1
„Paul?!“ Ich grub gerade hinten im Garten ein Stück Erde um, als vor dem Haus eine Frau meinen Namen rief. Ihre Stimme schrillte in meinen Ohren, ich fuhr erschrocken zusammen. Das war Emma! Klingeln war bei ihr scheinbar nicht drin.
Emma war unsere Nachbarin, und ab und an war sie mir auch eine nette außereheliche Abwechslung gewesen.
Jetzt kam sie zu mir in den Garten. „Paul, Bo ist weg!“ Ich seufzte und richtete mich auf. Mit einer Hand stützte ich mich auf den großen Spaten. Die Handschuhe des Gärtners in der anderen, drehte ich mich zu Emma um. Bo, ihr sabbernder und penetrant kläffender Pekinese, war also weg. „Und?“, fragte ich.
„Er ist weg. Seit heute Morgen“, klagte sie. Dann schaute sie mich an und über ihr Gesicht huschte ein wehmütiger Schatten. Sanft strich sie über meine Wange. Mit einem Ruck brachte ich meinen Kopf fix außerhalb ihrer Reichweite. Das fehlte noch. Alberta war oben in ihrem Zimmer. Sie lag zwar im Bett, aber dennoch.
„Ach, Paul, wie hatten wir’s schön.“ „Und?“, fragte ich gelangweilt und meinte dieses Mal unsere kleine schmutzige Affäre. Was war’s schon? Ein Ehemann und eine bedürftige Witwe hatten hin und wieder ein wenig Spaß miteinander gehabt. Doch Emma musste ja eine Romantiksache daraus machen.
Allerdings hatte irgendwann Alberta von allem Wind bekommen, so glaubte ich wenigstens. Und ich ging auf Nummer sicher. Meiner Frau gehörten nunmal das Haus, der Mercedes und der Jaguar sowie meine komplette Garderobe. Zudem war Alberta vor Kurzem schwer krank geworden und es ging ihr täglich schlechter.
Vom finanziellen und moralischen Standpunkt aus betrachtet, blieb mir nichts anderes übrig, als eine Weile im Stall zu bleiben.
Zu Emma sagte ich nur: „Bo wird schon wiederkommen, sobald er Hunger hat.“
2
Eine Woche später war meine Frau gestorben. Ich hatte das Trauerhaus abgedunkelt, wie sich das ziemte. Als es eines Vormittags klingelte, ging ich zur Tür. Es war Emma. Sie trug Schwarz. Ich fand, es stand ihr ziemlich gut.
Doch jetzt war ich Trauernder. Und als Witwer war ich bald eine Menge Geld wert. Ich verstand, dass Emma gerade jetzt meine Nähe suchte. Doch ich hatte anderes im Sinn. Sie klingelte noch einmal. „Paul? Bist du da?“, rief sie leise. Ich öffnete und gab den Weg in die Eingangshalle frei.
„Oh, Paul. Es tut mir so leid für dich. Das hat ihr keiner gewünscht. Musste sie sehr leiden? Sie sah von Monat zu Monat elender aus, wurde dünner und dünner. Die letzten Wochen habe ich Alberta nur noch am Fenster gesehen. Hat man endlich herausgefunden, was ihr fehlte?“
„Nein, die Ärzte konnten es bis zum Schluss nicht sagen. Am Ende ging alles sehr schnell.“
Sie schaute mich an und wieder fuhr sie mir sanft mit der Hand über meine Wange. Ich ließ es diesmal besser zu, denn unter Trauernden war so etwas ja gut und richtig. „Wenn du etwas brauchst, ich bin für dich da.“ „Danke“, sagte ich und war mir sicher, dass ich dieses Angebot niemals annehmen würde.
Als ich sie so betreten dastehen sah, konnte ich mir eine Frage nicht verkneifen: „Und? Ist Bo wieder aufgetaucht?“ „Nein.“ Dann schaute sie mich an und sagte: „Ich habe die Hoffnung aber noch nicht aufgegeben.“ Hoffentlich meinte sie damit nicht mich.
3
Vier Tage darauf läutete es wieder. Emma! Mittlerweile hatte ich die Nase voll von ihr. Jeden Tag kam sie herüber. Sie war aufdringlich. Sie störte mich. Ich hatte wirklich Besseres zu tun. Doch vor der Tür standen Fremde, ein Mann und eine Frau. Wer war das? Was wollten die von mir? Ich öffnete und versuchte, arglos zu erscheinen.
„Ja, bitte?“ „Guten Tag, mein Name ist Greg Dock. Ich bin Kommissar bei der hiesigen Polizei. Das ist Ruth Ford, meine Kollegin. Dürfen wir eintreten?“ Mir wurde mulmig, denn unter seiner Jacke sah ich eine Pistole. Wieso waren die hier? zerbrach ich mir den Kopf, sagte aber freundlich: „Bitte, kommen Sie herein.“
Die beiden betraten die Halle. „Paul, hören Sie, das mit Ihrer Frau tut uns leid. Aber wir müssen da einer Sache nachgehen.“ Was für einer Sache nachgehen? „Hatte Ihre Frau Feinde?“ „Nein, hatte sie nicht. Sie war stets sehr beliebt.“ Wieso wollte er das wissen? „Warum wollen Sie das wissen?“, sprach ich meine Frage laut aus. „Es tut mir leid, aber ihre Frau … sie ist ermordet worden. Vermutlich mit einem Gift. Das Krankenhaus hat uns diesen Fakt heute mitgeteilt. Sie haben Spuren eines Pflanzengifts gefunden.“
Ich glotzte und schluckte. Das kam unerwartet. „Ermordet? Wer ...“ Ich ließ den Satz so stehen. „Paul, bitte denken Sie nach“, sagte die Polizistin, „hat Ihre Frau je erwähnt, dass sie mit jemandem Streit hatte? Hat sie je davon erzählt, ob ihr jemand zu nahe kam? Bedrohlich nahe vielleicht?“
Ich schüttelte langsam den Kopf und dachte tatsächlich scharf nach. Dann fiel mir etwas ein. „Nein, sie hatte mit niemandem Streit. Aber es gab da eine Geschichte. Doch hatte sie für uns letztendlich keinerlei Bedeutung.“
„Was für eine Geschichte?“, wurde ich auch gleich gefragt. „Vor einer ganzen Weile kam Alberta zu mir“, erzählte ich drauflos, „sie hielt mir ein paar Papierfetzen unter die Nase. Liebesbriefe, die an mich adressiert waren. Keine Ahnung, wo sie die her hatte. Alberta war immer die einzige Frau für mich.“
„Wer hatte die Briefe geschrieben?“
„Meine Nachbarin. Emma Shield.“
„Können wir die Briefe sehen?“
„Nein, leider nicht. Alberta und ich haben sie verbrannt, nachdem wir alles geklärt hatten.“
„Erinnern sie sich, was in den Briefen stand?“ Der Typ war echt hartnäckig. Ich wartete ein paar Sekunden und antwortete dann. „Jetzt, da Sie mich fragen. Damals gaben wir nichts drauf. Wir kannten Emma ja. Eine unmoralische, notgeile Witwe, wenn Sie’s genau wissen wollen. Sie versucht es bei fast jedem Ehemann in der Nachbarschaft.“
„Und weiter?“, fuhr der Polizist fort. Ich sagte ihm, wass er hören wollte. „In den Briefen standen so Dinge wie ‚Bald gibt es nur noch uns zwei!’ oder ‚Ich weiß, was ich tun muss, damit der Weg für uns frei ist.’“ Die beiden von der Polizei schauten sich an. „Danke. Und auf Wiedersehen.“
4
Etwas später saß ich an Albertas Schreibtisch und überlegte, wie sich diese neuen Umstände auf den Zeitpunkt der Beerdigung, auf all die anderen Formalitäten, kurz auf meine Pläne auswirken könnten. Leicht nervös trat ich ans Fenster.
Gegenüber ging gerade die Tür auf und Emma kam heraus, eskortiert von Greg Dock und Ruth Ford. Emma trug jetzt Jeans und Pulli. Schade, sie sah doch ganz nett aus. Obwohl sie stinkwütend war. Sie gestikulierte wild mit den Armen.
Die Polizisten festigten ihren Griff. Ich öffnete das Fenster einen Spalt.
Sie schrie: „Er lügt! Ich habe keine Briefe geschrieben. Ich habe sie nicht vergiftet. Der da drüben ist ein Giftmischer, hat auch meinen Hund umgebracht! Sie brauchen nur hinter seinem Haus zu graben.“ Sie tobte. „Vor einer Woche hab ich ihn fast auf frischer Tat erwischt.“ Dann spie sie aus: „Er besitzt doch keinen Cent. Jetzt, wo sie tot ist, erbt er alles. Er ist schuldig. Er hat Alberta vergiftet.“
Ich schloss das Fenster und zog den Vorhang vor. Eine echt interessante Theorie, dachte ich und grinste vor mich hin. Dumm nur, dass das Wort des Ehemanns mehr zählte, als das Wort einer Vorstadtschlampe. Entspannt machte ich mir eine Tasse Tee, trank diese in einem Zug leer und ging hinaus in den Garten. Dort atmete ich tief durch. Jetzt wird alles gut.
Da raschelte es in den Sträuchern am hinteren Rand des Gartens. Ein Hund kam zum Vorschein und schlich über den Rasen.
So, kommst‘ wieder nach Hause, sagte ich zu dem sabbernden Pekinesen. Dann überkam mich plötzlich der Übermut. Warum nicht noch einmal? Ein allerletztes Mal. Es waren ja noch ein paar von Albertas Pralinen übrig.
Ich ging zum Schuppen und kramte nach dem Pflanzenschutzmittel. Drinnen holte ich aus Albertas albernem Nähkorb die Stricknadel, aus dem Schrank die Pralinen. Ich ging in die Küche. Über der offenen Gasflamme begann die Stricknadel zu glühen. Mit ihr schmolz ich ein winziges Loch in die Schokohülle einer Praline, tropfte das Gift hinein und strich die Schokolade wieder glatt.
Bo saß immer noch im Garten. Ich rief leise: „Komm her, Süßer. Schau, was ich für dich habe.“
Texte: (c) Miriam Kaiser
Tag der Veröffentlichung: 17.09.2010
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Agatha Christie zum 120igsten