Cover

Müde ging Zoe durch den Regen, ein Blick auf die Wolken sagte ihr, dass der schlimmste Teil des Gewitters ihr noch bevorstand. Ihr war kalt, sie war vollkommen durchnässt und noch dazu war sie schlecht gelaunt. Als sie sich notdürftigen Schutz unter dem Dach des Buswartehäuschens gesucht hatte, war ihr klar, dass dieser Tag einer der miesesten Tage in ihrem ganzen Leben war.
Die Schuld daran hatte einzig und allein das Stück Papier, das sie in ihrer Manteltasche zerknüllt hatte. Zoe hätte am Liebsten geschrien vor Wut und Enttäuschung, doch ihre Kehle war eng und seit sie diesen Wisch in die Hand gedrückt bekommen hatte, hatte sie auch den berühmten Frosch im Hals.
Sie wünschte sich, sie könnte ihn zerreißen und dann wäre alles wieder wie vorher. Ja, dann könnte sie wieder bei Liam sein.

Standing in the rain
Looking up to the sky
Dreaming of a better world
Give me just one more try…



Leise seufzte Zoe und warf einen Blick auf das Gebäude hinter ihr, das Gericht. Sie fragte sich, warum Liam sie dazu gezwungen hatte, doch sie fand einfach keine Antwort darauf. Was hatte sie falsch gemacht?
Sie hatte alles für ihn gegeben, sie hatte sich für ihn aufgeopfert, sie liebte ihn noch jetzt mehr als alles andere auf der Welt. Er war ihr Leben. Warum konnte er das nicht verstehen?
Erschöpft lehnte Zoe ihren glühenden Kopf an die kühle Glaswand des Wartehäuschens. Es schien so, als hätte sie alles, wirklich alles in nur einer Viertelstunde verloren.
Sie bemerkte die Träne, die ihr langsam die Wange herunter lief, gar nicht, so sehr vertiefte sie sich in die Erinnerung an Liams lachendes Gesicht.

When there were me and you
It seemed to be like paradise
When there were me and you
It seemed to be so sugar sweet



Schon seit einer halben Stunde saß Liam in seinem Auto. Er wollte sich beruhigen, doch noch immer zitterte er am ganzen Körper. Seinen Kopf hatte er auf dem Lenkrad abgelegt, die Augen geschlossen. Es war vorbei.
War es das wirklich? Gab sie so leicht auf? Er konnte es einfach nicht glauben, aber war das ein Wunder? Nach den ganzen Jahren, die sie ihm gestohlen hatte?
Er erinnerte sich gut daran, die vielen kleinen Liebesbriefe und Geschenke. Dabei war für ihn alles nur ein kleiner Flirt gewesen, das hatte er zumindest gedacht. Doch für Zoe war es mehr, viel mehr. Es blieb nicht nur bei den harmlosen Gesten, es wurde immer mehr. Anrufe, E-Mails, sie lauerte ihm auf. Ja, es hatte ihm Angst gemacht, machte ihm noch heute Angst.
Liam konnte sich gut daran erinnern, wie oft er zur Polizei gegangen war, wie ihn die Männer dort auslachten, anfangs zumindest. Erst als Zoe in seine Wohnung einbrach, nahmen sie ihn ernst, doch da war es zu spät.

Thinking of the past
Crying for the present
Looking for the future
Only one more try



Auf dem Revier teilten sie ihm dann mit, dass sie auf eine ziemlich offensichtlich Art und Weise seine Stalkerin war, das sie ihm hoffnungslos verfallen war.
Er musste sich einen Anwalt nehmen… Einen Anwalt, nur damit diese Irre ihn in Ruhe ließ. Aber jetzt war es geschafft. Es ging schnell, die Anklageliste war anscheinend überzeugend genug, der Richter sprach das Urteil ohne viele Umschweife aus: Einstweilige Verfügung.
Ja, jetzt konnte er vielleicht auch wieder eine neue Beziehung führen, obwohl es ihm nicht mehr nach One-Night-Stands war.
Vielleicht sollte er aber noch mal darüber nachdenken, einfach darüber nachdenken, ob er sich nicht eine Liebesauszeit nehmen sollte.

When there were you and me
It seemed to be like paradise
When there were you and me
It seemed to be so sugar sweet



Nachdenklich stieg sie in den Bus. Liebte sie Liam? Ja, eigentlich schon. Er war die Liebe ihres Lebens und trotzdem…
Wenn sie jetzt an ihn dachte, war da nicht nur diese unglaubliche, tiefe Verbundenheit, nein, sie fühlte sich auch leer, verlassen, betrogen.
Oh ja, sie erinnerte sich an früher, an ihre erste gemeinsame Nacht. Sie hatten sich stundenlang geliebt. Er hatte sie mit diesem verführerischen und neckischen Lachen immer wieder geküsst, hatte ihr sogar das Frühstück ans Bett gebracht. Am Liebsten wäre sie gar nicht mehr gegangen, doch je länger der gemeinsame Morgen andauerte, umso weniger lachte er und wurde ungeduldig. Schließlich schmiss er sie fast aus seiner Wohnung raus, er musste noch arbeiten.
Natürlich verstand Zoe das, Arbeit war wichtig zum Überleben, trotzdem fühlte sie einen Stich in ihrem Herzen. Abends stand sie wieder vor seiner Tür, klingelte und wartete ungeduldig. Ihr Herz sprang förmlich auf und ab, doch Liam war nicht da. Sie hatte die ganze Nacht vor seiner Wohnung gewartet und am nächsten Abend tauchte er dann wieder auf, mit… mit so einer billigen Nutte.
Das war der Anfang gewesen.
Zoe lächelte leicht, sie erinnerte sich gerne an die vielen kleinen Liebesbeweise, die sie ihm geschickt hatte, die Botschaften auf dem Anrufbeantworter. Ja, das war ihre Zeit gewesen, da waren sie noch glücklich.

Once again it was pure love
Now our hearts are empty
We have lost our feelings
Just one more try



Doch was hatte sich dann geändert? Warum hatte Liam sie plötzlich verstoßen? Ihr Gesichtsausdruck verhärtete sich. Er hatte sie betrogen. Nicht nur mit Frauen, sondern auch mit dem Gesetz. Die kleinen Affären konnte sie akzeptieren, anfangs, ein Mann brauchte so etwas, doch nach einer gewissen Zeit hatte sie einen Weg gefunden, ihn davon abzuhalten. Nur noch zu zweit. Es war wunderschön, so schön.
Aber was empfand sie für ihn? Was konnte sie nach diesem Urteil noch empfinden? Sie fühlte sich leer, verlassen, einsam, aber war da nicht noch mehr? Ja, ihre Liebe für ihn war immer noch da, doch da war noch… Hass, unkontrollierbarer Hass. Zoe war wütend auf ihn, ihre ganze Enttäuschung wurde zu Hass, und doch liebte sie ihn, mehr als alles Andere auf der Welt.
„Fräulein, das hier ist die Endstation“, ließ der Busfahrer vorsichtig verlauten.
Verwirrt sah sie auf und blickte aus dem Fenster, als sie entdeckte, wo sie sich befand, schlich sich ein glückliches Strahlen auf ihr Gesicht. Mit einem Lächeln bedankte sie sich bei dem Busfahrer und stieg aus. Sie fühlte sich leicht, leicht wie eine Feder. Jetzt wusste sie, was zu tun war, jetzt konnte sie wieder glücklich werden.
Liam…

When there were me and you
It seemed to be like paradise
When there were me and you
It seemed to be so sugar sweet



Mit einem tiefen Seufzer startete er den Motor. Er konnte ja nicht ewig hier stehen bleiben, irgendwann musste er nach Hause. Während er die verlassene Straße lang fuhr, starrte er schon fast geistesabwesend auf den grauen, nassen Asphalt.
Es hatte ihm schon geschmeichelt, als sie wieder vor der Tür stand. Welchem Mann würde das nicht gefallen? Zoe war auch nicht die Schlechteste im Bett, ja, anfangs hatten sie definitiv ihren Spaß.
Aber der Großteil ihrer Beziehung war durch seine Angst geprägt. Falls man überhaupt von Beziehung sprechen konnte…
Liam lachte bitte auf. Scheiße, wegen ihr hatte er sogar geheult, wie ein Wasserfall. Er hatte seine Freunde verloren, bis auf Jason, seinen besten Freund. Entweder sie hatten Angst vor Zoe oder sie distanzierten sich von ihm und seinen Gefühlen.

There were only tears
Arguing and screaming
That was our life
Just one more try



Warum musste ausgerechnet er diese Irre abbekommen? Allein bei dem Gedanken daran, zitterte er wieder am ganzen Körper. Er hatte sich informiert. Stalking konnte gefährlich werden, sehr gefährlich. Hatte er sie rechtzeitig gestoppt?
Wieder seufzte er und bog in die Straße ab, in der seine Wohnung lag. Inzwischen war ihm klar, dass er sich viel früher einen Anwalt hätte nehmen müssen. Spätestens als alle fünf Minuten diese Anrufe kamen.
Ein Schauer lief ihm über den Rücken. Sie wusste immer, wo er war. Wenn er im Geschäft, an seinem Schreibtisch saß, rief sie dort an, war er unterwegs klingelte das Handy. Sein Chef hatte glücklicherweise Verständnis für die Situation gehabt, hatte ihm eine neue Telefonnummer besorgt, aber wirklich gebracht hatte ihm das nichts. Auch die neue Handynummer hatte Zoe rausgefunden, er hatte sie angeschrien, angefleht, irgendwann nicht mehr reagiert, doch es nahm einfach kein Ende, es ging immer weiter und weiter.
Doch jetzt hatte es ein Ende.
Als er einparkte, gönnte er sich ein leichtes Lächeln auf den Lippen. Ja, es war vorbei, auch wenn ihm der sprichwörtliche Stein noch nicht vom Herzen gefallen war.
Jetzt würde er erst mal in seine Wohnung gehen, Jason anrufen und ihn zu einer kleinen Feier einladen, ja, das würde er machen, sich ein Bier genehmigen und einfach mal nur entspannen.

When there were you and me
It seemed to be like paradise
When there were you and me
It seemed to be so sugar sweet



Leise vor sich hin pfeifend stieg Liam die Treppen hoch und schloss die Tür ab. Aus Gewohnheit sicherte er sie dann, wie jeden Tag, mit den drei Sicherheitsschlössern, die er sich besorgt hatte.
Bevor er Jason anrief, brauchte er erst mal ein kühles Bier, das hatte er nötig, auch wenn es erst Mittagszeit war. Schwungvoll trat er in die Küche, holte sich eine Flasche aus dem Kühlschrank, öffnete sie und trank einen Schluck. Wohin hatte er nur wieder das Telefon verlegt?
Ah, genau, im Wohnzimmer. Mit der Flasche in der Hand trat er aus dem Flur in den großen Raum und erstarrte.
„Hallo, Liam“, begrüßte Zoe ihn, als sie von hinten an ihn herantrat, „Ist es nicht wunderschön?“
Er traute sich nicht, sich umzudrehen, schloss die Augen und betete, dass es nur ein Alptraum war. Doch als er wieder hinsah, war alles wie vorher. Rosen, überall Rosen und Kerzen. Den Rollladen hatte sie runter gelassen. Auf dem niedrigen Tisch standen eine Flasche Sekt und zwei Gläser.
„Geh rein, mein Schatz“, zuckersüß drang ihre Stimme in sein Ohr und eiskalt spürte er die Klinge an seinem Hals.
Steif machte er einen Schritt hinein, klammerte sich an seine Flasche, als ob sie seine letzte Rettung war. Zoe hatte unterdessen Musik angestellt. Diesen widerlichen Song-Mix, den sie so liebte und den er so verabscheute.
Nur widerwillig sah er zu ihr auf, sah ihr breites Lächeln an und wie sie verliebt mit der Messerklinge spielte.
„Setz dich doch hin, Schatz.“ Es klang wie eine Bitte und war trotz ihres süßen Tonfalls eine Aufforderung.
Selbst wenn er es gewollt hätte, Liam konnte sich nicht wehren, seine Beine gaben einfach nach und so sank er auf das gemütliche Sofa runter. Zitternd saß er da, seine Fingerknöchel traten schon weiß hervor, der Schweiß stand ihm auf der Stirn. Was hatte sie vor?
„Gib mir das Bier, wir wollen doch heute feiern, anstoßen.“
Sie nahm die Flasche aus seiner Hand, stellte sie zur Seite und setzte sich rittlings auf seinen Schoß, das Messer ruhte wieder an seinem Hals.

No, there’s no chance
Once it was love
Now there is nothing
Our last try…



"Weißt du, was wir heute feiern wollen?“, stellte sie ihm eine Frage und knabberte dann an seinem Ohrläppchen.
Liam wollte den Kopf schütteln, doch das kalte Metall an seinem Hals hielt ihn davor ab. Er schluckte und brachte dann heiser krächzend ein „Nein“ hervor.
„Das werde ich… Oh, ich liebe dieses Lied!“, rief Zoe aus und wiegte sich auf seinem Schoß im Takt von ‚Sugar Sugar’, immer darauf bedacht, das Messer an seiner Kehle zu halten.
Diese drei Minuten kamen Liam wie drei Tage vor, doch dann wandte sie sich wieder zu ihm und lächelte wieder so, dass er eine Gänsehaut bekam.
„Ich wollte dir doch sagen, warum wir heute feiern“, setzte sie neu an, „Wir feiern heute, dass ich mich endlich von dir lossagen kann.“
Konnte das sein? Für einen kurzen Moment keimte Hoffnung in Liam auf, bevor ihm klar wurde, was wirklich passieren würde. Er würde sterben und konnte sich nicht wehren, denn er war wie gelähmt.
„Trink einen Schluck Sekt, mein Schatz“, forderte sie ihn auf und flößte ihm gewaltsam die Flüssigkeit ein.
„Warum? Warum tust du das?“, fragte er mit gebrochener, müder Stimme.
Erstaunt sah sie ihn an.
„Der Sekt lässt dich schlafen, dann spürst du es nicht und ich… ich bin endlich frei!“
Panik machte sich in Liam breit, suchend glitt sein Blick durch den Raum und fand schließlich das Telefon. Er stöhnte auf, das konnte nicht sein, es stand auf der Kommode, zu weit weg. Fieberhaft dachte er nach, sein Handy war in der Jacke und die war ihm Flur. Seine einzige Waffe, die Bierflasche hatte sie ihm weggenommen und…
„Bald schläfst du, mein Schatz, für immer…“
Dieser irre Blick, diese Frau war verrückt und er konnte nichts machen. Liam spürte, wie sich die bleierne Müdigkeit langsam in seine Glieder ausbreitete. Sein Kopf sank zur Seite weg, er konnte die Augen kaum noch offen halten.
„Keine Sorge, ich halte dich, ich halte dich, bis alles vorbei ist.“
Zärtlich küsste sie ihn auf die Lippen und schloss seine Augen.
Kurz bevor alles dunkel wurde, kam ihm noch ein letzter Gedanke: ‚Ich sterbe, während Zucchero „Wonderful Life“ singt…’
Dann war alles schwarz.

When there were you and me
It seemed to be like paradise
When there were you and me
It seemed to be so sugar sweet.



Zoe atmete tief durch und strich über den blauen Regenmantel, den sie sich von Liam mitgenommen hatte. Aber das war nicht das Einzige, das sie sich genommen hatte. Unter dem Mantel trug sie sein Blut, vermischt mit ihrem Blut. Nur ein Schnitt, den sie gemacht hatte, um ihr Blut zu vermischen, um einen ewigen Bund zu schließen und dadurch hatte sie sich befreit.
Sie lächelte, während sie ihr Gesicht dem erfrischenden kühlen Nass entgegen streckte. Nun gehörte Liam alleine ihr und niemanden sonst. Für immer.
Ihre Hand schloss sich fest um den Koffer, den sie bei sich trug. Andenken an Liam, ein Pyjama, eine Kette und andere Kleinigkeiten. Zoe war glücklich, denn sie hatte etwas Vollkommenes geschaffen. Ihrer Liebe zu Liam ein Denkmal gesetzt.
Vielleicht konnte sie jetzt nicht mehr körperlich zusammen sein, doch in ihrem Geist würde er immer für sie da sein und sie beschützen, denn er liebte sie, da war sie sich sicher.
Als sie die Sirenen der Polizei hörte, die sie gerufen hatte, wusste sie, dass es an der Zeit war.
Es war Zeit für sie zu gehen.

Standing in the rain
My life in one bag
Sweet Days are over now
No chance for me and you
It’s time for me to go

Impressum

Texte: Copyright für die Geschichte, den enthaltenen Songtext und das Bild liegt bei Rina.
Tag der Veröffentlichung: 09.06.2009

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für Rie ^.~

Nächste Seite
Seite 1 /