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Einen wunderschönen guten Tag wünsche ich Ihnen, meine verehrten Leser und natürlich auch Leserinnen. Bitte erlauben Sie, dass ich mich Ihnen vorstelle: Mein Name ist Tristan, oft werde ich nur Prinz genannt. Wie alt ich bin und wo ich herkomme, ist uninteressant für meine Geschichte, die einzige Information, die ich als erwähnenswert erachte, ist, dass ich eine Marionette bin. Jawohl, Sie haben sich nicht verlesen, ich bin eine echte Marionette aus Holz und hänge an seidenen Fäden. Ihnen wird jetzt sicher der Gedanke an Pinocchio aufkommen, doch ich bitte Sie, vergleichen Sie mich nicht mit diesem, mir doch etwas peinlichem Beispiel.
Nun, Schluss mit diesen unwichtigen Kleinigkeiten, ich werde nun zu meiner Geschichte kommen. Bitte verübeln Sie es mir nicht, dass ich unbedeutsame Momente, wie meine Arbeit auf der Bühne mit meinem Meister, auslasse, denn ich möchte Ihnen, werte Leser, nur etwas über das normale Leben einer Marionette in einem Kindertheater erzählen. Entspannen Sie sich, genießen Sie einen Schluck Ihres besten Weines, lehnen Sie sich zurück und lassen Sie sich von meiner Geschichte in eine etwas andere Welt entführen.
Wo fange ich am Besten an? Ja, ich weiß, ich werde Ihnen die wichtigeren Personen aus unserem kleinen Ensemble vorstellen, die, die ihren Platz in meiner Geschichte und meinem Leben haben.
Zuerst noch etwas zu mir. Ich bin der Prinz in unseren Aufführungen, aus diesem Grund auch mein Spitzname. Immer spiele ich den Guten, der die holde Prinzessin vor Monster, Drachen und Räubern rettet. Eines kann ich Ihnen sagen, auf Dauer ist das ziemlich ermüdend und langweilig, vor allem, weil ich nichts für Prinzessin Nessa empfinde.
Es ödet mich an und strapaziert auch meine Nerven, denn jedes Mal, wenn wir uns zusammen auf den Weg zu unserer Aufführung machen, vernehme ich dieses Raunen aus den Räumlichkeiten der anderen Darsteller und Figuren.
„Ein Traumpaar.“
„Sie passen perfekt zueinander.“
„Sie sind eindeutig füreinander bestimmt.“
Das sind nur einige der Meinungen unserer Kollegen, die Varianten davon sind um einiges zahlreicher. Doch lassen Sie mich Ihnen vergewissern, dass Nessa und ich keinerlei Gefühle für den anderen hegen. Natürlich ist die Prinzessin eine Schönheit unter den Marionetten unseres Ensembles, ich würde sogar so weit gehen, sie als den strahlenden Stern unserer Aufführungen zu bezeichnen, aber sie hat leider einige mir sehr unangenehme Eigenschaften. Es mag sein, dass sie eine leidlich gute Schauspielerin ist, doch… Ja, ich wage zu behaupten, dass das nur daran liegt, dass sie von ihren Charakterzügen her genau ihren Rollen entspricht. Kurz gesagt, sie ist eitel, arrogant und ist nicht mit Wissen und Klugheit gesegnet. Nessa besitzt durchaus einen natürlichen Charme, doch sie versteht es nicht, ihn mit einigen amüsanten Bemerkungen hervorzuheben und zu verstärken.
Nun, verehrte Leser, wissen Sie, dass mein Herz nicht unbedingt für die Prinzessin schlägt, vielleicht aber denken Sie auch, dass eine Marionette keine solchen Gefühle empfinden kann, wenn ja, dann will ich Ihnen das Gegenteil beweisen, denn ich bin verliebt.
Sie denken jetzt sicherlich, dass meine Liebe einer eher unscheinbaren Marionette gilt oder gar einem männlichen Exemplar unserer Rasse, aber da täuschen Sie sich. Es gleicht nicht einem Märchen, in dem sich der gutaussehende Prinz in die unscheinbare Magd verliebt oder einer dieser Geschichten, die momentan so in Mode sind, in der er dem weiblichen Geschlecht abschwört und sich bei seinesgleichen einen Gefährten sucht.
Nein, geschätzte Leser, so bin ich fürwahr nicht, auch wenn ich dennoch eine ungewöhnliche Art zu lieben habe.
Ich will Ihnen nun von meiner Angebeteten erzählen, der Frau meiner Träume, diejenige, die mir die Worte raubt, bei deren Anblick sich mein Herz schmerzhaft ausdehnt, die, die ich liebe.
Ihr Name ist Skye und sie ist… keine Marionette, ganz im Gegenteil, denn meine Geliebte ist eine Handpuppe. Sie haben richtig gehört, eine Handpuppe. Bevor ich auf Ihre Vorurteile eingehe, möchte ich Ihnen erst mehr über sie erzählen.
Skye ist keine gewöhnliche Handpuppe, sie ist, ebenso wie Nessa, die Prinzessin ihrer Rasse. Ihre Schönheit ist unvergleichlich, für mich ist sie die Schönste in unserem gesamten Ensemble. Doch nicht nur dies ist es, was mich an ihr fasziniert. Sie hat Charme, Humor, Verstand, Bildung und weiß all dies wunderbar einzusetzen.
Schon bei unserer ersten Begegnung verstand sie es, mich in ein sehr interessantes Gespräch über unsere Beziehung zu unserem Meister zu verwickeln. Ich war fasziniert, wie tief sie in ihrer Analyse über die psychologische Bindung an ihn ging, sie war das erste Wesen, das sich die gleichen Gedanken machte wie ich. Um die Wahrheit zu sagen, glaube ich, dass ich schon in diesen Momenten mein Herz an sie verlor. Wahrscheinlich verfiel ich ihr auf jedem unserer kleinen Treffen, wir führten weitere interessante Diskussionen, ein bisschen mehr. Ich liebte sie für ihr Wissen, ihre Stärke, ihr Aussehen, ihren Charakter, ihr ganzes Wesen.
Doch ich sehe, werte Leser, dass Sie immer noch damit hadern, dass Skye eine Handpuppe ist, während ich eine Marionette bin. Wahrscheinlich fragen Sie sich auch, wie das möglich sein kann, so zu lieben.
Nun, ich kann Ihnen nur sagen, dass ich vor Skye nie Liebe empfunden habe und erst recht nicht für eine Marionette. Es ist nun mal so, dass ich einen sehr eigenwilligen Charakter habe und mir das Naheliegendste nie sonderlich zugesagt hat, es war keine Herausforderung, es war uninteressant. Dazu kommt, dass sich, rein intellektuell gesehen, keiner auf meiner Ebene befand, vor meiner Angebeteten war ich gelangweilt. Doch nicht, dass Sie denken, es ist nur ihre Intelligenz, die mich anzog, nein, da muss ich etwas richtig stellen. Es ist auch ihr Aussehen, die Art und Weise, wie ihr goldgelbes, wollenes Haar weich herunterfällt, die großen blauen Augen, der immer lächelnde, kirschrote Mund. Wir Marionetten mögen unsere Münder nicht, sie sind holzig, sperrig und können nicht richtig lachen, doch Skye sah immer fröhlich aus, so wie sie es auch in der Tat war. Ich möchte sagen, dass mich all die Kleinigkeiten an ihr faszinieren und mich immer wieder fesseln.
Nun, ich denke diese Frage des Warums sollte nun geklärt sein, doch jetzt wird Sie bestimmt das Ende unserer Beziehung und meiner Liebe interessieren. Sie fragen sich also, wie meine Geschichte endet.
Mich würde interessieren, was sie erwarten. Ein Happy End, wie es so schön heißt? Glauben Sie, wir waren zu unterschiedlich und haben uns getrennt? Oder sind wir sogar noch zusammen?
Ich will es Ihnen verraten: Skye und ich… wir wurden nie ein Paar. Unsere Geschichte ist leider keines der Märchen geworden, die wir immer und immer wieder vorspielen müssen.
Nun stellt sich natürlich die nächste Frage: Warum?
Vielleicht erwarten Sie, dass ich Ihnen nun eine lange Geschichte über Unterschiede, fehlende Gemeinsamkeiten, Ablehnung der Familien erzähle, eine Geschichte, die in ihrer Art „Romeo und Julia“ ähnelt, doch das werde ich nicht.
Es gibt einen einfachen Grund, dass Skye und ich nie zusammenfinden konnten. Unser Meister musste aus finanziellen Gründe, wie er uns immer und immer wieder erklärte, während er uns in unsere Kisten packte, sein Theater und auch uns, das Ensemble verkaufen, dabei wurde ich von meiner Angebeteten getrennt.
Doch eine Sache macht mich glücklich, denn vor unserem unfreiwilligen Abschied konnte ich noch einmal mit meiner Geliebten sprechen. Es war nach unserer letzten Vorführung, ich erinnere mich sehr genau daran. Wir führten wieder eine Diskussion, unterhielten uns über unsere Zuschauer und wie sehr sie sich verändert hatten.
Skye sagte nur: „Es ist traurig, nicht wahr, Tristan? Sie kommen zu uns, kauen gelangweilt auf diesen elenden Kaugummis und statt unsere Stücke mit Wonne zu betrachten, ziehen sie ihre Gameboys und Nintendos hervor…“
Alles, was ich damals tun konnte, war zu nicken, denn mein Blick hing wie gebannt an ihrem roten Kussmund. Dann tat ich etwas, dessen Tragweite ich mir erst heute bewusst bin, denn ich gestand ihr meine Liebe.
Sie fragen sich nun sicher, wie sie reagierte, doch das kann ich Ihnen nicht sagen. Skye konnte mir keine Antwort geben, in diesem Moment kam nämlich unser Meister und nahm sie mit sich, danach sah ich sie nie wieder.
Seit diesen Tagen sind viele Jahre vergangen, werte Leser, und ich habe nie wieder geliebt. Viele junge Marionetten-Damen gestanden mir ihre Liebe, drängten sich mir auf, boten mir sogar sexuelle Dienste an, doch ich wollte keines dieser leichtfertigen Wesen, wollte nicht, was zu einfach zu kriegen war, alles was ich wollte und bis heute will, ist Skye.
Ich frage mich, warum ich das aufschreibe, verehrte Leser, und ich frage mich, warum Sie sich für meine Geschichte interessieren. Geht es Ihnen vielleicht auch so? Begehren Sie, was unerreichbar scheint, begehren Sie etwas, das nicht für Sie bestimmt ist?
Wissen Sie, eine Sache habe ich gelernt, wenn auch nur gezwungenermaßen, man muss es immer versuchen und ausprobieren, denn man weiß nie, was wirklich passiert.

Hochachtungsvoll
Tristan, der Prinz der Marionetten.

Impressum

Texte: Das Copyright für den Text liegt bei Rina.
Tag der Veröffentlichung: 15.07.2009

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für ArtyFowly

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