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Weihnachtszauber

Danke an Santa Claus Holiday Village, zur Erlaubnis das RESORT im Buch zu benutzen, sowie auch für die vielen Fotos

 

 

 

Brr, war das kalt! Maddy ärgerte sich nun doch, nicht mit dem Auto zum Einkaufen gefahren zu sein. Doch sie liebte es, in der Vorweihnachtszeit durch die hell erleuchtete, geschmückte Stadt zu laufen. Ihre Schwäche galt dem kleinen Städtchen, in dem sie lebte – die Altstadt mit ihren herrlichen Fachwerkhäusern, der Marktplatz mit dem riesigen Weihnachtsbaum und der Atmosphäre, in der jeder jeden kannte. Hier wurde sie vor sechsundzwanzig Jahren geboren, hier lebte und arbeitete sie. Im Gegensatz dazu hielt Jens nichts vom Verweilen im Taunus. Er liebte die Großstadt, strebte eine Karriere an und arbeitete in einer Bank im nahegelegenen Frankfurt.
„Du kommst hier doch keinen Schritt weiter!“, hatte ihr Verlobter damals kopfschüttelnd vorgeworfen, als Maddy seine Bitte, nach Frankfurt zu ziehen, rigoros ablehnte.
Er konnte nicht verstehen, warum jemand wie Maddy nicht die Möglichkeiten einer Großstadt nutzen wollte. Doch Maddy schaute ihn nur traurig an. Verstand er sie denn nicht? Liebte er sie nicht genug, um zu begreifen, wie verloren sie sich in einer solchen riesigen Stadt fühlen würde, wie sehr sie die Hektik der Main Metropole abstoßend fand? Irgendwann hörte Jens auf, sie zu drängen.
„Wenn wir erst einmal verheiratet sind, wird sie wohl zu mir ziehen müssen!“, dachte er selbstsicher und verbrachte jedes Wochenende bei Maddy. Das aktuelle Wochenende stand vor der Tür, und als Maddy beim Nachhausekommen einen leeren Kühlschrank vorfand, entschied sie sich, ihn schnell aufzufüllen. Leise fielen nun die ersten Schneeflocken auf ihre schwarze Mütze, unter der ihr braunes lockiges Haar vorlaut hervorschaute. Trotz des Fröstelns freute sich Maddy wie ein kleines Kind über den ersten Schnee. Kurz blieb sie stehen, um ihre Handschuhe aus den Manteltaschen zu holen. Nun ließen sich die Einkaufstüten besser tragen. Sie wollte Jens mit knusprigen Gänsekeulen überraschen, und voller Vorfreude auf seinen Besuch streckte sie verspielt ihre Zunge heraus, um eine Schneeflocke aufzufangen. Ein kurzes Lachen entwich ihr, als sie das kalte Nass auf ihrer Zunge spürte – in Gedanken hörte sie wieder die Stimme von Jens, der jetzt sicher gesagt hätte: „So benimmt sich keine erwachsene Frau.“
Ihre grünen Augen suchten nun den Schlüssel in ihrer Handtasche. Nachdem sie ihn gefunden hatte, schloss sie halb erfroren die Tür des dreistöckigen Hauses auf, in dem sie eine gemütliche Zweizimmerwohnung ihr eigen nannte. Rasch stellte sie die Tüten ab und zog ihre Handschuhe aus. Aus dem Spiegel ihrer Flurgarderobe schaute ihr ein hübsches, junges Gesicht mit von der Kälte geröteten Wangen entgegen.
Maddy streckte sich selbst die Zunge heraus und dachte: „Furchtbar, ich sehe aus wie Mrs. Santa Claus persönlich.“ Sie hängte ihre Mütze an den Haken, überlegte es sich dann aber anders und legte sie samt den nassen Handschuhen auf die Heizung. Dann ging sie in die Küche, packte die Tüten aus, würzte die Gänsekeulen und schob sie in den Backofen.
„So“, dachte sie, „nun aber ab unter die Dusche.“ Ein Blick auf ihre Armbanduhr verriet ihr, dass Jens in zwei Stunden da sein würde. Maddy freute sich darauf, sich für ihn besonders schön zu machen. In großer Vorfreude betrat sie das Bad und übersah dabei das blinkende rote Licht des Anrufbeantworters.
Eine halbe Stunde später pinselte Maddy gerade die duftenden Gänsekeulen mit Honig und Sojasoße ein, als im Wohnzimmer das Telefon klingelte. Jetzt, da ihr Handy kaputt war und sie auf das Neue wartete, war sie froh, das Haustelefon nicht abgeschafft zu haben. Nun sah sie auch das Licht am Anrufbeantworter.
"Huch", dachte sie, als sie den Hörer abnahm, "das habe ich übersehen.
" Winter,“ meldete sie sich und leckte sich schnell den leicht klebrigen Finger ab. Am anderen Ende der Leitung erkannte sie die Stimme von Jens.
"Hast du nicht den Anrufbeantworter abgehört?“
Irgendwie kam Maddy seine Stimme leicht genervt vor, und sie fragte sich, warum er eigentlich noch nicht unterwegs ist.
“Nein, Schatz. Das habe ich ganz übersehen. Bist du denn noch nicht unterwegs? Das Essen ist jeden Moment fertig.“
In der Leitung war es kurz still, dann hörte sie ein Räuspern, bevor Jens antwortete.
“Das tut mir jetzt aber leid, Liebling. Darum hatte ich dir auf den Anrufbeantworter gesprochen, damit du dir nicht noch großen Stress machst, obwohl ich nicht kommen kann.“
"Du kannst nicht kommen?“ fragte Maddy traurig.
Enttäuschung lag in ihrer Stimme, hatte sie sich doch die ganze Woche auf sein Kommen gefreut. Gerade jetzt in der kuscheligen Vorweihnachtszeit war es viel schöner, diese mit einem geliebten Menschen zu verbringen.
Abermals räusperte Jens sich.
"Tut mir leid, Maddy. Mein Chef hat Kranauer und mich über das Wochenende in seine Hütte in der Schweiz eingeladen. Er möchte dort etwas Wichtiges mit uns besprechen. Ich glaube, es geht um eine Beförderung. Verstehe bitte, dass ich das nicht absagen konnte.“
Nun musste Maddy ihre Tränen zurückhalten. Klar, seine Arbeit war wichtiger als sie. Ist ja auch egal, dass heute der 3. Jahrestag ihres Kennenlernens ist. Sie musste immer alles verstehen, was er tat. Aber er? Verstand er auch sie?
„Maddy?,“ fragte er nun, als keine Antwort kam,“ alles ok? Es tut mir echt leid, wir holen das nach, Liebling.“
„Ja, weißt du denn gar nicht, was heute für ein Tag ist, Jens? Ich wollte es uns ganz besonders schön machen, im Ofen brutzeln zwei Gänsekeulen vor sich hin, der Wein steht kalt, und ich habe mir für diesen besonderen Tag sogar ein neues Kleid gekauft!“
Vor ihr stand ein Foto, auf dem sie und Jens tobend im Schnee zu sehen waren. Es war zur Zeit ihres Kennenlernens aufgenommen, und Maddy verliebte sich sofort in den großen, dunkelhaarigen Mann mit den strahlend blauen Augen, der so viel Selbstbewusstsein ausstrahlte. Jens dachte kurz nach, dann fiel bei ihm der Groschen. Der dritte Jahrestag! Doch schon nur diese kurze Pause zeigte Maddy, dass er es vergessen hatte.
"Du hast es vergessen!“
Jetzt verließ leise eine Träne ihre Augenwinkel.
Jens versuchte sie zu beruhigen, und wieder kam es Maddy so vor, als wäre er furchtbar genervt.
„Liebling, das ist doch kein Weltuntergang! Du weißt doch, dass Männer das nicht so haben mit Jahrestagen und dass Frauen so etwas viel ernster nehmen. Also beruhige dich doch bitte und benehme dich jetzt nicht wie ein kleines Kind!“ Er bemerkte gar nicht, wie er Maddy mit jedem Wort noch ein bisschen mehr weh tat.
Und weil es so weh tat, beendete Maddy das Gespräch auch ziemlich schnell. An der Tatsache, dass Jens nicht kommen konnte, würde sowieso nichts zu rütteln sein. Maddy wusste ja, dass seine Karriere an erster Stelle stand. Für Maddy selbst jedoch stand immer zuerst der geliebte Mensch im Vorrang. Manchmal fragte sie sich, ob sie nicht in ihrer Beziehung viel mehr gab, als dass sie zurückbekam. Aber dann verwarf sie solche Gedanken wieder ganz schnell. Jens arbeitete viel und hart, da sollte sie ihn unterstützen und nicht solche dummen Gedanken haben. Traurig machte es sie trotzdem, und diese Traurigkeit konnte sie auch jetzt nicht in ihrer Stimme verstecken, als sie sich von Jens verabschiedete. Jens wiederholte noch einmal, wie leid ihm alles tat, bevor auch er auflegte.
„Hat sie es geschluckt?“, fragte hinter ihm eine verführerische Stimme. Jens fühlte sich nicht ganz wohl, als er antwortete.
“Ich glaube schon. Aber sie war sehr traurig. Ich muss ihr endlich mal die Wahrheit sagen.“ Angela trat zu ihm hin und küsste zärtlich seinen Hals.
„Ja Baby, das solltest du. Ich habe dieses Versteckspiel auch langsam satt.“

Sekundenlang stand Maddy vor dem Telefon und schnippte gedankenverloren einen Krümel von dem Deckchen, das auf dem Telefontisch lag. Manchmal hatte sie die Angewohnheit und knabberte Kekse, wenn sie mit ihrer besten Freundin Tanja telefonierte. An Weihnachtsplätzchen kam sie nicht vorbei. Sie liebte sie, und sie gehörten dazu, zur Vorweihnachtszeit. Der Appetit auf was auch immer war ihr jetzt allerdings gründlich vergangen! Sie seufzte nun, als das Telefon abermals klingelte. Schnell nahm sie ab. Vielleicht hatte Jens es sich anders überlegt.
„Kommst du doch?“, fragte sie nun hoffnungsvoll in die Muschel. Ein Lachen erklang am anderen Ende der Leitung. Tanja!
„Wollte ich kommen?“, fragte diese nun amüsiert, „es war zwar nichts ausgemacht Süße, aber wenn du einsam bist, schaue ich gerne vorbei.“ „Aber Halt,“ unterbrach sie sich nun aber selber, „es ist doch Freitag. Kommt Jens denn gar nicht?“
Maddy verneinte, nahm sich einen Keks aus der Schale neben dem Telefon und erzählte ihrer Freundin von Jens seinem Anruf. Tanja zog scharf die Luft ein.
"Wie bitte? Er hat dich an eurem Jahrestag sitzen lassen? Der Typ ist so was von egoistisch!“, empörte sich Tanja. Sie mochte Jens nicht besonders, und automatisch versuchte Maddy, ihn einmal mehr in Schutz zu nehmen.
„Du weißt doch, wie wichtig ihm seine Karriere ist, und er arbeitet ja auch hart dafür“, versuchte Maddy zu erklären. Unbemerkt von ihr wiederholte sie genau das, was Jens ihr vorgeworfen hatte. Tanja hingegen war weniger voreingenommen.
„Sind das seine oder deine Worte? Klingt mir ziemlich nach Jens. Du hast echt was Besseres verdient!“
Maddy stimmte Tanja innerlich zu, doch sie wollte es nicht wahrhaben. Aber wenn sie ehrlich zu sich selbst war, hatte sich in letzter Zeit ein Gefühl der Leere zu der warmen Liebe gesellt. Irgendwie schien Jens, selbst wenn er physisch anwesend war, gedanklich abwesend zu sein. Wenn sie von ihrem Alltag und der Arbeit erzählte, nickte er nur gedankenverloren, während der Laptop mit Zahlen vor ihm lag. Als sie das Tanja einmal erzählte, reagierte diese entgeistert.
„Also wenn das meiner wäre, dem hätte ich längst den Laufpass gegeben. Warum kommt er überhaupt, wenn er dich anscheinend nicht wahrnimmt?“
Maddy zuckte nur mit den Schultern. Sie hatte sich nicht getraut zu sagen, dass es daran lag, dass Jens sie liebte, da sie wusste, dass Tanja vermutlich mit einem „Ach, du naives Ding!“ reagiert hätte. Und genau das warf Tanja ihr jetzt vor. Wie naiv sie sei und ob sie sich keine Gedanken gemacht habe, dass bei Jens etwas nebenbei lief. Maddy erschrak. Wie konnte Tanja so etwas denken?
„Jens würde mich niemals belügen, Tanja. Warum sollte er auch?“, verteidigte sie ihn.
Tanja seufzte am anderen Ende der Leitung: „Dir ist echt nicht zu helfen, Maddy. Aber weißt du was? Was hältst du davon, wenn ich rüberkomme, wir Gänsekeulen futtern und dabei einen schönen schnulzigen Weihnachtsfilm schauen?“
Maddy lehnte dankend ab. Sie wollte alleine mit ihren Gedanken sein und keine weiteren Standpauken von Tanja hören.
"Lieb von dir“, sagte sie, „aber ich möchte lieber alleine sein. Die Woche war anstrengend, und ich bin sehr müde.“ Tanja musste das akzeptieren und legte leicht verschnupft auf.
„Jetzt ist sie bestimmt beleidigt“, dachte Maddy, aber das war ihr egal. Sie spürte wieder diese unheimliche Leere in sich und wollte sich einfach auf die Couch kuscheln und sich selbst bemitleiden.
„Und ihr kommt mit“, sagte sie leise und griff nach der Schale mit den Weihnachtsplätzchen. Ironischerweise lief im Fernsehen „Ist das Leben nicht schön?“, aber auch wenn es Maddys Lieblingsweihnachtsfilm war, schlief sie schon längst mit einer Träne im Auge ein, als Clarence im Film seine wohlverdienten Flügel bekam.

Irgendwie verging das Wochenende dann doch, und Maddy freute sich am Montag fast schon auf ihre Arbeit als Kinderpsychologin. Hauptsache weg von den düsteren Gedanken wegen Jens. Maddy liebte ihre Arbeit mit den Kindern und wünschte sich selbst auch viele. Aber Jens dachte anders. Erst Karriere, dann Kinder. Das hatte er ihr gleich klargemacht. Doch Maddy war damals so verliebt gewesen, dass sie sich nichts dabei dachte. Im Laufe der Zeit brachte das Verhalten von Jens und Tanjas Hinweise sie zum Nachdenken.
Tanja hatte recht. So konnte es nicht weitergehen in ihrer Beziehung. Sie nahm sich vor, am Mittwoch, wenn die Praxis am Nachmittag geschlossen war, überraschend nach Frankfurt zu fahren und Jens um ein Gespräch zu bitten. Irgendwie schreckte sie davor zurück, ihm vorher Bescheid zu sagen, um ihm nicht die Möglichkeit zu geben, den Besuch abzulehnen. Am Abend, beim täglichen Gute-Nacht-Sagen, verhielt sich Jens normal und liebevoll. Maddy ließ nichts davon merken, dass etwas nicht stimmte. Das wollte sie ihm persönlich mitteilen. Die kleine Marion, die ein Trauma wegen eines Autounfalls hatte, war dann am Mittwoch ihre letzte Patientin. Maddy drückte der Kleinen schnell noch eine Zuckerstange in die Hand, die sie zur Weihnachtszeit immer für ihre kleinen Patienten bereithielt. Dann griff sie nach Mantel und Handtasche und verließ die Praxis. Bis nach Frankfurt würde sie etwa zwanzig Minuten brauchen und Jens sicher noch in seiner Mittagspause antreffen. Die Straßen waren frei, und kurz darauf fuhr Maddy in das weihnachtlich geschmückte Frankfurt ein. Das musste sie der Großstadt lassen; was das weihnachtliche Glitzern betraf, kam ihr geliebtes Städtchen im Taunus nicht mit. Hier leben wollte sie aber trotzdem nicht. Sie war schon einmal in der Bank gewesen, in der Jens arbeitete, und fand den Weg ohne Probleme wieder. Auch mit einem Parkplatz hatte sie Glück, was in Frankfurt keine Selbstverständlichkeit war. Maddy nahm den Autoschlüssel aus dem Schloss, schaute schnell noch einmal in den Spiegel, bevor sie ausstieg. Jetzt spürte sie eine leichte Nervosität. Was, wenn sie Jens störte? "Ach was“, beruhigte sie sich selbst, „er hat ja Mittagspause.“ In der Bank angekommen, atmete sie tief durch und ging zu einer Dame am Schalter, die Papiere durchschaute. Sie versuchte so selbstbewusst wie möglich zu wirken, als sie die Frau ansprach:
„Schönen guten Tag, könnten Sie bitte Herrn Gäbler ausrichten, dass seine Verlobte ihn sprechen möchte?“
Die Dame Mitte sechzig nahm überrascht ihre Brille ab, schaute Maddy von oben bis unten an, und Mitleid schwang in ihrer Stimme mit, als sie antwortete:
„Seine Verlobte? Aber Herr Gäbler ist doch gerade mit seiner Verlobten ins Restaurant ‚Zur Rose‘ zum Mittagessen gegangen? "Oder habe ich da diese Dame falsch verstanden?“, überlegte die Frau kurz und nahm dann ihre Brille ab, während sie fortfuhr, „Nein, sie meldete sich als seine Verlobte an.“ Maddy wurde bei diesen Worten heiß und kalt gleichzeitig. Der ganze Raum schien sich für einen Moment um sie zu drehen, und sie hatte den Eindruck, ohnmächtig zu werden. Doch dann riss sie sich zusammen, räusperte sich und versuchte, sich selbst zu beruhigen.
„Ach, das muss ein Missverständnis sein. Ich werde dann mal zu diesem Restaurant fahren. Vielleicht hat Jens, ich meine Herr Gäbler, ja ein Arbeitsessen. Das wird sich sicher aufklären.“
Schnell verabschiedete sie sich, bevor die Frau bemerkte, wie durcheinander sie nach dieser merkwürdigen Auskunft war. Maddy rannte nun fast aus der Bank, und als sie sich auf ihren Autositz fallen ließ, öffnete sie zitternd ihr Handschuhfach und nahm eine alte Schachtel Zigaretten sowie ein Feuerzeug heraus. Acht Wochen hatte sie keine Zigarette angerührt, aber jetzt brauchte sie eine! Tief zog sie den Rauch ein und dachte noch einmal über die seltsamen Worte der Mitarbeiterin von Jens nach. Eine andere? War das der Grund für die Distanz zwischen ihnen in letzter Zeit? Nein, das glaubte sie einfach nicht.
In Gedanken hörte sie Jens' Stimme: „Was denkst du wieder, Maddy? Das ist echt kindisch! Warum sollte ich dich betrügen? Ich liebe dich doch!“ Doch liebte er sie wirklich? Fragte sie sich nun selbst. Oder war es nur so, wie Tanja immer behauptete, Selbstliebe? Maddy streckte resolut ihr Kinn nach vorne, drückte die Zigarette aus und griff bestimmt zum Navi. Das werden wir gleich herausfinden!
Zehn Minuten später stand sie zitternd vor dem noblen Restaurant, in dem Jens zu Mittag essen sollte. Sollte sie wirklich dort hineingehen?, dachte sie und horchte in sich hinein. Da war die eine Seite, die dachte, dass dies sicher alles nur ein großes Missverständnis wäre. Aber da war auch die andere Seite in ihr, die schon seit längerer Zeit an dem zweifelte, was man eine glückliche Beziehung nannte. Maddy war wie gelähmt und hatte wohl auch ein wenig Angst davor, was sie in diesem Restaurant nun erwarten könnte. Würde alles nur ein Missverständnis sein, würde sie sich lächerlich machen, und Jens wäre traurig, dass sie ihm nicht vertraute. Hätte er aber wirklich eine Andere, würde für sie wohl eine Welt zusammenbrechen. Ging sie aber nicht hinein, würde die Ungewissheit wie ein böser Schleier über ihrem Wohlbefinden liegen und nichts, aber auch gar nichts besser machen. Nervös wickelte sie die Fransen ihres Schals um ihre Finger, fast schon so fest, dass es ihr das Blut abschnürte. Verflucht!, schimpfte sie nun mit sich selbst. Geh jetzt dort hinein, Maddy, und blicke der Wahrheit ins Auge. Doch bevor ihre Hände ihren Schal in Ordnung gebracht hatten, nahm ihr das Schicksal die Entscheidung aus der Hand, und die Tür des Restaurants öffnete sich!
Heraus trat Jens, Händchen haltend mit einer Frau, die Maddy schlichtweg ein Modepüppchen nennen würde. Fast schon stieß sie mit den beiden zusammen.
Der Blick von Jens war filmreif, und während sein Gesicht die Farbe einer Tomate annahm, lächelte seine Begleitung nur, als wäre sie froh über die Situation, in der sie sich befanden. Bei Maddy brach in diesem Moment alles entzwei.
Der Schmerz in ihrem Herzen raubte ihr die Stimme, und so kam nur ein Flüstern aus ihrem bebenden Mund: „Jens, was..?“
Jens senkte die Augen und versuchte, Maddy zu beruhigen: „Maddy, das ist nicht, wie es aussieht. Das ist Angela, meine Sekretärin. Wir hatten während dem Mittagessen etwas Wichtiges zu besprechen.
“ Er merkte jedoch selbst, wie unglaubwürdig das klang. Maddy presste die Zähne aufeinander, als könnte sie damit den Schmerz vertreiben, der nun von ihrem ganzen Körper Besitz nahm. War es nicht schlimm genug, dass er sie betrog? Musste er ihr auch noch so dreckig ins Gesicht lügen? Später wusste Maddy nicht mehr, wie es geschah, denn es war so gar nicht ihre Art. Aber kaum hatte Jens das ausgesprochen, spürte er auch schon Maddys Hand auf seiner Wange. Wütend sah sie erst Jens und dann Angela an. Jedes weitere Wort war ihr jetzt zu schade. Zitternd zog sie ihren Verlobungsring vom Finger und warf ihn den beiden vor die Füße.
„Erspart euch weitere Lügen! Das war es, Jens, und wage es nicht, auch nur einmal bei mir anzurufen!“ Dann drehte sie sich auf dem Absatz um und rannte zu ihrem Auto. Nur weg von hier!
Maddy wusste später nicht, wie sie es geschafft hatte, gesund nach Hause zu kommen. Zweimal übersah sie eine Ampel, und auch die Ausfahrt nahm sie viel zu scharf. Den ganzen Weg nach Hause hatte sie in einer Mischung aus Wut und Schmerz nur vor sich hingeweint. Mistkerle! Einer wie der Andere! Niemand wird mehr in ihr Herz gelassen, dann kann ihr auch keiner mehr wehtun! Erst das mit Thomas, ihrer ersten Liebe, und jetzt auch noch Jens. Keiner von beiden hat ihre Liebe verdient! Tanja hatte da vollkommen recht. Als Maddy jetzt zur Tür hereintrat und sich im Spiegel sah, musste sie trotz der traurigen Lage plötzlich furchtbar lachen. "Ich sehe ja auch aus wie ein Panda-Baby, das beim Waschen ausgelaufen ist!" Sie wusch sich schnell die zerlaufene Schminke ab, reinigte ihr Gesicht und ließ Wasser in die Wanne laufen. Ein heißes Bad und der Duft nach Patschuli ließen sie immer am besten entspannen. Und danach wollte sie Tanja anrufen. Früher oder später würde sie es sowieso erfahren. Gott sei Dank war Tanja nicht der "Ich habe es dir ja gesagt!"-Typ, und so nahm sie Maddy einfach nur in den Arm, als diese mit müden Augen die Haustür öffnete. Nachdem Maddy ihr am Telefon Bescheid gesagt hatte, was passiert war, zögerte Tanja nicht lange und fuhr sofort zu ihrer Freundin, um ihr beizustehen. Als Maddy in Tanjas Armen lag, brach dann auch schon der ganze Schmerz aus ihr heraus, und zitternd weinte sie in Tanjas Mohairpullover. "Ich hätte doch niemals gedacht, dass Jens mir so etwas antun könnte. Das Lügen schmerzt noch mehr als der Betrug!" Tanja strich der Freundin tröstend über das Haar. "Mein armes Mäuschen, ich weiß, wie weh dir das jetzt tut und dass dich wohl auch nichts trösten oder den Schmerz nehmen kann, aber glaube mir, die Zeit verblasst alle Wunden."

Das war nun schon fast zwei Wochen her. Maddy lag fast nur auf der Couch herum, schaute schnulzige Weihnachtsfilme, und so viel Weihnachtsplätzchen, wie sie dabei verbrauchte, so schnell kam sie mit dem Backen gar nicht nach. Jetzt biss sie gerade kräftig einem Schoko-Weihnachtsmann den Kopf ab und stellte sich vor, es wäre der von Jens. Der Schmerz und die Wut wollten einfach nicht weniger werden, da half auch die Schokolade nicht. Mit mürrischem Gesicht warf sie den Rest des Weihnachtsmannes in die Mülltüte, die neben ihr stand. "Du bist auch männlich, außen süß und innen hohl, weg mit dir!" Dann stand sie auf und versuchte ein wenig das Chaos um sie herum wegzuräumen. Der Tisch war voll leerer Pizzaschachteln, Schokoriegelpapier, Coladosen, und auch eine fast leere Flasche Rotwein stand mitten in dem Tohuwabohu. Von den ganzen Plätzchenkrümeln ganz zu schweigen. Maddy, in ihren alten karierten Plüschmorgenmantel gehüllt, griff zur Flasche, um den Rest darin noch auszutrinken. "Du bist zu schade für den Ausguss." Als sie am Garderobenspiegel vorbeikam, schaute ihr ein müdes Gesicht mit tiefen Augenrändern entgegen. An Schlaf war kaum zu denken, und wenn, dann war es immer wieder derselbe Alptraum von Jens und seinem Modepüppchen, der Maddy weckte. Alle Weihnachtsstimmung war dahin, und am liebsten hätte sie alles wieder abgeschmückt. Aber dafür fehlte ihr viel zu sehr der Antrieb. Ausgerechnet vor Weihnachten muss das alles passieren, dachte sie traurig. Schon als Kind liebte sie diese magische Zeit, auch wenn sie damals, als ihr Vater die Familie verließ, einen großen Knacks bekam. Mit einem Schlag war ihre heile kleine Welt zusammengebrochen. Scheidung! Ihre Eltern hatten ihre monatelangen Meinungsverschiedenheiten sehr gut vor ihr verstecken können, und so merkte die damals Zwölfjährige nichts davon, bis zu dem Tag kurz vor Weihnachten, als ihre Mutter ihr einfach diese Worte hinklatschte: "Vater wird ausziehen, wir lassen uns scheiden!" Maddy war wie vor den Kopf geschlagen und suchte, wie so viele Scheidungskinder, die Schuld bei sich. Hatte sie etwas falsch gemacht? Hätte sie sich mehr in der Schule anstrengen sollen? War vielleicht ihr Hobby, das Reiten, zu teuer? Viele Jahre dauerte es, bis Maddy alt genug war, um zu verstehen, dass ihre Eltern sich einfach auseinandergelebt hatten. Als ihr Vater ging, gab es längst eine Andere in seinem Leben. Wütend schmiss sie nun die leere Weinflasche in den Mülleimer.
"Und Jens musste es ihm gleichtun!"
Das Klingeln der Wohnungstür riss sie aus ihren Gedanken. Oh Gott, dachte sie, wer das wohl sein wird? So wie ich aussehe! Sie griff nach dem Gürtel ihres alten Morgenmantels und schloss diesen schnell, fuhr sich mit den Fingern durch ihre Haare, auch wenn da nichts mehr zu retten war, und griff dann zum Türhörer. "Ja, bitte, wer ist denn da?" Maddy hörte nur die Motoren der Autos auf der stark befahrenen Straße, bekam aber auch beim zweiten Nachfragen keine Antwort. Schulterzuckend legte sie den Hörer auf und schaute durch den Spion. Kurz schien es ihr, als würde sie ein glitzerndes Licht sehen, aber nein, auch vor der Tür stand keiner. Komisch, dachte sie und öffnete die Tür einen winzigen Spalt. Nichts. Sie wollte sich gerade umdrehen, als ihr Blick auf ihre Fußmatte fiel. Das lag doch was! Maddy öffnete nun die Tür ganz und griff ratlos nach dem roten Briefumschlag, der auf der Matte lag. Nanu, seit wann legt denn der Briefträger die Post direkt vor die Tür?
Neugierig drehte sie den Brief um, um nach dem Absender zu schauen. Nanu, dort stand nichts! Zumindest kein Name und auch keine Adresse. Dafür lächelte ihr ein lustig dreinschauender Sticker Weihnachtsmann entgegen. Schulterzuckend schloss sie die Tür und warf den Brief auf die Couch. Sicher nur eine Weihnachtskarte, den konnte sie später öffnen. Maddy spülte schnell ab und musste plötzlich an Stella denken. Stella war ihre weiße Stute, die sie damals schweren Herzens verkaufen musste, weil ihr Studium ihr zu dieser Zeit weder genügend Zeit schenkte, um sich um das Tier zu kümmern, geschweige denn, dass sie genügend Geld für Unterkunft, Futter und Tierarztkosten hatte. Lange Zeit hatte ihr Vater diese Kosten übernommen, doch eines Tages blieben die Zahlungen plötzlich aus, und Maddy wollte damals nicht nach dem Warum fragen. Ihr Vater wird dafür schon seine Gründe gehabt haben, und betteln lag ihr nicht. Ach, wie hatte sie die Ausritte mit Stella geliebt, vor allem die Ritte durch den verschneiten Taunus Winterwald waren himmlisch! Wenn sie hoch zu Ross saß, ihr im Galopp der Wind um die Nase wehte, dann konnte nichts ihr wehtun, alle Last des Alltags fiel dann von ihr ab.
„Ach, mein Sternchen,“ seufzte Maddy nun, „du fehlst mir wahnsinnig, und gerade jetzt bräuchte ich dich so sehr!“
Der Verkauf ging damals über den Stallbesitzer, Maddy hatte keine Ahnung, wohin Stella gekommen war, und vielleicht war das auch gut so. Der sonderbare Brief fiel ihr wieder ein. Sie kochte sich schnell noch einen Tee und ging dann zurück ins Wohnzimmer, setzte sich auf die Couch und nahm den Brief in die Hand. Nun doch etwas neugierig geworden, riss sie ihn schnell auf. Zum Vorschein kam wunderschönes Briefpapier, das ganz in den weihnachtlichen Farben Rot, Weiß und Grün gehalten war. Oben sah man ein glitzerndes verschneites Weihnachtsdorf mit einem Rentierschlitten, und auf einem Wegweiser las Maddy die Worte „Santa Claus Village Finnland“. Und das Sonderbarste an diesem Brief jedoch war die Überschrift! „Gewinnbenachrichtigung“ stand dort! Das wird ja immer komischer, dachte Maddy, denn sie hatte noch nie an einem Gewinnspiel teilgenommen. Sicher kannte sie das Ressort Santa Claus Holiday Village, in der „Heimat“ des Weihnachtsmannes, aber obwohl sie nichts lieber tun würde, als dort einmal Weihnachten zu verbringen, war es irgendwie nie dazu gekommen, dass sie dorthin mal gereist wäre. Vielleicht war das eine Verwechslung? Aber nein, dort stand ja ihr Name! Zwischen dem Brief zog Maddy noch ein Prospekt hervor, doch erstmal wollte sie den Brief lesen. Laut las sie nun die in Schönschrift geschwungenen Zeilen.
„Liebe Frau Winter, mit großer Freude können wir Ihnen mitteilen, dass Sie den 1. Platz unseres Gewinnspiels gewonnen haben. Damit stehen Ihnen zwei wunderschöne Wochen im Weihnachtsferiendorf Santa Claus Holiday Village am Polarkreis im Herzen des Dorfes des Weihnachtsmannes in Rovaniemi/Finnland bevor, wo Ihnen eines unserer Ferienhäuser zur Verfügung gestellt wird. All unsere Aktivitäten sind in diesem Gewinn mit inbegriffen. Bitte melden Sie sich bei der Ankunft im Büro des Weihnachtsmannes. Alles Weitere entnehmen Sie bitte dem beiliegenden Prospekt. Das gibt es doch gar nicht! Das wäre ja toll, und Maddy würde sich gerne freuen, aber sie glaubte immer noch an eine Verwechslung. Dennoch nahm sie jetzt den Prospekt zur Hand. Mein Gott, war das schön! Es sah aus wie in einem Märchen. Wunderschöne schneebedeckte Holzhütten, hunderte von bunten Lichtern, und wo das Auge hinschaute, weihnachtlicher Schmuck. Genau wie Maddy es liebte! Wie oft hatte sie die Stadt des Weihnachtsmannes in Fernsehdokumentationen gesehen, und wie oft hatte sie sich dorthin gewünscht. Und das sollte auf einmal wahr werden? In diesem Moment hatte sie sogar Jens vergessen und fühlte ein wundervolles Kribbeln im Bauch. Mama! Ich muss sie anrufen! Sicher hat sie das Preisausschreiben für sie eingeschickt. Schnell griff sie zum Telefon und wählte aufgeregt die Nummer ihrer Mutter.
„Ja, Hallo,“ meldete sich eine Stimme, „Winter.“
„Hey Mama, ich bin es, Maddy. Danke, danke, danke dir! Da wollte ich schon immer mal hin!“

„Wo wolltest du schon immer hin? Und wofür dankst du mir?“ fragte Maddys Mutter überrascht.

„Na, für die Teilnahme am Preisausschreiben. Ich habe den 1. Platz gewonnen! Zwei Wochen in Santa Claus Holiday Village!“ In der Leitung blieb es einen Moment still. Dann hörte Maddy ein kurzes Räuspern und die Worte: „Nein, mein Kind, da musst du dich täuschen. Ich habe nirgendwo teilgenommen.“ Maddy rutschte tiefer in ihr Sofa. „Hast du nicht?“, fragte sie verwundert, „Ja, wer dann?“

Doch darauf wusste ihre Mutter auch keine Antwort. „Keine Ahnung, Maddy. Vielleicht ja Tanja. Hast du sie schon gefragt?“

„Nein, Mama, noch nicht, werde ich aber gleich tun.“

„Wie geht es dir denn jetzt nach der Sache mit Jens?“ wollte ihre Mutter schnell noch wissen, bevor Maddy auflegte.

Maddy seufzte: „Ach, Mama, es tut halt noch weh. Drei Jahre sind nicht einfach so wegzuputzen.“

„Sehen wir uns denn Weihnachten, mein Kind? Du kannst ja nicht nur zu Hause herumsitzen und Trübsal blasen. Das schlägt doch nur aufs Gemüt!“ Maddy schaute auf den sonderbaren Brief in ihrer Hand und lächelte plötzlich. „Ich denke, über Weihnachten bin ich verreist, Mama.“

Tanja war genauso überrascht über Maddys Gewinn wie Maddy selbst. Und nein, auch sie hatte nicht für Maddy an diesem Preisausschreiben teilgenommen. Aber Tanja fand diese ganze Angelegenheit äußerst spannend!

„Hast du vielleicht einen heimlichen Verehrer?“, fragte sie Maddy nun.

„Quatsch, wer sollte das denn sein?“

„Naja“, meinte Tanja, „du bist ja nicht gerade hässlich. Warum solltest du keinen Verehrer haben? Wirst du denn fahren?“

Maddy überlegte kurz. „Ich denke schon. Schließlich träume ich schon von Santa Claus Holiday Village, seit ich ein Kind war. Natürlich rufe ich vorher nochmal dort an, um sicherzugehen, dass das auch alles seine Richtigkeit hat. Vielleicht bekomme ich dort ein wenig Abstand von Jens.“

„Vielleicht findest du dort ja den Mann deiner Träume“, schwärmte Tanja vor sich hin.

Maddy verzog das Gesicht. „Alpträume vielleicht. Der einzige Mann, der mich im Moment interessiert, ist der Weihnachtsmann und Santa Claus Holiday Village.“

Tanja musste lachen. „Glaubst du noch an den Weihnachtsmann?“

„Wer weiß, wer weiß. Wenn ich schon nicht mehr an die Liebe glaube... an irgendetwas muss man ja glauben.“ Tanja seufzte am anderen Ende der Leitung. In Sachen Liebe war sie so ganz anders als Maddy. Sicher verstand sie den Schmerz und die Enttäuschung der Freundin, allerdings würde sie selbst das alles nicht so schwer nehmen und wäre froh, diesen Typen losgeworden zu sein. Und dann gleich den Glauben an die Liebe aufgeben? Nein, das würde Tanja nie, sie liebte es, sich zu verlieben, und wusste aus Erfahrung, ein neues Verliebtsein löscht mit einem Schlag jeden Schmerz der letzten Enttäuschung.

„Ach, Maddy“, meinte sie jetzt, „es gibt so viele Mütter mit hübschen Söhnen. Verschließe dich nicht ganz vor der Liebe, das wird sonst ein ziemlich kühles Leben, wenn im Herzen immer nur Winter herrscht.“

„Liebe macht verletzbar, Tanja. Ich möchte von niemandem mehr verletzt werden. Irgendetwas an mir muss ja wohl nicht stimmen, wenn sie mich immer wieder betrügen, belügen und verletzen müssen. Schon nach Thomas wollte ich niemanden mehr in mein Herz lassen und habe es trotzdem für Jens geöffnet, nur damit auch er es wieder verletzen konnte. Nein, nein, meine Liebe, den Fehler mache ich nicht noch einmal“, meinte Maddy nun traurig, aber bestimmt.

Tanja wusste, es würde nichts nutzen, ihrer Freundin zum hundertsten Mal zu erklären, dass es nicht sie ist, bei der etwas nicht stimmt, sondern dass die Männer, die sie wählte, stets die Falschen waren.

„Das klingt sehr verbittert, Maddy. Ich hoffe und wünsche für dich, dass diese kleine Reise wieder etwas Wärme in dein Herz lässt, bevor es vielleicht irgendwann ganz versteinert.“

„Mach dir um mich keine Sorgen, Tanja. An einem Stein prallt wenigstens jeder Messerstich ab“, klang hart und kalt, aber während Maddy das sagte, rann leise eine Träne ihre Wange herunter. Schnell wischte Maddy sie mit dem Ärmel ab. Sie hasste Selbstmitleid! Alles wird gut. Wer braucht schon Männer? Ich werde mir eine wunderschöne Zeit in Finnland machen, auch ohne Partner! Maddy verabschiedete sich von Tanja, mit dem Versprechen, sich vor ihrer Abreise noch mal mit ihr zu treffen. Morgen wollte sie dann erst einmal in Santa Claus Holiday Village anrufen und sich den Gewinn bestätigen lassen, gerade weil sie eben nicht an diesem Gewinnspiel teilgenommen hatte.

„Nein, nein“, meinte die nette Dame am Telefon zu Maddy, „das Auto nehmen Sie mal lieber nicht, das wären ja fast 3000 Kilometer, und Sie wären über 20 Stunden unterwegs. Natürlich beinhaltet Ihr Gewinn auch das Flugticket, wir müssen nur wissen, wann Sie fliegen möchten, dann wird es am Schalter für Sie zurückgelegt.“
„So weit ist das?“, fragte Maddy erstaunt. „Ich dachte immer, Finnland wäre gar nicht so weit.“
„Oh doch, da täuschen Sie sich mal nicht. Sogar mit dem Flugzeug werden Sie ca. 9 Stunden unterwegs sein. Rovaniemi liegt ganz im Norden Finnlands, die Hauptstadt des Landes und offizieller Wohnort des Weihnachtsmannes.“
Maddy lachte: „Dass es den aber nicht wirklich gibt, das wissen wir doch sicher beide.“
„Glauben Sie nicht an die Magie von Weihnachten, Maddy?“, kam es erstaunt zurück.
„Nun ja, eigentlich weiß ich schon seit meinem siebten Lebensjahr, dass es den Weihnachtsmann nicht gibt“, erwiderte Maddy.
„Oh, das würde ihn aber sehr traurig stimmen, Maddy, wenn er das wüsste.“
Maddy nahm diese Frau nicht ernst und lachte. „Na, dann muss das eben unser Geheimnis bleiben, Frau Sörensen.“
„Vielleicht gibt Ihnen ja Santa Claus Holiday Village den Glauben an den Weihnachtsmann zurück, Maddy. Hier herrscht Magie pur, und Sie werden es lieben!“
Da stimmte Maddy zu. „Oh ja, ganz sicher werde ich es lieben. Ich liebte es ja schon als Kind. Die verschneiten Tannen, die beleuchteten Holzhäuser, die Rentiere und vor allem die Nordlichter.“

„Na, nun kommen Sie erst mal an, Maddy. Wissen Sie schon, wann Sie fliegen möchten?“

Maddy war klar, dass sie so früh wie möglich von hier weg wollte, hier, wo sie alles nur an Jens erinnerte, und gab die Daten durch. Frau Sörensen gab etwas in ihren Computer ein und bat Maddy, einen kurzen Moment zu warten. Dann bestätigte sie ihr den Flug.
„Also, wie ich schon sagte, das Ticket liegt am Flughafen für Sie bereit zum Abholen. Vom Flughafen in Rovaniemi wird Sie ein Transfer ins Weihnachtsdorf bringen. Dort melden Sie sich bitte im Büro. Gute Reise und bis bald!“

„Bis bald, Frau Sörensen, ich freue mich riesig!“ Maddy legte fröhlich den Hörer auf.
Sie würde nun wirklich nach Finnland fliegen. In zwei Tagen schon! Auch wenn Frau Sörensen auch nicht klären konnte, wer denn nun für sie am Preisausschreiben teilgenommen hatte. Wirklich sonderbar! Aber sie war die rechtmäßige Gewinnerin, und daran gab es nichts zu rütteln. Das erste Mal seit der Sache mit Jens konnte Maddy sich über etwas freuen, und in Gedanken dankte sie dem Einsender, wer immer das auch gewesen sein mochte.
Am nächsten Tag traf sich Maddy zum Shopping mit Tanja. Sie musste unbedingt noch ein paar warme Kleidungsstücke kaufen. Sie wollte auf dieser Reise alles Alte zurücklassen, auch an Kleidung. Sie kaufte sich so selten etwas, aber jetzt, mit der Reise in Aussicht, hatte sie richtig Lust darauf. In dem kleinen Einkaufszentrum ihrer Stadt war alles weihnachtlich geschmückt, und der Duft von Kaffee und den ganzen Weihnachtsbäckerei-Düften lud zum längeren Verweilen ein. Tanja hielt ihr gerade einen eisblauen Schneeanzug entgegen.
„Schau mal, Maddy, der würde dir sicher super stehen!“
Maddy griff nach dem Bügel mit dem Anzug, den Tanja ihr lächelnd reichte. Oh ja, der war wirklich wunderschön. Ganz in eisblau gehalten und mit weißem Fell abgesetzt. Und genau in Maddys Größe.
„Den nehmen wir!“ rief Maddy übermütig.
Keine Sekunde hatte sie heute an Jens gedacht. Viel zu aufgeregt war sie wegen dieser sonderbaren Reise. Wahrscheinlich würde sie nie rausbekommen, wem sie diese nun zu verdanken hatte. Das meinte sie nun auch gerade zu Tanja, als sie eine Shopping-Pause machten und in einem Café vor ihrem heißen Kakao saßen. Tanja zwinkerte ihr darauf zu und meinte lachend:
„Wer weiß, vielleicht war es ja der Weihnachtsmann selbst?“

„So ein Quatsch!“ lachte Maddy. Tanja fischte sich einen Marshmallow aus ihrem Kakao und steckte ihn sich genüsslich in den Mund. „Ist das nicht eine herrliche Sünde?“ schwärmte sie. Lachend schaute Maddy Tanja von oben bis unten an. Da war wirklich kein Pfund zu viel an ihr.
„Na, du kannst dir nun wirklich so etwas leisten, ohne von Sünde sprechen zu müssen!“, lachte Tanja. „Warum landen wir Frauen eigentlich im Gespräch immer bei den Pfunden und Kalorien? Lass uns lieber über deine geheimnisvolle Reise sprechen. Ich wäre ja wahnsinnig gerne mit, aber ich habe nur ein paar Tage Urlaub. Leider kann ich mir das als Angestellte nicht so aussuchen wie du.“

„Ja, schade“, meinte Maddy seufzend, während sie zum Aufwärmen mit beiden Händen ihre Tasse umklammerte. „Es wäre sicher netter zu zweit gewesen.“ Wieder zwinkerte ihr Tanja zu. „Vielleicht bist du ja gar nicht lange allein und triffst einen feschen Junggesellen.“

Maddy winkte ab. „Du und deine romantischen Gedanken. Mein Herz ist und bleibt der Männerwelt verschlossen! Ich werde einen schönen Urlaub haben und mir einen Kindertraum erfüllen, und das war es auch schon! Da müsste schon Magie mit im Spiel sein, damit ich mich nochmal verliebe!“

Der Tag mit Tanja beim Shoppen war schön, aber auch anstrengend gewesen. So fiel Maddy am Abend erschöpft auf ihre Couch. Puh, da hatte sie eine Menge Geld ausgegeben heute, aber sie gönnte sich ja sonst nicht viel. Zu dem blauen Schneeanzug waren noch ein paar neue Pullover, zwei Paar warme Hosen, eine neue Mütze, Schal und Handschuhe dazu gekommen. Auch ein paar hübsche weiße Winterstiefel hatte sie sich noch gegönnt. Und da sie der Meinung war, dass sich das ganze neue Zeug nicht so gut in ihrem alten verschlissenen Koffer machte, gab es auch einen Neuen. Morgen wollte sie alles packen, und übermorgen würde sie Tanja dann zum Flughafen fahren. Das Abenteuer konnte beginnen!
Am Tag der Abreise trafen Maddy und Tanja frühzeitig am Flughafen ein und hatten auch keine Probleme, das zurückgelegte Ticket zu bekommen. Jedoch verspätete sich der Flug eine Stunde, da es noch einmal geschneit hatte und die Flugzeuge enteist werden mussten. Das nutzten die beiden aus, um schnell noch einen Kaffee zusammen zu trinken. Tanja war aufgeregter als Maddy selbst.

„Ich beneide dich so, Maddy“, meinte sie nun und trank genüsslich einen Schluck ihres Milchkaffees. „Das ist alles so furchtbar aufregend!“
Maddy musste lachen.
„Du wieder. Vielleicht werde ich mich ja auch zu Tode langweilen, wer weiß das schon.“
Tanja schaute sie empört an. „Langweilen? Spinnst du? Nordlichter, Huskys, Rentiere, schneebedeckte Tannen und der Weihnachtsmann! Wie kann das langweilig werden? Jetzt sei doch nicht so negativ, Maddy!“
Maddy zuckte mit den Schultern. „Ach Tanja, ich habe eben einfach keine Erwartungen, dann kann ich auch nicht enttäuscht werden. Ich freue mich jetzt einfach nur darauf, dass mir, dank wem auch immer, ein Kindheitstraum erfüllt wird.“
Naja, dachte Tanja, die Sache mit Jens sitzt wohl noch tief in ihr. Sie hoffte echt für Maddy, dass sie in Finnland auf andere Gedanken kam. Ihre Maschine wurde nun für das Boarding aufgerufen.
„Passagiere des Fluges 341 Finnair nach Rovaniemi mit Zwischenstopp in Helsinki werden gebeten, sich zum Boardingschalter im Bereich E Ebene 2 zu begeben“, tönte es aus den Lautsprechern, und nun setzte auch bei Maddy die Aufregung ein. „Es geht los, Tanja“, rief sie aufgeregt der Freundin zu und griff zu ihrem Handgepäck. Dabei blieb sie mit dem Fuß an den Schlaufen der Tasche hängen und verlor das Gleichgewicht. Tanja schrie erschrocken auf, stand aber auf der anderen Seite des Tisches und hatte somit keine Möglichkeit, die fallende Maddy aufzufangen. Sie dachte nur noch: Oje, hoffentlich bricht sie sich nicht noch was, und der Urlaub fällt flach. Doch diese Angst war umsonst, denn plötzlich sprang ein junger Mann zwischen Maddy und den Boden und konnte sie gerade noch auffangen. Fest umklammerten seine sportlichen Arme Maddys Körper, und während diese knallrot anlief, lachte der Fremde sie schelmisch an.
„Hoppala, da wären sie doch fast zum gefallenen Mädchen geworden“, zwinkerte er ihr scherzend zu.
Maddy war diese Sache hoch peinlich, und schnell schälte sie sich aus den Armen des etwa Fünfundzwanzigjährigen, gut aussehenden jungen Mannes, dessen blonde Locken frech unter seiner Mütze hervorlugten. Maddy wollte nur ganz schnell weg aus dieser peinlichen Situation und reichte ihrem „Retter“ schnell die Hand.
„Vielen Dank, das war ja grade nochmal gut gegangen.“
Dann wandte sie sich an Tanja. „Schnell, wir müssen uns beeilen, sonst fliegt das Flugzeug ohne mich!“
Dem jungen Mann schenkte sie im Gegensatz zu Tanja keinen einzigen Blick mehr. Rasch ergriff sie ihr Handgepäck und rannte fast los. Tanja schaute sie verwundert an.
„Heeey, eine alte Frau ist kein D-Zug, geht das auch einen Gang langsamer?“
Maddy hielt kurz an und drehte sich zu ihrer Freundin um.
„Hast du eine Ahnung, wie peinlich das war? Ich wollte nur raus aus dieser Situation!“
Tanja seufzte. „Und ich wette, vor lauter Peinlichkeit hast du gar nicht mitbekommen, dass ein Brad Pitt deinen Urlaub gerettet hat!“
Maddy schaute sie fragend an.
„Brad Pitt? Spinnst du? Das war doch nicht Brad Pitt!“
Tanja musste lachen. „Ach Maddy, manchmal bist du so herrlich süß schwer von Begriff. Natürlich war das nicht Brad Pitt, allerdings hätte er gut und gerne ein Bruder von ihm sein können. Aber ja, ich weiß, du bist ja für so was blind seit Neuestem. Ich gebe es auf.“
Maddy murmelte nur etwas Unverständliches und zog Pass und Bordkarte aus ihrer Handtasche.
Dann umarmte sie ihre Freundin. „Mach es gut, Tanja. Ich melde mich.“ Tanja wischte sich verstohlen eine Träne aus den Augen und küsste Maddy auf beide Wangen. „Auf Wiedersehen, meine Süße, und passe gut auf dich auf. Bitte rufe mich von Helsinki aus an, dass du gut angekommen bist, und später dann aus Rovaniemi.“ Maddy versprach es und, nun doch mit wackeligen Knien, ging sie aufgeregt durch die Kontrolle. Einmal noch drehte sie sich um und winkte Tanja zum Abschied noch einmal zurück. Kurz wurde sie nachdenklich. Das war der erste Urlaub ihres Lebens, den sie alleine unternahm. Was sie wohl in Santa Claus Holiday Village erwartete?

Der Flug war ruhig, und Maddy schaute gedankenverloren in die Wolken, die aussahen wie eine riesige Schneelandschaft. Sie dachte gerade darüber nach, ob Jens jemals mit ihr Urlaub in Santa Claus Holiday Village gemacht hätte und hörte wieder seine Stimme.
„Ach Maddy, das sind doch Klein-Mädchen-Träume. Meinst du nicht, für den Weihnachtsmann sind wir beide viel zu alt?“
Ja, genauso hätte er wohl reagiert, und Maddy schüttelte es kurz bei dem Gedanken daran. Warum nur, hatte sie so lange über seinen wahren Charakter hinweggesehen? Obwohl Tanja sie ja immer wieder darauf hinwies. Sie hatte keine Antwort darauf. Immer wieder hatte sie Entschuldigungen für seine Fehler gesucht oder aber die Schuld bei sich gesucht. Jens hatte sich seit diesem Tag in Frankfurt wirklich nicht einmal gemeldet, wahrscheinlich war er nur froh, sie endlich los zu sein. Was Jens wohl in Angela gefunden hatte, was sie ihm nicht bieten konnte? Was war nur falsch an ihr? Maddy dachte keinen Moment daran, dass an ihr gar nichts falsch war, sie nur einfach nicht zusammengepasst hatten. Vom Charakter, den Einstellungen, den Träumen.
„Möchten Sie etwas zu trinken?“, riss die Stimme der Stewardess sie aus ihren Gedanken. Maddy nahm dankend einen Kaffee und stellte sich einen Film an. In zwei Stunden würden sie landen.

In Helsinki angekommen, rief sie wie versprochen erst ihre Mutter, dann Tanja an. Ja, der Flug war schön, und nein, sie war auf dem Weg zur Toilette keinem hübschen Junggesellen auf den Schoß gefallen.
„Sag mal, Tanja“, meinte sie darauf lachend, „kannst du auch mal an etwas anderes als an Männer denken? Das ist ja furchtbar mit dir!“
„Ach Maddy“, lachte Tanja zurück, „ich wünsche dir doch nur endlich den passenden Partner an deine Seite. Wenn es einer verdient hat, dann du!“
Maddy seufzte. „Ich verspreche dir, sollte das jemals geschehen, was ich nicht glaube, wirst du es als Erste erfahren, okay?“
Tanja murmelte etwas Unverständliches und wechselte dann das Thema.
„Wie lange musst du von Helsinki noch bis nach Rovaniemi fliegen?“
„Nur knapp über eine Stunde“, meinte Maddy.
„Na, das geht ja noch“, erwiderte Tanja, „ich wünsche dir wunderschöne Feiertage, aber du meldest dich sicher noch ja von Rovaniemi.“
Maddy versprach es und legte dann auf. Dann sah sie auf die wartende Menschenmenge. Ob diese Leute alle nach Santa Claus Holiday Village wollten? Vielleicht wohnten ja auch manche nur in Finnlands Hauptstadt. Da waren Eltern mit Kindern, die quängelten, da ihnen langweilig war, ein älteres Paar, mehrere Alleinreisende und viele junge Pärchen. Warum fallen die einem immer mehr auf, wenn man selber Single ist?, fragte Maddy sich selbst. Egal, dachte sie, ich muss endlich mal aufhören, über Jens nachzudenken. Er hat es wirklich nicht verdient, dass man auch nur einen Gedanken an ihn verschwendet. Und außerdem, so schwor sie sich, wird jetzt ihr neues Leben Maddy 2.0 anfangen! Und zwar männerlos! Sie würde sich jetzt einen richtig gesunden Egoismus zulegen. Jawohl, das werde ich tun, sprach sie sich selber Mut zu und leckte eifrig an ihrem Weihnachtsmann-Lolly, den man ihr im Flugzeug geschenkt hatte.
„Na, wer wird denn da während der schönen Vorweihnachtszeit so ein Gesicht ziehen?“, fragte plötzlich eine Stimme neben ihr. Maddy drehte sich erschrocken um, und dabei verfing sich ihr Lolly in einer blonden Locke. Oh Gott; wie peinlich dachte sie und während sie versuchte, das klebrige Ding von den Haaren des jungen Mannes zu bekommen, verwickelte sich der Lolly nur noch mehr darin. Der junge Mann neben ihr nahm es aber mit Humor und lachte sie grinsend an.
„Na, sie haben aber eine sonderbare Art, sich einen Mann angeln zu wollen.“
Nun griff auch seine Hand zu dem klebrigen Lolly, mit dem Versuch, ihn aus den Haaren zu bekommen. Maddy lief knallrot an und brachte nur ein Stottern hervor.
„Bitte, das tut mir ja so furchtbar leid!“
Doch dann stutzte sie und wäre am liebsten im Erdboden versunken. Tanjas Brad Pitt! Und zum zweiten Male erwischte dieser Kerl sie in nun schon einer peinlichen Situation. Der junge Mann jedoch hatte mehr Glück mit dem Lolly und hielt ihn nun Maddy vors Gesicht.
„Ich denke mal nicht, dass sie den noch weiter essen wollen?“, fragte er lachend und schmiss ihn in einen Papierkorb.
Maddy kramte schnell ein Feucht-Tuch aus ihrer Handtasche hervor und reichte es ihm, Gott sei Dank hatte sie diese immer mit dabei.
„Bitteschön, für ihre klebrigen Hände. Und entschuldigen sie bitte nochmals für diese Unannehmlichkeit.“
Dankend nahm er es an und wischte sich seine klebrigen Hände ab. Dabei hatte Maddy Zeit, ihn sich heimlich genauer anzusehen. Tanja hatte recht, er hatte echt was von Brad Pitt. Auf diesen Typ stand Maddy jedoch so gar nicht. Ach, mahnte sie sich, warum denke ich überhaupt darüber nach? Was interessierte sie schon dieser Kerl.
Kein Kerl interessierte sie mehr, und so ein Brad Pitt-Verschnitt schon mal gar nicht! Vielleicht interessierte er sich aber auch nur aus reiner Freundlichkeit dafür, dass er ihr nun die Hand reichte.
„Max bin ich, ich dachte, ich sollte mich vielleicht mal vorstellen, bevor das Schicksal das dritte Mal zuschlägt“, lachte er und zeigte eine Reihe strahlend weißer Zähne.
Schicksal! dachte Maddy, dass ich nicht lache, Fettnäpfchen würde da wohl eher passen. Dennoch ergriff sie die dargebotene Hand.
„Danke, das hoffe ich allerdings nicht. Ich bin Maddy.“
„Angenehm“, meinte er darauf, „jetzt müssen wir aber los, das Boarding beginnt.“
Maddy war froh, aus der Unterhaltung fliehen zu können, noch bevor sie so richtig begann. Sie war müde und hatte keine Lust auf Small Talk. Hoffentlich sitzt der jetzt nicht neben mir, dachte sie, doch sie hatte Glück, und neben ihrem Platz am Fenster saß ein älterer Herr. Maddy machte es sich bequem, schaute in die Wolken, die sie so liebte, und musste plötzlich an ihren Vater denken. Was wohl an dem älteren Herrn lag, der neben ihr in eine Zeitung schaute. So alt ungefähr müsste Paps jetzt auch sein, überlegte sie. Nie hatte sie ihm verzeihen können, dass er sie damals verlassen hatte, und hatte jeglichen Kontakt mit ihm oder seiner neuen Frau abgelehnt. Ihr Paps hatte ihr an allen Ecken und Kanten gefehlt, und als Maddy endlich in einem Alter war, um vernünftiger zu denken, da wusste sie schon gar nicht mehr, wo sich ihr Vater aufhielt, und konnte auch irgendwie nicht über ihren Schatten springen, um ihn zu suchen und ihm zu sagen, wie sehr sie ihn liebte. Papsi, dachte sie jetzt traurig, wenn ich nur wüsste, wo du bist. Aber unter der letzten Adresse, die ihre Mutter hatte, war er nicht mehr zu erreichen, und Maddy hatte nie weiter gesucht. Ihre Mutter hatte ihren Vater damals mit keinem Wort schlecht gemacht, und als Kind hatte Maddy das lange Zeit nicht verstehen können und fühlte sich von Mutter und Vater verlassen. Fast 15 Jahre war das nun her. Ob sie ihren Vater jemals noch mal wiedersehen würde?

In Rovaniemi angekommen, wurde Maddy schon vom Fahrer des Resorts erwartet, der sie herzlich begrüßte, ihr den Koffer abnahm und sie und ein paar andere Leute zu einem roten Bus führte, auf dem ein riesiger Weihnachtsmann aufgemalt war und in großen Lettern „Santa Claus Holiday Village“ zu lesen war. Der Bus war halbvoll, als er in die wunderschöne Winterlandschaft losfuhr. Von Max war allerdings nichts mehr zu sehen. Dann wird das Resort wohl nicht sein Ziel gewesen sein, stellte Maddy fest, dachte aber nicht weiter darüber nach. Dazu war sie viel zu aufgeregt. Sie war in Finnland! Sie konnte das immer noch nicht glauben, dass ihr Klein-Mädchen-Traum sich nun endlich erfüllen sollte. Es dauerte keine zehn Minuten bis sie in das Resort einfuhren. Da es schon früh dunkel wurde, erstrahlte es in hellen Lichtern. Mein Gott, war das schön! Maddy wusste nicht, wo sie zuerst hinschauen sollte. Das war ein richtiges Weihnachtsdorf! Jede Menge Häuser, Hütten, Shops, alle weihnachtlich geschmückt. Überall standen leuchtende Weihnachtsbäume, Weihnachtsfiguren, und dazwischen tummelten sich eine Vielzahl an warm eingepackten, fröhlichen Menschen. Und überall fand man Hinweisschilder, vom Polarkreis bis hin zur Weihnachtsmann-Poststelle. Oh ja, dachte Maddy, hier gab es Einiges zu entdecken für sie. Auch als sie nun ins Hauptgebäude zum Einchecken geführt wurde, kam sie aus dem Staunen nicht heraus. Hohe holzvertäfelte Decken, auch hier alles weihnachtlich geschmückt, von denen aus Geweihen hergestellte Lampen herunterhingen. Trotzdem vieles rustikal war, hatte es doch einen vornehmen Stil. Wie Maddy jedoch erfuhr, würde sie nicht hier wohnen, sondern in einem der Ferienhäuser des Resorts.

Dort steckte sie jetzt seufzend die Karte ins Schloss, die sie an der Rezeption bekommen hatte. Gott, war sie müde. Erstaunt schaute sie sich um. Also eine Hütte konnte man das wirklich nicht nennen, hier war alles, was ein Mensch brauchte, um sich wohl zu fühlen. Maddy schmiss müde den Koffer auf das große Bett. Sie würde noch schnell etwas essen und dann unter die Dusche und ins Bett gehen. Dann könnte sie frisch erwacht ihr finnisches Abenteuer beginnen! Das riesige Außenthermometer zeigte Minus drei Grad an, als sich Maddy auf den Weg in das Restaurant „Zu den drei Elfen“ machte, das sich ebenfalls im Hauptgebäude befand. Sie freute sich auf ihre erste finnische Mahlzeit und wollte gerade die Eingangstüre öffnen, als sie hinter sich eine lachende Stimme vernahm.
„Da schau an, unser gefallenes Mädchen...“
Max! Ja, aber wie denn? Er war doch gar nicht im Bus gewesen. Verwirrt nahm Maddy seine dargebotene Hand.
„Hallo Max, ich habe dich gar nicht im Bus gesehen.“
Max zwinkerte sie verschmitzt an. „Es gibt da so einen Elfenstaub, der macht unsichtbar“, lachte er.
„Ja, natürlich“, lachte Maddy zurück, „genauso wie es den Weihnachtsmann gibt.“
Max gab ihr einen leichten Stups auf ihre Nase.
„Du machst Urlaub in Santa Claus Holiday Village und glaubst nicht an die Magie der Weihnachtszeit, der Elfen und dem Weihnachtsmann? Das ist sehr traurig, Maddy.“
Maddy wusste nicht, ob er das ernst meinte oder sie damit nur aufzog.
„Dass es den nicht gibt, weiß ich schon seit meinem 7. Lebensjahr“, gab sie zurück und schalt sich selber dumm, weil sie dabei ein schlechtes Gefühl ihm gegenüber hatte.
„Und du möchtest nicht nochmal Kind sein? An ihn glauben und diese Vorfreude und Magie in dir spüren?“ fragte Max nun.
Maddy zuckte mit den Schultern. "Eigentlich möchte ich jetzt einfach nur etwas essen, ich bin am Verhungern!“
„Oh, Verzeihung, an deinem Hungertod möchte ich wirklich nicht daran Schuld sein!“ Max trat einen Schritt zurück und gab Maddy die Tür frei, die er ihr nun schnell öffnete.
„Madame,“ verbeugte er sich, „darf ich bitten.“
Maddy bedankte sich und schüttelte innerlich den Kopf. Was für ein komischer Kerl! Und wie kam er auf einmal in das Resort? Doch jetzt wollte sie erst mal etwas essen und griff hungrig zur Speisekarte, die ihr der Kellner reichte, nachdem sie an einem der Tische Platz genommen hatte. Von Max war nichts mehr zu sehen.

Als Maddy am nächsten Morgen erwachte, musste sie kurz nachdenken, wo sie sich befand. Natürlich! Sie war in Finnland! Fröhlich sprang sie aus dem Bett und lief zum Fenster. Vor elf Uhr würde hier keine Sonne zu sehen sein, hatte sie gehört, aber der Anblick der vielen bunten Lichter dort draußen entschädigte sie dafür. Voller Vorfreude sprang sie unter die Dusche, zog sich warm an und machte sich dann auf den Weg, um einen Kaffee zu trinken und in das Prospekt zu schauen, um zu sehen, was sie als Erstes machen wollte. Sie hatte einen Gutschein für sämtliche Aktivitäten im Resort bekommen. Dies gehörte alles zu ihrem Gewinn. Am meisten freute sie sich auf die Huskys und die Rentiere. Sie liebte Tiere und überlegte die letzte Zeit öfter, sich wieder ein Pferd zu kaufen. Heute konnte sie es sich selbst leisten, ohne Zuwendungen von ihrem Vater. Jetzt musste sie doch schon wieder über Heinrich Winter, ihren Vater, nachdenken. Er wusste damals, wie sehr sie sich einen Urlaub in Finnisch Lappland wünschte, doch seine Arbeit hatte ihm nie viel Zeit für die Familie gelassen. Sie hatten zwar alles, was man kaufen konnte, aber an Liebe und Geborgenheit fehlte es damals dem sensiblen Kind, das Maddy gewesen war. Gespannt schaute sie nun in das Prospekt, während sie genüsslich ihren Kaffee trank. Doch plötzlich wurde ihr dieser von hinten aus der Hand gerissen. Erstaunt drehte sie sich um. Max! Wer auch sonst würde sich solch eine Frechheit erlauben!

„Hey, was soll das?“ fragte sie ihn erbost.
Doch Max setzte wieder nur sein unwiderstehliches Grinsen auf. „Vergiss das Prospekt, gefallenes Mädchen“, meinte er augenzwinkernd und warf es auf den Tisch.
Dann zog er sich einen Stuhl hervor und ließ sich frech darauf nieder. Der Typ hat wohl Benehmen in seiner Kinderstube nicht gelehrt bekommen, dachte Maddy wütend. Was bildet der sich ein?
„Ach ja?“, fragte sie nun, „und warum bitte sollte ich das tun?“
Max beugte sich über den Tisch: „Weil du einen ganz besonderen Ausflug bekommst in den magischen Santa Park außerhalb des Resorts. Und zwar mit mir!“ meinte er selbstbewusst. „Du wirst die Magie schon wieder finden, Maddy, bitte vertraue mir.“ sah er sie nun fast flehend an.
Maddy sog tief die Luft ein.
„Soso, und warum bitte sollte ich das annehmen?“ fragte sie patzig. Max bestellte sich beim Kellner einen Kaffee und wandte sich dann wieder Maddy zu.
„Weil ich weiß, dass du es gerne möchtest!“
„Was möchte?“
„Na die Magie von Weihnachten wieder finden. Wieder an den Weihnachtsmann glauben, an Wunder glauben, an die Liebe glauben.“
„Wie kommst du darauf, dass ich nicht mehr an die Liebe glaube?“ fragte Maddy verdutzt.
Sah man ihr das etwa an? Maddy fühlte sich gerade sehr unwohl in ihrer Haut. Da war ein Kerl, der ihr immer wieder begegnete, der null ihr Typ war, der sich mit Elfenstaub unsichtbar machte und, für den sie wohl aus Glas war.
„Das höre, sehe und fühle ich, Maddy, du wurdest wohl zu viel verletzt im Leben, nicht wahr?“ Maddy fing an zu stottern.
„Wie, wie kommst du auf die Idee, ich würde solche privaten Dinge mit einem Fremden besprechen? Ist das nicht ein wenig unverschämt?“
Max senkte die Augen und spielte verlegen mit seinem Kaffeelöffel. „Nun ja, vielleicht ein wenig forsch, aber nur so kann man etwas erreichen. Also, sagst du zu? Ich verspreche dir, du wirst es nicht bereuen!“
Der bittende Ausdruck seines Gesichts brachte Maddy zum Schmunzeln. Auch wenn sie sein Benehmen nicht gerade toll fand, fiel es ihr schwer, diesem Kerl wirklich böse zu sein. Doch was beabsichtigte er mit dieser Einladung? War es reine Freundlichkeit? Oder ungehobelte Anmache? Letzteres war wirklich das Letzte, das sie brauchte. Gegen einen Kumpel, der einen ablenkt und zum Lachen bringt, hatte sie jedoch nichts. Sie nahm sich allerdings vor, das gleich klarzustellen. Sie lehnte sich weit zurück in ihren Stuhl und sah ihn an:
„Dass du kein besonders tolles Benehmen hast, weißt du sicher selbst, aber du bringst mich zum Lachen und ich habe nichts gegen ein bisschen Gesellschaft. Aber ich sage dir gleich, wenn du dir mehr erhoffst, da bist du bei mir an der falschen Stelle.“ meinte sie freundlich, aber bestimmt.
Max winkte lachend ab. „Jaja, ich weiß ja, du glaubst nicht mehr an die Liebe. Aber sei dir sicher, meine Absichten gehen ganz sicher nicht in diese Richtung.“ Maddy wusste nicht wieso, aber sie meinte plötzlich einen traurigen Ausdruck in seinem Gesicht zu sehen. Doch das schien nur Sekunden, dann grinste er auch schon wieder.
„Also ist das ein Ja?“ Maddy gab sich geschlagen und lachend meinte sie: „Ho ho jo, auf in den Santa Park!“
Und ja, sie freute sich jetzt richtig darauf, denn sie wusste, mit Max würde dieser Tag sicher kurzweilig werden.

Eine halbe Stunde später saß sie bei Max im Auto und war um Einiges weiser. Natürlich hatte sich Max nicht anhand des Sternenstaubes aufgelöst, sondern er lebte in Rovaniemi. Und sein Auto, in dem sie jetzt zusammen saßen, hatte er am Flughafen abgestellt. Das hatte er ihr erklärt, als sie ihn fragte, woher er das Auto habe. Sicher fuhr Max jetzt durch die verschneite Landschaft, und Maddy wollte mehr über ihn wissen.
„Ok“, meinte sie, „du lebst also hier in Finnland. Aber was machst du im Resort?“
Max grinste sie an. „Hm, das werde ich dir später zeigen, bleibt erst mal eine Überraschung. Aber was machst du denn hier, wenn du nicht an die Magie von Weihnachten glaubst?“
Maddy senkte die Augen. „Ich liebe die Magie von Weihnachten, kann sie im Moment nur nicht so empfinden. Und ich glaube eben nicht an den Weihnachtsmann.“
Maddy überlegte, ob sie ihm von Jens erzählen sollte. Irgendwie hatte sie das Gefühl, Max ewig zu kennen und ihm vertrauen zu können. Aber dann entschied sie sich dafür, nur die Geschichte von ihrem Gewinn zu erzählen. Max sah sie daraufhin erstaunt an.
„Und du weißt nicht, wer das sein könnte, der für dich mitgespielt hat?“ Maddy schüttelte den Kopf.
„Nein, wirklich nicht. Ich wüsste echt nicht, wer das hätte sein können.“
„Das ist wirklich sonderbar.“ „Ja, Max, das ist es wirklich. Aber da ich schon als Kind immer hierher wollte, bin ich eben geflogen.“ Max sah sie an.
„Das hätte ich genauso gemacht!“

Sie fuhren nicht lange, bis sie am Santa Park ankamen, und Max hatte nicht zu viel versprochen! Hier musste der Weihnachtsmann einfach wohnen! Es war ein reines Weihnachtsmärchenland mit Elfen, Weihnachtsbäckerei, Fahrgeschäften und vielem mehr. Beide wurden an diesem Tag wieder ein wenig wie Kinder, und wenn hier keine Weihnachtsmagie herrschte, wo dann? Sie hatten riesigen Spaß, und der machte hungrig. So lud Max Maddy gegen Mittag zum Essen ein, und sie nahm dankend an. Er hatte wirklich absolut keine Annäherungsversuche gemacht, und das rechnete Maddy ihm hoch an. Nachdem sie bestellt hatten, griff Maddy zu ihrer Coke und wollte von Max wissen, warum er so gut Deutsch sprach.
„Ich bin zweisprachig aufgewachsen, meine Mutter ist Deutsche, mein Vater war ein Finne“, antwortete er auf Maddys Frage.
Maddy nickte verstehend. „Und was hast du in Deutschland gemacht? Sorry, wenn mich das nichts angehen sollte.“
Max winkte lächelnd ab: „Nein Quatsch, warum denn sorry? Das ist doch kein Geheimnis. Ich habe Mark besucht. Ich verstehe mich furchtbar gut mit meinem Cousin, und darum besuchen wir uns immer mal gegenseitig. Dieses Mal hat er mir den Taunus im Winter zeigen wollen. Es war großartig auf dem Feldberg. In ein paar Tagen will er dann hier mal reinschneien und bleibt über Weihnachten. Und du, was treibst du so, wenn du nicht gerade fremden Männern deine Lollys in die Haare schmierst?“
Maddy musste lachen. „Dann falle ich über Koffer“, scherzte sie, und fuhr dann fort: „Nein, natürlich nicht, ich bin Kinderpsychologin.“
Max sah sie erstaunt an. „Wirklich? Da wäre ich jetzt nie drauf gekommen.“
Maddy sah ihn schmunzelnd an. „Wieso? Traust du mir kein Studium zu? Oder eher nicht den Umgang mit Kindern?“
„Weder noch. Es ist nur...,“ er stockte, so, als hätte er Angst etwas Verletzendes zu sagen, „nun ja, ich meine, du scheinst so verletzlich. So in dich gekehrt. Man kann sich schwer vorstellen, dass du auch noch Traumas von Kindern tragen kannst.“
Maddy wurde ernst und seufzte. „Man sollte es verstehen und bearbeiten können, gemeinsam mit den Eltern. Man darf es aber natürlich nie zu nah an sich dranlassen, das würde einen auf Dauer kaputt machen.“
Max nickte verstehend. Er wusste nicht wieso, aber irgendwie schien es ihm, als hätte Maddy selber ein Trauma, ein kindliches Trauma, zu verarbeiten. Vielleicht würde sie sich ja eines Tages mal öffnen. Er schaute auf die Uhr. In einer halben Stunde würde es hier schon wieder dunkel werden, und es war grade mal halb drei. Er sah zu Maddy.
„Lass uns fahren, bevor es dunkel wird, Maddy.“
Maddy gähnte und nickte. Der Tag war schön, aber auch anstrengend gewesen, und sie freute sich auf ein heißes Bad. Max stand auf, griff nach Maddys Jacke und half ihr, ganz Gentleman, hinein. Sie bedankte sich und dachte daran, dass sie sich nicht erinnern konnte, dass Jens ihr auch nur einmal in die Jacke geholfen hätte. Da konnte er sich von Max eine Stange abschneiden.

Keine Stunde später lag sie gemütlich in der warmen Wanne und dachte über den vergangenen Tag nach. Warum machte Max so ein Geheimnis daraus, was er hier in Santa Claus Holiday Village tat? Es gab ja nur zwei Möglichkeiten. Entweder er arbeitete hier, oder er machte hier Urlaub. Sie würde es sicher bald erfahren.
Sie fand es toll, dass sie sich mit Max so gut verstand, ohne dass sie Angst vor mehr haben musste, denn das konnte sie sich nicht vorstellen. Und das lag weniger an dem Erlebnis mit Jens; Max war ihr einfach zu „nordisch“. Sie selber stand mehr auf den südländischen Typ. Maddy, die sich nach der Sache mit Jens das Rauchen wieder angewöhnt hatte, trocknete sich an dem Handtuch neben ihr die Hände ab und griff nach einer Zigarette, die auf dem Beistelltisch neben der Wanne lag. Ihre Gedanken schweiften nun von Max ab, und sie musste an ihren Vater denken. Ja, siehst du, Paps, nun bin ich doch hier. Du hattest ja nur Zeit für deinen Job und deine Geliebte. Maddys Herz zog sich zusammen bei dem Gedanken. Es tat immer noch weh, vor allem auch der Gedanke, dass ihr heiß geliebter Paps sie nach der Scheidung wohl einfach vergessen hatte. Das würde sie ihm wohl nie verzeihen können. Dass er sich in eine andere Frau verliebt hatte, das konnte sie heute in ihrem Alter besser akzeptieren. Aber dass er sein eigenes Fleisch und Blut ignorierte? Niemals! Niemals würde sie ihm das verzeihen. Ihr Weihnachtsgefühl war nach der Sache mit ihrem Vater damals eh hin gewesen, aber Jens hatte es nun ganz zerstört. Sicher, sie liebte noch genauso wie sonst die Vorweihnachtszeit mit allem Drum und Dran, nur konnte sie es eben nicht mehr fühlen. Dieses warme Gefühl innen drin, das sich sonst immer ausgebreitet hatte in dieser Zeit. Maddy seufzte nun und drückte die Zigarette aus. Es schmeckte ihr doch gar nicht, und sie nahm sich vor, so schnell wie möglich wieder damit aufzuhören.

Nachdem Maddy aus der Wanne gestiegen war, kuschelte sie sich gemütlich auf das große Sofa und griff zum Telefonhörer. Tanja würde bestimmt schon auf Neuigkeiten warten. Natürlich war die Freundin dann auch total aus dem Häuschen, als sie hörte, mit wem Maddy heute den Tag verbracht hatte.
„Du hast den Brad Pitt Verschnitt im Resort getroffen?“ Tanjas Stimme überschlug sich fast vor Aufregung. „Und einen ganzen Tag mit ihm verbracht?“ Tanja seufzte nun. „Wie viel Glück kann man haben, ich beneide dich, Süße.“
Maddy erstickte Tanjas Gedanken im Keim. „Stop, stop, stop! Es ist nicht so, wie du meinst, Tanja. Das ist rein freundschaftlich, Max interessiert mich null als Mann!“
Erneut ließ Tanja ein tiefes Seufzen hören. „Dir ist einfach nicht zu helfen, Maddy. Lass dir wegen so einem Kerl wie Jens bloß nicht dein weiteres Liebesleben versauen!“
Jetzt war es Maddy, die seufzte. „Verstehst du denn nicht, Tanja, dass ich jetzt einfach erst mal alleine mit mir sein möchte? Ich bin längst noch nicht offen für eine neue Beziehung und weiß auch gar nicht, ob ich mich überhaupt jemals wieder verlieben werde.“
Tanja gab es nun auf, auf Maddy einzureden, nahm ihr aber das Versprechen ab, sie mit Max auf dem Laufenden zu halten.
Maddy musste lachen. „Da wirst du wohl lange auf etwas Interessantes warten müssen.“
„Wer weiß, wer weiß...“ orakelte Tanja am anderen Ende der Leitung, bevor sie sich verabschiedete und auflegte.

Gegen halb sieben erhob sich Maddy und legte die Decke beiseite. Am liebsten wäre sie auf der gemütlichen Couch liegen geblieben, aber sie hatte sich mit Max zum Abendessen verabredet. Kurz überlegte sie, ihm abzusagen, fand das aber nicht besonders nett von ihr, nachdem er ihr so einen schönen Tag beschert hatte. Während sie sich schminkte, wanderten ihre Gedanken zu Jens. Wie lange hatte er sie wohl schon betrogen? Plötzlich fielen ihr einige Dinge ein, die sie nun in einem ganz anderen Licht sah. Der Wechsel seines Aftershaves – sicher hatte die Andere es ihm geschenkt. Sein abwesender Blick, wenn sie zusammen einen Film schauten. Maddy schob es damals auf Probleme in der Firma. Ach, so vieles sah sie plötzlich in einem ganz anderen Licht. „Naiv und dumm warst du, Maddy!“ sprach sie nun zu sich selbst. Ich sollte froh sein, ihn los zu sein, dachte sie jetzt und band ihr Haar zu einem Pferdeschwanz, der fröhlich hin und her wippte, als sie wie zur Bestätigung für sich selbst, kräftig mit dem Kopf nickte. Ja, an Jens hatte sie wirklich nichts verloren! Ein Klopfen riss sie aus ihren Gedanken. Das musste schon Max sein!

Impressum

Cover: Christine Bouzrou
Tag der Veröffentlichung: 20.11.2019

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