Es ist ja meistens so, dass einem die interessanten Menschen über den Weg laufen, wenn man am wenigsten darauf vorbereitet ist.
Gestern erledigte ich bei Edeka meinen Wochen-Einkauf. Auf meinem Einkaufszettel stand Obst und Gemüse, Brot, Tee und Kondensmilch, Eier, Käse, Wurst und Fleisch und noch ein paar Sachen aus dem Gefrierschrank.
Ich liebe Frühlingsrollen, aber die lagen für mich unerreichbar in fast zwei Metern Höhe. Da ich unbedingt welche haben wollte, griff ich zu einem alten Trick, den ich schon häufiger angewandt hatte. Ich wartete auf einen netten Mann, der mindestens 1,80m groß war.
Etwa 10 Minuten kurvte ich mit meinem Rollator um die Gefrierschränke und Tiefkühltruhen herum und studierte die Angebote, doch keiner kam, der mir die Frühlingsrollen aus dem Tiefkühlschrank hätte runter holen können. Im Stillen beschloss ich, noch fünf Minuten zu warten und dann ohne die leckeren Rollen zur Kasse zu gehen.
Kurz bevor die Zeit ablief, tauchte er in meinem Blickfeld auf.
Ein Baum von einem Mann! Etwas jünger als ich; machte er einen netten Eindruck. Ein kurzer Blick genügte um einzuschätzen, dass er mit Leichtigkeit an die Frühlingsrollen kam.
"Entschuldigen Sie bitte" , versuchte ich, seine Aufmerksamkeit auf mich zu lenken. Es klappte.
"Würden Sie mir bitte eine Packung Frühlingsrollen runter holen?" - Ich zeigte auf den Tiefkühlschrank, wo die begehrte Leckerei in zwei Metern Höhe lag. Ich bin nur knapp 1,60m groß.
Der Hüne öffnete die Gefrierschrank-Tür und fragte: "Welche Sorte soll´s denn sein? Die rote oder die gelbe Packung?"
"Die rote bitte" , und fügte hinzu, dass die Frühlingsrollen als Starter für ein leckeres vietnamesisches Essen gedacht seien, dass ich am Wochenende kochen würde.
Der Hüne warf einen schnellen Blick in meinen Einkaufskorb, den ich auf meinen Rollator geschnallt hatte, sah Frischfleisch und frisches Gemüse darin und sagte: "Das klingt verdammt lecker! Vietnamesisch habe ich noch nie gegessen; würde es aber gerne mal probieren. Wissen Sie, wo es hier in der Gegend ein vietnamesisches Restaurant gibt?"
"Keine Ahnung" , antwortete ich wahrheitsgemäß, "Sie können aber gern am Wochenende zum Essen kommen, wenn Sie für die Getränke sorgen."
"Sehr gerne" , antwortete der Hüne, "Ich kümmere mich um die Getränke und Sie ums Essen. Ein fairer Deal."
Während wir gemeinsam unsere Einkäufe Richtung Kasse rollten, tauschten wir unsere Adressen aus. Natürlich alles unter Einhaltung von Maskenpflicht und Abstandsregeln. Dann trennten sich unsere Wege.
Nun sitze ich schön in der Patsche, denn in meinem ganzen Leben habe ich noch nie ein vietnamesisches Essen gekocht.
Tante Google muss helfen.....
...... Tante Google weiß alles; auch wie man vietnamesisch kocht.
- Indisch kochen kann ich.
- Chinesisch kochen kann ich.
Vietnamesiches Essen ist wohl so ein Zwischending zwischen Indisch und Chinesisch; eher näher an die chinesische Küche angelehnt.
Ich denke, dass ich das hinkriege.
Ein paar Zutaten fehlen mir noch.
Mal schauen....
...... man lernt nie aus.
"Wie kannst du nur einen wildfremden Mann zu dir nach Hause einladen? - Hast du keine Angst, dass er dich vergewaltigt?"
Diesen Fragen meiner Bekannten musste ich mich inzwischen stellen.
1.) Die Gefahr, durch einen regulären Partner vergewaltigt zu werden, ist viele Male höher, als durch einen Fremden. Partnerschaftgewalt kenne ich, hatte ich und habe es nie hingenommen. Gut; ein Mann kann es schaffen, mich zu überwältigen und mir kurzzeitig seinen Willen aufzuzwingen. Allerdings nicht ohne heftige Gegenwehr und er käme nach der Tat auch nicht straflos davon. Anzeige würde in jedem Fall erfolgen. Es ist aber so, dass sich Fremde in der Regel von ihrer besten Seite zeigen wollen und genau soviel Angst vor der ersten Begegnung haben, wie man selbst.
2.) Natürlich habe ich einige unauffällige Sicherheiten eingebaut, damit es nicht zu einer unschönen Erfahrung kommt. Eine davon heißt: KEIN ALKOHOL! Sollte er welchen mitbringen, kann er den gerne selbst trinken. Ich bleibe bei Tee oder Saft. Eine weitere Sicherheitsmaßnahme besteht darin, den Besuch von vornherein zu begrenzen und den Nachbarn Bescheid zu geben, dass Besuch kommt, den man noch nicht gut kennt. Die halten dann Augen und Ohren offen und geben Ratschläge. (Siehe ersten Satz am Anfang des Kapitels.)
Ich stelle keine übertriebenen Ansprüche an einen Mann. Sein finanzieller Status ist mir egal und da ich nicht mehr mit jemandem zusammenleben will, kann ihm meiner auch egal sein.
Zuerst schaue ich bei einem Menschen auf die Augen. Sie sind das Spiegelbild der Seele. In seinen Augen lag Neugier und Wissen, ein Schuss Humor und verhaltene Erotik. Ein guter Mix.
Das Essen war ok.
Der Mann war ok.
Falls es mit uns beiden nix wird, dürfte das meiner Einschätzung nach an mir liegen.
Ich bin flexibel, wenn es sein MUSS.
Von MÜSSEN kann hier allerdings keine Rede sein.
Natürlich fiel dem Mann ins Auge, dass ich weder Fernseher, noch anderen unnützen elektronischen Schnickschnack habe und nahm fälschlicherweise an, das sei aus Kostengründen so.
Ich erklärte ihm, dass ich Fernseher, Telefon etc.... schon vor Jahren abgeschafft hatte, weil´s mich nervt.
"WAAAAS??? Du hast kein Telefon????"
Ich nahm ihn mit zu meiner Computerecke.
"Siehst du hier ein Endgerät?"
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"Aber ein Handy hast du doch sicher."
"Ja, habe ich" , gab ich zu, "das liegt seit Jahren im Schrank und hat keine SIM-Karte."
Der Mann rollte die Augen.
"Und wie kann man dich erreichen?"
Ich gab ihm meine E-Mail-Adresse, denke aber, dass er sich nicht mehr melden wird.
Irgendwie bin ich erleichtert und wenn ich´s recht betrachte, will ich vielleicht doch keinen Mann.
WAS will ich eigentlich??? - Das bisschen Erotik kann´s ja nicht sein!
Oder???
Tag der Veröffentlichung: 10.06.2021
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