Schlemmen wie Gott in Frankreich
Urlaub muss sein! Zumindest manchmal. Ich weiß nicht, ob es Ihnen genauso geht, aber mir kommt die dunkle Jahreszeit immer länger vor, je älter ich werde. Ich finde, das Nervigste ist nicht einmal die Kälte, nein, es sind eher die kurzen Tage, die mir auf den Senkel gehen.
Letztes Jahr hatten wir uns vorgenommen, wie einige unserer Freunde auch, den Winter Ende April mit einem fünftägigen Trip ins schöne Elsass zu verabschieden. Unsere Freunde hatten in einem verschlafenen Nest ein kleines Chalet aufgetan, in dem sie – wir hatten wohl Glück – zwei Doppelzimmer gebucht hatten. Mit Frühstück und Abendessen.
Der französischen Küche eilt ja ein gewisser Ruf voraus, so dass wir uns nicht nur auf die Reise als solche, sondern auch auf die bevorstehenden kulinarischen Höhepunkte freuten.
Nach einer eher beschwerlichen sonntäglichen Anreise – der Winter dachte nicht im Traum daran, sich zu verabschieden – erreichten wir gegen Mittag unser Urlaubsdomizil. Von außen wirkte es etwas anders als beschrieben und erwartet; es verbreitete den morbiden Charme einer Ruine. Aber was sollte es, was zählte, waren die inneren Werte.
Diese wiederum fügten sich mit dem Äußeren des Chalets zu einem harmonischen Ganzen zusammen. Unsere Unterkunft machte auch von innen einen reichlich maroden Eindruck. Zumindest, was die Zimmer anging. Die Gaststube war durchaus akzeptabel.
Wir erkundeten nach dem Einchecken zunächst einmal die nähere Umgebung, was bei dichtem Schneetreiben unsere geplante Verabschiedung des Winters geradezu ad absurdum führte.
Als der Abend nahte, trafen wir uns dann voller Vorfreude im Restaurant, um unser erstes Menü zu uns zu nehmen. Zu unserem Erstaunen waren wir die einzigen Gäste. Die Wirtin erklärte uns, nachdem wir sie um die Speisekarte gebeten hatten, dass eine solche nicht existiere. Stattdessen werde unser Menü täglich vom Koch persönlich zusammengestellt.
Das hörte sich gut an: Ein echter Maître de Cuisine, nur zu unseren Diensten!
Wir ließen uns also überraschen, und bestellten zunächst einmal Getränke. Eine Flasche Wein, eine Flasche Wasser und für mich ein Pils. Das mit dem Pils weckte irgendwelche finsteren Erinnerungen an die teutonische Lebensart in den Gehirnwindungen der Wirtin. Jedenfalls fragte sie noch mal nach, ob ich tatsächlich ein Bier haben wolle. Ich wollte.
Wenig später (das mit dem Bier hatte geklappt) wurde dann der erste Gang aufgetragen: eine Vorsuppe. Eine grüne Vorsuppe. Also was mit Gemüse oder mit vielen Kräutern. Eine Geruchsprobe ließ zunächst einmal offen, was der Maître da für uns gezaubert hatte.
Die folgende Geschmacksprobe leider auch. Die Suppe schmeckte, um es positiv zu formulieren, angenehm unaufdringlich.
Von der Konsistenz her gab sie ebenfalls das Geheimnis ihrer Ingredienzien nicht preis: Was auch immer in der Suppe war, hatte wohl durch den exzessiven Einsatz eines Pürierstabes jede erkennbare Struktur eingebüßt.
Schließlich – das Kind brauchte einen Namen – tauften wir die Suppe auf den schönen, wenn auch schmeichelhaften Namen „Erbsensuppe“.
Der Koch hatte wohl geahnt, dass wir ziemlichen Hunger haben würden, und deswegen beim Erwärmen der Suppe auf den übertriebenen Einsatz von Hitze verzichtet. Die Suppe, pardon, die Erbsensuppe, hatte irgendwie überhaupt keine Temperatur. Sie war so warm wie die Umgebung. Aber auch wieder zu warm, um als Kaltschale durchzugehen.
Dann der zweite Gang, das Hauptgericht. Ein echter Klassiker der französischen Küche: Kotelett mit Bratkartoffeln!
Aber auch hier leider Punktabzüge in der B-Note: Das Kotelett sah auf einer Seite (natürlich der Unterseite) aus, als sei es mit einem Schweißbrenner gegart worden, und die Bratkartoffeln waren wohl auch schon seit Mittag in der Pfanne gewesen.
Dann der dritte Gang: nein, Irrtum, kein dritter Gang. Na, dann eben nicht.
Da wir den dargebotenen Genüssen – es gilt ja als unfein, seinen Teller leer zu essen – nur verhalten zusprachen, beschlossen wir, das noch bestehende Kaloriendefizit mit Wein zu beseitigen. Und zwar nur mit Wein, Bier war irgendwie „aus“.
Der Wein, ein „Edelzwicker Faller“ (sprich: Edelzwikääh Fallääh“), war immerhin trinkbar. Aber mit vier Personen stellt eine Literflasche keinen ernstzunehmenden Gegner dar. Also orderten wir bei der Wirtin, die uns während der ganzen Zeit vom Tresen aus argwöhnisch beobachtete, eine weitere Flasche.
Die Wirtin fand das jetzt aber doch etwas übertrieben. Es gehe, so deutete sie an, doch jetzt schon stramm auf einundzwanzig Uhr zu. Und sie wolle ja auch mal ins Bett. Mit vereinten Kräften gelang es uns dann aber doch, sie zu überzeugen.
Mit der notwendigen Bettschwere versehen, begaben wir uns etwas später in unsere Zimmer.
Ich bin, wie auch meine Frau, überzeugter Frischluftschläfer. Und „Frischluft“ war für das, was in unserem Zimmer vorherrschte, eindeutig die falsche Bezeichnung. Es roch nach einer leicht säuerlichen Mischung aus nassem Hund und verbranntem Kotelett.
Auf mit dem Fenster! Leider keine gute Idee. Das Fenster war zugeschraubt. Und das wohl schon etwas länger, da die Schraubenköpfe unter einer dicken Schicht vormals weißen Fensterlacks steckten.
Na, dann nicht. Noch eine kurze Katzenwäsche (das Warmwasser war wohl schon auf Nachtabsenkung), Zähneputzen und ab ins französische Doppelbett. Hier die nächste Überraschung: Die Matratze und der Lattenrost sind völlig am Ende. Ich sacke so tief ein, dass ich damit rechne, gleich Bodenkontakt zu haben. Ein Schlafen auf dem Bauch oder auf der Seite ist undenkbar, da ich befürchte, mir das Rückgrat zu brechen oder mir ein Hüftgelenk auszukugeln.
Die Stunden werden zur Qual. Ich habe spätestens alle fünf Minuten das dringende Bedürfnis, meine Liegeposition zu verändern, um mir nicht irgendwelche Muskeln oder Sehnen zu überdehnen.
Und die Luft wird auch nicht besser, da unser Abendessen offensichtlich seinen Aggregatzustand von fest bzw. flüssig zu gasförmig wechselt.
Vielleicht auch dadurch bedingt, tritt bei mir schließlich ein Bewusstseinszustand ein, der auf der Grenze zwischen Ohnmacht und Schlaf liegt, und ich falle in ein traumloses Nichts.
Dann aber beginne ich wohl doch zu träumen. Und zwar einen Traum von der eher unangenehmen Sorte: Es ist Krieg! Überall donnern schwere Geschütze. Die Einschläge sind so nah und so heftig, dass ich mir einbilde, die Erde würde beben. Und es hört nicht auf.
Meine bessere Hälfte erlöst mich Gott sei dank aus diesem Albtraum und weckt mich.
Nur: Es ist immer noch Krieg! Oder besser, es klingt immer noch so. Das ganze Haus zittert. Die Quelle des infernalischen Getöses identifiziere ich nach ersten Fehlschlüssen als Presslufthammer. Und zwar innerhalb des Hauses. Oder direkt vor der Tür unseres Zimmers. Und der Wecker zeigt fünf nach sieben. Welch gelungener Beginn des ersten Urlaubstages.
Aber erst mal ab unter die Dusche. Das Wasser ist diesmal nicht nur nicht warm, sondern abgestellt. Ich liebe einen solchen Start in den Morgen!
Wir verlassen wenig später unser Zimmer und finden im Treppenhaus, das völlig in Staub gehüllt ist, einen netten Herrn vom Format „quadratisch, praktisch, gut“, der die Bedienung des Presslufthammers geradezu virtuos beherrscht und dabei ist, den Fußboden aufzubrechen. Eine Wand liegt bereits in Trümmern.
Das Frühstück ist bei annähernd 110 Dezibel auch nur eine Sache von Minuten, dann verlassen wir fluchtartig unsere Bleibe.
Den Tag verbringen wir überwiegend im Freien, auch wenn der Winter immer noch das Sagen hat. Aber der Frühling naht unübersehbar: Erste Narzissen stecken ihre Blüten aus dem Schnee, was mich innerlich tief berührt.
Für alle Fälle besorge ich mir im Laufe des Tages ein Sixpack Bier – man kann ja nie wissen. Jedenfalls habe ich nicht vor, am kommenden Abend wieder Wein zu trinken. Biertrinker verstehen mein Problem: Wer sonst immer nur Bier trinkt, konsumiert Wein in der gleichen Menge und mit dem gleichen Tempo. Es bedarf nur einer geringen Phantasie, um sich die Folgen auszumalen.
Des Abends dann sitzen wir wieder im Speisesaal und harren der Dinge, die da kommen werden. Unsere Freunde sind nach den gestrigen gastronomischen Erlebnissen zu der Überzeugung gekommen, dass – es war ja Sonntag – der Koch nicht im Hause war und unser Menü auf das Schaffen einer willigen, aber talentfreien Aushilfskraft zurückzuführen war.
Der erste Gang naht. Heute gibt es wieder eine Vorsuppe. Eine grüne Vorsuppe. Und zwar die gleiche wie am Vortag. Auch wieder „wohltemperiert“. Da wir finden, dass etwas Abwechslung auf dem Speiseplan nicht von Schaden wäre, taufen wir die grüne Brühe heute in „Zucchini-Kerbel-Creme“ um. Schmeckt auch gleich ganz anders.
Der weitere Abend läuft dann nach dem Muster des Vortags ab. Nur mit dem Unterschied, dass ich diesmal Bier trinke. Mein Bier, da die Wirtsleute irgendein mir unverständliches Nachschubproblem haben. Die Selbstversorgung freut sie zwar nicht, aber mich. Ach so, es gibt heute kein Kotelett. Heute gibt’s Forelle. In der Kohlestaub-Panade. Außen knusprig, innen lustig. Dazu einen grünen Salat, der das Prädikat „knackig“ als persönlichen Affront werten würde.
Am nächsten Morgen haben wir ein weiteres Déjà Vu: Punkt sieben Uhr wirft dieser „Gerard Dépardieu für Arme“ wieder seinen Presslufthammer an. Wir stimmen uns kurz ab und beschließen, noch heute abzureisen.
Zwei Stunden später: Wir sind auf dem Heimweg. Erst mal duschen. Und dann will ich für uns alle was Gutes kochen. Ob ich eine Vorsuppe machen sollte? Nein, heute nicht. Außerdem habe ich vergessen, den Maître nach seinem Rezept zu fragen.
Merke: Vive la neutralité de la soupe verde! (Es lebe die Neutralität der grünen Suppe!)
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Weitere Infos und Leseproben auch unter
http://www.sag-beim-abschied-leise-Service.de
Texte: alle Rechte beim Autor
Tag der Veröffentlichung: 23.08.2011
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