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Prolog

Ich wachte auf. Es war, als wäre ich neu geboren worden. Vielleicht war ich wirklich neu geboren worden. Ich lag in einem Zimmer auf einer dunkelbraunen Ledercouch. Ich wußte weder wie ich hierher gekommen war noch wer ich überhaupt war. Das Zimmer war weiß angestrichen. Nur ein Spiegel und ein Stuhl standen noch im Zimmer. Das Zimmer schien vom Sonnenlicht hell erleuchtet zu sein, doch als ich aus dem einzigen Fenster in diesem Raum schaute, sah ich nur ... schwarz. Dort draußen war nichts.
Ich zermarterte mir meinen Kopf: Wie war ich hierher gekommen? Was war passiert? Und das vielleicht Erschreckendste: Wer war ich überhaupt? Min Kopf war vollkommen leer. Das hieß: Nicht vollkommen. So stellte ich verwundert fest, dass ich rechnen und das Alphabet konnte, ja sogar die Größe Deutschlands in qm². Ich hatte nur alles über...mich vergessen. Wie konnte das möglich sein?
Ich ging zu dem Spiegel, betrachtete mich. Aber es starrte mir nur ein fremdes Gesicht unverwandt entgegen. Das Mädchen mir gegenüber war bestimmt nicht älter als 17, hatte braun-rötliche, wellige Haare. Ihre Augen, die eine warme braune Farbe hatten, waren leicht schräg. Ihre Stupsnase und ihre Wangen waren von kleinen, vereinzelten Sommersprossen überzogen. Die Lippen hatten einen hübschen Schwung und wahrscheinlich hatte das Mädchen Grübchen, wenn sie lachte. Aber heute waren ihre Lippen fest aufeinander gepresst, ihre Augen entsetzt geweitet und sie zitterte am ganzen Körper. Das sollte ich sein? Ich sollte sie sein? Ich setzte mich auf die Couch, war einfach nur fassungslos und wollte wissen, was hier los war. Ich war angespannt, jederzeit bereit, aufzuspringen.
Vor der Tür waren auf einmal Schritte zu hören, ein paar Sekunden später wurde meine Tür leise geöffnet, ein Mann trat ein. Ich hatte mich inzwischen ängstlich in eine Ecke des Zimmers gepresst, meine Gedanken überschlugen sich. Was sollte ich tun? Der Mann blickte mich überrascht an, wahrscheinlich überrascht, dass ich nicht mehr bewußtlos auf der Couch lag, dann zeichnete sich aber ein kleines Lächeln auf seinem Gesicht ab und er schloß die Tür, ging dann langsam weiter in den Raum. Er war vielleicht Mitte 30, hatte ein herrisches Gesicht, zusammengewachsene Augenbrauen, seine Haare trug er kurz. Er sah ein wenig wie ein Adler aus, fand ich. Er trug einen grauen Anzug und beobachtete mich nun mit einem leicht interessierten Gesichtsausdruck. Schließlich setzte er sich lässig auf die Couch und winkte mich mit einer befehlsgewohnten Geste zu sich. Ich zögerte, zog mir jedoch den Stuhl mit einem größtmöglichen Sicherheitsabstand zu ihm heran und sah ihn abwartend an. "Komm hierher."
Der Mann hatte das gesagt, klopfte nun mit einer Hand neben sich auf die Couch. Ich wollte nicht dorthin, sträubte mich mit aller Kraft, doch mein Körper ging zu der Couch, setzte sich neben ihn. Er war, als würden meine Beine nicht mir gehören. Er mich mit einem intensiven Blick an und sagte mir dann, deutlich und eindringlich:
"Du heißt von nun an Jolila. Du hast in deinem alten Leben Selbstmord begangen. Du kannst dich noch an nichts aus deiner Vergangenheit erinnern. Zu gegebener Zeit wirst du dich daran erinnern. Aber das muss auf natürliche Weise kommen. Du darfst nicht nachforschen, du darfst nicht mit anderen über dein altes Leben sprechen!"
Geschäftsmäßig und mit kalter Stimme fuhr er fort:
"Du hast dein Leben vergeudet. Du hast es weggeworfen. Dafür wirst du nun auf ewig gestraft. Du bist nun ein Todesengel."
Ich war wie betäubt. Seine Worte hallten in meinem Kopf wieder. Ich durfte mich nicht an meine Vergangenheit erinnern? Warum? Und was waren Todesengel?
Ich kam mir vor, wie im falschen Film. Der Mann sah mich schweigend an, bis ich ihn dann zögernd fragte, dann aber auf einmal alles aus mir heraussprudelte: "Was...was sind Todesengel? Und wieso darf ich mich nicht erinnern? Und wer sind sie überhaupt?"
Er betrachtete mich mit einem melancholischen Lächeln, antwortete mir dann:
"Todesengel sind Selbstmörder. Sie altern nicht, haben spezielle Fähigkeiten und ihr Job ist es, Menschen den Übergang vom Leben in den Tod zu erleichtern und so weiter. Warum du dich nicht erinnern darfst, bevor du bereit dazu bist? Weil du dich damit zerstören würdest.
Ich wer ich bin, ist nicht wichtig. Ich bin nur ein Überbringer von Botschaften vom großen, unbekannten Boss."
Ich konnte nicht fassen, was er mir da erzählt hatte. Währenddessen stand mein "Überbringer von Botschaften" rasch auf, strich seinen Anzug glatt und verabschiedete sich mit den Worten:
"In einer Stunde wirst du in Raum 0-108 erwartet. Frag dich einfach durch. Und komm ja nicht zu spät. Auf Wiedersehen."
Ich sackte, kaum hatte er die Tür hinter sich geschlossen, fassungslos in mir zusammen.


Kapitel 1


Genau 57 Minuten später saß ich in einem großen, leeren Raum. Überall standen Schultische und –stühle, jedoch war ich die einzige Person hier. Ich fragte mich schon seit einer Weile, ob ich vielleicht im falschen Raum saß oder das alles hier doch nur ein blöder Scherz war, als auf einmal ein leises 'Plopp' ertönte und kurz darauf jemand trocken hustete Ich drehte mich um und stand einem kleinen Mann gegenüber. Er war wirklich sehr klein, ich schätzte ihn auf 1,45m, und hatte noch einige wenige graue Haare auf seinem Kopf. Er trug einen strahlend weißen Anzug und schaute mich streng an, als sich mein ganzer Körper schüttelte, weil ich diese Farbe einfach als unerträglich empfand. Er setzte sich an einen kleinen Tisch mit mehreren Stühlen und winkte mich dann zu sich. Ich setzte mich ihm gegenüber, sorgfältig darauf bedacht, dass ich ihm die ganze Zeit in die Augen schauen konnte und nicht auf seinen Anzug sehen musste.
Dieses absolut reine Weiß, es machte mich nervös, ließ in mir ein starkes, nie bekanntes Unbehagen in mir aufsteigen. Ich fingerte nervös an meinen Haaren herum, versuchte mich abzulenken.
Da klopfte der Mann mit der linken Hand zweimal auf die Tischplatte und ein paar Sekunden später gab es wieder ein, ein wenig lauteres, 'Plopp'. Eine kleine Asiatin war direkt neben mir erschienen.
Sie war noch jung, vielleicht Mitte 20, doch ihre Augen waren die einer alten Frau. Sie schaute mich mit ihren weisen, trüben Augen an, die einen Schmerz widerspiegelten, den ich zu dem Zeitpunkt noch nicht verstehen konnte.
Der Mann murmelte ihr etwas ins Ohr, woraufhin sie zügig aus dem Raum ging.
"Ich bin Professor Vinor, Jolila."
Der Mann, Professor Vinor wie er hieß, hatte gesprochen. Leise und mit...Mitgefühl. Ich war verwirrt. Wieso empfand er Mitgefühl für mich? Ich nickte automatisch, wollte ihm das Gefühl geben, ihn verstanden zu haben. Er fuhr fort.
"Meine Partnerin holt dir gerade richtige Kleidung und alles weitere. Wir warten noch kurz, bis sie wiederkommt, dann erkläre ich dir alles."
Und so warteten wir, ich starrte auf den Boden, konzentrierte mich auf einen dunkelblauen Fleck unter einem Schultisch, damit ich nicht Professor Vinor ansehen musste. Ich kam mir selbst total hysterisch vor, aber ich wollte einfach nicht dieses Weiß sehen. Es war so rein, so makellos. Es machte mir so unheimlich Angst.
Da ging die Tür auf, die kleine Asiatin schlüpfte hinein und ging lautlos zu uns herüber. Sie hatte einen kleinen Haufen Kleidung mit und noch ein paar andere Sachen auf ihren Armen und legte diese nun auf dem Tisch ab. Professor Vinor drückte mir einen Teil der Klamotten in die Hand und zeigte mit dem Finger auf eine kleine Kammer am anderen Ende des Raumes und sagte zu mir:
"Zieh dir das an. Danach machen wir weiter."
Also ging ich in den kleinen Raum, der sich als Besenkammer herausstellte und betrachtete erstmal die Klamotten. Es war eine schlichte dunkelblaue Hose und ein leichter Pullover in der gleichen Farbe. Dazu gab es ein paar Stiefel, die zwar einen kleinen Absatz hatten, jedoch zu meiner Verwunderung keinerlei Geräusch auf dem Fliesen-Fußboden machten, und eine schwarze Jacke, die genauso unauffällig war wie der Rest meines neuen Aufzugs.

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Tag der Veröffentlichung: 25.06.2010

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