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Ich lag auf meinem Bett. Schluchzte verzweifelt in mein Kissen, um die Laute zu dämpfen. Ich wollte nicht, dass meine Eltern was merkten. Aber momentan hätten sie bestimmt nicht mal gemerkt, wenn ich mit einem Mikrofon in ihr Ohr geschrieen hätte.
"Du gottverdammtes Arschloch!"
Ich drückte mir das Kissen auf die Ohren. Wollte nicht meine Mutter so etwas sagen hören. Wollte nicht die Antwort meines Vaters mitbekommen. Aber ich hörte immer noch seine Stimme. Bis hier oben. "Du bist hier die, die an all dem hier schuld ist!" Dann ein Schlag. Ein Klatschen. Meine Mutter schrie, dann fing sie an zu weinen. Ich hörte, wie mein Vater aus dem Haus ging, die Tür hinter sich zuknallte. Vielleicht würde er ejtzt in irgendeine Kneipe. Sich zusaufen. Ich ging leise hinunter, zu meiner Mutter.
Sie hatte die Arme um die Knie geschlungen, saß auf dem Boden, schaukelte leicht hin und her. "Mama?"
Sie sah mich verstört, gehetzt, traurig an. Ich setzte mich leise neben sie. Strich ihr über die Schulter. Flüsterte ihr beruhigend etwas ins Ohr. Dass alles wieder gut werden würde. Ich hatte Übung. Ihre Schluchzer wurden trockener, langsamer, seltener. Ich überredete sie, sich auf das Sofa zu setzen. Kochte ihr einen Tee. Versuchte sie, einfach zu beschäftigen, sie nicht allein zu lassen. Als ich aus der Küche kam, sah ich sie schlafend. Ich setzte mich seufzend neben sie. Keine blauen Flecken im Gesicht. Ihre Wange war zwar stark gerötet, aber das würde morgen nicht mehr zu sehen sein, wenigstens nicht doll.
Sie schlief, wälzte sich zwar hin und her, aber wenigstens schlief sie.
Ich trank ihren Tee. Versuchte, die Tränen wegzublinzeln. Nein, nicht schwach werden. Ich nahm mir das Telefon, wählte eine Nummer. "Ja, Hallo?" Eine verschlafene Stimme. "Josi, ich bin's." "Hei. Was ist denn los?" Josi. Meine beste Freundin. Mein Engel. Meine Josi, die ich selbst noch um 23:28 Uhr anrufen konnte.
"Meine Eltern..naja, du weißt schon."
"Oh Gott, wo ist er jetzt? Und wie geht’s deiner Mutter?"
"Er" war mein Vater. Solche Gespräche hatten wir schon oft gehabt. Sie und ich.
"Keine Ahnung, wo der jetzt ist. Läßt sich vollaufen. Das Arschloch. Mum schläft."
Und auf einmal brachen die Tränen aus. Ich stand da mit dem Telefon an der Wange & mir rannen zwei riesige, nie enden wollende Wasserfälle aus den Augen.
Auch Josis Stimme klang gequält, fühlte mit mir mit, war wieder sprachlos.
Ich verabschiedete mich mit müder Stimme von ihr, legte auf.
Es hatte mir geholfen, sie anzurufen, auch wenn sie mir natürlich nicht wirklich helfen konnte. Aber ich konnte ihr alles erzählen. Und sie behielt es für sich.
Ich war nicht müde in der Hinsicht, dass ich ins Bett wollte. Ich war es einfach nur leid, immer die Starke sein zu müssen. Als wäre ich die Mutter & meine Mutter die Tochter.
Ich war es so leid, dass alle von mir erwateten, dass ich immer gutgelaunt war, positiv, stark. Ich wollte endlich einmal vor allen Freunden, nicht nur vor Josi, die eine große Ausnahme bildete, weinen. Wollte weinen, wenn ich wieder meinen Cousin sah und er mich so ignorierte, als wären wir früher nicht ein Herz und eine Seele gewesen. Wollte weinen, wenn ich an meinen Opa dachte, der grade zwei Monate vorher an Nikolaus gestorben war. Wollte weinen, wenn ich mal wieder das Gefühl hatte, dass mir das Leben ins Gesicht spuckt.
Aber ich konnte nicht. Ich konnte einfach nicht meine Fassade aufgeben. Ich war einfach nicht stark genug, so dumm es auch klingen wollte.

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Tag der Veröffentlichung: 11.06.2010

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