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Windspiele

 

 

Regen prasselte seit Stunden herab. Lorraine war schon längst durchnässt bis auf die Knochen.

`Man würde bei diesem Wetter nicht einmal einen Hund vors Haus jagen`, dachte sie bei sich.

Und die Freier waren heute auch dünn gesät. Das würde wieder einen Mordsärger mit `Banjo-Pete` geben weil kaum Kohle herein gekommen war.

In zwanzig Metern Entfernung stand Carla an ihrer Laterne und rief zu Lorraine hinüber:

„Ey Lorraine?! Wie spät ist es?“.

„Gleich Mitternacht!“.

Carla kam auf sie zu.

„Pete wird nicht begeistert sein, weil heute wieder nichts rein kommt“, gab Lorraine zu bedenken.

„Was sollen wir machen bei diesem Scheißwetter? Uns die Kunden schnitzen?“, motzte Carla.

„Du hast ja Recht. Aber...“.

„Nichts aber! Komm, lass uns Feierabend machen,Kleine. Es gibt immer Ärger mit Pete, was macht es also für einen Unterschied“, hielt Carla dagegen.

Sie stiegen in den letzten Bus der gerade noch fuhr und befanden sich eine halbe Stunde später in ihrer billigen Absteige die sich großspurig „Empire Hotel“ schimpfte.

Pete saß gelangweilt und betrunken allein am Tresen. Der Wirt polierte die letzten Gläser.

 

„Was wollt ihr denn schon hier?“, schnauzte Pete die beiden Frauen an als sie herein kamen.

Innerhalb weniger Minuten bildeten sich Wasserlachen um ihre in High Heels steckenden frierenden Füße.

 „Es ist nach Mitternacht Pete! Außerdem bleiben die Kerle an Abenden wie diesen lieber daheim bei ihren Frauen, Kindern und am wärmenden Ofen“, versuchte Lorraine ihrer beider Erscheinen zu rechtfertigen.

Zur Antwort bekam sie von Pete eine schallende Ohrfeige.

„Frech werden auch noch, oder was?“, polterte er los.

Der Wirt wandte sich beschämt ab. `Eine Schande wie Pete mit den Mädchen umspringt`, dachte er bei sich. Aber hielt sich lieber da raus. Niemand war scharf auf Ärger mit `Banjo-Pete`. Er selbst noch am allerwenigsten denn Pete oder vielmehr seine Mädchen brachten gutes Geld in sein herunter gekommenes Hotel.

 „Lass sie in Ruhe Pete!“, fing Carla dessen Hand ab, als er ein zweites Mal zuschlagen wollte.

Sie fühlte sich ein wenig verantwortlich für die gerade 22 jährige Lorraine und hatte immer ein Auge auf sie.

Die beiden Frauen ließen sich vom Wirt einen heißen Rum mit viel Zucker geben. Sie tranken in kurzen, hastigen Zügen während Pete ihre Einnahmen zählte.

„Miese vierhundert Dollar? Ihr wirtschaftet wohl in die eigene Tasche, was?“, fauchte er sie an.

„Mehr war heute nicht drin, Pete“, erklärte Carla. Sie zog Lorraine mit sich und sie gingen zu dem Zimmer welches sie sich teilten.

 

Schnell wurde noch ein Sandwich verdrückt und dann krabbelten beide in ihre Betten.

“Lorraine?“, fragte Carla in die Dunkelheit.

„Hm?“, machte diese träge.

„Warum machst du eigentlich diesen beschissenen Job? Das wollte ich dich immer schon fragen“.

„Der Trugschluss dem schon viele zum Opfer gefallen sind: ich glaubte an das schnelle, leicht verdiente und viele Geld“, erklärte die Jüngere.

„Aber warum verschwendet so ein hübsches Ding wie du ihre Jugend an alle diese miefigen und grobschlächtigen Kerle?“.

Lorraine grinste als sie sich Carla`s angewiderten Gesichtausdruck vorstellte. Aber gleich wurde sie wieder ernst.

„Pete bezahlt die Klinik in der mein kleiner Buder behandelt wurde und auch die anschließende Reha in einem Sanatorium. Ich habe Schulden bei ihm die ich abarbeiten muss“.

„Wie viel?“, hakte Carla nach.

„Bis jetzt sind es rund fünfzigtausend Dollar. Aber Pete wird mir sagen wenn ich wieder schuldenfrei bei ihm bin...oder?“, flüsterte Lorraine.

Ihr kamen zum ersten Male Zweifel.

„Darauf würde ich mich nicht verlassen....“, meinte Carla nur und gähnte herzhaft.

Bald darauf waren die beiden Freundinnen eingeschlafen.

 

Nach dem `Frühstück ` welches Lorraine immer gegen 12 Uhr einnahm wählte sie entschlossen Pete`s Handynummer. Die nächtliche Unterhaltung mit Carla hat in Lorraine den Plan reifen lassen mit Pete ein paar klare Worte zu wechseln.

Verkatert und verschlafen ging Pete ans Telefon.

„Ich muss mit dir reden“, fiel die junge Frau mit der Türe ins Haus ehe sie der Mut verließ.

 „Wer ist da?“, schnauzte er in den Hörer.

„Lorraine....“, sagte sie. Sie war jetzt schon total eingeschüchtert.

„Was willst du? Hast du sie noch alle? Mich aus meinem wohlverdienten Schlaf zu reißen?“, herrschte er sie an.

Ohne lange um den heißen Brei herum zu reden kam sie zur Sache.

„Ich will wissen wie viel Geld ich dir schulde“.

„Warum interessiert dich das so plötzlich? Hat die alte Carla dich angestiftet?“.

„Carla hat überhaupt nichts damit zu un.- Also, wie viel?“.

„Genug. Genug um noch eine ganze Weile mein bestes Pferdchen im Stall zu bleiben“, erklärte er zynisch und hatte einfach aufgelegt.

 

Wehmütig dachte sie an Daniel. Für ihren kleinen Bruder war ihr kein Opfer zu groß.

Ihr jetzt zehnjähriger Bruder war bei einem Autounfall schwer an der Wirbelsäule verletzt worden. Bei diesem Unfall sind ihrer beider Eltern ums Leben gekommen.Nach einigem Hin und Her hatte sie sich mit dem Jugendamt einigen können, dass sie für Daniel eine Pflegschaft übernehmen durfte und ihm so eine Unterbringung in einem Heim oder gar bei Pflegeeltern erspart blieb.

Sie erduldete gezwungenermaßen, dass eine Mitarbeiterin monatlich mit ihr sprechen wollte und auch regelmäßig ins Sanatorium fuhr um nach Daniel zu sehen. Aber das war der Deal. Nur deswegen hatte sich das Jugendamt auf alles eingelassen.

Daniel war nach vier schweren Operationen in ein Sanatorium nach Baton Rouge gekommen. Dort absolvierte er eine langwierige Reha und sie hoffte er würde irgendwann wieder völlig gesund sein.

Spontan rief sie dort an. Die Dame am Telefon sagte, Lorraine möchte in zehn Minuten erneut anrufen. Sie würden in dieser Zeit Daniel ans Telefon holen.

 

„Lorrie?!“, rief er voller Freude in das Telefon.

„Hey....wie geht es dir, Tiger?“. Sie versuchte besonders fröhlich zu klingen. Dabei schnürten ihr die Tränen die Kehle zu, wie immer wenn sie mit ihm telefonierte.

„Gut....wirklich. Musst du immer noch so viel arbeiten? Wann besuchst du mich wieder?“, bettelte er.

„Sobald ich kann, Tiger. Ich verspreche es. Was macht die Reha? Läuft es gut?“, erkundigte sie sich.

„Total prima! Wenn zwei Pfleger mir helfen kann ich schon einen ganzen Korridor entlang laufen“, verkündete er.

„Wunderbar! Ich bin stolz auf dich. Schön weiter üben, ja? Wir wollen doch im Sommer zusammen Urlaub machen...okay?“.

„Ich gebe mir ganz viel Mühe“, versprach er.

„Ich bin davon überzeugt, Daniel. Ich muss jetzt auflegen. Wir telefonieren bald wieder, ja?“

 

Sie legten auf. Sehnsüchtig strich sie mit dem Finger über sein Foto ehe sie es wieder ganz unten in ihrer Schublade vergrub. Dieses Foto gab ihr gleichzeitig Halt und Kraft wenn sie einmal wieder unter ihrer derzeitigen Situation litt.Mittlerweile war auch Carla aufgestanden. Verstohlen wischte Lorraine sich ihre Tränen weg und setzte ein gekünsteltes Lächeln auf.

 

„Guten Morgen“, gähnte Carla und rieb sich die Augen.

„Gut geschlafen?“, fragte Lorraine.

„Nicht lang genug...wie immer. Langsam werde ich zu alt für diese Scheiße“, stöhnte die Ältere.

„Nun übertreibe mal nicht so“, lachte Lorraine sie an.

„Ich mache diesen widerlichen Job seit ich 25 Jahre alt war. Demnächst werde ich 43 Jahre alt...vielleicht sollte ich langsam ans Aussteigen denken“.

Aber beide wussten das mit dem Ausstieg war keine einfache Sache und würde es auch nie sein. Außer vielleicht man arbeitete für sich selbst. Wenn man, wie sie beide, für einen Zuhälter arbeitete waren Schwierigkeiten vorprogrammiert.

 

Mitten in ihre Unterhaltung hinein flog plötzlich die Tür auf und Pete baute sich vor ihnen beiden auf.

„So, Klartext ihr beiden Hübschen! Aus welchem Grunde kommt Lorraine auf die Idee wissen zu wollen wie lange sie noch für mich `laufen` muss?

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Tag der Veröffentlichung: 29.12.2013
ISBN: 978-3-7309-7902-0

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für Mandy und Niko und meine beste Freundin Andrea Kochniss

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