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Schwarze Engel, Todesengel.
Die Hüter der Menschen. Zum Schutz vor den Dämonen, zum Schutz vor sich selbst.
Himmel und Hölle zugleich. Versuchung und Verlockung. Trug und Lug, davor zu schützen sind sie da, die dunklen Engel.
Ihre schwarzen Flügel breiten sich mächtig empor, ihre kalten Blicke verbergen, was sie wirklich fühlen.
So mächtig und doch so schwach. Ihren Schützlingen verbunden, ihnen verfallen.
Ihr Anblick erweckt Furcht, Abneigung, sogar Hass. Sie werden abgelehnt, von den Menschen verachtet, verspottet. Dämonen, niedere Kreaturen.
Kaum einer erkennt die Wahrheit dahinter, sieht die Schicksale, erkennt die Vergangenheit der Todesboten.
Dabei sind und waren sie bekannt, ja, berühmt. Ihre Gesichter waren überall zu sehen, in Zeitungen, Fernsehen. Sie wurden gesucht, vermisst und beweint. Und vergessen.
Der bittere Blick, der harte Mund. Die Tränen und Ängste unter einer Maske verborgen, für immer von der Menschheit getrennt.
Grausames wurde ihnen angetan, Grausames hatte sie zu dem gemacht, was sie waren, Todesboten.
Er war einer von ihnen. Ein Todesengel.
Entführt, vergewaltigt, ermordet, vergraben und nie gefunden. Nicht viel grausamer als die Geschichten der anderen.
Oft hatte er seine Familie besucht, sie beobachtet, mit ihnen geweint. Doch irgendwann wurden die Tränen weniger und so auch seine Besuche, bis er es schließlich aufgab.
Er konnte und wollte nicht mehr mit ansehen, wie sie die Hoffnung ganz aufgaben, wie sie sich damit abfanden, wie sie ihn vergaßen.
Auch er wollte lernen zu vergessen, vertiefte sich in seine Arbeit, geleitete die verstorbenen Seelen zum Jenseits, schützte sie vor den Weißgeflügelten.
Engel…
Er erinnerte sich daran, dass auch er sie einmal dafür hielt: Für Engel, für seine Beschützer.
Jetzt kannte er sie, wusste, wer sie waren. Sie waren die Dämonen, sie waren abgrundtief böse.
Ihr reines Aussehen lockte so viele der verstorbenen Seelen an, zu viele…
Sie liefen den falschen Engeln in die Fallen und wurden verschleppt. Alles, was danach mit ihnen geschah, waren nur Gerüchte, Sagen.
Manche glaubten, die entführten Seelen wurden selbst zu weißen Engeln, andere glaubten, sie würden Sklavenarbeit verrichten. Doch die Meisten waren sich einig, dass die Verstorbenen nur als eine kleine Mahlzeit dienten, mehr nicht.
Auch er hatte Seelen verloren, hatte ihnen nachgetrauert und für sie gebetet, trotzdem tat er seine Arbeit weiter, Tag für Tag, Stunde für Stunde, Minute für Minute.
Denn wenn die schwarzen Engel nicht wären, dann würden noch mehr Seelen verloren gehen und dagegen kämpften sie. Das war ihre Bestimmung.
Ebenso wie es die Aufgabe des neuen Todesengels sein würde.
Und er würde ihn auf seinem Weg begleiten und ihn leiten.
Während er zum Aufenthaltsort des Neuen reiste, kamen die Erinnerungen an sein erstes Aufeinandertreffen mit einem schwarzen Engel auf.
Angst, Verwirrung, Panik, Verzweiflung, Trauer, so viele Gefühle überschlugen sich. Er hatte geweint, eine ganze Nacht lang, als ihm die Tragweite des Ganzen bewusst wurde.
Seine Anleiterin hatte ihn in den Arm genommen, ihm über das Haar gestrichen, bis er sich beruhigt hatte. Er war erst vierzehn gewesen, viel zu jung, um zu sterben.
Anfangs hatte er sich noch gefragt, warum es ausgerechnet ihn treffen musste. Warum musste er das alles ertragen? Doch nicht lange, denn die anderen verstanden ihn, standen ihm bei, kannten seine Gedanken, halfen ihm, seine Arbeit lieben zu lernen.
Und jetzt war er an der Reihe, jetzt war es seine Aufgabe, den neuen Engel einzuweisen, ihm beizustehen, jetzt konnte er sich beweisen.
Er kam pünktlich bei seinem Ziel an, fast noch zu früh. Emotionslos lauschte er den panischen Schreien, dem Todeskampf und schließlich dem letzten Atemzug. Es war vorbei.
Zitternd kauerte die Seele unter einem Baum, im Dunkeln, schluchzend und immer wieder ängstlich aufschreiend. Ein Mädchen, vielleicht achtzehn, neunzehn Jahre. Grauenvoll zugerichtet.
Schweigend setzte er sich neben sie, legte seinen Arm um sie und streichelte beruhigend über ihren Rücken.
Am Ende konnte er nicht sagen, wie lange sie da saßen, wie lange sie weinte, doch irgendwann war es vorbei. Mit roten Augen sah sie ihn an, das Gesicht schon verhärtet, ein bitterer Zug um den Mund.
Lina war ihr Name. Entführt, verstümmelt und getötet. Sie wollte ihre Familie sehen und er brachte sie hin.
Beobachtete sie, wie sie weinend nach ihrer Mutter griff und sie nicht fassen konnte. Wie ihr klar wurde, dass ihr Leben vorbei war. Bemerkte, dass bei dieser Erkenntnis sich schon kleine Flügel bildeten.
Sie wurde einen von ihnen. Stück für Stück.
Er zeigte ihr alles. Erklärte ihr, welche Gefahr die Weißgeflügelten bedeuteten, wie sie die Seelen schützen konnte, warum sie, ausgerechnet sie, ein Todesengel wurde. Nahm sie mit, ließ sie das erste Mal alleine einen Verstorbenen beschützen, war doch immer in Rufnähe.
Er war ihr Mentor und lehrte sie alles, was er wusste.
Dann, eines Tages, sie arbeitete schon seit längerem alleine, erwartete ihn seine alte Lehrerin. Sie fing ihn ab, nahm ihn mit, sah ihn nur nachdenklich an.
Ja, er wusste schon in diesem Moment, dass etwas nicht stimmte, er musste es geahnt haben.
Eine Weile druckste sie herum, fand keinen Anfang, doch schließlich sagte sie es ihm. Leise, mit einfach Worten.
Lina war tot.
Falsch, Lina war von den Weißgeflügelten verschleppt worden.
Sie wollte die Seele, die sie begleitete, beschützen. Es gelang ihr, der Verstorbene kam unbehelligt im Jenseits an, doch von seinem Todesengel fehlte jede Spur.
Ja, sie war nicht der erste schwarze Engel, der zum Opfer fiel, dennoch kam es selten vor.
Er selbst konnte es nicht glauben, reiste sogar noch zu dem Ort, an dem sie verschwunden war, suchte die Umgebung ab, nichts. Lina war fort.
Tagelang, wenn nicht sogar Wochen, bekam er keine Aufträge, wurde als labil bezeichnet, die Gefahr war zu groß.
Mit der Zeit akzeptierte er den Verlust, übernahm die leichteren Angelegenheiten und fand bald zu seiner alten Form zurück.
Trotzdem blieben die Erinnerungen und ein leichter Schmerz. Zu sehr hatte er den verschwundenen Engel in sein Herz geschlossen, hatte sich zu schnell von seinen Gefühlen leiten lassen.
Damit musste er jetzt leben. Ebenso wie mit den Blicken der anderen, mitleidig, abwertend, ihn abstempelnd.
Eigentlich hatte er sich mit ihrem Verschwinden abgefunden, doch eines Tages wurde alles wieder aufgewühlt.
Es sollte ein ganz normaler Auftrag werden, nicht zu schwer, eine für die Weißgeflügelten eher uninteressante Seele.
Aber dann änderte sich vieles.
Auf halbem Weg zum Jenseits wurde er angegriffen. Er und nicht die Seele.
Von Lina.
Sie war eine von ihnen. Weiße Flügel, reines Gesicht, ein bezauberndes Lächeln. Eine dunkle Seele.
Die Gier, der Hunger war in ihren Augen zu sehen. Sie wollte nicht die Seele, sie wollte ihn.
Todesengel gegen weißen Dämon. Er gegen sie.
Nein, er wollte nicht kämpfen und doch gab es keinen Ausweg. Er musste sie vernichten, musste sich retten, musste die anderen warnen, musste den Verstorbenen beschützen.
Es war ein kurzer Kampf. Schnell, sauber, so, wie sie es gelernt hatten.
Sauber sämtliche Gliedmaße abtrennen, kampfunfähig machen und dann…
Verbrennen. Im heiligen Feuer.
Es war der einzige Moment, in dem er seiner Trauer nachgab, die Tränen rollen ließ, als er zusah, wie sie unter Schreien, Flüchen und erstickten Schmerzlauten verbrannte, endgültig starb.
Lina, eine von ihnen, eine von den anderen. Ein Teil von ihm, unbewusst geworden, bewusst bei ihrem Tod.
Dennoch hatte er nicht die Zeit zu trauern, er musste die anderen warnen. Eine neue Ära brach an, ein neuer Kampf, neue Opfer würden kommen.
Eine letzte Träne. Ein letzter Gedanke an sie, dann war es vorbei.
Er wandte sich ab.
Schwarze Engel, Todesengel.
Im Kampf gegen die Dämonen mit den reinen, unschuldigen und zu schönen Gesichtern.
Zum Schutz für die verstorbenen Seelen.
Keine Tränen, keine Hoffnung, keine Liebe. Eine eiserne Maske.
Nie frei, immer gefangen… Für die Menschen.
Schwarze Engel, Todesengel.
Für dich da, im Tod, nach dem Tod.


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Tag der Veröffentlichung: 26.05.2009

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