Was genau sind eigentlich Außenseiter? Es sind Menschen die in Mitten einer riesigen Masse von Leuten einsam sein können. Die, die sich auf dem Schulhof abseits stellen, in der Hoffnung, dass es nicht so sehr auffällt wie alleine sie sind. Es sind Menschen, die so gerne dazu gehören würden, die einfach nur „normal“ sein wollen und doch wollen sie sich nicht verändern. Menschen werden meiner Meinung nach zu Außenseitern, weil sie so sind wie sie selber gerne sein wollen und nicht so wie alle anderen sie gerne hätten.(-> Ich weiß, dass dieser Text nicht allgemein zutreffend ist. Es ist nur wie ich es selber erlebt habe und wie ich es beobachte.)
C.K.
Who I am
Mein Name ist Lea. Ich bin vor kurzem 17 Jahre alt geworden. Pünktlich zu meinem Geburtstag begann die wahrscheinlich entscheidenste Wende in meinem Leben. Das hört sich jetzt sehr nach „Ich-habe-einen-super-Jungen-getroffen-und-wir-sind-total -frisch-verliebt“ -Story. Und Ja. Es hat etwas mit einem Jungen zu tun, nur nicht ganz so kitschig. Sein Name ist Ben und ich möchte euch gerne unsere gemeinsame Geschichte erzählen.
Also, erstmal auf Anfang. Alles begann vor zwei Monaten. Auf Grund der Versetzung von meinem Vater war es soweit. Wir mussten mal wieder umziehen. Das dritte Mal in den vergangenen eineinhalb Jahren. Ich hasste es. Immer wenn ich mich an meine neue Umgebung gewöhnt hatte kam mein Vater mit der Nachricht seines Chefs, dass er in eine andere Stadt versetzt würde. Da war es ja wohl ganz einleuchtend, das es Freundschaften nur noch in meiner Erinnerung gab. Und komischerweise freute ich mich doch ein bisschen auf Köln, denn meine Hoffnung verschwand einfach nicht. Es war eine Gelegenheit für mich, das einfach alles anders wird. Eine neue Chance dazuzugehören, normal zu sein, vielleicht doch so etwas wie Freunde zu finden. Denn bisher war ich immer zu 100 Prozent das, was man unter einem Außenseiter verstand. Meinen einzigen regelmäßigen Kontakt zu Gleichaltrigen hatte ich in der Schule und da war ich halt immer „nur anwesend“. Weder war ich es wert, dass man mit mir sprach noch das jemand großartige Gedanken über oder an mich verschwendete. Das hat mir immer weh getan, denn das einzige was ich wollte, war einfach dazugehören. Ich hab mir selber gesagt, dass in Köln alles anders werden würde.
Nachdem wir dann nach einer nervenaufreibenden Umzugsaktion endlich alle unsere Sachen in der neuen Wohnung hatten, blieben mir vor dem Schulanfang noch ein paar wenige Tage um die neue Stadt zu erkunden (→ konnte ja nicht wissen wie lange ich da sein würde).
Und dann war er da: Der erste Schultag an einer neuen Schule. Wie gut ich diese Prozedur kannte. Es war mir beinahe so vertraut wie das all morgendliche Zähne putzen. Ich betrat die Klasse und meldete mich bei dem Lehrer, der mich daraufhin vorstellte mit dem üblichen „Seit-bitte-nett-zu-ihr“-Blabla. Ein paar wenige Schüler beachteten das sogar. Sie schauten mich an und ein prüfender Blick wanderte einmal von Kopf bis Fuß und wieder zurück. Und bum! Als uninteressant abgestempelt! Innerlich sank ich in mich zusammen, denn aus meiner Erfahrung wusste ich, dass diese Blicke das Maximum an Aufmerksamkeit waren.
Die Jungs hielten mehr Aufmerksamkeit meist für unnötig, das ich weder einen Minirock, noch ein tief ausgeschnittenes Top trug. Und die Mädels hatten meist ihre eingefleischten Zickencliquen, wo niemand zwischen kam. Es sei denn sie waren reich oder hatten einen heißen Bruder. Mit beidem konnte ich nicht dienen, was die jedoch nicht wussten. Tja, so schnell wurde man abgestempelt.
Und auch in der Pause war ich alleine, obwohl mindestens 200 Schüler um mich herum waren, doch keiner interessierte sich für mich. Also verkrümelte ich mich in die hinterletzte Ecke des Schulhofes und setzte mich auf eine klapprige Holzbank die unter einer Eiche stand. Da sah ich einen Jungen, nur ein paar Meter zu meiner Linken. Er lag im Gras, genoss die Sonne und hörte Musik. Eine Aura der Unbeschwertheit umgab ihn. So unbeschwert wollte ich auch sein, wollte auch genießen können. Es vergangen bestimmt 10 Minuten in denen ich diesen Jungen nur anstarrte. Wieso genau, das wusste ich nicht. Ich hörte auf jeden Fall erst damit auf, und das ist der peinliche Teil, als er seine Augen aufschlug und mich frontal ansah. Als ob er es die ganze Zeit gespürt hätte. Er ging auf mich zu und ließ sich neben mir auf die Bank sinken.
„Na bin ich hübsch anzusehen?“, fragte er mich mit einem breiten Grinsen im Gesicht.
Auch mir schlich ein Lächeln auf die Lippen, denn der Junge war mir auf Anhieb sympathisch.
„Ja geht wohl. Ich hab mir zumindest nicht gewünscht blind zu werden“, erwiederte ich kess.
„Das ist doch mal was. Wie heißt du?“
Bei der Frage nach meinem Namen atmete ich beinahe erleichtert aus. Endlich zeigte mal jemand etwas Interesse an mir, auch wenn es nur die simple Frage nach meinem Namen war.
„Ich bin Lea. Und du?“
„Ben“, erwiderte er schlicht „Bist du neu hier?“
„Ja. Wir sind vor einer Woche hergezogen.“
„Wo hast du vorher gelebt?“
„In Heidelberg, davor in...“
Wir unterhielten uns noch den Rest der Pause über ganz allgemeine Dinge, bevor wir in unterschiedliche Klassen gingen. Und ich hatte ein fettes glückliches Grinsen im Gesicht. Ich war euphorisch und machte einen Fehler. Ich fragte die Klassenzicke, die ich bis dato noch nicht ausgemacht hatte nach ihrem Namen. Wollte einfach nur ein bisschen Smalltalk führen. Doch ich bekam einen seelischen Tritt. Sie schaute mich nämlich mit hochgezogener Nase und einem Blick der vor Arroganz strotzte an und meinte nur, dass so ein hässliches Mädchen wie ich es nie wieder wagen solle sie anzusprechen. Und das posaunte sie lauthals durch die ganze Klasse.
Am liebsten wäre ich im Erdboden versunken. Ich hatte zwar Aufmerksamkeit gewollt, aber nicht solch eine. Den restlichen Tag ließ ich einfach nur über mich ergehen und war froh als er zu Ende war.
Als ich zu Hause war, stürmte ich sofort in mein Zimmer und ließ mich aufs Bett fallen. Ich wollte heulen, heulen wie ein Schlosshund, aber ich konnte nicht und das machte mich noch trauriger.
Den Rest der Woche brachte ich irgendwie hinter mich und war trotzdessen unglücklich, dass ich am Wochenende alleine war. In der Wohnung versauern wollte ich auch nicht, also schnappte ich mir mein Fahrrad und fuhr in den Park. Dort setzte ich mich auf eine Bank und beobachtete einfach meine Umgebung. Und plötzlich setzte sich jemand neben mir.
Es war Ben. Er schaute mich durchdringend an. „Ich weiß genau was du hier tust!“ Ich konnte nicht anders als verwundert zu schauen. Diese Verwunderung bemerkte er.
„Du fühlst dich alleine und willst an einem Ort sein wo sich viele Menschen aufhalten. Du beobachtest sie und malst dir aus wie es wäre ihr Leben zu haben.“
Das saß. Er hatte ins Schwarze getroffen. Ich stellte mir oft vor wie es wäre jemand anderes zu sein. Mein Blick senkte sich beschämt. Wieso beschämt? Wenn ein Mensch der ich kaum kennt so schnell und so treffend dein Seelen- und Gefühlsleben durchschaut, war das einfach beschämend und auch beängstigend.
„Das ist nicht schlimm Lea, aber du musst akzeptieren, wer du bist.“
In dem Moment schaute ich ihn an. Ich schaute ihm fest in seine tiefblauen Augen.
„Wie? Wer ich bin? Ich weiß wer ich bin! Ein Loser, ein Außenseiter, der keinerlei Aufmerksamkeit wert ist und das nur, weil ich nicht sofort auf den ersten Eindruck Perfektion vermittel.“ In meiner Stimme schwang Verzweiflung. Ben legte beruhigend seine Hand auf meine Schulter.
„So etwas wie Perfektion gibt es nicht. Es scheint bei vielen so und das sind dann die typischen Beliebten. Die halten den Schein einfach aufrecht um weiterhin Respekt von ihren Mitmenschen zu bekommen, doch der ist nicht echt. Respekt ist nur echt, wenn du ihn für das bekommst was du wirklich bist.“ Ein wissender Unterton begleitete Bens Stimme, der mir auffiel, den ich bis heute nicht vergessen habe.
„Du weißt wovon du redest, oder?“
Er schwieg, doch das war für mich Antwort genug
Die nächsten Wochen verbrachten Ben und ich unwahrscheinlich viel Zeit miteinander. Wir gingen in den Park, ins Kino oder saßen einfach nur bei ihm im Zimmer und redeten stundenlang. Seine Gesellschaft tat mir unglaublich gut und trotzdem hatte ich noch immer dieses Gefühl, gerne zu den Beliebten gehören zu wollen. Eines Nachmittags, wir saßen mal wieder in Bens Zimmer auf seiner abgewetzten Ledercouch, und redeten über alles mögliche, als wir plötzlich auf eben dieses Thema kamen.
„Ja, ich wollte immer zu den Beliebten gehören, weil die einfach all das haben was ich will.“
Eine Weile schwieg Ben zu diesem Satz, doch dann fand er die Sprache wieder.
„Lea, du musst immer bedenken, welchen Preis diese Menschen dafür zahlen, auch wenn es ihnen erstmal gar nicht schlimm vorkommt.“
Ich hatte nicht gewusst was er meinte. „Wie meinst du das?“ Dabei schaute ich ihn ehrlich interessiert an.
Er atmete einmal tief durch. „Lea, ich erzähle dir das jetzt, weil du mir wichtig bist und ich dich mag.“
Genau in dem Moment tat mein Herz einen Sprung und ich lächelte ihn sachte an.
„Also, du musst wissen, dass ich damals selber noch zu den Beliebten gehört habe. Ich war all das was die Anderen von dem coolsten Typen der Schule erwarteten. Raucher, Trinker, Aufreißer. Hab ziemlich viel Mist gebaut. Der einzige Grund, wieso ich nicht auf die schiefe Bahn geraten bin, war mein Bruder. Er hat mir in den Arsch getreten, wenn es nötig war, hat mir geholfen wenn es nötig war. Für mich war er das was man einen besten Freund nennt. Vor zwei Jahren ist er ums Leben gekommen, gerade auf dem Weg mich von einer Party abzuholen, weil ich mal wieder stockbesoffen war. Mit seinem Tod habe ich mich um 180 Grad gedreht. Ich bin absolut NICHTS mehr,von dem, was die anderen jemals von mir erwartet haben. Sie haben mich fallen lassen. Das hat mich zum Außenseiter gemacht und weißt du was? .. Ich bin verdammt glücklich damit.“ Danach atmete er einmal tief aus. Mich berührte seine Geschichte, doch ein bisschen verwirrt war ich.
„Glücklich?“
„Ja, weil ich nun der bin, der ich wirklich bin. Wenn sich jetzt jemand für mich interessiert, mir Respekt zollt oder auch sauer auf mich ist, dann zumindest für das was ich bin. Das ist echt! Ich kann dir nur raten: Sei wer du bist!“
Ich dachte über seine Worte nach und langsam änderte sich meine Sichtweise auf die Dinge.
„Ben? Wieso hast du mir das erzählt?“
„Wie gesagt. Ich mag dich und möchte, dass du glücklich bist. Und da ich die Erfahrung gemacht habe, weiß ich das geht nur, wenn du du selbst bist und dich nicht veränderst, nur weil du dazugehören willst.
Und mit eben diesem Gespräch trat eine Wende in mein Leben. Ich wollte für die gemocht werden, die ich bin. Wenn ich dazu gehören würde, dann als die die ich bin. Mir ist jetzt egal ob ich beachtet werde oder nicht, denn ich habe Ben, auf den ich mich immer verlassen kann.
Ich habe gelernt, wenn du du selber bist und das auch akzeptierst, kannst du am glücklichsten werden.
--The End--
Tag der Veröffentlichung: 21.02.2012
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