Ihre Haare lagen schwer auf ihren Schultern und vereinzelt fiel ein Wassertropfen auf ihren Schoß.
Neben ihr saß ein junger Mann und ihre Hand berührte sanft – für ihn vermutlich nicht einmal spürbar – sein Bein. Sie waren zuvor Essen gewesen und als sie das kleine Lokal verließen, kam ein plötzlicher Platzregen über sie und durchnässte das Paar innerhalb von wenigen Sekunden.
Ihre Augen wanderten immer wieder zu der Uhr am anderen Ende des Bahnsteiges.
Nur noch ein paar Minuten.
Vorsichtig lehnte sie sich an ihn und er ließ sie gewähren, doch zeigte sonst keine Regung.
Sie wünschte sich, er würde einen Arm um sie legen oder eine ähnliche, liebevolle Geste ausführen, doch wusste genau, dass dies nicht eintreten würde.
Der Sekundenzeiger tickte stetig.
Sie unterhielten sich nicht, saßen nur schweigend nebeneinander – ihr Kopf an seiner Schulter –, während der Regen unaufhaltsam die Straßen zu überfluten schien.
Eine Durchsage.
Sie hob den Kopf und beide schauten in die Richtung des ankommenden Zuges.
Es war so weit.
Anspannung breitete sich in ihr aus.
Sie wünschte sich die Zeit zurückzudrehen, zu dem Tag, an dem sie hier angekommen war, in einer Stadt, die sie nicht kannte, bei jenem jungen Mann, den sie das erste Mal von Angesicht zu Angesicht bestaunen durfte.
Doch auch dieser Wunsch war eben nur das – ein Wunsch.
Mit quietschenden Rädern kam der Zug zum Stehen, die Türen öffneten sich und Passagiere verließen das Gefährt.
Das Paar erhob sich – und noch immer tropfte kühles Regenwasser von ihren Haaren herab.
Er nahm ihren Koffer an sich, half ihr, diesen zu ihrem Sitzplatz zu bringen und sicher zu verstauen.
Dann standen sie da.
Die Sekunden tickten.
Und es war Zeit.
Ein kurzer Kuss – für sie bedeutete er die Welt – für ihn war es nur eine Geste des Abschieds.
Ein leises Versprechen, sich eines Tages wieder zu begegnen.
Und die Anspannung ließ ihren Magen schmerzhaft zusammenziehen.
Er drehte sich um – verließ langsamen Schrittes den Zug.
Sie schaute ihm noch eine kurze Weile nach, den Atem anhaltend. Sie wollte ihm nachlaufen oder ihm zurufen, dass er nicht gehen sollte, doch sie wusste, dass es keinen Sinn hätte.
Er lebte in seiner Welt und für sie war es an der Zeit in ihre eigene zurückzukehren.
Sie saß auf ihrem Platz.
Der Zug begann seine Reise Richtung Heimat.
Und leise kullerten Tränen über ihre Wangen und vermischten sich mit dem Regenwasser in ihren Haaren.
Bildmaterialien: Rolf Wenkel / pixelio.de
Tag der Veröffentlichung: 19.02.2013
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