Cover

Nur ein Penner

Die ersten Frühlingsboten zogen mich nach draußen und ich beschloss eine Runde im nahe gelegenen Park spazieren zu gehen. Seit drei Monaten war ich Rentner. Nun hatte ich viel Zeit, die ich am liebsten mit meiner Colliehündin Bessy in freier Natur verbrachte. Unser schöner Park bot sich dazu regelrecht an. Mit seiner Pflanzenvielfalt, dem Springbrunnen und den vielen Bänken, auf denen man sich im Schatten der großen Bäume ausruhen konnte.Und auch für Tiere war er nicht zu verachten,da dort für Hunde kein Leinenzwang herrschte. Bessy genoss den Spaziergang in der warmen Frühlingssonne genauso wie ich. Ausgelassen tobte sie vor mir her, als auf einmal ein lautes Kindergeschrei seine Aufmerksamkeit auf mich lenkte. Nein, Geschrei ist nicht richtig, es war eher ein Gegröle. Vermischt mit ironischem Gelächter. Dazwischen hörte man ein verzweifeltes "Aufhören, hört doch endlich auf." Es war die Stimme eines Mannes. Ich beschleunigte alarmiert meine Schritte und lief in die Richtung in der ich die Kinderschar vermutete. Was ich sah, als ich nun mein Ziel erreicht hatte, ließ mich kurz ungläubig verharren. Eine Schar johlender Schüler bewarf einen alten in Lumpen bekleideten Mann, der, die Hände schützend über dem Kopf, verzweifelt versuchte dem auszuweichen; mit Steinen. Ich bemerkte, dass der Alte hinkte und wohl nicht fähig war wegzurennen. Ich lief noch einen Schritt schneller, soweit mein eigenes Alter es mir erlaubte, und schnappte mir den ersten Jungen den ich erreichte und hielt seine Hand fest, mit der er einen Stein umklammerte, bevor dieser sein Ziel erreichen konnte. Der alte Mann wimmerte nur noch und saß nun mit blutender Schläfe im Gras. Bessy lief zu ihm hin und beschnupperte ihn vorsichtig. Der Alte zuckte erschrocken zusammen. Ich nahm den Stein und warf ihn neben mich ins Gras. Die anderen Kinder hielten erschrocken inne. "Schämt ihr euch nicht? Was hat der Mann euch getan?" herrschte ich sie wütend an, zog ein Taschentuch aus meiner Manteltasche, beugte mich zu dem Alten herunter und presste es gegen seine blutende Schläfe. Dabei bemerkte ich, wie sehr sein ausgemergelter Körper zu zittern anfing. "Ist doch nur ein Penner."meinte einer der Jungs abfällig und schaute mich provozierend an. "Das ist ein Mensch."sagte ich immer wütender werdend," und weder Tier noch Mensch behandelt man so wie ihr das tut. Dafür gibt es keine Rechtfertigung! " "Was hat der da auf der Bank zu liegen und uns Platz wegzunehmen.."meinte der vorlaute Bengel weiter, die Anderen hielten sich verlegen zurück. Er war wohl ihr Anführer. Ich bemerkte, dass ich so nicht weiter kam. Der Junge wollte nicht verstehen oder sich keine Blöße vor seinen Kameraden geben. Nur ein Penner..ich überlegte, was diese Jugendlichen so gefühlskalt machte, dass sie, was auch immer, es an diesem alten Mann auslassen mussten. Doch ich wollte nicht richten. Aber ich fühlte mich verpflichtet zu erklären. Das durfte nicht noch mal passieren! Ich stützte den Alten und führte ihn zu der Bank. Er ließ sich schwer darauf nieder und lächelte mich dankbar an. Die Wunde schien Gott sei dank, nicht allzu schlimm zu sein und hatte schon aufgehört zu bluten. "Bist wohl von der Wohlfahrt."stichelte der Junge weiter, der wohl besonders lustig sein wollte und enttäuscht schaute, da keiner von seinen Kumpels lachte. Ich reagierte nicht und fragte in stattdessen nach seinem Alter. "Wüsste nicht, was sie das angeht."erwiderte er pampig. "Nun," meinte ich ruhig , "vielleicht geht mich das nichts an, aber ich denke mal, dass du über vierzehn und damit strafmündig bist. Was du, was ihr getan habt, ist Körperverletzung." Einen kurzen Moment sah ich so etwas wie Angst in seinem Blick, doch er hatte sich schnell wieder unter Kontrolle. "Na dann ruf doch die Bullen Opa, wenn es dich glücklich macht." sagte er scheinbar taff, doch das leichte Zittern in seiner Stimme war nicht zu überhören. "Alex, lass gut sein."traute sich einer seiner Kumpels einzuwerfen, was ihm einen vernichtenden Blick des Angesprochenen einbrachte. "So, Alex heißt du also." meinte ich zu ihm. "Was dagegen.?" war seine feindselige Antwort. Was hatte dieses Kind und für mich war es noch ein Kind, nur so hart gemacht. Irgendein Schicksal, von dem wohl keiner etwas wusste , genau wie bei diesem alten Mann , der beobachtend auf der Bank saß und sich nun zögernd traute Bessy über ihr Fell zu streicheln. Ich wollte es heraus bekommen. Verstehen und ihn wiederum verstehen lassen was ich ihm zu sagen hatte. Ich konnte vielleicht nicht die Welt retten, aber ich konnte auch nicht zulassen diese Kinder im Glauben zu lassen etwas Gerechtfertigtes getan zu haben... Ich holte tief Luft und schaute diesem Jungen direkt in die Augen." Weißt du, dass dies hätte Böse ausgehen können Alex? Du hättest dein Leben lang das Wissen mit dir herum tragen müssen einen Menschen das Leben genommen zu haben. Und auch ein"Penner", wie du es ausdrückst, ist ein Mensch. Ein Mensch, der genauso ein Recht auf Leben hat wie du und ich." "Meine Sache." war die knappe Antwort, die ich aber eigentlich auch schon erwartet hatte. Er war eigentlich ein hübscher Bengel, wenn seine Züge nur nicht so verbittert wären, was im krassen Gegensatz zu seiner Jugend stand.. Vorlaut fiel ihm eine seiner blonden Locken vor seine zusammengekniffenen Augen, die ein unbeschreibliches blau hatten. Seine Kleidung war einfach aber sauber. Ich sah nirgendwo ein Nikezeichen und auch kein Adidas zierte seine weißen Turnschuhe. Nein, wie ein verwöhntes Jüngelchen dem es zu gut ging, sah er meines Erachtens wirklich nicht aus. "Du hättest aber nicht nur dich, sondern wohl auch deine Eltern sehr unglücklich gemacht." versuchte ich zu erklären. Er schaute kurz auf. "Was gehen sie meine Eltern an.?" Ich sah ein leichtes Flackern in seinen Augen und wusste ich bin auf der richtigen Spur. Die anderen Kinder waren mittlerweile einer nach dem Anderen verschwunden und ich wunderte mich, dass er überhaupt noch da war. "Was bedeutet das Wort Penner eigentlich für dich Alex? Und hast du dich eigentlich nur einmal gefragt, was für ein Schicksal hinter so einem Menschen steckt? Du siehst nur, was du sehen willst Alex,aber hinterfragst du auch?" "Was soll ich da hinterfragen?," kam es schnippisch zurück," Ein Penner ist ein Penner. Stinkt, säuft und besetzt die Parkbänke. Letzter Abschaum halt." Er sah mich herausfordernd an. Ich gab ihm die Genugtuung nicht mich schocken zu können und blieb ruhig und sachlich. Ich schaute kurz nach dem alten Mann, der sich gerade eine Wasserflasche aus seinem alten Rucksack nahm, einen Schluck trank und dann etwas von dem Wasser in seine Hände schüttete und es Bessy reichte. Gierig schlabberte sie das Wasser aus seinen Händen und legte sich dann zufrieden vor seine Füße. Ich wandte mich wieder dem Jungen zu, der mich abwartend ansah. " Soso, meinte ich ruhig, „Abschaum also. Was weißt du von diesem Menschen Alex, dass dir das Recht gibt so zu urteilen. So viele Gründe können es sein , die einen Menschen dort hinbringen, wo dieser alte Mann nun ist, und das könnte dir , mir genauso passieren , wer weiß das schon." "Mir niemals.!" kam es viel zu schnell von ihm zurück . "Mich wird man niemals schlafend , schmutzig und stinkend auf einer Parkbank finden..!" Da lag etwas tiefer,das merkte ich an seiner Reaktion. Und das wollte ich herausbekommen. "Was macht dich da so sicher mein Junge? "fragte ich ihn und bemerkte, dass der trotzige Ausdruck seines Gesichtes sich mit einer tiefen Traurigkeit vermischte , die er aber krampfhaft versuchte zu verstecken. Alex trat nervös von einem auf den anderen Fuß. Die Richtung die das Gespräch nahm, schien ihm nicht zu gefallen. Und trotzdem blieb er. Sah mich herausfordernd an. "Ich werde niemals zu den Asozialen gehören.!" murmelte er nun in sich hinein. Er schien eine tiefe Angst in sich zu haben, dass dies dennoch passieren könnte. Woran lag das? Und seine Abneigung gegen den alten Mann, der mit Bessy spielte, und den er abwertend als Penner titulierte? Ich wollte es herausbekommen. Er konnte nicht von Grund auf schlecht sein, das glaubte ich nicht. Irgend etwas bedrückte diesen Jungen, das konnte auch sein aufgesetzter cooler Blick nicht verstecken. "Was verstehst du unter Asozial Alex? " fragte ich ihn nun ruhig. "Na asozial eben.." kam die ausweichende Antwort. Ich gab mich damit nicht zufrieden. "Wo fängt bei dir Asozial an mein Junge?" "Na schau dir den Penner an, dann weißt du es.!" kam die prompte Antwort. "Warum sollte dieser alte Mann asozial sein Alex? Nur, weil er ein Schicksal trägt, das wir beide nicht kennen? Urteilst du da nicht ein bisschen vorschnell? " Alex kickte einen Stein weg, der vor seinen Füßen lag und vermied es mir in die Augen zu sehen. " Was interessiert mich dem Penner sein Schicksal, meins interessiert ja auch keine Sau." Aha, hier musste ich also ansetzen dachte ich. Dieser Junge schleppte etwas mit sich rum, das war mir nun klar und ich wollte versuchen, dass er sich mir anvertraute. Kein leichtes Unterfangen, so abwertend wie er vor mir stand. Ich musste behutsam sein, denn im Grunde, dachte ich bei mir, möchte er reden. Wäre er sonst nicht schon längst mit den Anderen verschwunden? Fortsetzung folgt.....

Impressum

Texte: (c)Christine Bouzrou
Tag der Veröffentlichung: 15.04.2010

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Diese Geschichte und Namen sind frei erfunden..und doch kann sie überall passieren

Nächste Seite
Seite 1 /