufrieden machte ich mich auf den Weg nach draußen und lief dem seltsamen Menschen direkt in die Arme. Buchstäblich.

Er fing mich ab und blickte mich besorgt an. „Alles in Ordnung?“

„Ähm... Ja. Ich bin es nur gewohnt dass ich die Leute in meiner Umgebung spüre und somit niemals jemanden hinein laufe. Ich muss mich erst... Was bist du eigentlich? Du bist definitiv kein Werwandler, Vampir oder Mensch. Bist du ein Magier?“

Er schien kurz mit sich zu hadern, doch nickte dann. „Ja so könnte man mich bezeichnen, derweilen. Und was bist du? Ich denke nicht dass ein normaler Mensch hier überleben könnte. Es ist viel zu heiß und es gibt nichts Essbares.“

Ich winkte ab. „Ach, manche Menschen sind robuster so wie ich. Ich überlebe beinahe alles.“

Da er immer noch sehr knapp vor mir stand und ich seinen unglaublich hellen forschenden Blick unangenehm auf mir spürte, schob ich ihn zur Seite und ging vor ihm um ihm den Weg zurück zu führen.

Die ersten Minuten schwiegen wir, doch dann wurde ich langsam neugierig. „Wie bist du überhaupt über die Schluchten gekommen? Ich habe alle Bäume in der Nähe gerodet.“

„Levitation. Ich bin darüber geschwebt.“

„Und die Berge? Sie sind sehr hoch und an den Gipfeln liegt Schnee.“

„Wie du schon sagtest. Manche Menschen sind sehr robust.“

Lächelnd wandte ich mich wieder zu ihm um. „War das gerade ein Witz? Ich mag deinen Humor.“

Er schien äußerst verwirrt zu sein, doch lächelte höflich. War das etwa kein Witz? Ich nahm es an. Immerhin war er ein Mensch, Fähigkeiten hin oder her. Niemand war wie ich. Ich bin einzigartig und gefährlich.

„Woher kommst du?“

„Aus der Nähe. Ich dachte von hier hätte ich einen ziemlich guten Blick.“

Ich dachte daran, dass wir uns über den Wolken befunden hatten und rund um mein Land herum Berge und tiefe Risse lagen. Man sah nicht einen einzigen Baum in den nächsten zweihundert Kilometer.

„Wie lange hast du hier her gebraucht? Mein Land ist ziemlich groß.“

„Ich dachte es gehöre den Drachen.“

Lachend drehte ich mich im Kreis, sodass mein grünes Kleid wie wild um meine Beine flatterte und deutete ausladend auf die Umgebung. „Falls es dir noch nicht aufgefallen ist, es gibt keinen einzigen Drachen mehr. Schon seit über zweitausend Jahren sind die meisten ausgestorben.“

Er zog die Nase kraus und schien etwas sagen zu wollen, doch ließ es. „Das kann ich nicht beurteilen.“

„Hast du denn jemals einen gesehen?“

Er hob die Schultern. „Vor sehr langer Zeit ein einziges mal.“

Überrascht zog ich die Augenbrauen hoch. „Du bist also über zweitausend Jahre alt?“ Niemand konnte so alt werden. Natürlich ausgenommen Drachen.

Nun zog er ebenfalls vielsagend die Augenbrauen hoch. „Du anscheinend auch recht alt zu sein. Dein Körper mag vielleicht Jung sein, doch deine Augen zeigen dein wahres Alter. Ich schätze dich auf vielleicht siebenhundert Jahre?“

Verflixt. „Beinahe.“

Damit schloss ich das Gespräch, bis wir an den Bergen ankamen.

„Warte einen Moment hier ist eine Höhle.“ Nein, eigentlich gab es hier keine. Es war nur ein Gang den ich hier immer erschuf, doch ich durfte ihm nicht zeigen, dass ich meine Wege selbst schuf. Diese Magie ist alt und ausgestorben. Er würde nur zu neugierig werden. Menschen waren nun mal so. Sie steckten ihre Nase in Angelegenheiten die sie alle nichts angingen und wollten es sofort besitzen. Aber ich würde mich niemals besitzen lassen. Von nichts und niemandem!

„Komm her.“ Ich erzeugte einen kleinen Spalt, den man aus seinem Winkel nicht sehen konnte und erschuf einen Gang der von kleinen Leuchtsteinen erhellt wurde. „Hier ist der Weg. Folge ihm und du kommst in ein bis zwei Tagen auf der anderen Seite hinaus.“

„Du begleitest mich nicht weiter?“

„Nein, ich habe hier eine Aufgabe zu erledigen.“

Er riskierte einen Blick in das Loch und verzog das Gesicht. „Ist das eine Falle? Ich fühle etwas Seltsames.“

„Geh hindurch und finde es heraus und du bist in ein bis zwei Tagen draußen, oder geh wieder über die Berge und du brauchst Wochen.“

„Wieder über die Berge? Hm... das scheint mir für diesen Körper unmöglich. Gut ich riskiere es. Wieso begleitest du mich nicht?“

Ich betrachtete ihn skeptisch. Hörte er sich eigentlich selbst nicht zu? Zuerst sagte er er wäre über die Berge gekommen und jetzt hielt er es für unmöglich? „Nein, ich habe Verpflichtungen.“

„Das sagte ich ebenfalls, doch >sie< meinten ich wäre der einzige der sie finden kann und den Zauber überbrücken. Doch dafür muss ich erst einmal das Gebiet finden und ehrlich gesagt... bin ich zum ersten Mal hier unterwegs. Begleite mich ein paar Tage und zeige mir den Weg, dort wo das Rudel ehemalig lag. Deine Pflichten werden hier bestimmt auf dich warten.“

Ich blickte zurück zur Burg die sich mehrstöckig, hoch in den Himmel erhob und seufzte. „Vermutlich.“ Aber wieso sollte ich mit einem Fremden zu einem so alten und vor allem ausgestorbenen Rudel gehen? Das letzte Mal war ich vor vierhundert Jahren dort und die Pest hatte gerade durch die Wälder eine Spur von Leichen gezogen. Ob sie mich überhaupt erkennen? Oder mich in ihrer Nähe wollten? Nein... ich konnte dort nicht hin zurück. „Es tut mir leid. Dieses Rudel existiert schon lange nicht mehr. Du suchst vergebens. Geh jetzt. Du hast hier nichts verloren.“ Ich drehte mich fort und ging zurück zur Burg. Aufhalten tat er mich nicht und darüber war ich erleichtert, denn mein Monster hatte die Ketten locker gezogen.

„Warte!“

Ich war sicher schon eine Minute gegangen und erst jetzt rief er mich zurück? Außerdem... wieso erwartete ich dies? Verwirrt blickte ich zurück und erschrak als er direkt vor mir stand. „Wie ist dein Name?“

Deswegen war er zurückgekommen? „Ähm... Was interessiert dich das?“

„Wieso beantwortest du nicht die Frage?“

Empört blickte ich zu ihm auf. „Wage es ja nicht mich zu behandeln als würde ich dir gehorchen müssen. Das hier ist mein Gebiet, mein Leben und die Quelle meiner Macht. Verschwinde oder ich verschlinge dich!“ Knurrend blickte ich ihm ebenbürtig ins Gesicht. Nein wir waren alles andere als ebenbürtig. Ich bin eine Königin! „Verschwinde!“ Mein knurren wurde lauter und ich konnte fühlen wie mein Monster bereit wurde diesen Körper zu übernehmen.

„Nein, ich denke du kennst das Rudel und bist selbst ein Mitglied. Irgendetwas ist passiert und deswegen bist du hier.“

„Ich bin kein Mitglied dieses Rudels. Ich bin ein Einzelgänger. Ich...“

„Du warst es aber einmal.“
Auf was wollte er hinaus? Wollte er so unbedingt dass ich ihn begleite? Das war doch lächerlich. Wieso sollte ich dort hin zurück? Nichts würde mich dazu bringen dort hin zurück zu gehen.

„Das geht dich ja wohl nichts an.“

„Nein tut es nicht, doch ich brauche jemanden der weiß wo das Rudel liegt, denn ich muss jemanden von dort zurück holen. Aber sie hat einen Zauber gesprochen der es mir unmöglich macht dorthin zu gehen. Ich brauche jemanden der schon einmal dort war und den Weg kennt. Mehr nicht.“

„Nein!“ Darüber würde ich nicht mit mir diskutieren lassen. „Aber wieso sollte jemand so einen Bann schmieden? Was hast du ihr angetan?“

Er seufzte schwer doch antwortete nicht darauf. „Wenn du antworten willst, dann begleite mich.“

Mein Blick glitt auf den Boden und ich hörte wie er schwer seufzte. „Such dir jemanden in der Stadt.“

„Es gibt aber niemand anders der mich führen könnte. Es würde Monate dauern wenn ich jemand suchen müsste dessen Blut von dort stammt.“

Das ist mir egal. Ich will einfach nicht dort hin. Wieso konnte er das nicht akzeptieren? Demonstrativ wandte ich mich ab und kehrte zurück zu meinem einsamen Schloss.

„Bitte, Edana!“

 

Diese Nacht gestaltete sich wie die letzten meiner tausenden von Jahren. Ich schlief auf der Stelle ein und fand mich in meinem eigenen selbst konstruierten Albtraum wieder. Ich stehe am Eingang zu einem Tal. Es ist riesengroß und wenn nicht ein einziges Gebäude mehrere Meter über den Bäumen aufgeragt hätte, hätte ich gemeint es ist totale Wildnis. Die Sonne brach sich in den Blättern der Bäume und färbte die Waldwege in einem sanften grün. Vögel zwitscherten in den Wipfeln und kleine Tierchen zuckten vor meinem Anblick zurück. Sie flohen zurück in den Wald wo ich sie aus den Augen verlor. Langsam bewegte ich mich vorwärts, einen Pfad durch das Unterholz entlang. Vögel flogen über mir aufgebracht davon und plötzlich herrschte eisige Stille. Eine Stille die schwer auf meinen Schultern lastete und mich hinunter zog.

Meine Schritte wurden immer schwerer und schwerer bis ich hinfiel. Die spitzen Steinchen bohrten sich in meine Handflächen so wie Knie und ich beobachtete die Blutlache die sich vor mir bildete. „Nein!“ Schrie ich. „Nein! Geh weg!“ Ich rapple mich hoch und laufe so schnell ich kann fort von dem Blut, hinein in den Wald, direkt in ein Dorf. Ich stand mitten darin und alle starrten mich an. Mitgefühl und Angst lag in ihren Blicken.

„Was ist los? Was ist passiert?“ Niemand antwortete. Ich drehte mich im Kreis und schrie sie an, doch niemand antwortete. Wieso antwortete niemand? Sie starrten mich einfach mit leeren Augen an.

Knurrend stieß ich die verschwommenen Gesichter zur Seite und stand plötzlich am Friedhof. Vor mir... Das Grab meiner Eltern „Geliebt, über den Rand der Möglichkeiten hinaus, gelebt.“

Mein Vater hatte diesen Satz gehasst. Gar verabscheut. Doch meine Mutter hatte etwas Wunderschönes darin gesehen und wollte mit diesem Satz beerdigt werden. Nun stand es auf ihrem Grabstein, wo sie gemeinsam in der Ewigkeit ruhten. Tränen liefen meine Wangen hinab und ich hörte mich schreien. Mein Schmerz war unvorstellbar. Nun war ich alleine. Alle waren fort. Niemand mehr da zu dem ich gehörte. Ich hatte die Zukunft durch einen dummen Fehler verändert. Hatte alles verändert. Mich. Meinen Gefährten. Mein zukünftiges Sein.

Jede Zeitreise hatte ihren Preis. Ich hatte lediglich eine einzige Minute geändert und was hatte ich dafür gebüßt? Alles!

Ich hatte einfach alles verloren!

Brüllend entglitten mir die Ketten und mein Tier erwachte. Brannte alles nieder. Verbrannte das ganze Tal zu einem einzigen Schutthaufen.

„Nein! Nein!“ Wieso muss ich das immer wieder durch machen? Nein... Ich will es nicht mehr.

„Edana! Wach auf. Edana!“ Erschrocken fuhr ich auf und blickte in die unsicheren Augen von Sarge.

„Was? Bin ich etwa eingeschlafen?“ Ich brauchte keine Antwort, um zu wissen dass ich geträumt hatte. Ich kannte diesen Traum bereits zu gut.

„Scheint so. Komm, wir sollten weiter gehen.“

Ich ließ mir von dem seltsamen Menschen auf die Beine helfen und klopfte den Staub von meinem Kleid. Er schien nicht geschlafen zu haben. Zumindest schien seine weiße Kleidung immer noch nicht dreckig zu sein und das obwohl wir uns in einer Höhle befanden die nur sehr spärlich beleuchtet wurde.

Zum Teufel mit ihm. Langsam wurde ich neidisch auf ihn. Er kannte meinen Namen, wusste woher ich stammte und hatte mich dazu überredetet mit ihm zu kommen. Ich weiß nicht was mich an ihm so faszinierte, außer dass er große Geheimnisse zu haben schien. Er meinte er wäre ein alter Freund meiner Familie, doch ich glaubte ihm nicht. Etwas war komisch an ihm. Seine steife Art, sein nichtssagender Gesichtsausdruck und seine förmliche Art war ich nicht gewohnt. Wenn ich nicht seinen Herzschlag hören würde und gerade eben seine Hand in meiner warm wäre, würde ich sagen er ist ein Roboter.

Verwirrt blickte ich auf seine Hand und merkte erst jetzt dass ich sie immer noch hielt. Sarge schien es ebenfalls zu bemerken und ließ sie zögerlich los.

Sein Gesichtsausdruck veränderte sich keinen Millimeter, doch trotzdem entstand so etwas wie eine unangenehme Spannung zwischen uns. Zumindest bis wir endlich den Ausgang der Höhle erreichten. Nicht dass ich mich nicht in Höhlen wohl fühlte, doch nichts konnte es mit der Frischluft und viel Platz zum Fliegen aufnehmen.

Freudig lief ich vor und wurde vom Duft des nassen Grases bereits angezogen. Freudig quiekend ließ ich den Regen über meinen Kopf sich auf meinen ganzen Körper verteilen, bis ich durch und durch nass war. Es ist einfach herrlich. Mein inneres Monster verabscheute das kalte Wasser auf meiner Haut und die kühlen Luftzüge die meine normalerweise sehr hohe Körpertemperatur herunter senkte auf eine normale menschliche.

„Ist das nicht toll? Hier regnet es! Ich liebe den Regen. Er wäscht alles rein und weckt bei einem den Energieverbrauch. Ich liebe es!“

Sarge nickte und blickte sich irritiert um. „Schön und gut, doch wie kommen wir über diese Flüsse von Wasser, die in deine Abgründe fließen?“

Ich ließ meinen Willen in die Erde laufen und deutete auf einen Schemen in der Ferne, der sich sofort bildete. „Dort drüben ist eine Brücke. Ich schätze über die bist du her gekommen.“

Sarge blickte mich mit hochgezogenen Augenbrauen an. Natürlich war er das nicht, immerhin hatte ich die Brücken eben erst erschaffen. Doch ich wollte wissen wie er her gekommen ist. Vielleicht konnte ich ihm so etwas entlocken.

„Nun, ja. Nicht direkt. Eigentlich durch meine Levitation. Aber um deine indirekte Frage zu beantworten, ich hatte mich versucht mittels Teleportation in das Kraftfeld zu befördern, doch es erkannte mich und hat mich zu den Füßen deiner Berge katapultiert. Ich sah von den Bergen aus die Burg und dachte mir sie wäre hoch genug um alles zu überblicken. Ich sah was ich sehen musste, aber nicht was ich wollte.“

Was redete er da? „Das bedeutet du hast dich versucht zu Teleportieren, aber das Schutzschild hat dich so weit entfernt zurück geworfen?“

„Beinahe so würde ich es beschreiben, ja.“

Das >beinahe< in diesem Satz gefiel mir irgendwie nicht, doch ich folgte ihm zu den Brücken. „Wie würdest du es denn beschreiben?“

Er schenkte mir ein Lächeln, das erste, seit wir vor zwei Tagen aufgebrochen sind und ich freute mich überschwänglich darüber. Schnell wandte ich den Blick wieder ab, da es mir unangenehm war.

„Du würdest es nicht verstehen wenn ich es dir jetzt schon erklären würde. Lass uns noch ein paar Tage Zeit, damit du mich kennen lernst.“

Kennen lernen? Ich hatte schon seit Jahren niemanden mehr kennen gelernt. „Wieso sollte ich das wollen?“

„Du weißt nicht mehr woher ich deinen Namen kenne und das verstehe ich. Und solange du mich nicht kennen lernst, kannst du auch nicht meine Absichten verstehen.“

„Ich dachte deine Absicht wäre es eine verrückte aus meinem alten Dorf zu werfen.“

„Ist es denn etwa doch noch da?“

Ich erinnerte mich wie ich sagte, dass dort niemand mehr lebte und schämte mich plötzlich. Er war tatsächlich sehr Aufmerksam. „Und wer sagt, dass du nicht eigentlich jemand böses bist, der dem Dorf etwas schreckliches antun möchte und deswegen abgeblockt wurde?“

Ich konnte überhaupt nicht reagieren, doch plötzlich stand er so nahe vor mir, obwohl er mehrere Meter vor mir gegangen ist, und legte mir eine Hand unter das Kinn damit ich ihm direkt in die Augen sah. „Böse wäre nicht einmal annähernd das Wort, wie ich mich beschreiben würde. Vermutlich würde man mich >abgrundtief und unausstehlich< beschreiben, doch trotz allem wie sie mich die letzten Jahre behandelt hat, kann ich es ihr nicht verdenken. Auch meine Mächte haben ihre Grenzen und genau das muss sie akzeptieren und loslassen. Deshalb muss ich zu ihr, bevor sie ihre Familie und sich selbst zerstört.“

„Familie?“

Sein Gesichtsausdruck wurde weicher und er legte seine Handflächen auf meine Wangen. „Es wird schon gut sein. Es wird allen gut gehen, wenn du mich zu ihnen führst, damit ich sie wieder mit nach Hause nehmen kann.“

Nach Hause... Ein Begriff den ich niemals richtig zuordnen konnte. Einen Ort, den ich schon ausgesprochen lange nicht mehr besaß. Den ich zerstört hatte und nun mich damit beschäftigen musste. Es wird schwer sein für mich, doch das war ich ihnen schuldig. Das war das mindeste was ich tun konnte.

Entschlossen blickte ich Sarge in die Augen und schob nachdrücklich seine warme Hand aus meinem Gesicht. „Gut! Ich werde dir helfen. Stellt sich jedoch heraus, dass nicht sie der Übeltäter ist, sondern du... wirst du leiden müssen.“ Das letzte knurrte ich und fühlte wie mein Monster unruhig wurde. Es wollte schon wieder töten. Wie blutrünstig konnte ein einzelnes Wesen nur sein?
Sarge nickte und entfernte sich wieder von mir. Mit einem mulmigen Gefühl in meinem Brustkorb folgte ich ihm bis wir zu den Brücken kamen. Sie bestanden lediglich aus Lehm und begannen sich bereits auf zu lösen, doch durch meinen Willen blieben sie so lange beständig, bis wir darüber waren.

„Gut... Nun auf in die Stadt und beschleunigen unser Tempo etwas.“

Eine knappe Stunde später erreichten wir die Stadt und wir waren vollkommen durchnässt.

„Bevor wir uns ein Auto mieten, müssen wir noch unbedingt in eine Bar gehen. Es geht die Sonne gleich unter und ich möchte zumindest eine letzte Chance, bevor ich einige Zeit weg fahre.“

„Chance? Wozu?“

Ich winkte ab und lief in ein Modegeschäft.

„Hi! Edana! Was darf es heute sein?“ Ich überlegte kurz und entschied mich für eine dunkelblau Variante.
„Okay, also das übliche, wie immer? Und dein Freund? Was darf ich ihm bringen?“ Ich sah nach hinten zu Sarge, der völlig Steif im Eingang stand und winkte ihn zu mir. Seltsamer weise war er vollkommen trocken. Wie beneidete ich Magier um diese Gabe!

„Etwas das ihn nicht so steif wirken lässt vielleicht.“

„Okay, zieht euch das an.“ Die Verkäuferin, zu der ich beinahe jeden Abend kurz vor Schluss kam, legte mir ein dunkelblaues Kleid über den Arm, dass mir bis knapp über den Po reichte und eine meiner Schultern frei ließ. Darunter zog ich mir ein jeansfarbene Shorts sowie hohe Stöckelschuhe damit ich mehr auf mich aufmerksam machte. Je mehr Männern ich in die Augen sehen konnte umso genauer konnte ich bestimmen ob er da war.

„Wohin gehen wir jetzt?“

Ich blickte, als ich bezahlte zu Sarge und sah ihn fragend an. „Was ist mit deinen Sachen? Gefallen sie dir nicht? Wir können auch andere nehmen.“

„Um das geht es nicht. Ich bin ausgesprochen zufrieden mit meiner Kleidung. Ich verstehe nur deine Aufmachung nicht. Wieso musst du dich so oft an oder ausziehen und dann erst wieder etwas Neues holen?“

„Du warst noch nicht oft mit einer Frau unterwegs, oder?“ Grinste ich belustigt. Mit den hohen Schuhen war ich sogar so groß wie er, fiel mir auf.

Er blickte mich an, als verstünde er überhaupt nicht wovon ich redete. Ich winkte einfach ab. „Vergiss es und komm mit.“

Sarge folgte mir artig und einige Minuten später standen wir vor meinem Lieblingslokal. Nun, ja. Vielleicht weniger Lieblingslokal, als mehr das Lokal in dem ich meine Nächte verbrachte und hoffte das >er< irgendwann einmal dort erscheinen würde, da es eines der wenigen Lokale war die beinahe überrannt wurden von den verschiedensten Wesen. Ich setzte mich wie jeden Abend an die Bar, da dort die meisten Menschen vorbei kamen und beobachtete das treiben der verschiedenen Leute. Manche sprachen mich, an doch bereits nach kurzer Zeit hörte es wie immer auf. Die Stammgäste, die mich bereits kannten, sahen mich nicht einmal mehr. Sie gingen an mir vorbei, als wäre ich eine Skulptur die einfach den ganzen Abend dort saß und hin und wieder an ihrem Cocktail schlürfte. Ausschließlich der Barmann, dem die Bar auch gehörte, sprach mich mit einem höflichen „Hallo“ und einem „Bye!“ an. Nur die ersten Monate hatte er sich hin und wieder erkundigt ob es mir gut ginge, oder ob ich auf jemanden warten würde. Als ich einmal antwortete, da sehr wenig los war, blickte er mich völlig überrascht an. „Was meinst du damit, dass du einen Fehler gemacht hast?“

„Glaubst du daran das die Erde sich um die eigene Achse dreht? Das ein Tag vierundzwanzig Stunden hat und das wir jeden unserer Schritte selbst bestimmen?“

Für einige Sekunden schien er zu überlegen ob ich das ernst meinte.

Dann stellte er das Bier vor sich ab, das er gerade für einen Gast vorbereitete und blickte mir lächelnd in die Augen. „Ja. Ja und das kommt darauf an. Ich denke dass wir unseren Weg bis zu einem bestimmten Grad selbst wählen und die restlichen neunzig Prozent werden wir von der Vergangenheit so wie der Gegenwart geprägt und gleitet.“

Lächelnd nippte ich an meinem Cocktail, den ich seit siebzig Jahren immer wieder bestellte, auch wenn er überhaupt nicht mehr auf der Karte stand. „Siehst du. Deswegen spreche ich so selten mit anderen Menschen. Sie lernen nicht aus ihren Fehlern und lassen sich von der Allgemeinheit leiten. Bitte sprich mich nie wieder an, außer es ist es etwas ernsthaft wichtiges.“

Für einige Wochen hatte er mich immer mit einem bösen Blick traktierte, doch nach und nach, hatte er wohl bemerkt, dass ich jeden so behandelte und lächelte mich seitdem immer höflich an. Auch wenn er wenige vierzig Jahre alt war, schien er zumindest in manchen Teilen weise zu sein.

„Edana? Du bringst jemanden mit? Das ist mir neu. Alles in Ordnung?“ Der Barkeeper und Geschäftsführer, stellte sich vor mich und betrachtete Sage von oben bis unten.

„Natürlich. Sonst würde er nicht mehr leben. Er ist heute mein Gast und kann haben was er will. Beachte ihn nicht viel.“

Der Mann blickte mich mit hochgezogenen Augenbrauen an. „Ist er wie du?“

Amüsiert griff ich nach der Karte und reichte sie Sage. „Sei nicht lächerlich. Niemand ist wie ich. Das ist nicht möglich.“

Schulterzuckend ging er wieder hinter die Bar und reichte mir meinen üblichen grünen Cocktail. Soviel ich wusste bestand er aus Kiwisaft, Wodka und Zitronensäure. Somit hatte dieses Getränk drei verschiedene Geschmacksrichtungen. Es wurde wieder abgesetzt, da es niemanden geschmeckt hatte, doch ich fand es so außergewöhnlich das ich abends nichts anderes trank.

Sarge bestellte lediglich ein Glas mit Wasser und setzte sich auf einen Hocker neben mir, während er die Leute beobachtete. Heute war wieder einmal viel los. Sarge bekam eine Nummer nach der anderen zu gesteckt und blickte mich lediglich fragend an. Was tat dieser Kerl nur den ganzen Tag? Ja, jetzt suchte er nach einer mysteriösen Frau, doch sonst? Ging er überhaupt unter Menschen? Und was sollte die Aktion mit meiner Burg?

„Warum siehst du mich so an? Tue ich etwas Seltsames?“ Am liebsten hätte ich mit >Ja< geantwortet, doch mir stand es nicht zu jemanden als seltsam zu bezeichnen. Wenn schon er seltsam war was war dann ich? Abartig?

„Nichts. Du bist nur... so anders als die Menschen die ich bis heute kennen gelernt habe.“ Gab ich zu.

Es stahl sich wieder ein Lächeln auf seine Lippen, doch es erreichte irgendwie seine Augen nicht. Wieso?

„Und das ist so schlecht?“ Sarge lehnte sich zu mir, da die Musik lauter wurde.

„Vermutlich sollte es so sein. Jedoch ich finde es erfrischend. Sogar... etwas erheiternd.“

Nun erreichte sein Lächeln seine Augen und er verzog das Gesicht. „Das klingt als würdest du dich über mich lustig machen. So etwas ist nicht besonders höflich.“

„Ich war noch nie höflich. Ich sehe keinen Grund zu einem Menschen höflich zu sein.“
Sie brachten, wenn sie mein wahres Wesen kannten auch keine Höflichkeit entgegen. Warum sollte ich mir also diese Mühe machen?

„Du sprichst, als wärst du keiner.“

Mein Blick zuckte zu ihm zurück und ich zog die Augenbrauen hoch. „Du sagtest doch, bevor wir in die Höhle gegangen sind, dass du mich kennst. Also kennst du die Antwort bereits.“

Nickend richtete er seinen Blick auf eine kleine Gruppe von Werwandler und seufzte. „Es kommt ein Problem.“

Ich folgte seinem Blick zu den drei Männern und legte den Kopf schräg. „Jaguare. Ja, das ist ein Problem.“

Im selben Moment kamen sie auf uns zu und bahnten sich ihren Weg durch die große Menge an Menschen.

„Was hast du vor?“

Was sollte ich denn machen? Ich würde mich nicht vertreiben lassen und der Geschäftsführer würde eher sie als mich hinaus werfen. Jedoch waren Jaguare auch Kopfgeldjäger und konnten einen Schatz auf Kilometer Entfernung gegen den Wind wittern. Zumindest hatte ich das gehört. Wie es mit seltenen Wesen stand, wusste ich nicht.

„Hi, Süße. Na, alleine hier?“

Taktik, oder nur ein Flirt? „Nein, in Begleitung.“ Sarge Arm legte sich um mich und ich fühlte wie sich meine Muskeln anspannten. Was tat er da?

„Ah, dein Lover, oder Bruder?“

„Weder noch. Bitte lasst uns in Ruhe.“ Lehnte ich den Jaguar, so wie Sarge ab.

Die Jaguare warfen sich einen vielsagenden Blick zu und fingen an zu lächeln. „Aber, aber. Du kennst uns nicht einmal. Wieso willst du uns gutaussehenden so schnell wieder loswerden?“

„Weil ich prinzipiell nicht mit fremden spreche und noch weniger mit Werwandler.“

Einer der Jaguare schnüffelte in meine Richtung und ich verdrehte die Augen.

„Was bist du für ein Wesen?“

Seufzend glitt ich von meinem Hocker und stellte mich vor den Anführer der drei. Ohne dass es jemand sah, verwandelte sich mein rechter Arm in beschuppten Klauen und ich bohrte sie in seinen Magen. „Lasst mich in Ruhe!“

Ich fühlte wie sich mein Blick schärfte, bei dem Geruch von Blut und lächelte. Sie waren so gut wie tot.

Mehrere Blicke sahen sich nach der Quelle des Geruches um. Verdammt.

„Verstanden...“ Ich zog meine Hand zurück und wischte das Blut an seinem Hemd an.

Niemand sah meine schuppige Hand, da sie wieder Menschlich war und ich setzte mich zu meinem Cocktail zurück, während die drei Werwandler das weiter suchten.

Niemand war schneller als ich und keine Reißzähne der Welt, konnten meine Schuppen durchbeißen.

Angewidert betrachtete ich den Rest des Blutes an meinem Arm und fragte mich wie ich es jetzt los werden sollte.

„Edana. Komm her.“ Der Geschäftsführer winkte mich hinter die Bar und deutete auf das Waschbecken. Ich ließ heißes Wasser darüber laufen und benutzte viel Seife, bis man nichts mehr roch.

Dankend ging ich zu meinem Platz zurück und bekam einen neuen Cocktail. „Pass am Heimweg auf dich auf. Die drei sind unberechenbar.“

Lächelnd schlürfte ich wieder an meinem Cocktail und genoss den seltsamen Geschmack. Nicht nur sie waren unberechenbar.

 

Kurz vor sechs Uhr morgens bezahlte ich den üblichen Preis und verließ das Lokal, mit Sarge an meiner Seite. „Wieso haben wir jetzt eigentlich...“ Ich deutete ihm zu schweigen und fühlte wie sich die drei Werwandler die ich vor Stunden vertrieben hatte um das Lokal auf die Lauer gelegt hatten. „Warte hier auf mich und rühre dich nicht von der Stelle.“

Sage nickte und schien ebenfalls die drei Werwandler zu fühlen.

Ich ging um die Hausecke und wartete dass sie sich in der dunklen Gasse zeigten.

Der Anführer war der erste der sich zeigte und vom Dach sprang. Knurrend landete er vor mir und seine Augen glühten verärgert auf. „Das wirst du mir büßen kleines Mädchen. Was zur Hölle bist du?“

Ich knurrte zurück und war meinerseits verärgert. „Jemand der es hasst als Jung bezeichnet zu werden.“

Der Jaguarwerwandler sprang auf mich zu und ich wich seinem Angriff mit Leichtigkeit aus. Dies wiederholte er mehrere Male, als würde er meine Verteidigung einschätzen wollen. Nach mehreren ebenso wirkungslosen Angriffen, trat ich nach seinen Beinen, doch er sprang einfach darüber. Grazil landete er auf einem der Mülltonnen und verursachte kaum ein Geräusch.

Im nächsten Moment sprang mich tatsächlich ein Jaguar an und ich schlug ihn mit einem einzigen Hieb bewusstlos. Der Anführer der kleinen Gruppe blickte voller Abscheu zu seinem Untertan, als würde er sich über dessen einmischen ärgern. „Bleib ja zurück! Ich regle das alleine.“ Schrie er dem dritten Werwandler zu und sprang mich an.

Diesmal griff er mich frontal an und ich riss lediglich den Arm hoch. Er verbiss sich halb verwandelt in meine Schuppen und knurrte verärgert. Ich konnte sehen wie sich sein wütender Gesichtsausdruck in einen überraschten verwandelte. Lachend schlug ich zu und zertrümmerte mit einem Schlag sein Gesicht. Es brachte ihn nicht um, doch er würde lange zum heilen brauchen. Bis dahin war ich schon lange weg.

Bring deine Freunde zu einem Arzt.“ Rief ich hinauf zum dritten Werwandler und ging zurück zum Gasseneingang.

Sarge lehnte an der Hauswand und blickte mich mit einem unzufriedenen Gesichtsausdruck an.

Wieso hast du sie nicht getötet? Es gehört sich nicht gegen jemanden die Hand zu erheben.“

Die Hand erheben? Ich betrachtete die Schuppen an meinem Unterarm und beobachtete wie sie sich wieder zurückzogen. „Aber ich habe nicht das recht jemanden zu töten, nur weil er denkt er muss sich beweisen. Ich halte nicht viel von Stolz, doch ich bin keine Mörderin.“

Ich wandte mich ab, doch er hielt mich zurück, indem er mich mit seinem Arm abfing und ihn um meinen Bauch legte. „Du bist aber eine Jägerin. Eine Königin. Die letzte und einzige deiner Art. Du darfst nicht so leichtsinnig sein und andere auf deine Spur bringen.“ Sarge streckte seinen freien Arm in die Richtung der drei Werwandler und von einem Moment auf den anderen, entstand unter ihnen ein rauchender Riss. Sie fielen hinein und ich keuchte erschrocken auf.

Was soll das? Sie wären mir nicht gefolgt. Sie...“

Lass es Edana. Du bist viel wichtiger als diese drei Werwandler. Ich werde nicht zulassen, dass sie, oder jemand anderes dir etwas antut.“ Schon war der Riss verschwunden und mit ihnen die drei Kopfgeldjäger.

Mein Herz setzte für einen Moment aus und ich konnte nicht atmen. Das war das netteste, das ich seit sehr langer Zeit gehört habe. Eine Königin? Wie könnte ich das sein, wenn ich meinem Volk nur schmerzen zufüge?

Gerade als ich ihm sagen wollte, dass er sich irrt, küsste er mich. Seine feuchten Lippen lagen auf meinen und verhinderten, dass ich auch nur ein Wort sagen konnte. Mein Monster blickte überrascht auf und schien beinahe zu lächeln. Lachte es mich aus, oder freute es sich? Ich konnte es nicht richtig erkennen, da mein Kopf vollkommen leer wurde. Mein Herzschlag beschleunigte sich und ich konnte fühlen wie sich seine beiden Arme um mich legten, als ich ihn nicht weg stieß, sondern seinen Kuss erwiderte. Sein Atem strich warm über meine Wangen und ich wagte es mich nach gefühlten mehreren Minuten zu bewegen. Meine Hand strich seinen kräftigen Oberarm entlang hinauf und legte sich in seinen Nacken.

Sarge zog mich näher an sich und ich fühlte ein knurren in meinem Hals aufkommen. Es fühlte sich so gut an. So richtig.

Nun wagte ich es auch noch meine zweite Hand zu bewegen und legte sie auf seine Wange. Sie war etwas rau von seinen Bartstoppeln, doch ich mochte dieses reiben. Der Kuss, wie sich unsere Körper ergänzten, die Macht die mich überrollte... alles fühlte sich so perfekt an.

Seine Zunge glitt verführerisch in meinen Mund und sein Geschmack vermischte sich mit meinen. Es war so lange her, seit ich zum letzten Mal geküsst hatte, doch der Kuss mit ihm... Er radierte sämtliche Erinnerungen an meine vergangenen Küsse aus. Sie waren nicht wichtig. Sie waren nicht richtig gewesen. Das hier und jetzt mit ihm war richtig. So einzigartig und perfekt.

Plötzlich verschwamm meine Sicht und ich stand wieder vor der Eingangstüre des Lokals. „Wieso haben wir jetzt eigentlich...“

Erschrocken zuckte ich zusammen und Sarge schwieg. „Ist alles in Ordnung?“

Ich schüttelte den Kopf. Nein. Nichts war in Ordnung. Wieso hatte ich ausgerechnet jetzt in die Zukunft gesehen? Ja es waren nur wenige Minuten, doch ich habe schon seit Jahre keinen Blick mehr riskiert. Es war falsch und verkomplizierte Sachen.

„Du bist es?“ Fragte ich und griff mir an die Lippen. Ich konnte ihn immer noch schmecken und mein Herz begann wieder zu rasen. Mein Körper wollte noch mehr von diesen Küssen.

Plötzlich begann mein Geburtszeichen, dass ich auf meiner Stirn trug an zu brennen und alles wurde schwarz. Ich konnte nur mehr Sarge bedrücktes Gesicht erkennen, als er mich auffing und versprach gut auf mich auf zu passen. Das Lächeln auf den schuppigen Lippen meines Monsters erstarb und es rollte sich enttäuscht, geradezu traurig zusammen. Was war hier nur los?

 

Als ich aufwachte, lag ich an einem Felsen gelehnt, der ziemlich ramponiert aussah. Wie bin ich hier her gekommen? „Sarge? Was ist passiert?“

Sarge zuckte mit den Schultern und lehnte sich wieder an einen der Trümmer zurück. „Du warst müde und wolltest schlafen. Du hast mir den Ort gezeigt und dann bist du eingeschlafen. Können wir jetzt endlich weiter?“

Ich war nach der Bar noch so weit gekommen, dass wir bei meinem Felsen gelandet sind, wo ich mich immer verwandelte?

„Ich erinnere mich nicht daran.“ Beschwerte ich mich halblaut und griff mir an die Schläfen, da mein Kopf wie wild pochte.

„Anscheinend hast du gestern zu viel getrunken.“

Knurrend stand ich auf und packte ihn an der Kehle. „Lüg mich nicht an. Ich kann mich an jeden verdammten Moment seit meinem vierten Lebensjahr erinnern. Was hast du getan?“

Mit einem erschrockenen >Huch< landete ich im Gras und Sarge drückte mich auf den Boden. „Wieso sollte ausgerechnet ich etwas getan haben? Und wage es ja nicht mir zu drohen.“
Sein Atem strich warm über mein Gesicht und ich fühlte wie mein Herz zu rasen begann. Etwas wirklich seltsames ist passiert. Und er hatte ganz offensichtlich damit zu tun.

Brüllend rammte ich ihm mein Knie in den Bauch und ich bekam die Überhand zurück, nur um einen dreh später flach mit dem Gesicht in der Erde zu liegen. „Verdammt wieso bist du so stark?“

„Finde dich einfach damit ab, dass wir beinahe ebenbürtig sind.“

„Niemals!“

Sarge kniete hinter mir und hielt mir eine Hand auf den Rücken verdreht. Ich verwandelte meine freie Hand in Klauen und rammte sie ihm in den Magen. Schreiend ließ er mich los und ich lachte laut auf. „Niemand ist so stark wie ich.“
Während ich beobachtete wie sich seine Wunde sofort wieder schloss und sein Hemd wieder ohne ein Loch, oder Blut an seine Stelle zurück rutschte fiel meine Kinnlade hinab. Ich will auch diese Fähigkeit besitzen!

„Was zur Hölle bist du?“

Sarge kam wieder auf die Beine und stöhnte, als hätte er immer noch schmerzen. „Entschuldige. Ich hatte schon seit sehr langer Zeit keine körperlichen Schmerzen mehr. Nun, ja es ist auch nicht möglich schmerzen zu haben, für jemanden wie mich. Aber deine Frage kann ich leider nicht beantworten, das ist mir nicht erlaubt.“

Ich knurrte und verwandelte meinen zweiten Arm auch noch. Vielleicht konnte er keine Schmerzen empfinden, dort wo er her kam, hier jedoch schon! „Du hast meine Erinnerungen gestohlen. Wieso?“

„Weil es notwendig ist. Es ist verboten zu wissen wer ich bin. Ich müsste dich auslöschen, wenn du noch mehr wissen würdest, und das würdest du wollen, wenn du dich wieder daran erinnerst was ich bin.“

Sarge verwirrte mich. Seine Art, so abweisend er auch war, so zog er mich dennoch an. Was ist er nur?

„Ich kann dich auch einfach töten und dann ist dein Geheimnis so wie so unwichtig.“ Ich blickte ihm kalt entgegen und mein Blick wurde von seinen Lippen angezogen, als er den Mund öffnete um etwas zu sagen. Zur Hölle mit ihm!

„Gut ich drehe um. Schau selbst wie du vorankommst.“ Mit einem gezielten Sprung landete ich auf dem größten Teil des von mir zertrümmerten Felsens. Gerade als ich zum nächsten Sprung ansetzte, wurde ich herum gerissen und Sarge blickte mir mahnend in die Augen.

„Lass diese Kindereien. Dafür habe ich keine Zeit. Beathag ist im Dorf und stellt dort was weiß ich was an. Ich muss dort hin und zwar besser heute als morgen!“

Beathag? Ihr wurde erlaubt für ein Werwandler Leben dort zu bleiben und an der Seite ihres Gefährten zu leben. Ihr eigener Bruder hatte sie daran gebunden, doch sie verfügte ab diesem Zeitpunkt nicht mehr um all ihre Kräfte. Sie starb dreihundert Jahre später an der Seite von Thorik und hinterließ zwei wunderbare Söhne, die ein so langes Leben wie ich führten. War sie wegen ihnen zurückgekommen? Der Verlust ihres Mannes hatte sie schwer mitgenommen und sie trat an seiner Seite zurück in das Reich der Engel. Ich weiß nicht wie es dort ist, doch wenn selbst dort ihre Gefühle sie dazu bewegten zurück zu kehren, hatte sie sich anscheinend verändert. Wut packte mich.

„Ein... Engel...“ Beathag und ich waren uns niemals nahe gestanden, da ihr Bruder mich verflucht hatte. Wieso er dies getan hat, verstand ich nicht. Wollte er mich etwa noch mehr leiden sehen?

„Ja das ist sie. Sie gehört nicht mehr in diese Welt und ich habe versprochen sie zurück zu bringen.“

„Nicht wenn ich sie zuerst erwische.“ Knurrend öffnete ich meine Haare und genoss das Gefühl als mir der Wind durch sie strich. „Halt dich jetzt gut fest.“

Mit einem Zorn erfüllten Brüllen löste ich die Ketten und mein Monster übernahm die Führung. Noch während ich vom Felsen sprang, ließ ich es zu mich zu verwandeln und landete auf vier muskulösen grünen Beinen, wobei die Farbe meinen Körper hinauf immer brauner wurde. Mein Schwanz peitschte durch die Luft und mein Feueratem verbrannte das Feld vor mir. Das Miststück gehört mir!

Sarge kletterte vom Felsen auf meinen Rücken und ich stieß mich mit einer flüssigen Bewegung Richtung Himmel ab. Mit fünf weiteren Flügelschlägen katapultierte ich uns bis weit über die Wolken.
„Weshalb haben wir das nicht schon früher getan? Wir wären bestimmt schon längst dort.“

Knurrend verdrehte ich meinen langen Hals nach ihm. „Ich kann dich auch einfach abwerfen!“ Drohte ich, bevor ich meinen Blick wieder gerade aus wandte.

„Dann würde ich dir einfach von selbst folgen. Denkst du ich lasse mich jetzt noch einfach loswerden?“

Knurrend legte ich mich mit den ganzen Körper in eine Kurve, was ihn beinahe von meinem Rücken warf. Hoffentlich verstand er die Drohung. Da er nichts mehr weiter sagte, nahm ich dies als Bestätigung.

Dadurch das ich in dieser Form viel schneller fliegen konnte, als jedes andere Wesen, dauerte es nur knapp eine Stunde bis wir den Rand eines erloschenen Vulkans erreichten. Aus meinen Kindheitstagen wusste ich, dass das Dorf Kilometer weit hinein in den Vulkan reicht. Katakomben, endlose Gänge und riesige Stollen befanden sich unterhalb des schwarzen Steins und deutete darauf hin, dass vor dem Rudel eine andere Zivilisation dort gelebt haben muss. Jedoch um alles zu erkunden, musste man mehr als ein einziges langes Leben besitzen. Wäre ich nicht von dort verschwunden, würde ich bestimmt dort unten herum irren.

„Ist es dort oben?“ Fragte Sarge auf meinem Rücken und rutschte über mein Bein hinab.

„Ja. Ich kann die Macht dieses Monsters fühlen. Sie hat einen dichten Bann über die Decke des Berges gelegt, der es nicht zulässt das Außenstehende es betreten.“

„Also hatte ich recht?“ Fragte er sichtlich überrascht.

„Ja… wohl oder übel.“ Gab ich gereizt zu.

„Denkst du, du kommst hinein und kannst das Zentrum des Kraftfeldes ausschalten?“

Tief sog ich die Luft durch meine Nüstern ein und stieß sie als Rauchschwaden wieder aus.

Mit einem knurren nahm ich meinen Körper wieder in besitzt und landete unsanft auf meinem Hintern. „Ja, ich kann hinein. Immerhin wurde ich dort geboren.“ Näher kann man der Erde nicht sein. „Jedoch werde ich nicht gehen.“ Sprach ich laut aus.

„Was? Aber wieso nicht?“

Funkelnd sah ich zu ihm auf. Das fragt er auch noch? „Weil ich noch nicht weiß wie ich einen Engel töte. Und da du viel über Engel weißt, bist du einer, oder etwas ähnliches wie sie. Also antworte ehrlich. Wie töte ich sie?“

Dröhnendes Lachen drang an mein Ohr, das zwar offensichtlich von Sarge kam, doch nicht nach ihm klang.
„Denkst du wirklich… Du könntest einen Engel töten?“ Er atmete tief ein und starrte so erhaben auf mich herab, dass mir plötzlich übel wurde.

Automatisch fuhr meine Hand zu meiner Stirn, an der das Mal der Engel saß. Es verstärkt meine Kräfte und hebt meinen Charakter hervor. „Ja… niemals könnte ich diesen verfluchten Engel mehr schaden, als dass ich ihm den Engel nehme, der ihm am wichtigsten ist.“

Sein lächeln erstarb und pures entsetzen legte sich in sein Gesicht. „Du willst einen Engel persönlich treffen?“

Kopfschüttelnd verneinte ich. „Nein, ich will ihn so leiden lassen wie er mich hat leiden lassen.“

„Was kann dir ein Engel getan haben, dass du ihn dermaßen verfluchst?“ Seine Besorgnis war echt und von dem abweisenden und wortkargen Sarge nichts mehr zu sehen. Ihm musste viel an Engeln liegen, im Gegensatz zu mir.

Prüfend ließ ich meinen Blick über die Umgebung schweifen und als ich mir sicher sein konnte, dass niemand in der Nähe ist, trat ich bis auf wenige Schritte auf ihn hinzu. Fragend ließ er den Blick über mich gleiten während ich meinen ganzen Mut zusammen nahm. Noch nie hatte ich einen Außenstehenden mein Mal gezeigt. Weshalb auch? Es ist eine hässliche Narbe die das Zeichen der Engel wiedergab.

Langsam schob ich meine Haare zur Seite und beobachtete seine Reaktion. Nichts… er verzog weder das Gesicht, noch schien er überrascht zu sein. Wie viel wusste Sarge tatsächlich von mir?

„Das Zeichen der Engel…“ Flüsterte er so leise, dass ich es kaum wahrnehmen konnte. Dann streckte er seine Hand aus und fuhr so zärtlich über meine Stirn, dass ich nicht anders konnte als ihn einfach anzustarren. Seine weichen Gesichtszüge und sein warmer Atem auf meiner Haut. Im Gegensatz zu mir wirkte er so perfekt. Perfekt aussehend, perfekt ausgeglichen, perfekt verständlich. Kein einziges Haar schien jemals durcheinander zu sein, sein Anzug immer rein und ohne Falten. Selbst als meine Krallen ihn durchbohrt hatten, war alles verschwunden, als wäre niemals Blut aus seinem Körper gekommen.

„Weißt du… andere würden alles dafür tun, um einem Engel so nahe zu stehen. Seinen Schutz zu genießen und zu wissen, das egal was man tut, man irgendwann in den Himmel kommt.“ Er überwand den letzten Schritt einfach und küsste mich auf die Stirn. „Du solltest eigentlich unter diesem Mal glücklich sein. Behütet und geliebt werden. Was hat dich nur so kalt werden lassen?“

Erstarrt konnte ich nicht antworten. Seine Lippen auf meiner Stirn ließen meinen ganzen Körper prickeln und mein Herz wie verrückt rasen. Erst nach einigen Sekunden fand ich mein Wort wieder. „Ich… Ich war niemals anders. Ich bin ein Monster, das töten muss um seine andere Seite unter Kontrolle zu halten. Ich bin Abschaum und hasse Menschen. Ich bin einfach kalt, weil ich es sein muss… anders würde man mich nur jagen.“

Seufzend nahm er mich in den Arm und hielt mich einfach. Sein angenehmer Duft stieg in meine Nase und verursachte in meinem Kopf neues Chaos. Die Gerüche die an ihm hafteten hatten absolut nichts menschliches, aber auch nichts Animalisches. Diese schienen noch nicht einmal von dieser Welt zu sein.

„Edana… dieses Schicksal hätte dir niemals jemand gewünscht.“

„Dann hätte es sich dieser verfluchte Bastard besser überlegen sollen. Also…“ Ich stieß ihn von mir und fühlte ein Donnern in meinem Körper. Die Wut meines Drachen ist erwacht. „Wie töte ich einen Engel?“

 

Ich verstand nicht weshalb, doch Sarge weigerte sich strikt mir einen Tipp zu geben, jedoch versprach sich um die Angelegenheit zu kümmern, insofern ich ihn an den gewünschten Ort führte.

Nach ewigen Drängen, wobei ich bloß auf taube Ohren stieß, willigte ich ergeben ein ihn zu führen. Jedoch musste ich dafür etwas tun, was mir nicht wirklich behagte. Kurz bevor eine Straße, bedeckt mit Kies, scheinbar in undurchdringbare Gebüsch führte und somit jegliches weiterkommen verhinderte, streckte ich Sarge meinen Arm entgegen.

Als wäre ihm dies bereits bewusst gewesen, fädelte er seine Finger zwischen meine, was erneutes Gefühlschaos in mir auslöste. Trotz allem war mein inneres Monster so ruhig, wie ich es bisher niemals gewöhnt war. Bedingt, aufgrund der Situation, gingen wir recht nahe aneinander, kein einziger Meter trennte uns die nächsten Minuten, was meinem Drachen ungemein behagte.

Zufrieden schlummerte er völlig ruhig vor sich hin, wodurch auch ich mich einigermaßen entspannte, während ich Sarge direkt durch imaginäre Dornenbüsche, über nicht vorhandene Abgründe so wie starke Banne führte, die ihn gelegentlich versuchten von mir fort zu reißen.

Eisern hielt ich ihn an meiner Seite, wobei es von mir aus gelegentlich mehr Anstrengung kostete und uns beide immer wieder überraschte. Entweder versuchte eine Windböe ihn fortzunehmen, oder sein Körper schien sich auflösen zu wollen.

Wir benötigten knapp eine Stunde für einen Weg, der nicht einmal zweihundert Schritte maß, bis wir aus dem Energiefeld heraußen waren und vollkommen erschöpft auf eine florareiche Ebene hinab starrten.

„Es ist immer noch so schön wie früher.“ Stellte Sarge, leicht keuchend, fest. Ich musste im Gegensatz zu ihm eine Pause einlegen und meine überanstrengenden Glieder erst einmal ausrasten. Was würde ich jetzt für ein angenehmes Lavabad, oder zumindest für eine heiße Quelle geben?

Unerwartet, fühlte ich wie Sarge hinter mich schritt, da ich auf einem schweren Stein saß, und seine Hände auf meinen Schultern ablegte. Zuerst setzte ich zum Knurren an, doch als sich seine Hände geschickt über meine beleidigten Schultern bewegten, veränderte sich das Knurren unerwartet in ein zufriedenes Seufzen. „Herrlich.“ Schwärmte ich genüsslich, während mein seltsamer Begleiter meine Schultern massierte.

„Sieh es als meinen Danke an. Du hast viel über dich ergehen lassen, obwohl ich lediglich eine Last für dich war, im Bann.“

Seine Hände bewegten sich höher, bearbeiteten rhythmisch meinen Nacken, wobei mein Gehirn für einige Zeit zu Matsch wurde. „Der Bann... Ja der ist eine... Bann.“ Gab ich zusammenhanglos von mir, während meine Augen langsam, jedoch stetig zu fielen.

Plötzlich, so unerwartet wie er begonnen hatte, endete er mit seiner Behandlung, was mich vor Enttäuschung doch glatt den Halt verlieren ließ.

Zum ersten Mal seit Jahrhunderten fiel ich ungeschickt auf meinen Hintern und kämpfte mich aus dem Nebel in meinem Hirn hervor. „Was? Wieso hörst du auf?“ Stieß ich ungläubig hervor, doch bloß einen Moment später war es mir unsagbar peinlich. Wieso sagte ich so etwas? Reagierte jetzt nicht mehr bloß mein Herz seltsam auf ihn, sondern auch mein Kopf? Das hatte mir gerade noch gefehlt.

Eine zierliche, jedoch männliche, helle, Hand schob sich in mein Blickfeld. „Entschuldige, aber wir müssen weiter.“ Erklärte Sarge lediglich.

Immer noch stark verwirrt, ergriff ich seinen ausgestreckten Arm und ließ mich von ihm, schwungvoll, auf die Beine ziehen. Federleicht, landete ich wieder auf meinen Beinen und blickte verwirrt auf in die hellblauen, beinahe gräulich wirkenden Augen. „Du bist verwirrend.“ Gestand ich meiner Begleitung ein.

Ein sanftes Lächeln umspielte seine feinen Lippen und zogen meine Aufmerksamkeit schon wieder in ihren Bann. Was hatte er bloß an sich, dass ich so irrational reagierte?

„Komm, ich habe noch eine Aufgabe zu erledigen.“ Als er sicher war, dass ich selbstständig stand, wandte er sich ab und machte sich auf den Weg hinab in das Tal. Räuspernd raffte ich meine Sinne wieder zusammen und tastete die Ebene ab. Sarge hatte recht. Etwas stimmte hier ganz und gar nicht, alleine schon deshalb, da ich sämtliche Werwandler, auch wenn es sich dabei nicht mehr um viele handelte, ausschließlich in der alten Bibliothek spüren konnte. Zumindest in dem, was davon übrig war.

Im Gegensatz zu früher, erhob sich kein abgerundeter Turm mehr über die Wipfeln der Bäume hinaus und bildete somit das Herz der Siedlung. Dafür hatte ich leider in einem meiner Wutanfälle gesorgt. Die Pubertät ist vielleicht für die meisten nicht einfach. Eltern, so wie Kinder. Jedoch für einen Drachen wir mich, war es die reinste Hölle.

Zwanzig Minuten später trafen Sarge und ich auf das erste Haus der Siedlung. Es wirkte heruntergekommen, genauso wie die, welche darauf folgten. Vereinzelt konnte ich im Zentrum, der weitläufigen Siedlung, auch Leben wahrnehmen, doch viele schien es hier nicht mehr zu geben.

„Edana?“ Als sich zwei Körper in meine Richtung bewegten, war ich keinesfalls überrascht. Ich kannte ihre Energie bereits seit ihrer Geburt. Zwar ähnelten sie sich wie Zwillinge, waren jedoch vollkommen unterschiedlich.

Bloß langsam wendete ich meinen Körper und ließ meinen Blick über die beiden Bärenwerwandler schweifen. Einer von ihnen stand in seiner Eisbärenform vor mir, während der zweite, der dunkelhaarige, seinen Kopf schräg legte um meine Begleitung zu begutachten. „Ich bin lediglich auf der Durchreise.“ Sagte ich schnell, bevor sie mich hinaus werfen konnten.
„Wieso?“ Kam es vom dunkelhaarigen, der bloß wenige Jahre jünger war als ich.

„Eure Mutter. Sie hat dieses Gebiet mit einem Bann belegt. Wir müssen sie auslöschen.“ Antwortete ich kalt.

Sarge trat neben mich und obwohl seine Mimik sich nicht veränderte, fühlte ich einen leicht gereizten Blick auf mir. „Mein Name ist Sarge. Ich wurde geschickt um eure Mutter, Bethang, auch bekannt unter dem Namen Engel Azriel wieder in die Reihen der Engel zu verbannen.“

Der verwandelte Bärenwerwandler, warf seinem Zwillingsbruder einen vielsagenden Blick zu, woraufhin, der ständig stillschweigende, verschwand und sich ersterer in seine menschliche Form begab. „Wollt ihr vielleicht zuerst etwas essen? Ich weiß, unsere Mutter ist nicht einfach, daher lässt es sich bei einem gemütlichen Mahl wohl besser über alles reden.“

Kurz warf ich Sarge einen Blick zu. Dieser nickte und neigte respektvoll seinen Kopf. „Herzlichen Dank. Es wäre uns beiden eine Ehre.“

Also eigentlich wollte ich das alles bloß schnell hinter mir bringen. Trotzdem folgte ich, meine Meinung für mich behaltend, den beiden Männern in ein zweistöckiges, aus Holz gebautes Gebäude. Im ersten Stock befand sich bloß eine Türe mit der Aufschrift >Büro<, welche ich besonders gut kannte. Das Empfangszimmer des Alphas. Im oberen Stockwerk wiederum dessen persönliche Räume.

„Edana, es ist lange her, seit du uns verlassen hast. Wie ich annehmen kann, hast du noch immer nicht gefunden, was du suchst?“ Natürlich wussten die Zwillinge, welche seit dem Tod ihres Vaters die neuen Rudelführer waren, über alle Gründe bescheid, welche mich von hier fort jagten.

„Nein, habe ich offensichtlich nicht.“ Gab ich etwas bissig zurück.

„Möchtest du ein Bad nehmen? Dein altes Zimmer ist so wie du es zurückgelassen hast?“

Für einen Moment sinnierte ich darüber, doch entschied schlussendlich, dass es nicht schaden würde. „Ich könnte womöglich frische Kleidung benötigen. Entschuldigt mich.“

Bevor noch jemand etwas sagen konnte, lief ich aus der Eingangstüre wieder hinaus, über die Straße und betrat die kleine Blockhütte, die ich aus eigener Macht erschaffen hatte. Mit Hand und Schweiß versteht sich, ohne jegliche Magie. Nun, ja. Einige aus dem Clan haben mir natürlich bei größeren Dingen geholfen, mit denen ich noch keine Erfahrung hatte, doch meine Möbel waren alle selbst hergestellt, so wie die Teppiche aus eigener Kraft gewebt.

Es hat mich gut fünf Jahre gekostet, bis alles zu meiner Zufriedenheit war und auf der Terrasse, oder besser gesagt auf meinem Dach, hatte ich damals sogar ein kleines Kräuterbeet angebaut.

Melancholisch betrachtete ich die wohl bekannten wenigen Quadratzentimeter die damals mein eigenes kleines Reich gewesen sind. „Aus dem Raum spricht viel Liebe.“

Mit einem Aufschrei sprang ich aus dem Türrahmen und hob drohend meine schuppigen Krallen.

„Du kannst mich doch nicht so erschrecken!“ Fauchte ich Sarge an, der mich lieblich anlächelte. Sofort sprang mein Herz, abgesehen von dem kleinen Schock, in einen nervösen Rhythmus.

„Bitte verzeih, doch ich sagte deinem Vetter, dass ich normalerweise keine Nahrung benötige, du hingegen könntest eine Stärkung vertragen.“

Aus seinen Worten wurde ich nicht recht schlau. „Also verfolgst du mich lieber und stocherst in meiner Vergangenheit herum?“
Ohne darauf zu antworten, trat Sarge in mein Wohnzimmer ein, unter dessen Treppe zum oberen Stockwerk, sich eine kleine Kochnische befand. Unter meinem teils schrägen Dach, befindet sich eine kleine Schlafecke, welche gerade groß genug für mich war und die ich immer als mein kleines eigenes Nest angesehen hatte. Über die Dachluke, die direkt über meinem Bett war, konnte man meinen ehemaligen Garten erahnen. Jetzt war diese verschlossen durch Unkraut.

„Es ist klein. Hier fühltest du dich als Kind wohl?“ Irritiert beobachtete ich ihn, wie er sichtlich neugierig, jedes Bild genauestens betrachtete, mit seinen Finger über den selbst gemachten Teppich strich und hin und wieder, unauffällig an etwas schnupperte.

„Ich habe hier viele Jahrzehnte verbracht. Ja.“ Trotzdem hatten sich dieses kleine Reich niemals vollständig angefühlt. Mir hatte immer etwas gefehlt, etwas wichtiges. Mein Gefährte.

Überraschend stellte ich fest, dass derzeit alles, beinahe, perfekt wirkte, bis auf einige Altersflecken der Möbel, so wie der ständig ankommende Staub. „Ich kann beinahe sehen, wie du hier gelabt hast.“ Mit einem seltsamen Ausdruck im Gesicht, den ich einfach nicht einordnen konnte, beugte sich Sarge hinab zu meiner eingesessenen Couch und ließ seine Hände über die bereits staubige Fläche gleiten. „Du bist oft hier eingeschlafen, beim Lesen.“ Stellte er fest. Sein nächster Weg führte ihn zu meiner kleinen Büchersammlung, sie bestand hauptsächlich aus Materialbeatbeitungen, oder Ratgebern. „Du bist ein sehr kluges, wissbegieriges Kind gewesen.“

Zärtlich ließ er seine Fingerkuppen über die Buchrücken gleiten, bis er das über Holzverarbeitung erreichte. „Dieses hier ist stark abgegriffen. Ich nehme an, du hast daraus gelernt.“ Es war ebenfalls eine Feststellung und keine Frage.

Weiter zu meinem kleinen Kamin, fand er einige Bilder. Von meinen Eltern, Chattan und Mirana. Meinen Freundinnen und sogar die meiner Cousins und näheren verwandten.

Auch wenn ich mit den beiden Eisbärenwerwandler nicht durch Blut verwandt bin, sind sie dennoch wie Brüder für mich gewesen. „Mit dem schwarzhaarigen warst du einige Zeit zusammen, habe ich recht?“

Verlegen kam ich näher um mir die Bilder selbst einmal anzusehen. „Woher weißt du das?“

„Bloß eine Vermutung. Jedoch ist er vielmehr wie ein Bruder, habe ich recht?“ Stumm nickte ich. „Bist du deshalb gegangen? Weil du dich so sehr nach einem Gefährten gesehnt hast?“

Wieder nickte ich. „Unter anderem. Aber, ja. Ich wollte nicht hierher zurückkehren, bevor ich ihn nicht endlich gefunden habe.“ Bemerkte ich bitter, doch entdeckte Zeitgleich mit Sarge, das Bild von Beathag und Thorik. Sie waren mit Abstand das süßeste Paar auf der ganzen Welt. Beiderseits griffen wir nach dem Bild, woraufhin sich unsere Hände in der Luft trafen.

Plötzlich erschien mir etwas unausgesprochenes in der Luft zu stehen. Sarge nahm meine Hand in seine, führte meine Fingerspitzen zu seinen Lippen und hauchte mir einen zarten Kuss in die Handfläche. Erstaunt schnappte ich nach Luft, während mein berührte Haut in Hitze ausbrach.

Für einen Moment konnte ich meine Hitze nicht richtig kontrollieren, woraufhin dunkle Rauchschwaden aus meinen Nasenlöcher krochen. „Verzeih.“ Mit meiner freien Hand, fächerte ich den Rauch fort, doch Sarge schien es überhaupt nicht zu stören.

Unter seinem Blick, der mich ständig in seinen Bann zog, kam ich auf einen dummen Gedanken. „Ich werde das Gefühl nicht los, dass du vielleicht mein Gef...“

Ich konnte den Satz nicht zu Ende führen, denn er legte sichtlich frustriert seine Fingerspitzen auf meinen Mund. „Bitte, Edana. Tu mir den Gefallen und denke nicht über mich nach, zumindest so lange, bis ich meine Aufgabe erfüllt habe.“

Verwirrt zog ich die Stirn kraus, doch nickte. „Du bist mir jedoch viele Antworten schuldig.“ Sanft entzog ich ihm meine Hand wieder und wandte mich ab. Ich war doch eigentlich zum umziehen hier, oder nicht?

Eilig rappelte ich meine Würde wieder zusammen und ging zu dem Kleiderkasten, welcher sich direkt vor der Treppe befand. Sobald seine beiden Türen offen war, konnte man überhaupt nicht mehr die Stiegen hinauf steigen, doch war mir dies im Moment egal, da sie gleichzeitig einen Sichtschutz für mich bildeten.

Schnell schlüpfte ich aus dem schmutzigen dunkelblauen Kleid und suchte mir eine kurze Hose und ein langes Shirt heraus. Beides war einfach zum entkleiden, doch fühlte ich mich damit mehr wie die Edana von damals. Die Edana mit Familie.

Kurz schwelgte ich in dieser Erinnerung, bevor ich die Kastentüren wieder verschloss und damit auch meine Erinnerungen von früher. Im selben Moment klopfte es an der Türe.

„Hallo.“ Dankend ließ ich den blondhaarigen Alpha ein, welcher ein kleines Tablett mit süßen Früchten der Gegend und Brötchen bereit stellte.

Zusammen mit Sarge nahm ich auf der Bank platz, während der jetzige Alpha sich seufzend in den alten Sitzsack fallen ließ. Unerfreut schnaufte er, als sich ein kleines Loch bildete und Sand auf seine Schuhe lief.

Mittels räuspern versteckte ich mein Kichern. Dieses Loch hatte er wohl vergessen. Ich hatte über ein Jahrlang gesagt, dass ich es stopfen würde, doch ständig darauf vergessen.

„Manches ändert sich einfach nicht.“ Knurrte er, doch schmunzelte daraufhin einen Moment.

„Ganz offensichtlich, du und dein Bruder seid immer noch ein und die selben.“ Stellte ich fest.
„Die selben Menschen, doch älter geworden. Ich habe endlich meine Gefährtin gefunden. Vor vierzehn Monden.“ Fügte er noch hinzu.

Lächelnd aß ich etwas. „Wie schön für dich. Und dein Bruder?“
Schnaubend winkte der Alpha ab. „Der selbe wie immer.“

Also Wortkarg und desinteressiert. Typisch für diesen. „Was genau ist eigentlich hier passiert? Es ist so... still.“
„Unsere Mutter ist passiert. Sie kam vor einigen Jahren zurück von den Toten, in ihrer Engelsgestalt und im vollen Besitz ihrer Kräfte.“ Erklärte Beathangs Sohn gelassen.

„Dafür bin ich hier. Ich wurde gesandt um sie zurück zu verbannen.“ Mischte sich nun Sarge ein.

Der Alpha nickte dankbar. „Ich liebe unsere Mutter und bin dankbar, für alles was sie getan hat, doch sie gehört in dieser Gestalt nicht hierher.“

Sarge stimmte dem Jüngling vollkommen zu, so wie ich. „Dann sollten wir sie töten, das ist der einzige Weg, damit sie nie wieder einen Versuch wagen kann.“ Mordlust glitzerte in meinen Augen.

Tadelnd bekam ich von meinem Cousin einen vorwurfsvollen Blick. „Du willst doch bloß deinem Engel eines auswischen. Du bist noch genauso besessen von ihm, wie früher.“

Empört erhob ich mich von der Bank und schob meine Haare von der Stirn fort. „Er ist Schuld an meinem Dilemma. Wegen ihm habe ich keine Kontrolle und lebe zwiegespalten! Er alleine ist Schuld daran, dass in meiner Umgebung immer wieder unschuldige sterben, bloß weil ich keine Kontrolle...“ Sarge zog mich wieder hinab auf das Sofa, doch stattdessen landete ich auf seiner Schoß.

Ernst zwang er mich ihm in die Augen zu sehen. „Ein Engel würde seinem Schützling niemals willentlich in den Wahnsinn treiben. Dieses Mal auf deiner Stirn, beschützt dich vor allem das dir schaden kann, es zeigt dass du etwas wirklich besonderes bist. Einzigartig. Es soll kein Fluch sein, sondern ein Segen. Der Engelskuss bindet dich an den Engel, der ihn dir gegeben hat.“ Schimpfte Sarge, sodass ich langsam das Gefühl hatte, als würde er es persönlich nehmen.

„Es ist mir egal, dass es ein Segen sein soll. Bisher war es nichts weiter als ein Fluch.“

„In dir schlummert große Kraft, Edana. Wieso kannst du sie nicht einfach akzeptieren?“ Verständnislos musterte er mich, so wie ich ihn. Da ich ja auf seiner Schoß saß, war dies auch das einzige was wir beide tun konnten.
„Weil es furchtbar ist. Der Engelskuss hat meine Kräfte verstärkt, jedes meiner Sinne verstärkt, was mich beinahe in den Wahnsinn treibt. Ich hasse es ich zu sein. Am liebsten wäre ich jemand völlig anderes. Von mir aus eine Kakerlake, oder ein scheues Häschen im Wald. Mir vollkommen gleich. Ich will vieles sein, bloß kein verfluchter Drache. Schon gar keine Königin!“ Mittlerweile war ich den Tränen so nahe, dass sie bloß noch ein zwinkern benötigten um sich zu lösen.

Mitfühlend nahm Sarge mein Gesicht zwischen seine Hände und zog meine Stirn gegen seine. „Oh, Edana. Ich wünschte du könntest dich selbst durch meine Augen sehen. Deine Energie ist unvergleichlich stark und pulsierend, deine Anmut unbeschreiblich. Du könntest voller Matsch sein, doch jedem noch so bestaussehenden Vampir ernsthafte Konkurrenz machen.“
Verlegen begann ich zu lachen. Das war so ziemlich das netteste was ich jemals gehört hatte. Und dass es ausgerechnet von Sarge kam, trieb mir willkürlich Tränen in die Augen. „Nicht weinen, meine kleine Flamme. Ich werde alles in Ordnung bringen, was ich in deinen Augen zerstört habe.“ Dieses versprechen besiegelte er mit einem kurzen Kuss, welcher nicht bloß meinen Körper in Brand steckte, sondern auch das Zeichen an meiner Stirn begann ungewohnt zu kribbeln. Verblüfft von der erneuten Erkenntnis, wen ich da vor mit hatte, sank ich in tiefen Schlaf.

 

Durch ein donnerndes Grollen, fiel ich von der Bank aus meiner Vergangenheit und landete unsanft mit dem Gesicht auf dem Boden. Murrend drängte mein Drache mich zur Eile an, doch erst einmal versuchte ich mich zurecht zu finden.

Um noch einmal alles durchzugehen. Ich befand mich in meinem alten Haus, das ich selbst entworfen und gebaut habe. Hier her bin ich mit Sarge, einem Engel gekommen. Der Engel der mir das Zeichen auf die Stirn gebrannt hat um meine Seele vor Schaden zu schützen und meine Tugend zu wahren.
So schnell, dass mein Kopf bedrohlich pulsierte, als würde er jeden Moment zerspringen, kamen verdrängte und verbannte Erinnerungen in mir hoch.

Wieso hatte ich ihn nicht bereits früher erkannt? Tränen des Zorn sammelten sich in meinen Augenwinkel, während ich mich mühsam hochzog. Wieso hat er es mir nicht gesagt?

Er wusste doch wie verzweifelt ich nach diesem einen besonderen Menschen, über Jahrhunderte hinweg gesucht habe.

Frustriert schlug ich mit der Faust auf den Boden, als erneut ein donnerndes Grollen durch meine Kehle hoch stieß. „Dafür brennst du, Engel!“ Fauchte ich, während sich Schuppen über meine Fingespitzen, hinauf zu meinen Schultern zogen.

Stampfend trat ich aus der Türe meines Hauses und konnte gerade so, zwei goldene Blitze hell oben am Himmel miteinander kämpfen sehen. „Den hohlen wir uns.“ Fauchte der Drache und ich aus einem Mund. Nun waren wir uns einig.

Dieser Engel gehörte uns. Wir haben das Schicksal unseres zukünftigen Gefährten aus versehen geopfert, um eine Katastrophe zu verhindern, welche der Schakalköpfige Gott ausgelöst hätte. Eigentlich wäre ich niemals auf Abbadon getroffen, soweit ich es in meinem Kopf zurückverfolgen konnte. Hätte ich meine Tante und meinen Onkel nicht in eine Zeitreise gezogen, hätten sie Thorik niemals davon erzählt. Er wäre niemals verrückt geworden, sodass der Engel Azriel durch ihren Zorn den Tot hinter sich her zieht. Niemals hätte Abaddon einen Fuß auf die Erde gesetzt.

An alldem war bloß ich Schuld.

Ich ließ meinen schmerzhaften Zorn heraus aus meiner Kehle, trug ihn mittels Schall über das ganze Tal hinweg, bis einer der Blitze inne hielt und mich von oben herab, schockiert betrachtete.

Mittels meiner kräftigen Flügel, zog ich mich hinauf zu ihnen, hinauf in den Kampf, den ich eigentlich niemals zu bestreiten gehabt hätte. „Edanan...“ Begann der Engel des Abgrundes, während seine Goldweisen Flügel ihn außerhalb der Reichweite meiner Zähne brachte. Da mein Körper viel massiger war als der seine, musste ich eine Schleife ziehen, während er sich bereits wieder im göttergleichen Kampf mit seiner Schwester befand.

Tief holte ich Luft, verwandelte sie in heiße Energie und spuckte eine glühende Feuerwelle auf die beiden goldenen Engel. Erschrocken ließen sie voneinander ab, stürzten sich in die Tiefe, wohin ich ihnen beiden sofort folgte.

Steil warfen sie sich in die tiefen der Wälder, dorthin wo wir für das Dorf keine Bedrohung mehr darstellten und ich landete platschend im Wasser.

Sofort veränderte mein Körper sich, wurde eins mit dem Wasser und bläuliche, bis Türkise Schuppen zierten nun meinen Körper. Auch meine Krallen wurden zu flossen, meine Zahnreihen vermehrten sich und ich entwickelte eine zweites Paar Lid, das mir erlaubte unter Wasser etwas zu sehen.

Da sich der Kampf der Engel nun über mir abspielte, schluckte ich einige Liter Wasser, kochte sie in meinem Bauch auf und schoss Wasserstrahlen nach den beiden kämpfenden. Der Engel Azriel versuchte noch auszuweichen, doch ich erwischte ihr gold schimmerndes Bein, was ihr einen gequälten Laut entlockte.

Eigentlich hatte ich ja auf Abaddon gezielt, doch dieser nutzte seine Chance, schlug mit dem Griff seines silbernen Schwertes, auf den Kopf seiner Schwester und brachte sie damit zum Abstürzen.

Kurz bevor sie auf dem Boden aufschlagen konnte, fing ihr Bruder sie ab und auch ich trat aus dem Wasser. Die Verbrennung durch das kochend heiße Wasser, war bereits wieder geheilt, auch schien sie bereits wieder zur Besinnung zu kommen, als man sie fürsorglich auf der Erde ablegte.

Schüttelnd wurde ich wieder trocken und nahm meine menschliche Gestalt an, während ich neben Abaddon trat. „Ich habe zwar bloß einige Tage in der Gestalt eines Menschen verbracht, doch kann ich nun erahnen was dies für eine Last mit sich bringt. Du musst verstehen, dass wir normalerweise nicht solche Dinge wie Glück, oder Wut empfinden.“

Zärtlich strich er seiner Schwester die weißen Locken zurecht, während sich ein Lächeln auf seinen Lippen ausbreitete, das ich nicht zu deuten vermochte. Jedoch konnte ich verstehen, dass wenn man niemals etwas fühlte, es seltsam verwirrend werden konnte, wenn man es dann doch einmal tat.

Vorsichtig, um ihn nicht zu erschrecken, streckte ich meine Hand nach dem Engel aus, ließ meine Finger durch sein seidiges weißes Haar gleiten und genoss es wie, sich mein Drache unter diesen Gefühlen regelrecht sonnte.

Mit einem eben so mysteriösen Lächeln, wandte der Engel mir sein Gesicht zu und verzog es genüsslich. Ja, mein Drache verzehrte sich nach ihm, genauso wie ich selbst. „Ihr werdet jetzt gehen.“ Stellte ich bedrückt fest, während ich meine Finger an seine Wange gleiten ließ.

„Nein, bloß ich werde gehen. Während du geschlafen hast, hatte ich viel Zeit um mit ihr zu sprechen.“ Vielsagend deutete er auf den vor Schmerzen, stöhnenden Engel.

„Lässt du sie denn hier zurück?“ Fragte ich, doch kam mir dumm dabei vor. Das würde er niemals zulassen.
„Natürlich kann ich das nicht. Ihre menschliche Gestalt würde es nicht überleben, sie selbst jedoch, ist bereits lange an dem Verlust dieses Werwandlers zerbrochen.“ Traurig schmiegte er seine Wange an meine Hand. Jedoch nicht lange.
Als würde er einen Entschluss fassen, ließ er von seiner Schwester ab und kniete sich neben mich. „Edana, ich weiß nicht was ich für dich empfinde, doch es geht weit über das hinaus, was ich jemals für Azriel geopfert hätte.“ Nicht wirklich überrascht, sondern mehr erstaunt von seinem Eingeständnis, ließ ich mich von ihm in seine Arme ziehen.
Sofort fühlte ich mich, als wäre ich endlich dort wo ich schon immer sein wollte. „Schon seit dein erster Laut mich auf dich aufmerksam gemacht hat, zieht es meine Aufmerksamkeit ständig zu dir. Könntest du dir vorstellen mich zu begleiten? An Azriels Stelle zu treten?“

Vollkommen überrumpelt starrte ich zwischen dem gepeinigten Engel und der Liebe meines Lebens hin und her. Wieso dachte ich überhaupt darüber nach? Ich kannte die Antwort doch bereits. „Was ist mit Azriel?“

Er zog einen silbernen Dolch aus, woher auch immer, und hielt ihn über den Brustkorb seiner Schwester. „Wir wurden gleichzeitig erschaffen, daher bin ich der einzige der es vermag ihr Erbe weiter zu tragen. Würdest du den Engeln die Ehre erweisen, an unsere Seite zu treten? Als der neue Engel des Todes?

Thorik hat, nach bloß wenigen Jahrhunderten, seine Geliebte verlassen müssen. Sie selbst ist es gewesen, die seine Seele in das Jehnseits trug, was den Engel auf eine Weise zerstört hat, wies es nichts anderes vermocht hätte. „Ja...“ Hauchte ich. Niemals würde ich zulassen, das meinem Engel jemals das selbe widerfuhr. „Ja, ich will an deiner Seite sein. Das ist der einzige Ort an den ich gehöre. Egal wo du hingehst, ich will immer dort sein wo du bist.“ Entschied ich. Selbst wenn es mich über die Möglichkeiten hinaus trug.

„Dann werde ich dich nun von deinem Drachen befreien. Ihr werdet beide eigenständige Leben ab diesem Zeitpunkt führen.“ Erklärte er mit einem solch aufrichtigen Lächeln, dass mein ganzer Körper in dessen Licht verblasste.

Überglücklich überbrückte ich die letzten Zentimeter, die uns trennten und legte meine Lippen auf seine. Zeitgleich ließ der Engel seine Klinge niederfahren und tötete seine Schwester, damit dessen Gabe in mich fließen konnte.

Ohne eine Spur von Traurigkeit, trennte ich mich von meinem Drachen, der regelrecht aus meinem Körper heraus trat. Ohne eine Spur von Traurigkeit, nahm ich die mich überfließende Gabe entgegen, so wie dessen Unsterblichkeit.

Und natürlich, ohne eine Spur von Traurigkeit, legte ich nicht bloß meinen Namen, sondern auch meine Herkunft ab um das Schicksal anzutreten, welches bisher niemals zu Gesicht bekommen hatte, obwohl ich die Zukunft, so wie die Vergangenheit zu jederzeit abrufen konnte. 

An der Seite meines Engels geriet ich in Vergessenheit.

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Tag der Veröffentlichung: 13.08.2014

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