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Kapitel 1

Ich habe ein Ziel, einen Plan. Werde ihn durchsetzen. Das Ziel ist, einen Menschen wirklich glücklich zu machen. Dann kann ich gehen in dem Wissen, noch etwas Gutes getan zu haben.

Ich sitze in der Ecke des Klassenraums, Kopfhörer auf, doch der MP3-Player ist aus – ich höre alles was sie sagen, die Leute sind unvorsichtig, denken, ich würde nichts mitbekommen.
„Iih.. diese Schuhe.. wie kann sie nur damit rumlaufen?“
„Tja, passt zu ihr.. kleine Streberin. Wir müssten uns doch langsam dran gewöhnt haben.“
Hohes Mädchengelächter. Ja, lacht nur. Wenigstens seh ich nicht so aus wie ihr. Ich will nicht so sein wie ihr. Tut mir leid, ich mag kein Pink, keine Keilabsatzchucks, keine Lederjacken. Na und? Bin ich nur weil ich anders bin, ein Streber? Warum? Ich versteh es nicht.
Die Lehrerin betritt den Raum, schließt die Tür, nachdem sie die letzten Jungs noch reingescheucht hat.
Kopfhörer ab. Interessierte Miene aufsetzen. In Gedanken sich weit weg wünschen. Nicht wegen dem Unterricht, nein, der geht noch – wegen dieser manchmal verächtlichen, manchmal mitleidigen, manchmal arroganten, immer abwertenden Blicken.
Ich sitze alleine vorne links, da, wo niemand sitzen wollte. Sie haben meine Sachen einfach dorthin geräumt, ich hab dazu nichts gesagt, mich nur stumm gefügt.
Jemand muss an die Tafel, einen allgemeinen Überblick über das Thema der letzten Stunde geben. Stottern. Hilflose Blicke zu den Freunden, die genauso wenig wissen. Wie armselig es doch ist. Ich finde diese Menschen sowieso nicht sonderlich cool. Sie fühlen sich toll, wenn sie von der Party am Wochenende erzählen, haben letztendlich aber ziemlich wenig davon mitbekommen, so sehr hatten sie ihren Verstand schon vorher umnebelt. Sie denken, ihnen würde die Welt gehören, wenn sie da draußen zu fünft stehen, einer bei Rossmann eine Schachtel Pall Mall ergattern konnte und die Kippe nun rumgehen lässt. Wieso finden sie es cool zu stinken und ihren Körper kaputt zu machen? Ich versteh sie alle nicht.. mehr ist es doch nicht. Oder? Ich mag den Geruch nicht, er erinnert mich an meinen Vater. Als ich früher noch bei ihm gewohnt habe, hat er jeden Morgen, wenn er mich weckte, schon wieder nach Tabak gerochen. Tabak und Bier vom Vorabend. Seinen Sachen haftete der bleibende Geruch von kaltem Rauch an.
Nicht abschweifen. Die mündliche Leistungskontrolle ist vorüber, wie immer wenig effizient.


Kapitel 2

Endlich Zuhause. Ich werfe die Schulmappe ab und fühl ein kleines Glücksgefühl, schließlich kommt jetzt erstmal das Wochenende. Aber diese Emotion ist schon wieder weg, ich konnte sie nicht greifen. Mom steht in der Tür, guckt mich missbilligend an, sagt nur kurz „Hallo“ und verschwindet wieder in die Küche. Ich fühle wieder diesen Stich von Schuld. Die Schuld, dass ich nicht die Tochter bin, die sie gerne hätte. Nicht schön genug, nicht witzig genug, nicht stark genug. Das erste was ich mache, wenn ich Zuhause bin: Den Computer anschalten. So auch heute. Ich sitze gespannt davor, tippe hektisch mein Zugangspaßwort ein. Dann das Internet öffnen, schnell zu SchülerVZ.. kurz wird der Bildschirm weiß, dann bin ich eingeloggt. Endlich Zuhause.


Kapitel 3

Schon mal von den Zweitaccounts bei SchülerVZ gehört? Naja, ich gehöre zu diesen Zweitaccountlern. Inzwischen sind die Anderen meine „Familie“. Ich weiß nicht wie sie aussehen, wie sie heißen, wo sie wohnen – aber trotzdem sind es für mich Freunde geworden. Ich kann ihnen von meinen Sorgen erzählen und sie verstehen mich, mehr als meine Familie oder meine beste Freundin es tut. Aber ich muss dazu sagen, dass ich ihnen auch nicht erzähle, was mich bedrückt – da ich einfach weiß, dass sie nicht verstehen würden.
Eine neue Nachricht. Das Mädchen hat ein schönes Profil. Ihr Name verwundert mich.
„Ich liebe mein Leben!“... wie fröhlich sie scheint, sie strahlt puren Optimismus aus.
Ihre Nachricht ist kurz.
„Soll ich dich rausholen?“

Ich bin verdutzt, überlege kurz was sie meint. Aber ja, mein Name. „Komm und hol mich hier raus“.
Dieses Mädchen ist komisch. Blieb nur die Fragen ob positiv oder negativ komisch.

„Komm und hol mich hier raus“ schrieb um 17:13 Uhr:
„Wie willst du das machen?“

„Ich liebe mein Leben!“ schrieb um 17:18 Uhr:
„Ich weiß nicht. Aber ich würde es schaffen, vertrau mir.“

Vertrauen? Wie soll ich das? Warum soll ich das?
Es ist vollkommen wahnsinnig, aber ok... ich wage es. Ich werde vertrauen.

„Komm und hol mich hier raus“ schrieb um 17:20 Uhr:
„... ich weiß nicht wieso, aber ich werde dir vertrauen. Ok?“

„Ich liebe mein Leben!“ schrieb um 17:21 Uhr:
„Gut. Ich werde dich nicht verletzen. Was sind deine Probleme?“

Ich bin verdutzt. Wieder einmal. Ich muss mich korrigieren: Sie ist sehr merkwürdig! Und so direkt.

„Komm und hol mich hier raus“ schrieb um 17:26 Uhr:
„Ich weiß nicht.. mein Leben läuft einfach nicht so wie ich es gerne hätte.. ich kann nicht ich selbst sein und mich verändern, weil ich Angst vor der Reaktion anderer habe. Ich meine, so wie ich jetzt bin. So bin ich alles andere als umwerfend. Ich will mich verändern, aber ich habe Angst.“

Es stimmt. Ich will mich verändern. Ich will zwar auch nicht so sein wie die in meiner Klasse.. aber ich will ich selbst sein. Einzigartig. Fantastisch. Ich will etwas Besonderes sein und mich dabei nicht verstellen müssen. Ich glaub, dass ist etwas zu viel verlangt.. aber träumen darf ich doch.
Ich aktualisiere die Seite. Eine neue Nachricht. Mein Herz klopft hoffnungsvoll. Das erste Mal seit langem.

„Ich liebe mein Leben!“ schrieb um 17:29 Uhr:
„Wo wohnst du?“

Was? Aber.. ich will vertrauen. Ok.

„Komm und hol mich hier raus“ schrieb um 17:31 Uhr:
„Berlin..“

„Ich liebe mein Leben!“ schrieb um 17:34 Uhr:
„Trifft sich gut, ich auch.
Hast du morgen schon was vor? Ich könnte dir helfen. Shoppen am Alexanderplatz? Nimm einfach eine Rose
mit, stell dich an die Weltzeituhr um 13:00 Uhr. Ich bin offline. Wenn du da bist, ist gut.. wenn nicht, dann
geh ich halt allein shoppen.“

Vertrauen, Vertrauen, Vertrauen..aber.. ich kenn sie nicht!
Was ist, wenn sie mich versetzt? Auslacht? Oder irgendwas anderes macht?

„Komm und hol mich hier raus“ schrieb um 17:38 Uhr:
„Nein, ich denke nicht.. ich weiß nicht.“

„Ich liebe mein Leben!“ schrieb um 17:43 Uhr:
„Überlege es dir, ich werde da sein.“

Was dachte sie sich?


Kapitel 4



Sie wird kommen. Ich weiß es einfach. Und ich weiß zwar noch nicht, wie ich mein Ziel erreiche.. aber ich werde es schaffen. Sie soll das Leben haben, das ich nie hatte.

Um 12:47 Uhr stand ich am Alex, in der Hand eine gelbe Rose, ausgerissen aus dem Blumenbeet meiner Mutter, und schaute direkt auf die Weltzeituhr. In Tokio war es nun fast 20 Uhr.. Ich warte und wartete. Sah an mir herunter. Hatte eine gerade geschnittene Jeans an, ein graues Shirt ohne Print, Chucks – eine Jacke hatte ich nicht mit, es war Mai, 23C warm, der Himmel war wolkenlos und intensiv blau.
Blicke auf die Uhr. Es war 20:10 in Tokio. Tokio.. wie fern alles schien. Wie es wohl wäre, wenn ich einfach in einen Flieger steigen, dorthin fliegen und nicht mehr zurückkommen würde. Einfach neu anfangen.

Auf einmal sehe ich ein Mädchen, direkt in meine Richtung gehend.. mit einer Rose in der Hand. Ich kann nicht anders, ich muss sie anstarren. Diese Figur, dieses Kleidchen, diese Haare, dieses wunderschöne Gesicht.. sie fällt mir um den Hals, begrüßt mich als würden wir uns schon ewig kennen. Ihre Haare duften nach Rosen, einem zarten Frühling, nach noch vielen anderen Blumen – ich will dieses Mädchen gar nicht mehr loslassen.
Sie löst sich von mir, guckt kurz skeptisch an mir herunter, setzt dann aber wieder ein strahlendes Lächeln auf.
„Ich bin Cilia“. Was für eine wunderschöne zarte Stimme!
„Ehm.. Vivien“, nuschele ich, etwas eingeschüchtert von diesem scheinbar perfekten Mädchen.
„Ah ok.. komm Vivi, wollen wir uns erst einmal da ans Wasser setzen? Und danach gehen wir ein wenig einkaufen.“
Sie lächelt mich an, nimmt meine Hand und wir setzen uns an den einen Springbrunnen gleich in der Nähe.
Anfangs sitzen wir nur da und sagen nichts. Aber es ist keine unangenehme Stille. Es ist eher so, als würden wir uns ohne Worte verstehen. Seltsam.
Sie Sonne strahlt direkt in Cilia’s Gesicht und sie sieht aus wie ein Engel. Ihre hellblonden Haare wirken noch heller, jede einzelne Wimper scheint durch den Mascara perfekt definiert, ihre Stupsnase passt perfekt in ihr Gesicht. Sie wirkt so verletzlich. Auch ist sie relativ klein, vielleicht 1,65m und sehr dünn, allerdings nicht ungesund dünn, nein. Wunderschön zierlich dünn ist sie. Ein Junge läuft vorbei und stößt anerkennend einen Pfiff aus. Cilia scheint es nicht zu bemerken. Genau in diesem Moment wünsche ich mir zum ersten Mal, ich könnte so sein wie sie.

Sie bricht das Schweigen.
„Wie alt bist du eigentlich?“
„15..und du?“
„17. Klingt doch steinalt.“ Ein wunderschön klingendes Lachen. „Erzähl mir von dir.“
„Was soll ich erzählen?“ An mir ist doch nichts interessant. „Ich gehe in die 10. Klasse eine Gymnasiums, ich spiele Geige.. meine beste Freundin sehe ich leider sehr selten.“
„Oh.. wieso das?“
„Ihre Eltern arbeiten beim Auswärtigen Amt und wurden vor einem halben Jahr nach Tokio versetzt.“
„Oh.. das tut mir leid für dich.“ Sie streichelt sanft meinen Arm. „Naja, komm. Wir amüsieren uns jetzt erstmal.“
Sie steht auf, zieht mich an der Hand hoch und ich fühle Glück.

Kurze Zeit später stehen wir in einem überfüllten großen Laden, wartend vor den Umkleidekabinen, ich habe die Arme voll mit Hosen, Röcken, Shirts, Kleidern und Tops und Cilia findet immer wieder neue Dinge, die ich anprobieren soll. Gott sei Dank, gibt es hier keine Kontrolle oder Begrenzung von Klamotten, die man mit in die Umkleide mitnehmen darf, schoß es mir durch den Kopf. Am Ende ergattern wir dann eine Umkleidekabine, Cilia bleibt draußen stehen und ich muss ihr jedes Kleidungsstück zeigen, egal wie gräßlich ich es finde.
Ich ziehe erst zwei Shirts an, nur eines überzeugt Cilia und mich. Dann einen kurzen Rock, schließlich eine knallenge Hose. Ich schaue auf das Etikett. Eine 36! Ich hatte das letzte Mal in diese Konfektionsgröße vor fast zwei Jahren gepasst. Knalleng.. ich hatte mich immer dünn gefühlt, war 1,74m groß und wog 61 kg.. aber in diese Hose passte ich nicht. Klar, ich kam in sie rein, konnte auch noch gerade so den Reißverschluss schließen – aber ich kam mir vor wie eine Presswurst.
„Vivi, komm raus!“
„Nein.. nein, die passt nicht.“
„Ach komm schon, ich will’s doch nur selbst sehen!“ Ein Lachen.
Na schön. Ich zog den Vorhang beiseite, Cilias Blick fiel erst auf meinen skeptischen Blick, dann die Hose.
Sie guckte kurz, dann sah sie mich wieder an – begeistert.
“Aber die ist doch toll!“
„Mhm.. aber so eng! Ich pass da nicht rein.“
„Reg doch nicht so einen Quark. Ein paar Kilo weniger und schon wirst du dann noch besser aussehen als ohnehin schon.“
Ich werde rot. „Meinst du das ernst?“
Cilia nickt nur. Und ich spüre eine weitere Welle der Zuneigung für diese wunderbare Person aufkommen.

Am Ende des Tages habe ich drei neue Shirts, einen Rock, diese Jeans und eine leere Geldbörse.
Aber das war egal, ich war so glücklich wie schon lange nicht mehr.


Kapitel 6



„Wo warst du heute? Weißt du, wie spät es ist? Es ist halb 9, Madame!“
Das hysterische Keifen meiner Mutter und schon habe ich keine Lust mehr überhaupt noch etwas zu sagen.
„Ich war mit einer Freundin einkaufen. Und tut mir leid, mein Bus ist ausgefallen, deswegen bin ich ‚ne halbe Stunde später da.“
Schroff. Gefühllos. So klinge ich. Aber in mir tobt alles. Ich will, dass sie mich umarmt, ich ihr von heute erzählen kann – aber das geht ja nicht.
„Mhm.. ok. Ess’ noch etwas, dann geh ins Bett. Es kommt heute nichts Gutes im TV.“
Ich gehe in mein Zimmer, habe keinen Hunger. Außerdem will Cilia mir sowieso noch einen Diätplan schicken, damit die Hose auch wirklich perfekt passt in ein paar Wochen. Heute mache ich nicht sofort den Computer an. Ich packe erst bedächtig meine neuen Sachen aus und wieder kommt ein kleines Glücksgefühl hoch. Diese Klamotten sind einfach nur cool. Und ich weiß, heute habe ich meine Chance bekommen, mich zu ändern. Und ich hatte sie genutzt, würde jetzt nicht aufhören. Cilia war mein Weg in ein neues Leben. Ein besseres Leben. Wenigstens empfinde ich es so.


Kapitel 7



Ich nehme seit zwei Wochen täglich nur noch etwa 1000 Kalorien zu mir und ziehe das noch etwa drei Wochen durch. Dann hab ich meine Traumfigur. Wenn ich nicht Cilia hätte, die mich dauernd motiviert, würde ich das nie schaffen. Es ist unglaublich wie sehr sie mir hilft, schon bei solchen Sachen angefangen. Insgesamt hält sie mich, ist so für mich da, wie es noch nie jemand getan hat. Selbst meine Mutter ist begeistert von ihr.
„So ein nettes Mädchen! Von der solltest du dir eine Scheibe abschneiden.“ Ihre Worte. Ja, Cilia ist wundervoll. Einfach perfekt. Ein Engel. Ich kenne niemanden, der nicht sofort von ihr bezaubert ist.
Sie ist, glaub ich, das Beste was mir je passiert ist.


Kapitel 8



Es macht Spaß, andere glücklich zu machen.
Ich bin froh, dass ich mich für diesen Weg entschlossen habe.



„Ich liebe mein leben!“ schrieb um 15:21 Uhr:
„Bald ist das Schuljahr um. Weißt du was? Dann wird der Sommer unseres Lebens beginnen!“

„Komm und hol mich hier raus“ schrieb um 15:23 Uhr:
„Noch eine Woche.. unser Sommer, ja!“

„Ich liebe mein Leben!“ schrieb um 15:28 Uhr:
„Ich wurde zu einer Party von einem Kumpel eingeladen diesen Freitag.. Schools-Out-mäßig. Magst du mitkommen? Wir können ja deiner Mum sagen, dass wir einen DVD-Abend machen.“

Party? Gerne. Ich war noch nie auf einer richtigen Party.. ich weiß, dass ich damit eine Ausnahme unter den 15jährigen bin.

„Komm und hol mich hier raus“ schrieb um 15:29 Uhr:
„Ja okay, können wir machen. Wo treffen wir uns?“

„Ich liebe mein Leben!“ schrieb um 15:31 Uhr:
„Komm doch vorher einfach zu mir so gegen 18 Uhr und dann machen wir uns zusammen fertig?“

„Komm und hol mich hier raus“ schrieb um 15:37 Uhr:
„Ok, dann machen wir das so. Bis Freitag.“

„Ich liebe mein Leben!“ schrieb um 15:34 Uhr:
„Und diese Woche schaffen wir schon noch! Morgen ist Montag..
aber der letzte Montag, an dem ich Schule hab!“

Ja.. der letzte richtige Montag. Bis nach den Sommerferien, mein ich.


Kapitel 9



Ja, es wird unser Sommer. Für mich der letzte Sommer.
Ich werde es genießen. Ein letztes Mal.



Die Party ist schon in vollem Gange als Cilia und ich um kurz vor 23 Uhr ankommen. Sie finden in einer Villa statt. ich bin ziemlich beeindruckt von dem riesigen Haus. Es ist hell erleuchtet und brechend voll, nachdem ich mich auch noch drinnen umgesehen habe, schätze ich, dass vielleicht 200 Leute da sind. Ich kenne keinen einzigen von ihnen – naja, bis auf Cilia halt. Außerdem sind zwei Floors vorhanden, auf dem einen ist die Musik wild durchmischt, auf dem anderen wird Metal gespielt. Eine kleine, ziemlich umlagerte Bar ist am Rand, alle Getränke sind gratis, weil das irgendwie schon im Eintrittspreis enthalten war, der ja auch nicht allzu hoch war. Wir holen uns erstmal ein Bier, dann tanzen wir eine Weile. Schließlich gehen wir in den Garten um uns etwas abzukühlen. Sie kramt kurz in ihrer Tasche, dann zieht sie eine Schachtel Zigaretten hervor. Ich bin mehr als verwirrt.
„Du rauchst?“
„Ja, manchmal. Hier, bitte.“ Sie hält mir auch eine hin.
„..ich nicht.“
„Komm schon. Von einer wirst du nicht süchtig. Außerdem solltest du doch erstmal probieren, bis du nein sagst.“
Soll ich? Einmal kann ja nicht schaden, stimmt schon. Ich nehme die Kippe an, stecke sie mir in den Mund. Cilia hat inzwischen ihre schon angezündet, hält das Feuerzeug nun zu meiner. Ich nehme automatisch einen Zug, fange danach erst einmal an zu husten. Aber es schmeckte besser, als es für einen Nichtraucher roch. Nur wurde einem leicht schwindelig. Aber war doch irgendwie witzig.
„Können wir uns irgendwo hinsetzen?“, höre ich mich fragen.
Wir setzen uns auf eine Hollywood-Schaukel, ziehen schweigend an unseren Zigaretten und genießen die Nacht.
„Ich stelle mir manchmal vor, was passiert wäre, wenn du nicht gekommen wärst und mich so verändert hättest.“, sage ich.
„Wie denkst du, wäre es dann jetzt?“
„Ich weiß nicht.. immer noch genauso wie in der Zeit, in der ich noch ohne dich existieren musste, denke ich. Cilia? Ich bin dir so unglaublich dankbar. Für alles.“
Sie schweigt eine Weile, bis sie dann meint:
„Kein Ding. Ich denke, jeder Mensch sollte die Chance bekommen, glücklich zu werden.“
„Und du ganz besonders!“
Sie lächelt mich nur seltsam an, blickt dann wieder in die Sterne, nimmt einen tiefen Zug aus der Zigarette. So sitzen wir beide noch eine Weile da, bis zwei Freunde von ihr auf einmal ankommen. Sie begrüßen sie lautstark, umarmen sie, grinsen auch mich freundlich an.
Beiden sehen ziemlich süß aus, haben lange braune Haare, tragen Röhrenjeans und Bandshirts einer Band, die mir gänzlich unbekannt ist. Cilia stellt mich vor als ihre „sehr gute Freundin Vivi“. Die Jungs heißen Paul und Ben. Standardnamen halt.
Ben ist ziemlich nett. Er fragt mich, ob ich wieder reinkommen und was trinken wolle. Ich schaue Cilia fragend an, will sie ja auch nicht links liegen lassen. Sie grinst mich aber nur an und meint: „Geht schon!“

„Hast du eigentlich einen Freund?“, fragt mich Ben in sehr erhöhter Lautstärke, um die Musik zu übertönen.
„Nein. Und du? Also, ich mein, .. hast du eine Freundin?“ Ich wurde dezent rot.
„Nicht wirklich.. bisher habe ich einfach noch niemanden gefunden, der perfekt zu mir passt.“
Er schaut mir tief in die Augen, beugt sich zu mir rüber und küsst mich wild. Ich bin total überrumpelt, lege jedoch instinktiv meine Arme um ihn und mache mit.
Schließlich lösen wir uns voneinander, öffnen die Augen und grinsen uns breit an. Celia lächelt auch – sie steht inzwischen bei uns in der Nähe und hat anscheinend alles beobachtet. Ich werde wieder rot. Sie nickt nur anerkennend und zeigt mir einen hochgestreckten Daumen, fordert mich somit dazu auf, weiterzumachen.
Ich wende meine Aufmerksamkeit wieder Ben zu.

Der Abend ging viel zu schnell zu Ende für meinen Geschmack. Um 2 Uhr gehen Cilia und ich dann schließlich.
„Cilia.. wie alt ist Ben eigentlich?“
„19. Hast du ihm deine Handynummer gegeben?“
„Ja. Und ich hab seine auch.“
Ich lächele sie an, bin komplett glücklich. Sie erwidert mein Lächeln.
„Ach Süße, ich freu mich für dich! Und Ben ist ja wirklich süß.. vielleicht wird’s ja was.“
„..ich hoffe.“


Kapitel 10



Sie soll glücklich sein. Auch wenn es mir das Herz noch weiter zerreißt. Ich bin unwichtig. Ich habe ihr die Hauptrolle gegeben, also.



Am nächsten Morgen wache ich mit einem gewaltigen Kater auf. Ich habe bei Cilia übernachtet und nachdem wir von der Party verschwunden waren, hatten wir bei ihr ordentlich weitergetrunken. Wenigstens ging danach keiner von uns beiden kotzend über der Toilette. Ich schaue Cilia kurz an, dreh mich um, denke an Ben und dämmere schon wieder weg.

Irgendwann am Spätnachmittag sind Cilia und ich schließlich aufgestanden, sitzen seitdem in der Küche und ich bin gerade bei der vierten Tasse Kaffee. Ihre Eltern sind nicht da, Cilia meint, sie wären seit gestern früh für eine Woche verreist. Passt uns eigentlich ganz gut.
Dieses Mädchen ist inzwischen einfach alles für mich. Sie ist so, wie ich sein will – wunderschön, intelligent, beliebt, trotzdem nicht arrogant. Sie ist eine unglaublich starke Persönlichkeit und blickt immer nach vorne. Ich weiß wenig über ihre Vergangenheit – sie dafür um so mehr über meine. Sie hat mich positiv verändert. Ich will selbstbewusst geworden, sage meine Meinung. Aber das Wichtigste; In ihr habe ich jemanden gefunden, der immer an mich glaubt, egal worum es geht.
Ich muss sie einfach breit anlächeln – sie ist leicht verwirrt, weiß ja nichts, von meinen Gedanken, grinst aber trotzdem zurück. Cilia ist immer ein wenig geistesabwesend, aber ich habe mich daran gewöhnt.
Woran sie wohl denkt? Ich weiß nur, an wen ich die ganze Zeit denken muss. Und das ist Ben.
„Woher kennst du eigentlich Ben?“, frage ich spontan.
„Ich kenne ihn schon länger.“ Sie lächelt. „Wir haben uns vor jetzt etwa sechs Jahren kennengelernt, als er in die Nachbarswohnung mit seinen Eltern gezogen ist. Inzwischen wohnt er zwar in einer WG in Friedrichshain, aber wir haben noch engen Kontakt. Wir waren auch mal zusammen. Ist aber schon länger her.“ Sie lacht.
Ich fühle einen kleinen Stich der Eifersucht. Was will Ben mit einer wie mir, wenn er Cilia gehabt hatte?
„Wie lange ist es denn her?“, frage ich bemüht beiläufig. Sie scheint kurz zu überlegen.
“Müsste jetzt um die acht Monate her sein. Und wir waren auch nur ein halbes Jahr zusammen. Danach haben wir einfach beide festgestellt, dass es nicht mehr mit uns klappt.“
„Hast du ihn geliebt?“
„Ja, habe ich. Er war meine erste große Liebe. Aber das ist Vergangenheit, also denk nicht darüber nach.“
Sie boxt mich spaßhaft in die Seite. Danach sitzen wir nur noch stumm da, ich trinke meinen vierten Kaffee aus.


Kapitel 11



Spanien ich liebe dich. Gib mir Sonne, Sommer, Liebe! Aber Liebe kann ich hier nicht finden.



Ich sitze gelangweilt vor meinem PC. Wieder bei SchülerVZ eingeloggt, das erste Mal seit zwei Wochen. „Komm und hol mich hier raus“ – wie dieser Name inzwischen so gar nicht mehr passt. Aber diese Community ist mir auch nicht mehr so wichtig, seit es mir gut geht, seit ich Cilia kenne. Diese ist mit ihren Eltern nach Spanien gefahren. In zwei Wochen kommt sie wieder. Obwohl sie erst vor zwei Tagen geflogen ist und wir davor jeden Tag zusammen verbracht haben, vermisse ich sie schon. Egal, einfach Zeit vertreiben. Sind ja nur zwei Wochen.
Ich gehe raus auf den Balkon und zünde mir eine Zigarette an. Ich ziehe den Rauch tief ein, puste ihn langsam und genüsslich aus. Ziehe wieder und mache dann Ringe aus Rauch. Meine Mutter muss arbeiten, was ich ganz gut so finde. Sie weiß nicht, dass ich rauche und trinke und ich wird es ihr auch nicht erzählen, weil ich sie nicht noch mehr enttäuschen will. Denn inzwischen ist sie manchmal sogar stolz auf mich.. findet es gut, dass ich mich verändert habe. Und will das nicht zerstören. Ich weiß auch nicht genau, warum ich das tue. Wenn ich Nikotin intus habe, bin ich entspannter, wenn ich auf die Bahn warte, kann ich mir dadurch die Zeit vertreiben und wenn meinem Mund der eklige Nachgeschmack eines Alkohols anhaftet, kann ich diesen durch einen für mich inzwischen angenehmeren ersetzen. Nur Vorteile also.
Mein Handy vibriert. Eine neue SMS: Ich guckte auf das Display. Sie ist von Ben! Seit dem Abend auf der Party hatten wir keinen Kontakt mehr gehabt. Inzwischen hatte ich die Hoffnung schon aufgegeben, dass er sich noch melden würde. Ich lese die SMS einmal, lese sie zweimal, ziehe hektisch an meiner Zigarette, lese ein drittes Mal.
„Hey Vivi, musste die ganze letzte Woche an dich denken. Jetzt hab ich endlich den Mut aufgebracht, dir zu schreiben.. hast du morgen schon was vor? Wir könnten ja in den Park gehen? Ben“
Oh mein Gott, oh mein Gott, oh mein Gott! Ich simse ihm natürlich sofort zurück, dass das mit morgen klargehen würde. Und nachdem ich meine Kippe ausgedrückt habe, gehe ich ins Wohnzimmer, drehe laut komische Musik auf und führe einen Freudentanz auf. Ich meine, es ist Ben! Der absolut heiße, nette, gut küssende Ben! Und er will mich treffen. Ich würde zu gern Cilia davon erzählen, aber eine SMS oder ein Anruf nach Spanien ist definitiv zu teuer. Egal. Morgen treffe ich Ben!


Kapitel 12

Wie es ihr wohl geht? Sie hat sich so sehr verändert und das größtenteils zum Guten. Ich glaube, sie ist jetzt das Mädchen, das sie immer sein wollte. Ich hoffe es. Und sie ist glücklich. Es ist schön, sie aufrichtig lachen zu sehen.



Ben und ich sitzen seit zwei Stunden im Treptower Park fast direkt am Wasser auf einer Decke, die er mitgebracht hat. Anfangs war ich ziemlich nervös und zurückhaltend, aber inzwischen fühl ich mich einfach nur noch geborgen. Er ist einfach zuckersüß!
Wir reden über allen möglichen Mist, lachen, ärgern uns, berühren uns immer wieder leicht. Jetzt beugt er sich zu mir rüber.
„Vivi.. darf ich dich küssen?“, sagt er mich leicht nervöser Stimme.
Ich nicke nur, schließe die Augen und leg meine Arme um ihn. Langsam, ganz langsam treffen unsere Lippen aufeinander, verschmelzen, meine Beine werden zittrig und ich spüre vollkommenes Glück.
Als wir uns dann voneinander lösen, schweigen wir kurz. Dann fragt Ben:
„Vivi.. ich habe mich in dich verleibt. Willst du mit mir zusammen sein?“
Schon wieder kann ich nur nicken. Ich räuspere mich und meine mit rauher Stimme: „Ja. Ja! Ich hab mich auch in dich verliebt..“ Ich werde rot – also wirklich knallrot.
Er muss lächeln, zieht mich an sich und küsst mich wieder.


Kapitel 13



Es ist nun die dritte Ferienwoche angebrochen. In ein paar Stunden werde ich auf eine Homeparty von einem von Ben’s Freunden gehen – wieder einmal. Er und ich haben die letzte Woche und diese Woche fast jeden Tag etwas zusammen gemacht.. ich bin so schrecklich glücklich mit ihm! Die ganze Zeit bin ich nur noch am Grinsen, Lächeln und Lachen und kann damit einfach nicht aufhören. Ich brenne schon darauf, Cilia von Ben und mir zu erzählen. In zwei Tagen ist sie ja wieder da. Ich hole sie vom Flughafen ab und dann wird sie bei mir übernachten. Wie sehr ich mich freue!


Kapitel 14

Ich sehe gleich meinen Engel wieder. Irgendwie habe ich sie schon sehr vermisst.



Es ist 17:43 Uhr und ich stehe im Eingangsbereich des Flughafens Schönefeld, warte auf Cilia. Vor etwa einer Viertelstunde ist ihr Flieger gelandet, sie müsste also langsam auftauchen. Und da kommt sie auch schon. Ihre Haut ist brauner geworden, ihre Haare wirken dadurch nur noch heller und sie noch zierlicher.
„Liebes, ich hab dich so vermisst! Spanien war toll, aber mit dir wär’s schöner gewesen. Stell dir vor, die ganzen süßen Typen da! Wie geht es dir?“
„Total gut. Es ist soviel passiert!“
Ich umarme sie noch einmal.
„Und ich habe dich auch vermisst. Wo sind eigentlich deine Eltern?“
„Sind gleich weiter nach Hamburg. Geschäftliche Dinge.“

Wir sitzen auf dem Balkon, beide mit einer Kippe in der einen und einem Kaffee in der anderen Hand.
„Also.. was wolltest du mir so tolles erzählen?“
Cilia lächelt mich abwartend an.
„Naja.. Ben hatte mir vorige Woche eine SMS geschrieben, ob wir uns treffen wollen und das haben wir dann auch getan .. und, ahh, wir sind zusammen! Ich bin so furchtbar glücklich!“
Cilia guckt mich erst nur verdutzt an. Dann aber setzt sie wieder ihr strahlendstes Lächeln auf.
„Süße, wie schön! Ich hoffe, das hält lange.“
Wir reden noch eine Weile über Ben, dann wechsle ich das Thema. Wir redeten im Grund immer nur über mich und nie über sie, fiel mir auf.
„Und wie war Spanien? Hattest du einen netten Urlaubsflirt? Ich hatte da was von heißen Spaniern gehört..“
Wir lachen beide lauthals. Ok, mein Ton war grad eben wirklich etwas merkwürdig.
„Nein..ach..keine Ahnung. Ich hatte da etwas mit einem Typen, aber der kommt aus so einem Kaff in der Nähe von Düsseldorf und ja.. aber süß isser.“
„Mhm.. bestimmt, er so jemanden wie dich verdient hat. Fernbeziehungen haben doch auch ihren Reiz.“
„..mal sehen.“ Cilia lächelt schon wieder. Oder immer noch?



Kapitel 15


„Ich liebe mein Leben!“ schrieb um 12:03 Uhr:
„Kannst du mir einen Riesengefallen tun?“

„Komm und hol mich hier raus“ schrieb um 12:06 Uhr:
„Klar.. worum geht’s?“

„Ich liebe mein Leben!“ schrieb um 12:08 Uhr:
„Ziehst du mit mir die letzten zwei Wochen der Ferien durch Berlin? So Vagabunden-mäßig? Im freien übernachten, das tun, was wir wollen.“

„Komm und hol mich hier raus“ schrieb um 12:13 Uhr:
„An sich gerne.. aber was erzähl ich meiner Mum?“

„Ich liebe mein Leben!“ schrieb um 12:14 Uhr:
„Schreib ihr einfach einen Zettel und scheiß mal auf die Konsequenzen. Bitte.. ich brauch dich.“

„Komm und hol mich hier raus“ schrieb um 12:27 Uhr:
„..ok. Ab wann?“

„Ich liebe mein Leben!“ schrieb um 12:30 Uhr:
„Ab nächsten Montag. Näheres sag ich dir, wenn wir uns spätestens übermorgen sehen.“

Für sie würde ich alles tun.


Kapitel 16



Heute ist es soweit. Heute ist Montag. Heute ist der Tag, an dem Cilia und ich für zwei Wochen von Zuhause ausreißen werden. Meine Mutter arbeitet schon, ich habe ihr einen kleinen Zettel auf den Tisch gelegt.
„Bin weg. Mach dir keine Sorgen, ich komm wieder. Solange du nicht die Bullen einschaltest. Ich bin nicht allein und wir können schon auf uns aufpassen. In Liebe, Vivien.“
Ich habe eine Reisetasche gepackt. Zwei Jeans, Unterwäsche, Shirts, einen dicken Pullover, zwei Decken, meine Fahrkarte, 200¤. In einer Stunde muss ich bei Cilia sein.

„So.. alles bereit?“, fragt Cilia mich.
„Jop. Aber.. warum zur Hölle nimmst du ein Radio mit?“
Sie lacht. „Wir brauchen doch Musik. Und dieses ist mit Batterien betreibbar.“
Ich zucke die Achseln. Wenn sie unbedingt ein Radio mitnehmen will, dann nehmen wir halt eins mit.


Kapitel 17



Ich sehe mich um. Leere Bierflaschen, ausgedrückte Zigarettenstummel, kaputte Spraydosen, Schmutz. Wir sind in einer Fabrikruine in der Nähe des S-Bahnhofes Ostkreuz und es ist der dritte Abend, den wir zusammen im Freien verbringen.
„Hier wollen wir also heute schlafen?“
„Warum nicht? Ich finde, der Ort hat was.“
„Gut, dann lass erstmal die Isomatten und Decken hinlegen.“

„Wie viel Alkohol und Kippen haben wir eigentlich noch?“
„Genug. Drei Bier, einmal Saure Kirsche und ich hab noch zwei volle Packungen Pall Mall.“
„Dann ist gut. Aber morgen müssen wir dann wat neues kaufen.“
„Auf jeden. Sag mal, wollen wir vielleicht Gras rauchen? Ich hätte grad richtig Lust drauf.“
„Du hast was mit?“
„Ja. Schon seit einer Weile. Hast du schon mal probiert?“
„Nein.“
„Willst du’s probieren?“
Cilia schaut mich abwartend an.
“Warum nicht? Ok.“
Sie grinst mich an, holt eine Bonbondose aus ihrer Reisetasche – es liegen zwei schöne Tüten drin.
Sie nimmt einen heraus, zündet ihn an, zieht kurz, lässt sich Zeit mit dem ausatmen. Als sie es dann tut, verzieht sich ihr Gesicht, dann lächelt sie mich strahlend an. Cilia zieht noch zweimal, dann reicht sie ihn an mich weiter. Es schmeckt und riecht nicht gut, wenigstens nicht für mich, aber die Wirkung ist toll. Alles scheint langsamer, Cilia und ich labern nur noch Mist, vergessen sofort alles wieder, lachen grundlos.
„Macht es dir eigentlich nichts aus, dass deine Eltern fast nie da sind?“, frage ich sie spontan.
„Doch, schon. Aber ich hab mich dran gewöhnt. Und selbst wenn sie da sind, sind sie nicht für mich da.“
„Macht dich das wütend?“
„Ja, schon. Aber langsam.. ist es mir nur noch egal.“
„Glaubst du, du kannst ihnen irgendwann ihre ständige Abwesenheit verzeihen? Ich mein, ich kenne dich jetzt seit vier Monaten und hab sie noch kein einziges Mal gesehen.“
„Weiß nicht. Ist, glaub ich, auch gar nicht so wichtig. Denn wenn man jemanden nicht mehr liebt, ist sowas auch egal.“
Cilia greift sich die Saure Kirsche, fängt in großen Schlucken an zu trinken.
„Hast du schön aufgehört sie zu lieben?“
„Eigentlich schon. Tief in mir drin liebe ich sie zwar immer noch, aber dieser Teil meines Herzens ist fest weggeschlossen.“
„Glaubst du, es wird irgendwann wieder besser?“
„Nein.. dafür ist es zu spät.“
Sie schüttelt den Kopf. „Oh man.. es stimmt wirklich. Wenn man breit ist, ist man ehrlich.“

Wir sitzen nur noch schweigend da. Ich trink ein Bier, Cilia die halbe Flasche Saure Kirsche. Irgendwann legt sie sich einfach wortlos hin, rollt sich eng zu einer Kugel zusammen und schläft ein.
Ich sitze mit angewinkelten Beinen neben ihr, gehe schließlich hoch, bewege mich auf die unbefahrene Straße, gucke in den Sternenhimmel. Es ist fast ein Uhr morgens. Wer wohl noch alles in diesem Moment die gleichen Sterne sieht wie ich?


Kapitel 18



„Schnecke, wach auf!“ Cilia rüttelt mich sanft.
„Was is?“
„Es ist schon 11 Uhr, in einer Stunde müssen wir aus dem Zimmer raus und du musst noch duschen.“
Wir machen es inzwischen so, dass wir jede dritte Nacht in einer kleinen Pension übernachten. Endlich in Ruhe ausschlafen, duschen und Haare waschen können. Wir sind jetzt schon seit 13 Tagen unterwegs. Aber wir kommen gut klar. Unser Geld reicht. Wir haben genug Zigaretten, Alkohol, genug zu entdecken.
Heute wird ein schöner Tag werden. Ich weiß es einfach.

Pünktlich um 12 Uhr sind wir dann vor der Pension, frisch gewaschen und mit unseren Reisetaschen. Wir setzen und auf einen kleinen Spielplatz, rauchen einen Gute-Morgen-Cilia-und-Vivi-Joint. Alles ist bunter, lustiger, einfacher.
„Warum buffst du eigentlich?“
„Weil es mir dann gut geht, weil Ertragen leichter ist.“, antwortet Cilia schlicht.
„Ich machs, weil dann alle Sorgen weniger schwer wiegen.“
„Ja, so isses halt. Cannabis ist toll. Aber du musst aufpassen. Es darf nicht zur Gewohnheit werden. Versprichst du mir das?“
„Ok. Versprochen!“ Ich grinse sie an. „Wenn nicht, dann musst du mich halt dann einfach ganz laut und lange anschreien.“
Cilia sieht mich nur ernst an und ihre Augen scheinen mir etwas sagen zu wollen, aber ich verstehe sie nicht.


„Morgen ist es soweit.. morgen ist der letzte Tag.“
„Mhm.. hast ‚ne Idee, was wir machen wollen? So zum krönenden Abschluss?“ Ich gähne. Ich bin einfach nur todesmüde. Cilia sieht mich intensiv an.
“Naja.. ich dachte an die Oppenbrücke bei Sonnenuntergang.“
„Oppenbrücke?
„Liegt in Altglienicke. Eine Fachwerkbrücke aus Stahl, seit fast zwanzig Jahren ist sie jetzt gesperrt und es liegen immer noch ein paar Straßenbahnschienen rum. Ich stelle mir den Blick von dort einfach wunderschön vor.“
„Es scheint dir wichtig zu sein, dass wir da hingehen.“
„Du hast Recht.“
„Gut, dann machen wir’s so.“


Kapitel 19



Es ist soweit. Ich habe keine Angst.. denn ich tue das Richtige.



Der letzte Tag der Ferien geht zur Neige und wir sind da. An der Brücke. In ein paar Minuten wird die Sonne beginnen, unterzugehen und der Himmel sich rötlich färben.
Wir werfen unsere Taschen achtlos beiseite, kümmern uns nicht mehr drum. Gehen auf die Mitte der Brücke.
„Kannst du das Radio holen und bitte vorher noch neue Batterien reinmachen?“, bittet Cilia mich.
Ich folge ihrem Wunsch und zwei Minuten später läuft das Radio. Cilia holt eine unbeschriftete CD, legt sie ein, langsam, bedächtig. Eine wunderschöne Musik erklingt. Friedliche. Entspannend. Und seltsam traurig.
Sie setzt sich auf das Brückengeländer, mit dem Gesicht zum Wasser. Die Sonne scheint in ihr Gesicht, genau wie bei unserem ersten Treffen.
„Pass auf, dass du nicht runter fällst! Es geht verdammt weit nach unten.“
„Stimmt, ich darf nicht fallen.“ Sie lächelt mich an. „Sonst kann ich ja nicht mehr springen. Setz dich zu mir.“
Ich bleibe seltsam ruhig, obwohl mir kein rationaler Grund einfällt, warum. Gehe zu ihr, setze mich neben sie auf das Geländer. Der Blick von hier ist wunderschön und gleichzeitig beängstigend.
„Somewhere over the rainbow.. way up high“, singt der Typ in dem Lied. Der Song läuft in Dauerschleife.
Nach mehreren Minuten Stille breche ich das Schweigen.
„Das ist es also. Wir sind hier um zu sterben.“
„Nein. Ich bin hier um zu sterben. Du bist hier, weil ich nicht allein sein will.“
„Aber.. du warst immer so optimistisch! >Ich liebe mein LebenWell I see trees of green and
Red roses too,
I'll watch them bloom for me and you
And I think to myself
What a wonderful world

Well I see skies of blue and I see clouds of white
And the brightness of day
I like the dark and I think to myself
What a wonderful world




Cilia scheint vollkommen friedlich, wie sie dort alleine vor dem Geländer steht.
Sie hat die Arme ausgebreitet, atmet tief ein, lächelt ein letztes Mal ihr kleines verschmitztes Lächeln.
Dann springt sie.


Someday I'll wish upon a star,
Wake up where the clouds are far behind me
Where trouble melts like lemon drops
High above the chimney top that's where you'll find me
Oh, Somewhere over the rainbow way up high
And the dream that you dare to, why, oh why can't I?





Es tut mir leid. Aber so muss ich nicht mehr leiden. Bitte, respektiert meinen Willen. Ben? Ich habe dich geliebt. Immer.





Prolog



Und als ich dann so alleine dastehe, flüstere ich leise:
„Finde dein Glück.. finde, was dir hier nicht vergönnt war. Denn es ist noch zu Ende.“


Impressum

Tag der Veröffentlichung: 05.09.2012

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