Der Weihnachtsbaum leuchtete durch die hohen Flügeltüren weit hinaus. Die Angestellten liefen mit fröhlichem Lachen durch die langen Gänge. Einer von ihnen mühte sich mit der großen Tanne ab, wollte ihr den letzten Schliff verpassen. Einige Köche schmeckten das Abendmenü ab, würzten hier noch ein bisschen und scherzten dort ein bisschen. Der Hausherr saß mit seiner Pfeife und einem Buch vor dem Kamin, die Hausherrin strickte noch ein bisschen und zwei der drei Kinder spielen mit ihren Gameboys auf den dicken weichen Teppichen. Die Weihnachtstimmung war hier allgegenwärtig. Selbst das Haus strahlte wie ein Juwel in die schneebedeckte Landschaft hinaus.
Nur ein Fenster war noch dunkel. Meines. Die Tür war abgeschlossen und ich lag hier im Dunkeln auf meinem Bett. Ich brauchte dieses Szenario dort unten nicht zu sehen, um zu wissen, was sich dort abspielte. So ist es jedes Jahr. An Weihnachten kamen alle Familienmitglieder zusammen und spielten die glückliche Familie.
Aber ich machte das dieses Jahr nicht mit. Nein, ich konnte es einfach nicht mehr ertragen. Meine kostbare Robe, die ich anziehen sollte, lag achtlos in einer Zimmerecke. Meine Mutter, wie ich dieses Wort verabscheue, hatte sie mir an diesem Morgen an meinen Schrank gehängt. Zugegeben, es war ein wunderschönes Kleid. Am Oberkörper lag es eng an, unten, nur an den Füßen weitete es sich ein bisschen. Es war nachtblau, der Rock mit silbernen Ornamenten durchsetzt. Mein blondes Haar leuchtete darauf noch mehr und das Blau meiner Augen wurde betont. Doch es konnte nicht eine Familie ersetzen.
Ich hatte es anprobiert, es hatte perfekt gepasst, aber ich wusste, dies nicht der Tag, an dem ich es tragen würde. Meine alte Jeans, der warme schwarze Pulli, die bequemen Turnschuhe und ein einfacher Pferdeschwanz. Keine Juwelen, keine teuren Roben, keine Diademe und keine komplizierte Steckfrisur. Das würde an dem Ort, den ich an diesem Abend noch besuchen wollte, nicht gut ankommen.
So langsam war es an der Zeit für meinen großen Auftritt. Noch glaubte meine geliebte Familie, ich würde mich richten, aber jetzt werde ich ihnen diese Illusion nehmen. Das wird meine Ein-Frau-Show werden.
Leise öffnete ich die Tür und schlich runter zum Salon. Zum Glück begegnete ich keinem der Dienstboten. Einige Minuten beobachtete ich die scheinbare Idylle, dann trat ich mit hocherhobenem Kopf ein.
„Ich möchte mit euch reden“, erstaunt und zum Teil etwas angewidert sah meine Familie mich an, „Dieses Weihnachten werde ich nicht mit euch feiern.“
Nun überwog das Entsetzen in ihren Gesichtern, ich aber lehnte mich entspannt an den Türrahmen.
„Seit Jahren machen wir auf glückliche Familie, nur wegen diesem einen Feiertag. Warum denn? Vater ist die ganze Zeit auf Geschäftsreisen, mit anderen Worten, er hat jede Menge Affären, Mutter ertränkt ihren Kummer in Alkohol und geht dauernd auf irgendwelche Wohltätigkeitsveranstaltungen, die sie nicht interessieren. Sie will nur gesehen werden. Und diese Beiden sind unglaublich verwöhnt, nehmen in ihrer Freizeit Drogen und sind im Prinzip schon vollkommen verblödet. Ich will nicht sagen, dass ich perfekt bin. Immerhin bin ich eine schlechte Schülerin, weil ich einfach keinen Bock auf Schule habe und wenn ich dann mal Zeit für mich habe, verbringe ich sie lieber mit Leuten, die für euch Sozialfälle sind. Jetzt rede ich!“, hart wies ich meinen Vater zurück, „Noch dazu kommt, dass ich keinen Respekt vor euch habe. Menschen wie euch verachte ich. Ihr seid schwach. Außerdem kapiert ihr nicht, dass Geld einen nicht glücklich macht? Ich meine, seht euch doch mal an! Betrüger, Säufer, Drogenabhängige, ich nimm im Übrigen seit einer Weile Antidepressiva, von dem her.“
Müde winkte ich ihnen zu, drehte mich um und sah in einige wenige, aber dafür ziemlich erschrockene Gesichter von Bediensteten. Ich lächelte ihnen trostlos zu und ging dann zur Haustür.
„Wo… wo willst du hin?“, hörte ich dann die dünne Stimme meiner Mutter.
„Ich gehe weg. In eine Kneipe. Zu meinen Freunden.“, antwortete ich ihr abweisend.
Vielleicht wollte sie noch etwas sagen, aber ich war schon gegangen. Auf meinem Roller kämpfte ich mich langsam durch das Schneegestöber und dachte nach.
Wahrscheinlich waren reiche Leute seelisch ärmer als wirklich arme Leute. Sie hatten versucht sich alles Glück der Welt zu kaufen und nun hatten sie es verlernt, mit anderen Menschen zu leben. Manchmal glaube ich, Armut und Reichtum können sich in einer Person vereinen…
Texte: Das Copyright für die Geschichte liegt bei Rina.
Tag der Veröffentlichung: 24.12.2009
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