Dunkel scheint der Mond heut Nacht,
sanft er über Schwestern wacht.
Diese feiern Abschied nun
Von der Göttin, die muss ruhn.
Brianna öffnete die Augen und sah auf die Leuchtziffern ihres Weckers. Bald war Mitternacht, es war an der Zeit aufzustehen. Möglichst leise, um Steven nicht zu wecken, schwang sie ihre Beine aus dem Bett, ließ ihren Oberkörper dann folgen und tapste schließlich noch etwas unbeholfen durch das dunkle Zimmer. Unsicher bewegte sie sich durch den dunklen Flur, folgte der Wand und tastete sich die Treppe runter. Erst in ihrem kleinen Nähzimmer schaltete sie das Licht an und griff nach der Kleidung, die sie sich schon bereit gelegt hatte.
Zügig streifte sie ihr seidenes Nachthemd ab und schlüpfte stattdessen in samtene, weinrote Robe. Schweren Herzens zog sie auch den Ehering von ihrem Finger ab und legte ihn vorsichtig in eine kleine Schale, so dass er nicht verloren ging. Ihr einziger Schmuck war nun das silberne Amulett, das an einem schwarzen Band um ihren Hals hing. Schuhe trug sie keine, nur einen Umhang, einen schwarzen, ebenfalls aus Samt, warf sie noch um, dann öffnete sie die Tür zu der Terrasse vor ihrem Zimmer.
Die Göttin, die alte Greise,
die geliebte mütterliche Weise,
nimmt Abschied von ihren Kindern,
auf den Herbst folgt der Winter.
Leise vor sich hinsummend folgte Brianna dem kleinen Trampelpfad, der direkt in den Wald hinter ihrem Haus hineinführte. Es war dunkel, ihr einziges Licht war die dicke, weiße Kerze, die sie mitgenommen hatte. Zwar schien der Mond am Himmel, doch konnte man ihn durch die dicken Wolken kaum erkennen. Sie liebte diese Stimmung, kurz vor dem Regen, mitten in der Nacht, der Wald war ruhig, man hörte nur ihre leisen Schritte auf dem moosigen Boden.
Es war kalt, die Luft feucht und schon fast eisig, Brianna aber war warm. Mit jedem Meter, den sie sich der Lichtung annäherte, wurde die Temperatur immer angenehmer. Ein Lächeln schlich sich auf ihr Gesicht, als sie endlich ihren Zielort betrat.
Ohne ein Wort, nur mit einer leichten Verneigung begrüßte sie ihre Schwestern, Scarlett und Liana, die sie schon erwarteten.
Das Jahr nimmt nun sein Ende,
die Schwestern reichen sich die Hände,
rufen die Ahnen, wolln sie beschwören,
wollen die Geliebten noch einmal hören.
Sie wusste, was zu tun war, so trat sie zu ihren beiden Freundinnen, ergriff ihre Hände und vervollständigte so den Kreis. Alle drei hatten sie rote Roben an und die gleichen Amulette, die sie gleichzeitig verbanden und als Schwestern kennzeichneten und auch zu ihrem Schutz dienten. Langsam bewegten sie sich und fingen an ihren Gesang zu intonieren: „Wir gehen gemeinsam in diesem Kreis, bieten das Wasser als ersten Preis.“
Liana löste sich von den anderen und hob den Kelch mit dem geweihten Wasser in den Nachthimmel hinauf. Als die anderen weiter sangen, fügte sie sich wieder ein.
„Der Zweite soll die Erde sein, damit dieser Kreis hier werde rein.“
Scarlett griff nach der lockeren Walderde und ließ sie durch die Finger rieseln.
„Das Feuer folgt darauf, es soll treiben das Böse hinaus.“
Auch Brianna löste nun die Verbindung zu ihren Schwestern und griff nach der Kerze, die sie mitgebracht hatte. Sie schwenkte sie in jede Himmelsrichtung, stellte sie zu den anderen Gaben und fügte sich erneut in den Kreis ein.
„Die Luft soll der letzte sein, leitet die Energien ein.“
Gleichzeitig warfen die Frauen ihre Hände in die Luft, sahen in den dunklen Himmel, spürten den Wind, der sanft durch ihren Kreis hindurch wehte.
„Wie oben so auch unten, bei allem Farblosen und Bunten, sei der Kreis nun geschlossen, nur noch für die Götterwesen offen!“, sangen sie den letzten Teil ihrer Beschwörung und ließen sich dann los.
Sie beten und bitten,
die Göttin in ihrer Mitte,
dass der Frühling wird kommen
und dem Winter der Schreck wird genommen.
Sie versammelten sich um das kleine Feuer, das sicher in einem Kessel in der Mitte brannte.
„Hey, Bri, wie hast du es geschafft, dass Steven dich nicht meckernd hierher begleitet hat?“, fragte Scarlett grinsend nach.
„Na ja… Ich hab ihn einfach ziemlich ermüdet…“, erwiderte die junge Frau lachend, „Sex ist auch eine mächtige Magie.
„Das war ja klar“, stellte Liana kopfschüttelnd fest, „Aber Mädels, deswegen sind wir doch nicht hier, oder? Ich würde doch gerne ins Bett kommen, bevor die Morgendämmerung anbricht.“
„Entschuldigung“, kam es zeitgleich aus zwei Mündern.
„Also gut, fangen wir an. Scarlett? Hast du den Text?“
Heftig nickend zog die Rothaarige einen kleinen Zettel aus der Innentasche ihres Umhangs und fing an den Text mit geschlossenen Augen vorzutragen: „Am magischen Tag zur magischen Stund sind wir hier in dreimal magischer Rund. Wir bitten die Göttin in unserem Kreise, möchten sie auf ewig preisen, möchten mit unseren magischen Weisen, das neue Jahr hier begrüßen. Wir grüßen die Ahnen, die uns auch begleiten, die auf magischen Nachtwinden reiten. Den Tod des Gottes feiern wir nun, er wird bis in den Frühling ruhn. Die lange Nacht hat nun begonnen, die Dunkelheit hat den Kampf gewonnen, wir rufen die große Göttin an, auf das alles im Frühjahr von vorne beginnen kann. Leb Wohl altes Jahr, die Zeit war wunderbar, wir heißen das neue Jahr Willkommen, das alles Schlechte uns genommen.“
Für den Abschied ist es dann Zeit,
doch Göttin wird in neuem grünem Kleid
wieder kommen und dann ein Kind gebären,
umso das neue Jahr zu rufen und zu ehren.
Ernst traten die Frauen an das Feuer und knieten sich davor nieder.
„Oh ihr Götter, ihr müsst nun gehn, wir freun uns auf unser Wiedersehn. Weiter werden wir euch hier ehren, das wollen wir als eure Kinder euch schwören. Oh ihr Götter, ihr müsst nun gehen, wir freun uns auf unser Wiedersehen“, sangen sie immer und immer wieder, bis sie heiser waren.
Die jungen Frauen richteten sich auf und setzten sich stattdessen bequem im Schneidersitz um den Kessel herum. Schweigend griff Liana in den Korb hinter sich und reichten den Anderen Äpfel. Danach zog sie noch eingemacht Kürbisse, Brot und einige weitere leckere Kleinigkeiten hervor, die sie systematisch vor sich aufbaute.
„Wir wollen nun die Ahnen ehren“, erklärte sie mit leiser Stimme, den Blick auf die warm züngelnden Flammen des Feuers gerichtet.
„Ja“, erklang die einstimmige Antwort ihrer Freundinnen.
„Für all eure Geschenke, euer Licht, eure Liebe, wir euch gedenken, nichts, was ungedankt bliebe“, die Worte des Danks murmelnd warf Scarlett ein Stück Brot in das Feuer.
Auch Brianna und Liana folgten ihrem Beispiel, dankten ihren Ahnen und opferten ihnen Speisen.
Samhain ist die Zeit des Abschieds,
Das alte Jahr muss gehen,
ein neues Jahr wird auferstehen,
dem huldigen wir mit unserem Lied.
„Ist das nicht eine wunderschöne Nacht?“, fragte Brianna leise ihre Schwestern, während an ihrem Apfel knabberte.
„Perfekt für unser Ritual.“
„Na ja, ein klarer Sternenhimmel würde mir noch besser gefallen.“
„Ach, Liana, gerade die Wolken und die Tatsache, dass der Mond nur ein bisschen hervor blitzt, ist doch das, das am Besten zur Samhain-Nacht passt, nicht wahr?“
„Hast ja Recht, Scarlett“, murmelte Liana und bot den anderen ihren Kürbis an.
„Dankeschön“, bedankte Brianna sich und sah dann kauend in den dunklen Himmel, „Ja, es ist einfach nur wunderschön.“
Texte: Das Copyright für den Text liegt bei Rina.
Das Copyright für das Bild liegt bei Rina.
Tag der Veröffentlichung: 15.07.2009
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