Behind Paint And Plain Paper
An einem Ort, der sich in unendlichen Weiten, zwischen sanften Hügeln und smaragdfarbenen Wäldern fand, stand einst ein strahlend weiser Palast.
Er thronte auf einer Klippe, unter dem steilen Grat preschten Wellen aus kristallblauem Wasser gegen den Stein und wuschen alles fort, was nur in ihre eisigen Fänge geriet und jeden Abend, wenn die Sonne vom blutenden Zenit wich und in ebendiesen Fluten ertrank, blickte die Tochter des Schlossherren auf diesen Ozean voller Träume herab und sehnte sich nach seinen unendlichen Weiten.
Jeden Abend glitten ihre funkelnden Smaragdaugen über die Welt, um zu sehen, was sich wohl getan hatte, seitdem sie das letzte Mal ihren Blick hatte schweifen lassen.
Sie liebte die Freiheit, die Weiten der Welt und alles Unbekannte, wahrlich sie liebte es fast so sehr wie ihr Vater sie liebte. Darum ließ er sie ziehen, Tag ein Tag aus zog das Mädchen mit ihm umher, um die Welt zu erkunden.
Sie sah so vieles, von den goldenen Hügeln in den Steppen fern ab des Meeres, über die kargen Steppen der kupfernen Wiesen, den weisen Bergen mit ihren Eisspitzen, bis hin zu den grünen Smaragdwäldern, die auch das Schloss umgaben. Doch am meisten liebte sie das Meer und sein flüstern. Welche Geschichten es ihr wohl zuflüsterte? Manchmal wünschte sie sich sie könnte sie verstehen und manchmal glaubte sie es zu können. Das Flüstern und Rauschen des Meeres ist der Klang der Stimmen derer, die in seinen Fluten ihr Leben ließen. Manchmal war es ein leises Flüstern, manchmal aber ein gar grausiges, ohrenbetäubendes Tosen. Dies hatte ihr geliebter Vater erzählt und daran glaubte das Mädchen, selbst als viele Sonnen im Meer ertrunken und aus dem kleinen Mädchen eine junge Frau geworden war, glaubte sie noch fest an die Worte ihres geliebten Vaters.
Doch von dem kleinen Mädchen war kaum mehr übrig als blasse Erinnerung, denn nun war sie groß und wunderschön geworden. Wie Smaragde leuchteten ihre Augen aus dem Gesicht, Haar, wie gesponnenes Kupfer floss in Strömen über ihren schlanken Körper. Oh wie sehr sie ihrer Mutter glich. Mit jedem Tag der verstrich wurde sie ihr ähnlicher und mir jedem Blick, den ihr Vater auf sie richtete, bohrte sich ein neuer Dolch in sein schmerzendes Herz. Welch grausam Strafe dies doch war, ließ man ihm eine Tochter, als Abbild seiner geliebten Frau. Zwar liebte er auch sie, doch sie vermochte es nicht seine Frau zu ersetzten. Gram trübte sein Antlitz und er sehnte sich so sehr nach seiner Frau, dass es ihn gar krank machte. Hinzu kamen Sorgen, denn seit ewigen Zeiten beutelten Not und Armut das Reich und die wenigen, die alles hatten, schürten den Hass der vielen, die sich nichts teilten, um zu überleben.
Doch dies lag in weitester Ferne seines Interesses, er hatte mehr als genug, doch nicht das was er wollte. So sehr er seine Tochter als Kind geliebt hatte, so sehr wuchs sein Hass auf sie mit jedem Tag den sie älter wurde. Zwar sah er sie nur abends, denn des Tages streifte sie umher, doch wenn er sie erblickte, nahmen der Schmerz und der Hass die Überhand. Ihre Mutter, seine geliebte Frau, hatte ihr Leben gelassen, um ihr ihres zu schenken. Sie war das Einzige was ihm von seiner geliebten Frau geblieben war, doch er wollte sie nicht mehr, er ertrug sie nicht. So brach der Tag an, an dem sie vor ihm stand und ihm ihr schönstes Lächeln schenkte. Es war der Tag an dem sie ihrer Mutter bis aufs Haar glich. Nun war es um den Vater geschehen, seine Augen voller Tränen, das Herz voller Hass und Gram beschloss er, dass es an der Zeit war sie von sich zu weisen. Doch allem zum Trotz brachte er es nicht übers Herz sie zu töten.
So fragte er seinen Freund um Rat und dieser riet ihm sie doch zu verheiraten, da dies auch ihm einen ordentlichen Profit bringen würde. Wahrlich, die Schönheit seiner Tochter war Gold wert. Also schickte er seine Diener aus, um den wohlhabendsten Mann zu finden, und diesem die Tochter anzupreisen.
Es dauerte kaum lange bis ein Mann in goldenen Kleidern am Hof des Vaters erschien und seine Tochter wollte. Als Geschenk brachte er ihm ein Bild seiner Tochter gerahmt in purem Gold, mit Augen aus Smaragden. Er glaubte seine Frau vor sich zu sehen und geblendet von dem Ebenbild und dem Gold schickte er nach seiner Tochter und der Mann nahm diese mit sich.
Der Vater aber wusste nicht um den Schmerz und das Leid seiner Tochter, denn diese wollte nicht fort, wollte nicht verstehen warum er sie von sich gab. Doch er sah ihre Tränen nicht, hörte keinen ihrer Schreie und auch nicht ihr Flehen, er hatte sich in das goldgefasste Abbild seiner Frau verliebt, die der Mann ihm zum Tausch gegen seine bildschöne Tochter gegeben hatte.
Der Mann aber zog die junge Frau fort, es half kein Bitten und Flehen, unerbittlich schleifte er sie mit sich in sein Schloss. Inmitten undurchdringlicher Wälder lebte sie nun, gefangen in einer Festung aus goldenem Stein mit Türen, so hoch, dass sie sich in das Antlitz des Himmels zu bohren schienen. Erst ließ er sie ziehen, wie sie wollte, überhäufte sie mit den prunkvollsten Gaben und sorgte dafür, dass es ihr an nichts fehlte. Doch die junge Frau wollte keine Schätze, alle Reichtümer der Welt waren ihr egal, sie wollte zurück zu ihrem geliebten Vater und dem Meer. Eines Tages versuchte sie zu fliehen, doch ihr neuer Mann sperrte sie voller Zorn in eine Kammer des höchsten dieser goldenen Türme.
Dieser Raum hatte keine Fenster, einzig eine kleine Tür, durch die ihr Mann ab und an trat um sie hervor zu holen, wenn er Besuch geladen hatte, oder sie auf seinen Festen herzeigen wollte. Wie eine Puppe fühlte sie sich inmitten all dieser Leute, die sie bewunderten, mit ihr Tanzten und sie in die schönsten Kleider steckten. Sie fühlte sich nicht allzu einsam, wenn sie da waren, doch alsbald der letzte Gast verschwunden war stieß der Mann sie erneut zurück in die Kammer des Turmes und die Einsamkeit brach über die Frau herein wie eine Welle des Kristallmeeres, das sie so sehr vermisste. Ihr fehlte sein Flüstern, sein Glitzern und Funkeln und die Geschichten die ihr Vater ihr erzählte als sie klein gewesen war. Doch dies war alles lange vergangen, zu Staub auf dem Antlitz der Jahre geworden die sie nun in ihrem Herzen trug. Einzig die Erinnerung war da, doch selbst sie vermochte es nicht sie über ihre Einsamkeit hinweg zu trösten. Jeden Tag wanderte sie in ihrer Turmkammer umher, doch eines Nachts erklang ein Flüstern, wie sie es noch nie zuvor vernommen hatte. Erst mutete es an als würde das Meer nach ihr rufen, doch dann merkte sie, dass die Stimme aus den Steinen zu kommen schien. Behutsam und von Neugierde getrieben stieg sie aus ihrem prunkvollem Bett und wanderte der Stimme nach. Sie schien hinter dem schweren, goldenen Spiegel heraus zu flüstern. Behutsam schob sie den Spiegel beiseite und eine kleine, unscheinbare Tür kam zum Vorschein. Das Flüstern der Stimme wurde lauter und nun vernahm sie erst ihren vollen, tiefen Klang. Faszination und Neugierde weckten das Verlangen hinter die Türe zu blicken. Die junge Frau drehte an dem Knauf und wieder all ihrer Erwartungen sprang die Tür mit einem leisen Klicken und Knarzen auf. Sie hob den Saum ihres Kleides, das beinahe vom selben dunklen Smaragdgrün wie ihre Augen waren, bückte sich und schritt über die Schwelle, hinein in einen winzigen, kargen, fensterlosen Raum. Die Stimme hatte an Körper gewonnen, doch die Frau erblickte niemanden dem sie gehören konnte, der Raum war leer. Sie wandte sich um und ihr Blick fiel auf ein großes Bild, das die Lichtung eines grünen Waldes zeigte. Vorsichtig trat die Frau an das Bild heran, die Stimme klang nun voll und nahe. Sie erzählte eine Geschichte. Behutsam strich sie mit ihren schlanken, weißen Fingern über das Gemälde. Doch ihre Finger glitten nicht über raues Leinen, sondern über grünen Efeu und knorrige Baumstämme. Erschrocken zog sie die Hand zurück, voller Unglauben trat sie noch näher an das Bild und streckte die Hand danach aus. Doch ihre Finger griffen ins Leere, sie wankte, stolperte über den Saum ihres prächtigen Kleides und stürzte, stürzte hinein in das Bild!
Grünes Gras kitzelte sanft ihre rosigen Wangen, ein Windhauch zerrte an Strähnen ihres kupfernen Haares und spielte mit ihrem wallenden Kleid. Die Stimme war nun lauter und klarer als zuvor. Erschrocken schlug sie die Augen auf und blickte in das Gesicht eines jungen Mannes, der vor ihr stand und sie besorgt anblickte. Er streckte ihr seine Hand entgegen um ihr aufzuhelfen, doch sie schreckte zurück, unfähig zu glauben was passiert war. War sie in ein Bild gefallen? So schien es, doch es konnte nicht sein! Sie rief sich selbst zur Ordnung und rappelte sich unter dem besorgten Blick des Mannes auf. Er fragte sie nach ihrem Namen, doch sie war unfähig zu sprechen. Ihre Augen hafteten an dem Mann, ihre Ohren hingen am Klang seiner Stimme. Seine Augen waren vom selben, dunklen Blau wie der Nachthimmel über ihnen, ebenso sein Gewand war aus blauer Seide, verziert mit goldenen Elementen. In seinen Augen glitzerten silbrige Lichter, wie Splitter von Sternen. Goldenes Haar war zu einem Zopf zusammengefasst und schimmerte im Mondlicht. Der Mond, wie lange hatte sie ihn nicht gesehen! Sie blickte um sich und der Mann griff ihre Hand und bot ihr an, ihr seine Welt zu zeigen.
So führte er sie durch das Blätterdach, bis die Sonne durch die Kronen der Bäume brach. Sie musste fort, zurück! Voller Kummer klagte sie dem Mann ihr Leid und dieser schickte sie zurück in ihre Welt, mit dem Trost des Wiederkommens.
Doch sie wollte nicht fort, sie wollte der Stimme des Mannes lauschen, die so klang wie die ihres geliebten Meeres, aber als sie die Augen aufschlug fand sie sich erneut in dem leeren Raum hinter dem Spiegel. Schnell schlüpfte sie durch die Tür und schob das goldene Stück erneut davor um sie zu verbergen. Plötzlich wurde das klappern von schweren Stiefeln auf der Treppe laut, kaum einen Augenblick später wurde die reich verzierte Tür zu ihrer Kammer aufgestoßen und ihr Mann trat in den Raum. Mit ihm kamen die Diener, die Kleider und Stoffe schleppten. Es würde wieder ein Fest geben. Sie wich zurück als ihr Gemahl auf sie zukam und sie an sich zog, voller Ekel wand sie sich, doch es gab kein Entrinnen aus seinen grässlichen Klauen. Mit einem Mal aber wurde er stumm. Verwunderung erfüllte den Raum, Angst breitete sich in den Augen der Frau aus, als ihr Gemahl ein kleines Efeublatt aus ihrem kupfernen Haar zog und es zornig zwischen seinen wulstigen Fingern zermalmte. Zornig fragte er wo sie gewesen sei, doch als sie beteuerte das Schloss niemals verlassen zu haben, glaubte er ihr nicht. Voller Zorn stieß er sie gegen den Spiegel. Er zerbarst und eine messerscharfe Scherbe bohrten sich wie ein glänzender Dolch in das bildschöne Gesicht seiner Frau. Sie heulte auf vor Schmerz, doch ihr Gemahl beachtete sie nicht, er hieß die Diener sie anzukleiden und in den Saal zu geleiten. Warmes Blut floss über ihre Wange, sie wimmerte und presste die Hände auf das schmerzende Gesicht, doch die Diener taten wie ihnen geheißen und kleideten die Frau in ein prächtiges, meeresblaues Kleid. Immer noch floss Blut aus ihrer Wunde, die sich quer über ihre Wange zog und rote Blumen erblühten auf dem meeresblauen Stoff, mit jedem Tropfen Blut der ihn benetzte erblühte eine weitere. Die Diener zerrten die schluchzende Frau in den Saal, ihr Gemahl saß auf seinem goldenen Thron und blickte grimmig auf sie herab. Unzählige Menschen tummelten sich im großen Feststahl, sie alle starrten sie an, doch dieses Mal erfüllte nicht Neid oder Bewunderung ihre Blicke nein, ihre Augen waren voller Furcht. Ein Raunen ging um, Finger wurden gehoben und zeigten auf die Frau, auf den langen, blutig roten Schnitt auf ihren blassen Wangen, der ihr Gesicht entzwei teilte. Er zog sich von der linken Hälfte ihres schmalen Kinns, bis hin zur rechten Augenbraue. Tränen glitzerten in ihren Smaragdaugen und erneut tropfte Blut von ihrem Kinn auf das wunderschöne Kleid, einzelne Tropfen hatten sich in ihrem, mit Perlen geschmückten Kupferhaar verfangen und schimmerten wie Rubine im gleißenden Licht der Sonne, die durch die goldgefassten Fenster fiel. Das Raunen wuchs zu einem Meer aus Stimmen, Laute des Mitleids und des Tadels mischten sich in das Tosen von Flüchen und Gelächter. Selbst diese Wunde konnte ihr ihre Schönheit nicht vollends rauben, doch die Menschen in dem Raum zeterten und stichelten.
Sie war die Puppe ihres Gemahls gewesen, unbeschreiblich schön, so schön, dass sie nur hervorgeholt wurde um gezeigt und danach erneut in ihren Schrank zurück gesperrt zu werden, doch nun war das Püppchen kaputt! Welch ein Jammer. Das grobschlächtige, pockennarbige Gesicht ihres Mannes wurde puterrot, Zorn funkelte in seinen Augen, wie Scham und Schmerz in den Augen seiner jungen Frau. Brüllend hieß er seine Diener, sie fort zu sperren, fort zurück in ihre Kammer.
So sperrte er sie ein, verbarg ihr Gesicht vor der Welt. Die Zeit verstrich, das Blut hatte aufgehört zu fließen und eine lange, dicke Narbe begann auf ihrem Gesicht zu wachsen. Weinend saß sie in dieser Nacht in ihrer Kammer, bis eine alt bekannte Stimme nach ihr rief und fragte warum sie weinte. Da kam ihr das Bild in den Sinn und sie schob den zerborstenen Spiegel bei Seite und begab sich erneut zu dem Bild. Sie Streckte die Hand aus und der Mann im Bild holte sie zu sich. Kummervoll betrachtete er ihr Gesicht, lauschte ihrer Geschichte und drückte sie tröstend an sich. Sie war immer noch bildschön, selbst wenn eine Narbe ihr Gesicht teilen würde. Er strich ihr über die Wangen und erzählte ihr Geschichten, bis sie in seinen Armen einschlummerte. Wenn sie bei ihm war, war all ihr Schmerz und Kummer vergessen, keinen Gedanken verlor sie an ihren grausamen Gemahl und die Wunde in ihrem Gesicht. Sie schlief und träumte, von dem Mann mit den Mondaugen, dessen Stimme wie das Flüstern des Meeres klang. Hier war sie glücklich, hier war sie frei. Doch alsbald sie an der Seite des Mannes mit den Mondaugen erwachte, erfüllte sie auch die Furcht, denn sie wusste nicht wie lange sie bei ihm gewesen war. Voller Kummer schickte er sie zurück in ihre Welt, zurück zu ihrem grausamen Gemahl, doch sie versprach ihm zurückzukehren.
Sehnsucht beutelte ihrer beider Herzen, doch es dauerte nicht lange bis das Misstrauen, das im Herzen des Gemahls spross, ihn in den Turm trieb und was musste er entdeckten? Das Kleid seiner Frau war befleckt mit Erde. Doch wie sollte braune Erde ihr Kleid benetzen, wo sie doch gefangen war, in einem fensterlosen Turm, der fast bis in die Wolken reichte? Wütend fragte er sie ob sie draußen gewesen sei und wie sie dorthin gekommen wäre. Die Frau aber antwortete wahrheitsgemäß, dass sie den Trum niemals verlassen hatte und der Fleck von den Dienern käme, die mit ihren schmutzigen Schuhen zu ihr kamen und ihr ihre Mahlzeiten brachten. So hieß der Mann die Diener all ihre Schuhe zu verbrennen und diese mussten fortan, ob Sommer oder Winter, barfuß die steinernen Treppen des Turmes erklimmen, um der Frau Mahlzeiten und Kleider zu bringen, was Hass in ihnen keimen ließ. Aus Rache spuckten sie auf das Mahl der Frau, streuten ihr giftige Beeren über den Nachtisch und brachten ihr schlechten Wein. Die Frau aber wusste welche Beeren giftig waren, der Mann mit den Mondaugen hatte es ihr erklärt und so mied sie gewisse Mahlzeiten.
Ihre List war schlau gewesen, jeden Tag begab sie sich zu dem Mann in das Bild und selbst die Narbe die nun auf ihrem Gesicht gewachsen war, konnte ihr Glück nicht trüben.
Doch eines Tages, als der Mann mit den Mondaugen sie ans Meer mitnahm, durchnässte sie ihr Kleid und es vermochte nicht zu trocknen, bis ihr Gemahl sie besuchte. Sie versteckte das tropfnasse Kleid über dem Himmel ihres Bettes, doch als ihr Gemahl sich auf das Bett setzte, tropfte ein einzelner Tropfen salzigen Wassers auf sein Gesicht. Er stieg auf das Bett und die Frau beobachtete mit Schrecken wie er das tropfnasse Kleid hervorzog. Seine grobe Hand donnerte mit voller Wucht in ihr schönes Gesicht, wimmernd erklärte sie ihm, dass es ihr gar bitterlich leid tat, aber die Diener hätten ihr, anstatt sie zu Baden, einen Eimer Wasser übergegossen, weil sie ihretwegen barfuß gehen mussten. Ihr Gemahl schlug sie ein weiteres Mal, brüllte ihr Warnungen zu, sie solle sich unterstehen ihn anzulügen und zog Grimmig von dannen. Fortan überwachte er die Gänge seiner Diener, aus Angst vor Flecken erhielt die Frau nur noch einen Kelch Wasser und ein Stück Brot.
Mit wachsender Vorsicht besuchte sie ihren Liebsten, den Mann mit den Mondaugen und ihre einst so schönen Besuche wurden von der Furcht entdeckt zu werden überschattet. Doch bald vergaß die Frau dies alles, zu groß waren die Sehnsucht und die Freude des Wiedersehens. Leichtsinn wurde zu ihrem Begleiter und dieser sollte schon bald bittere Tränen fordern, denn das Misstrauen ihres grausamen Gemahls wuchs stetig und als die Diener ihm berichteten, dass sie seine Frau des Öfteren nicht in ihrer Kammer auffanden, schlich er sich eines unglückseligen Tages hoch in den Turm und musste mit ansehen, wie seine Frau hinter dem zerborstenen Spiegel verschwand. Zornig polterte er ihr hinterer und traute seinen Augen kaum, als er sie in ein Bild fallen sah. Grimmig wartete er bis tief in die Nacht, mit einer Fackel in der Hand, bis seine Frau zurückkehren würde. Eifersucht und Hass marterten sein Herz, als er sah, wie sie in dem Bild mit einem Mann umherzog, lachend, glücklich und bildschön. Er ballte die Hände zu Fäusten, Hass loderte in ihm und als die Frau dann endlich aus dem Gemälde stieg, entlud sich alles auf sie.
Voller Schrecken weiteten sich ihre Smaragdaugen als sie ihren Gemahl vor sich stehen sah. Eine Fackel brannte in seiner Hand, Hass und Zorn schienen in seinen Augen zu brennen. Er brüllte und stieß sie bei Seite, weinend flehte sie ihn um Gnade an doch, er hatte es nicht auf sie abgesehen, nein. Er zerrte sie an den Haaren mit sich, und stieß sie zu Boden, um sie an der Wand gegenüber dem Bild, in Ketten zu legen. Der Mann mit den Mondaugen blickte voller Entsetzen und Furcht auf seine Geliebte und den Mann mit der Fackel. Angst spiegelte sich in seinen Augen, seine Stimme flüsterte, rief nach ihr doch ihr Klang verwandelte sich von dem zarten Meeresrauschen in ein Zischen, als ihr Gemahl die Fackel auf das Bild schleuderte. Dieses fing Feuer, doch es brannte nicht nur außen, nein, auch in der Welt hinter dem Bild loderten die Flammen und fraßen sich durch alles. Wimmernd und schreiend wand sie sich, zerrte an ihren Ketten und streckte die Hand nach ihrem Liebsten aus. Sie flehte um Hilfe, doch ihr Gemahl stapfte grimmig grinsend von dannen und versperrte die Tür hinter sich. Nun war die Frau allein und musste mit ansehen, wie ihr Geliebter in seiner Welt verbrannte. Voller Verzweiflung streckte sie die Arme nach ihm aus und auch er tat es ihr gleich, doch sie erreichte ihn nicht und die Flammen fraßen sich unerbittlich durch das Bild und seine Welt. Das klägliche Zischen seiner Stimme verklang, das Bild war fast vollends verbrannt und das letzte, was die Frau von ihrem Geliebten sah, war seine brennende Gestalt, die ihre Hände nach ihr rang, verzweifelt in den Flammen um ihr Leben kämpfte und der Schmerz in den seinen Augen. Wie er sie angesehen hatte, sie hatte ihn geliebt und hatte ihm nicht helfen können, hatte mit ansehen müssen, wie er und seine Welt starben. Ihre Augen drohten in Tränen zu ertrinken, sie wünschte sich, dass das Feuer auch sie verschlingen würde, doch alsbald das Bild verbannt war, erlosch das Feuer. Von ihrem Geliebten und seinem Bild war nur noch ein pechschwarzes Loch inmitten eines von Glut glimmenden Rahmens geblieben. Schluchzend betrachtete sie das Loch, doch dies war nicht das einzige, das Feuer hatte auch ein glimmendes Loch in ihrem Herzen hinterlassen. So verweilte sie, starrte das Loch an, das einst ein Bild gewesen war, hinter dem eine Welt gelegen hatte in der ihr Geliebter gelebt hatte. Wie gerne sie ihm in den Tod folgen würde, doch ihre schweren Ketten banden sie auf ewig an diese Welt.
Hinter jedem Bild liegt eine Welt. Ihre war so eben verbrannt, doch auch die Welt, in der sie lebte, war nicht mehr, als die Welt hinter einem Bild.
Denn hinter Bildern schlummern Welten, Bilder sind lediglich die Fenster, durch die wir hinein blicken können.
Sie war in eine solche Welt gefallen, eine Welt in einem Bild und hatte sich dort verliebt, in den Mann mit den Mondaugen.
Lange Zeit war verstrichen, viele, unendlich viele Jahre und fern ab des goldenen Schlosses im Wald, in einem Schloss auf einer Klippe über dem Meer, saß ein alter, schwacher Mann auf seinem verrottenden Thron. Das Weiß der Wände war längt vergilbt, verblichen waren alle Bilder, verfallen die Mauern, hinfort gewaschen vom Wasser des Meeres. Doch inmitten all dessen saß der Mann auf seinem Thron und betrachtete sein geliebtes Bild, auf dem seine Frau zu sehen war, so wunderschön wie am ersten Tag. Der Mond schien herab und als sein silberner Schein auf das Gemälde fiel, erblickte der Mann eine lange, dicke Narbe auf dem makellosen Gesicht. Die glücklich strahlenden Smaragdaugen wandelten sich in tränenschimmerdne, von Trauer dunkle Augen und der Mann erkannte, dass es sich bei dem Gemälde seiner Frau um ein Abbild seiner Tochter handelte. Die prächtigen Armbänder hatten sich zu Ketten gewandelt, ihr Antlitz war eine Maske aus Kummer und Schmerz. Mit einem Mal kehrte die Erinnerung an seine geliebte Tochter zurück, die er aus Hass verkauft hatte, für ein Gemälde seiner Frau, das in Wahrheit das Abbild seiner Tochter war.
Kummer und Pein durchbohrten sein sterbendes Herz, wie vom Donner gerührt wich er zurück, als er in die schmerzerfüllten Augen seiner Tochter blickte, die ihn anzustarren schien. Dieser Schmerz in ihren Augen! Dieser unendliche Kummer! Wie hatte er sie nur von sich geben können, wie! Sein Herz war entzwei gerissen worden und er kippte sterbend von seinem verrottenden Thron. Einzig das Bild seiner Tochter, das er für das Bild seiner geliebten Frau gehalten hatte, stand noch dort, und sie schien aus dem Bild auf ihn herabzublicken, doch in Wahrheit saß sie angekettet in ihrer Kammer, im höchsten der goldenen Türme und blickte in den leeren Rahmen, in dem einst das Bild ihres Liebsten gewesen war.
So saß sie da und dachte an die Welt hinter dem Bild und den Mann, dessen Stimme wie das Flüstern des Meeres klang, ihren Liebsten-
Den Mann mit den Mondaugen.
Texte: C.P.P
Tag der Veröffentlichung: 01.09.2012
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