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Es kommt nicht darauf an, was mir angetan wurde, sondern was es mit mir gemacht hat....

Chocolate Angel




Angst durchflutet meinen kleinen Körper. Angst, der ich noch keinen Namen geben kann.
Wie versteinert stehe ich in unserem Wohnzimmer und traue mich kaum zu atmen. Die Luft kann man fast zerschneiden. Zigarettenqualm – noch vor kurzer Zeit aus den Mündern und Nasen von 4 Menschen ausgeströmt, die sich meine Familie nennen. Bläulich, graue Schwaden, die meine Augen brennen lassen. Noch schlimmer ergeht es jedoch meinen Ohren. Sie wollen diese fürchterlichen Schreie nicht hören. Leider haben sie keine Wahl. Ich kann sie nicht mal zuhalten, weil ich unfähig bin mich zu bewegen.
Eine Frau mit fast schwarzem, kurzem, krausem Haar, meine Mutter, steht ca. 3 Meter von mir entfernt, neben dem dröhnenden Fernseher. Sie schaut stumm durch die offene Tür in das von der Deckenlampe erleuchtete Schlafzimmer. Nein ihr Blick ist nicht leer in diesem Augenblick. Er zeigt Genugtuung und Zufriedenheit. Im Schlafzimmer wird es ruhiger. Sie haben aufgehört sich anzuschreien.
Ein Moment der Hoffnung lässt etwas mehr Sauerstoff in meine Lungen strömen. Dieser dauert jedoch nur einen Atemzug an und meine Muskeln haben keine Zeit sich auch nur etwas zu entspannen. Da ist sie wieder diese Angst, die sich mit ihren Klauen fest um meinen Hals legt und nur soviel Luft hindurch lässt, dass ich nicht ersticke.
Nun dringen Geräusche an mein Ohr, die ich bis dahin noch nicht bewusst gehört habe und die mir noch mehr Angst machen. Irgendwie schaffe ich es meine geliebte Mutter zu erreichen. Mein Körper schmerzt. In der Hoffnung auf Schutz klammere ich mich an diese Frau, die immer noch regungslos dasteht und mich keines Blickes würdigt. Den erhofften Schutz kann ich nicht fühlen.
Fühlen kann ich nur diese Kälte und die Angst, die immer noch größer wird, was eigentlich gar nicht geht, weil sie doch schon vorher so riesengroß war. Und diese Angst ist auch verantwortlich dafür, dass ich nichts sagen kann. Sie hat nicht nur meinen Hals im Griff, sondern presst meine Lippen so fest aufeinander, dass ich überzeugt bin, dass sie sich nie mehr öffnen werden.
Ohne Vorwarnung müssen meine Augen dahin schauen, wo die Geräusche herkommen, die zuviel sind für ein etwa 4 Jahre altes Mädchen. Ich kann es nicht verhindern und auch meine Mutter macht keine Anstalten, mir diesen Anblick zu ersparen, der sich für immer in mein Gedächtnis einbrennen wird und den Grundstein meiner Erinnerung legt.
Ich bin erstarrt. Was mich jetzt noch vom Sterben abhält, ist mein bis zum Hals wild pochendes Herz. Es schreit. Ja es schreit ganz laut, dass sie aufhören sollen und dass ich überleben soll!
Was sich am schlimmsten einbrennt, ist das kräftig rote Blut auf dem Bett und die Blutspuren auf dem Boden. Das Blut läuft vom Gesicht des dünnen, kleinen Mannes, meines Vaters, der wimmernd und mit dem Oberkörper seitlich gekrümmt auf dem Bett liegt.
Wellen der Angst durchfluten noch mehr als bisher meinen Körper. Jetzt kann ich sie benennen. Es ist Todesangst! Sie spiegelt sich in den geschwollenen, rot unterlaufenen, nach Hilfe suchenden Augen meines hilflosen Vaters wider und starrt mich an. Sie beherrscht mich und hat nicht vor mich loszulassen.

Wird er sterben? Werden sie sterben? Muss auch ich sterben? Oder ist der Tod nur die Erlösung aus dieser Hölle?
...

Impressum

Texte: Alle Rechte liegen bei der Autorin
Tag der Veröffentlichung: 14.03.2010

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für meinen geliebten Papa-Engel, der für immer einen Platz in meinem Herzen hat

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