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Am Rande eines großen Waldes lebte in einer armseligen Holzhütte einst ein Jäger, dessen Frau im Kindbett gestorben war. So musste der Jäger seinen einzigen Sohn Nogias allein aufziehen, denn der eine Taler, den der geizige König ihm für seine Dienste jährlich zahlte, reichte nicht aus, eine Magd einzustellen oder andere Hilfe in Anspruch zu nehmen. An Essbarem war nur das Allernötigste vorhanden. Eine einzige Ziege und ein winziges Stück Land waren ihm vom König zugeteilt worden. Mit dem bisschen Ziegenmilch und dem Wenigen, das er in dem kleinen Garten anbauen konnte, musste er sich und seinen Sohn durchs Leben bringen. Auch war es dem Jäger unter Androhung der Todesstrafe strengstens untersagt, Früchte im Wald zu sammeln oder gar für sich selbst Wildbret zu erlegen. Doch trotz aller Widrigkeiten, war der Jäger ein gläubiger, zufriedener und glücklicher Mann, dem die Liebe zu seinem Sohn mehr bedeutete als alle irdischen Güter, denn er wusste um das Schicksal des Königs, der erst so hartherzig und geizig geworden war, seitdem seine geliebte Frau gestorben und seine drei Söhne spurlos verschwunden waren. „Sie ist gewiss eine Hexe“, murmelten die Leute und bekreuzigten sich, um sich vor dem Bösen, das von der neuen Königin ausging, zu schützen.

Notgedrungen musste also der Jäger den kleinen Nogias immer mitnehmen, wenn er den Wald durchstreifte, um für die Jagdgelüste des Königs den Standort des kapitalsten Hirsches ausfindig zu machen, oder neue Pfade für die mit prachtvollen Pferden ausgestattete Jagdgesellschaft und die noblen Kutschen der Königin und ihrer Hofdamen zu erschließen. So kam es, dass der Junge schon früh alles Wissenswerte über die Natur und ihre Geschöpfe von seinem Vater lernte, und da er ein aufgeschlossenes, kluges Kind war, war ihm der Wald bald so vertraut, wie das Innere der ärmlichen Hütte, die er mit seinem Vater bewohnte.

So wuchs Nogias heran, allein und ohne Spielkameraden. Immer mehr freundete er sich mit den Tieren des Waldes an, deren Sprache er bald recht gut verstehen konnte. Am liebsten spielte er auf der Waldlichtung mit den beiden Hasen Rasi und Reko. Wenn Nogias die Lichtung betrat rief er nur:

Rasi, Reko kommt herbei,
lasst uns spielen alle drei.
Lasst uns laufen, fangen, jagen,
lasst uns Purzelbäume schlagen.

und sofort kamen die Hasen angehoppelt. Dann jagten sie gemeinsam im Zickzack bei hellem Sonnenschein über die Lichtung, so dass der alte Uhu Agir, hoch auf dem Ast einer Buche hockend, ob solchen Übermuts nur den Kopf schütteln konnte. Nogias jedenfalls hatte eine unbeschwerte, glückliche Kindheit.

Einst hatte es sich unter den Tieren des Waldes herumgesprochen, dass der König wieder einmal eine große Treibjagd abhalten wollte. Alle zitterten vor Angst um ihr Leben. Nogias wurde traurig, als er daran dachte, dass es auch Rasi und Reko oder seine anderen Gefährten treffen konnte. So beschloß er, ihnen zu helfen, denn er hatte ein großes Herz für seine Freunde. Bei seinen gelegentlichen Streifzügen durch den Wald hatte er eine hinter dichtem Gestrüpp und Geröll verborgene Höhle entdeckt, die sollte den bedrohten Tieren als Zuflucht dienen. Die Höhle war riesengroß und von einem kleinen unterirdischen Bächlein durchzogen, so dass die Tiere in ihrem Versteck nicht verdursten mussten. Durch den alten weisen Uhu Agir ließ er die Nachricht verkünden und wenig später war das Jagdrevier wie blankgefegt und der König mit seinen Jagdgästen musste unverrichteter Dinge wieder abziehen. Die Freude der Tiere kannte keine Grenzen und ein ums andere Mal dankten sie ihrem kleinen Freund.

Viele Jahre waren ins Land gegangen. Aus Nogias war ein stattlicher junger Mann geworden, als der König beschloss, sein Jagdrevier zu verlegen und dem Jäger den Befehl erteilte, neue Wege für Reiter und Kutschen tief im Wald anzulegen. Für Nogias war es selbstverständlich, seinem Vater bei der schweren Arbeit zu helfen. So machten sie sich denn gemeinsam auf den Weg. Sie waren bis zur Dämmerung schon eine weite Strecke gelaufen, als sie beschlossen, an einer kleinen Quelle ihr Nachtlager aufzuschlagen, zu essen und zu trinken. Doch, oh Schreck, sie hatten ihren Brotsack unterwegs verloren. Früchte zu sammeln oder gar zu jagen war ihnen nach wie vor bei Todesstrafe untersagt. So tranken sie nur ein wenig Wasser, legten sich mit knurrendem Magen nieder und schliefen alsbald ein.

Als sie am nächsten Morgen erwachten, wurde ihnen klar, in welch verzweifelter Lage sie sich befanden, denn ihre Mägen knurrten immer lauter und verlangten nach etwas Essbarem. Umkehren konnten sie nicht, denn der König bestand auf die strikte Einhaltung seiner Befehle. So machten sie sich wieder auf den Weg. Doch Nogias fühlte sich von Stunde zu Stunde immer schwächer, brauchte doch ein junger Mann stets mehr Nahrung als ein älterer.

Tiefer und tiefer drangen sie in den Wald ein. Kein Vogelgezwitscher war mehr zu hören. Das Gelände wurde immer unwegsamer. Der alte Jäger und sein Sohn schleppten sich mühsam dahin und wussten nicht, wie sie die schwere Arbeit, die sie noch vor sich hatten, bewältigen sollten. Am Ende des Tages fielen sie völlig erschöpft und verzweifelt nieder, schlossen die Augen und dachten, dass nun ihr Ende gekommen sei. Da vernahm Nogias plötzlich ein Rauschen über sich und leise hüpfende Schritte neben sich und er erkannte, dass seine besten Freunde, die Hasen Rasi und Reko und der alte Uhu Agir ihnen gefolgt waren. Wie im Traum hörte er sie sagen:

Wir sind deine Freunde, steh auf, steh auf!
Nicht weit von hier, in des Baches Lauf,
schwimmen Fischlein, so zart und so fein,
die werden dir gern zu Diensten sein.
Der geizige König hat völlig vergessen,
im Wildbach gibt’s Fische zum essen.
Fürs Angeln besteht kein einzig Verbot.
Das soll euch retten aus eurer Not.

Überglücklich sprang Nogias auf. Der weise alte Agir flog vor ihm her und zeigte ihm den Weg zum Bach. Es schien, als hätten die Fische ihn schon erwartet. Besonders die drei größten sahen ihn mit runden Augen erwartungsvoll an und ließen sich im seichten Wasser mit bloßen Händen willig gefangen nehmen. Freudestrahlend eilte Nogias zu seinem Vater zurück.

Sie machten sich sogleich daran, Blattwerk zu sammeln, in dem sie die Fische garen wollten. Sie entzündeten ein Feuer, warteten, bis nur noch die Glut übrig blieb und legten die drei großen Fische auf das Blattwerk gebettet hinein. In dem aufsteigenden Rauch erschienen plötzlich drei wunderschöne Jünglinge, die mit kostbaren Gewändern bekleidet waren. Es waren die verwunschenen Prinzen, die ihnen zulächelten und riefen: „Wir danken euch, dass ihr uns von dem bösen Zauber befreit habt,“ und sie verneigten sich vor Vater und Sohn. Sie erzählten von der bösen Stiefmutter, die sie verwünscht hatte und von dem traurigen Leben, das sie als Fische verbringen mussten. Nun wollten sie Rache an ihrer bösen Stiefmutter nehmen.

Der alte Uhu Agir flog mit der Nachricht zum König, dass seine drei Söhne noch am Leben seien. Der alte Jäger, Nogias und die drei Prinzen machten sich sogleich auf den Heimweg, auf dem ihnen der überglückliche König schon entgegenkam, um seine Söhne in die Arme schließen zu können.

Nogias und der Jäger erhielten eine fürstliche Belohnung für die Befreiung der Prinzen, sowie ein wunderschönes Haus mit einem großen Garten, in dem sie noch viele Jahre glücklich und zufrieden lebten.

Die böse Königin bekam ihre gerechte Strafe. Ihr wurden beide Hände abgehackt, so dass sie nie wieder einen Zauberstab halten konnte. Sie wurde des Landes verwiesen und durfte niemals mehr zurückkehren.


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Tag der Veröffentlichung: 27.08.2009

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