Noa Noa oder
der Duft
Der tiefe Ton der Schneckentrompete wälzte sich über die Berge, schlug sich durch das regennasse Grün und das blühende Buschwerk der Insel, rollte dann mit mächtiger Kraft über die Sandbank, bis er am Strand ankam. Hier war auch Klara eben angekommen, und noch war sie von dem weißen Nebel der Reise umgeben. Der tiefe Ton aber flog an ihr vorbei und zog hinaus auf das Meer, dort verlor er sich unter der Sonne. Sie schaute ihm nach. Dann hatte sich der Nebel aufgelöst und sie roch das feuchte Holz der Fischerboote.
Neben Klara stand ein Mädchen von etwa zehn Jahren. „Ich bin Adela“, sagte es zu Klara, sah aber aus wie Klaras kleine Schwester Sarah. Nur war Adelas Haut kaffeebraun. Auch Adela hatte dem Laut der Trompete nachgeschaut. Jetzt schaute sie Klara an, dann lachte sie laut heraus. Ihre Stimme perlte durch die Luft, zwei Reihen weißer Zähne kamen zum Vorschein und ihr Mund schien bis zu den Ohren aufzuklappen. Das gefiel Klara und sie beschloss, hier zu bleiben. Also setzte sie sich mit Adela zu den anderen Kindern in den Sand. Sie saßen im Kreis und hatten Muscheln und Hölzer in ihrer Mitte ausgebreitet. Klara spielte und vergaß.
Nicht weit von ihnen hatte sich eine Gruppe Frauen versammelt, alte und junge Frauen, und Klara sah hinüber. Sie waren schön. Sie trugen Tücher in leuchtenden Farben, die sie sich zu roten, gelben oder blauen Kleidern um ihre Körper gewickelt hatten. Ihr schwarzes Haar war zu dicken Zöpfen geflochten und große weiße Blüten strahlten darin. Die Frauen lachten und winkten herüber. Dabei redeten Ihre Stimmen fröhlich durcheinander, bis sie sich mit einem Mal zu einer fließenden Melodie verwoben. Bald mischten sich die springenden Töne der Flöten, der Rhythmus der dumpfen Trommeln und ihrer klatschenden Hände unter den Gesang. Und Klara fiel hinein in die fremden Klänge.
Die Frauen fingen an zu tanzen. Sie warfen ihre Arme in die Luft und die Köpfe in den Nacken, sodass ihre Zöpfe flogen. Ihre Körper in den bunten Tüchern drehten sich und bogen sich, wurden eins mit dem Auf und Ab der Töne, mit dem Laut und Leis des Gesangs. Musik wurde Farbe. Die Kinder und Adela sprangen auf, rissen und zogen Klara mit sich. Alle zusammen rannten sie zu den Tanzenden hinüber. Jetzt tanzten sie alle. Auch Klara warf die Arme in die Luft und den Kopf in den Nacken. Sie drehte und bog sich, wurde eins mit den Tönen und der Musik. Sie war glücklich.
Von fern drang ein Klopfen zu Klara vor. Ein hölzernes Klopfen, das nicht von den Trommeln der Frauen kam. Das hieß, es war an der Zeit und Klara nahm traurig Abschied. Gerne wäre sie noch ein wenig geblieben. Doch dann lösten sich Adela, der Gesang und die tanzenden Frauen im weißen Nebel der Rückreise auf, bis sie nicht mehr zu sehen waren. Allein der Rhythmus der Trommeln wich nicht von Klaras Seite und begleitete sie noch ein Weilchen auf ihrer Fahrt.
Es pochte erneut, fein und auch liebevoll. Leise hatten die Eltern an Klaras Zimmertüre geklopft. Ihre Mutter kam vorsichtig herein. Augen, die hinter Tränen glänzten. Klaras Vater lächelte. Etwas verloren standen die beiden im warmen Licht der Nachmittagssonne und hielten sich an den Händen. Klaras Blick streifte sie nur flüchtig. Sarah fehlte. Sarah war nicht mehr da und würde auch nicht mehr wiederkommen. Sie fehlte ihr.
Klara saß auf dem Boden ihres Zimmers. Auf den Knien hielt sie einen Atlas, die Weltkarte war aufgeschlagen. Heute würde sie noch nicht nach Hause kommen, entschied sie dann. Morgen vielleicht. Und Ihr Zeigefinger schwebte weiter wenige Millimeter über dem Papier. Über der Inselwelt Ozeaniens war er nur einen Augenblick ins Stocken geraten. Dann aber nahm er wieder Schwung auf und setzte seine Fahrt Richtung Westen fort.
Auch Klara machte sich nun auf den Weg. Sie würde solange reisen, bis der weiße Nebel sich wieder lichtete und die ersten fremden Klänge heraufzogen. Afrika, die Serengeti, eine Safari. Wilde Tiere, Elefanten und Löwen, empfingen Sie mit lautem Gebrüll. Es roch nach Sonne und trockenem Gras ...
Texte: (c) chitchatcherry
Tag der Veröffentlichung: 08.10.2010
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Ein Beitrag zum Oktober-Kurzgeschichten-Wettbewerb