Weitgehend unbelastet von wissenschaftlichen Erkenntnissen habe ich in diesem Buch meiner Fantasie freien Lauf gelassen. Die zeitlichen Einordnungen und die geographischen Besonderheiten wurden zwar recherchiert, aber sind vielleicht dennoch ungenau. Niemand kann mit Sicherheit wissen, was vor 10 000, 20 000, 30 000 oder sogar vor 40 000 Jahren geschehen ist und wie das Leben der Menschen zu diesen Zeiten ausgesehen hat. Von einzelnen Knochen- und Scherbenfunden, die Archäologen gemacht haben, kann man nicht auf ganze Gesellschaften schließen. Denn wer weiß, was sich noch alles in der Erde befindet und irgendwann, durch Zufall oder gezielte Suchen, ans Tageslicht befördert werden wird?
Die Geschichte stützt sich auf die Ergebnisse meiner DNA-Analyse und dem Versuch, die eigene Familiengeschichte über 40 000 Jahre hinweg zurück zu verfolgen.
Die Wiege der Menschheit liegt in Afrika und dort beginnt auch meine Familien-Geschichte.
Dora (Dorothea) ist mein Zweitname.
Nachdem ich mich wochenlang mental auf die Geschichte eingestimmt hatte, erschienen die Bilder wie von selbst. Teilweise lief abends, wenn ich mich zur Ruhe begeben hatte, ein ganzer Film vor meinem inneren Auge ab. Die Schwierigkeit lag darin, die Bilder zeitlich richtig einzuordnen, weshalb ich mich an Wikipedia und andere historische Quellen orientierte. Mein besonderer Dank geht dabei an das Stadtarchiv in Linz am Rhein, dass mir bei der Schwedeninvasion weiterhalf.
Da in der DNA alle Informationen gespeichert sind, vom Ursprung der Menschheit bis zur Gegenwart, kann man dieses Wissen auch abrufen. Mit etwas Übung kann dies jeder bewerkstelligen, ohne stimulierende Zusätze. Das oberste Gebot hierbei ist völlige Stille und keine Ablenkungen. Man konzentriert sich auf ein Thema, das einen beschäftigt und erhält irgendwann die Antworten, nach denen man gesucht hat.
Oftmals hatte ich Zweifel, ob das alles richtig war, was ich "gesehen" hatte. Ich entschloss mich trotzdem, alles aufzuschreiben.
Nach endlosen Wochen der Warterei hielt Dora endlich das Ergebnis der DNA-Analyse in Händen. Sie hatte unbedingt wissen wollen, woher ihre Ahnen stammten. Ihre Eltern hatten ihr nicht viel erzählt. Obgleich Dora den Verdacht hatte, dass ihre Eltern viel mehr wussten, als sie sagten, war aus ihnen nichts heraus zu bekommen.
Angespannt öffnete Dora den weißen Briefumschlag. Ihre Hände zitterten, als sie den Briefbogen auseinander faltete. Dann las sie:
46,1% Ihrer DNA stammt aus England,
39,7% aus Nord- und Westeuropa
8,1% aus Skandinavien
2,9% aus Schottland, Wales und Irland
2,2% aus Nordafrika
1% aus Westafrika.
Das war also 100% Dora.
Sie war sprachlos! In ihrem Kopf rasten die Gedanken. Eigentlich hätte sie vermutet, dass sie ihre Ahnen in Frankreich suchen müsste, denn eine Hypnose vor vielen Jahren hatte ergeben, dass sie fließend Französisch sprechen konnte, ohne dass sie diese Sprache jemals erlernt hatte. Hätte man sie allerdings im Wachzustand etwas auf Französisch gefragt, hätte sie nicht darauf antworten können.
Wohl hatte Dora eine besondere Vorliebe für England entwickelt, nachdem sie Englisch in der Schule gelernt hatte und in ihren frühen 20ern nach London umgesiedelt war. Sofort hatte sie sich dort zu Hause gefühlt. Die Erkenntnis, dass sie fast zur Hälfte von den Britischen Inseln stammte, erfüllte sie mit Stolz.
Ja, die DNA-Ergebnisse gefielen ihr. Sie wollte mehr über ihre Herkunft erfahren und googelte....tagelang. Inzwischen wusste sie, dass alle noch lebenden Menschen ihren gemeinsamen Ursprung in Afrika hatten und sich von dort aus in alle Welt verbreitet hatten. Europa hatten sie vor 40 000 Jahren besiedelt.
Wie viele Generationen hatte es seit 40 000 Jahren gegeben? - Dora rechnete nach. Ausgehend davon, dass es in 100 Jahren 4 -5 Generationen gab, müsste es in 40 000 Jahren 1 000 bis 1 500 direkte Vorfahren von Dora gegeben haben.
Sie forschte weiter und fand heraus, dass die jetzt in Europa Lebenden offensichtlich alle eine riesengroße Familie bildeten, denn der Genpool war bei weitem nicht so groß, wie Dora vermutet hatte. Es stellte sich heraus, dass sie Hunderte Cousins und Cousinen in allen Teilen der Welt hatte. Leute, deren Namen sie noch nie gehört hatte, die aber DNA-Abschnitte mit ihr teilten.
Wer waren alle diese Leute? Wo kamen sie her und wie waren sie mit Dora verwandt?
Um dieses Rätsel zu knacken, musste Dora 40 000 Jahre zurück gehen, als Leute aus Afrika sich aufmachten, auf der Suche nach neuen Besiedlungsräumen.
Dora beschloss, diesem Rätsel auf den Grund zu gehen......
Nachdem sie wochenlang gegrübelt und das Internet nach Informationen abgegrast hatte, aber ab einem gewissen Punkt nicht mehr weiter kam, beschloss Dora, sich selbst in Trance zu versetzen. Sie wusste, dass sie alle Informationen vom Anbeginn der Zeit in sich trug. An diese Infos, die irgendwo in ihrem Unterbewusstsein schlummerten, wollte sie gelangen.
In ihrem Schlafzimmer sorgte Dora für eine entspannte Atmosphäre. Sie gewöhnte sich daran, jeden Tag zur gleichen Zeit zu Bett zu gehen und konzentrierte sich auf die Vergangenheit.
1 000 Jahre zurück....
2 000 Jahre.....
5 000 Jahre....
10 000 Jahre . Vor ihrem inneren Auge schmolzen gerade die Reste die letzten Eiszeit.
20 000 Jahre zurück. - Große Teile Europas lagen unter einem dicken Eispanzer. Allerdings lebten damals schon Menschen hier und ernährten von der Jagd auf Mammuts, Mastodonten, Saigas und Höhlenbären der damaligen Zeit, dem Fischfang und dem, was an Pflanzennahrung verwertbar war.
******************************************************************************************************************
30 000 Jahre zurück. Über eine Landbrücke kam von Afrika her ein ständiger Strom mit Menschen, die in Europa eine neue Heimat suchten.
Dora sah eine blühende Landschaft irgendwo in Afrika, als sich per Selbst-Hypnose 40 000 Jahre zurück katapultierte. Es lebten viele Leute dort. Das Zusammensein war friedlich und jeder hatte seinen eigenen Platz. Es gab einen Herrscher, der viele Frauen sein Eigen nannte. Dieser Herrscher regierte mit strenger Hand. Wer nicht spurte, musste das Land auf immer verlassen.
Dora "sah" , wie sich eine Gruppe von Männern sich zum Verlassen der afrikanischen Heimat fertig machte. Als Reisegepäck hatten sie einige Steine dabei, die speziell bearbeitet waren, um Feuer zu machen, nach essbaren Wurzeln zu graben, um Wild zu häuten, dem sie Fallen gestellt und auf diese Weise erbeutet werden konnte, und welche, die dazu geeignet waren, durch gut gezielte Würfe Vögel vom Himmel zu holen.
Die Männer waren nackt und verständigten sich durch Körpersprache und Klicklaute.
Vor ihnen lag eine endlose Wanderung durch die Sahara, die damals keine Wüste war, sondern fruchtbares Land. Doch dieses Land hatten schon Andere in Besitz genommen, die den Neuankömmlingen zwar den Zugang zu Lebensmittel und Wasser gewährten, aber nicht duldeten, dass sie sich dauerhaft niederließen. So erging es den Männern mehrere Male, bis sie einen Ort entdeckten, den noch niemand in Besitz genommen hatte. Da sie nicht wussten, welche Gefahren an diesem Ort auf sie lauerten, sammelten sie Holz, das sie kreisförmig um ihren angedachten Schlafplatz legten und zündeten es an. In diesem Feuerkreis waren sie zwar eingeschlossen, aber wilde Tiere kamen nicht hinein. Einer der Männer musste Wache halten und das Feuer hüten, während der Rest sich zum Schlafen legte.
Als sie am nächsten Tag ihre neue Heimat erkundeten, fanden sie einen kleinen Fluss in der Nähe und gingen auf Fischfang. Am Ufer des Flusses wuchsen essbare Blätter, in denen sie ihren Fang einwickelten und über einem Feuer grillten, das sie mit Hilfe von Feuersteinen und trockenen Zweigen entzündet hatten. Der Fisch schmeckte ausgezeichnet und die Männer fanden, dass es sich an diesem Ort gut aushielten ließ. Sie beschlossen zu bleiben.....
Ohne eine straffe Organisation und den festen Zusammenhalt innerhalb ihrer Gemeinschaften hätten die Menschen auch damals nicht überleben können.
Jeder hatte seine Aufgabe und seinen Platz in der Gemeinschaft. Es herrschte weder ein patriarchalisches, noch ein matriarchalisches System, sondern die Geschlechter ergänzten sich perfekt in ihrer Aufgaben-Aufteilung. Die Männer waren für die Jagd und für den Schutz der gesamten Gemeinschaft zuständig, aber die Frauen bestimmten, wann und wo gelagert wurde, denn sie waren es, die für die Nahrungsbeschaffung aller Mitglieder zuständig waren, wenn der Jagderfolg ausblieb. Und der Jagderfolg blieb oft aus, so dass die alltägliche Nahrung größtenteils vegetarisch war; mit Kleintieren und Fischen aus dem nahe gelegenen Fluss als Eiweißquelle.
Der Fluss fungierte als Lebensmittelpunkt der Gemeinschaft. Die Männer trafen sich hier früh morgens zum Angeln; die Frauen etwas später zum Baden. Dabei wurden Neuigkeiten ausgetauscht, gelacht und gesungen und die Pflanzen am Ufer gesammelt, die man essen konnte.
Fiel ein großes Tier in eine der gegrabenen Fallen, so wurde ein Fest veranstaltet mit Gesang und Tanz und alle freuten sich auf eine leckere Fleisch-Mahlzeit.
Nach Abschluss des Festes und im Schutze der Dunkelheit machten sich die waghalsigsten Männer auf den Weg in benachbarte Gesellschaften und raubten deren junge Mädchen . Diese Mädchen, die kaum älter als 14 Jahre alt waren, verschwanden einfach und wurden von ihren Verwandten nie wieder gesehen. In ihrer neuen Umgebung wurden diese Mädchen als Belohnung an jene Männer verteilt, die besonders geschickt oder mutig waren.
Einer von den Geschickten bei der Jagd war Tobo. Er präparierte seine Tierfallen so unauffällig mit Laub und Gräsern, dass die Antilopen, Gazellen und Gnus immer wieder darauf herinfielen.
Als Lohn für seine Mühe wurde ihm vom Stammeshäuptling eine geraubte Frau geschenkt. Diese Frau wusste um die Bedeutung der Pflanzen. Sie konnte diejenigen, die essbar waren, von denen unterscheiden, die Gift enthielten, auch wenn sich die Pflanzen zum Verwechseln ähnlich sahen. Auch kannte sie Heilpflanzen, die sie bei allerlei Beschwerden einsetzte.
Nachdem Tobo seine Frau anfangs immer wieder verprügelt hatte, weil sie ihm widerspenstig erschien, erkannte er mit der Zeit ihren Wert und nachdem sie ihm viele Söhne geboren hatte, wollte er sie nicht mehr missen.
Die Frau jedoch wollte von Tobo nichts wissen. Nachdem sie sich einige Male heimlich aus dem Lager geschlichen hatte mit der Absicht, zu ihrem Stamm zurückzukehren, aber immer wieder gescheitert war, weil ihr Fortgang nicht unentdeckt geblieben und die Männer sie verfolgt und aufgepürt hatten, gab sie sich geschlagen und fügte sich in ihr Schicksal. Wo hätte sie denn auch hingehen können? Es war gefährlich draußen in der Savanne. Wilde Tiere warteten nur auf eine leichte Beute, wie sie es war. Außerdem brachte ihr Mann regelmäßig Fleisch mit nach Hause. Aber obwohl ihr Leben gar nicht so schlecht war, vermisste sie ihre eigene Familie; ihre Eltern und ihre Geschwister, mit denen sie aufgewachsen war und unbeschwerte Tage erlebt hatte. Immer wenn sie traurig war, ging sie zum Fluss und klagte ihm ihr Leid. Und der Fluss plätscherte leise dahin und nahm ihre Traurigkeit mit.
Dora konnte die Trauer der Frau gut nachvollziehen, aber wusste nicht, dass es sich bei dieser Frau um eine ihrer Vorfahren handelte. Denn die Haut der Frau war tiefschwarz und Doras Haut war weiß.......
Die Veränderungen in der Savanne geschahen nicht über Nacht.
Die Menschen, die dort seit vielen Generationen heimisch waren, erzählten ihren Kindern alte Legenden von ihren Vorfahren, die metertief im Fluss tauchten und große Fische fingen, die als Abendessen für eine ganze Familie reichten. Sie berichteten von üppigem Grün am Rande des Flusses und von einer artenreichen Tierwelt, die hier existiert und für Nahrung im Überfluss gesorgt hatte.
Der Fluss war zwar noch da, aber er glich eher einem Bach, der sich träge durch die Landschaft schlängelte. Das üppige Grün war längst verschwunden und die nackte Erde war an vielen Stellen sichtbar. Die Antilopen, Gazellen und Gnus waren weiter nach Süden gewandert, wo das Gras noch üppig wuchs. Auch die Raubtiere waren verschwunden. Es gab hier nichts mehr zu Reißen.
Angesichts der Nahrungsknappheit waren die Menschen gezwungen, das immer öder werdende Land zu verlassen und weiter zu wandern.
Überall in der Sahara machten sich die verschiedensten Volksstämme auf die Suche nach einer neuen Heimat. Manche gingen nach Süden, manche nach Osten und ließen sich am Nil nieder, wo sie eine reiche Kultur entwickelten.
Doras Vorfahren zog es nach Nordwesten.
Nach einer langen, anstrengenden Wanderung, die über mehrere Tausend Kilometer ging und viele Jahrhunderte dauerte, gelangten Doras Vorfahren an die algerische Küste. Hier ließen sie sich nieder und vermischten sich mit den dort ansässigen Völkern.
Währenddessen lag Europa unter einem dicken Eispanzer, dessen Auswirkungen bis nach Nordspanien reichte.
Die Menschen in Algerien wussten wohl, dass es ratsam war, nicht weiter zu wandern, obwohl der Meeresspiegel zu jener Zeit etwa 120 Meter tiefer lag als heute und es viele Landbrücken gab, die sie hätten überqueren können.
Aber von Norden her wehte oft ein ein eiskalter Luftzug über Nordafrika, der die Menschen erschauern ließ und vor dem sie sich fürchteten. Für das eisige Klima aus dem Norden waren diese dunkelhäutigen Menschen einfach nicht geschaffen.
Doch auch von hier wurden Doras Vorfahren im Laufe der Zeit vertrieben, da immer mehr Leute aus dem Süden nachkamen, die der Wüste keinen Lebensunterhalt mehr abringen konnten und dem entsprechend aggressiv in die nordafrikanischen Länder einfielen.
Doras Vorfahren waren keine Krieger und anstatt den Neuankömmlingen Widerstand zu leisten, zogen sie die Flucht vor.
Eine Flucht ins Ungewisse.
Gemeinsam mit vielen anderen Familien machten sie sich auf den Weg.....
Man meint ja immer zu wissen, dass die Menschen vor Urzeiten primitiv gewesen sein müssten.
Weit gefehlt!
Zumindest mussten sie einen umfangreichen Wissensschatz in Biologie, Astrologie und Techniken des Überlebens in Wildnis haben, die heute kaum jemand mehr kennt.
Allein solche Wanderungen zu Fuß über Hunderte Generationen und gigantische Strecken hinweg und ohne irgendwelche technischen Hilfsmittel würde heutzutage wohl niemand mehr bewältigen können. Diese Urmenschen waren mit der Natur bestens vertraut, nutzten die Position der Sonne und der Sterne als Richtungsanzeiger und Jahreszeitenmesser und schonten ihre Resourcen, denn ihr Überleben hing davon ab.
Inzwischen hatte sich die Kommunikation auf verbale Art entwickelt und sehr wahrscheinlich hatten sie auch Wege gefunden, sich über weite Strecken hinweg zu verständigen, (etwa durch Rauchzeichen.)
Der Schiffbau war zu dieser Zeit noch unbekannt und als Doras Vorfahren die Flucht durch das Mittelmeer abgeschnitten wurde, wanderten sie nach Westen; immer an der Küste entlang; bis sie nach Marokko kamen.
Doras DNA bewies, dass ihre Vorfahren sich mit den in Marokko ansässigen Stämmen vermischt hatten.
Irgendwann an einem besonders klaren, windstillen Tag suchten Kinder an Marokkos Küste am Strand nach Muscheln, die ihre Väter bearbeiten und als Schmuck eintauschen konnten, gegen andere Gebrauchsgegenstände, die ihnen fehlten.
Bei einem prüfenden Blick über´s Wasser bemerkten sie Land, das am Ufer gegenüber lag.
Aufgeregt rannten sie nach Hause und erzählten, was sie gesehen hatten. Und dann hörten sie von ihren Eltern Geschichten über Menschen, die es gewagt hatten, das Wasser auf einem selbst gebauten Floß zu überqueren und nie wieder gesehen wurden. Außerdem sollten am anderen Ufer Geister wohnen, die den Menschen Böses wollten, hörten sie. Diese Geschichten zeigten die gewünschte Wirkung; die Kinder bekamen Angst und mieden diese Gegend in Zukunft.
Ein paar Jahrzehnte gingen ins Land; aus den Kindern waren längst Großväter geworden, als einer ihrer Enkel beim Fischen mit seinem Floß vom Wind hinaus auf´s Meer getrieben wurde. Er sah das rettende Land vor sich, wusste aber, dass es dort böse Geister gab und wollte umkehren. Doch der Wind drückte das Floß unerbittlich in jene Richtung, die er unter allen Umständen vermeiden wollte und gelangte so nach Spanien. Die Tatsache, dass er die Meerenge von Gibraltar überquert hatte, wusste er nicht.
Um seine Kleider zu trocknen und die bösen Geister fernzuhalten, entzündete er ein Feuer, übernachtete dort, wartete ab, bis das Wetter besser wurde und paddelte nach einigen Tagen mit seinem Floß wieder zurück nach Hause. Die Freude seiner Familie war riesengroß, als sie ihn wohlbehalten wieder hatten. Aber noch mehr waren sie erstaunt, als er erzählte, drüben am anderen Ufer gewesen zu sein. Als Beweis für seine Geschichte hatte er eine Pflanze mitgebracht, die in Marokko niemand kannte.
Nun, da sie wussten, dass drüben auf der anderen Seite keine bösen Geister lauerten, trauten sich auch andere junge Männer, die Meerenge zu überqueren und irgendwann hatte jemand die Idee, dass man dieses Land am anderen Ufer in Besitz nehmen könnte. An dieser Idee konnten auch andere junge Leute Gefallen finden und so machte sich schließlich eine kleine Gruppe junger Männer auf die Reise ins Ungewisse. Einer davon war Doras Urahn.
Vom Süden Spaniens bis nach Doggerland im Norden, immer an der Küste entlang, war ein weiter Weg, für den Doras Urahnen rund 10000 Jahre und etwa 400 - 500 Generationen gebraucht hatten. Ein massives Unterfangen und eine unglaubliche Leistung, die Dora gewaltigen Respekt abverlangte.
Auf dem Weg nach Norden hatten diese Leute viele Herausforderungen zu überwinden und noch mehr Gefahren zu überstehen. Etliche dürften auf dem großen Marsch ihr Leben verloren haben.
Sie trafen auf wilde Tiere, die inzwischen längst ausgestorben sind, auf andere Menschen, die in ihnen unerwünschte Eindringlinge sahen und sie bekämpften und waren schutzlos den Naturgewalten ausgesetzt. Am meisten fürchteten sie Blitz und Donner, die sie als Gottheiten verehrten und ihnen jedes Jahr opferten, um sie gnädig zu stimmen. Sie verehrten die Sonne, die Erde und das Wasser, weil es sie am Leben erhielt.
Genug Nahrung und trinkbares Wasser zu finden, dürfte schwierig gewesen sein. Zum großen Teil wird die Zusammensetzung der Nahrung aus Fisch und Pflanzen bestanden haben. Im Laufe ihrer Wanderung werden die Menschen gelernt haben, Meerwasser durch Destillation trinkbar zu machen und Pflanzensamen zu sammeln und auszusäen, bis zur Ernte zu warten und dann weiterzuziehen.
Das Salz, das sie durch Destillation dem Meer abgerungen hatten, tauschten sie bei anderen Stämmen gegen Frauen ein, die im Landesinneren lebten. Auch Muscheln benutzten sie als Tauschmittel für Werkzeuge, das die anderen Stämme besaßen.
Und jede Generation erzählte die spannenden Geschichten und Legenden ihren Kindern weiter, welche die Alten gehört und erlebt hatten. Auf diese Weise hielten sich Traditionen sehr lange und jede Generation achtete darauf, das höchste ungeschriebene Gesetz ihres Stammesvaters zu befolgen; nämlich zu wandern, bis das Land ein Ende hatte und sie nur noch Wasser vor sich hätten.
Nachdem sie schon 5 000 Jahre lang gewandert waren und immer noch kein Ende in Sicht war, dämmerte es ihnen, dass das Land riesengroß sein musste.....
.......und nach weiteren 5 000 Jahren kamen sie endlich nach Doggerland.
Doggerland, ein Landstrich, der die Britischen Inseln vor 10 000 Jahren mit dem Kontinent verband, war für die Menschen, die dort lebten, ein Paradies. Es gab dort ausreichend Nahrung für Alle, weshalb ein reger Durchgangsverkehr dort herrschte.
Doras Vorfahren ließen sich an einem der vielen Seen nieder, zimmerten sich aus Holz Unterkünfte, gingen Fischen und hielten auf den saftigen Weiden Schafe, die ihnen Wolle, Milch und Fleisch lieferten.
Im Frühling, zur Brutzeit der Wildvögel, gingen sie auf Eiersuche und im Herbst sammelten sie Beeren- und Samenfrüchte und gingen auf die Jagd nach Wildtieren. Sie kannten das Prinzip der Haltbarmachung von Lebensmitteln durch Salzen und Trocknen und waren so für harte Winter gewappnet.
In Doggerland wurde der Gen-Pool neu gemischt, da dort verschiedene Stämme miteinander Kontakt pflegten und Waren austauschten.
Es waren wieder die Frauen, die ihre Herkunftsfamilien verließen, um in andere Stämme einzuheiraten. Man kann aber auch getrost annehmen, dass manche Frauen nach wie vor aus ihren Familien geraubt und zwangsverheiratet wurden.
Das Aussehen der Menschen hatte sich während der letzten 30 000 Jahre nicht allzu sehr verändert. Ihre Hautfarbe war immer noch dunkel; wenn auch nicht mehr so schwarz wie die vieler Afrikaner.
Die letzte Eiszeit war gerade vorüber und machte einer Warmzeit Platz, die bis heute noch anhält. Durch das schmelzende Eis stieg aber auch der Meeresspiegel jährlich um 2 cm.
Für jene Menschen, die damals auf Doggerland lebten, waren diese drastischen Veränderungen allerdings nicht spürbar. Es dauerte zwei Jahrtausende, bis das Meer Doggerland verschlungen hatte und die Britischen Inseln vom Kontinent trennten.
Doras Ahnen hatten sich rechtzeitig vom untergehenden Doggerland nach Großbritannien aufgemacht und dort eine neue Heimat gefunden.
Nach wochenlanger Übung funktionierten Doras abendliche Selbsthypnosen in der abgeschiedenen Stille ihres Schlafzimmers recht gut.
Vor 7 500 Jahren sah sie ihre Vorfahren im Süden England´s. Inmitten von ausgiebigen Wäldern, die nach dem Ende der Eiszeit gewachsen waren, gingen sie der gewohnten Jagd nach, fischten, sammelten essbare Pflanzen, dessen Samen sie aufhoben und aussäten. Sie bauten geräumige Unterstände aus Holz, die vor Wind und Wetter schützten.
Doras Vorfahr hatte das große Gemetzel an jungen Männern, das im Zuge der Besitzverteilung von Land und Gütern ausgebrochen war, überlebt. Es gab einen großen Frauenüberschuss und 17 Frauen mussten sich einen Mann teilen, was dazu führte, dass nur die jungen und hübschesten Frauen in den Genuss einer Unterkunft im Hause ihres Herrn hatten. Der Rest musste schauen, wo er blieb. Die Kinder wurden von ihren Müttern erzogen und vom Vater zur Räson gebracht, wenn es nötig war. Mit Erreichen der Volljährigkeit mussten sie das Elternhaus verlassen und sich in der Welt einen eigenen Platz erkämpfen.
Das Leben war hart. Alles musste mühsam in Handarbeit produziert, bearbeitet und iinstand gehalten werden. Die Felder zum Anbau von Getreide und Gemüse waren noch sehr klein, da sie noch keine Tiere hatten, die zum Umpflügen der Erde eingespannt werden konnten.. Vereinzelt weideten Schafe auf den mageren Wiesen und lieferten Wolle, die von den Frauen zu wärmender Kleidung verarbeitet wurde und hin und wieder Milch und Fleisch lieferten.
Erleichterung brachte nur der Bach, der mitten durch das Grundstück floss und aus dem das Trinkwasser für Mensch und Tiere entnommen wurde. In warmen Sommern lud der Bach zum Baden ein und auch in Zeiten von Wasserknappheit, etwa, wenn der Regen ausblieb, hatten die Bewohner immer genug Wasser zum Bewässern ihrer Felder.
Auf einer Versammlung mit anderen Bodenbesitzern hatte sich ein Gerücht aus dem Süden Europas bis nach England verbreitet; nämlich dass es Frauen mit blauen Augen gab. In England glaubte man solchen Geschichten nicht, denn wer hätte jemals eine Frau mit blauen Augen gesehen? - In England gab es keine und auch diejenigen, die viel in der Welt herumgekommen waren, hatten niemals eine zu Gesicht bekommen. Es musste sich irgend jemand diese schöne Geschichte zurechtfantasiert haben. Vielleicht hatte der Urheber zuviel von dem neuartigen Getränk zu sich genommen, das den Geist benebelte und das bei den jungen Leuten in Mode gekommen war. Jedenfalls war die Geschichte von der Frau mit den blauen Augen es wert, von Generation zu Generation weitererzählt zu werden, bis nach langer, langer Zeit eine dieser unglaublichen Geschöpfe auch in England zu sehen war. Ein sehr reicher Bodenbesitzer hatte seine neue Frau zur Versammlung mitgebracht und seine Eroberung stolz zur Schau gestellt. Sie hatte goldenes Haar und strahlend blaue Augen.
Das Auftauchen einer blauäugigen Frau mit goldenem Haar in England war eine Sensation, über die landesweit geredet wurde. Viele Männer wünschten sich nichts anderes als so eine Frau, weshalb sie in allen Landesteilen nach einer solchen Schönheit suchen ließen. Auch Doras Ahnherr war der exotischen Schönheit verfallen und beauftragte einen der vielen Händler, die landauf und landab zogen, eine blauäugige Frau für ihn zu finden, um sie zu seiner Frau zu machen.
Der Händler nahm den Auftrag an und suchte, konnte aber keine Frau mit blauen Augen finden. Um wenigstens etwas zu verdienen, wählte er besonders hübsche Frauen aus Wales, Irland und Schottland, die damit einverstanden waren, sich weitab von der Heimat zu verheiraten, um der Armut zu entfliehen.
Zur Hochzeit wurden sie schön hergerichtet und ein Schleier über´s Gesicht gezogen, damit ihr Bräutigam ihre Augenfarbe nicht erkennen konnte. Dieser Schleier wurde erst abgenommen, als die Eheleute zu Bett gingen; im Dunkeln natürlich. Wie groß die Enttäuschung des Bräutigams am anderen Morgen war, als seine frisch Angetraute die Augen öffnete, kann man sich vorstellen. Wenn die Ehe schon vollzogen war, musste die Frau behalten werden und so tröstete man sich damit, dass man doch eine sehr außergewöhnliche Schönheit ergattert hatte, wenn auch keine mit den gewünschten blauen Augen.
Veränderungen in der Lebenshaltung vollzogen sich über Jahrtausende hinweg. Holzhäuser mussten Steinbauten weichen, die ohne Mörtel zusammengesetzt und wesentlich stabiler waren und nicht so leicht brannten wie jene aus Holz und oftmals die gesamte Existenz einer Bauernfamilie vernichteten. Großen Steinen maßen die Menschen damals eine herausragende Bedeutung zu. Sie luden sie auf Boote und transportierten sie auf den Flüssen und auf dem Landweg zu zentral gelegenen Orten, wo sie nach einem genau berechneten Plan aufgestellt wurden, um die Sonnenwenden anzuzeigen, nach denen das Getreide ausgesät und geerntet werden konnte, den Göttern Opfer zu bringen und Feuerbestattungen durchzuführen.
Die weitläufigen Anlagen wurden von Menschen unterhalten, die sich nur mit dem Lauf der Gestirne beschäftigten und die sich Wissen aneigneten, das die Menschen benötigten, um sich weiter zu entwickeln. Diese Menschen wurden von den Bauern mit allem versorgt, das sie zum Leben brauchten. Als Gegenleistung profitierten sie von der Weisheit dieser Männer.
Stonehenge war DAS kulturelle Zentrum in Europa. Dieser Monumental-Bau entstand in Episoden und, so darf man annehmen, in einer Bauzeit von mehreren tausend Jahren. Wer Stonehenge beherrschte, beherrschte West-Europa.
Von weit her kamen zur Wintersonnenwende die Menschen, um in Stonehenge zu feiern; für die gute Ernte im vergangenen Jahr zu danken und um gutes Wetter zu bitten für das kommende Jahr. Es waren Zehntausende, die kamen und alle mussten verpflegt werden. Der logistische Aufwand war immens und verlangte viele Monate der Vorbereitung und Planung. Darüber hinaus mussten die vielen Tausend Arbeiter verpflegt werden, die dauernd mit dem Ausbau von Stonehenge beschäftigt waren.
Auch Doras Ahnen kamen jedes Jahr zu den Feierlichkeiten. Allerdings waren zu diesem Spektakel üblicherweise nur Männer zugegen. Frauen und Kinder blieben zu Hause. Sie waren in dieser Zeit wochenlang auf sich allein gestellt, verriegelten den Eingang zu ihren Steinhäusern und schützten sich so vor marodierenden Banden, die in den umliegenden Wäldern auf gute Gelegenheiten zum Räubern lauerten.
In Stonehenge wurden neue Regeln des Glaubens und des Zusammenlebens aufgestellt und zementiert, an die sich alle Mitglieder zu halten hatten.
Dort wurden den Göttern gehuldigt und Opfergaben gebracht.
Es wurden Begräbnisse abgehalten und Feuerbestattungen durchgeführt.
Stonehenge war vermutlich auch der Sitz der höchsten Gerichtsbarkeit im Lande, indem Verbrecher auf Pfähle aufgespießt und dem Publikum öffentlich zur Schau gestellt wurden.
Da Doras Vorfahren Bauern und Schafhirten waren, mussten sie einen gewissen Teil ihres Ertrages in Form von Naturalien an Stonehenge abliefern; so wie alle Bauern im Lande.
Dora sah während ihrer Trance, wie ihre Vorfahren auf die gierigen Herrscher in Stonehenge schimpften, weil sie ihnen fast alles wegnahmen und ihnen nur das übrig ließen, was sie unbedingt zum Leben brauchten.
Allerdings hatten die Herrscher in Stonehenge keine Kenntnisse darüber, dass die Bauern sich ein einträgliches Zubrot beschafft hatten; den einträglichen Handel mit Frauen und Kindern.......
Frauen wurden zur Zerstreuung der vielen Tausend Arbeiter gebraucht, die am Ausbau von Stonehenge beteiligt waren. Man musste sie bei Laune halten, denn sie waren freie Leute, die jederzeit ihre Arbeit niederlegen und nach Hause gehen konnten. Die Kinder wurden für leichtere Arbeiten gebraucht; etwa für die Essensausgabe, für die Säuberung der Anlage, für Botengänge und vieles mehr. Die Frauen und Kinder stammten aus allen Teilen des Landes, waren meist zu arm, um sich Essen leisten zu können und froh, wenn sie jemanden fanden, der sich für sie interessierte. Das Leben rund um Stonehenge, so hart es auch war, war immer noch besser, als zu Hause zu verhungern.
Im Zuge ihrer Eroberungen gelangten die Römer einige Jahre vor Christi Geburt auch nach England. Von Neugier geplagt, sahen sie sich erst einmal gründlich um und schickten Nachricht an Rom, dass sie ein neues Land gefunden hätten.
Auch nach Schottland machten sie ab und zu Abstecher, bekamen allerdings von den dort lebenden rauen Gesellen jedes Mal Prügel.
Die Nachricht des römischen Kaisers ließ nicht lange auf sich warten. Sie lautete: "EROBERT BRITANNIEN!"
Wie befohlen, - so gestohlen.
Die Bevölkerung hatte ab sofort nichts mehr zu melden in ihrem eigenen Land. Sie organisierten das eroberte Land durch, genau so, wie sie es mit auch mit den vielen anderen Eroberungen gemacht hatten. An der Grenze zu Schottland bauten sie einen Grenzwall, den Hadrianswall, der heute noch steht und zu besichtigen ist. Diejenigen Soldaten, die den Grenzwall zu sichern hatten, lebten in ständiger Angst vor den Pikten, deren Schlagkraft sie nur zu gut in Erinnerung hatten.
Doch das Leben im Land der Bauern und Schafhirten war für die Römer nicht besonders interessant. In Rom selbst galt es als Strafe, nach Britannien abkommandiet zu werden; denn dort wartete anstatt opulenter Feste mit schönen Frauen langweilige Einöde. Die Frauen Britanniens stanken und Wein gab es dort auch nicht. Im äußersten Süden des Landes versuchten die Römer es mit Weinbau, brachten aber allenfalls ein paar Liter eines Getränks zustande, das niemand trinken wollte. Nach einigen gescheiterten Versuchen gaben sie frustriert auf. Sie verstanden die Lebensart der Briten nicht, konnten mit Stonehenge und seiner Bedeutung nichts anfangen und verlachten die Besucher, die sich dorthin wagten. Statt dessen führten sie ihre eigene Kultur auf der Insel ein.
Währenddessen herrschte am Hadrianswall, diesseits und jenseits der Grenze zu Schottland, reges Treiben. Die Pikten auf der anderen Seite des Grenzwalls machten sich einen Spaß daraus, die römischen Soldaten bei jeder Gelegenheit zu provozieren; während die Römer strikten Befehl hatten, die schottische Grenze nicht zu überqueren, um Verluste zu vermeiden.
Erst im 4. Jahrhundert n. Chr. war der römische Spuk vorbei. Die römischen Truppen wurden abgezogen und die Insel sich selbst überlassen.
Nachdem die Römer sich aus Britannien zurückgezogen hatten und die Bevölkerung schutzlos sich selbst überlassen war, warben sie Männer aus Sachsen an, die mitsamt ihren Familien auf die Insel zogen und sich dauerhaft im Südosten der Insel niederließen. In der Folgezeit wanderten auch Angeln, Jüten und Dänen auf die Insel ein, ließen sich ebenfalls dort nieder und verschmolzen teilweise mit der einheimischen Bevölkerung.
Doras Ahnen wussten nicht, wer die Leute waren, die in Schüben über das Meer ins Land kamen und es besiedelten. Jedoch hatten sie eine Ahnung, dass die Fremden keine friedlichen Leute waren. Schon die Begegnungen mit den Römern ein paar Jahrunderte früher waren nicht immer konfliktfrei abgelaufen, denn sie hatten sich einfach genommen, was sie brauchten und die einheimischen Gesetze missachtet. Etwas später hatten sie der britischen Urbevölkerung Steuerzahlungen abverlangt und ihnen ihre eigene Kultur aufgezwungen. Das hatten Doras Ahnen nie vergessen und als sie nun die vielen Fremden kommen sahen, waren sie alarmiert.
In den dichten Wäldern, unweit von ihrem Stammhaus, richteten sich Doras Ahnen ein Notlager ein. Es war nichts weiter, als eine großzügig ausgehobene Grube, die mit Astwerk und Grünzeug gut getarnt war. Darin versteckten sie sich, wenn Feinde im Anmarsch waren. Während die fremden Eindringlinge im Haus herum wüteten und alles plünderten, was nicht niet-und nagelfest war, überlebten die rechtmäßigen Eigentümer von dem, was der Wald an Nahrung hergab, oder hungerten, bis die Gefahr vorüber war und sie zurück ins Haus konnten. Manchmal hatten die Fremden sogar Feuer ans Haus gelegt, nachdem sie alles mitgenommen hatten und dann mussten Doras Vorfahren wieder bei Null anfangen.
In den folgenden Jahrhunderten wiederholten sich diese Ereignisse noch einige Male, weshalb sich Doras Vorfahren mit der Zeit immer weiter nach Westen zurückzogen, um sich vor erneuten Raubzügen der fremden Eroberer zu schützen.
Und dann kam eines Tages die Nachricht, dass das Kloster Lindisfarne auf der gleichnamigen Insel von den Wikingern angegriffen worden war und die Mönche dort bei Nacht und Nebel geflohen waren. Die Ungeheuerlichkeit dieser Nachricht schlug in Britannien ein wie eine Bombe. Die Kultur der Briten und die berühmte Schreibschule...., alles zerstört. Diese Begebenheit zu Ende des 8. Jahrhunderts ließen selbst Doras heidnische Vorfahren nicht kalt und um den Mönchen zu zeigen, dass sie nicht allein waren in ihrem Unglück, nahmen sie deren katholische Religion an und ließen sich taufen.
Aldric sah Wikingerschiffe von Westen über´s Meer kommen.
Hatten seine Vorfahren nicht immer erzählt, dass die Wikinger immer von Osten her kämen und dass der Westen Britanniens sicher sei?
Aber vielleicht waren es gar keine Wikingerschiffe! Adric kniff die Augen zusammen, um in der untergehenden Abendsonne besser sehen zu können. Kein Zweifel; es waren Wikingerschiffe. Sofort rannte er nach Hause und schlug Alarm: "DIE WIKINGER KOMMEN!" Was das bedeutete, wussten alle im Dorf. Alles wurde stehen und liegen gelassen und die Notlager im Wald aufgesucht, wo Aldric in weiser Voraussicht auf schwere Zeiten einige, vom Mund abgesparte Silbermünzen vergraben hatte. Es war nicht viel; noch nicht mal für einen neuen Anfang würde es reichen. Und Aldric rechnete damit, dass die Wikinger das ganze Dorf zerstören würden. Nur zu gut hatte er diese wilden Gesellen in Erinnerung. Den gesamten Osten Britanniens beherrschten sie schon. Nun kamen sie auch noch von Westen. Aldric hatte die Faxen dicke! Zu oft schon wurde sein Haus geplündert, sein Vieh geraubt seine Töchter vergewaltigt und sein Besitz in Brand gesteckt.
Er hatte es satt, ein Opfer zu sein; von den feinen Herren auf ihren Schlössern drangsaliert und geknechtet; von fremden Eroberern ausgeplündert und verachtet. Ein Niemand, der nur deshalb eine Daseinsberechtigung hatte, weil er die feine Herrschaft mit Korn und Gemüse, mit Milch, Fleisch und Eiern versorgte. Sollten doch die Herren ihre feinen Gewänder ablegen und selbst ihre Äcker pflügen! Er, Aldric, würde es jedenfalls nicht mehr tun! Der Hof, den er bewirtschaftete, gehörte ihm ja nicht mal!
Das schwor er sich, falls er diesen Wikingerangriff überstehen würde.
Während er aus der Ferne die Wikinger grölen hörte und Rauch aufsteigen sah, sinnierte er in seinem Versteck weiter, was er wohl tun sollte, wenn die Gefahr vorüber war.
Sollte er Waffenschmied werden? - Sofort verwarf er diesen Gedanken wieder; wohl wissend, dass er kein handwerkliches Talent hatte. Auch als Händler eignete er sich nicht. Dazu musste man die Menschen kennen, um deren Gier zu seinem eigenen Vorteil zu nutzen. Nein, er war wohl doch nicht verschlagen genug, um als Händler zu überleben. Er sah herüber zu seiner Frau, die schwanger war und zu seinen beiden Töchtern, die noch klein waren. Für sie trug er Verantwortung, also konnte er sich auch nicht einfach Auf- und Davon machen und sich einem Kreuzritter als Knappe anbieten. Lesen und Schreiben konnte er nicht und ungebildet, wie er war, blieb ihm nur noch eine Möglichkeit. Das gesparte Geld würde er der Kirche spenden und gleichzeitig um Aufnahme und Schutz bitten, für sich und seine Familie. Er wusste, dass überall im Land neue, prächtige Sakralbauten entstanden und rechnete damit, dass man ihn zum Kirchbau brauchen könnte. Für seine Frau würde sich bestimmt auch Arbeit finden lassen und seine Töchter wären vor Raub und Vergewaltigung der groben Nordmänner geschützt und hätten die Chance, Lesen und Schreiben zu lernen.
Als nach Tagen des Rumorens in der Ferne endlich Stille einkehrte, wagte sich Aldric mit seiner Familie aus seinem Versteck, passierte seinen Hof, der nun vollständig zerstört war, marschierte schnurstracks zur Kirche und setzte seinen Plan um. Die Kirchenväter waren dankbar für die Geldspende und konnten einen Bauhelfer, der sie außer Essen und Logis nichts kostete, gut gebrauchen. Seine Frau konnte in der Krankenpflege eingesetzt werden und die Kinder erhielten Bibelunterricht.
Als ihre Zeit um war, bekam Aldrics Frau einen Sohn, den sie Cuthbert nannten.
In Hastings hatte sich gerade ein Normanne zum König über ganz Britannien erklärt. Man schrieb das Jahr 1066.
Cuthbert hielt nichts von der Geistlichkeit, die ihn während seiner ganzen Kindheit gegängelt und mit dem Höllenfeuer gedroht hatten, wenn er nicht parierte. Überdies hatten seine Lehrer übermäßigen Gebrauch von Prügelstrafen gemacht, wenn er im Lese- und Schreibunterricht unaufmerksam gewesen war und seine Lehrer provoziert hatte.
Mit dem Wander-Gen seiner Vorfahren ausgestattet, riss er mit 15 von Zuhause aus und fragte in der nächsten Stadt um Arbeit und Unterkunft nach. Die Leute in der Stadt schickten ihn weiter zur Burg, die hoch über der Siedlung lag. Dort stellte er sich vor und da er ein hübscher, starker Junge war, der außerdem Lesen und Schreiben konnte, fand der Burgherr Gefallen an ihm und bildete ihn zum Knappen aus.
Fortan schlief er im Pferdestall, kümmerte sich um die Pferde, putzte die Rüstung seines Herrn, bis sie glänzte, überbrachte wichtige Schreiben von seinem Herrn an den König, oder an die Geistlichkeit, sah dem Schmied bei der Waffenherstellung zu und versuchte sich auch selbst in diesem Handwerk, indem er seine eigene Waffe schmiedete.
In seiner Freizeit schrieb er Gedichte an seine Liebste, die in der Burgküche arbeitete und las sie ihr beim Stelldichein am Bach unter der großen Linde vor. Seine Holde lachte, bedankte sich mit einem Kuss auf die Wange und kehrte zurück zu ihrer Arbeit, während Cuthbert ihr versonnen hinterher schaute. Nur zu gerne hätte er sie zur Frau genommen, aber er musste warten, bis er sich als Knappe bewährt hatte, die Erlaubnis des Ritters zur Hochzeit bekam und sich einen eigenen Hausstand leisten konnte. Die ganze Stadt, mit allem, was dazu gehörte, hingen vom Wohlwollen des Burgherrn ab; so auch Cuthbert und seine Liebste.
Der Ritter wiederum, der von seiner Gemeinde verehrt und gefürchtet wurde, hing vom Wohlwollen des Königs ab, dem das ganze Land gehörte und der es nach Gutdünken an seine Ritter als Lehen weitergab, das sie bewirtschaften durften und für das sie Abgaben an den König zu entrichten hatten. Die Bauern, die das Land beackerten, waren Leibeigene des Ritters. Mit ihnen konnte er machen, was er wollte und er tat das auch.
Auf dem Kontinent brachen die Rittersleut´ zu Kreuzzügen auf, zu denen der Papst in Rom aufgerufen hatte und dem sich auch einige Ritter aus England anschlossen. Cuthberts Burgherr verzichtete jedoch auf die Ehre, an einem Kreuzzug teilzunehmen, da er schon recht alt war und verbot Cuthbert ebenso die Teilnahme, nachdem dieser bei seinem Herrn angefragt hatte, ob er sich einem anderen Ritter anschließen dürfte. Hängenden Kopfes zog sich Cuthbert in seinen Pferdestall zurück. Sein Traum auf Ruhm und Ehre und einer Hochzeit mit seiner Liebsten war in weite Ferne gerückt.
Lange Jahre vergingen. Cuthberts Liebste war inzwischen mit einem fleißigen Bauern verheiratet worden und Mutter von vielen Kindern. Cuthbert sah sie ab und zu noch, wenn sie Gemüse, Fleisch und Eier hinauf zur Burg brachte.
Um seine Enttäuschung zu verbergen, hatte Cuthbert ein Techtelmechtel mit einem Mädchen angefangen, von dem er wusste, dass seine Liebste sie hasste. Er liebte sie nicht und fand sie auch nicht besonders anziehend und als sie schon nach kurzer Zeit schwanger wurde, fiel Cuthbert aus allen Wolken. Wohl oder übel musste er sie heiraten. Den Sohn, den ihm seine Frau gebar, nannte er Richard.
Cuthbert fühlte sich vom Leben betrogen und trank mehr, als ihm gut tat. Allzu oft schalt ihn seine Frau deswegen aus und mahnte, doch wenigstens Rücksicht auf den Jungen zu nehmen, wenn er spät Abends betrunken nach Hause kam. Cuthbert drohte ihr Prügel an, falls sie ihren Mund nicht hielt. Ein Wort ergab das andere ....und am nächsten Morgen fand er seine Frau in einer Blutlache liegend wieder. Sie war tot.
Schlagartig setzte bei Cuthbert die Ernüchterung ein. In aller Hast sattelte er sein Pferd, nahm seinen Sohn und ritt in vollem Galopp davon. Vorbei an den Wachen, die ihn erschrocken passieren ließen, vorbei an dem Bach mit der Linde, hinaus aus der Stadt und immer weiter. Wohin er floh, das wusste Cuthbert nicht. Nur weg von diesem düsteren Ort. Er stoppte erst, als er sicher war, dass ihn niemand verfolgt hatte. Von nun an war sein Leben keinen Pfifferling mehr wert. Das wusste er. Aber er wusste auch, dass er für seinen Sohn verantwortlich war. Richard war erst drei Jahre alt und fragte ständig nach seiner Mutter. Da er nicht wusste, was er dem Kind antworten sollte, befahl er ihm, still zu sein. Richard sah das böse Funkeln in den Augen seines Vaters und fragte nicht mehr.
Cuthbert wusste nicht mehr, wie lange er mit seinem kleinen Sohn Richard geritten war. Er hatte sich immer abseits der Siedlungen gehalten und sich seine Wege durch dichte Wälder gebahnt. Eines Tages traf er im Wald auf Leute. Zu Tode erschrocken, dachte er, dass sein letztes Stündlein geschlagen hätte, ließ sich aber seine Angst nicht anmerken und blickte so finster wie möglich drein.
"Aus dem Weg, sag´ ich!" - Er zeigte auf seinen Sohn. - "Das ist der Sohn des Königs und er wird mir einen schönen Batzen Lösegeld einbringen." In den Augen der Räuber flammte Gier auf. - "Nichts da, wenn es Lösegeld für den Jungen gibt, dann wird das anständig geteilt" , sagte der Anführer der Räuberbande. "Wo willst du denn mit dem Jungen hin? Hast du schon einen Vermittler?" - Nein, an einen Vermittler hatte Cuthbert nicht gedacht und er wusste ja auch nicht mal, wo er den Jungen in Obhut geben konnte. Die letzten Tage unterwegs waren stressig gewesen und ihm wurde bewusst, dass Richard ein festes Zuhause brauchte.
Die Räuber wussten Rat. "Gib´ ihn zu den Mönchen ins Kloster. Die haben gute Verbindungen zum König. Wenn der seinen Sohn wiederhaben will, dann wird er zahlen müssen." - Gesagt, getan! - Am nächsten Morgen wurde Richard ins Kloster gebracht.
Die Mönche hatten schnell die Wahrheit über den Jungen heraus bekommen, aber liebten Richard sehr, da er ein ruhiges und folgsames Kind war. Er hatte einen ungeheuren Wissensdurst, lernte Lesen und Schreiben in Rekordzeit, lauschte aufmerksam den Bibelgeschichten, wurde von den Mönchen in Latein, im Reiten und im Waffengebrauch unterrichtet und als seine Zeit gekommen war, in adelige Kreise eingeführt, damit er Augen und Ohren offenhalten möge, denn die Lage der katholischen Klöster war damals sehr unsicher und aus Rom war keine Unterstützung zu erwarten. Es hielten sich Gerüchte, dass der König die Klöster auflösen wollte.
In den Adelskreisen machte Richard eine gute Figur, vermied es geschickt, sich zu positionieren, hatte für alle ein offenes Ohr und war in der Damenwelt beliebt. Er fand einen reichen Gönner, der es ihm ermöglichte, seine Studien zu vervollständigen, heiratete eine Frau mit guter Mitgift, mit der er vier Kinder hatte Und konnte sich nach einigen Jahren am Hofe auf einem Landgut zur Ruhe setzen, das ihm vom König verliehen worden war.
Die Klöster waren inzwischen aufgelöst und seinen Vater hatte er nie mehr wieder gesehen.
Richards Kinder und Enkel lebten in idyllischer Ruhe auf ihrem Landgut. Sie hatten viele Leibeigene, die das Land bewirtschafteten. Abgesehen von kleineren Rückschlägen durch Kleinkriege und Banditen, gediehen die Feldfrüchte prächtig und ebenso das Vieh. Die Bevölkerung vermehrte sich, bis 1348 die ersten Pest-Fälle auftraten.
Es begann aus heiterem Himmel mit hohem Fieber. Etwas später bildeten sich an den Lymphknoten die charakteristischen schwarzen Beulen heraus. Von blühender Gesundheit bis zum Tod dauerte es nur wenige Tage. Die Leute damals wussten nicht, wie ihnen geschah, standen dieser schrecklichen Krankheit völlig hilflos gegenüber und suchten nach Erklärungen für das Übel und glaubten, dass das die Vergeltung Gottes für ihre Sünden wären.
Die Herren auf dem Landgut erkauften sich den Ablass ihrer Sünden in der Kirche mit harter Währung, während ihre Leibeigenen allem Möglichen die Schuld für diese Krankheit gaben. Jedenfalls starben die Leute wie die Fliegen und um die Kranken von den Gesunden zu trennen, verbannte man oftmals jene, die Anzeichen der Pest zeigten, weit außerhalb des Ortes und überließ sie sich selber, bis sie starben. Dann wurde Feuer gelegt und die Leichen verbrannt, während der Priester aus der Ferne die Totenmesse für die armen Seelen las.
Der Tod vieler seiner Leibeigenen hatte schlimme Konsequenzen für das Leben der Landgut-Herrschaft, denn von nun an mussten sie in Haus und Hof selbst Hand anlegen, wenn sie überleben wollten. Es gab auf dem Landgut kaum noch jemand,, der die Äcker bestellte und das Vieh versorgte. Die Hausherrin musste selbst den Kochlöffel schwingen, anstatt ihr Gesinde zur Arbeit anzutreiben. Es gab kein Gesinde mehr.
Den größten Teil seiner brachliegenden Ländereien mussten die Hausherren abgeben und wurde an arme Landarbeiter neu verteilt. Es waren kaum mehr Produkte des täglichen Lebens verfügbar, weil es zu wenig Leute gab, die diese Produkte herstellen konnten. Die Pest hatte die Bevölkerung innerhalb weniger Jahre halbiert.
Die nächste große Herausforderung für Doras Vorfahren bahnte sich an, als sich die Gutsherren von den Rückschlägen erholt hatten, welche die Pest ihnen aufgezwungen hatte.
Inzwischen waren ca. 150 Jahre seit den großen Pest-Ausbrüchen vergangen und Heinrich VIII herrschte als König über Großbritannien. Alle waren froh über diesen König, der das Königreich zusammenhielt und hatten ausgelassen seine Thronbesteigung gefeiert. Nie im Leben hätten die katholischen Gutsherren vermutet, dass gerade dieser König an ihrer Vertreibung aus England schuld sein würde. Und doch war es so.
Da der Papst Heinrichs Ehe mit Katharina von Aragon nicht scheiden wollte, wandte sich Heinrich VIII vom Katholizismus ab und gründete seine eigene Staatskirche, die bis zum heutigen Tag besteht und dessen aktuelles Oberhaupt Elizabeth II ist.
Anfangs wurden die Katholiken noch geduldet und der Übertritt zur anglikanischen Kirche freiwillig. Doch das änderte sich mit der Zeit.
Unter Maria Tudor flammte der Katholizismus noch einmal kurz auf, bevor er von Elizabeth I gänzlich unterdrückt wurde. Wer nicht protestantisch werden wollte, musste das Land verlassen.
Doras Vorfahren teilten sich. Die Hälfte der Familie war rechtzeitig konvertiert und die andere Hälfte musste England verlassen.
Von denen, die England verlassen hatten, fanden einige in den Niederlanden eine neue Heimat. Der Rest reiste weiter nach Deutschland. In Köln wollten sie sich niederlassen und meldeten sich dort bei der katholischen Kirche, um ihnen ihre Fluchtgründe darzulegen und hofften, beim Dombau mitarbeiten zu können.
Hier unterscheiden sich die Darstellungen, die Dora über ihre Vorfahren von ihrem Vater hörte und dem, was sie während ihrer Selbsthypnose "gesehen" hatte.
Nach Darstellung von Doras Vater machte der Erzbischof von Köln eins der jungen Mädchen aus der Familie zu seiner Geliebten, zeugte Kinder mit ihr und veranlasste, dass sie in den Adelsstand erhoben wurde. Späteren Generationen sollen dagegen aus den gleichen Gründen (uneheliche Kinder) der Adelsstand aberkannt worden sein.
Dora sah bei ihren Hypnose-Sessions nichts dergleichen.
Viel mehr hatten die Immigranten Mühe, von der Bevölkerung akzeptiert zu werden. Sie sprachen kein Deutsch und waren auch schon äußerlich als Fremde zu erkennen, da die englische Mode sich von dem unterschied, was man auf dem Kontinent trug. In Köln konnte man sie nicht unterbringen, weshalb man sie nach Honnef schickte. Von dort aus zersteute sich die Familie in die umliegenden Städte und Gemeinden und änderten ihren Nachnamen in "Honnef"
Doras direkte Vorfahren verschlug es nach Linz am Rhein. Da die Familie fruchtbar war und sie viele Kinder hatten, waren sie nach einigen Generationen mit halb Dattenberg verwandt oder verschwägert. Auch Häuser in Linz ("Mittelstraße 5" und "Auf der Donau 3") befanden sich auf Grund kluger Heiratspolitik in Familienbesitz.
Die Honnefs waren "Kopfmenschen". Als Handwerker oder hart arbeitende Bauern wären sie unbrauchbar gewesen, da sie zwei linke Hände hatten.
Eines Tages im Jahr 1632 standen die Schweden vor der Tür. Es herrschte Krieg in Deutschland, der 30 Jahre lang dauerte und mehr Todesopfer forderte, als die beiden Weltkriege zusammen. In Norddeutschland hatten die Truppen des Schwedenkönigs Gustav II Adolf schon gewüstet und die Bevölkerung dort unter ihre Herrschaft gebracht.
In Linz am Rhein wurden ihnen die Stadttore freiwillig geöffnet, da die veraltete mittelalterliche Verteidigungsanlage einem Angriff nicht hätte standhalten können.
Nun waren sie also in der Stadt, verlangten von der Linzer Bevölkerung, mit Essen und Trinken versorgt zu werden, sowie für Unterkunft und Geldzahlungen für die Truppen. Die von den Schweden verhängte Mobilitätssperre verursachte den Ausfall der Weinlese und in Folge für einen spürbaren Verdienstausfall.
Von Vergewaltigungen der einheimischen Frauen durch schwedische Truppenangehörigen wird in den Geschichtsbüchern kaum etwas berichtet, aber Dora "sah" sie während ihrer Selbsthypnose. Die Truppen gingen nicht zimperlich zu Werke und oft fanden diese Verbrechen am hellichten Tag statt. Die Soldaten suchten sich hübschesten Frauen aus, die sie nacheinander missbrauchten, während einer den Rest der Familie mit seiner Waffe in Schach hielt.
Etwa ein halbes Jahr später zogen die schwedischen Truppen wieder ab und die Kinder, die aus diesen Massenvergewaltigungen hervorgingen, lernten ihre biologischen Väter niemals kennen. Das schwedische Genmaterial ist allerdings bis zum heutigen Tag in ihren Nachfahren nachweisbar.
Dora musste ihre schwedischen Anteile von beiden Elternteilen geerbt haben, denn die Familien von Vater und Mutter waren überwiegend schwarzhaarig und braunäugig; mit einigen hellblonden und blauäugigen Ausnahmen dazwischen. Wie Dora durch ein Familiestammbaum-Portal erfahren hatte, existierten in Schweden und Norwegen noch entfernte Verwandte von ihr, die bestimmte Gen-Abschnitte mit ihr teilten.
Irgendwann in 60er Jahren des letzten Jahrhunderts stieß Doras Vater beim Renovieren seines Hauses in der Mittestraße 5 auf alte Münzen.
Dora war damals noch ein Kind, konnte aber schon die Jahreszahl auf einer der Münzen entziffern. Sie stammte aus dem Jahr 1770. Sie erinnerte sich noch gut daran, wie aufgeregt sie über den Münzfund war und wie sie wochenlang auf dem Speicher herum gekrochen war in der Hoffnung, noch mehr aus dieser Zeit zu finden. Aber sie fand nur alten Plunder von ihrer verstorbenen Oma.
Was hatte es mit dem Münzfund auf sich?
Es mussten Familienangehörige gewesen sein, die diese Münzen vor 200 Jahren versteckt hatten. Aber warum? - Und vor WEM waren die Münzen in Sicherheit gebracht worden? Dora brannte darauf, dieses Rätsel zu lösen.
Anfangs konnte sie sich keinen Reim darauf machen. Aber dann sah sie eines Abends die Vergangenheit vor ihrem inneren Auge ablaufen.
Sie sah den Ausbruch der französischen Revolution und die Guillotine, unter der so viele Menschen ihr Leben lassen mussten. Als die Nachricht vom Tod des französischen Königspaares über den Rhein schwappte, erfasste die Bewohner des Rheinlands der blanke Horror. Sie befürchteten, dass es jetzt nicht mehr lange dauern würde, bis die Revolution auch nach Deutschland überschwappen würde und versteckten vorsichtshalber ihre Habseligkeiten an geheimen Orten.
Die Revolution erfasste Deutschland zwar nicht, aber dafür stand kurze Zeit später Napoleon mit seinen Truppen im Rheinland und besetzten es. Und im Laufe dieser Wirrungen wurden die versteckten Münzen einfach vergessen....
Doras Vater hatte einmal eine Geschichte zum Besten gegeben, dass sein Vater, Doras Großvater, eine Gaststätte in Dattenberg gehabt hätte. Gemeinsam mit seinem Freund hätte er sie betrieben, bis der Freund eines Tages verkündete, nach Amerika auswandern zu wollen und dafür Geld zu benötigen. Doras Großvater hätte angeblich eine Bürgschaft für jenen Freund übernommen, der mit dem Geld nach Amerika abgehauen sei und sich niemals mehr gemeldet hätte. Doras Großvater hätte daraufhin seine Gaststätte verloren und bei den Verwandten in der Mittelstraße 5 um Unterkunft für sich und seine drei Kinder bitten müssen.
Dora fand, dass die Geschichte nicht stimmen konnte.
Bei Geld hörte die Freundschaft auf. Das wussten auch die Honnefs. Kein Geschäftsmann, der noch einigermaßen klar im Kopf war, hätte für einen Freund gebürgt, von dem er wissen musste, dass es seine eigene Existenz vernichten würde.
Dora hatte noch einige Erinnerungen an ihren Großvater, den Dora immer bei seinen Spaziergängen am Rhein begleitet hatte und der bis zuletzt klar im Kopf gewesen war.
Unterlagen über den Vorfall hatte Dora nie gesehen und überhaupt gab sich ihr Vater zugeknöpft, sobald Dora etwas Schwarz auf Weiß sehen wollte. Dann beschwerte er sich über mangelndes Vertrauen ihm gegenüber.
Ihren Großvater konnte Dora nicht mehr befragen, denn der lag inzwischen auf dem Friedhof.
Doras Vater heiratete eine Frau aus der Eifel, was die 39,7% westeuropäische Abstammung in Doras Genmaterial erklärte, denn die Bewohner der Eifel waren schon seit vielen Jahrhunderten dort ansässig und weitläufig untereinander verwandt. Doras Mutter zog also in die Mittelstraße 5 und da sie unter Bewgungsstörungen litt und schon in recht jungen Jahren kaum noch laufen konnte, sah man sie auch fast nie in der Stadt. Fünf Kinder hatte sie und teilweise hatten die Kinder auch ihre Bewegungsstörungen geerbt. Dora war ebenfalls von der ererbten Behinderung betroffen und da ihr Vater seine Kinder mit roher Gewalt und Prügel erzog, entwickelte Dora obendrein noch eine Sprachhemmung, die lebenslang bestehen blieb.
Schon mit fünf Jahren wurde Dora in die Stadt zum Einkaufen geschickt; anfangs nur nebenan zum Metzger Scheer, wo Dora immer eine Scheibe Wurst bekam, oder zur Bäckerei Schulz, die sich in der Mittelstraße, an der Ecke "Auf der Donau" befand. Im Kaiser´s Kaffee Geschäft kaufte sie Nudeln Haferflocken, Mehl, und was ihre Mutter sonst noch zum Kochen benötigte, bei "Grünewald" auf dem Marktplatz gab es Tchibo Kaffee, der dort auch gleich gemahlen wurde und Holländer Käse. Einmal passierte es, dass Dora den falschen Holländer Käse mit nach Hause brachte, nämlich Edamer anstatt Gouda und wurde von ihrer Mutter deswegen ausgeschimpft. Dora hatte die ganze Angelegenheit nicht begriffen. Die Mutter hatte gesagt, Dora sollte Holländer Käse kaufen. Dora hatte Holländer Käse mitgebracht. - Punkt. -
Das Gleiche in Grün wiederholte sich beim Obst- und Gemüsehändler Aufdermauer, wo Dora Äpfel kaufen sollte, oder Trauben. Da Aufdermauers immer mehrere Sorten Äpfel und Trauben im Angebot hatten, entschied sich Dora öfter mal für die falsche Sorte und wurde zuhause deswegen angemeckert.
Doras Vater, der im Bad Hönninger Bahnhof als Fahrdienstleiter arbeitete, lud regelmäßig seine Kollegen mitsamt deren Partnerinnen zu sich nach Hause ein. Bei diesen geselligen Zusammenkünften wurde gut gegessen und getrunken. Die Kinder zählten am anderen Tag die an der Wand aufgereihten leeren Weinflaschen und kamen oftmals auf ein Dutzend, oder mehr. Andererseits beschwerte sich Doras Vaters mehrmals in den Schulen seiner Kinder, wenn er neue Schulbücher kaufen musste, deren Anschaffung seiner Meinung nach unnötig war, da die jüngeren Kinder die Schulbücher der älteren benutzen sollten.
Als Haushaltsgeld erhielt Doras Mutter die Mieteinnahmen aus dem Ladengeschäft (Küpper´s Kamellenlädchen) und es passierte in schöner Regelmäßigkeit, dass Frau Küpper nicht die gesamte Miete zahlen konnte, weil ihre Einnahmen aus dem Laden nicht gereicht hatten. Dann wurden wir Kinder hinunter geschickt, um Plätzchen und Süßkram zu holen, umsonst natürlich, bis zur Höhe der geschuldeten Miete.
Sein Hinterhaus "Auf der Donau 3" ließ Doras Vater ganz verkommen, kassierte bei seinen Mietern nur ab und reparierte nichts, während im Vorderhaus in der Mittelstraße aufwendig renoviert wurde. Allerdings nur von Innen, denn die Stadt Linz beschwerte sich mehrere Male, dass ein neuer Fassadenanstrich des Hauses dringend nötig sei. Gestrichen wurde allerdings nichts. Statt dessen erhielt die Stadt Linz zur Antwort, er hätte fünf Kinder zu versorgen und kein Geld für den Anstrich. Das mochte sogar stimmen, denn in seiner Freizeit übernahm er auch noch die Buchhaltung für "Rechmann´s Pitter" , dem Sanitärfachhändler. Oftmals wurde darüber orakelt, ob die Platzierung einer Frau im Bikini in einer Badewanne im Schaufenster des Sanitärladens eine geeignete Werbemaßnahme sei, oder nicht.
Dora fühlte sich zuhause nicht wohl, sonderte sich immer öfter ab und setzte sich in den Rheinanlagen auf eine Bank. Sie liebte den Rhein und nichts tat sie lieber, als den Schiffen nachzuschauen, die den Strom hinauf- und hinunter fuhren. Sie beneidete die Schiffer ein wenig, weil sie so viel mehr erlebten als Dora.
Mit Eintritt der Pubertät verschlimmerte sich die Situation zuhause, denn Dora ließ sich das übergriffige Verhalten ihres Vaters nicht mehr gefallen. Zum Höhepunkt und vorzeitigen Auszug aus der elterlichen Wohnung kam es, als Doras Arbeitgeber ihr bescheinigte, dass Dora auf Grund ihrer körperlichen und sprachlichen Beeinträchtigungen nicht für den Job geeignet wäre. Der Vater nahm das Versagen seiner Tochter als persönliche Beleidigung, denn er war es, der ihr den Job besorgt hatte.
Christine Singh ist Jahrgang 1953 und begann das Schreiben, um ihre Traumata aus Kindheit und Gewalt in der Ehe aufzuarbeiten. Ihre Lebensgeschichte in 18 Teilen hat sie hier veröffentlicht:
https://www.wattpad.com/myworks/115726818-suche-nach-liebe
In dieser Geschichte nannte sie sich "Anne" .
Auch ihre anderen Werke handeln hauptsächlich von sozialen Themen.
Neben kostenpflichtigen E-Büchern gibt es unter dem Autorennamen "christinesingh" auf "Bookrix.de" auch mehr als genug kostenlosen Lesestoff. Es sind humorvolle Beiträge dabei, Gedichte, Satire und auch einige erotische Geschichten.
Das Motto von Christine Singh lautet:
"Ein modernes Buch muss so kurz sein, dass es in eine Twitter-Nachricht passt."
Tag der Veröffentlichung: 04.07.2018
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Dieses Buch ist für meinen jüngeren Bruder, der im Alter von nur 43 Jahren viel zu früh gestorben ist; sowie für meine Kinder und Enkelkinder.