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Angst vorm Fliegen


Also neulich, da bin ich geflogen!
So richtig mit’m Flieger.
ICH! Geflogen!

Ist ja nicht so, dass ich Angst hätte vorm Fliegen, ne? Jetzt mal abgesehen von dem kleinen bisschen Höhenangst find ich Fliegen toll.
Jaaaaaaa, wenn die mächtigen Motoren dröhnen und die Maschine vibriert vor Energie, und wenn sie dann entgegen allen Erwartungen der Schwerkraft trotzt und doch noch abhebt . . . TOLL!
Kenn ich aus dem Fernsehen. Gemacht hatte ich‘s noch nie, weil . . . Bahn fahren ist ja auch ganz nett.

Aber neulich, da hat mich ein alter Freund eingeladen, der ist so ein . . . ihr wisst schon . . . Frischluftfanatiker mit unbewusster Selbstmordtendenz . . . Fallschirmspringer. Ja, der hat mich also eingeladen, ihn doch mal auf dem Flugplatz zu besuchen.
Ich also hin; hab’s auch auf Anhieb gefunden.
Fast.

Nur ein oder zwei kleine Umwege und dann über die Schlaglochpiste und da war’s dann, mitten auf der grünen Wiese. Konnte man schon von weitem sehen, viele bunte Fallschirme, die von oben runtertropften. Erst sieht man nur kleine Punkte, die rasch näher kommen, dann gehen die Fallschirme auf, einer nach dem andern, und dann erst hört man ein leises 'Plopp'.
(Obwohl . . . Fallschirm darf man nicht sagen, das mögen die Fallschirmspringer nicht, die bestehen darauf, dass sie nicht fallen, sondern gleiten).
Sieht schön aus, wie sie runterfallen - äh - gleiten, der eine hierhin, der andere dorthin und einer ganz weit dort drüben hin . . . Aber der Bauer kennt das schon, dass an den Wochenenden dauernd die Verrückten auf seiner Stierweide landen. Er steht dann immer mit dem Traktor bereit und bringt sie zurück auf den Flugplatz. Manchmal auch ins Krankenhaus.
Sein Stier kennt das auch schon und freut sich immer über die Abwechslung.

Als ich also ankam auf dem Parkplatz, da lief mir mein alter Kumpel schon über den Weg, in voller Montur mit Fallschirm und allem, und er brüllte nur: „Ich steig jetzt auf und du kommst mit!“

Ja, wie jetzt?

Aber da gingen schon mehrere Leute auf mich los, machten sich an mir zu schaffen, schnallten mir hier was um, zurrten da etwas fest, machten hier wieder lockerer, und auf einmal hatte ich auch einen Fallschirm um.

JA, WIE JETZT??

Aber nein, erklärten sie mir, ich solle nicht springen, nur mitfliegen, und da wäre das eben Vorschrift. Weil nur Leute in den Flieger dürfen, die auch springen, muss man eben so tun als ob und dann halt nur im letzten Moment Angst kriegen und einen Rückzieher machen.

Ah so.

Schiss kriegen und nicht aus einem Flugzeug rausspringen, das kann ich bestimmt gut.
„Also pass auf“, sagten sie, „wenn du auf 800 Meter bist, ziehst du hier LINKS, dann geht der Schirm auf. Und wenn er nicht aufgeht, drückst du hier in der MITTE und wirfst ihn ab. Und dann auf 400 Meter ziehst du hier RECHTS, dann geht der andere Schirm auf.“

AH JA.

Und wenn der nicht aufgeht??
Doch doch, versicherten sie mir, der geht dann schon auf.

Aha. Wie beruhigend.

Also, ich mach den einen Schirm auf, den werf ich weg und mach den anderen auf. Und dann?
Wie sieht überhaupt so eine 800-Meter-Marke aus?? Nicht, dass ich dran vorbeiflieg und merk’s nicht mal und dann hab ich mich mitten in der Luft verirrt!
„Aber du springst ja gar nicht“, sagten sie.

Ach ja, richtig.

„Außer wenn der Flieger abstürzt, dann schon.“

WIE BITTE?

Aber die schoben mich einfach in ein . . . ein . . . kein Flugzeug, nein. Ein Maschinchen, das . . . also, wenn‘s mal groß ist, könnte es schon noch ein Flugzeug werden. Nix mit mächtigen Motoren und so – nur vorne so’n paar Propellerchen und . . . DAS KANN FLIEGEN?

Oh ja. Der Pilot schmiss die Propeller an und hoppelte mit uns über eine Menge Maulwurfshügel und ich dachte nur: „Lasst mich RAUS!“ und dann waren wir in der Luft. Wir flogen ‘ne Menge Kreise, immer höher und höher, und weil der Flugplatz nahe der Grenze war, flogen wir immer über Deutschland und Frankreich und Deutschland und Frankreich, und die Landschaft wurde kleiner und kleiner. Sah putzig aus, wie ein Spielteppich.
Winzige Gebäude und klitzekleine Laster auf grauen Straßenbändern, die sich durch grüne und braune Schachbrettfelder schlängelten, und mittendrin der Rhein, ein silbernes Band . . . und als die ersten Wolkenfetzen unter uns vorbeiwehten, wurde mir klar, dass das kein Spielteppich im Kinderzimmer war da unten, sondern dass zwischen mir und dem Fußboden eine ganze Menge Luft war!

Eine MENGE Luft!

Ich mag ja Parkett unter den Füßen. Oder Sand. Oder meinetwegen glühende Kohlen, aber doch nicht eine RIESENMENGE LUFT!

Versteht mich nicht falsch, ich hab wirklich keine Angst vorm Fliegen . . . man kann nur so schlecht laufen da oben! Irgendwie war aber nicht der richtige Zeitpunkt, sich schreiend am Piloten festzukrallen, also hab lieber einfach nicht mehr aus dem Fenster gesehen.
Das Innere des . . . hmmmmmm . . . Fliegers war ja auch ganz nett. Sitze gab es nicht, außer dem des Piloten und meinem direkt daneben. Die Fallschirmspringer saßen alle am Boden und hatten Angst. Ja, das konnte man deutlich sehen. Sie hatten nämlich alle die Augen zu und beteten.

Ja, na . . . jeder sucht sich die Religion, die zu ihm passt. Fallschirmspringer haben halt eine, bei der man sich nach dem Beten nicht bekreuzigt, sondern man zieht links und drückt in der Mitte und zieht rechts und DANN bekreuzigt man sich. Aber dann sollte das ehrlicherweise nicht Sportverein heißen, sondern Sekte!

Tja, schließlich hatten wir genug Frankreich besichtigt und flogen nicht mehr Spiralen, sondern geradeaus, und einer machte eine Schiebetür auf GENAU NEBEN MIR! Und da ging es senkrecht runter GENAU NEBEN MIR, und da war eine MENGE LUFT GENAU UNTER MIR!

Die Springer kullerten einer nach dem anderen durch dieses MÄCHTIG große Loch und fielen nach unten. Jetzt war auch klar, warum sie so eine große Schiebetür brauchten. Bei einer kleineren Öffnung könnte ja einer auf die Idee kommen, sich links und rechts festzukrallen und zu schreien: „LASST MICH DRIN!“

So aber konnte man ihn einfach rausschubsen. Ich hätte ja wirklich gerne dabei geholfen. Jemanden zu treten, hätte ein paar Aggressionen abgebaut. Es sprangen aber leider alle freiwillig raus und dann waren sie weg, man hörte nur noch das PLOPP, mit dem die Schirme aufgingen. Gesehen hab ich‘s nicht . . . obwohl neben mir ja immer noch die Schiebetür . . . und ich dachte nur: „Wenn der Pilot jetzt aufsteht und nach hinten geht, um sie zuzumachen, SCHREI ICH! Und wenn er nicht - und das Ding bleibt offen - dann SCHREI ICH AUCH!“

Er machte aber weder noch, er hatte so eine Stange mit Haken, und darum musste er sich nur nach hinten drehen und konnte die Tür von seinem Sitz aus zumachen. Das durfte er ruhig, schließlich war gerade kein Gegenverkehr. Und dann setzte er zum Landeanflug an.

Rauf war er ja Spiralen geflogen, also sollte man meinen, dass er runter auch . . . aber NEIN! Es ging SENKRECHT NACH UNTEN!
SENKRECHT!
Und dann grinste der mich auch noch an und fragte: „Alles in Ordnung?“

Ja, NEEEEEEEEEEEE!

Wir müssen noch mal rauf, ich glaub, wir haben meinen Magen oben vergessen!

Aber wir fliegen nicht rauf, sondern runter, GANZ VIEL runter, und das Land kommt ganz schön schnell näher und ist überhaupt kein Spielteppich, sondern verflixt viel harter Fußboden und nur noch ganz wenig weiche Luft und auf einmal ist es nicht mehr senkrecht runter, sondern waagrecht über ganz viele Maulwurfshügel und er hat aber auch KEINEN EINZIGEN AUSGELASSEN!

Dann endlich stand dieses wunderbare Flugzeug still und sie kamen, um mich rauszuholen, echte Menschen und zu Fuß! Alleine darf man nämlich nicht aussteigen, weil schon mal welche in völliger Verwirrung nicht nach rechts, sondern nach links, mitten in den laufenden Propeller . . . und ich kann euch sagen:
ES IST EINE ALTERNATIVE!

Sie trugen mich raus, weil Höhenluft anscheinend Kniegelenke verflüssigt, meine jedenfalls waren völlig unbrauchbar, und vielleicht war ich auch ein klein wenig blass um die Nase, jedenfalls legten sie mich auf der Wiese ab, und alles, was ich zwischen meinen klappernden Zähnen noch rausquetschen konnte war:

„ICH WILL NOCH MAL!“

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Tag der Veröffentlichung: 01.01.2011

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