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Die Unvollendete


Nach langem Suchen entschieden wir uns für eine internetkonnektierte, sich selbst updatende Premium-HiFi-10-Kanal-Audio-Surround-Anlage mit zwei Extra-Subwoofern, bluetoothverbundenen Aktiv-Standlautsprechern plus Soundbar mit integrierten Lichteffekten, Edel-Vinylplattenspieler mit spezial gelagerter Titanplatte, High-End-AV-Receiver mit Satellitenempfang, 2 x 300 Watt Endstufe, WLAN-, UMTS- und EFXXL-Anschluss im modernen Neo-Vintage-Design mit Anbindung an die noch zu installierende, intelligente Haussteuerung. Meine Gattin steht der einfachen Technik ja seit jeher ängstlich gegenüber, aber ich konnte sie überzeugen, dass diese Anlage das Minimum des Musthave des Lifestyles des digitalen 21. Jahrhunderts sei. Nur bei der Color ließ ich mich überstimmen. Statt titanblaumetallic mit antistatischer und fluoreszierender Nanobeschichtung kauften wir ein Dekor in einfachem mattem Schwarz.
Die Beratung und der Service in dem ausgesuchten Fachgeschäft waren erstklassig und die Lieferung würde frei Haus erfolgen. Das Ansinnen des servilen Salesmanagers, den Anschluss der Anlage durch ihren Homeservice vornehmen zu lassen, wies ich entrüstet zurück. Ich klärte den guten Mann auf, dass ich selbst mit allen Fragen der Elektro-, Audio- und IT-Technik sowie der Programmierung bestens vertraut sei. Meine Ehefrau warf mir zwar einen irritierten Blick zu und wollte dem etwas hinzufügen, aber ich überging ihren Einwand nonchalant und beruhigte sie mit dem selbstbewussten Lächeln des Fachanwaltes für europäisches Wirtschaftsverwaltungsrecht.
Um die ganze hochwertige Technik stilgerecht unterzubringen, kaufte ich am nächsten Tag im Baumarkt noch schnell ein weißes Einbauregal und, da im Sonderangebot, selbstklebende LED-Lichtleisten für die Hinterwandbeleuchtung.
Nach nur 23 Wochen Wartezeit wurde unsere neue Musikanlage durch eine Fachspedition geliefert. Ich hatte für diesen Tag, es war ein Freitag, alle Meetings abgesagt, um die Anlieferung persönlich überwachen und die Qualität der Ware sofort begutachten zu können. Insgesamt 23 große Pakete wurden mit von mit verlangter höchster Sorgfalt entladen und in unsere Living Area verbracht. Noch während meine Gattin die Lieferanten abschüttelte begann ich mit der Enthüllung der Geräte. Höchste Glücksgefühle durchfluteten mich, als ich die einzelnen Teile endlich in meinen Händen hielt, sie von allen Seiten bewunderte und dann systematisch auf dem Parkett ablegte. Leider musste ich nach vier Stunden bereits eine erste kleine Pause einlegen, meine Gemahlin drängte zu einem verspäteten Finger-Food-Lunch im Schlafzimmer. Sofort danach machte ich mich wieder an die Arbeit und schon gegen 22 Uhr hatte ich alle Komponenten fertig zur Installation breitliegen. Die dazu notwendigen Geräte und Tools hatte ich selbstverständlich schon vor Tagen vollständig und auf einwandfreie Funktion getestet auf dem Esstisch bereit gelegt.
Nachdem Frau und Kinder endlich zu Bett gegangen waren, konnte ich mich ungestört dem Aufbau widmen. Ich arbeitete höchst konzentriert und nach einem vorab genau ausgeklügelten Ablaufplan und so machte die Installation gute Fortschritte.
Zwischen fünf und acht Uhr morgens gönnte ich mir eine kurze Regenerationspause und nach einem kleinen Frühstück (ein Toast, drei doppelte Esspressi) startete ich nun richtig durch. Ein unvorhergesehenes Problem, im Installationsbereich war nämlich nur eine Steckdose vorhanden, nahm ich mit elegantem Schwung indem ich zwei weitere Stromkabel mittels Mauerdurchbrüchen von der Küche und dem Kinderzimmer zu verlegte. Während die Familie den Bauschutt entsorgte und die Wohnung vom Staub reinigte, begann ich mit der anspruchsvolleren Aufgabe, nämlich dem Konnektieren der verschiedenen Systeme.
Der Nachmittagstee (eine Kanne Schwarztee und vier Quattroesspressi) war für die Aufrechterhaltung der dazu erforderlichen Leistungsfähigkeit durchaus willkommen.
Schon gegen acht Uhr abends war dieser wichtige Abschnitt vollendet. Die heikelste Aufgabe war jetzt natürlich noch das Hochfahren und Vernetzen der Systeme. Dazu dekonnektierte ich wieder die Komponenten, programmierte sie einzeln und schon gegen zehn Uhr, ich hörte die Kirchenglocken zum Sonntagsgottesdienst rufen, begann ich wieder mit dem Verkabeln.
Nun zeigte sich ein weiteres kleines, jedoch ärgerliches Hindernis. Der Verstärkerstecker eines Subwoofers bestand aus einem deutlich minderwertigeren Material und zerbrach beim Versuch des Konnektierens mit der SAT-Anlage.
Also musste ich in mühevoller Kleinarbeit mit dem mir zur Verfügung stehenden Restmaterial einen neuen Stecker fabrizieren. Nach fünf Stunden Tüfteln war die handwerkliche Meisterleistung jedoch vollbracht. Das leichte Spiel in der Buchse konnte ich mit Hilfe eines Stückes Golddraht von einer Brosche meiner Frau schnell beheben.
Kurz vor dem Dinner war das Werk schließlich vollendet.
Die Installation war fest eingebaut, alle Komponenten verkabelt, die SAT-Anlage betriebsbereit, die Software aktualisiert und das ganze System online. Und mein vierzehnjähriger Sohn hatte, natürlich unter strenger Aufsicht, die LED-Lichtleiste befestigt und angeschlossen.
Während meine Gattin den wieder frei gewordenen Esstisch deckte, ließ ich meine Kinder aufräumen und den Müll in die Garage bringen.
Nach dem wundervollen Dinner war ich doch leicht erschöpft, aber mit Hilfe von größeren Mengen starken Cafe cremas mit Schuss kamen die Kräfte zurück und wir konnten nun endlich, endlich unsere neue Surround-Premium-HiFi-Anlage in Betrieb nehmen.
Dazu dämpften wir das Licht in der Wohnung und verteilten uns gemütlich über die Lounge chairs unserer Living Area. Auf mein Zeichen hin schaltete mein Sohn die LED-Beleuchtung ein und uns entfuhren beim Anblick des warmen und bezaubernden Lichtes Rufe des Erstaunens und der Bewunderung. Nach einer kurzen Ansprache meinerseits, in der ich nochmals auf die Grundkonzeption, die innovative Technik, die unendlichen Möglichkeiten der Anlage und natürlich auf die ökologische Nachhaltigkeit der Systeme einging, schaltete ich den Netzschalter an der Multifunktionssteckerleiste ein.
Dutzende Lichter im System begannen zu blinken, ein leises Sirren drang aus den Boxen und die Subwoofer ließen ein tiefes, zufriedenes Brummen hören. Ich legte sehr sorgfältig meine Lieblingsvinylplatte mit Franz Schuberts Sinfonie in h-Moll auf und regelte die Lautstärke nach oben. Die Celli und Kontrabässe erklangen in einer nie gehörten Qualität und Klangfülle und ein Schaudern durchlief mich von Kopf bis Fuß. Ich kenne das Stück natürlich genau und war gerade vollständig durchdrungen von dieser genialen Musik als ich einen winzigen Missklang wahrnahm. Ich schloss die Augen und konzentrierte mich ganz auf dieses Geräusch, welches von einem zarten Zischen in ein Brutzeln, schließlich sogar in ein leises Brodeln überging. Gerade als ich die Ursache des Geräusches in einem Staubkörnchen auf der Platte zu erkennen glaubte, rief meine Frau laut: „Da kokelt doch was!“
Ich riss die Augen auf und sah gerade noch einen weißbläulichen Lichtblitz als die Musik mit einem Schlag verstummte und die ganze Anlage erlosch. Die Totenstille dauerte lange, sehr lange. Nur diese LED-Lichterkette leuchtete weiter ihr höhnisches fahlgelbes Friedhofslicht und der Geruch von verschmortem Plastik zog durch die Räume.
Endlich drehte meine Frau ihren Kopf zu mir hin, schaute mich ganz lieb an, lächelte und flüsterte: „Komm, wir gehen ins Bett. Den kleinen Wackelkontakt kannst du morgen reparieren. Und die Beleuchtung ist wirklich hübsch.“
Ich lächelte etwas unsicher zurück und sagte: „Du hast recht, mein Schatz. Mehr war heute wirklich nicht möglich.“
Und morgen rufe ich vom Büro aus den Typen aus dem Geschäft an, er soll mir sofort seinen Techniker schicken.


Impressum

Texte: C.A. Prikorn
Tag der Veröffentlichung: 21.07.2012

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