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„Wollt ihr in meinen Kasten sehn?
Des Lebens Spiel, die Welt im Kleinen,
gleich soll sie eurem Aug' erscheinen.“


(Friedrich Schiller, Das Spiel des Lebens)




"Wollt ihr in meinen Kasten sehn?"
Ein winziges Stimmchen kam irgendwoher. Die wenigen Wörter knarrten und schnarrten nur so durch die Luft. Moritz aber hatte alles ganz genau verstanden. Da war er sich sicher!
Heute war Moritz siebenter Geburtstag und er war mit seiner Mama auf dem Marktplatz. Genau genommen bei dem Leierkastenmann, der dort immer die tollste Musik aus seiner Drehorgel kurbelte.
Diesen Besuch hatte er sich schon so lange gewünscht. Denn viel lustiger als die Musik war das kleine Äffchen, das auf dem Leierkasten saß. In kurzen Hosen und mit einem knallbunten Jäckchen. Lustig blitzten seine Augen unter einer winzigen Baseballkappe hervor. Das kleine Äffchen kurbelte ebenfalls munter an einem Mini-Leierkasten vor seinem runden Bauch.
„Hallo Moritz!“
Da! Da war es wieder. Das Knarren und Schnarren.
"Willst du in meinen Kasten sehn?"
Konnte das sein? Moritz trat vor. Ja, es konnte.
„Sieh!“, krächzte das Stimmchen, das offenbar dem Affen gehörte.
Eine Tür öffnete sich vorne an dem Leierkasten. Und heraus flogen vier winzig kleine Wesen. Mit spitzen Ohren und spitzen Nasen.
Ihre funkelnden Äugleich waren kugelrund. Jede dieser wunderlichen Gestalten trug einen großen grünen Umhang und blaue Zipfelmützen.
Sie schraubten sich in fröhlichem Durcheinander tanzend und kreisend in die Höhe. Dabei sangen und trillerten sie im Flug. Eines der Wesen spielte die Mundharmonika, ein anderes die Flöte.
Um Moritz Kopf schwirrte und summte es nur so.
Plötzlich ergriff ein Elf seinen linken Arm. Schwupps! Der nächste Elf schnappte sich den rechten. Und zack! packten andere Moritz am großen Zeh.
Sie hoben ihn empor und leicht wie Federn schwebten sie fort. Hoch über den Marktplatz, immer weiter. Dann über Dächer und Gärten. Weiter und weiter, bis Moritz den alten Kirchturm sah. Den, den er von seinem Zimmer aus sehen konnte. Und hören.
Jeden Tag lauschte Moritz den Tönen des Glockenspiels. Sonntags, wenn alle zu Hause waren, sogar jede Stunde. Was konnte man da träumen!
Denn das war das Besondere an dem Kirchturm. Das Träumen, wenn die zauberhafte Melodie des Glockenspiels begann.
Der Kirchturm kam jetzt aber immer näher und näher. Schräg und schief flogen sie direkt darauf zu. Dann krachten die Flugkünstler durch eine Luke ins Innere des Turms.
Dort herrschte ein emsiges Treiben. Mitten im Raum war eine große Drehscheibe. Fast wie bei einem Karussel, nur ohne Figuren, dachte Moritz.
„Hurtig Hella, dein Mützchen!“
„Glätte deinen Umhang, Ugolino!“
„Flippa, lass‘ das Plappern!“
„So ist das zu jeder Stunde, kurz bevor es losgeht.“, erklärte ein runzeliges Eltenmännlein, das sich direkt vor Moritz aufbaute und ihm mit rundernden Armen alles zeigte.
"Unsere Musik, unser Tanz, alles soll perfekt sein. Nun aber, pass auf!“
Das Männlein schien vor Spannung erst einmal tief Luft zu holen. Die Kirchturmglocken schlugen an und Moritz hielt sich vor Schreck die Ohren zu.
Alle Winzlinge hüpften wie auf Kommando auf die Drehscheibe und stellten sich in ganz seltsamen Positionen auf. Die einen standen mit ernsten Gesichtern und andächtiger Miene, die Instrumente fest in den winzigen Händen. Wieder andere klemmten sich Trommeln vor den Bauch.
Dann setzte sich die Drehscheibe ächzend in Bewegung und drehte sich langsam zum Kirchturmfenster hinaus. Moritz schaute mit großen Augen zu. Er lauschte verzückt. Das war die Zaubermusik zum Träumen!
Fünf Minuten vergingen. Dann kamen die Tänzer und Musikanten wieder herein.
„Du hast jeden Einsatz verpasst!“
„Und du hast keinen Ton getroffen!“
So schimpften und schwatzten sie in einem fort.
„Ihr Lieben! Die Arbeit ist getan.“, rief das alte Männlein.
„Jetzt wird gefeiert!“
Und ehe Moritz es sich versah schwebten Kuchen, Krapfen, Bonbons und viele Köstlichkeiten mehr herbei. Die Elfen jubelten ihm zu.
„Alles Gute zum Geburtstag, Moritz!“
Und immer wilder flogen die Zipfelmützen. Immer wilder tanzten und wirbelten die Gestalten.
„Hei, du Träumer! Lass uns nach Hause gehen.“
Mama strubbelte ihm durchs Haar. Moritz schüttelte den Kopf. Er stand wieder auf der Erde, auf dem Marktplatz vor dem Leierkastenmann. Blechern spielte die Melodie der Drehorgel.
Doch was war da? Hatte das Äffchen in der kurzen Hose ihm gerade zugezwinkert? Moritz machte sich mit seiner Mama auf den Heimweg. Er schob die Hände in die Taschen. Kuchenkrümel klebten schokoladig, Bonbonpapier knisterte …

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Tag der Veröffentlichung: 02.07.2010

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