Nein ich verstehe nur nicht, warum du das unbedingt lernen möchtest." Der kleine Junge schlug mit dem abgebrochenen Ast nach dem Mädchen, das nur wenige Jahre Jünger war als er selbst, verfehlte sie jedoch um wenige Zentimeter.
"Weil es in meinem Erbgenen verankert ist, und ich nichts anderes gut kann." Das Mädchen parierte den nächsten Schlag, der Senkrecht auf sie herab sauste und traf ihm am Oberschenkel. Der Junge dachte über die Antwort nach und erwog, das er es nicht in Ordnung fand. "Du bist ein Mädchen, du brauchst das nicht zu lernen."
Das Mädchen wurde daraufhin beinahe so rot wie ihr Haar, das sie Kinnlang trug, vor Wut. "Ich finde das nicht lustig. Ich bin gut darin, das siehst du. Warum sollte ich also nicht der Königlichen Armee beitreten?" Der Junge schlug ihr den Übungsast aus der Hand, schlug ihr in die Kniekehlen, sodass sie zu Boden ging und dann warf er sich neben sie und lachte spöttisch. "Also ich weiß nicht Takira. Spiel lieber mit deinen Puppen." Takira fing bitterlich an zu weinen, dann schrak sie verschwitzt aus ihrem Lager hoch.
Ihre verdammten Albträume hörten wohl nie auf. Sie hatte sie jede Nacht, schon seit sie acht Jahre alt war und ins Trainingslager gekommen war. Seufzend stand sie auf, schlüpfte in ihre Stählernen Stiefel die sie immer trug und schleifte sich mit schweren Schritten hinaus in die Frühlingshafte Kälte. Sie atmete genüsslich ein, dann blickte sie sich um. Ihre Männer schliefen alle noch in ihren Zelten, selbst die drei die zum Wache stehen verdonnert worden waren, waren an einem Felsen gelehnt eingeschlafen.
Takira, wusste ja das ihre Männer müde waren und sich schon freuten, wenn sie endlich wieder zuhause waren, doch war Sicherheit ihre persönliche oberste Priorität. Leise schlich sie zurück in ihr Zelt und holte ihr Horn aus der Halterung, beim Eingang. Dann stellte sie sich breitbeinig vor die drei Schlafmützen und blies mit aller kraft hinein.
Die drei riss es aus dem Schlaf und sie blicken sich verwirrt um. Um Takira herum hörte sie mehrere Aufschreie und erblickte welche, die verwirrt aus dem Zelt lugten. Die drei Wächter am Boden erblickten Takira, ihre Heerführerin, wie sie groß und mächtig wie sie war vor ihnen stand und sie voller Abscheu musterte. Sie rafften sich auf und wussten, dass sie nun eine harte Strafe ereilte.
"Was habt ihr zu euer Entschuldigung zu sagen?" Die Männer standen nur starr da und erwiderten nichts.
"Genau das. Es ist unentschuldbar. Wenn wir zurück sind, werdet ihr einen Monat im Steinbruch arbeiten. Außerdem werden wir sofort aufbrechen, es wird nichts gegessen." Um Takira herum herrschte einstimmiges unwilliges Gemurre, doch niemand würde ihr widersprechen. Und warum? Weil sie sich ihren Rang verdient hat. Sie hatte hart gearbeitet, die letzten Jahre. Sie hatte sich den Respekt und den Gehorsam verdient.
Takira drehte sich um und schritt mit stampfenden Schritten in ihr Zelt zurück. Dort zog sie ihre Rüstung wieder an und baute ihr Zelt ab, das den anderen glich wie ein Ei dem anderen. Zwanzig Minuten später, und noch bevor die Sonne aufgegangen war, marschierte die dreihundert Mannarmee zurück Richtung Stadt, wo sie alle von ihren Familien sehnlichst zurückerwartet wurden. Abgesehen von ihrer Führerin, sie würde sich dort wieder einsam in ihrem Zimmer betrinken, wie sie es immer tat, wenn sie gerade mehrere Menschen umgebracht hatte, nur um einen sinnlosen Befehl eines Senilen alten Königs auszuführen, der nicht sterben wollte. Doch dafür waren sie doch trainiert. Sie sahen keine Menschen. Sie unterschieden sie nicht unter Älteren Leuten, Kindern, Frauen und Männer. Nein. Für sie waren es nur ein Ziel das ausgelöscht gehörte.
Takira! Takira! Schau du wurdest tatsächlich aufgenommen." Ein kleiner Junge rannte auf sie zu und fiel ihr um den Hals. Er wirkte sehr aufgeregt und hatte ein Schreiben mit dem Königlichen Siegel in der Hand. "Takira du bist eine der ersten Mädchen, die im Heer aufgenommen werden." Takira fing an zu weinen vor Freude und umarmte ihren kleinen Bruder.
"Ich wusste, du würdest es schaffen, mein Schatz. Dein Vater ist bestimmt stolz auf dich!" Ihre Mutter nahm sie in den Arm.
"Danke Mum, aber ich muss gleich weg. Das muss ich sofort zu Minoru bringen." Takira lief so schnell sie konnte, über den großen Hof, den ihr Vater sich schwer erarbeitet hatte. Sie lief bis zu den großen Toren der Stadt kam, wo sie nur kurz gemustert und dann weitergeschickt wurde. In der Nähe des großen Gartens, der ausgeschlossen von Blaublütigen benutzt werden durfte, standen zwei große Männer, die sie nicht durchließen. Normalerweise traf sie sich nur außerhalb der Stadt mit Minoru. Er war der einzige Sohn des Königs und hatte lediglich sieben weitere Schwester, die alle älter waren. Zwanzig Minuten später war der kleine Königssohn gerufen worden und sie liefen durch die Stadt, um zu reden. Das kleine rothaarige Mädchen mit dem feurigen Augen erzähle so leidenschaftlich von ihren ersten Kampfstunden, die sie noch am gleichen Tag erhalten hatte, das dem kleinen stillen Jungen beinahe die Tränen gekommen wären.
"Und weißt du Minoru! Ich werde mich so sehr bemühen, das ich schon in ein paar Jahren auf den selben stand komme wie du und dann kämpfen wir immer zusammen!"
Sie hatten bereits einen stillen Ort an einem Friedhof aufgesucht, da sie dort ungestört reden konnten.
"Takira, ich glaube du stellst dir das alles zu einfach vor." Das kleine Mädchen sprang auf und stemmte wütend über seien Arroganz die Fäuste in die Hüfte, wie sie es heute immer noch tat. "Du bist doch nur eifersüchtig!" Der kleine Junge lachte und nahm sie liebevoll in den Arm. "Nein kleine Takira. Ich habe nur Angst um dich. Bitte versprich mir, das du so bleibst wie du bist." Das kleine Mädchen wunderte sich über seine Worte doch versprach es ihm hoch und heilig.
"Takira, ich muss heute Abend abreisen. Ich werde wo anders hinziehen." Das kleine Mädchen fing bitterlich an zu weinen und klammerte sich an ihn, während er ihr sagte das er nicht wusste wann er wieder kommen würde, oder ob er es jemals tat.
"Bitte versprich mir, das wir uns wieder sehen Minoru." Der Junge nickte und schob sie etwas von sich um sie ansehen zu können. "Wir werden uns jede Nacht in unseren Träumen treffen in Ordnung?" Das kleine Mädchen nickte und er wischte ihr liebevoll die Tränen aus dem Gesicht.
"Takira ich wollte dir noch etwas mitgeben, damit du mich niemals vergisst." Sie blickte ihn erwartungsvoll an und plötzlich sah sie nichts mehr außer seine Haare. Seine Augen waren geschlossen und seien Lippen lagen auf ihren. Die kleine achtjährige verstand, das er sie küsste aber nicht warum er es tat. Doch es fühlte sich gut an. Es ließ ihr kleines Herz vor Aufregung wild herum springen. Als er wieder den Kopf hob lächelte sie ihn freudig an.
"Ich habe dir jetzt meinen ersten Kuss geschenkt, bitte verwahre ihn gut in deinem Herzen." Takira, die ein wenig kleiner wahr als der elfjährige, zog ihm am Hemd herunter und küsste ihn zurück. Der kleine Junge war so erstaunt darüber das er einen überraschten laut von sich gab.
"Jetzt sind wir für immer verbunden Minoru!" Minoru lächelte mit Tränen in den Augen. "Ja das sind wir."
Takira sprang von ihrem gemütlichen Fellbett hoch und schlüpfte sofort wie sie es gewohnt war in ihre gepolsterten Eisenstiefel. Dann richtete sie ihre Haare und öffnete die Türe zu ihrem Zimmer, da es geklopft hatte. "Was ist?" Fragte sie gereizt, schon wieder so schlecht geschlafen zu haben. "Der Thronfolger möchte Euch sehen." Irritiert blickte sie den Kahlen Boten an. "Was für ein Thronfolger?"
Doch er drehte sich wieder um und verschwand.
Vor drei Tagen waren sie in der Eisernen Stadt angekommen. Es war die robusteste Stadt die jemals seit Menschen gedenken gebaut wurde. Alles bestand aus Eisen oder ähnlichem Hartmetall. Selbst die Betten waren aus hochwertigem Eisen geschmiedet worden. Müde rieb sie sich das Gesicht und setzte sich zurück auf ihr Bett. Warum musste sie ausgerechnet jetzt von Minoru träumen? Er war doch schon seit Jahren tot. Seine Kutsche war in der Nacht, als er abreiste überfallen worden und seine Kopflose Leiche hinter dem Schloss begraben worden. Er war der einzige Sohn des Königs, bevor seine Gemahlin verstorben war. Das machte seinen Verlust umso trauriger.
Der König, der seit dem schmerzhaften Tot immer dementer geworden war, war vor wenigen Monaten ebenfalls zu grabe getragen worden und deshalb, wurde Takiras Truppe von dem Sinnlosen morden zurückgepfiffen. Sie hatte sich für ein Monat frei genommen um Meditieren zu können, dafür hatte sie die letzten eineinhalb Jahre keine Zeit gehabt.
Verärgert darüber das Boten wirklich nur das aller nötigste sagten und dann verschwanden, zog sie sich ihre Rüstung mit dem grünen Emblem des Königs über und kämmte ihre Haare, die ihr bis zur Hüfte fielen gerade.
Dann stampfte sie mit selbstgefälligen Schritten hinauf zum Schloss und meldete sich an. "Takira Weidhof. Ich wurde gerufen." Der Diener wirkte sichtlich überarbeitet und nervös, doch führte sie wortlos in eine Empfangszimmer in den Oberen Stockwerken. Sie wartete nicht sehr lange und wurde danach in eine Bibliothek weitergeführt. Dort erblickte sie einen Hochgewachsenen Mann, dessen schwarzes Haar im Nacken zusammengebunden war. Seine Wangenknochen standen bestimmend heraus und ließen einem selbst wenn er im Leinensack gesteckt hätte erahnen, das er blaues Blut trug.
"Majestät! Sie haben nach mir gerufen." Der Mann blickte sie mit grünen Augen unverwandt an und sie spürte wie sie etwas nervös unter seinem Blick wurde.
"Ja. Es tut mir leid Sie aus Ihrem Urlaub zu reisen, doch ich bin der Thronfolger und habe somit noch einiges Nachzuholen." Er schritt langsam auf sie zu und umrundete Takira.
Takira war es egal, Hauptsache sie ließ ihm nicht aus den Augen. "Ich kenne mich mit der erblichen Thronfolge nicht sonderlich gut aus, bitte erhellen Sie mich Majestät!"
Er hüstelte leise, dann blieb er vor ihr stehen. "Ich bin der älteste und einzige Sohn vom verstorben König Baltan. Mein Name ist Gemino Baltan Caverus der dritte. Ich bin aus dem Schattenreich gerufen worden, um seinen Platz einzunehmen."
Takira zog die Augenbrauen hoch. Das konnte unmöglich war sein. "Tut mir leid, das kann ich nicht glauben, da ich weiß das des Königs einzige Sohn vor einundzwanzig Jahren gestorben ist. Seine Kutsche wurde überfallen und er wurde hinter dem Schloss begraben." Sie stemmte die Hände in die Hüften und blickte mit erhoben Haupt zu ihm auf. "Also seien Sie ehrlich. Mit den Toten scherzt man nicht."
Der Hochstapler lachte krächzend. "Wie entzückend. Sie wurden wohl noch nicht eingeweiht. Der König hatte Zwillings Söhne. Einer der beiden wurde sofort nach der Geburt aus der Stadt in ein etwas weiter entferntes Land gebracht, während der andere Sohn unter dem Namen Minoru neben dem König lebte. Vor einundzwanzig Jahren ist jedoch der andere Sohn zurück gekehrt und wollte um sein Erbe streiten. Er wurde noch am selben Tag wieder zurück gebracht, noch bevor der König es bemerken konnte. Jedoch hatten sich die Brüder gesehen und einen Deal gemacht. Sie tauschten unbemerkt die Plätze und so fuhr der Sohn, der schon immer im Schloss gelebt hatte mit in die Wildnis, doch dort wurde er unglücklicherweise von Dieben getötet. Als sie den Fehler bemerkten, beschlossen sie den Sohn, der in der so genannten Wildnis groß geworden war, wegzusperren. In eine kleine Burg mit Leibeigenen, die sich um alles kümmerten. Kürzlich wie Ihr ja wisst verstarb der König und ich wurde aus dem Exil zurück gerufen."
Takira hörte sich alles in Ruhe an, doch irgendwie glaubte sie ihm nicht. Etwas passte nicht in der Geschichte zusammen. Mit ruhiger Stimme wandte sie sich an den Thronerben. "Nun gut Thronfolger Gemino. Aber es erklärt nicht warum Sie mich zu sich gerufen haben." Ihre inneren Narben schmerzten und ihr Herz fühlte sich an als würde es erneut gebrochen werden. Damals hatte sie Tagelang um den Verlust geweint, seitdem niemals wieder, abgesehen davon in ihren Träumen.
Er schritt mit seinen Langen Beinen zurück zum Tisch und wühlte etwas darauf herum. "Hier ist mein Vertrag, das Ihr Euch als meine persönliche Leibgarde an mich bindet und mich beschützt." Takira klappte der Unterkiefer hinunter, als würde sie etwas sagen wollen, doch brachte keinen Ton heraus. War das sein ernst? Sie war eine ausgebildete Heerführerin und Strategien. Ihr Sinn bestand darin zu kämpfen, nicht jemanden zu behüten. "Tut mir leid, doch ich bin eine ausgebildete Feldkämpferin. Meine Fähigkeiten sind nicht dazu gemacht Eskorte zu spielen." Sie konnte sich einen abfälligen Tonfall nicht verkneifen, doch der Thronfolger winkte ihren Protest einfach ab.
"Ich weiß, ich weiß. Doch ich habe nur gutes über Euch gehört Heerführerin Takira. Ich weiß das Ihr die beste Schwertkämpferin im ganzen Land seit und wie ich gehört habe, übersteigt lediglich Euer Eifer Euer außerordentliches Talent. Ich bin mir sicher, dass Ihr genauso viel Leidenschaft in Euer Schwert legt, wenn jemand den einzigen verbliebenen Thronfolger bedrohen sollte, wie wenn Ihr Eure Männer in einen Kampf führt. Abgesehen davon, sind die Ratsmitglieder damit einverstanden."
Takira hätte am liebsten aus Protest auf den Tisch eingeschlagen, nur um zu sehen wie er einfach so zerbrach unter ihrer Faust. Das konnte doch nicht wahr sein, das sie einfach so von der Front genommen wurde. Bestimmt würden bald wieder einzelne Attentäter kommen und versuchen den König zu stürzen, nur um zu sehen wie fähig er ist.
"Also kann ich es so sehen, das solange die anderen Länder Euch für unwürdig halten und Euch bedrohen, Sie meine Fähigkeiten brauchen um am Leben zu bleiben." Der Königssohn nickte einmal und griff dann zur einer Feder, der er ihr erwartungsvoll hinhielt. Sie ergriff die Feder und las den Vertrag durch. Er band Takira unbefristet an den Thronfolger, bis er des Königs Amt einnahm. Das konnte nicht all zulange dauern, da der alte König schon seit zwei oder drei Monaten tot war und sie dringend einen neuen brauchten.
Takira wurde von Gemino erwartungsvoll angeblickt, was sie noch nervöser machte. Gemino und Minoru glichen sich kein bisschen. Der kleine Junge von einst hatte zwar auch so stechend grüne Augen wie der Mann der vor ihr stand doch, war sein Gesicht markanter und härter. Es sah etwas rauer aus, wie von vielen Erlebnissen geprägt. Die stimme war älter und tiefer, was auch verständlich war, da sie Minoru nur als Kind kennen gelernt hatte. Doch andererseits war sie sich auch sicher das Minoru niemals gewollt hätte, dass die Ahnenreihe ausstirbt. Das irgendein anderes Königreich sich des größten Eiserne Schlossen bemächtigte, das jemals entstanden war. Takira setzte ihre Unterschrift auf das Blatt Papier vor ihr und drehte sich dann mit in den Hüften gestemmten Händen zum Königssohn um. "Nun gut. Ich werde mich noch angemessen umkleiden, danach werde ich in den Dienst drehten." Sie wandte sich zum gehen, doch der Thronfolger hielt sie am Arm auf. Takira wartete was er ihr zu sagen, hatte und fühlte dabei ihren Blick an ihrer Schulter. "Bitte sieh mich nicht als den Übeltäter an. Es war nicht alles meine Idee." Takira wusste nicht wovon er sprach. Meinte er die Aktion damals, oder den gerade unterschriebenen Vertrag? Takira hatte da so eine Ahnung.
Als sie sich die Offizielle Kleidung der Königlichen Beschützer überzog, und sich dabei ihre Narbe auf den rechten Rippen anblickte, fühlte sie ein seltsames Brennen in ihrem Brustkorb. Es war als würde sich ein Nagel langsam in ihr Herz bohren, das immer noch für Minoru schlug. Es war zwar lächerlich immer noch an ihn zu denken, nach einundzwanzig Jahren, doch war er das einzige das sie aufrecht hielt. Frustriert schlug sie mit dem gepanzerten Halbhandschuh gegen die bemalte Wand und hörte das laute klonk durch ihr Zimmer vibrieren. Sie war doch gerade erst nach hause gekommen und hatte noch nicht mal ihre Mutter begrüßt. Sollte sie sich schnell davonstehlen und zum Hof rennen um sie kurz in den Arm zu nehmen?
Das konnte sie leider nicht. Immerhin hatte sie eine Aufgabe zu erfüllen. Schnelle Schritte trugen sie zurück zum Hauptteil des Schlosses, wo sie den zukünftigen König im Speisesaal antraf. Er genoss ein großes Mahl und lud auch Takira dazu ein, doch diese lehnte ab. Sie bezog ihre Stellung hinter dem Stuhl von Gemino, wo sie alles überblicke. Über den Tag hinweg, kamen mehrere Dienstboten, die ihm mehrere Nachrichten zukommen ließen. Takira prägte sich jeden einzelnen ein, denn sie musste später, nachdem sie abgelöst wurde ihren Tagesbericht schreiben um später nachprüfen zu können ob alles in Ordnung war.
Es war nun beinahe Mitternacht und Takira folgte dem Thronerben still und wie ein Schatten. Immer die Augen, nach Potenzieller Gefahr ausgerichtet. Als sie endlich das Schlafgemach von Gemino erreichten positionierte sich Takira davor und ließ aber nicht in ihrer Aufmerksamkeit nach. Nun konnte sie sich endlich ihren Gedanken hingeben.
Die letzten Monate hatten viel von ihr abverlangt. Sie war geistig müde und ihr Körper wurde auch schon langsam schwächer. Sie wusste sie hätte sich auf den Vertrag nicht einlassen sollen, doch jetzt konnte sie auch nichts mehr daran ändern.
Wollte sie den das überhaupt? Sie lebte für ihren Beruf. Für sie gibt es nichts schöneres als die Klinge zu schwingen und ihren Auftrag zu erfüllen. Aber nun stand sie hier, vor dem Königlichen Gemächern und war zu einer persönlichen Leibgarde heruntergesetzt worden. Jetzt konnte es doch gar nicht mehr schlimmer kommen.
Sie hörte neben sich das kratzende Geräusch der Klinke, die heruntergedrückt wurde und machte in Windeseile einen Blick auf die Umgebung, ob auch ja niemand in der Nähe war. Doch alles was sie sah, war ein prunkvoll eingerichteter Gang.
Die Tür glitt mit einem leisen scharren auf dem Boden auf und Takira spähte etwas um die Ecke. Sie konnte nur gedämpftes Licht erkennen und eine hochgewachsene Person, die neben ihr Stand. "Takira, komm bitte einmal herein, ich habe Fragen." Gemino schritt wieder in den Raum zurück und Takira war verwirrt. Warum sollte sie in eines der Königlichen Gemächer gerufen werden? Sie hatte weder Andeutungen gemacht, das sie sexuell an ihm interessiert wäre, noch waren sie so gut befreundet, das sie sich so etwas erlauben konnte. Deswegen blieb sie einfach nur unentschlossen stehen.
"Takira! Befehl!" Nun musste sie sich beugen. Zögerlich bewegte sie ihre steif gestandenen Beine und betrat den Raum. Es war das erste mal, das sie ein solches Zimmer von innen sah. Die Decke unterschied sich nicht im Geringsten zu sämtlich anderen Kunstvoll bemalten. An den Wänden waren Sämtliche Gemälde von den letzten Königen aufgereiht, als würden sie streng über ihren Nachfahren Wachen. Sonst war alles in weiche Brauntöne gehalten und ein großes, sehr schweres Himmelbett, nahm beinahe eine ganze Wand ein. Wenn sie sich nach links wandte, erblickte sie Gemino in einen Stapel Bücher versunken.
"Takira, schließe die Türe und komm her." Er blickte sie zwar nicht an, doch konnte sie sehen, das nicht seine ganze Aufmerksamkeit auf den Büchern lag.
Sie schritt auf ihn zu und blieb einige Schritte vor dem massigen Schreibtisch stehen. "Kannst du diese Sprache?" Takira nahm ihm das Buch, das er in der Hand trug aus der Hand und fuhr mit den Fingern über die verschnörkelte Schrift. Sie ähnelte mehr einer Zeichnung als einer Schrift. Als sie nun den Kopf etwas drehte, konnte sie erkennen, das die Schrift sich auch veränderte. Takira fühlte beinahe die Schrift. Es war als würde sie sie nicht lesen, sondern als würden ihr die Buchstaben sagen, was sie bedeuteten.
"Ich kann es so klar lesen ,als hätte ich noch nie etwas anderes getan. Was ist das für eine Schrift?" Gemino nahm ihr das Buch aus der Hand und verdrehte es genauso wie sie. Doch dann wirkte er irgendwie enttäuscht.
"Es ist eine sehr alte Schrift. Sie offenbart nicht jedem die Geschichte die sie in sich trägt. Man könnte es mit einer magischen Schrift vergleichen, wenn man an so etwas glaubt." Takira starrte ihn an, als hätte er gerade gesagt, dass er auf der Toilette Gold scheißt. Es war unglaublich, doch andererseits, klang es wunderschön. Die Geschichte spielte immer noch in ihrem Kopf, als würde die Schrift ihr sagen wollen, dass sie es niemals vergessen durfte.
Wie könnte sie auch? Sie war nicht fähig zu vergessen.
"Die Geschichte erzählt etwas von Rauch und Kampf. Von Klauen und Kiefern. Ist es eine Fantasiegeschichte?" Fragte sie, da sie diese Gedanken einfach nicht abwimmeln konnte.
Gemino setzte seine Brille ab, die er seit sie hereingekommen war getragen hatte und lächelte.
"Ja ist es. Sag mir, wenn die Geschichte in deinem Kopf einen Sinn ergibt. Und dann reden wir darüber." Takira nickte und hoffte, das sie damit entlassen worden war.
"In Ordnung, Sir." Takira machte einen Routine Blick durch das Zimmer und plötzlich stockte ihr das Herz. An der Wand, die etwas verdeckter war, strahlten ihr zwei grüne Augen entgegen und musterten sie still. Sie machte einige Schritte darauf zu, doch als sie nahe genug dran war, um etwas zu sehen, war es auch schon wieder verschwunden.
"Ist etwas?" Fragte Gemino laut, doch sie deutete ihm lediglich still zu sein. Ein fremder Geruch mischte sich in ihre Nase und brachte sie zum niesen. Es erinnerte sie an einen Wald. Einen Wald aus ihren Träumen.
Wir werden uns jede Nacht in unseren Träumen sehen.
Takira schob den Vorhang zur Seite und lugte hinab in den gut bewachten Hof. Einer der Garde umrundete gerade einen Busch, als würde er etwas suchen. Sie konnte erkennen, wie er erschrocken seien Hand zurück zog und wütend mit dem Busch schimpfte. Sie hörte hinter sich die Schritte von Gemino näher kommen, doch war gespannte, was der Gardist dort unten gefunden hatte. Plötzlich sah sie einen kleinen Orangen Blitz in die Nacht fortlaufen und der Gardist schimpfte der wahrscheinlich fauchenden Katze hinterher. Takira musterte noch ganz genau den Garten, denn von den Obersten Schlafgemächern hatte man eine Perfekte Sicht auf den ganzen Garten.
"Scheint kein Katzenfreund zu sein." Takira schrak zusammen, da die Stimme von Gemino direkt neben ihrem Ohr ertönte. Er blickte ihr über die Schulter nach unten in den Garten, doch ohne sie zu berühren.
Ihr Herz wurde schwer und sie wünschte sich plötzlich mit Minoru hier zu stehen. Auch wenn es völlig irrsinnig war. Doch heute würde sie wieder einmal das Grab von ihm Besuchen. Wenn sie Zeit hatte, besuchte sie es immer rund um seinen Sterbetag. Doch nun war sie schon über ein Jahr nicht mehr in ihrer Heimat gewesen.
Fröstelnd schloss sie zufrieden den Vorhang wieder und drehte sich um, doch Gemino stand direkt vor ihr. Im fahlen Licht des Mondes, sah sie plötzlich wieder das Gesicht des kleinen Junges aus ihrem Traum. Das sonst so tiefschwarze Haar war in eine helles Silber getaucht, ähnlich dem vom Mond. Grüne Augen blitzten wie Diamanten zu ihr herab. Die Mundwinkel waren zu einem schelmischen Lächeln verzogen.
"Was ist? Du siehst mich so an, als hättest du gerade einen Traum gesehen." Takira schüttelte sich aus ihrer Benommenheit und fühlte eine Träne ihre Wange hinunter gleiten. "Nein. Ich dachte nur... Entschuldigung, aber Ihr seht in diesem Mondlicht Eurem Bruder so ähnlich, da sind mir einige Erinnerungen hochgekommen."
Gemino wirkte seltsam mitgenommen, so als würde er ihre Gefühle Verstehen, doch sie hatten sich doch nur einmal gesehen oder?
"Nimm dir ab jetzt frei. Ich komme morgen ab zehn wieder aus meinen Gemächern." Takira nickte und war froh darüber endlich weg zu können. Ihr Herz raste als würde es ihr das Schritttempo vorgeben wollen und Takira hielt sich daran. Sie ging so schnell sie konnte, ohne Aufmerksamkeit zu erregen nach unten in den Hof und nahm keine Rücksicht auf andere. Im Garten selbst lief sie so schnell sie konnte und sprang über mehrere Hecken. Erst als sie am königlichen Friedhof ankam, drosselte sie ihr Tempo so weit, das sie nur mehr langsam schlich. Ihr Blick war einzig und allein auf ein kleines Kreuz zwischen zwei großen Steinen geheftet. Das linke Grab war schon überwuchert von Gras und Unkraut, das kleinere mit dem Kreuz war etwas von Moos bedeckt, das sie liebevoll runter schabte. Das rechts neben dem kleinen, wirkte frischer und imposanter. Das musste das vom letzten König sein.
Takira setzte sich neben das kleine Grab mit der Aufschrift von Minoru und legte ihren Kopf darauf, so wie sie es immer tat. Mit ihrem Dolch befreite sie das winzige Grab etwas von dem Unkraut, das sich genüsslich darum schlang und warf es weit weg. Als es wieder säuberlicher wirkte musste sie lächeln.
"Ist schon lange her, alter Freund." Sagte sie zum Grabstein. Eine Windbrise fegte ihr über das Haar und wickelte es um den Grabstein. "Ich vermisse dich auch Minoru."
"Ihr kanntet euch gut oder?" Erschrocken fuhr Takira auf und richtete ihren Dolch auf einen Schatten. Sie konnte die Person nicht erkennen, doch die Stimme verriet ihm.
"Was suchst du hier? Du hast hier nichts verloren!" Tadelte sie ihren Jüngeren Bruder. Er trat aus dem Schatten und lächelte traurig.
"Ich habe gehört du bist wieder hier, doch hast du dich bei Mutter nicht gemeldet. Sie ist traurig." Takira steckte ihren Dolch zurück in ihren Gürtel und wandte sich zum gehen. "Ich komme morgen früh in der Dämmerung." Damit verließ sie den Friedhof und ging in ihr Zimmer zurück.
"Natürlich Vorsitzender. Ich werde das klären." Gemino verabschiedete sich von dem Vorsitzenden des hohen Rates und wandte sich zum Garten um. Heute war ein sonniger Tag und verwöhnte jeden mit ihren zarten Strahlen. Takira war bewusst, das sie ihre Rüstung bald wechseln musste, da die, die sie trug zu warm wurde, doch andererseits, mochte sie gewohnte Sache lieber.
Gemino setzte sich an den Springbrunnen und warf Fischfutter hinein. Takira mochte keine Fische. Sie waren schuppig und hatten so einen seltsamen Geruch an sich, den sie abstoßend fand. Sie begann sich im Kreis zu bewegen und prüfte alles doppelt und dreifach. Die letzten Wochen waren ruhig verlaufen. Niemand hatte einen Anschlag gewagt. Für Takira war es die langweiligste Zeit die sie jemals erleben durfte.
"Woran denkst du?" Gemino war aufgestanden und roch an einer Rose. Plötzlich nieste er und fluchte leise, dass er das demnächst einmal lassen sollte. Takira musste darüber kichern und Gemino blickte sie verwirrt an.
"Ich habe in den letzten Wochen so viele verschieden Witze gemacht und du hast immer nur freundlichkeitshalber darüber gelächelt. Doch über so etwas lachst du?"
Takira räusperte sich und setzte wieder ihre Maske auf. "Entschuldigung." Murmelte sie und verbeugte sich knapp.
"Nein, ich meine das nicht böse, ich finde es lediglich verwirrend."
Takira wandte ihr Gesicht ab, da sie fühlte, das sie rot wurde. "Diese Geste erinnert mich nur an jemanden den ich einmal kannte. Er tat das selbe auch immer. Er wollte wissen wie eine Blume roch, doch musste er bei stärken Gerüchen immer niesen. Danach murmelt er etwas was so ähnlich klang, wie eine üble Angewohnheit."
Gemino lachte und strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. "Ihr kanntet meinen Bruder wohl sehr gut."
Takira lief es kalt über den Rücken hinunter. "Ich sagte nie, das ich Euren Bruder meine."
Gemino machte eine wegwerfende Handbewegung. "Ich weiß das du ihm nahe gestanden hast. Möchtest du mir nicht etwas über ihn erzählen? Ich kenne ihn überhaupt nicht und sonst redet hier keiner über Tote."
Takira fiel es schwer , doch entschloss sie sich ihm einige gute Sachenüber ihn zu erzählen. "Nun, ja. Er war ein sehr... aufgewecktes Kind. Ich kenne ihn seit der Wiege. Mein Vater war oberster Heerführer des Königs und meine Mutter dessen Beraterin. Darum war ich auch oft mit im Königsschloss. Wir sind praktisch wie Geschwister aufgewachsen. Er war zwar drei Jahre älter, aber das hatte mich nie an etwas gehindert. Minoru und ich habe oft ärger bekommen, weil wir in den Katakomben Abenteuer gesucht hatten. Wir sind mindestens genauso oft vor dem Tadelnden Blick des Königs gestanden, doch sobald ich ihn >Lieber Onkel König< nannte, wurde er schwach.
Als wir älter wurden und Minoru Schwertunterricht nahm, war ich immer an seiner Seite. Er war fürchterlich schlecht, so wie ich heute weiß, doch damals war er für mich der beste von allen. Er hat mich als ich sieben war einige Schwerthieb gelehrt mit einem Ast. Ich habe damals unendlich viele Schläge kassiert. Aber wenn ich heute so zurück denke, frage ich mich warum es nicht umgekehrt war."
Gemino lachte laut neben ihr auf und es riss sie aus ihren Erinnerungen. "Das klingt wundervoll. Ich wünschte ich wäre auch an eurer Seite Aufgewachsen. Takira lächelte. "Das wäre bestimmt schön gewesen. Darf ich Euch fragen, wo oder wie Ihr aufgewachsen seit?"
Gemino nickte und sie schritten nebeneinander gemütlich durch den Garten bis die Sonne unterging. Er erzähle ihr wie er auf einer Farm aufgewachsen war und irgendwann zufällig erfahren hatte, das er der Sohn des Königs sei. Er war nur wenige Tage danach ins Königsschloss eingebrochen um den König zur rede zu stellen, doch dort wurde er von Dienerinnen abgefangen, die damals seiner Mutter gedient hatten. Sie sagten ihm, das er niemals wieder kommen durfte, außer er wurde gerufen um einen leeren Platz zu füllen. Als die Dienerinnen eine Kutsche organisierten, traf er zufällig auf sein Ebenbild. Er war zwar etwas größer und nicht so hager genährt wie er selbst, doch sie verstanden sich auf Anhieb und wollten nur für kurze Zeit den Platz tauschen. Was ihnen auch gelang, bis zu dem tragischen Unfall.
„Als die Dienerinnen den Fehler bemerkten, führten sie mich zu einem Lehrer im Ruhestand, der ihn Unterrichtete. "Ich lebe bis heute mit meiner dummen Idee und leide darunter, doch mittlerweile weiß ich, das ich als Kind einfach nicht richtig aufgepasst habe und das mit dem Überfall nicht meine schuld trägt. Aber es wird trotzdem in meinem Herzen immer etwas fehlen." Takira machte diese Geschichte traurig und sie wünschte sich ihn einfach in den Arm nehmen zu können.
Sie saßen vor dem Friedhof auf einer Steinernen Bank. Takira legte ihm einen Arm auf die Schulter und drückte sie. "Minoru gibt Ihnen bestimmt keine Schuld, Sir. Er wäre stolz auf Sie, das Sie seinen Platz einnehmen und ihm damit Ehren."
Gemino lächelte breit und scherzte, da viel ihr auf, dass etwas mit dem Zahn von Gemino nicht stimmte. Einer der Eckzähne war abgebrochen. "Eschenbaum auf der Weide...." Erinnerte sie sich. Gemino sah sie verwirrt an. "Was meinst du?" Takira sprang auf und suchte nach dieser Erinnerung in ihrem Kopf. "Als ich fünf war. Sind wir geklettert. Ein alter Eschenbaum, der vor ein paar Jahren gefällt wurde wegen Schädlingen. Ein Ast war morsch und Minoru viel hinunter. Er schlug sich ein Stück vom Zahn aus. Doch ich erinnere mich nicht."
Gemino hielt sie an de Schultern fest und schüttelte sie bis sie sie ihn ansah. "Was meinst du? Wovon redest du?"
Takira deutete hinauf zum Fenster, des Thronfolgergemach. "Das Buch. Es zeigt die Wahrheit!" Gemino wirkte total verwirrt. "Wovon sprichst du?"
Als Takira jetzt seine Zähne sah, waren sie wieder ganz normal. Sie legte vorsichtig ihre Fingerspitzen auf seine spröden Lippen und starrte sie an, als würde da etwas fehlen. Sie sprang überrascht einen Schritt zurück, als ihr bewusst wurde, wem sie da so nahe gekommen war. Sofort viel sie auf die Knie. "Entschuldigen Sie Eure wehrte Hoheit. Ich stehe heute neben mir. Bitte vergeben Sie mir mein törichtes Verhalten." Starke Hände packten sie und zogen sie wieder auf die Beine. "Ich sagte es ist in Ordnung. Bitte nimm dir doch den restlichen Abend frei und ruhe dich aus. Ich nehme dich viel zu sehr in Anspruch. Takira sah ihn nur einen Bruchteil von einer Sekunde. Sie konnte nichts anderes mehr machen, als Gemino zu packen und zu Boden zu werfen, wo sie sich schützend über ihn legte. Etwas sauste über sie hinweg und schnappte nur wenige Zentimeter neben ihrem Kopf nach ihr.
Takira kniete sich über den Thronfolger und legte ihm einen Dolch in die Hand, während sie ihr Schwer zog. "Bleibt unten und versteckt Euch hinter der Bank." Sie warf sich auf das Ungetüm, das sich aus einer Hecke löste und schlug wie wild nach ihm. Es war gerade Sonnenuntergang und der königliche Garten lag auf der Schattenseite des Schlosses. Daher erkannte sie nur eine massige Gestalt, die jede ihrer Schläge parierte. Womit, wusste sie nicht. Sie konzentrierte sich voll und ganz auf den Eindringling vor ihr, dass sie die zweite Bedrohung erst sah, als ein Dolch über dem Thronerben aufblitzte. Takira traf den Mann an der Schulter und durchbohrte sie, während sie nach einem kleinen Wurfmesser griff und es hinter sich schleuderte. Es würde den Hals des zweiten treffen, da war sie sich sicher. Als sie das gurgeln hörte, gab sie einen zufriedenen Laut von sich. Der Mann der zusammengesunken am Boden kauerte stocherte mit einem Kurzschwert nach ihr, doch sie schlug es ihm mit Leichtigkeit aus der Hand. "Wer bist du und wer schickt dich?" Sie wusste schon das er lieber sterben würde als etwas zu sagen.
Ein rascheln im Gebüsch verriet ihr, das noch jemand da war. Ein riesiger Hund, der ziel genau auf den König zuraste. "Nein!" Schrie Takira. Der Hund jedoch würdigte sie keines Blickes. So schnell sie konnte lief sie los. Sie ließ sogar ihr Schwert fallen und zog einen Dolch. Der würde genügen um einen Hund zu töten, das Schwert würde sie nur in der Geschwindigkeit drosseln.
Gemino stand bereit den Hund abzufangen da. Seine Entschlossene Miene, ließ sie erkennen, dass er vorhatte dem Hund den Dolch in sein Maul zu rammen, doch der Hund würde ihn mit in den Tod reißen, das stand außer frage. "Runter!" Schrie sie, doch Gemino blieb einfach stehen. Das würde sie doch niemals schaffen. Der Hund war viel schneller als sie.
Klauen und Zähne die sich um sehniges Fleisch schlossen. Es Blitzte in ihrer Erinnerung auf. Wann hatte sie das gesehen?
Takira warf den Dolch und traf den Hund in der Flanke. Er jaulte auf und verlor jedoch nur wenig an Geschwindigkeit, doch es reichte. Sie sprang und warf sich gegen den Hund, dessen Kiefer Gemino gerade noch verfehlte.
Takira spürte einen Schmerz im Oberarm, ein Brechen von Knochen und dann nur mehr schwarz. Gerade noch den letzten Atemzug des großen Hundes vernahm sie, während sie sich dachte, wie sehr er doch einem wilden Wolf ähnelte.
Takira erwachte nach einigen Stunden auf der Krankenstation. "Was ist passiert?" Fragte sie einen Kommandanten, der neben ihr stand. "Ihr seit munter! Wir dachten schon wir hätten Euch verloren Heerführerin Takira."
Takira streckte die Hand nach ihm aus und legte sie ihm auf den Unterarm. "So schnell bekommst du nicht meinen Platz mein Lieber Gardos."
Er lächelte sie Augen verdrehend an. "Wen würde ich den sonst nerven, wenn Ihr so schnell abkratzt?"
Takira lachte hustend. "Du nervst mehr Leute als genug." Gardos senkte seine Stirn auf ihre, ein Zeichen des Respekts und der Zuneigung.
"Was ist passiert? Ich kann mich nur mehr Bruchstückhaft erinnern. Ich habe einen Hund getötet und einen Mann, den anderen habe ich nur angestochen. Was ist aus ihm geworden?"
Gardos nahm ihre Hand in seine und streichelte sie. "Du hast so tapfer gekämpft. Du bist jetzt schon eine Berühmtheit. Es waren drei Angreifer. Ich habe nur mehr gesehen wie du dich vor den Hund geworfen hast, er hat dich voll am Oberarm erwischt und du hast ihm einfach den Dolch ins Herz gerammt. Es war einfach spektakulär. Der Thronfolger hat dich Persönlich zur Krankenstation getragen. Erst als er eingeschlafen ist, konnte ich ihm überzeugen, das ich über dich wachen würde."
Takira lief knall rot an. "Getragen? Wie?" Stammelte sie. Gardos lachte laut. "Immer noch schüchtern? Genauso wie ich dich kenne." Lachend hielt er sich den Bauch, als würde er ihm schmerzen.
Takira bewegte ihren Arm, doch fühlte keinerlei Schmerz. "Wovon redest du?" Sie war sich sicher, das sie kurz bevor sie Bewusstlos wurde, einen Knochen knacken gehört hatte. War es vielleicht der des Hundes gewesen?
"Oh, man. Du bist Blind. Es ist bereits seit Tagen in aller Munde, dass der Thronfolger ein Auge auf dich geworfen hat. Nun wirst du ihn wohl niemals abweisen können. Immerhin hast du ihm das Leben gerettet."
Takira fuhr vor Empörung auf. So etwas lächerliches hatte sie noch nie gehört. "Pass auf wie du über den zukünftigen König redest. Der Galgen wartet auf solche Gerüchteküchen wie dich." Gardos hob beschwichtigend die Arme und drückte sie wieder zurück auf das Bett. "Schon gut, schon gut. Tut mir ja leid. Aber ehrlich bleib liegen. Dein Oberarm ist gebrochen und du solltest dich schonen."
Takira griff nach ihrem Oberarm, der Fest an ihren Oberkörper gebunden war, damit er richtig zusammen wuchs. Als sie die Finger bewegen konnte blickte sie ihn verwirrt an. "Nein ist er nicht. Mach dich nicht lächerlich." Takira band ihre Maschen ab und bewegte den Arm, der gerade einmal noch einen Bluterguss aufwies. "Na toll. Das wird wieder ewig lang weh tun."
Gardos packte ihren Arm und betrachtete ihn eingehend. "Aber ich habe es gesehen! Er war total zerfetzt und der Kochen war teilweise heraus gebrochen. Ich war dabei, als sie..." Takira setzte sich auf und schwang die Beine neben ihm aus dem Bett. "Gardos, mach dich nicht lächerlich. Halt deine Fantasie lieber auf den Papier fest, vielleicht verdienst du etwas dazu."
Gardos verdrehte die Augen und küsste sie auf die Wange. "Halt die Klappe du voreingenommene Heldin. Ich warte draußen."
Sie blickte ihm nach, als er die Türe hinter sich schloss und wandte sich dann zum Waschbecken um. Er hatte schon vor ein paar Jahren um ihre Hand angehalten und sie hatte ihm versprochen, das wenn sie mit fünfunddreißig immer noch ledig sei, ihn gerne zum Mann nehme. Er war gut aussehend und freundlich, sowie Intelligent und witzig. Sie wusste nicht warum sie nicht das selbe empfand wie er, doch bis in sechs Jahren, würden sie einfach Freunde sein.
Was war eigentlich ihr Typ Mann? Das lächeln des kleinen Jungen von früher tauchte vor ihr auf. Plötzlich erinnerte sie sich an ein Gespräch mit ihrer Mutter. Sie hatte ihr damals erzählt, das jeder Mensch auf der Welt eine wahre Liebe hat, doch ob er diese auch findet oder nicht, liegt dem Schicksal überlassen. Ob Minoru ihrer gewesen war? Ob sie ihn jemals wieder sah, später wenn sie neben den anderen ruhmreichen Kriegern ruhte?
Es klopfte an der Türe und sie wurde auch sogleich aufgeschoben. "Takira? Wie geht es dir?" Sie band gerade ihr langes Haar zu einem Dutt zusammen und ärgerte sich über die kleineren Stirnranzen, die ihr ins Gesicht hingen. Ihre Mutter hatte darauf bestanden sie ihr zu schneiden, damit sie weiblicher wirkte.
"Ja. Aber wie geht es Ihnen. Hat Sie jemand verletzt?" Gemino schritt mit seinen langen Beinen auf sie zu und nahm sie in den Arm. Verwirrt stand sie da und wartete das er sie wieder losließ. "Es war so viel Blut, ich dachte du würdest sterben."
Vorsichtig schob sie ihn von sich und ihr Herz raste wie verrückt. "Nein nur eine Prellung, mehr habe ich nicht."
Gemino nahm erstaunt ihren Oberarm und drehte ihn herum. "Das ist schlecht." Verwirrt blickte sie zu ihm hoch und richtete ihren Ärmel. "Was ist schlecht?"
Er winkte ab und dachte kurz nach. Takira band sich währenddessen die Fellstiefel, für die es definitiv zu warm war, und war sich seiner Hand an ihrer Schulter vollauf bewusst. "Die nächsten drei Tage hast du frei. Ruh dich aus und Besuch deine Eltern, ich habe ihnen bereits einen Brief zukommen lassen. Ich hole dich in drei Tagen von dort ab und du arbeitest wieder voll. In Ordnung." Takira wusste nicht recht was sie davon halten sollte, doch nickte lediglich. "Wer wird meinen Platz einnehmen?" Die Türe wurde abermals geöffnet. "Mein zukünftiger König! Heerführerin Takira! Ich werde dich vertreten!" Gardos lächelte sie lässig an und Takira nickte zufrieden. "Er ist ein ausgesprochen fähiger Mann. Ich bin zufrieden."
Gardos stellte sich neben sie und betrachtete den violetten Fleck an ihrem Oberarm. "Tut das weh?" Er stupste darauf und Takira schrie auf. "Idiot. Lass das." Lachend wich er ihren Schlag aus. "Konzerntrier dich auf deine Aufgaben du Witzbold."
Er nickte. Dann legte Gemino seine Hände auf ihre Schultern und zwang sie ihn anzusehen. "Pass auf dich auf und vergiss den Termin nicht."
Takira nickte, so wie es nur eine Heerführerin konnte. Sie vergaß niemals etwas. Das konnte sie nicht.
Gardos küsste sie noch einmal auf die Wange und sie warf ihm den nassen Schwamm nach, dem er geschickt auswich während er eine Grimasse zog.
Takira packte noch am selben Tag ihre Sachen und machte sich auf den Weg zu ihrer Mutter. Es war ein Befehl des Thronfolgers gewesen, den sie nicht umgehen konnte. Egal wie sehr sie es schmerzte dort zu sein.
Sie klopfte an die frisch gestrichene Haustüre die mitten auf einen Bestellten Feld stand. Als sich die Türe mit dem gewohnten Quietschen öffnete und ihr ein Bärtiger Mann entgegen starrte, wich sie seinem Blick nicht aus. "Was willst du?"
Takira hob ihre Tasche, so das er sie sehen konnte. "Wir hatten einen Überfall, in dem ich den Thronfolger gerettet habe. Er hat mir drei Tage Urlaub befohlen und das hier am Hof." Der Mann nickte und öffnete die Türe dann so weit, dass sie eintreten konnte. Drinnen hatte sich nichts geändert. Ihre Mutter stand gedankenverloren am Herd und rührte eine Suppe. Als sie ihre jüngste Tochter erblickte lächelte sie freudig. Der Geruch von alten Leder, frisch polierten Holz und Gemüseeintopf brannte ihr in der Nase. Von der Decke hingen einige Fleischstücke zum trocknen. Ein Starr hockte daneben und pflückte die Maden vom Fleisch herunter. Angewidert senkte sie den Blick wieder und ließ sich von ihrer Mutter umarmen. "Mädchen wie siehst du denn aus? Du schaust aus als hätte dich ein Hund angefallen." Kichernd schob sie Takira zum Esstisch und bugsierte sie darauf. "Also du arbeitest jetzt für den zukünftigen König persönlich. Wie ist er so?"
Die nächsten Stunden kauten ihre Mutter und sie die selben öden Sachen durch wie jedes mal. Hier war es kein Urlaub sondern Tierquälerei.
Nachdem sie endlich in ihr Zimmer konnte, packte sie ihr Zeug aus, das sie brauchen würde und fing an ihr Schwert zu polieren. Sie durfte es nicht einmal im Urlaub vernachlässigen. Dafür war es ihr zu heilig.
"Es muss ein Schock für sie gewesen sein, das zu erfahren." Brummte eine mächtige Stimme. Takira schlich als achtjährige und mit tränen verschmierten Gesicht zur Türe und lugte durch das Schlüsselloch.
"Ja. Es hat sie sehr hart getroffen. Sie hat sich bis in den Schlaf geweint. Ich weiß nicht wie ich das durchstehen soll. Es ist als wäre ihr kleines Herz zerbrochen."
Der König legte ihrer Mutter die Hand auf die Schulter und sie begann bitterlich zu weinen. "Es ist so traurig. Er war so ein gutes Kind. Ich weiß einfach nicht ob sie es jemals verkraften wird." Der König umarmte sie und blickte zu ihr herab wie auf eine kleine Schwester.
"Man hat es ihnen angesehen, doch früher oder später hätten ihre Wege sie getrennt. Das war unvermeidbar. Bitte hüte unser Geheimnis weiterhin."
Takiras Mutter nickte eifrig mit dem Kopf, dann kam ein kleines Mädchen an ihre Seite getreten. "Takira! Wie geht es dir?"
Das Mädchen warf sich in die alten Arme des einst so weisen Königs und heulte bitterlich. "Er lebt. Bitte. Bitte. Er lebt."
Takiras Mutter nahm die kleine wieder an sich und der König wischte sich eine Träne aus den Augen. "Tut mir leid kleine Takira. Du musst dich aber von diesem Teil deines Herzens restlos trennen. Es ist am besten für euch."
Am Rand des Erstickens warf sich Takira aus dem Bett. Was war das für ein komischer Traum gewesen? Was bedeutete, das sie sich von einem Teil trennen musste?
Hustend lag sie am Boden und wand sich. Sie fühlte fürchterliche Schmerzen in ihrem Arm. Sie sah das Gesicht von Minoru, der liebevoll auf sie herab blickte. "Willkommen zurück, kleine Takira." Das hörte sie immer und immer wieder. Sein kindliches Gesicht veränderte sich. Wurde größer und immer größer bis es die Gestalt von Gemino annahm. Nur anders.
"Was suchst du denn auf den Boden? Komm wir müssen los!" Starke Arme hievten sie hoch und trugen sie auf den Armen hinaus. Sie hasste es so getragen zu werden. Doch konnte sie sich auch nicht wehren. Dafür war sie zu erschöpft.
"Wann kann sie wiederkommen?" Gemino schritt an ihrer Mutter vorbei und wirkte ratlos. "Mal sehen, ob sie diese Nacht überlebt. Ich werde dir morgen früh einen Falken schicken."
Ein erneuter schmerzhafter Ruck erfasste sie und Gemino drückte sie fester an sich.
"Es ist gut. Entspann dich und lass den Schmerz einfach durch dich hindurch wandern. Kämpfe nicht dagegen an." Takira biss die Zähne fest zusammen und fühlte den nächsten Krampf durch sich hindurch fließen. Krampfhaft klammerte sie sich an ihn und bat ihm diese Schmerzen von ihr zu nehmen.
"Schon gut. Wir bringen dich weg hier." Plötzlich sah sie wieder die verunglückte Kutsche. Ein Junge wurde herausgezerrt und brüllte wie am Spieß, das er der falsche sei. Er sah Minoru ähnlich, aber seine Gesichtszüge passten nicht.
"Aber du bist trotzdem eine Missgeburt und musst getötet werden. Glaub nicht deine Familie komme damit durch!" Plötzlich hörte man nur den Klang von Metall das durch Fleisch, Sehnen und Knochen schnitt. Das gurgeln endete sofort nachdem es angefangen hatte. Takira wollte auf ihn zulaufen, doch jemand hielt sie zurück. Ein Junger Wolf zog sie an ihrem durchlöcherten Hemd zurück ins Dickicht und deutete ihr ihm zu folgen. "Minoru! Wir müssen ihm helfen." Sie spürte seine Zunge an ihrem Unterarm und umarmte ihn fest.
Helles Sonnenlicht weckte sie. Murrend öffnete sie die Augen und legte sich die Hand über die Augen. Sie hatte doch immer die Vorhänge geschlossen oder?
"Guten Morgen. Du hast ja letzte Nacht viel ärger veranstaltet." Irritiert drehte sie sich um und blickte in Jadeaugen. Genauso schön wie früher. Sie schrie seinen Namen, doch das einzige was heraus kam war ein jaulendes etwas. Überrascht griff sie sich ins Gesicht und merkte erst da, was passiert ist.
Ein Wolf.
Sie sprang auf ihre Pfoten und taumelte irritiert herum. Neben sich hörte sie einen Fluss rauschen zu dem sie Zuflucht suchte. Sofort steckte sie ihren Kopf unter Wasser und hoffte so aufzuwachen. Doch es half nichts abgesehen davon, das sie Wasser in die Lungen bekam. Benommen drehte sie sich zu der Fatamogana um und schnüffelte in die Luft, auch wenn es ihr lächerlich vorkam.
Gemino Minoru streckte ihr die Hand entgegen und sie nahm seinen unverwechselbaren Geruch auf.
"In dieser Gestalt habe ich dich noch nie gesehen. Das steht dir!" Takira zuckte zurück und umrundete ihn dann.
"Möchtest du dich wieder in einen Menschen verwandeln?" Takira nickte aufgeregt.
Minoru streckte beide Arme nach ihr aus und sie ließ sich hinein fallen. Wie schön es doch war ihm wieder so nahe zu sein.
"Ich als dein Alpha, befehle dir dich zu verwandeln!" Takira blickte ihn verwirrt an, doch fühlte sie wie sich ihre Knochen dehnten und herum rutschten, bis sie wieder eine normale menschliche Form annahmen. Die Haare auf ihrer Haut vielen ab und verschwanden im hohen Gras.
"Minoru? Aber wie?" Er hatte sich stark verändert, doch war er immer noch er selbst. Das selbstgefällige lächeln, die fein geschwungenen Lippen, das wild abstehende Haar. Freudig fiel sie ihm in die Arme und drückte ihn so fest sie konnte.
"Autsch! Warte du erdrückst mich!" Lachte er und schob sie von sich. "Es ist so schön dich wieder zu haben Schwester! Ich dachte schon, du hättest gar nicht das Gen dazu ein Wolf zu werden. Aber in deinem Herzen warst du schon immer einer. Was..." Takira unterbrach ihn barsch. "Was? Schwester? Warum Schwester? Verdammt! Warum war ich ein Köter?"
Beschwichtigend hob er die Arme und stoppte ihren Redefluss. "Warte nicht so schnell. Ja du bist meine Halbschwester und deswegen auch ein Wolf so wie ich. Und auch wie unser entfernter Cousin, den du schon kennen gelernt hast."
Takira verstand die Welt nicht mehr. Sie war seine Schwester? Davon hatte ihr nie jemand erzählt. "Takira... Du hast doch sicher niemals geglaubt das ich tot bin oder?" Sie schüttelte den Kopf. "Deine Erinnerungen wurden von deinem Vater verfälscht. Er ist auch mein Vater. Deine Mutter und er sind ein halbes Jahr nach dem er etwas mit der Königin hatte zusammen gekommen. Ich entspringe dieser Verbindung von deinem Vater und der Königin. Aber du bist das Kind von deiner Mutter und deinem Vater. Verstehst du das? Schon alleine weil ein Elternteil uns verbindet, finden wir uns überall wieder. Es ist unser Blut das uns zusammen bringt."
Takira blickte in die grünen Augen unter denen sie als Kind immer geschwebt hatte. Aber der Kuss damals? "Wie lange weist du das schon?" Er blickte betroffen zu Boden. "Seit ich mit zehn meine erste Verwandlung hatte. Meine Hebamme hat mich zu deinem Vater gebracht und er hat mir alles gezeigt was ich wissen musste. Ein paar Jahre später habe ich meinen Tod vorgetäuscht, da ich lieber im Rudel lebte als im Schloss."
Takira schloss die Augen und dachte über alles nach. Das konnte nicht wahr sein. "Was ist ein Wolf? Wie meinst du das oder... keine Ahnung. Ich..." Er legte ihr beruhigend einen Arm um die Schulter. "Schon gut. Ich erkläre dir alles im Lager."
Ein neuer Geruch erfüllte ihre Nase und sie sprang kampfbereit auf. Gemino trabte mit hoch aufgestellten Schwanz aus dem Wald. Seine grünen Augen schimmerten ihr entgegen. Als er sie erblickte rannte er schneller auf sie zu. Kurz vor ihr bremste er ab und stellte sich auf die Hinterpfoten, nur um sich kurz darauf wieder in einen Menschen zu verwandeln. Ihre Instinkte sagten ihr das sie sich verbeugen musste, doch wusste sie nicht recht warum. "Warum möchte ich mich verbeugen?" Gemino klopfte seinem Cousin freundschaftlich auf die Schulter. "Minoru ist mein entfernter Cousin, deswegen auch diese Ähnlichkeit. Außerdem teilen wir uns den Platz als Alpha, da wir gleich stark sind." Minoru boxte ihn spielerisch in die Seite. "Erzähl keinen Stuss. Mit Szori bin ich stärker als du. Sie ist immerhin meine Frau."
Plötzlich zerplatzte etwas in Takira. Ein unerklärlicher Schmerz breitete sich in ihrem Brustkorb aus und nahm ihr den Atem. Minoru viel es nicht auf, doch Gemino war sofort an ihrer Seite um sie abzufangen.
"Ist alles in Ordnung?" Takira nickte und schob ihn von sich. Dann verpasste sie ihm eine so starke Ohrfeige, das einige Vögel erschrocken aufflogen.
Ohne noch irgendetwas zu sagen, drehte sie sich um und suchte einen Gehweg. Wenn hier ein Fluss war, dann hieß das, dass es auch irgendwo Menschen gab. Gemino und Minoru folgten ihr nicht. Takira war auch froh darüber. Sie fühlte sich benutzt und betrogen. Niemand hatte ihr etwas gesagt. Niemand hat auch nur nahezu eine Andeutung gemacht, das etwas nicht stimmte. Wie konnten sie ihr das nur antun?
Nach einer Stunde hörte sie hinter sich Pfoten die durch das Gras schlichen. Ihr neu erwachter Geruchssinn sagten ihr das es Gemino war. Er wollte sich bestimmt entweder rächen oder sie zu rede stellen, doch das wollte sie nicht. Sie lief los. So schnell sie konnte sprintete sie über das Wasser und verwischte ihre Spuren so geschickt, das sie ihn schon nach kurzer Zeit hinter sich zurück ließ. Zur Sicherheit baute sie noch eine Hasenfalle an drei Bäumen, das sollte ihn aufhalten. Doch kaum das sie sich von der dritten entfernt hatte spürte sie einen heißen Atem in ihrem Nacken. Vorsichtig drehte sie sich um und blickte in zwei Wolfsaugen. So leicht war er wohl nicht abzuschütteln. Aber so schnell konnte sie nicht einmal reagieren, da warf er sich auf sie und sie kugelten einen Abhang hinunter. Irgendwo zischen Sturz und Fall verwandelte er sich zurück in einen Menschen und sie kämpften um die Oberhand. Die Äste des Waldes bohrten sich in ihre Seite, doch das wahr ihr egal. Sie musste Dampf ablassen, und wo ging das besser als in einem Kampf. Wild schlug sie um sich und landete Treffer um Treffer. Gemino knurrte sie wütend an und rang sie so zu Boden das sie ihn nicht mehr treffen konnte.
"Was soll dieses Kräftemessen?" Takira drehte ihr Gesicht weg, denn er sollte nicht ihre Tränen sehen.
"Das mache ich immer mit meinen Männern. Wenn zu viel Testosteron in meiner Gruppe ist, lasse ich sie ihre Meinungsverschiedenheiten mit dem Fäusten austragen und zwar so lange bis ich >Stopp< sage."
Gemino drehte ihr Gesicht zu sich, dass sie ihn ansehen musste. "Und nun sage ich Stopp. Hör auf und beruhige dich."
Takira konnte nicht anders als nicken und fühlte sogleich, dass ihr Atem ruhiger ging. Sobald sie sich entspannt hatte ließ er ihre Handgelenke los, doch hielt sie weiterhin am Boden. Es sollte Symbolisieren, das er der Alpha ist und sie ihm gehorchen musste.
Unwillkürlich fuhr Takira mit den Fingern über die gerötete Stelle in seinem Gesicht und er zuckte etwas zusammen.
"Entschuldigung." Murmelte sie und küsste ihn auf die Wange. "Der Schlag sollte nicht dir gelten. Jemand anderes hätte ihn verdient gehabt."
"Es war ein ziemlich guter Schlag. Wem hätte er den gegolten?" Takira wandte den Blick ab, doch eine kleine Bewegung in seinem Gesicht lenkte ihre Aufmerksamkeit darauf.
"Wusstest du wer ich bin?" Er nickte. "Ich wusste es schon immer. Selbst als ich dir vor einundzwanzig Jahren mein Herz geschenkt hatte, wusste ich wer und was du bist." Takira verstand nichts mehr. Sie kannten sich?
"Minoru und ich sahen uns als Kinder noch ähnlicher als heute. Wir waren wie eineiige Zwillinge. Meistens war er in der Burg und ich verbrachte meine Zeit auf den Feldern. Ich benutzte seinen Namen, da es ja nur einen Sohn geben sollte."
Takira fuhr seine Lippen nach und erinnerte sich wieder, das Minoru an dem Tag keine Zahnlücke gehabt hatte, obwohl er am Tag davor ausgefallen war.
"Ich weiß nicht mehr was ich glauben soll. Jeder lügt mich an, nur um mir eine Lüge über eine Lüge zu erzählen." Gemino war so nahe, das ihre Nasenspitzen sich beim Atmen berührten. Ihr ganzer Körper prickelte dort wo er sie berührte. Sein ganzer Körper lag auf ihr und doch fühlte er sich so leicht an. Stützte er sich ab?
Sie strich ihm eine verschwitzte Haarsträhne aus dem Gesicht und machte es sich gemütlicher unter ihm.
"Ich will dich nicht mehr anlügen. Deine Erinnerungen werden von selbst wiederkommen. Ich will das du nach Hause kommst mit mir. Ich will das wir alles gemeinsam klären, als Familie."
Eine Fingerspitze streichelt beruhigend ihre Wange und sie schmiegte sich in seine Hand. "Sind wir den eine Familie?"
Gemino kicherte. "Eine sehr komische Familie zwar, doch du könntest unser Fels in der Brandung sein. Du musst es sein."
Takira blickte ihm erwartend in die Augen. "Warum? Warum soll ich zu euch kommen nach all den Jahren die ihr darauf verbaut habt mich auszuschließen."
Er schloss die Augen und ließ seinen Kopf neben ihren fallen. "Weil wir dich beschützen wollten, deshalb haben wir nie etwas gesagt. Wir dachten du würdest dich niemals verwandeln, was du auch nie tatest und jetzt als dich dieser Mistkerl gebissen hat... Ich habe noch am selben Abend sein ganzes Rudel ausgelöscht. Du solltest deinen Traum leben. Nicht dich um uns kümmern."
Er hob den Kopf wieder und sie erblickte die Ehrlichkeit darin.
Es war das schönste und ehrlichste das sie jemals gehört hatte. "Ich möchte dir etwas schenken Gemino. Nicht Minoru, sondern dir. Etwas was du schon immer besessen hattest." Sie legte einen Arm um ihn und zog seinen Kopf zu sich herab.
Kurz bevor sich ihre Lippen trafen stoppte Gemino seinen Kopf und blickte sie ungläubig an. Dann wurden seine Augen weich und er küsste sie so, wie er es schon immer wollte. So etwas wie Bestimmung und Schicksal gab es vielleicht nicht. Doch das Gefühl das ihn erbeben ließ, seine Sinne bis zum äußersten schärfte und ihm glauben ließ das er flog, brachte ihn beinahe dazu es zu glauben.
Überwältigt von seinen Gefühlen, zog er sich hoch mit ihr und sie klammerte sich sofort mit den Beinen an ihn. Er konnte sein Glück gar nicht fassen. Am liebsten wäre er immer so am Boden gesessen mit ihr auf der Schoß und ihren Lippen auf den seinen, die seine Liebkosten als hätten sie nie etwas anderes getan.
Irgendwann, nachdem der Mond hoch am Himmel stand löste sich Takira aus Geminos Armen und blickte sich um. Sie sah hoch zum Abnehmenden Mond und genoss die kühle Brise, die ihren erhitzten Körper kühlte. Neben ihr rührte sich Gemino und blicke sie sehnsüchtig an.
"Wir sollten zu Minoru zurück, er macht sich bestimmt schon sorgen um uns." meinte Takira und lächelte ihn mit in den Hüften gestemmten Armen an. Gemino setzte sich auf und küsste sie auf den nackten Oberschenkel. "Gut. Lass uns zurück gehen zu unserer Familie."
Takira kehrte ab diesem Zeitpunkt nie wieder in das alte Königreich in dem sie aufgewachsen war zurück. Selbst Gemino verweigerte den Thron und blieb mit ihr an seiner Seite im Lager.
Tag der Veröffentlichung: 02.02.2014
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