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Ich erinnere mich.

Am 07.07.2016 wurde ich von der Polizei aus der Wohnung meines Ex-Mannes befreit und in ein Frauenhaus gebracht. Aus eigener Kraft wäre ich da nicht raus gekommen, da ich auf Grund meiner Behinderung keine Treppen mehr bewältigen konnte. Damals war ich 63 Jahre alt. Heute bin ich 70. 

 

Die Polizei vermittelte mich nach einigen Stunden Herumtelefonieren in ein Frauenhaus, das zwar nicht barrierefrei war, aber eine ca. 5 qm große Kammer im Erdgeschoss hatte. Dort passten gerade mal ein Bett und eine Kommode rein und auch mein Rollator mit Mühe und Not, wenn ich ihn zusammenklappte. Natürlich war das nur ein "Notbett", das für wenige Tage Aufenthalt ausgelegt war. Dem entsprechend groß war auch das Interesse des Frauenhauses, mich loszuwerden.

 

Die Suche nach einer neuen Wohnung war ein tagesfüllender Job. Überall fragte ich nach, ob jemand etwas über freie Wohnungen wusste. Selbst auf "Gofeminin.de " fragte ich nach. Dort antwortete mir der Autorenkollege Roman Gallinger, der meinte, ich könnte bei seinem Journalistenfreund in Österreich unterkommen. Ich wollte nicht nach Österreich und schon gar nicht bei einem fremden Mann einziehen. Roman verstand meine Bedenken. Er selbst könnte mich nicht aufnehmen, sagte er, da er selbst krebskrank sei und seiner alten Mutter zur Last fiel. Interessiert verfolgte er meine Wohnungssuche mit und tröstete mich abends, wenn ich schon wieder ohne Ergebnis heimkam. 

 

Ich benötigte billigen Wohnraum im Erdgeschoss, aber da gab es nichts im 30-km Umkreis. Ich vergrößerte den Radius auf 50 km. Zusätzlich schlug ich beim Pflegestützpunkt auf, der eine Übersicht über alle barrierefreien Wohnungen im Umkreis hatte. - NICHTS! Aber sie gaben mir den Tipp mit den Seniorenwohnungen, die an die Altenheime angeschlossen waren. Diese Wohnungen waren teurer als normale Wohnungen. 

 

Inzwischen wohnte ich schon seit acht Wochen in dem klitzekleinen Zimmerchen und die Frauenhaus-Mitarbeiterinnen wurden langsam nervös. Ich wurde  auch nervös, aber das durfte ich mir nicht anmerken lassen. Im Brustton der Überzeugung verkündete ich, dass ich im Oktober ausziehen würde. Der Knackpunkt dabei: ich wusste nicht, wohin. 

 

Roman beruhigte mich. "Ich sehe da eine kleine Wohnung mit blau gestrichenen Fenstern für dich." , sagte er. 

 

"Wo, - bei dir?" , fragte ich zurück.

 

"Nein, bei dir!" 

 

"Verarsch´ mich nicht! Die Sache ist ernst!"

 

"Du wirst bald eine Wohnung haben" , meinte er, - ich hab´ sie im Traum gesehen."

 

Kurz danach kam ein Anruf aus Osnabrück, dass man eine passende Wohnung für mich hätte. Die Freude darüber war unbeschreiblich und ich teilte die gute Nachricht sofort Roman mit.

 

Der antwortete lässig: "Ich hab´s gewusst." 

 

Wie angekündigt, zog ich im Oktober in meine neue Wohnung um. Bei meinem Einzug kam die Überraschung; die Fenster waren blau gestrichen.

 

Ich liebte Roman, auch wenn wir häufig Meinungsverschiedenheiten hatten. 

Er glaubte nicht, dass ihn irgend jemand lieben könnte und sagte immer, er wäre hässlich, todkrank und hätte außerdem kein Geld. Kurz vor seinem Tod zog er sich komplett zurück und wollte von Niemandem mehr etwas wissen. Damals verstand ich sein Verhalten nicht und fühlte mich verletzt. 

 

Heute wäre sein 65. Geburtstag gewesen.....

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Tag der Veröffentlichung: 09.06.2023

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