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Rollator-Parcours mit Tücken.


Wackelig auf den Beinen war ich schon immer. Aber das liegt bei uns in der Familie. Was genau mit mir los ist, weiß ich bis heute nicht genau. Die Ärzte rätseln schon seit Jahrzehnten. Oft wurden Diagnosen gestellt und einige Zeit später wieder verworfen. Die Symptome, die ich habe, konnte man nicht 100%ig genau einer bestimmten Krankheit zuordnen. Es müsse sich um eine erbliche Form der Polyneuropathie handeln, meinen die Ärzte, von denen es unzählige verschiedene Formen gibt; einige davon extrem selten.

Laufen gelernt habe ich erst mit vier Jahren, aber dann konnte ich es endlich ohne irgendwelche Hilfsmittel. Allerdings war mein Gang immer auffallend plump und unsicher. Oft schauten mir die Leute auf der Straße hinterher und ich hörte etwa den Satz: “ Guck´ mal die da! Schon am hellichten Tag besoffen.” Dabei trank ich nicht mal.

Bis zum 50. Lebensjahr schleppten mich meine kraftlosen Beine ohne Geh-Hilfe durch´s Leben, obwohl ich längst selbst bemerkt hatte, dass es so nicht mehr weiter ging.

Dann kam der Tag, als ich einkaufen ging, obwohl ich mich körperlich kaum dazu in der Lage fühlte und mich unterwegs fremde Menschen ansprachen: “Wenn man schon nicht laufen kann, sollte man doch besser zu Hause bleiben!” , rieten sie mir.

Das saß!

Am selben Abend bestellte ich mir einen Rollator, den ich mir schon öfter im Katalog angesehen hatte.

Wenn man heute einen Rollator kauft, hat man die Wahl zwischen unzähligen, verschiedenen Modellen, die sich so leicht handhaben lassen wie ein Kinderwagen. Damals, um die Jahrtausend-Wende, gab es nur ein Standard-Modell aus Stahlrohr, 13 Kilo schwer; ein starres, sperriges Ding ohne Radfederung. In der Anleitung zum Zusammenbauen stand nichts davon, dass man mit der Geh-Hilfe erst mal üben sollte, bevor man sich damit auf die Straße wagte. Nun ja; ich merkte es erst, als es zu spät war.

Die paar Stufen runter von meiner Wohnung zur Haustür ging´s ja noch. In der einen Hand den zusammen geklappten Rollator, die andere Hand am Treppengeländer; so ging´s trepp-ab. An der Haustür waren zwei Stufen zu bewältigen, ohne Festhalte-Möglichkeit für mich. Also den Rollator aufgeklappt und die Vorderräder die Stufen runter geschoben. Da die Hinterräder aber keine Federung hatten und nicht nachgaben, hatte ich ein Problem. Unsicher stand ich am Stufenabsatz und kam mit dem Rollator weder vor noch zurück. In dieser Position verharrte ich nun, bis mich ein hilfreicher Nachbar von dem Übel erlöste. Eine Rampe musste her...

Zwei Wochen später unternahm ich meinen ersten Rollator-Trip durch die Stadt. Ich wollte Behördengänge unternehmen, einkaufen und eventuell einen Kaffee trinken gehen. Um in die Stadt zu gelangen, musste ich aber erstmal eine abschüssige Straße runter, dann den Bahnübergang überqueren und über´s holprige Kopfsteinpflaster Richtung Stadt.

Nur gut, dass man nicht immer vorher weiß, was einen erwartet!

Auf der abschüssigen Straße machte der Rollator mit mir, was er wollte, beschleunigte seine Fahrt und zog mich einfach mit. Während ich mich krampfhaft an dem schweren Ding festhielt, mussten sich meine Beine automatisch der Geschwindigkeit anpassen, um ja nicht auf´s Gesicht zu fliegen.

Beim Überqueren der Bahngleise machte der Bock plötzlich einen Satz rückwärts, wodurch ich abermals fast das Gleichgewicht verloren hätte und die Stöße des holprigen Kopfsteinpflasters wurden durch die ungefederten Räder 1:1 auf meinen Körper übertragen. Außerdem hatte ich permanent Schwierigkeiten, den Rollator auf einer Spur zu halten, weil dieser immer wieder nach links oder rechts ausbrechen wollte.. Als ich endlich in der Stadt angekommen war, hatte ich schon die Nase gestrichen voll, bevor ich auch nur eine einzige Besorgung gemacht hatte.

Besondere Freude hatten jedoch die Autofahrer an mir, die an der Ampel auf Grün warteten. Bis ich nämlich die Rollator-Räder aus der Regenrinne gezogen, die Straße überquert und auf der anderen Seite die Geh-Hilfe, plus Einkäufe, auf den Bürgersteig gehoben hatte, dauerte es eine gefühlte Ewigkeit. In der Anfangszeit kippte mir der Rollator beim Überqueren von Unebenheiten einfach weg und Kartoffeln, Möhren und Äpfel, etc. kullerten auf die Straße.

Spontanen Ausflügen wurde mit dem Erwerb des Rollators ein Riegel vorgeschoben. Jetzt musste ich entweder meine Trips vorab bis ins kleinste Detail durchplanen, oder einen Begleiter mitnehmen.

Geschäfte, Ärzte, Apotheker, Anwalt...., alle wurden darauf abgecheckt, ob sie barrierefrei zugänglich waren.

Ich musste die Wetter- und Straßenverhältnisse beachten, bevor ich rausging. Mit beiden Händen auf dem Rollator konnte ich keinen Regenschirm mitführen und im Winter, bei Schnee und Eis war das Ding gänzlich unbrauchbar.
Außerdem waren meine Einkäufe oft um ein Vielfaches schwerer als die erlaubten 5 Kilo für den Rollatorkorb, was der Rollator aber problemlos mitmachte. Die zusätzlichen Einkaufstaschen lud ich einfach auf der Sitzfläche ab, oder hängte sie über die Griffe.

Die Eingewöhnungszeit für die Rollatoren der ersten Generation dauerte etliche Wochen. Erst seit den 90er Jahren gibt es sie auf dem Markt.

Die neuen Rollatoren der 3. und 4. Generation sind nur halb so schwer und lassen sich erheblich leichter händeln. Meine neue Geh-Hilfe, die ich mir vor Kurzem gekauft habe, hat sogar eine Radfederung und größere Räder, mit denen sich Unebenheiten im Gelände leichter ausgleichen lassen. Auch Zubehör, wie Regenschirme und Stockhalter, die man am Rollator anbringen kann, gibt es inzwischen zu kaufen.

Allerdings bleiben auch bei den Neuen noch etliche Wünsche offen; zum Beispiel das fehlende Winter-Profil auf den Rädern, oder fehlende Reflektoren für bessere Sichtbarkeit unterwegs. Diese beiden Vorteile haben in der Regel nur Geh-Wagen aus Skandinavien, die sich hier allerdings kaum durchsetzen können, weil sie zu teuer sind.

Inzwischen gibt es allein in Deutschland zwei Millionen Rollator-Benutzer; Menschen, die ohne dieses Hilfsmittel wohl kaum mehr vor die Tür kämen. Angesichts dieser Tatsache frage ich mich oft, wie die alten, gebrechlichen Leute wohl früher zurecht gekommen sind?

Impressum

Texte: Christine Singh
Tag der Veröffentlichung: 02.02.2013

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