Cover


1. Sport ist Mord

Ein bisschen ist schon dran an dieser Aussage. Der Sport hat mich zwar nicht getötet, doch er hat mich in ein tiefes Loch geworfen, förmlich geschmissen. Ich wurde zu einem depressiven Angstpatienten. Seit über einem Jahr versuche ich nun die rutschigen Wände aus der dunklen Hölle empor zu klettern. Mein Weg an die Oberfläche sollten Leute lesen und miterleben, die kämpfen wollen und die Kraft dazu haben. Ich will Mut machen für diejenigen, die auch in einem dunklen, nassen und kalten Loch hocken und nach einem Weg nach oben suchen. Ich weiß nicht, ob ich heute die Sonne erreicht habe, oder wieder runterfallen werde. Jedenfalls habe ich lange nach Wegen gesucht und einige interessante Erfahrungen gemacht.

Durch den Unfall musste ich mein Leben runterfahren und umkrempeln. Ich kam von 100 auf null in 2 Minuten...
Okay, hier nun meine Geschichte....


18.November 2007

Es war ein kalter Sonntag. Unangenehm feucht und windig.
Wie fast jeden Sonntag machte ich mich morgens bereit zum Fußballspiel am Nachmittag. Also, seit fast 25 Jahren ist es vor einem Punktspiel immer das Gleiche. Aufregung, Anspannung, irgendwie vergleichbar mit Lampenfieber. Schließlich geht es ja raus auf die Bühne, die Fußballbühne. Es gibt doch wirklich kein geileres Gefühl, als mit den Kumpels am Sonntag so ca. 4-6 Stunden auf dem Sportgelände zu verbringen. Die Dauer des Aufenthaltes hängt natürlich vom Spielergebnis ab.
An diesem Tag wird es gegen Eickeloh gehen. Oh ja, das waren schon immer ganz besondere Spiele. Meistens geht es hart zur Sache und es fallen eine Menge Tore.
Okay, Tasche gepackt, von Katrin, meiner Frau verabschiedet und mit 

meinem Sohn Sean noch schnell ein bisschen Unfug treiben. Dann geht es los. Auf zum Sportplatz. Es ist Heimspielstimmung. Langsam trudeln alle ein. Vielen sieht man noch an, dass der Vorabend in einem mittelschweren Delirium geendet haben muss.
Ach, eine winzige Kleinigkeit habe ich vergessen. Ich bin Spielertrainer einer Kreisklassenmannschaft. Eigentlich wollte ich vor der Saison schon nicht mehr Trainer sein, sondern nur noch als Spieler agieren, doch auf Bitten des Teams sollte ich noch ein Jahr dranhängen. Ein Fehler, wie sich spätestens an diesem Nachmittag noch herausstellen sollte.
In der Spielersitzung wurde dann die Aufstellung gemacht. Ich habe auf meinen Einsatz verzichtet. Die jungen Wilden sollen es heute mal richten. Ich ging von einem ruhigen Nachmittag auf der Bank aus.
In der Kabine sagte ich dann noch, dass ich heute mal so richtig einen „umklatschen“  werde. Natürlich war das nur ein Spaß. Auf dem Weg zum Spielfeld fiel mir dann ein Mädel auf, welches mit einem offenbar gebrochenen Bein in einem Rollstuhl saß und sich das Spiel anschauen wollte. Alles komisch, wenn man im Nachhinein mal darüber nachdenkt. Manche Dinge kann man wahrscheinlich einfach herbei plappern. Hätte ich doch nur nicht...Wie viele hundert Male habe ich das innerhalb des letzten Jahres wohl schon gesagt. Okay, nun mal zur Sache.
Die erste Hälfte war dann ein ziemlich übles Kreisklassen Gekicke. In der Pause redete ich nicht viel, sondern versuchte es über das Ehrgefühl der Jungs. Naja, das hatte eigentlich sechs Jahre lang, so lange war ich bereits Spielertrainer, nie funktioniert. Manche Spieler können mit Brandreden und Ehre wohl nichts anfangen.
So dümpelte das Spiel weiter so dahin, bis irgendeiner zu mir kam, so nach ca. 60 Minuten und sagte: Hey Trainer, tu uns einen Gefallen und nehme die 13 vom Feld. Gut dachte ich, also doch noch ein bisschen Sport treiben. Ich machte mich fix bereit und nahm die 13, seltsam, gerade diese Unglückszahl, vom Feld und wechselte mich selber ein. Hätte ich doch nur nicht...

Es ging dann eigentlich alles ganz schnell. Die erste Ballberührung fand dann nach 2 Minuten statt. Dumm nur, dass ich wohl einen halben Schritt zu spät kam, in den Ball rutschte und der Gegenspieler im Fallen mit voller Wucht erst den Ball Richtung Tor drosch und dann mein Bein direkt unterhalb des Schienbeinschützers zertrümmerte.
Ich dachte in dem Augenblick nur noch, dass diese blöde Sau mich gefoult hat. Danach war nur noch eins, ein Schmerz wie ich ihn noch nie erlebt hatte und auch nie wieder erleben möchte. Ich glaube meine Schreie hallen noch heute durchs Stadion. Irgendjemand versuchte noch zu kühlen, doch als ich hinschaute, sah ich nur wie mein Bein oberhalb des Knöchels nur noch so rumwackelte. Ich habe den "Kühler" auch noch drauf hingewiesen, dass Kühlen nicht helfen würde, das Bein wäre doch wohl durch. Ich schrie dann so vor mich hin, ein sehr guter Freund war dann mit einer Trage zur Stelle und versuchte mich zu beruhigen. Der Notarzt kam wohl recht schnell, gab mir aber keine Beruhigungsmittel, drehte stattdessen erst einmal den Fuß wieder grade. Dafür hasse ich den Menschen noch heute. Später habe ich erfahren, dass dieser Herr Notarzt damals beim Zugunglück in Eschede als Ersthelfer vor Ort war. Okay, von daher ist er wohl abgebrüht und sah den Schien- und Wadenbeinbruch als nicht so ernst an. Im Rettungswagen gab es dann endlich  eine hübsche Ladung Morphium, die Schreie ließen dann auch schnell nach. Die ersten Gedanken waren mein Sohn, den ich enttäuschen würde, weil ich nicht für ihn da sein kann, mein Geschäft, ich bin selbständiger Snackverkäufer und die Bettpfanne. Herrgott, ans Bett gefesselt sein und den Pflegern hemmungslos ausgeliefert sein und dann schön die Pfanne voll machen. Nein, das war die blanke Horrorvorstellung.
Im Krankenhaus angekommen lag ich dann eine ganze Weile frierend im Gang. Mein Freund Frank, kollegial mitgefahren, umsorgte mich und kümmerte sich um den Papierkram. Ich war froh, dass er dabei war. Ein Stück Sicherheit in dieser unwirklichen Krankenhauswelt.
Die Sanitäter versuchten mir weißzumachen, dass es kein Bruch wäre. An diesen Strohhalm klammerte ich mich, wären da nur nicht diese Schmerzen.
Gewissheit brachte dann das Röntgenbild. De Arzt gratulierte mir zu einem mindestens 14 tägigen Krankenhausaufenthalt. Na super. Das Bein war komplett durch, zum Glück relativ glatt. Ich war geschockt. Nun ging es gleich in Richtung OP.
In der Schleuse traf ich dann noch eine bekannte OP Schwester. "Ach hallo Marco, was machst du denn hier..." war eine nette Begrüßung. Irgendwann gab es dann die Keule und ich wachte erst wieder auf der Intensivstation auf.

2. Krankenhaus

Leuchtende Maschinen, ein Piepen, eine röchelnde Nachbarpatientin. Wo bin ich? Warum habe ich einen Sauerstoffschlauch in der Nase? Ach du meine Güte, es ist wahr, ich liege mit Beinbrüchen im Krankenhaus, ja sogar auf der Intensivstation. Plötzlich steht ein glatzköpfiger Arzt vor mir und begrüßt mich auf seiner Station. Alles soll wohl gut verlaufen sein. Warum zum Henker liege ich dann intensiv ? Eine hübsche Schwester bringt mir Frühstück. Jetzt essen? Na gut, ich probiere ein halbes Brötchen. Mir wird schlecht, ich muss mich übergeben. Essen ist noch nichts.
Irgendwann komme ich dann auf eine Station, die B3. Dort komme ich in ein Zimmer. Es ist zum Glück leer. Die Stationsschwester Dagmar kenne ich. Sie redet ruhig auf mich ein und lässt mich erst einmal alleine. Ich bin nur fertig, total am Ende. Wieso bist Du hier? Ich habe noch nie eine Sportverletzung gehabt. Nun gleich das volle Komplettprogramm. Es ist so ungerecht das Leben.
Am Abend kommt dann Katrin zu Besuch. Ich fange hemmungslos an zu weinen. Das erste Mal im Leben weine ich einfach so los. Ich habe Euch alle enttäuscht und alleine gelassen sage ich zu ihr. Sie steht natürlich zu mir und nimmt mich in die Arme. Wir unterhalten uns eine gute Stunde.
Danach ist Stille.
Nachts kann ich nicht gut schlafen. Ich habe irgendwie Angst vorm Einschlafen. Ich bekomme am nächsten Tag einen Bettnachbarn, Peter. Er ist sehr gut drauf, etwas einfach gestrickt, doch wir verstehen uns auf Anhieb. Die Tage vergehen, ich bekomme viel Besuch. Peter meint, das ist bei mir ja wie bei den Türken, ständig Leute im Raum.
Im Krankenhaus beginne ich mit Schachspielen. Mittlerweile ist es eine echte Leidenschaft von mir geworden.
Nachts fühle ich mich immer irgendwie beklommen.
Ich freue mich auf zuhause, habe in der Klinik ständige Angst vor Durchfall Erkrankungen und Magenproblemen.
Es ist echt komisch. Ich will hier raus. Aber wie wird es dann ablaufen.
Ich habe Krücken, kann nicht auftreten, muss mir Heparin Spritzen setzen, kann nicht lange stehen, kann keinen Sport treiben. Alles, aber auch alles wird anders sein.


3. Wieder zuhause

Es war ein Donnerstag. Ich wurde von Frank abgeholt.
Endlich raus aus der Krankenhauswüste, hin zu frischem Wasser und Ablenkung ?
Es wirkt alles so unreal, ich blicke wie im Film durch die Gegend. Eine Komödie? Ein Krimi? Es ist wohl letzten Endes ein absoluter Horrorstreifen geworden.
Ich musste mich erst einmal zurechtfinden. Wie komme ich die Treppe rauf, wie schlafe ich, wie komme ich von a nach b. Ich muss mich umstellen. Genau, ich muss. Ich will nicht müssen. Bislang hatte man immer eine Wahl, jetzt nicht mehr. Ich war hilflos, auf andere angewiesen. Grausam, sowas können wir Männer doch nicht. wir sind doch stark und sagen anderen, wo es lang geht. Ich kann nicht mal mit meinem Kind spielen. Das trifft mich. "Papa, spiel doch bitte mit mir..." sagt er zu mir. Ich kann nicht, wie soll  ich das nur aushalten. Wir sind doch immer ein Herz und eine Seele gewesen. Spielen, Rumtollen, alles war bisher so selbstverständlich.
Nun ist es vorbei, ein Ende nicht abzusehen.
Ich schlafe morgens lange, in meinem Geschäft kann meine Familie mich zurzeit nicht gebrauchen.
Es dauert lange Zeit, mich neu zu orientieren. Es wird relativ gut gehen, bis Anfang des Jahres 2008....


4. Und was kommt jetzt...

Im Februar kam es dann knüppeldick. Ich hatte schon seit Monaten Angst vor Magen Darm Infekten. Ich war als Jugendlicher mal mit einer heftigen Magen- Darm Infektion im Krankenhaus auf einer Isolierstation gelandet. Nun erwischte es meinen Sohn. Er war die ganze Nacht am brechen. Morgens mussten wir dann ins Krankenhaus, er drohte auszutrocknen. nach langer Wartezeit in der Ambulanz mussten sie ihn dann dort behalten. Meine Frau blieb 3 Tage bei ihm, ich war allein zuhause. Okay, meine Eltern wohnen noch mit im Haus, das mal zur Erklärung. Als ich dann abends auf dem Sofa einschlafen wollte, fing ich an zu weinen. Ich musste an den kleinen im Krankenhaus denken. Es ging mir total schlecht. Ich wartete förmlich auf einen Infekt in meinem Körper. Irgendwann kamen beide dann geheilt zurück ins Haus. Ich hatte einen kräftigen Durchfall erlitten, meine Frau hat sich ein paarmal übergeben.
Eines schönen Dienstags wollte ich dann zum Training gehen, den Jungs etwas beibringen. Ich fragte mich schon seit längerem, wie es wohl sein wird, nur da zu stehen und nicht mitmachen zu können. Eine Vorstellung, die mir unmöglich erschien.
Am Nachmittag, abends sollte das Training beginnen, bekam ich urplötzlich einen enormen Heulkrampf, ich heulte meiner Frau und meinem Kind hemmungslos in die Arme. Der Kleine meinte: "Papa, warum weinst du, ich helfe dir...". Danach musste ich noch heftiger weinen.
Ich kam mir so hilflos und ängstlich vor. Angst, das war es. Ich hatte plötzlich vor allen möglichen Dingen Angst, die vorher alltäglich und völlig normal waren. Einfache Dinge, wie z.B. das Training, das Kind zu wecken, Brötchen zu belegen. Eines hatte ich aber ganz besonders, Angst vor Krankheiten, hier besonders die Magen- Darm Geschichten.
Abends ging ich dann auf den Trainingsplatz. Ich wäre bald zusammengebrochen. Es ging gar nichts, ich kann doch nicht 25 Jahre Fußball spielen und plötzlich zuschauen, wie die anderen Spaß haben und sich bewegen. Ich saß auf einem Stuhl und guckte zu. Super. Ich sagte den Jungs dass ich das so nicht kann. Außerdem kamen die Erinnerungen an den Unfall wieder durch. Echt heftig, mich hat es total umgehauen. Ich verabschiedete mich auf unbegrenzte Zeit. Als ich vom Gelände ging, ging es mir etwas besser. Fußball ade.
Ich schaute mir das eine Woche lang an, dann wurde es so extrem, dass der Weg zum Arzt unumgänglich wurde. ich hatte keinen Appetit, hatte Zukunftsängste, Herzrasen, Unruhe, Weinanfälle und eine ständige Übelkeit in mir.
der Arzt checkte mich durch, verschrieb mir Tabletten für den Magen und meinte, mein Glas wäre halb voll und nicht halb leer. Meine Situation ist halt verändert worden, das müsse sich erst zu Recht laufen.
Naja, ich nahm die Tabletten, bekam wieder Appetit, doch mental und körperlich ging es bergab. Also wieder zu Arzt. er war erstaunt, dass es wohl doch länger dauern könnte. er gab mit Therapeuten Listen, sagte aber, die Wartezeiten würden 4-6 Monate betragen. Da frage ich mich doch, wie psychische Probleme, die im Anfangsstadium ja am besten behandelt werden können, so sinnvoll angegangen werden sollen.
Wir haben in unserem Krankenhaus am Ort aber zum Glück eine psychiatrische Ambulanz. Das ist es, da holste dir mal einen Termin. Knapp vier Wochen Wartezeit waren dann zwar nicht viel im Vergleich zu 4 Monaten, doch war es mir alles zu lange. Ich nahm kurzerhand hochdosiertes Magnesium und nahm 400 mg Johanniskraut am Tag. Es half mir alles nicht weiter. Bei einer Fahrradtour, die ich mir selber verordnet hatte, fuhr ich dann wie in Trance. Ich fing an zu weinen und sagte mir die ganze Zeit: " Er hat mein Leben zerstört...".  Mit“ Er“ war der Gegenspieler im Fußballspiel gemeint, den aber wohl keine Schuld traf, denke ich. Ich weiß es nicht, auf jeden Fall war er der Auslöser zu einer Leidenszeit, die ich niemandem wünschen möchte.
Ich nahm eine spontane psychiatrische Beratung bei einer Allgemeinärztin an, die auch Akutfälle psychischer Natur behandelt. Wir hatten eine Stunde lang ein gutes, offenes Gespräch. Sie sagte, solange mein Bein nicht funktioniert, solange funktioniert auch mein Kopf nicht.
Wir einigten uns dann auf Krankengymnastik und Akupunktur.
Insgesamt habe ich zehn Akupunktur -Sitzungen gehabt, die etwas Entspannung brachten, aber insgesamt keine Linderung herbeiführen konnten.
Parallel zur Akupunktur begann ich dann in der Ambulanz eine Therapie. In meinem ersten Gespräch mit meiner netten Therapeutin legte ich dann die Fakten auf den Tisch, in der Hoffnung, es gäbe ein Patent- oder Geheimrezept, wie man das Problem schnell lösen kann. Natürlich gibt es so etwas nicht. Im Laufe der Sitzungen wurde mir dann eine generalisierte Angststörung mit depressiver Episode diagnostiziert. Oha, was das so alles gibt. Dank einer berühmten Suchmaschine studierte ich das Netz und fand alle möglichen Foren mit Tipps, Ratschlägen. Medizinisch und wissenschaftlich holte ich mir fundierte Informationen ein, um mich zu verstehen. In vielen Erklärungen fand ich mich dann wieder, zumindest wollte ich mich dort wohl wiederfinden. In dieser schweren Zeit half mir lesen und schreiben. Ich meldete mich in vielen Foren an und erzählte Mitleidenden von meinen Problemen. Man war dort gut aufgehoben, denn die Menschen dort sind auch krank.
Bin ich denn überhaupt krank? Was bedeutet es seelisch krank zu sein? es bedeutet vor allem eins, sich selber kennenzulernen...

5. Leiden bis zum Abwinken

Wenn die Seele leidet, dann muss man versuchen, sie zu entlasten. man muss, auch wenn es dumm klingt und ja eigentlich alle Wissenschaftler bei Depressiven empfehlen, keine Sachen wirklich zu müssen, so habe ich die Erfahrung gemacht, dass man einige Dinge ganz einfach muss. Man muss sich in jeden Tag quälen, man muss die Alltagsaufgaben weiterhin bewältigen, man muss arbeiten. Aber es ist auch ganz wichtig, mal eine Auszeit am Tage zu nehmen. Ich habe angefangen, ein Angsttagebuch zu führen. Zuerst sehr akribisch. ich habe alles aufgeschrieben. Abends, endlich im Bett angekommen, nahm ich mir Zeit, zu schreiben. Ich ließ in den Zeilen den Tag Revue passieren und fragte mich immer wieder, warum ist das jetzt alles so. Man fängt dann an alles zu akzeptieren und über sich ergehen zu lassen. Ich nehme ja schließlich Tabletten, sogenannte Serotoninwiederaufnahmehemmer. Zuerst 5mg, dann 10mg,15 mg und dann die Höchstdosis von 20 mg. Ich habe aber ehrlich gehofft, dass diese Pillen mir alle Sorgen nehmen. Denkste. Solche Pillen gibt es nicht. Eventuell irgendwelche „Benzos“, die aber abhängig machen. Meine Pillen machen ja nicht abhängig. Nein, meine Pillen helfen mir. Ein Irrtum, wie sich noch herausstellen sollte.
Wie bin ich denn nun vom Schreiben zu den Pillen gekommen? Ach egal, ich muss zu den sogenannten Antidepressiva noch so einiges loswerden. Man nennt es "Einschleichen", wenn man mit der niedrigsten Dosis beginnt.
Einschleichen, ein netter Ausdruck für etwas, was auf Dauer dem Körper schaden wird. Die ersten Tage nach dem "Einschleichen" ging es mir ja so gut. Ich dachte schon, dass diese Pillen ein Wundermittel sind. Aber, aber dann, nach circa 4 Tagen, da ging es aber los. Ich wurde hundemüde, ich war innerlich so aufgewühlt, ich konnte schlechter einschlafen, ich war nervös. Mir war teilweise übel. Das ganze zog sich dann so 2 Wochen hin. Es war super anstrengend, ich war froh, wenn ich abends dann etwas zur Ruhe kam. Sowieso kam es mir so vor, dass es eine Erleichterung war, wenn das Tageswerk erledigt war. Als dann Draußen das Wetter besser wurde, da hellte auch mein Geist etwas auf. Ich genoss die Sonne in vollen Zügen. ich setzte mich so häufig wie möglich an die frische Luft. Die Sonne war noch etwas anderes für mich. Ein Schutzschild. Ich verbinde die Sonne mit Gesundheit. Scheint die Sonne, wird niemand krank. Ist die Sonne weg und es herrscht Schmuddelwetter, dann schwirren überall Krankheiten herum. Total dumm, aber so war meine Denke.
Irgendwie bekam ich es nie hin, mal mehrere Tage glücklich zu sein. Immer wieder  kam  die miese Laune und die Ängste durch. Es war schrecklich.
Ich eignete mir Atemtechniken und Einschlafhilfen an. Perfekt war für mich ein abendliches Relax Programm. Ich nahm mir eine halbe Stunde eine Auszeit. Ohne Störungen. Ich sagte meiner Familie, dass ich jetzt ganz für mich sein möchte.
Ich legte mich ins Bett. Auf dem Rücken liegend atmete ich dann tief durch die Nase ein und ohne Pause lange durch die zusammengepressten Lippen wieder aus. Mehrere Minuten lang, ganz ruhig. Man spürt dann wirklich den Körper. Interessant ist bei Atemübungen ja auch wenn man weiß, dass bei ruhiger, tiefer Atmung es für den Körper unmöglich ist, Angst zu verspüren. Als Beispiel nahm ich immer ein Kind, welches in der Dunkelheit singt, damit es keine Angst hat. Singen ist ja die beste Atemübung überhaupt. Daher, ihr lieben Depressiven und Angstpatienten, singt was das Zeug hält. Geht in den Gesangsverein oder dreht das Radio auf. Singt mit, das hilft.
Eine tolle Einschlafübung habe ich mir dann auch zurechtgelegt. Man denke an die Ampelfarben. Rot, orange und grün. Ich habe dann mit rot begonnen. Im Bett liegend und mit geschlossenen Augen habe ich mir dann vorgestellt, was alles rot ist. Tomaten, Autos, Erdbeeren, Paprika. es gibt ja unendlich viele rote Dinge. Wenn man sich ganz viele vorgestellt hat, dann geht man über zu orange oder grün. Eigentlich war ich schon während der roten Farbe immer tief und fest eingeschlafen. Das ist eine sensationell einfache Übung, jeder kann sie ausführen.
Es gab also Tage, an denen ich mich wohl fühlte. An den Meisten Tagen musste ich aber leiden. Ich dachte an die Zukunft. Wie wird es im Alter sein, was wird in ein paar Jahren sein, wie wird sich Sean so machen.
Besonders die Fragen über die Zukunft waren Fragen bzw. daraus resultierende Probleme, die man locker der „Midlife Crisis“ zuordnen hätte können. Fürchterlich. Irgendwie kam ich bei allen Gedankenketten am Ende immer wieder auf Krankheiten. Gedankenketten, das war ja auch so heftig. Man Grübelt sich so eine Naht zu Recht. was ist dann und dann und dann. Man zermartert sich das Hirn.
Macht man sich aber mal die Mühe, eine solche Gedankenkette bis ins letzte durchzuspielen, dann kommt man dahin, dass nichts Schlimmes passieren kann und wird.
Trotzdem, die Zeit so in etwa von März bis Mai oder Juni war eine üble Zeit, voller Ängste und negativer Gedanken. Jeder Tag war eine Quälerei.

6. Berg- und Tal


Auf und ab, hoch und runter. Es ist echt übel.
Aber ich sage allen, die sich mit Ängsten und Depressionen quälen müssen, es geht immer weiter. Immer. Es ist so unglaublich schwer daran zu denken, aber man sollte immer am Ball bleiben. Ist es noch so schwer morgens aufzustehen. Tut es. Versuchen sollte man, sich an Kleinigkeiten zu erfreuen. Blätter die grünen, spielenden Kinder, Wälder und Wiesen. Die Natur beobachten, schreiben, malen, all das hilft und lässt vergessen. Auch wenn es nur ein paar Augenblicke sind, es bringt einen voran.
Mal war es superschön, mal war es alles hoffnungslos und zum Heulen.
Doch gerade in den schwierigen Zeiten findet man sein eigenes Ich wirklich wieder. Was will ich eigentlich vom Leben ? Was bringt mir das Leben? Wie will ich weitermachen? Alles Fragen, die ein gemeinsames Ziel  haben : Wer bin ich eigentlich.
Ich glaube, ich habe im vergangenen Jahr so ziemlich alle Gefühlslagen kennengelernt. Manchmal war ich sogar so gut drauf, dass ich dachte, es wäre Manie. Aber in der nächsten Minute saß ich dann schluchzend in der Ecke und suchte nach einem Sinn.
Meine Symptome waren z.B. die schlimme Derealisation und Depersonalisation. Man schaute dann wie durch eine Fensterscheibe auf sein Tun und Handeln. Alles war total unwirklich. Ich war irgendetwas, aber nicht ich selbst. Ständig hatte ich das Gefühl in einer Scheinwelt zu leben. Wenn es ganz schlimm war, dann ging ich z.B. in den Wald und spürte einfach nur die Blätter, ich ging ohne Regenschutz in den Regen und versuchte nur mich zu fühlen. Das half mir ganz gut.
Ferner hatte ich oftmals mit Übelkeit zu kämpfen, mit Konzentrationsschwäche und mangelnder Ausdauer bei Alltagsdingen.
Ich versuchte auch mich abzulenken. Ich spielte viel mit meinem Sohn, ging viel spazieren.
Den Sommer habe ich dann echt genossen, ich habe sooft es ging in der Sonne gesessen. Ein knackig brauner Teint war die positive Erscheinung. Leider habe ich durch die Einnahme meines Antidepressiva bis heute knapp 8 kg zugenommen. Das ist doof. So richtig Sport habe ich im letzten Jahr auch nicht mehr getrieben, wenn man bedenkt, dass ich vor dem Unfall 3-4 mal trainiert habe, dann kann das ja alles nicht so gut sein. Da kann meine Therapeutin mir auch noch 100 mal sagen, wie gut Sport für die Psyche ist. Ich habe da derzeit einfach keinen Draht zu.
Als es dann so langsam auf den Herbst zuging, da schlug meine Stimmung langsam um. Ich machte mir einen Kopf über die ganzen Krankheiten, die so herumschwirren werden. Der Sohn, der frisch in den Kindergarten kommen würde, wird alle möglichen Viren anschleppen. Ich war innerlich wieder so aufgebracht und nervös, dass manch ein Tag wirklich kaum ertragbar war. Ich grübelte viel und dachte nur an schlimme Dinge. Meine AD Dosis war mittlerweile auf maximal Dosis hochgeschnellt. Ich war innerlich verkrampft, hatte Zähneklappern. Mein Schutzschild, die Sonne und das schöne Wetter, gingen mir langsam verloren, die miese, dunkle Jahreszeit stand vor der Haustür. Wie sollte das nur weitergehen...

7. Herbst und Winter oh wie liebe ich Euch

Dunkel, feucht, nass, kalt, einfach ungemütlich. Die Herbst- und Winterzeit in Deutschland ist doch wirklich nur was für Hartgesottene. Man muss sich so dick anziehen, friert trotzdem. Das Schlimmste aber, überall schwirren diese fiesen, kleinen Viecher rum. Viren und Bakterien. Was ist eigentlich das schlimme daran? Keine Ahnung, sie sind einfach gefährlich und zerstören mein Gleichgewicht. 6 Monate durchhalten war nun angesagt.
Eigentlich , muss ich heute sagen, war es gar nicht so schlimm. Zwar gab es immer noch diese Achterbahnfahrten der Gefühle, doch war das alles irgendwie gedämpft. Ich war etwas lockerer und entspannter, was die Gedanken anging. Rein körperlich war ich verspannt wie lange nicht. Ich machte dann, bedingt durch diese Verspannungen, die Erfahrung der Osteopathie. Die war sehr gut. Ein Osteopath untersucht den Menschen. Er ertastet kleinste Blockaden und Verspannungen, löst diese und bringt so Besserung für den Körper. Das war sehr positiv und ist nur zu empfehlen.
Ebenso ließ ich mich mal auf eine neue Erfahrung ein, die Hypnose Therapie . Meine Psychotherapeutin versetzte mich dabei in den Zustand der absoluten Entspannung. Auch hier machte ich eine noch nie dagewesene Erfahrung. Ich kann alles abschalten und mich durch Worte in einen Traumzustand versetzen lassen. Das war gigantisch. Leider hat es bis heute nicht geklappt, so eine Sitzung mal auf MP3 aufzunehmen, so dass ich auch mal alleine diese Entspannungstherapie machen kann.
Irgendwann, zu Beginn des Jahres fasste ich dann den Entschluss, das Antidepressivum abzusetzen. Heute weiß ich, dass das die beste Entscheidung in dieser Lebensphase war und ist. Man nennt das Absetzen „Ausschleichen“. Ich habe alle 10 Tage um 5mg reduziert. Das lief auch anfangs super. Ich merkte förmlich, wie die Lebensgeister zurückkamen und meine Hülle wiederbelebten. Aber, es gibt ja oft ein aber, es kann beim Absetzen ja auch zu echten Entzugserscheinungen kommen. Auch wenn Mediziner sagen, so etwas gibt es nicht, dann behaupte ich einfach das Gegenteil. Es waren so heftige Erscheinungen, dass ich dachte, es ist ja schlimmer als in der tiefsten Phase der Erkrankung. Der Wahnsinn. Schwindel, Übelkeit, Bewusstseinsstörungen, Aggression, was ich besonders schlimm empfand. Bei meinem süßen Sohn konnte mich sonst nichts aus der Fassung bringen, in der Absetzphase war ich ihm gegenüber sehr gereizt.
Ich war auch hundemüde, müder ging es schon nicht mehr. Es war, als ob ich gerädert werden würde, ja sogar als ob ich gefoltert würde von einer Macht in meinem Körper. Diese Macht will vielleicht nicht besiegt werden und schickt daher immer neue Truppen an die Front. Aber mein Entschluss steht, nie wieder Tabletten für die Psyche. Die sind Gift. Niemand kann mir erzählen, dass die wirklich etwas Dauerhaftes beim Menschen bewirken. Das Geschäft mit Medikamenten boomt. Gerade die Antidepressiva wissen eine große Lobby hinter sich, wird doch immer häufiger „Depression“ als Diagnose von den Ärzten genannt. Ein Millionengeschäft.
Ich fühle mich rein Körpermäßig ohne dieses Medikament pudelwohl, alles andere wird die Zeit heilen. Ich habe jetzt seit 2 Wochen das Medikament abgesetzt .  Die ersten 10 Tage waren schon sehr schwer zu bewältigen. Nun geht es von Tag zu Tag besser.
Ich möchte mit meiner Geschichte wirklich Wege aufzeigen, Wege aus diesem verdammt tiefen Loch, welches gefüllt ist mit dunklen Gedanken, Verzweiflung und auch Hass.
Es geht immer weiter und weiter und weiter. Es ist hart und man braucht gute Menschen an seiner Seite. Gerne möchte ich jedem Tipps und Hinweise geben, wie man es angehen kann. Ich habe mein Leben durch diesen blöden Unfall neu kennengelernt. Das Leben ist zum genießen da, man sollte diese einmalige Chance nicht ungenutzt vergehen lassen. Ich weiß  aus eigener Erfahrung, wie schwer es ist, zu glauben was ich schreibe, doch es gibt einen tollen Weg zurück ins Leben. Geht ihn, ohne nach hinten zu schauen...es geht immer weiter.

Vielen Dank all denjenigen, die diese Seiten aufmerksam gelesen haben. Ich bin kein Profi in Rechtschreibung und Ausdruck, schreibe eigentlich so, wie es mir gerade in den Sinn kommt. Ich würde gerne anderen mit meinen Zeilen helfen.

Vielen Dank an meine Familie, ganz besonders an meinen Sohn Sean, der immer wieder für Aufmunterung sorgte........

Impressum

Texte: Marco Eggersglüß
Tag der Veröffentlichung: 02.03.2009

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Dieses Buch ist für alle, die durch einen blöden Zufall in ein tiefes, seelisches Loch stürzen... Es handelt von Ängsten, Depressionen und der Wiederfindung des eigenen Lebens...

Nächste Seite
Seite 1 /