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Es wurde langsam dunkel, als Talisa schwarz gekleidet und weinend nach draußen ging. Ein Moment der Einsamkeit. Die Menschen um sie herum gingen, ohne sie anzugucken. Talisa konnte sich ihre mitleidigen, aber auch traurigen Blicke vorstellen. Dann sah sie Jeremy, ihren Exfreund. Er schaute sie als Einziger mit einem bösen Blick an. Jetzt war sie alleine. Als Talisa langsam die Stufen runter ging, erinnerte sie sich an die wunderschöne Zeit mit ihrer geliebten Schwester Marisa. Als Zwillinge waren sie unzertrennlich, immer zusammen, egal wo. Die Tränen schossen Talisa noch mehr in die Auge. Die Momente, an die sich Talisa erinnerte, waren unbeschreiblich. Nie wieder würde sie so etwas erleben, Augenblicke in denen Raum und Zeit egal waren und Orte, die sie nie vergessen wird. Marisa war ihr ein und alles, es gab niemanden, der so war wie Marisa. Sie konnte ihr alles, wirklich alles, was Talisa am Herzen lag anvertrauen. Aber auch Marisa hat ihr jede Kleinigkeit von sich erzählt. Nie stand jemand zwischen ihnen, sie waren wie eins, ihr Zusammenhalt und Vertrauen ging ins Unbeschreibliche.
Talisa konnte immer noch nicht fassen, dass sie vor dem Gebäude stand, in dem Marisa in einem großen dunklen Sarg lag. Die Bilder von ihren leblosen Körper sah Talisa vor ihren Augen. Marisas wunderschön leuchtende blaue Augen, die langen hellbraunen Haare und ihr Gesichtsausdruck war so entspannt. Sie war ihr Zwilling, Talisa könnte ebenso in diesem Sarg liegen und niemand würde den geringsten Unterschied zwischen ihnen sehen.
„Wieso liegt sie da und nicht ich?“, fragt sich Talisa.
Dieses Unglück hätte genauso ihr passieren können. Denn sie wäre zu diesem Zeitpunkt eigentlich auch in dem Bus gewesen. Aber da Marisa länger im Bad war, hat Talisa den Bus um eine Minute verpasst. Dann passierte das Szenario, der Bus ist aus einem unbekannten Grund von einer Brücke in die tiefe des Flusses gefallen. Es gab wenig Überlebte und für Marisa konnte man nichts mehr tun. Für sie war ihr Leben mit nur 16 Jahren zu Ende.
Talisa fuhr mit ihren Eltern nach Hause. Sie wechselte kein einziges Wort mit ihnen und ging gleich schlafen. Am folgenden Morgen schloss sie sich in ihrem Zimmer ein. Alleine auf ihrem Bett malte Talisa traurige Sachen auf einen Zettel. Der halbe Tag verging so. Ohne etwas zu Essen ging Talisa einfach schlafen, um ihre schrecklichen Gedanken nicht mehr hören zu müssen.
Plötzlich wachte Talisa genau um Mitternacht auf. Sie hat ein seltsames, vertrautes Gefühl gespürt. Ein Streicheln? Gänsehaut überfiel sie! Talisa zitterte am ganzen Körper. Sie konnte es nicht glauben. Das war nicht möglich!
Marisa?! Marisa!! Sie stand direkt vor Talisa. Lebte Marisa noch? Wen sah Talisa dann im Sarg? Nein. Sie kam Marisa immer näher und näher, dann hob Talisa ihre Hand und versuchte sie auf die Schulter von Marisa zu legen, um sie zu umarmen. Ein kalter Moment, als Talisa durch sie hindurch fiel! Durch Angst und Furcht konnte Talisa sich nicht halten und fiel schmerzhaft zu Boden. Sie kroch in die hinterste Ecke ihres Zimmers, presste die Augen zusammen, öffnete sie und Marisa stand immer noch da.
Marisa öffnete den Mund, um etwas zusagen, in diesem Moment rief Talisa: „Was bist du? Ein Geist? Wieso bist du hier? Wieso sehe ich dich? Das ist doch nicht möglich?“
„Nicht gleich so viele Fragen. Ja, ich bin ein Geist. Verstehst du das denn nicht? Wir sind Zwillinge, wir gehören zusammen. Nur du kannst mich sehen, niemand sonst.“
Sie lächelte, als ob sie nie gestorben wäre. Talisa wusste nicht, was sie jetzt tun, denken oder sagen sollte. Sie wusste nur eins: Marisa stand genau vor ihr, sie war ein Geist und Talisa kann sie sehen. Soll sie sich nun freuen oder Angst haben? Talisa entschiedet sich, Freude kam in ihr auf, ihre Schwester zu sehen. Da sie aussah wie immer, war es nicht schwer. Bloß berühren konnte man Marisa nicht.

Beide unterhielten sich Stunden über Gefühle, Schmerz, Erfahrungen und andere Themen. Für Talisa war es, als ob Marisa nie gestorben wäre.
„Ich bin so glücklich, dass du hier bist. Aber es interessiert mich sehr, wie es auf der anderen Seite war und wie fühlst du dich überhaupt?“, fragt Talisa.
„Ich habe keine andere Seite gesehen. Das letzte an das ich mich erinnern kann, war als ich nach oben aus meinem Körper gezogen wurde. Dann war ich bei dir, habe mich versteckt, weil ich nicht wusste wie du reagierst. Nun siehst du mich doch. Weißt du was? Ich kann erscheinen wo ich will und durch Wände gehen. Ich fühle mich leichter und habe keine Bedürfnisse mehr wie Hunger. Eigentlich bin ich die selbe Marisa.“
Diese Unterhaltung ging die ganze Nacht lang. Talisa hatte Angst, schlafen zu gehen, vielleicht würde Marisa wieder verschwinden.
Beim Frühstück möchte Talisa unbedingt ihren Eltern sagen, dass sie Marisa sehen kann. Aber sie würden es ihr nicht glauben und deshalb lässt sie es lieber. Als Talisa wieder in ihr Zimmer kam, war Marisa nicht mehr da. Talisa möchte sie am liebsten nur angucken und sie wäre für immer glücklich. Denn der Schmerz der vergangenen Tage konnte nur so wieder aufgehoben werden.
Marisa war währenddessen draußen, da sie ihre Eltern nicht angucken wollte, um ihren Schmerz zu sehen. Sie versuchte den Baum, der genau vor ihr stand, anzufassen - erfolgslos. Leider freute sich Marisa nicht so sehr wie ihre Schwester, ein Geist zu sein. Denn wieso sollte sie ewig weiter existieren ohne einen Zweck? Marisa würde lieber, wie sie sich den Tod vorgestellt hat, nicht mehr existieren, einfach nichts zu sein. Aber genau das war sie, sie was nichts. Sie hatte es sich anders vorgestellt. Aus einem seltsamen Grund blieb sie in dieser Welt hängen. Irgendetwas hielt sie. Aber was?
Als Talisa sich umdrehte, stand Marisa aus dem nichts da. Beide lachten, denn der Gesichtsausdruck von Talisa war unbeschreiblich.
Nach einer kurzen Zeit fragt Talisa: „Weißt du, wieso es zu diesem Unfall gekommen ist?“
Mit einem Blick auf den Boden antwortet Marisa: „Ich weiß nur, dass der Busfahrer plötzlich eingeschlafen ist. Wir haben geschrien, aber es war zu spät. Er ist direkt auf das Lenkrad gefallen, sodass er riskant nach rechts bog und wir von der Brücke fielen. Das Wasser floss überall, bis ich keine Luft mehr bekam. Meine Mund füllte sich mit Wasser, dann mein ganzer Körper. Plötzlich wurde mir schwarz vor Augen. Ich fühlte nichts mehr.“
Mit einem entsetzlich traurigen Blick sah Talisa den Geist ihrer Schwester an.
Das Telefon klingelte. Talisa ging ran. Eine bekannte Stimme fragte: „Hallo Talisa. Wollen wir uns morgen treffen?“
„Jeremy? Wieso willst du mich sehen?“, fragt Talisa verblüfft.
„Ich habe dich auf der Beerdigung gesehen und möchte mit dir reden.“
„Na gut, wann und wo?“
„18:00 Uhr im Café“ Jeremy hat aufgelegt.
„Was will den Jeremy plötzlich von dir?“, fragt Marisa.
„Ich weiß es nicht. Aber ich geh hin um es zu erfahren. Immerhin bin ich ihm wenigstens das schuldig. Nach dem, du weißt schon, ich ihn betrogen habe.“
Talisa guckte verzweifelt ins Fenster. Es tat ihr immer noch schrecklich Leid, was sie Jeremy angetan hatte. Aber als sie ihm davon erzählt hatte, war sein Ausdruck zum fürchten. Talisa hatte Angst, dass er sie deswegen verletzt. Jeremy war nämlich nicht der nette Junge von neben an, sondern konnte ausrasten, bis jemand am Boden lag. Trotzdem hatte sich Talisa in ihn verliebt und ging mit ihm 6 Monate. Die Trennung ist noch nicht lange her, erst ein paar Tage vor Marisas Unfall.
„Nimm dich Morgen in acht, ich weiß nicht, was Jeremy vor hat, aber ich habe ihm noch nie vertraut!“, sagte Marisa vorsichtig.
Am nächsten Tag plante Talisa ihr Outfit für den Abend, wobei ihr Marisa half. Sie hatte ein sehr hübsches Kleid rausgesucht. Um halb 6 fuhr sie los zum Café, natürlich begleitete Marisa sie auf Schritt und Tritt. Angekommen erwartete Jeremy sie schon am Tisch. Er lächelte ihr zu. Von nahem sah Talisa, dass sein Lächeln falsch war. Sie kannte sein wahres Lächeln, am Anfang ihrer Beziehung hatte er immer wirklich gelächelt, nach einiger Zeit hatte er sich sehr verändert und wurde vollkommen anders. Er war hasserfüllt auf jeden und alles, sodass Talisa aufhörte ihn zu lieben, da ihr Jeremy verschwunden war.
„Hallo schönes Mädchen“, sagt Jeremy zu Talisa.
„Hallo.“
„Es tut mir so Leid, dass mit deiner Schwester, ich hoffe ich kann dich aufmuntern.“
„Danke, ist das der einzige Grund, wieso du mich sehen wolltest?“, fragt Talisa gelangweilt.
„Ja, wieso fragst du? Ich habe dich lange nicht mehr gesehen, und möchte dich nur anschauen.“
„Okay, aber -“
„Was? Ach, ich lass es. Wenn du mich nicht sehen willst, dann sag es gleich! Ich habe dich vermisst und die kurze Sache mit dir und diesem Abschaum macht mir nichts aus. Ich habe nie aufgehört dich zu lieben. Wollen wir es nochmal versuchen?“ Mit einem seltsamen, aber auch traurigen und hoffnungsvollen Blick sah Jeremy Talisa an. „Ich habe eine Idee. Wir fahren morgen zum Autokino, um der alten Zeiten willen.“, sagte Jeremy.
„In Ordnung, aber ich denke, ich muss jetzt gehen. Wir sehen uns“, antwortet Talisa und verließ das Café.
Ohne darüber nachgedacht zu haben, hatte Talisa „ja“ gesagt. Aber sie wollte Jeremy nicht mehr. Er war heute genauso seltsam wie immer. Talisa konnte einfach nicht fassen, wieso sie ja gesagt hatte. Doch trotzdem wollte sie ihn Morgen treffen.
Plötzlich tauchte Marisa auf, als Talisa zu der Bushaltestelle ging. „Wieso willst du ihn treffen? Ich habe dir doch gesagt, er ist nicht gut für dich. Weißt du nicht mehr? Ich habe versucht dir ständig auszureden, mit ihm zusammen zu sein. Ich spürte es, er war gefährlich und das ist Jeremy immer noch. Weißt du nicht mehr was er alles getan hat? Er wurde fast festgenommen“, sagte Marisa.
Talisa wollte nicht auf sie hören und fuhr mit dem nächsten Bus nach Hause.
Währenddessen folgte Marisa Jeremy bis in sein Zimmer. Da sah sie es! Schrecklich!
Die ganze Wand war voller Fotos. Viele Fotos von Talisa. Manche waren angemalt, andere wurden durchgestrichen und auch zerschnittene gab es. Daneben Fotos von dem Unfall. Der Bus, der Busfahrer, Ausschnitte aus der Zeitung. Sogar von Marisa selbst. Auf ihrem Fotos stand groß „Es tut mir leid“.
„Wieso hat er das da drauf geschrieben?“, fragte sich Marisa. Dann sah sie Fotos von dem Café und daneben vom Autokino. Marisa konnte es nicht glauben. Jetzt wusste sie endlich alles.
Schnell war sie wieder zu Hause bei Talisa.
„Talisa, es ist schrecklich!“, rief Marisa.
„Was ist denn los?“, fragte Talisa verblüfft.
„Jeremy ist ein Psychopath! Er ist für den Unfall verantwortlich. Wahrscheinlich hast du ihn so sehr verletzt, dass er dich umbringen will!“
„Wovon redest du? Wie kommst du auf so etwas? Er ist doch kein Psycho.“
Talisa war durcheinander, sie konnte nicht verstehen, dass Jeremy sie umbringen wollte.
„Doch! Ich habe es gesehen. An seiner Wand waren Fotos von dir. Schreckliche Fotos. Er will dich tot sehen. Aber es ist ihn nicht gelungen. Ich vermute, er hat den Busfahrer vergiftet, damit es einen Unfall gibt. Zum Glück warst du nicht in diesem Bus. Aber ich.“
Marisa hat sich bei ihrem letzten Wort umgedreht. Sie konnte nicht fassen, dass sie wegen ihrer Schwester starb. Da sie ihre Schwester liebte, schob sie nicht die Schuld auf Talisa, sondern will ihr helfen. „Er hat etwas vor, morgen. Du darfst nicht mit ihm zum Autokino. Ruf die Polizei!“
„Nein, das kann nicht sein. Ich glaube dir nicht“, sagte Talisa.
„Wie du willst. Aber wenn du nicht die Polizei rufst, tötet er dich! Ich geh zu ihm während die Polizei da ist. Wenn ich nicht die Wahrheit sage und er nicht festgenommen wird, dann kannst du machen was du willst. Also hast du nichts zu verlieren. Glaube mir einfach!“
Talisa wählt eine Nummer.
„Ich habe etwas zu melden. Durchsuchen sie das Haus von...“
Während Talisa telefonierte, ging Marisa zu Jeremy. Nach einer kurzen Zeit stand die Polizei vor seinem Haus. Sie gingen in sein Zimmer hoch und sahen die Fotos. Noch wusste die Polizei nicht, was es mit den Fotos auf sich hatte. Aber nachdem sie sein Zimmer durchsucht hatten, fanden sie ein Abschiedsbrief. Marisa konnte alles lesen, was drin stand. Alles was sie vermutet hatte, stand schwarz auf weiß. Es war ein Geständnis. Der Brief sollte gefunden werden, nachdem Jeremy sich das Leben genommen hat.
„Er ist krank“, dachte Marisa nur.
Jeremy bewegte sich nicht, er wusste, dass es keinen Ausweg gab und lies sich durch die Polizei festnehmen.
Talisa wurde alles klar, als Marisa ihr das erzählte. Sie wusste, dass Jeremy es nicht verkraftet hat, aber dass er so etwas tun würde, hätte sie nie ahnen können.
Jetzt war Talisa wieder in Sicherheit.
„Talisa, ich werde weggezogen. Ich kann mich nicht mehr auf dieser Welt halten. Das war es! Ich habe dich vor Jeremy gerettet, nun muss ich gehen. Leb' wohl!“
Das waren Marisas letzte Worte. Sie verschwand vor Talisas Augen. Talisa war erleichtert, weil sie jetzt alles wusste. Aber auch traurig, da Marisa sie wieder verlassen hat.

Impressum

Texte: Eleonora Balohin
Bildmaterialien: Eleonora Balohin
Tag der Veröffentlichung: 23.07.2012

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