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Du betrittst ein altes Haus.
Die Dunkelheit der dich umgebenden Nacht scheint in dem alten Gemäuer noch dichter zu sein.
Vorsichtig setzt du einen Schritt vor den anderen und zuckst zurück, als der Boden bedrohlich knarrt.
Eine Spinne krabbelt vorbei und verschwindet zwischen zwei rissigen Wänden.
Du spürst wie dir ein kalter Schauer den Rücken herunterläuft, als ein eisiger Wind durch das Gebäude saust.
Das Haus ächzt unter dem Gewicht der Jahre, die auf ihm lasten.
Erschrocken drehst du dich um, mit dem Gefühl einen Blick im Nacken gespürt zu haben.
Doch nach einer Schrecksekunde zwingst du dich weiter zu gehen, dein Ziel ist ganz in der Nähe.
Hinter der nächsten Ecke haben sich die Nachtlichter einen Weg ins Dunkel gebahnt und werfen ihren trüben Schein durch eines der verstaubten und geborstenen Fenster.
Sie zeichnen die Umrisse des Zimmers nach, welche noch immer von jahrhunderten alten Geschehnissen geprägt sind.
Dein Kopf schüttelt sich, damit sich keine ungewollten Gedanken vor dein inneres Auge drängen. Du musst aufpassen. Lass dich nicht ablenken!
Wieder konzentriert schreitest du voran und ignorierst die zurückkehrende Angst.
Dich interessiert nur eines: Worte. Wenige Worte, die auf ein Papier gekritzelt sein müssten. Nichts anderes.
Behutsam streifst du einen Spinnenwebenvorhang, der von den Zeitaltern berichtet, in denen dieses Haus hier schon unbeachtet steht, zur Seite und schleichst hindurch.
Eine Tür erscheint im blassgrauen Licht. Das muss es sein.
Als würdest du einen lang vermissten und tief geliebten Menschen wiedertreffen, streichelst du mit der Handfläche über das karge Holz der Tür und durch ein vorsichtiges Ausstrecken der Armmuskeln schwingt sie weit genug auf, dass du dich in den dahinterliegenden Raum stehlen kannst.
Mit dem ersten Blick erzittert dein Atem. Der Raum deiner Sehnsüchte und Träume liegt vor dir.

Ein zerstörtes Bett steht an der Wand. Die Matratze wurde mit einem scharfen Gegenstand aufgeschnitten. Gegenüber ein Sofa. Auch dessen Polster wurden nicht verschont - natürlich nicht.
Es wurde jeder Zentimeter abgesucht. Selbst der riesige Wandspiegel wurde zerschmettert und seine Scherben ergossen sich über den Boden, dessen dunkle Flecken noch von einem Jahrhunderte alten, blutigen Kampf zeugen; verschleiert durch den Mantel aus Staub, der die Wunden blasser erscheinen und die Tränen unechter wirken lässt.
Ein sanfter Hauch zieht durch einen Spalt im Fenster herein, über den Boden und bittet die Staubkörner zum Tanz quer durch den verwüsteten Raum.
Dein Blick wandert herum.
Er bleibt nicht am Bett haften, auch nicht das Sofa oder der Spiegel sind für dich von Bedeutung.
Nur ein kleiner Haufen Blätter, die um den Schreibtisch verteilt liegen, sind wichtig.
Die Sonne hat ihre zarte Haut ausgebleicht und du fürchtest dich, dass eines von ihnen zerbrechen könnte, sobald deine lebenden Finger sich in die tote und ruhende Welt dieses Zimmers mischen.
Dein Atmen geht flach, als du dich neben eines der Papiere in den Staub kniest. Ein Hauch entfernt die graue Decke und du schaust auf die Worte.
Buchstabe reiht sich an Buchstabe und ergibt ein Wort, welches sich an ein Neues anschließt und im Satz Vollendung findet.
Die ganze Seite ist voller Sätze. Die nächste auch. Die nächste auch.
Jede Seite eröffnet ein Tor. Ein Tor in eine neue Welt, aus Buchstaben und Wörtern. Sie erzählen von Zauberern, Drachen, Adlern, Revolutionen und einsamen Toten in einer dunklen Nacht.
Jedes der Wörter hat seinen eigenen Klang, er vermischt sich mit dem Bild der Sätze und dem Gefühl der Buchstaben in der Luft.
Der Raum im verlassenen Haus verschwindet – ein magisches Versteck erscheint. Es geht vorbei und verwandelt sich in einen alten Gutshof.
Die Welt wandelt sich von Minute zu Minute. Du wirst vom Helden zum Mörder, vom Liebenden zum Krieger.
Selbst wenn keine der Geschichten vollendet ist, können sie doch alle ihren Zauber entfalten. Gefühle verbreiten und Ängste verjagen.
Du bist einsam und doch nicht allein.
Entführt in eine Welt der Fantasie.

Du ließt von einer eisernen Stadt und einem verlassenen Haus, in dem einst ein Schatz gesucht wurde.
Aber... Das kann nicht sein.
Ein zweites Mal fliegt dein Blick über die Zeilen, die mehr wert sind als alles Gold der Erde.
Diese Geschichte... das ist hier, das ist jetzt.
Deine Geschichte.
Du liest weiter und mit jedem Wort schlägt dein Herz schneller. Deine Augen zittern.
Doch es ist nicht mehr viel Platz. Deine Gedanken rasen über die letzten schwarzen Zeichen hinweg.
Wiederum lässt dich ein eisiger Schauer zusammenzucken.
Ein Hauch des letzten Nachtwindes streicht dein Gesicht und in ihm schwingt eine zarte, kaum merkliche Stimme. Sie dringt durch dein Ohr und graviert sich in die Innenwand des Gedächtnisses ein.
Doch erst als du den letzten Satz der Geschichte, deiner Geschichte, ließt, venimmst du ihn wirklich:
„Lass die Geschichten nicht sterben. Lass sie leben, leuchten und erlösen!"

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 23.08.2010

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für alle, die Geschichten lieben und sie im Gedächtnis behalten.

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