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Meine liebe Mutti,

wenn Du diesen Brief lesen könntest, würdest Du Dich sicher fragen: „Wieso lebt meine Tochter jetzt in H.?“. Aber vielleicht weißt Du ja etwas über mein Schicksal; obwohl ich das nicht glauben kann, weil ich nicht an ein Leben nach dem Tod glaube.

Ich denke, das tatsächlich Unsterbliche – nämlich unsere Seele – geht dahin zurück, woher sie gekommen ist. Ich stelle mir vor, dass es irgendwo in der Unendlichkeit einen Platz gibt, an den die Seelen zurückkehren, sich vermischen, um Neugeborenen wieder mitgegeben zu werden. Das heißt, es liegt in unserer Hand, die Welt besser zu gestalten. Wenn wir uns bemühen, gütig, rücksichtsvoll, liebevoll usw. – kurzum „gut“ – zu sein, muss sich im Laufe der Zeit das Seelenpotential doch zum Positiven hin verändern und somit nachfolgende Generationen zu besseren Menschen machen.

Du, meine liebe Mutti, hast Dich immer bemüht, gütig und gerecht zu sein. Dein sicher nicht leichtes Los hast Du mit Würde getragen. Du warst traurig, aber nicht verzagt, als Papa so jung so krank wurde. Unermüdlich warst Du, wenn es darum ging, Deiner Familie so viel an Zuwendung und Geborgenheit zu geben wie nur irgend möglich.

Selbst während der Zeit Deines schweren Krankenlagers – kurz vor Deinem Hinscheiden – galten Deine Gedanken selbstlos Deinen Kindern und Deinem Mann. Deine Seele wird nach meinem Glauben dazu beitragen, eine bessere Menschheit entstehen zu lassen.

Wenn ich mich allerdings jetzt in der Welt umschaue, kann ich seit des ersten geschriebenen Wortes, der ersten authentischen Geschichten und Berichte keinerlei Verbesserung feststellen. Dennoch gebe ich die Hoffnung nicht auf. Wie kurz ist doch die Zeit der menschlichen Existenz gemessen an der Ewigkeit.

Vor über 40 Jahren bist Du viel zu jung von uns gegangen. Danach hat es oft Situationen gegeben, die mich Dich schmerzlich vermissen ließen. Wir waren ja nicht nur Mutter und Tochter, sondern wirkliche Freundinnen. Vom ersten Kuss bis zur ersten Liebe konnte ich Dir alles anvertrauen und Deinen Rat einholen. Du fehlst mir noch heute.

In Liebe

Deine Tochter

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Tag der Veröffentlichung: 16.09.2009

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