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Hasensilvester



Die Nacht noch im Nacken lenkte Wolf seinen Wagen durch die dunkle Tiefgarage des Hotels. Unwillkürlich duckte er sich unter der niedrigen Ausfahrt. Die Computer-Schulung und den Fernsehturm im Rücken, den Dom zur Rechten reihte er sich in den Verkehr auf der Karl-Liebknecht-Straße ein. An diesem eisigen Sonntagmorgen Mitte Januar floss das Leben wie gelähmt durch die salzverkrusteten Adern der Hauptstadt. Wolf drehte die Heizung voll auf und schob sich Richtung Autobahn.

„Feigling, Hasenfuß“, hatte ihm die Frau, die sich Jutta nannte, vor wenigen Stunden ins Gesicht gespien, ihr falsches blondes Haar zurückgebunden und ihren prallen Hintern in die engen Hosen gezwängt. „Du wolltest, ich wollte. So einfach ist das.“ Er hatte sie nach ein paar Drinks an der Bar auf sein Hotelzimmer mitgenommen, ihre roten Lippen, ihren schweren und süßlich duftenden Körper. Wollust gegen Selbstmitleid. Am Ende hatte er sich vor sich selbst geekelt und sie fortgeschickt.

Was war nur los mit ihm? Wolf schwitzte. Er ließ das Fenster herunter und kalte Luft strömte in den Wagen. Besser. Klarer. Bei Verstand. Jetzt war er wieder frei von der Unordnung der Nacht. Bereit für München, bereit für Mutter.

München. Wolf erstarrte und trat auf die Bremse. Seine Hände umklammerten das Lenkrad. Er stierte in den Rückspiegel. Dort fand er die Lettern seiner Heimatstadt auf Pappe geschrieben. Ein junger Mann hatte das Schild dm Verkehr entgegengestreckt und jagte jetzt zielsicher auf Wolfs am Straßenrand klebenden Wagen zu. Der große Rucksack drückte ihn nach vorne, dem Boden entgegen. Er schien schnüffelnd Wolfs Fährte aufzunehmen. Weiße Zähne bleckten, ein Lächeln tauchten am Fenster auf. Nach München? Wolf nickte. Die Tür wurde aufgerissen, mit einem Schwall Kälte setzte sich der Typ auf den Beifahrersitz. Wolf fuhr an, nervös vertat er sich mit der Kupplung.

„Ey Mann, Danke.“ Wolf schielte hinüber. „Ach ja, ich heiße Jens. Darf ich?“, fragte sein Mitfahrer und warf seine Daunenjacke auf den Rücksitz. Sie war feucht vom Schnee und roch sauer. Wolf war angewidert. „Ich bin Wolf.“ Jens‘ kurzer, muskulöser Oberkörper schob sich im Sitz zurecht. Warum hatte er ihn einsteigen lassen? Er selbst war hager und schmächtig. Wolfs Augenlider flatterten. Konnte der Typ ihm gefährlich werden? Sein zu großer Mund begann zu reden, die Nasenflügel bewegten sich unentwegt. Als hätte er Wolfs Witterung aufgenommen.

Aber Jens prahlte nur, reizte. Er hätte eine scharfe Woche hinter sich, er sei in Berlin herumgezogen, alte Freundinnen besuchen, Wolf wisse schon, was er meine. Das hätte er für sich tun müssen, seine Flamme hatte ihn nämlich verlassen. Zuletzt sei er bei Doris gewesen, eine Wahnsinns-Frau, solche Beine. Seine Stimme überschlug sich fast, als er mit den Händen das formte, was er für einen erotischen Körper hielt. Wolf sah nicht hin.

Davor sei er ein paar Tage bei Pamela gewesen. Jens‘ Stimme schnarrte jetzt. Sie dröhnte bei der biegsamen Lisa, knarrte bei der fantastischen Dörte. Wolf war fasziniert, wie oft er Laut gab. Was Wolf denn in Berlin gemacht hätte? Wolf konterte mit der blonden Jutta. Er wusste nicht warum.

Bis Leipzig schlief sein Beifahrer. Dann brauchte er eine Pinkelpause und wollte was zwischen die Zähne, wie er sagte. Wolf hielt am äußersten Rand des Rasthofparkplatzes, Jens trabte davon. Die Jacke auf den Rücksitz stank mehr denn je. Er griff nach hinten und warf sie unter das Auto. Sollte er abhauen? Doch in diesem Moment tauchte Jens wieder auf. Nicht alleine, er hatte eine Frau aufgestöbert. „Sabine möchte auch nach München. Ich hab‘ gesagt, dass geht in Ordnung.“ Und zu Sabine: „Der Wolf ist ein anständiger Kerl, der tut niemandem was.“ Zu Wolf: „Ist doch ok, wenn Sie mitfährt?

Wolf stieg aus, nahm Sabine die Tasche ab und verstaute sie im Kofferraum. Sie war nett. Nach seinem Geschmack. Sie lächelte freundlich. Sie gefiel Wolf. Höflich wollte er ihr die hintere Wagentür öffnen. Jens war schneller, riss die Tür auf, schlang seinen Arm um Sabine und bugsierte sie in den Fond.

Sie fuhren weiter. Vom Beifahrersitz aus ging Jens sofort in die Offensive. Wo Sabine herkomme? Ob sie in München wohne? So wie sie aussehe, gehe sie bestimmt immer in die Wonder-Bar? Wolf schaute besorgt zu Sabine. Sie lächelte, antwortete aber nicht. Er wollte ebenfalls etwas sagen, Jens ungeschehen machen. Sein Blick blieb aber an ihrer hohen Stirn hängen. Schön, edel, fand Wolf. Sie ging bestimmt gerne ins Theater, ins Museum oder in die Oper. Ob sie Fotomodell sei, hörte Wolf Jens bellen. Vielleicht ist sie Wissenschaftlerin oder arbeitete in einer Bibliothek, dachte Wolf bei sich. Er nahm sich vor, das herauszufinden, sobald Jens ausgestiegen war.

Mit Verlaub, ob sie einen Freund hätte, gab Jens weiter Laut. Er wolle auch nach München, dann könnte man sich wiedersehen. Er grinste sie an. Dann Wolf. Was er denn meine, er könne doch auch mitkommen, mit ihnen beiden. Dann würde er auch einmal rauskommen aus seinen vier Wänden. Vielleicht habe Wolf ja in München auch eine Freundin, die könne mitkommen. Oder hat er keine? Das würde ihm dann sehr leid tun. Wolf blendete Jens‘ Stimme aus. Der riss weiter die Lefzen auseinander, er wollte die Beute.

Bei Bayreuth hielt Wolf es nicht mehr aus. Er fuhr eine Pinkelstelle an, stürzte aus dem Wagen, rannte um diesen herum, wollte die Beifahrertür öffnen, Jens am Kragen packen, ihm eins auf den feisten Kiefer geben. Doch er unterließ es. Er pinkelte und stieg wieder ein. Inzwischen saß Jens hinten bei Sabine, seine Hand lag auf ihrem Knie.

Kurz vor Ingolstadt kamen sie in einen Stau, sodass Wolf die Autobahn verließ und landeinwärts fuhr. Ob er sich auskenne, fragte Jens von hinten. Wolf sähe nicht so aus, als ob er viel rumkomme. Was meine denn Sabine, wie Wolf aussähe? Er lachte siegesgewiss. Wolf wollte sich rechtfertigen, ließ es aber sein. Sie befanden sich im freien Feld, Schneewehen begrenzten die Fahrbahn und es begann zu schneien. Im Rückspiegel schleckte Jens schier gar Sabines Wange ab.

Plötzlich querte ein Hase von rechts nach links die Straße. Wolf erschrak, riss das Steuer herum, geriet ins Schleudern und rutschte in den Graben. Der Motor erstarb. „Mist, wir stecken fest.“ Jens unterbrach seine Werbung. Sie stiegen aus.

Autofahren kann er so wenig wie reden, versetzte Jens. Da brach es aus Wolf heraus. „Halt einfach die Klappe. Wie du dich aufführst ist ja ekelhaft und schmierig.“ „Ich weiß, dass du auf sie stehst, aber so ein Langweiler wie du macht doch kein Stich.“ Jens kläffte jetzt jedes Wort, Geifer spritzte, seine Worte dröhnten Wolf in den Ohren. In der Ferne fiel ein Schuss, Stille folgte. Jens griff sich verwundert an die Schulter und setzte sich bleich in den Schnee. Blut rann, er winselte.

„Hasensilvester“, sagte Sabine. Es ist der letzte Tag im Jahr, an dem Jagd auf Feldhasen gemacht wird. Jetzt haben sie wieder Schonzeit. Das ist hier noch so Brauch.

Nachdem Wolfs Wagen mithilfe eines Traktors aus dem Graben gerettet war, Jens Kratzer verbunden, setzten sie ihre Fahrt fort. Wolf leitete seinen Wagen wieder Richtung Autobahn. Der Stau hatte sich aufgelöst. Ein Schild zeigte an, dass es noch fünf Kilometer bis zur nächsten Tankstelle waren. Wolf setzte seine Mitfahrer ab. Ruhe kehrte ein. Zuhause schloss er die Tür auf und trat ins Haus. Junge, wo bleibst du? Du weißt, ich warte. Mach endlich meinen Tee. Von oben schrillte die Stimme seiner Mutter und verlangte. Es war wie immer.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 17.07.2011

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Siegergeschichte der ersten Runde des Kurzgeschichten-Turniers, das Thema: "Per Anhalter von Berlin nach München"

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