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Mein lieber Sohn,

Du bist mit deinen 36 Jahren nun an einem Punkt angelangt, an dem du nicht mehr weiter weißt. Es tut mir sehr Leid, dass ich als Mutter zu schwach war, um dich (und mich selbst) vor deinem gewalttätigen Vater zu schützen. 

Da wir beide eine ähnliche Biografie haben; mit körperlicher Behinderung und Sprachstörungen, mit Mobbing, Prügel, Herabsetzung und Schwierigkeiten, sich normal in die Gesellschaft einzugliedern, verstehe ich dich besser, als du denkst. 

Unser beider Anspruch an die Gesellschaft deckt sich mit der UN-Behindertenrechtskonvention, die Deutschland vor 13 Jahren zwar unterzeichnet hat und verpflichtet ist, diese auch umzusetzen. Passiert ist allerdings sehr wenig.

 

Noch immer kämpfen Menschen mit Behinderungen darum, ein selbstständiges Leben führen zu können. Noch immer wird Menschen mit Behinderungen eine normale Schulbildung, bzw. Ausbildung auf dem 1. Arbeitsmarkt verweigert mit der Ausrede von Chefs, dass wir das sowieso nicht könnten. Aus eigener Erfahrung weiß ich, wie solche Erfahrungen schmerzen und wie demotivierend das ist. 

 

Es gibt ein Sprichwort, an das ich mich immer wieder gehalten habe. Es lautet: " Egal, wie oft du auf die Schnauze fällst, steh´ wieder auf und geh´ deinen Weg." 

 

Wo könnte dein Weg hingehen? 

Deinen letzten Beitrag auf TikTok (ein repost von 2015) habe ich gesehen und nehme an, dass du nun mit den Behörden kooperieren willst, trotz deiner schlechten Erfahrungen.

 

Ich lasse mal die schlechten Erfahrungen mit den Behörden, die ich gemacht habe, außer Acht und erzähle dir von den guten Erfahrungen mit den Behörden:

 

Wie du weißt, hat mich die Polizei in Rinteln vor sieben Jahren aus der Wohnung deines Vaters geholt, mich in ein Frauenhaus vermittelt und deinem Vater eine Kontaktsperre erteilt. Das war TOPP und ich bin den Beamten heute noch dankbar, dass sie so reagiert haben. 

 

Während die Sozialämter in Diepholz, Georgsmarienhütte und Neuwied sehr darum bemüht waren, mir zu helfen, war meine Bank weniger kulant. Die sperrten mir zweimal das Konto ohne Vorwarnung, einmal, weil ich vergessen hatte, ihnen meine neue Anschrift mitzuteilen und einmal, weil dein Vater es versäumt hatte, Briefe, die an mich gerichtet waren, ans Finanzamt zurückzuschicken. Mein Konto wurde erst wieder freigeschaltet, als die horrende Steuernachforderung beglichen war. Natürlich habe ich das Geld später zurück bekommen, aber erst einmal musste gezahlt werden. (hätte ich das Geld nicht gehabt, wäre ich wieder in die Hände deines Vaters gefallen.)

 

Meine Erfahrung ist, dass auch schlechte Menschen bereit sind, zu helfen, wenn sie irgendeinen Vorteil für sich selber sehen. Dein Vater unterstützt dich mit dem Hintergedanken, dass du ihm hilfst, wenn er alt und krank ist. Und um das zu erreichen, hat er systematisch verhindert, dass du selbstständig wirst. 

 

Bei mir lief es anders. Ich wurde von meinem Vater ins kalte Wasser geschubst und musste schwimmen lernen. Ein paar Jahre später wurde ich von ihm aus dem Haus geekelt und musste sehen, wie ich zurecht kam. Wie du weißt, bin ich wiederholt ins Ausland gegangen und habe dort alles gelernt, was man zu einer selbstständigen Lebensführung braucht.

 

Wie könnte es mit dir weitergehen?

 

Du hast einige Vorzüge, die du nutzen kannst. Da du auf deinem TikTok-Kanal eine große Reichweite hast, könntest du mit den Behörden vereinbaren, dass du anderen Gewaltbetroffenen, von der Familie Vernachlässigten, Außenseitern, etc. zuhörst, ihnen Anlauf-Adressen bereit stellst, wo sie Hilfe finden können. Da es in dieser Richtung viel zu wenige Angebote gibt und du genau weißt, was im derzeitigen System falsch läuft, könntest du mit den Behörden etwas vereinbaren, z.B. die Erstellung einer Webseite, die diese Leute auf den richtigen Weg bringt. Der Bedarf für eine solche Webseite ist jedenfalls vorhanden und das Thema dürfte in Zukunft noch an Brisanz zunehmen. 

 

Für eine Selbstständigkeit in der IT-Branche sehe ich für dich keine Chance; erstens, weil es zu viele Konkurrenten gibt und zweitens, weil die Belastungen durch Finanzamt, Kranken- und Rentenversicherung viel zu hoch sind. Derzeit gehen viele Unternehmen pleite und wie leicht es ist, sich finanziell zu übernehmen, weißt du auch.

 

Ich habe die Blockierung auf Facebook wieder aufgehoben und unter der Voraussetzung, dass du dich anständig mir gegenüber benimmst, bist du jederzeit bei mir willkommen.

 

Ich grüße dich ganz herzlich und wünsche dir alles Gute für die Zukunft:

Deine Mama.

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Tag der Veröffentlichung: 25.07.2023

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