Cover


„So, Leute! Und nun spielen wir euch den neusten Song von Adele vor. Also sperrt die Lauscher auf und vergesst nicht: Ihr habt irgendwelche Fragen oder wollt jemanden grüßen? Dann ruft hier kostenlos unter der Nummer 555 739 049 an, um es uns zu sagen!“, sagte ich in den Lautsprecher und drückte auf den Knopf, um den Song zu starten. Erschöpft lehnte ich mich zurück und nahm die Kopfhörer runter. Ich hatte mir diesen Job immer gewünscht, aber seit meine Frau mit der Chemo zu tun hatte, war es mir viel zu stressig. Ich würde lieber zuhause bei ihr sein und ihr helfen. Stattdessen saß ich in dieser Abstellkammer und quasselte zu irgendwelchen vollkommenen Irren. Der Sender war eigentlich nur meine letzte Möglichkeit gewesen. Ich wollte zu den ganz Großen. Wollte etwas erreichen in dieser Welt. Wollte meiner Frau ein gutes Leben schenken.
Das Telefon klingelte und ich nahm ab, um mich mit dem üblichen ‚Willkommen im Sender! Was kann ich für dich tun?‘ zu melden. Doch bevor ich auch nur irgendetwas sagen konnte, meldete sich eine tiefe Stimme am Apparat: „Wie dringend wollen sie, das ihre Frau überleben könnte?“
Ich war total geschockt und setzte mich aufrecht hin. „Was wissen sie über meine Frau?“
Die kehlige Stimme antwortete und ich konnte eine gewisse Belustigung aus seiner Stimme heraushören. „Ihre Frau ist sterbenskrank und sie können die Rechnungen für die Chemotherapie nicht mehr bezahlen.“
„Woher wissen sie von der Chemo?“
„Ich weiß so gut wie alles über sie und ihre Familie. Ihre Frau hat Krebs im Endstadium und ihre zwei Kinder würden gern in ein großes Haus ziehen. Doch dafür reicht das Geld nicht.“
Ich schluckte und mir lief ein Schauer über den Rücken. Diese Dinge, wusste niemand. Nur unsere Familie und die engsten Bekannten. Woher wusste dieses Arschloch von all diesen Dingen?
„Weshalb rufen sie hier an?“
„Nun, ich würde ihnen gern ein Angebot unterbreiten.“
Meine Hände wurden feucht und ich ballte sie zu Fäusten, um sie nicht vor Angst und innerlicher Anspannung zittern zu sehen. „Was für ein Angebot wäre das?“
„Das wären ein paar kleine Gefallen, für das Leben ihrer Frau. Sind sie einverstanden?“


„… und genau aus diesem Grund, werde ich mich für die Bürger dieser Stadt einsetzen und ihnen Frieden, Gleichheit und Gerechtigkeit schenken! Ich werde diese Stadt, als mein Lebenswerk betrachten! Ich werde diese Stadt wieder zu etwas Großem machen! Zu einem Vorbild!“, sprach ich in das Mikrofon und stützte mich auf dem Pult ab. Die Menschenmenge klatschte begeistert in die Hände und jubelte mir zu. Es war alles so berauschend. Neu und unbekannt. Doch der absolute Wahnsinn. Ich hatte die Wahl zum Bürgermeister gerade erst gewonnen. Der jüngste Bürgermeister in der Geschichte New Yorks.
„Mit der Hilfe, jedes Bürgers aus New York, können wir diese Stadt wieder aufbauen! Wir können wieder ein Vorbild für Amerika, für die gesamte Welt werden! Denn jeder Berg, der hinuntergeht, führt irgendwann auch wieder hinauf!“
Erneuter Jubel. Diesmal jaulten sie und von überall konnte ich Pfiffe hören. Sie waren begeistert von mir. Von mir. Dem Jungen aus der Vorstadt. Dem kleinen Waisenjungen, der immer nur Anerkennung und den Sinn für das Leben suchte.
„Ich danke euch allen! Für eure Stimmen! Für euch! Danke!“, rief ich ihnen zu und dann zog mich meine Agentin auch schon vom Pult weg. Die Journalisten stürmten auf mich, genauso wie die Paparazzi und meine Fans. Die Lautsprecher knisterten und knackten und alle wurden still. Ich hielt an und schaute mich überrascht um. Wer sprach da? Ein Blick zum Pult verriet mir, das niemand an den Mikrofonen war. Es konnte niemand sprechen. Und doch ertönte eine tiefe, kratzige Stimme aus den Lautsprechern. Sie klang hohl. Seltsam und unnatürlich.
„Und schon wieder, wurde ein Politiker gewählt. Schon wieder wurde die Kirche hintergangen und ein Monster auf den Thron dieser Stadt gewählt.“, sprach die Stimme und ich bekam am ganzen Körper Gänsehaut. „ ‚Alle müssen umkommen, Herr, deine Feinde! Die ihn aber liebhaben, müssen sein, wie die Sonne aufgeht in ihrer Macht!‘ Dies erfülle ich dir mein Herr!“
Die Stimme verklang und etwas Schwarzes fiel vom Himmel herunter. Genau über mir. Ein Ruck durchfuhr dieses Etwas und es verharrte gut drei Meter über mir in der Luft. Alle starrten auf diese seltsame Figur und vereinzelte Schreie aus dem Publikum drangen an mein Ohr. Ich verengte meine Augen, um erkennen zu können, was dort hing. Ohne meine Brille, war meine Sicht nicht die Beste. Ein Keuchen kam über meine Lippen, als ich erkannte, was da hing – beziehungsweise wer. Mein Blick wurde von Tränen verschleiert und das Blitzlichtgewitter stürmte auf mich ein. Dort, genau über mir, hing mein bester Freund. Erdrosselt. Und auf der Stirn, ein rotes Jesuskreuz eingebrannt.


Der Platz vor dem Rathaus war voll mit neugierigen Menschenmassen, die natürlich unbedingt sehen wollten, was hier passiert war. Die sehen wollten, wie ein weiteres Leben jäh ein Ende genommen hatte. Nicht so schön – und doch wieder auch positiv für mich und mein Team. Ohne solche Dinge, hätten wir keinen Job. Meine Kollegin und ich bahnten uns einen Weg durch die Massen, zeigten unsere Ausweise des CSI und gingen durch die Polizeiabsperrung. Man hatte das Opfer mittlerweile heruntergeholt und ihn auf den Boden gelegt. Der Bürgermeister hatte sich in sein Büro verzogen und man überließ ihn der Trauer um seinen Freund, Kollegen und langen Wegkumpanen. Wir würden später noch mit ihm sprechen.
„Morgen, Geoffrey. Schon was Brauchbares gefunden?“, fragte ich den kleinen Mann, der sich neben die Leiche gekniet hatte.
„Nun, der Mann wurde erst post mortem an den Strick gehangen und der Fall vom Hochhaus hat ihm das Genick gebrochen. Eigentlich Todesursache war Erstickung. Das Kreuz in seiner Stirn ist mit Eisen eingebrannt wurden. Allerdings vor dem Tot.“, erklärte der Pathologe und zeigte mit seinen behandschuhten Fingern auf das Jesuskreuz. Neben mir zog meine Kollegin die Luft ein. Folter war hier nicht sehr üblich. Noch dazu kam, dass Kessy erst seit Kurzem beim CSI war und dies einer ihrer ersten Fälle in meinem Team.
„Todeszeitpunkt?“
„Ich würde ihn zwischen 8 und 9Uhr morgens festlegen. Genaueres kann ich erst nach der Obduktion sagen.“
„Weitere Spuren?“
„Allerdings.“, erklärte Geoffrey und nahm das Seil in die Hand, an dem der Tote auf gehangen wurde. „An dem Seil finden sich einige Bluttropfen des Täters. Ich vermute, dass er sich an dem Seil verbrannt hat. Ich werde die DNA später durch unsere Datenbank jagen. Aber…“
„Was aber, Geoffrey?“, fragte Kessy und trat neben mich.
Er lächelte leicht und starrte den jungen Mann unter sich an. „Dieser Mann wurde mehrere Male gefoltert. Das Kreuz weist ältere und neuere Brandzeichen auf. Er muss noch einmal, kurz bevor er erwürgt wurde, gefoltert wurden sein. Der Täter muss damit irgendetwas bezwecken wollten. Niemand würde das Eisen soweit in die Stirn jagen, dass man bereits die Schädeldecke erahnen kann, wenn er nicht extrem wütend auf das Opfer gewesen war.“
„Also war es Mord aus persönlichen Gründen?“, fragte Kessy.
„Dann würde das Kreuz keinen Sinn ergeben. Außerdem würde man den Toten dann nicht der Öffentlichkeit präsentieren. Schon gar nicht vor so einer riesigen Menge.“, erklärte ich und schaute am Rathaus nach oben. „Von wo aus wurde der Tote heruntergelassen?“
„Vom Dach. Das Seil war mit einem ziemlich starken Knoten befestigt. So etwas lernt man bei den Pfadfindern.“
Kessy schaute den alten Pathologen amüsiert an. „Du warst bei den Pfadfindern? Ich dachte immer, dass wäre nur etwas für Mädchen.“
„Nein, junge Dame. Früher gab es sogar mehr Jungen bei den Pfadfindern. Es galt als eine Art Vorbereitung auf gefährliche Zeiten. Wenn man mit seiner Familie in den Wald ging, musste der Vater für seine Familie sorgen. Frauen als autoritäre Personen sind damals nicht anzutreffen gewesen.“
Kessy hatte überrascht die Augenbrauen nach oben gezogen, während Geoffrey sich bereits wieder seinem Patienten zugewandt hatte und nach brauchbaren Beweisen suchte. Ich hatte meinen Blick immer noch auf das Dach gerichtet. Wenn der Tote von dort oben heruntergekommen sein sollte, musste all das aufs Genaueste geplant gewesen sein. Fallgeschwindigkeit, genaue Zeitabpassung. Der Täter war ein mathematisches Genie um so etwas tun zu können. Dann noch der Fluchtweg. Es waren insgesamt 50 Polizeibeamte während der Konferenz anwesend. Um denen und den angeforderten Truppe zu entkommen, musste er einen exakten Plan gehabt haben.
„Kessy und ich werden uns einmal auf dem Dach umsehen. Die Spusi wird gleich eintreffen und den Tatort sichern wollen. Also beeil dich, Geoffrey, um genügend brauchbare Spuren zu finden.“


Auf dem Dach des Rathauses war es kälter und der Wind schneidender. Um hier oben einen klaren Kopf bewahren zu können, damit man den Toten an einem Seil runterlassen konnte, erforderte eine strenge Disziplin.
Ich starrte auf das Spektakel unter mir. Die Spusi war mittlerweile eingetroffen und die Polizei konnte sich um die Schaulustigen kümmern. Kessy sprach mit einem der beiden Beamten, die den Mann heruntergeholt hatten. Sie waren gerade erst durch die Prüfung gekommen und dies war ihr erster großer Auftrag gewesen. Beide waren geschockt über die plötzliche Wendung und ihre Gesichter bleich.
Ich ging in die Hocke und betrachtete den Boden. Der Täter musste genau hier gestanden haben, damit die Leiche über dem Bürgermeister stoppte. Wäre er zu weit rechts oder links gewesen, hätte der Tote genau über der Menschenmenge gehangen. Erneut bewunderte ich den Mann für sein mathematisches Können. Der Boden des Rathauses war anscheinend erst kürzlich gereinigt wurden. Ich konnte nicht einmal Vogelkot entdecken. Mir fiel etwas Schwarzes in der Fuge zweier Steine auf und betrachtete es genauer. Sah aus wie irgendwelche verbrannten Flocken. Tee vielleicht. Ich nahm einen Handschuh aus meiner Jackentasche und zog ihn mir über. Vorsichtig hob ich die schwarzen Flocken auf und zerrieb sie zwischen meinen Fingern. Sie waren verbrannt und zerbröselten leicht. Dieser Geruch. Vorsichtig hob ich es an meine Nase und roch.
„Was ist das?“, fragte Kessy hinter mir und beäugte die Asche skeptisch.
„Zigarrenasche. Marke ‚Bolivar‘. Eine sehr aromatische und starke Zigarre aus Kuba. Entweder hat unser Opfer gern eine für ruhige Momente geraucht, oder…“
„Oder unser Täter stammt aus reichen Verhältnissen, um sich so etwas leisten können. Die Dinger sind nicht grade billig.“
Ich zog schmunzelnd eine Augenbraue nach oben und schaute Kessy über die Schulter hinweg an. „Du kennst dich mit Zigarren aus?“
Sie zuckte beiläufig mit den Schultern. „Mein Vater war leidenschaftlicher Zigarrenraucher. Die Dinger waren für ganze besondere Moment wie Weihnachten oder seinen Hochzeitstag. Er hat sich immer über den Preis beschwert, hat sie aber trotzdem immer wieder gekauft.“
Sie hielt mir einen Plastikbeutel hin und ich sicherte die Zigarrenasche in ihr. Vielleicht würden sie uns später noch von Nutzen sein. Ich stand auf, gab Kessy den Beutel und ging zur Treppe.


„Sie wissen also nicht, ob ihr Freund irgendwelche Feinde hatte?“, fragte ich und schaute mich im Büro des Bürgermeisters um. Es war prunkvoll eingerichtet. Der Schreibtisch war aus dunklem Holz und die Wände und der Teppich in einem hellen Beige. Die Regale sahen sehr robust aus und waren mit Duden, Gesetzesbüchern und Romanen gefüllt. Hinter dem Schreibtisch war eine große Fensterfront, durch die man auf New York blicken konnte. Die Sonne ging mittlerweile unter und warf lange Schatten durch das Zimmer.
„Nein. Ben war immer zu allen freundlich und hat nie etwas Unehrenhaftes getan. Ich kann einfach nicht fassen, dass man ihn umgebracht hat.“, erklärte Harry Nortklay und man konnte hören, wie nahe er den Tränen war. Es musste für ihn ein herber Schlag gewesen sein, seinen Freund so gedemütigt nach seiner Ermordung zu sehen.
„Hatte Ben Nearly Familie oder enge Freunde?“, fragte Kessy.
Nortklay schüttelte den Kopf. „Er lebte allein. Und enge Freunde. Nun ja, wir waren eigentlich immer am Wochenende zusammen. Andere Freunde hatten wir nicht. Wir sind angeln oder surfen gegangen. Was man eben so macht.“
„Haben sie Zigarren geraucht?“
Nortklay schnaubte. „Wie alt sehe ich für sie aus? 60?! Wir waren noch jung! Wollten uns sportlich ausprobieren! Zigarren waren für uns Luxusdinge der älteren Generation.“
Kessy schielte zu mir herüber und ich nickte.
„Danke, Herr Bürgermeister. Halten sie sich bitte für weitere Fragen zur Verfügung.“
Kessy folgte mir nach draußen und wir überließen Nortklay seiner Trauer.
„An was denkst du, John?“
„An das Zitat aus der Bibel. Das, was der Täter durch die Lautsprecher erwähnt hat.“
„ ‚Alle müssen umkommen, Herr, deine Feinde! Die ihn aber liebhaben, müssen sein, wie die Sonne Wir verließen das Rathaus und betrachten den ganzen Tumult auf dem Platz. „Er oder sie drückt damit seinen Hass gegen die Politik aus. Wer nicht der Kirche angehört und Gott nicht untertan ist, der ist für ihn das personifizierte Böse und muss bestraft werden. Und wer seinen Vater nicht ehrt, den Vater der Kirche, Gott selbst, der muss für ihn sterben.“
„Also haben wir es mit einem Psychopaten zu tun?“
„ Entweder das, wobei die Frage offen bleibt, wie psychotisch unser Mörder ist. Oder es sind mehrere. So einen gut durchgeplanten Mord kann man nicht alleine durchführen. Außerdem stimmt da etwas nicht.“, sagte ich und Kessy schaute mich verwirrt an. „Was meinst du damit?“
„Der Knoten und die Zigarrenasche. Zum einen ist er sehr auf das Detail aus. Alles muss perfekt sein. Und zum anderen hinterlässt er uns eine heiße Spur. Wäre es wirklich nur ein Täter und er wäre darauf aus, dass nichts falsch läuft. Das passt nicht zusammen.“
Kessy kaute nachdenklich auf ihrer Lippe rum. „Wie dem auch sei, lass und ein Wenig schlafen. Ich spüre, dass morgen noch mehr Arbeit auf uns zukommt.“
Damit ging ich zu meinem Auto und fuhr nach Hause.


Ich schreckte aus meinem Schlaf hoch, als mein Handy anfing zu vibrieren. Genervt legte ich mir das Kissen auf den Kopf, aber dadurch hörte das kleine Monster auch nicht auf mich zu tyrannisieren. Ich setzte mich auf und ging ran: „Kommissar Barlow am Apparat.“
„Oh, guten Morgen, Sonnenschein!“
Ich murrte etwas nicht allzu Nettes in den Lautsprecher. „Was gibt’s, Kessy?“
„Luc hat herausgefunden, von wo aus die Tonaufnahme gesendet wurde.“
Ich stand auf, klemmte das Handy zwischen meinem Ohr und meiner Schulter ein, und fing an mich anzuziehen. „Ich bin sofort da. Adresse?“
„1515 Broadway, New York, CBS Radio.“, las Kessy vor.
Ich zog mir mein Shirt über den Kopf, nahm meine Jack und stürmte aus meinem Appartement. „Ich bin in 5Minuten da.“


Die Straßen waren mal wieder voll und es dauert statt 5Minuten fast eine halbe Stunde. Taxis drängelten, die Ampeln schalteten seit Kurzem kaum noch um und auf mindestens drei Straßen waren weiträumige Baustellen. Willkommen im Straßenverkehr von New York City!
Ich parkte mein Auto vor dem Radiosender. Kessy, Gerry und ein komplettes SWAT-Team waren bereits vor Ort und warteten nur noch auf mich. Ich stieg aus und entsicherte meine Pistole. „Gut. Dann gehen wir rein.“
Sofort stürmte das SWAT-Team den Radiosender und sicherte alle Räume. Danach ging Gerry rein, dann Kessy und zum Schluss ich.
Im Inneren des Senders war es ungewöhnlich still. Zu still. Normalerweise müsste hier alles auf Hochtouren laufen. Sekretärinnen müssten durch die Kante rennen und die Chefs der einzelnen Etagen sich wild anschreien. Mindestens drei Räume müssten ‚ON AIR‘ sein – jetzt war es nur einer.
Ich schritt langsam auf die Tür zu und legte vorsichtig meine Hand auf die Klinke, meine Waffe schussbereit. Gerry stellte sich direkt neben mich, um zuerst in den Raum gehen zu können. Mit einem Ruck öffnete ich die Tür, Gerry trat an mir vorbei und richtete seine Waffe auf den Kopf des Radiosprechers. „Polizei! Hände hinter den Kopf und langsam zu uns umdrehen!“, schrie Trompan und trat noch einen Schritt auf den Sprecher zu. Er rührte sich nicht und tippte weiter hektisch etwas in seinen Laptop ein. Ein letzter Klick, Gerry ging noch näher und der Mann befolgte seine Anweisung. Ich trat nun ebenfalls in den Raum und Kessy folgte mir. Es war ein klassisches Tonstudio mit tausenden Knöpfen und Schaltern. Nichts Ungewöhnliches. Nur diese Stimme, die aus den Kopfhörern drang, kam mir unwirklich vor. Nervös trommelte ich mit den Fingern auf meiner Pistole herum und kritisierte mich dafür innerlich selber. Es war eine schlechte Angewohnheit.
Vorsichtig nahm ich die Kopfhörer und setzte sie mir auf. Ich bekam nur die letzten Worte mit. Aber diese reichten, um mir zu bestätigen, dass wir den richtigen Mann gefunden hatten.
Ich legte die Kopfhörer weg und schaute Kessy in die Augen, die den Mann bereits mit Handschellen gefesselt hatte. Ich stellte mich direkt vor ihn. Er war circa 5cm kleiner als ich, war dafür aber muskulöser. Seine Augen waren blau. Das passte nicht. Komplizen hatten meistens braune Augen. Man assoziierte damit etwas Schlechtes. Ungefähr 70% aller Täter, egal welcher Straftat, waren Braunäugige. Seltsam, aber wahr.
„Wie heißen sie?“, fragte ich und konnte sehen wie der Mann schluckte.
„Jason Reploy, Sir.“
„Woher haben sie diese Aufnahmen?“
Er schwieg.
„Woher haben sie diese Aufnahmen, Reploy?!“, fragte ich ihn lauter und ging drohend einen Schritt auf ihn zu.
„Darüber kann ich Ihnen keine Auskunft geben, Sir.“
„Wie viel hat er Ihnen dafür bezahlt?“
„Sir?“
„Für ihr Schweigen, Reploy?!“, keifte ich und trommelte schneller mit meinen Fingern auf meiner nach unten gerichteten Waffe.
„Gar nichts, Sir. Ich kann Ihnen nichts sagen, weil ich nichts weiß. Er rief an und fragte nach einem Gefallen. Ich hatte nichts dagegen und erfüllte ihn.“
„Was bekommen sie für diesen Gefallen?!“
Reploy schaute zur Seite und sein Atem beschleunigte sich kaum merklich. Also war ich nicht der Einzige, der nervös war.
„Reploy?“
Er schaute mir direkt ins Gesicht und ich setzte ein gehässiges Grinsen auf. „Dieser Mann, dem sie diesen Gefallen tun, hat gestern Abend einen Politiker vor großem Publikum erhängt. Ich denke, dass es nicht sein letztes Opfer war. Entweder sagen sie mir, was sie von ihm bekommen und ich werde ein gutes Wort für sie vor Gericht einlegen oder sie werden zur Beihilfe eines Mordes angeklagt und bekommen mindestens zwei Jahre Freiheitsentzug. Also, was hat er ihnen geboten?“
Reploys Augen zuckten verängstigt hin und her und seine Hände zitterten. Ich lächelte ihn einfach nur an und merkte, dass ich ihn damit in der Tasche hatte. Seufzend gab Reploy meinem Druck nach und sagte: „Meine Frau hat Krebs im Endstadium und wir haben zwei Kinder. Die Rechnungen für die Chemotherapie sind zu hoch, sodass wir nicht mal in einer ordentlich Wohnung leben können. Ich wollte meiner Familie doch nur eine sichere Zukunft sichern. Wollte meine Kinder ordentlich aufwachsen lassen und meiner Frau noch ein paar schöne letzte Monate geben.“
Kessy trat auf den Mann zu und legte ihm beruhigend eine Hand auf den Oberarm. „Das verstehen wir, Jason.“ Ich wollte etwas erwidern, doch sie brachte mich mit einem scharfen Blick zur Ruhe. Ich gab murrend klein bei und sie wandte sich wieder Reploy zu. „Was hat er ihnen angeboten, Jason?“
„500‘000 Dollar in bar und noch einmal 500‘000 Dollar auf meiner Bank, wenn ich alle Tonaufnahmen abspielen würde.“, gab Reploy zu und ließ seinen Kopf hängen. Er würde das Geld nicht mehr bekommen, das war ihm klar. Genauso klar, wie der Tod seiner Frau in nicht allzu ferner Zeit.
„Abführen.“, murmelte ich Gerry zu und der Scharfschütze zog Reploy mit sich nach draußen. Sofort kam Kessy drohend auf mich zu und war kurz davor mir Eine zu scheuern. Ich wehrte mich nicht, da wir beide wussten, was ihr Job noch wäre, wenn sie ihren Vorgesetzten schlagen würde.
„Ist dir eigentlich klar, dass dieser Mann an einem seelischen Tiefpunkt angekommen ist?! Sein Leben geht grade den Bach runter und du hast nichts Besseres zu tun, als ihn, wie ein Vater seinen Sohn, zu maßregeln! Was geht in deinem Oberstübchen eigentlich vor?!“, keifte Kessy mich an und schnippte mir nicht allzu sanft gegen die Stirn. Ich umklammerte ihr Handgelenk fest und schaute ihr direkt in die Augen. „Wenn hier einer weiß, wie schrecklich es ist eine Familie zu verlieren, dann bin ich das! Also halt deinen vorlauten, kleinen Mund und lass mich bloß in Ruhe mit dem Mitleid für diesen erbärmlichen Mann!“
Ich ließ sie los und stürmte aus dem Radiosender. Ich wollte gerade losfahren, als mein Handy mich wieder tyrannisierte. „Ja, was gibt’s, Scotty?“
„Ein Anruf aus dem Rathaus. Wir haben ein zweites Opfer.“


„Wer ist es?“, fragte ich Scotty vor dem Rathaus und knallte die Tür meines Wagens zu. Kessy folgte mir widerstrebend.
„Die Tote ist Sue McKellsy, die Agentin des Bürgermeisters. Im Rathaus wurde die zweite Tonaufnahme abgespielt und Nortklay wollte seine Agentin fragen, was das bedeutete. Er hat sie auf einen Stuhl gefesselt vorgefunden. In der Stirn ein Kreuz eingebrannt.“, erklärte die Kriminalpsychologin meines Teams, Scotty Moxland. Sie hatte lange, schwarze Haare, grüne Augen und eine niedliche kleine Stupsnase. Mit ihrer Figur und den langen Beinen, hätte sie auch genauso gut ein Topmodel werden können. Kessy hingegen war klein und stämmig. Ihre braunen Locken fielen ihr ständig ins Gesicht und betonten ihre engelsblauen Augen auf wundervolle Weise.
Ich merkte, wie ich verstohlen zu meiner kleinen Partnerin herüberschaute und konzentrierte mich zähneknirschend wieder auf unseren Fall. Wir hatten den Tatort mittlerweile erreicht und bei dem Anblick unseres Opfers, drehte sich selbst mir der Magen um.
Das Kreuz auf ihrer Stirn war rot und gelber Eiter war aus der Wunde herausgequollen. Die Augen des Opfers waren vor Schreck weit aufgerissen und ihr Mund in einem stillen Schrei offen. Das schlimmste war ihre Kehle. Man hatte Sue McKellsy nicht wie Ben Nearly erwürgt. Aber man hatte ihr außerdem auf brutalste Weise die Kehle aufgeschlitzt. Der gesamte Boden um sie herum und ihre ehemals graue Kleidung war von ihrem Blut durchtränkt und wirkte erschreckend braun.
Ich schluckte und wandte mich Geoffrey zu. „Todesursache?“, fragte ich aus reinem Respekt zu seinem Beruf. Natürlich musste sie an der Verletzung gestorben sein.
Geoffrey räusperte sich unwohl und betrachtet die Tote bemitleidend. „Ihr momentaner Zustand lässt auf die große Wunde an ihrem Hals schließen. Jedoch habe ich einige Würgemale in ihrem Nacken erkennen können. Die Frau wurde erstickt.“
„Die Verletzung wurde erst post mortem zugefügt?“, fragte Kessy und sie wirkte ziemlich blass, fast schon grün.


Geoffrey nickte traurig und wies dann auf die Fesseln. „Man hatte sie auch erst nach dem Tod an den Stuhl gefesselt. Wobei ich den Mörder loben muss. Die Knoten sind wieder allesamt in bester Ausführung gemacht wurden.“
Kessy seufzte und murmelte so etwas wie „Jaja, unser kleiner Pfadfinder.“, weshalb ich leicht lächeln musste.
„Wurde die Spusi schon verständigt?“, fragte ich und schaute mich schon einmal in dem Zimmer um. Es war ein normales Büro mit einem ziemlichen Fimmel für Ordnung und Sauberkeit. Die Bücher waren alle fein säuberlich in die Regale eingeordnet und die Utensilien auf dem Schreibtisch millimetergenau angeordnet.
„Ja. Sie wird in 20min eintreffen.“, sagte Geoffrey und packte allmählich seine Sachen zusammen.
„Wieso erst in 20min?“, fragte Kessy und besah sich die Tote genauer. Anscheinend hatte sie sich wieder im Griff. Innerlich bewunderte ich sie dafür. Bei meinem ersten Opfer, das auf solch brutale Weise zugerichtet gewesen war, hatte ich meinen Mageninhalt der Straße präsentiert.
Scotty kam hinter uns in Zimmer. „Weil sie noch an einem anderen Fall des FBI arbeiten müssen. Sie haben gerade mit einer Entführung zu tun und haben wahrscheinlich ein ehemaliges Versteck des Mannes gefunden. Er muss das entführte Mädchen monatelang dort gefangen und vergewaltigt haben. Sie hoffen, vielleicht einige Spermaspuren finden zu können, um den Täter zu identifizieren.“
Ich nickte. „In Ordnung. Schon irgendwelche nützlichen Informationen über das Opfer?“
Scotty grinste mich selbstzufrieden an. „Allerdings, John. Die Frau heißt Sue McKellsy, geschieden, keine Kinder. Sie soll eine herzensgute Person gewesen sein, die nie etwas Unehrenhaftes getan hat.“
Kessy blickte kurz auf und konzentrierte sich dann wieder auf das Opfer. „Das klingt sehr nach Ben Nearly.“, warf sie nebenbei ein und wies dann auf die die Kehle der toten Frau. „Die Kehle wurde nicht mit einem Messer durchgeschnitten. Man hat etwas Stumpfes benutzt. Der Täter ist mehrere Male abgerutscht und musste neu ansetzen. Sieht nach der Verletzung durch eine Heckenschere aus.“
„Eine Heckenschere?“, fragte Scotty und ich konnte sehen, wie sie sich verspannte.
Kessy nickte und ging in die Hocke um die Finger der Frau zu inspizieren. „Ja. Außerdem hat sie Dreck unter den Fingernägeln. Reichst du mir mal bitte eine Nagelfeile, Geoffrey?“
Geoffrey suchte kurz in seiner Tasche und gab ihr dann das kleine Werkzeug und gleich noch eine Tüte, um die Spuren zu sichern. Sie nahm beides entgegen und besah sich die Dreckprobe in der Tüte dann genauer. „Sieht aus wie Zement und Erde.“, stellte sie fest und gab Geoffrey mit einem leisen „Danke“ die Nagelfeile zurück. Dann ging sie zu Scotty und gab ihr die Tüte. „Bring das bitte zu Luc. Vielleicht findet er mithilfe seiner ultramodernen Technik etwas über die Zusammensetzung dieses Drecks etwas heraus, was uns weiterhelfen könnte.“
Scotty nickte und machte sich auf den Weg. Ich lächelte Kessy an und sie starrte mich wütend an. „Was ist, Barlow?“, fauchte sie und stemmte die Arme in die Hüften.
Ich zuckte einfach mit den Schultern und betrachtete sie weiter. „Du machst deine Arbeit gut und genau. Das gefällt mir. Mach weiter so.“, lobte ich sie, verabschiedete mich von Geoffrey und ging.


Ich lief rot an. Hatte John mich grad wirklich vor unseren Kollegen gelobt wie ein kleines Kind? Nach Geoffreys Kichern zu schließen, hatte er das.
Seufzend schaute ich mich weiter am Tatort um und fand noch ein paar weitere Spuren. Ein schwarzer Stofffetzen zwischen zwei Seilen, weitere Zigarrenasche und in der Wunde auf der Stirn des Opfers ein paar Blattreste. Ihre Kleidung roch nach feuchtem Morast und Laub und nach Erde. Ihr hing ein gewisser Geruch an, den ich nur als den vom Tod spezifizieren konnte. Natürlich war das albern, da sie ja tot war, – Verzeihung, Madame, aber so ist es nun mal! – aber es lag nicht wirklich an ihr. Es war noch etwas anderes, auf das ich einfach nicht kommen wollte.
Nachdem ich mit meiner Arbeit fertig war, blieb ich noch bis die Spurensicherung eintraf und folgte John dann auf den Flur. Er hatte einige Personen befragt und kam nun zu mir.
„Irgendetwas Neues über unseren Täter?“, fragte ich und er schaute seine Notizen durch.
„Ja. Man soll während der Tonaufnahme einen Mann gesehen haben. Niemand kannte ihn, aber da er die Uniform des Hausmeisters trug, hat man ihn nicht aufgehalten.“
„Also nur ein Täter?“, fragte ich und kaute nachdenklich auf meiner Lippe. Das würde einiges ändern. Bis jetzt waren wir von mindestens zwei Tätern ausgegangen.
John nickte. „Jeder Zeuge hat ausgesagt, dass er nur einen Mann gesehen hatte, der normalerweise nicht hier wäre. Jedoch stimmen sie in der Zeugenbeschreibung nicht überein. Ein Täterbild können wir also vergessen.“
Ich schielte kurz zu ihm herüber. Mit den dunkelbraunen Augen, den kurzen, schwarzen Haaren und seiner gebräunten Haut wirkte er einfach unwiderstehlich. Mein Herz schlug höher und ich zwang mich, meinen Blick von ihm zu lösen. Es würde sowieso nie möglich sein, mit ihm… Allein für den Gedanken würde John mich auslachen.
Ich seufzte und strich mir die Haare hinter die Ohren. „Na gut. Lass uns ins Büro gehen. Wir müssen ein Täterprofil entwickeln und den Kollegen bekannt geben. Ich hab nämlich keine Lust, auf noch eine seiner Gräueltaten.“
Damit ging ich aus dem Rathaus und zu seinem Auto. Er brauchte ein Wenig länger als ich und schaute mich dann über das Dach seines LandRovers an. Ich erwiderte seinen Blick und wies auf die Tür. „Ich komm leider nicht rein, wenn du nicht aufsperrst.“, sagte ich und schaute ihn unschuldig an. Er kicherte nur und schüttelte den Kopf.
„Natürlich, Kleines. Das war meine Absicht.“, erklärte er und strahlte mich wieder an. Ich kaute wieder auf meiner Unterlippe herum. Was hatte er wohl vor?
„Ich wollte es bis jetzt nicht sagen, aber es scheint mir nur gerecht, wenn ihr erfahrt, was mir früher passiert ist.“, flüsterte er und sein Blick wurde leidend. Ich schluckte und wollte ihn nur noch tröstend und beschützend in den Arm nehmen. Innerlich ohrfeigte ich mich selber für diesen weiteren Gedanken.
„Meine Frau und meine Tochter…“, fing er an und ich konnte nur denken: Er hat Frau und Kind?
„…sie wurden beide ermordet. Ich war beim Dienst und konnte sie nicht beschützen.“
Ich schluckte „Sie wurden ermordet?“
Er nickte und schaute in den stetigen Verkehr. Ich konnte seinen Schmerz verstehen und hielt meinen Mund.
„Danke.“
Er schaute mich überrascht an. „Wofür?“
Ich lächelte. „Für dein Vertrauen in mich.“
Er lächelte ebenfalls kurz, dann schloss er die Tür auf und setzte sich auf den Fahrersitz. Ich stieg ebenfalls ein und zusammen fuhren wir zum Büro.


„Weshalb sind wir hier?“, fragte einer der Polizisten und ich knirschte mit den Zähnen. Keinerlei Geduld! Ich hoffte, dass ich früher nicht so gewesen war in meiner Zeit als Streifenpolizist.
„Unser Team hat bezüglich der zwei Morde ein Profil des Täters entwickelt.“, erklärte Scotty und schaute den Polizisten vernichtend an. Der würde nie wieder ungeduldig sein! Selbst ich bekam bei ihren Blicken Angst.
„Wir sind uns relativ sicher, dass es sich um einen einzelnen Mann handelt. Er ist ein Psychopath mit extrem kirchlicher Erziehung. Zeugen haben beschreiben, dass er dunkle, kurze bis mittellange Haare hat und ungefähr einen Meter achtzig groß war. Genaue Angaben weichen jedoch voneinander ab, sodass es zu keinem Täterbild führen würde.“, sagte Kessy und versuchte, jeden der vor ihr sitzenden Personen direkt anzuschauen. Sie war vielleicht nicht so schön wie Scotty, aber dafür machte sie ihre Aufgabe als Kriminalpsychologin ausgezeichnet! Genau das schätzte ich so an ihr.
Luc kam in den Raum und wies mich an, ihm zu folgen. Ich entschuldigte mich und folgte Luc nach draußen.
„Was gibt’s, du kleines Computergenie?“, fragte ich und lehnte mich an die Wand des Flurs. Luc schaute mich traurig an. „Kleines?“
Ich seufzte und verdrehte die Augen. Luc war mit 27 Jahren noch relativ jung für einen Job beim CSI. Aber seine Bewerbung hatte selbst mich beeindruckt. In allen Fächern eine eins, außer in Sport. Einen IQ von fast 200 und ein sehr gutes, bildliches Gedächtnis. Es war ein Segen, dass er meinem Team zugeteilt worden war. „Na gut. Großes Computergenie! Also, was hast du rausgefunden?“
Luc strahlte und schaute dann auf den Zettel in seiner Hand. „Die Proben, die ihr mir geschickt habt. Es war tatsächlich Zement und Erde. Die Erde findet man jedoch nur in einem einzigen Stadtteil von New York.“, erklärte er und schaute kurz zu mir hoch.
„Welches?“, fragte ich. Luc und seine ewigen Verhinderungen, würden mich noch ins Grab führen!
„In Staten Island.“, sagte Luc feierlich und hielt mahnend einen Finger hoch, als ich sprechen wollte. „Ich bin noch nicht fertig. Der Stofffetzen, den Kessy am Tatort gefunden hat, war mit Weihrauch benebelt. Außerdem habe ich genau den gleichen Zement an dem Stoff gefunden, wie unter den Fingernägeln des Opfers. Und das Laub hat mich auch stutzig gemacht. Also hab mich mal ein bisschen nachgeforscht und Bingo! Es war das Laub von einer Weihrauchpflanze. Das Opfer wurde also in der Nähe einer Kirche umgebracht, da nur dort diese Pflanzen stehen dürfen.“
Ich nickte und trommelte wieder mit meinen Fingern. „Sonst noch was?“
„Allerdings.“, grinste Luc und zeigte mir eine Liste mit drei Männern. „Ich hab noch ein bisschen herumgestöbert und habe in Staten Island nur drei Männer gefunden, die regelmäßig die Zigarrensorte ‚Bolivar‘ aus Kuba kaufen.“
Ich zog überrascht die Augenbrauen nach oben. „Nur drei? Diese drei?“
Luc nickte und ich klopfte ihm auf die Schulter. „Gute gemacht, Luc. Bin stolz auf dich.“
Das Computergenie grinste und ich nahm den Zettel mit in den Raum.
„Kessy, du nimmst dir einen der Streifenpolizisten und ihr fahrt zum ersten Verdächtigen. Scotty? Gerry? Ihr nehmt den Zweiten!“ Ich wies auf den ungeduldigen Polizisten. Er schien mir ziemlich jung. Circa Lucs Alter. „Sie kommen mit mir! Die Adressen schicke ich euch aufs Handy. Los.“
Sofort machten sich alle auf den Weg und auch der Streifenpolizist folgte mir ohne zu zögern.


Kurz nachdem wir losgefahren waren, schickte John uns die Adresse und ich nannte sie Gerry. Er fuhr ziemlich schnell und ich war froh, dass ich einen starken Magen hatte. Die Adresse lag in Staten Island und in einem der gefährlicheren Gegenden. Nicht grade mein Lieblingsziel.
„Was denkst du, wie lange es noch dauert?“, fragte Gerry, schielte kurz zu mir herüber und konzentrierte sich dann wieder auf die Straße. Ich überlegte kurz.
„Vielleicht eine halbe Stunde. Schwer zusagen bei deinem Tempo.“, antwortete ich und Gerry lachte. Ich schaute ihn genervt an. „Was?!“
Gerry grinste und bog dann scharf um eine Ecke. „Ich meinte nicht die Fahrt.“
Verwirrt runzelte ich die Stirn. „Was dann?“
„Wie lange es noch dauern wird, bis Kessy und John endlich zusammen kommen!?“
Ich seufzte. „Musst du dich immer in unser Privatleben einmischen? Das geht dich doch gar nichts an!“
Gerry zuckte nur mit den Schultern und wir redeten für eine Weile nicht miteinander.
„Ich denke, dass es nie etwas wird.“, sprach ich und schaute aus dem Fenster. Gerry schaute mich daraufhin erst verwirrt an und dann wieder auf die Straße. Anscheinend verstand er jedoch, worauf ich hinauswollte, denn er lächelte wieder.
„Warum nicht?“
„Weil Kessy und John zu viel an den Gesetzen und Regeln liegt. Und eine davon lautet, nichts mit seinen Kollegen anzufangen. Erinnerst du dich?“
Er schnaubte abfällig. „Du siehst die Beiden doch genauso wie ich. Sie schauen sich bei jeder sich bietenden Gelegenheit verstohlen an und die Bewunderung und die Liebe für den jeweils anderen kann selbst ich in ihren Blicken erkennen.“
Ich schaute ihn belustigt an. „Ich denke du bist Scharfschütze und nicht Kriminalpsychologe? Hast du mir was verschwiegen?“
Er lachte. „Nein. Ganz bestimmt nicht.“
Lächelnd fuhr er weiter und wir schwiegen bis zum Ende der Fahrt. Die Adresse gehörte zu einem kleinen Haus. Weiße Wände und blaue Fensterrahmen. Überall standen Blumenkästen mit farblich zueinander passenden Blüten. Wir stiegen aus und ich bemerkte nebenbei: „Eindeutig das Werk einer Frau.“
Gerry schnaubte. „Klar. Noch nicht gewusst, dass auch Männer kreativ sein können?!“
Ich streckte ihm grinsend die Hand hin. „Gut. Ich wette 10Dollar, dass unser Verdächtiger mit einer Frau zusammenlebt.“
Gerry schlug ein. „Einverstanden.“
Wir gingen zur Tür und uns öffnete ein junges Mädchen. Ich beugte mich lächelnd zu ihr herunter. „Kennst du Jason Maradon?“, fragte ich sie und sie wich verängstigt einen Schritt zurück. Sie eilte ins Haus zurück und kam kurz darauf hinter einer Frau hinterher. Ich würde sagen, dass war die Mutter der Kleinen.
„Wieso fragen sie nach meinem Mann?“, hauchte die Frau und ich bemerkte ihre dunklen Augenringe. Gerry räusperte sich.
„Entschuldigen sie, Mam. Aber wir müssen mit ihrem Mann reden, wegen einem unserer Fälle. Ist er da?“
Sie war den Tränen nahe und schluckte ihre Traurigkeit herunter. „Tut mir leid. Das ich nicht möglich.“
Ich schaute sie verwirrt an. „Warum nicht, wenn ich fragen darf?“
Die Frau lächelte schwach. „Weil Jason vor einem halben Jahr an Lungenkrebs gestorben ist.“


„In Ordnung, Scotty. Fahrt zurück ins Büro und wartet dort auf uns.“, sprach ich in meinen technischen Tyrannen und steckte es zurück in die Hosentasche. Gelassen ging ich zurück ins Wohnzimmer unseres Verdächtigen und setzte mich wieder neben den Streifenpolizisten. Er hat die Beine solidarisch nebeneinander gestellt und rang mit seinen Händen. So ein Weichei!
Unser Verdächtiger, Raphael Manson, hatte schwarzes Haar und dunkelbraune Augen. Vielleicht machten diese drei Dinge, Name und Farbe von Haaren und Augen, ja das Gefühl in mir breit, dass etwas mit diesem Typen nicht stimmte.
„Also gut, Raphael. Ich darf sie doch Raphael nennen? Oder wäre ihnen Raph lieber?“, redete ich mit Manson und versuchte ihn so zu verwirren. Er blieb ganz ruhig und lehnte sich zurück. „Raphael ist in Ordnung.“
„Gut, Raphael. Dann sagen sie uns doch bitte, wo sie gestern Abend und heute Vormittag gewesen sind.“, sprach ich höflich und betonte seinen Namen dabei sehr deutlich.
Raphael verleierte die Augen. „Zuhause. Das sagte ich doch bereits.“
„Irgendwelche Zeugen?“, fragte der Polizist etwas unsicher. Raphael schien es nicht aufzufallen, denn er seufzte einfach nur genervt.
„Natürlich. Meinen dreijährigen Kater Jimi.“ Humor hatte er. Das musste ich ihm lassen.
„Das zählt leider nicht.“, erwiderte der Polizist und entspannte sich etwas.
Ich tippte wieder nervös mit meinen Fingern – nur diesmal war es gespielt. „Sie… haben nicht zufällig eine Zigarre für mich?“
Raphael schaute mich verdutzt an. „Ich dachte eigentlich immer, Beamten wäre es verboten, während der Arbeitszeit zu rauchen. Aber natürlich…“, er stand auf und öffnete eine kleine Schatulle. Dann kam er zurück, in der Hand eine erstklassige Zigarre. „… habe ich immer ein paar Zigarren vorrätig.“


Ich drehte sie und las die Marke. „Bolivar. Ausgezeichnete Ware. Kuba, nicht wahr?“
Raphael nickte und lächelte sicher. „Genau. Sie wissen ziemlich gut Bescheid.“
„Gehen sie oft in die Kirche?“, fragte der Polizist und ich lächelte. Ausgezeichneter Schachzug.
Raphael runzelte die Stirn. „Nein. Das letzte Mal war ich in der Kirche, während der Hochzeit meiner Cousine vor dreizehn Jahren. Warum fragen sie?“
Ich wollte gerade antworten, als mein Handy erneut summte. Wütend ging ich ran und meldete mich mit einem barschen „Was?!“.
Scotty meldete sich. „John? Wir haben den Täter! Es ist Thomas Lydia!“
Ich verabschiedete mich von Raphael und ging mit dem Kleinbeamten zusammen nach draußen. „Woher weißt du davon?“, fragte ich und lief zu meinem LandRover.
„Kessys Begleitung ging an ihr Handy ran, als ich sie angerufen habe, um ihr Unterstützung anzubieten. Die Polizistin sagte, Kessy wäre alleine in das Haus gegangen und noch nicht wieder herausgekommen. Das war vor einer halben Stunde!“
Übelkeit kam in mir auf und ich wechselte das Ohr. Meine Hände wurden feucht. „Was ist mit ihr?“
Scotty schwieg.
„Scotty!? Was ist mit Kessy?!“, schrie ich ins Telefon und der Polizist schaute mich irritiert an.
„Wir wissen es nicht, Boss. Wir haben das Haus sofort gestürmt als wir da gewesen sind, aber von Kessy keine Spur. Auch nicht von Thomas. Es war niemand im Haus!“
Das reichte mir. Ich legte auf und stieg in mein Auto. Der Polizist quetschte sich auf die Rückbank. Mir war es nur Recht. Ich fuhr sofort zurück ins Hauptquartier und hoffte – betete, dass Kessy nichts passiert war.


Mir war schrecklich übel und mein Kopf hämmerte. Von irgendwoher kam Licht und blendete mich schmerzhaft. Mein Hinterkopf fühlte sich seltsam taub und feucht an. Ich wollte ihn vorsichtig berühren, aber meine Hände bewegten sich keinen Millimeter. Auch meine Beine waren nicht einsatzfähig. Ich stöhnte frustriert auf und öffnete meine Augenlider ein Wenig. Licht traf auf meine Netzhaut und Schmerz explodierte in meinem Kopf. Ich zuckte zusammen und schloss meine Augen sofort wieder.
Ein gehässiges Lachen ertönte neben mir und jemand griff in mein Haar. Mein Kopf wurde brutal nach hinten gerissen und fauliger Atem schlug mir entgegen.
„Ah! Das Püppchen ist also aufgewacht! Wie wunderbar! Grade richtig zur Vorstellung!“, keifte der Mann und ließ mich wieder los. Schritte ertönten und ich wagte es, erneut meine Augen zu öffnen. Der Schmerz war diesmal erträglicher und ich blinzelte benommen. Ich saß gefesselt auf einem Stuhl und einem jungen Mann gegenüber. Nein, er war gar nicht hier. Das war ein Bildschirm. Er schaute verzweifelt in die Kamera und versuchte sich gegen das Klebeband an seinem Mund und die Seile um seine Handgelenke und seine Fußknöchel zu wehren.
„W-wer sind… sie?“, hauchte ich tonlos und meinte damit nicht den Mann hinter dem Bildschirm, sondern denjenigen, der hier bei mir war. Er kam auf mich zu und hockte sich direkt vor mich. „Ich bin Walter. Walter Lydia.“
„Lydia? Sind sie… Thomas Vater?“, flüsterte ich und knirschte mit den Zähnen, um den Schmerz zu vertreiben. Dadurch wurde er jedoch nur schlimmer, deshalb ließ ich es bleiben und versuchte mich auf Walter zu konzentrieren. Er war jung. Vielleicht vierundzwanzig. Eher noch dreiundzwanzig. Seine Haare waren dunkel und seine Augen wirkten in diesem Licht fast schwarz. Johns Theorie bewahrheitete sich also. John! Wo war er? Wo war ich? Was war hier überhaupt los?
Mein Kopf fing schlimmer an zu hämmern, bei den vielen Gedanken in meinem Kopf und Walter lachte. „Ja. Das bin ich Püppchen. Und nun: Genieße die Show.“
Ich schluckte hart und Walter stand auf. „Vater! Wir müssen das nicht tun! Es ist Sünde!“, ertönte eine junge Stimme und ich schaute irritiert auf. Aber hier war nur Walter, der sich verängstigt zusammenduckte. Dann richtete er sich auf und sein Gesicht wurde wieder die kaltblütige Maske. „Nein, mein Sohn. Sie sind Sünde! Sie verachten Gott! Unseren Vater! Dafür verdienen sie den Tod!“
Walter wurde wieder verängstigt und weichherzig. „Aber, Vater…“
Urplötzlich entspannte sich der junge Mann und sein Gesicht wurde liebevoll und zuneigend. „Meine Söhne. Ihr müsst Urteil sprechen. Ihr seid die Einzigen, die mich rächen können. Erfüllt eure Aufgabe und ihr werdet immer einen Platz in meinen Reihen finden.“
Mir wurde alles klar. Unser Täter war nicht nur ein Psychopath, sondern litt auch an Schizophrenie. Wahrscheinlich war er Thomas, Walter und Gott zugleich. Er wollte gar nicht morden. Stand aber unter Zwang zweier Väter – Gott, als seinen seelischen, und Walter, als seinen leiblichen. Der Junge musste eine schwere Kindheit mit extrem kirchlicher Erziehung gehabt haben, um solche Persönlichkeiten zu entwickeln. Wie stark hatte Walter ihn wohl auf die Kirche geprägt?
„Thomas…Lydia?“, hauchte ich und starrte den jungen Mann an. Doch seine Gestik und Mimik änderte sich nicht. Er blieb also Gott.
„Hindere meine Söhne nicht an ihrer Tat. Denn das wäre Gotteslästerung, meine Tochter.“, sprach er in der weichen und vertrauensseligen Stimme und verschwand aus der Hütte. Ich nutzte die Möglichkeit, um mich genauer umzuschauen. Es war ein roher Raum. Die Wände noch nicht verputzt und die Decke seltsam geformt. Es erinnerte mich an eine Kirche. Es roch nach Weihrauch, aber auch nach feuchtem Morast. Ich stand allein in dem großen Raum und nur vor mir der Fernseher. Der Mann versuchte mittlerweile um Hilfe zu schreien, aber durch das Klebeband hörte ihn niemand. Der Raum indem er saß, kam mir seltsam bekannt vor. Er war mit hellen Farben gestrichen und hatte im Hintergrund große Fenster auf eine belebte Straße gerichtet. Ein riesiger Konferenztisch stand im Zimmer und der Mann war auf einen der Stühle gefesselt wurden. Der Stuhl war Sicherheitshalber noch an den Boden geklebt, sodass es für den Mann kein Entrinnen gab. Seine Haare vielen bei seinen Bewegungen aus der Stirn und mir stockte der Atem. Auf seiner Stirn prangte eine grässliche Wunde. Blut und Eiter quollen aus ihr heraus und verdeckten die Form größtenteils. Aber man konnte das Jesuskreuz trotzdem deutlich erkennen.
Übelkeit keimte in mir auf, als eine Tür auf und zu gemacht wurde. Es war nicht bei mir – sondern bei dem jungen Mann.
Entsetzt riss er die Augen auf und Tränen rollten aus seinen Augenwinkeln. Eine Männerhand riss ihm das Klebeband vom Mund und er stammelte etwas wie: „Bitte! Nicht noch einmal! Bitte!“
Der Besitzer der Hand sprach nun und ich erkannte die Stimme, als die von Walter. „Bekennst du dich schuldig? Gestehst du deine Sünden?“
Der junge Mann schüttelte den Kopf. „Ich habe nicht gesündigt!“
„Dann wird dir Feuer und das heilige Zeichen Vernunft beibringen!“, erklärte Walter und drückte brennendes Eisen auf die Wunde des Mannes. Es zischte und der Mann schrie auf. Er versuchte sich zu wehren, aber Walter hielt seinen Kopf an den Haaren fest. Tränen traten mir in die Augen und ich ließ meinen Kopf hängen. Er ließ mich zusehen. Wollte wir mir zeigen, was er mit mir machen könnte. Der junge Mann schrie und schrie. Wurde immer lauter. Dann herrschte Stille. Ich hoffte, er wäre endlich gestorben und öffnete meine Augen. Doch der Mann atmete noch. Walter hatte ihm nur das Eisen von der Stirn genommen. Ich schluckte den Kloß in meinem Hals hinunter und zwang mich weiter hinzusehen.
Walter riss den Mann auf die Füße und schleifte ihn zur nächsten Wand, die noch im Blickfeld der Kamera lag. Ich konnte nicht folgen, wie er den Mann hinstellte, aber mir wurde schlecht bei seiner Tat. Er kreuzigte den Mann genau an die Wand. Diese Schreie, würde ich nie vergessen.


„Was habt ihr schon rausgefunden?“, blaffte ich und stürmte in unser Büro. Scotty und Gerry warfen sich einen verängstigen Blick zu und ich ging zu meinem Platz.
„Wir haben versucht, Lydias Handy zu orten. Aber es ist ausgeschaltet.“, erklärte Gerry.
Scotty wies auf den Fernseherbildschirm und ich konnte eine Akte sehen. „Wir haben außerdem nach seinen Vorstrafen gesucht. Aber der Junge war nicht einmal auffällig geworden. Sein Vater, Walter Lydia, jedoch schon. Er soll mehrere Menschen fahrlässig verletzt haben, weil sie nicht an Gott geglaubt hätten. Er hat ein Haus in Brand gesetzt und gesagt, es wäre Gottes Wille gewesen. Außerdem noch diverse andere Dinge wie Drogenmissbrauch, Diebstahl und Beamtenbeleidigung.“
Ich knirschte mit den Zähnen, verschränkte meine Arme und tippte schnell mit meinen Fingern auf und ab. „Also ist er, und nicht Thomas, unser Mann.“
Gerry schüttelte den Kopf. „Das ist nicht möglich. Er ist seit 3 Monaten tot.“
Ich überlegte kurz. Unser Täter war ein Psychopath. Wahrscheinlich hatte Walter seinem Sohn alle seine Einstellungen übermittelt. Doch wenn Walter bereits seit drei Monaten tot war, wer war dann für die brutalen Morde verantwortlich? Thomas?
„Ärztliche Befunde von Thomas?“, fragte ich. Die Tür des Fahrstuhls ging auf und Luc kam auf mich zugerannt. „Allerdings, John. Thomas Lydia wurde dreimal in eine Irrenanstalt eingewiesen.“
„Grund?“
„Verdacht auf Schizophrenie.“, antwortete Luc und studierte die Befunde. „Das letzte Mal, war vor fast drei Monaten. Man schrieb, dass er Anzeichen auswies, sein verstorbener Vater wäre seine dritte Persönlichkeit. Beweisen konnte man es jedoch nicht und er konnte wieder gehen.“
„Dritte Persönlichkeit?!“, fragte Scotty verwirrt und Luc nickte.
„Bei seinen anderen Besuchen hatte man festgestellt, dass er sich als Gott hält. Als den fleischgeworden Jesus auf Erden.“, sprach Luc und wies auf eine bestimmte Zeile. „Er sprach mit sich alleine und das in zwei Persönlichkeiten. Als er selber und als Gott. Sich selber nannte er entweder Heiliger Vater oder geliebter Sohn. Jedoch nur, wenn er sich sicher war, dass nirgends etwas zur Bestandsaufnahme stand.“
Ich wollte gerade etwas erwidern, da gingen alle Lichter aus. Die Bildschirme wurden schwarz und kein Telefon klingelte mehr. Das Notstromaggregat ging an und unser Büro wurde minimal beleuchtet. Unser Bildschirm ging an und ich konnte eine unscharfe Aufnahme erkennen. Jemand saß in einem dunklen Raum, gefesselt auf einen Stuhl, den Kopf hängend. Lange, braune Locken fielen nach unten und verdeckten den Blick auf das Gesicht. Jemand sprach in einer tiefen Stimme. Jedoch so leise, dass ich sie nicht verstehen konnte. Eine Glocke ertönte in nicht allzu weiter Ferne und die Person auf dem Stuhl, stöhnte schmerzhaft auf. Ich erkannte, dass die gefesselte Person, eine Frau war und schluckte. Braune Locken.
„Willst du, meine Tochter, deinen Freunden vielleicht noch etwas sagen?“; fragte eine gütige Stimme und die Frau schreckte hoch. Ihre Augen waren vom Weinen aufgequollen, ihre Wangen rot verfärbt und ihre Lippen blass blau. Schock breitete sich in mir aus und ich musste mich setzen, um nicht umzukippen. Kessy starrte in die Kamera und ihr Blick schien sich direkt in meinen zu bohren. Dann richtete sie ihren Blick auf Etwas hinter der Kamera.
„W-wie meinen sie das, Walter?“
Die Stimme lachte amüsiert. „Ich bin nicht Walter, mein Kind! Ich bin Gott, der Heilige Vater! Ich möchte, dass du deine letzten Worte an deine Freunde sprichst. Sie schauen zu.“, erklärte die Stimme und Kessy schaute wieder in die Kamera. Eine Träne rollte ihr über die Wange und ich schluckte berührt. Ich wollte nur noch zu ihr und sie beschützen.
„Luc! Versuch das Signal des Senders zurückzuverfolgen!“, keifte ich und konzentrierte mich dann wieder auf den Bildschirm. Kessy lächelte mich direkt an.
„Was soll ich schon sagen?“, fragte Kessy kalt und starrte wieder den Besitzer der Stimme an.
„Tu was ich dir sage! Es gilt als Gotteslästerung, meine Wünsche nicht zu erfüllen!“, schrie die Stimme und die Worte hallten laut von den grauen Wänden wieder.
Kessy lächelte. „Ich bin Christ. Ich werde Gott nicht in seinen Tempeln verärgern!“
Ich kniff die Augen zusammen und beobachtete genau die nächsten Dinge.
„Du wagst es, dich mir zu widersetzen?! Gott selbst?! In einem Gotteshaus?!“, rief die Stimme aufgebracht und ein junger Mann erschien im Bild. Drohend ragte er über Kessy auf und ballte die Hände zu Fäusten. Es war eindeutig Thomas Lydia, der da stand – aber in welcher Persönlichkeit? Ich vermutete, als Gott selbst.
Kessy grinste. „Wer Weihrauch, heiliges Feuer und das Zeichen Jesu, das heilige Kreuz, braucht, um seine Taten zu rechtfertigen, der ist kein Gott.“, sprach sie ruhig und schaute dann in die Kamera. Lautlos formte sie drei Worte mit den Lippen, welche für mich bestimmt waren und die nur ich ablesen konnte. Das wusste sie. Dann wurde das Bild schwarz und die Lampen und Computerbildschirme gingen wieder an.
Gerry, Scotty und Luc schauten mich erwartungsvoll an. Ich knirschte mit den Zähnen und ließ mich von meinem Tisch auf meinen Stuhl gleiten. „Was machen wir jetzt?“, fragte Scotty und Gerry nickte zustimmend.
„Und was hat sie gesagt?“, fragte Luc und trat von einem Fuß auf den anderen. In meinem Kopf überlegte ich, was das Wort zu bedeuten hatte. Was sie damit gemeint hatte.
„Luc? Du suchst alle Kirchen in Staten Island. Vielleicht hilft uns das irgendwie weiter.“, murmelte ich und setzte mich selber an den Computer, um etwas zu recherchieren. Scotty und Gerry standen immer noch dumm rum und ich warf ihn einen vernichtenden Blick zu. „Wenn ihr nichts zu tun habt, wäre Kaffee wirklich gut. Ich bin seit zwei Tagen nicht zum Ausschlafen gekommen und werde das auch nicht so schnell.“


Walter ging die ganze Zeit auf und ab, auf und ab. Obwohl, eigentlich war es ja Thomas. Die Schultern des jungen Mannes waren eingezogen und er murmelte die ganze Zeit unverständliche Worte. Ich räusperte mich und verzog daraufhin schmerzverzerrt das Gesicht. Mein Kopf tat immer noch weh, nur leider vergaß ich das immer wieder. Aufgebracht fuhr Thomas zu mir herum und schaute verängstigt durch die Kirche.
„Was wollen sie?“, fragte er leise und kam ein Wenig auf mich zu. Ich lächelte leicht und leckte mir über meine trockenen Lippen. „Ich würde gerne ein Glas Wasser haben. Können sie mir das bringen?“
Energisch schüttelte Thomas den Kopf. „Das kann ich nicht! Vater würde es nicht gutheißen!“
Ich atmete tief ein. Der Junge musste eine wirklich schwere Kindheit gehabt haben, um so auf die Frage nach einem Schluck Wasser zu reagieren.
„Er muss es nicht erfahren, Thomas. Von mir auf jeden Fall nicht.“, sagte ich freundlich und Thomas schaute auf. Er ging an mir vorbei und ich hörte, wie er eine Flasche öffnete. Als er wieder kam, hielt er mir ein Glas Wasser an die Lippen und ich trank es gierig aus. Ich lächelte ihn an. „Danke, Thomas. Das wird Gott ihnen als gute Tat anrechnen.“
Seine Pupillen wurden groß und sein Gesicht wurde ausdruckslos. „Woher willst du wissen, was meine Taten sind? Meine Taten sind unvorhersehbar! Göttlich!“
Ich schluckte und wusste, bald wäre alles vorbei.


Ich tippte seit gut zwei Stunden an meinem Laptop, aber ich kam nicht weiter. Ich konnte mich nicht konzentrieren. Die Angst um Kessy war einfach zu groß.
Luc stürzte in unsere Abteilung und hielt triumphierend einen Zettel hoch. „Ich hab’s!“
Ich zuckte hoch und betrachtete ihn fröhlich. „Was?!“
„Drei Kirchen. Ich hab erst alle gesucht und dann nur die, vor denen eine Weihrauchpflanze steht.“
„Welche?“, fragte Gerry und stand auf.
„Sankt Justus, Sankt Paulus und Sankt Benediktus.“, erwiderte Luc und ließ auf unserem Bildschirm drei Bilder erscheinen. Sie zeigten drei verschiedene Kirchen. Eine war komplett mit Mamor bekleidet, die zweite eine alte Kirche aus Holz mit einem großen Glockenturm und einer, die neu aussah. Sie schien mir noch nicht fertig, grade erst im Bau.
„Sankt Justus, die Mamorkirche, können wir ausschließen. Man könnte Niemanden dort festhalten, da erst heute Morgen zwei Beerdigungen dort stattgefunden haben. Die zweite, Sankt Paulus, ist aus Holz. Nur Sankt Benediktus, die dritte, passt zu all unseren Beweisen. Auch dem Zement unter den Nägeln des zweiten Opfers.“
Ich riss meine Jacke vom Stuhl und Scotty und Gerry folgten mir aus dem Gebäude. Wir würden Kessy retten. Das wollten wir und würden wir schaffen.


Das SWAT-Team war bereits vor der Kirche Sankt Benediktus und wir entsicherten unsere Waffen. Gerry hatte sich in seine Ausrüstung geworfen und ging nun als Anführer des SWAT-Teams auf die Kirche zu. Ich folgte ihm und hinter mir Scotty. Mehrere Schaulustige hatten sich in der Nähe versammelt und redeten aufgeregt miteinander. Auch die Presse war bereits da und ich schickte Scotty los, um die Menge von der Kirche fernzuhalten. Sie ging und wir konnten uns komplett auf unseren Auftrag konzentrieren.


Thomas ging schon wieder auf und ab. Doch diesmal rannte er von einem Fenster zum Anderen. Er schien geschockt und aufgebracht. Fast schon wütend. Ich schluckte und versuchte wieder, meine Fesseln zu lösen. Doch sie waren perfekt geknotet und schnitten mir nur immer weiter ins Fleisch. Thomas drehte sich wütend zu mir um. Nein, es war Walter. Er rannte auf mich zu und verpasste mir eine Ohrfeige. „Die sind alle nur wegen dir da, du Schlampe! Ohne dich wäre das Alles gar nicht passiert! Du verdammte Hexe!“
Er nahm meinen Stuhl und zog ihn mit mir auf den hinteren Teil der Kirche zu. Ich wollte schreien, doch er verpasste mir einen gezielten Schlag in den Nacken und ich sackte bewusstlos zusammen.


Gerry trat die Tür ein und innerhalb weniger Sekunden waren wir alle in der Kirche. Doch da waren wir auch die Einzigen. Ansonsten hing nur ein widerlicher Geruch nach Weihrauch und Morast in der abgestandenen Luft in Sankt Benediktus. Aus dem hinteren Teil der Kirche ertönte ein Geräusch, als eine Tür verriegelt wurde. Sofort stürzte das SWAT-Team nach hinten. Nur ich rannte wieder zur Tür. Gerry folgte mir. Wir gingen zielstrebig um das Gebäude herum und an der Ecke stoppte ich urplötzlich, sodass Gerry fast in mich reinrannte. Ich gab ihm das Zeichen, mir ab jetzt leise zu folgen und folgte Thomas Lydia und Kessy in den angrenzenden Wald. Sie waren bereits hinter der ersten Reihe von Bäumen verschwunden, weshalb ich und Gerry schneller liefen.
Thomas hatte Kessy auf einer Lichtung abgestellt und ihr Kopf hing vorn über. Ohne groß darüber nachzudenken, steckte ich meine Waffe weg und eilte zu ihr. Gerry wollte mich zurückhalten, aber ich war bereits auf der Lichtung und zu weit von ihm weg. Besorgt strich ich ihr die Haare aus der Stirn, aber er hatte ihr nichts angetan. Sie war nur bewusstlos.
„Du bist also ihr Boss, hm?“, fragte eine tiefe Stimme hinter mir. Ich schluckte und drehte mich langsam zu ihm herum. Thomas Lydia stand mir gegenüber, in der Hand die Eisenstange mit dem Jesuskreuz. Ich hob ergebend meine Hände. „Thomas, bitte legen sie die Waffe weg. Ich werde ihnen nichts tun. Versprochen.“
Er lachte nur und wies mit der Stange auf meine Waffe. „Legen sie die ab.“, forderte er und ich folgte seinem Wunsch. Kurzerhand lag die Waffe vor seinen Füßen und er hob sie auf.
„Vielleicht sollte ich mich nun vorstellen.“, sprach Lydia und richtete sich auf. „Ich bin nicht Thomas. Ich bin Walter.“
Ich nickte. Stimmt. Thomas war schizophren. Er hatte den Verlust seines Vaters nicht verstanden, erst recht nicht verkraftet, und wurde selbst zu ihm. „Walter, bitte. Hören sie mir zu.“
„Halten sie die Klappe!“, brüllte Walter und ich zuckte zusammen. Seine Stimme war kräftig und Angst einflößend.
„Walter, bitte. Hören sie mir doch wenigstens zu!“, versuchte ich es erneut und bekam dafür eine mit meiner Waffe gegen die Schläfe verpasst. Ich sackte zur Seite und rollte mich schwer auf den Rücken. Thomas stellte seinen Fuß auf meine Brust und drückte zu. Ich bekam keine Luft mehr. Wollte mich gegen seinen Fuß wehren, aber er war zu stark. Ich schaute ihm verängstigt in die Augen und konnte den Wahnsinn in seinen Augen sehen. Der Mann gehörte in klinische Behandlung!
Urplötzlich war Thomas Lydia weg und ich rang keuchend nach Atem. Schwerfällig setzte ich mich auf und sah Thomas im Wald verschwinden. Er hinkte stark und Gerry kam zu mir. Ich wies auf Thomas und Gerry verstand. Augenblicklich nahm er die Verfolgung auf und ließ mich mit Kessy allein auf der Lichtung. Ich kämpfte mich zu ihr und machte mich daran, ihre Fesseln zu lösen. Sie waren stark und ich hatte die ersten Momente meine Probleme mit ihnen, da ich noch nicht ganz zu Atem gekommen war. Letztendlich bekam ich die Knoten gelöst und hob mir Kessy auf die Arme. Sie war blass und hing wie ein Schluck Wasser in meinen Armen. Während ich sie in Richtung Straße trug, wurde sie wach und starrte mich aus halbgeöffneten Lidern an. „J-john?“, hauchte sie kaum hörbar und ich lächelte sie an.
„Alles ist gut, Kessy. Du bist in Sicherheit.“, erklärte ich und drückte sie etwas dichter an mich, um ihr zu zeigen, dass ich sie beschützte. Egal, was kommen würde. Ich beugte mich zu ihr herunter. „Ich dich auch.“, hauchte ich in ihr Ohr- Sielächelte schwach und fiel wieder in Ohnmacht.


Zweige peitschten mir ins Gesicht. Mein Bein brennte und ich verlor viel Blut. Ich rannte lange. Durch den Wald. Irgendwann, kam ich am Strand an. Das Meer lag ruhig da und wurde vom weißen Licht des Mondes beleuchtet. Ich schloss friedlich die Augen und lies den Wind durch mein Haar fahren. Hinter mir ertönten Schritte. Ich fuhr herum und starrte einen Mann an. Er hatte die Waffe im Anschlag und sah aus wie ein menschlicher Panzer. Ich nahm ängstlich meine Waffe hoch und richtete sie zitternd auf ihn.
„K-keinen Schritt weiter, sonst schieße ich!“, rief ich ihm zu und schluckte. Ich entspannte mich und richtete mich zur vollen Größe auf. „Mein Sohn, eure Arbeit ist getan, ihr dürft nun zu mir kommen.“, erklärte ich mir ruhig. Ich sackte wieder in mir zusammen. Er nahm uns wirklich in sein heiliges Himmelsreich auf? Wir hatten unsere Sünden reingewaschen?
„Vater?“, fragte ich vorsichtig und mein Vater erfüllte mich. Ich richtete mich auf und straffte die Schultern. Die raue und tiefe Stimme meines Vaters erklang aus meiner Kehle. „Lass uns gehen, Thomi. Wir sind nun bereit.“, sprach er sanft. Ich sackte wieder zusammen und führte zitternd die Waffe an meine Schläfe. Der Mann trat auf mich zu. „Thomas Lydia! Tun sie das nicht! Das ist doch keine Lösung!“
Ich lächelte. „Und wenn dein Leben am Ende ist, wird Gott einen Platz für dich im Himmel bereithalten.“, hauchte ich und umklammerte die Waffe fester. „Das hat Vater immer wiederholt. Er hatte Recht.“
Der Mann kam noch einen Schritt auf mich zu. „Ihr Leben muss noch nicht zu Ende sein, Thomas! Sie sind jung! Wir können ein gutes Wort für sie einlegen!“
Ich lächelte. „Nein. Können sie nicht.“
„Tu es endlich!“, sprach mein Vater und Gott antwortete: „Komm zu mir, mein Sohn. Dir wird es hier gut gehen.“
Ich lächelte und entsicherte die Waffe. Der Mann kam auf mich zu und ich lief rückwärts ins Meer. Die Wellen umwogten meine Beine und der Lauf der Waffe war genauso kühl wie das Wasser.
Komm zu mir, mein Sohn. – Erlöse uns beide, mein Sohn!
Ich lächelte. „Ja, Vater. Den Wunsch erfülle ich dir.“, sprach ich und zog den Abzug.

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Tag der Veröffentlichung: 29.12.2012

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