Als mein Vater am Anfang der Sommersaison 1965 sagte, dieses Jahr müsse ich endlich Schwimmen lernen, rutschte mein Herz in die Hose.
Ich HASSTE das Schwimmbad! - Nicht nur, weil es während der Sommermonate immer derart überfüllt war, dass man bestenfalls ein bisschen im Wasser plantschen konnte, sondern ich fühlte mich auch am Beckenrand und im Becken extrem unsicher wegen meiner Bewegungsstörungen und meiner schwachen Muskulatur, die sich beim kleinsten Anlass verkrampfte.
Während meine Schwester schon mit vier Jahren schwimmen konnte wie ein Fisch, war ich noch in meinem 13. Lebensjahr extrem wasserscheu. Doch das sollte sich dieses Jahr ändern, hatte mein Vater gesagt und nahm mich fortan jeden Tag mit ins Freibad. Zu allem Überfluss lachte auch noch durchgehend die Sonne vom Himmel, wo ich mir sehnlichst Regen und kühles Wetter gewünscht hatte.
Es half nichts; jeden Tag standen Übungen am Beckenrand und im Nichtschwimmerbecken auf dem Programm, die sich mein Vater ausgedacht hatte, um mich ans Wasser zu gewöhnen. Sogar einen Schwimmring hatte er mir gekauft.
Mit dem Schwimmring fühlte ich mich einigermaßen sicher. Das Heraussteigen aus dem Wasser über die steile Leitertreppe dauerte ewig, weil sich meine Füße auf den Leitersprossen verkrampften und mein Körper auf der Leiter hing wie ein nasser Sack.
Ins flache Nichtschwimmerbecken springen wollte ich partout nicht wegen meiner krampfenden Füße. Ich hatte Angst, mir beim Aufkommen auf dem Boden die Zehen zu brechen. Eine Zeitlang sah mein Vater zu, wie ich mich weigerte, ins Wasser zu springen, dann packte er mich einfach und warf mich ins Wasser. Da ich keinen Schwimmring trug, ging ich sofort unter und schluckte dabei jede Menge Wasser. Mein Vater sprang hinterher, zog mich aus dem Wasser und sagte, die Schwimmstunde wäre für heute beendet. Während ich mich tief geschockt von diesem traumatischen Erlebnis umzog, redete er noch mit dem Bademeister.
Ein paar Tage hatte ich Ruhe.
Doch eine Woche später eröffnete mir mein Vater, dass ich Abends, nachdem das Freibad für´s Publikum geschlossen war, Schwimmunterricht beim Bademeister hätte. Meine Schwester lachte sich kaputt. - "Wie ein Fisch an der Angel wirst du aussehen!" Ich überhörte die Bemerkung meiner Schwester und fand mich Abends zur Schwimmstunde beim Bademeister ein. Das Schwimmbecken war fast leer; nur im Schwimmerbecken trainierten einige Jugendliche. Nachdem ich mich umgezogen hatte, legte mir der Bademeister einen Bauchgürtel an, an dem eine lange Stange besfestigt war. Nun sollte ich ins Wasser gehen, während Herr Ott mich "an der Angel" hatte. Er erklärte mir anschaulich, wie die Schwimmbewegungen abliefen. Das System lautete "Eins - und - Zwei" . Bei "Eins" mussten die Arme in einem weiten Kreis geöffnet werden. Bei "Und" zog man die Beine an. Bei "Zwei" brachte man Arme und Beine wieder in die liegende Ausgangsposition. Eigentlich ganz einfach. An der sicheren Angel hängend hatte ich den Dreh auch ganz schnell raus. Meine erste Schwimmstunde war hiermit beendet.
Die zweite Schwimmstunde wieder eine Woche später sollte ich die Schwimmübungen wiederholen, wie ich es gelernt hatte. Währenddessen ließ der Bademeister unmerklich die Angel lockerer, bis ich ohne Schwimmhilfe im Wasser lag und Panik bekam. Sofort wurde die Angel wieder angezogen. Herr Ott sprach beruhigend auf mich ein, dass nichts passieren würde. Ich solle ruhig weiterschwimmen, wenn er die Angel losließ. Ich versuchte es nochmal bei locker gelassener Angel und diesmal merkte ich selber, dass nichts passieren würde, wenn ich Ruhe bewahrte und einfach weiterschwamm. Die zweite Schwimmstunde war nun beendet.
Zur dritten Schwimmstunde sollte ich ohne Angel ins Wasser. Ich hatte keine Angst mehr vor dem Wasser, denn ich war mir sicher, dass ich schwimmen konnte. Als Herr Ott mir befahl, fünf Meter von der Leitertreppe entfernt, mich auf´s Wasser zu legen und bis zur Treppe zu schwimmen, schaffte ich das auf Anhieb. Der Bademeister traute seinen Augen nicht.
"Mach´s nochmal!" , befahl er. - Ich tat, wie geheißen.
"Du bist eine meiner Schülerinnen, die am schnellsten bei mir Schwimmen gelernt haben!" , lobte er. Ich erzählte ihm nicht, dass es die Angst vorm Ertrinken war, die mich zu dieser Höchstleistung getrieben hatte.
"Ich kann schwimmen!" , tönte ich ganz stolz, als ich nach der dritten Schwimmstunde zu Hause angekommen war. Meine Familie glaubte mir kein Wort. Aber es dauerte nicht lange, bis mein Vater Rücksprache mit dem Bademeister hielt und dieser bestätigte, dass ich tatsächlich schwimmen konnte. Allenfalls wäre zu bemängeln, dass ich während des Schwimmens etwas zu tief im Wasser läge, was aber meiner Muskelschwäche geschuldet sein könnte.
Bis meine Familie mich allerdings das erste Mal Schwimmen sah, dauerte es noch ein paar Tage, die ich dazu nutzen wollte, sie zu überraschen. Ich übte Springen vom Ein-Meter-Brett ins Schwimmerbecken. Vom Ein-Meter-Brett bis zur Leitertreppe musste ich nur 5 Meter schwimmen. Der Bademeister hatte gesagt, ich würde nach dem Sprung ins Wasser zwar kurz untergehen, aber von selbst wieder hochkommen und dann losschwimmen können. Er würde auf mich achten und es würde nichts passieren. Ich vertraute dem alten Schwimmmeister und es war wirklich so, wie er gesagt hatte. Nach dem Sprung ins Wasser tauchte ich kurz unter, kam wieder hoch und schwamm ruhig auf die Leitertreppe zu.
Geschafft! - Wie unendlich stolz ich doch war! - Kein Vergleich mehr zu dem ängstlichen Wesen vom Anfang des Sommers, das sich partout nicht ins Wasser getraut hatte.
Auch meine Familie lobte anerkennend meine neuen Wasserkünste, nachdem sie mich gesehen hatten. Nur meine Schwester mäkelte, dass ich im Wasser läge wie eine ertrinkende Ente. Mir war´s egal, denn ich konnte mich endlich schwimmend im Wasser fortbewegen.
Tag der Veröffentlichung: 05.08.2015
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