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Es war Nacht. Dunkel und nebelig. Die Frau trug mich, wahrscheinlich weil sie froh war, heute mich wegzubringen. Sonst sollte ich immer selber laufen und sollte auf mich selber aufpassen. Wie immer. Die Frau ist nicht meine richtige Mutter. Das hatte sie mir gesagt, ich wäre ein Bastard und deswegen hätte mich meine Mutter ausgesetzt. Bastard, ich kenne dieses Wort nicht, ist es gut oder schlecht? Ich glaube es ist schlecht, denn dann lag immer Verachtung in ihrem Blick. Wir gingen durch die menschenleeren Gassen, irgendwohin. Ich vermutete, zur Burg vom Graf von Sayn, das hatte jedenfalls die Frau zum Wächter gesagt. „Wie alt ist denn die Kleine?“, fragte der Wächter die Frau und kitzelte mich an der Nase. „Sie ist sechs“, antwortete die Frau brüsk, deren Name ich immer wieder vergaß, weil der so anders und schwer auszusprechen war. Nun gingen wir weiter. Ich erblickte die Burg, die so voller majestätischer Schönheit in dieser Nacht erstrahlte. Ich schaute es bewundernd an: „Da werde ich leben, oder?“ Die Frau lachte. Es hörte sich falsch und voller Ironie an, „Nun ja, du wirst bei der Haushälterin leben, die mag so ein Balg wie dich“ Ich nickte. Eine neue Familie, das wäre schön. Ich hoffte, sie würde nett zu mir sein, nicht so wie die Frau und deren Kinder, die mir immer die schwersten Aufgaben gegeben hatten und mich jeden Tag ärgerten, mich spüren ließen, dass ich nicht zu ihnen gehörte. Doch warum hatte mich die Frau dann aufgenommen? Die Frau klopfte an eine Tür, neben einem großen Tor und wieder erschien ein Wächter, doch dieser schien nicht so nett zu sein, so wie der andere.
Er machte mir Angst, denn er, so kam es mir vor, blickte mich feindselig an: „Was wollt Ihr?“, „Ich bringe das Kind für die Haushälterin“, antwortete meine Pflegemutter und zückte zwei Golddulden, „Ich hoffe wir verstehen uns, dass das unser kleines Geheimnis bleibt und ich nie vor eurer Tür gestanden habe “ Die Augen des Wächters wurden groß und so habgierig. Plötzlich wurde er ganz nett, „Gut, geht weiter, aber seit leise.“ Ich verstand nicht, warum wollte die Frau es verbergen, mich hierher gebracht zu haben? Wir gingen durch viele Gänge und bald wusste ich nicht mehr wo wir hergekommen waren. Die Frau blieb plötzlich vor einer Tür stehen und klopfte daran. Kurz darauf öffnete eine etwas ältere Frau die Tür und lächelte mich herzlich an. Vorsichtig lächelte ich diese an. Sie sah nett aus, vielleicht war sie ja meine neue Mutter, das hoffte ich jedenfalls. „Hallo ich bin Magdalena, die Haushälterin und du wirst ab sofort bei mir leben, ich bin dann deine Pflegemutter, hat dir das deine Mutter gesagt?“ Bei ihren Worten atmete ich erleichtert auf, dennoch schaute ich sie fest an, wusste sie denn nicht dass das nicht meine richtige Mutter ist und dass ich nur ein Bastard war? Ich musste es ihr sagen, damit sie wusste was ich bin. „Das ist nicht meine Mutter, sie ist nur meine Pflegemutter und sie sagte ich wäre ein Bastard, könntet Ihr mir sagen, was das ist?“, meine Stimme war beherrscht und ruhig doch ich schaute die Hausmutter ängstlich an. Diese warf der Frau einen Seitenblick zu und lächelte mich dann sanft an: „Ist schon gut, Liebes, vergiss dieses Wort. Und ich frage mich, warum Ihr der Kleinen so etwas sagen konntet, Sinaida, sie ist doch erst sechs, so weit ich mich erinnern kann“ Die letzten Worten galten der Frau, deren Namen wohl Sinaida war. Diese zuckte nur mit den Schultern. „Wie heißt du denn? “, wandte sie sich nun wieder zu mir. Es war schön so viel aufmerksam zu bekommen. „Ihr Name ist Johanna, ich habe sie so genannt“, antwortete Sinaida für mich und in ihren Augen lag so etwas Überhebliches, ich glaube sie war stolz darauf, mich so genannt zu haben. Magdalena schaute Sinaida komisch an, so wie ein Insekt, das man zertreten musste, „ Nun kommt, jetzt gehen wir erst einmal, zu unseren Räumen. Ich staunte, wir hatten eigene Räume? Bei Sinaida hatten alle in einem Raum geschlafen. Wieder gingen wir durch viele Gänge und ich war jetzt vollends verwirrt. Am Ende dieses Ganges blieb Magdalena nun stehen und hielt mit der einen Hand den Knauf fest, mit der anderen ergriff sie die meine und lächelte mich ermutigend an. Ich schluckte und folgte nun Magdalena. Diese führte mich in einen Raum, wo es ein Bett gab, ein richtiges Bett! Nicht nur eine Decke um die ich mich dann wickeln konnte, damit es warm wurde. Dazu gab es noch eine Truhe und ein kleines Fenster, dieses war zwar nur ein kleiner Schlitz, doch man konnte die schöne Landschaft betrachten.
Ich staunte. Das alles sollte alles mir gehören? Es war ganz anders, als ich es mir je vorstellen hätte können. Damals wusste ich noch nicht, dass dies nur die Unterkünfte einer Magd waren. Hätte mir jemand gesagt, dass die Räume der Grafen viel prunkvoller waren, hätte ich das nicht geglaubt. „ Ich werde wirklich hier schlafen?“, fragte ich, konnte ich mir einfach nicht vorstellen, hier zu leben, es war zu schön um auch nur daran zu denken, dass ich hier schlafen sollte. Magdalena nickte aber lächelnd: „ Ja, das wirst du. Geh jetzt schlafen, ich muss noch etwas mit Sinaida besprechen, in Ordnung?“ Ich nickte hastig, wollte ich nicht, dass meine neue Mutter gleich sauer auf mich war. Dann kletterte ich in das Bett, das noch ein bisschen zu groß für mich war. Ich schloss meine Augen und versuchte zu schlafen. Ich hörte noch wie die beiden in die Seitentür in den anderen Raum gingen. Aber ich konnte einfach nicht schlafen, denn meine Blase drückte. Schließlich stand ich auf und machte die Tür auf, in dem zuvor Magdalena und Sinaida raus gegangen sind. In dem Raum saß Magdalena an einem Tisch und neben ihr Sinaida. Beide schauten auf. Während Sinaida mich wütend anschaute, lächelte mich Magdalena fragend an: „Ja? Was möchtest du denn meine Kleine?“, „ Ich hätte gerne...ich würde gerne zum Abtritt...wo ist der denn?“, fragte ich bang, dachte ich immer noch, sie würde jeden Moment sauer werden. Doch sie blieb ruhig, „Der Abtritt ist den Gang entlang und dann rechts“, antwortete Magdalena, „ Beeil dich aber“ Ich nickte. Die Frau war so anders als Sinaida. Ich war erleichtert bei einer so netten Frau, wie Magdalena, von nun an zu leben. Ich rannte den Gang entlang und riss die Tür, wo ich dachte, es wäre die Tür vom Abtritt auf. Doch ich hatte mich geirrt. Ich war in einem Zimmer, das noch mehr Luxus hatte als das meine. Auf dem Boden spielte ein Junge, der vielleicht ein paar Jahre älter war als ich und mir jetzt direkt ins Gesicht blickte. Ich erschrak, es war der Sohn des Grafen, Ulrich. Ich hatte ihn schon mal gesehen, als er durch die Stadt geritten ist. Damals hatte ich sein Pferd bewundert. Ich erstarrte, er konnte mich, für diese Störung bestrafen, dass hatte mir schon Sinaida gesagt, „Verzeiht, ich hatte nicht gewusst…ich habe mich verlaufen…ich bin neu und bin das Kind der Hausherrin. Verzeiht, euch gestört zu haben, mein Herr“ Dieser schaute mich aber nur neugierig an, „Komm, spiel mit mir“, sagte er. Zögernd ging ich zu ihm und setzte mich neben Ulrich. Wir spielten dann mit Bauklötzchen und es machte wirklich Spaß. „Du bist echt süß“, sagte Ulrich und lächelte mich an, „ Wie heißt du?“ ich lächelte zögern zurück, „Johanna“. Er nickte mir zu, „Wie meine Schwester“ Dann aber erinnerte ich mich daran, was ich eigentlich machen wollte und stand auf. „Verzeiht, doch ich sollte jetzt gehen“, sagte ich und rannte aus dem Zimmer bevor er noch etwas sagen konnte. Jetzt ging ich wirklich zum Abtritt und fand ihn auch beim ersten Mal, zum Glück. Nachdem ich mich erleichtert habe, ging ich wieder zurück ins Zimmer. „Warum hatte es denn so lange gedauert?“, fragte mich Magdalena als ich durch den Raum ging. Ich wurde rot. „Ich…eh’… habe den Abtritt nicht gefunden“, und rannte aus dem Zimmer. Mühsam schaffte ich es, die Tür zu öffnen, doch richtig schließen konnte ich sie nicht. So hörte ich wie sie über mich sprachen. Ich wollte nicht lauschen, ehrlich, doch die Neugier übermannte mich. Ich hörte wie Sinaida über mich sprach: „ Gebt mir jetzt das Geld für das Mädchen“, ich hörte die Gier in der Stimme und musste mit Entsetzten zuhören wie Magdalena sagte: „ Hier ist dein Geld und verschwinde“, ich konnte das Geld klimpern hören und ging rasch ins Bett. Es tat weh, zu wissen einfach verkauft zu werden. War ich denn so schlecht? Nie wieder, so schwor ich mir, werde ich irgendjemanden mehr vertrauen, sie würden mir dann ja eh nur wehtun.
Dann schloss ich meine Augen und zum Glück, schlief ich gleich ein und versank in meine Träume voller Elfen und Feen.


Unruhig wartete ich darauf, dass Magdalena endlich aus der Tür kam, um mir zu erklären, was nun los sei. Es dauerte ewig, so kam es mir vor, als sie endlich herauskam. Aber statt mir zu sagen, was nun los sei, sagte sie nur: „ Die Herrin erwartet dich“ Ich nickte verstimmt, war es in den letzten zehn Jahren schon immer so gewesen, dass sie nichts gesagt hatte.

Schnell ging ich hinein, wollte ich die Herrin ja nicht warten lassen und knickste dann vor meiner Herrin. Diese schaute mich aber nur an wie ein widerliches Insekt: „Auf besonderen Wunsch meines Sohnes Ulrich, sollst du seine persönliche Magd werden“ Ich staunte, vergaß aber zum Glück nicht noch einmal zu knicksen und wartete darauf, dass die Herrin mich entlässt. Doch sie fuhr fort, „Wie alt bist du?“, „ Ich bin sechzehn, Herrin“, antwortete ich. Herrin Katharina sah mich anzüglich an und ich ahnte schon was sie mir jetzt sagen wollte, „ Nun gut, das müsste das richtige Alter für Ulrich sein, er nimmt ja mit vorlieb Jüngere“, sie schaute mich boshaft an. Bei ihren Worten wurde ich rot, wusste ich natürlich was sie damit meinte, und wenn Ulrich das wollte, musste ich das tun. Aber warum war die Herrin so gemein zu mir, hatte ich ihr doch nichts getan. Oder vielleicht doch, etwas unabsichtliches an das ich mich nicht mehr erinnern konnte? Nein, ich glaube nicht...
„ Geh jetzt“, sprach sie und merkte nicht, dass ihre Magd in Gedanken versunken war, „und ich möchte, dass alles zu Ulrichs Zufriedenheit abläuft, verstanden?“ Ich nickte und knickste wieder einmal und verschwand aus dem Zimmer.
Danach ging ich unverzüglich zu Ulrichs Gemächern. Vor seiner Tür aber blieb ich stehen und atmete tief durch, ich wusste was passieren würde und ich muss mich wohl dem so gut es geht entgegenstellen, doch dies schien so gut wie unmöglich. Dann öffnete ich die Tür, vergaß aber in meiner Aufregung anzuklopfen: „ Mein Herr, habt Ihr einen Wunsch?“, er fuhr zusammen und wirbelte herum, als ich anfing zu sprechen sodass ich zusammenzuckte. Aber er lächelte, erleichtert atmete ich aus: „Ich... eh’... nein ich will nichts...oder doch...verdammt du hast mich völlig aus der Fassung gebracht... Reden wir doch ein bisschen“ Ich lächelte in mich hinein und gleichzeitig machte mein Herz einen Sprung, dann aber beruhigte ich mich schnell wieder. So etwas konnte ich mir einfach nicht erlauben. „ Verzeiht, das wollte ich nicht, ich wollte euch nicht erschrecken“ Er setzte sich aufrecht hin, ich würde fast sagen ein wenig arrogant und strich sich herablassend ein paar Strähnen aus der Stirn, „ Du irrst dich, ich habe mich nicht erschreckt ich war nur…ein wenig...überrascht.“ Ich lächelte ihn vorsichtig an. Wie konnte dieser Mann nur so unwiderstehlich aussehen, wenn er sprach. Aber ich musste mich beherrschen, ich durfte mich nicht auf ihn einlassen, das würde nur Probleme geben und die Konsequenzen würde ich tragen müssen. Er würde mich dann wie alle anderen, nachdem er mich besessen hatte, fallen lassen. Seine stechend hellen grauen Augen, die jeden zu durchschauen schien, blickten mich amüsiert an. Sein trainierter Körper und die gebräunte Haut zeigte, dass er sich auch viel im Freien aufhielt. Sein Lächeln ließ jeden dahin schmelzen. Sein Aussehen war ein Segen für ihn. Jedoch für die Frauen war das eher Unglück. Jeder der in diese unbeschreiblich hellen Augen gesehen hatte, verliebte sich sofort in hin. Doch sein Herz, das war tief verschlossen und würde niemals eine Frau erreichen.
Das wäre zu viel für mich. Nun setzte er sich aufs Bett und deutete auf die Seite neben sich. „Nun komm, setz dich neben mich“ Ich zögerte, „Ich glaube nicht...“, „ Doch“, er schaute mich eindringlich an. Schließlich musste ich mich seinem Willen beugen und ging auf ihn zu. Gerade als ich mich setzten wollte, schob er mich auf seinen Schoß. Ich wollte sofort wieder aufspringen, er hielt mich aber eisern fest. „ Du möchtest wohl nicht, nun gut wir werden sehen“. Was bildet er sich eigentlich ein, ich wäre so wie die anderen! „Ich lasse mich aber nicht mit jedem ein“, was hatte ich da gerade gesagt? Jetzt würde er mich wohl für meine unvorsichtigen Worte in den Kerker werfen lassen. Ich zitterte, ich wollte nicht in den Kerker, dort ist es sehr gefährlich zumal man ist auch noch eine Frau. Er lachte auf. Zum Glück. „ Wie heißt du?“, fragte er und schaute mich mit seinen wunderschönen grauen Augen an, „ Jo- Johanna“, stotterte ich und wurde unmerklich rot unter seinem Blick. Er zog die Stirn kraus: „Ich mag den Namen nicht, er erinnert mich zu sehr an meine Schwester, du weißt ja“. Stimmt. Das wusste ich nur zu gut. Seitdem die Tochter der Herrin- Johanna, vor zwei Jahren gestorben war, machte sie mich dafür verantwortlich. Doch was hatte ich denn getan?

„Ich denke, ich nenne dich Susanne, nein lieber Rachel... Ja genau Rachel ist der perfekte Name für dich“, lächelte er in meine Gedanken hinein, „du heißt ab jetzt Rachel und niemand soll dich je wieder Johanna nennen“ Ich zuckte mit den Schultern, wenn er es so toll fand über mich zu bestimmen, bitte, konnte er machen. Ich hatte sowieso keinen richtigen Namen also was soll’s, heiße ich eben Rachel. Und schließlich gefiel mir der Name und vielleicht bekomme ich endlich ein richtiges Leben durch meinen neuen Namen. „Warum glaubst du, wollte ich dich als Magd haben und nicht irgendeine andere? “ Seine Frage schreckte mich aus meinen Gedanken und ich schaute ihn fragend an. Zwar konnte ich es ahnen, aber ich wollte es aus seinem Mund hören und sprach es nicht aus. „Weißt du, ich habe mich vor einiger Zeit an dich erinnert“, er lachte auf, „ ich glaube da warst du sechs oder sieben Jahre alt und du hattest dich wohl in meinem Zimmer verirrt. Da hast du dann herum gestottert und wurdest rot. Dabei sahst du so bezaubernd aus und ich konnte dein Gesicht einfach nicht vergessen. Ich hatte deinen Namen vergessen, doch ich wusste du warst das Kind von Magdalena. Ich konnte dein Gesicht einfach nicht vergessen. Du bist eine richtige Schönheit, wusstest du das?“ Ich nickte, oh ja das wusste ich nur zu gut, Magdalena hatte große Mühe gehabt, mir die aufdringlichen Kerle vom Leib fernzuhalten, weil ich ja so ein “Leckerbissen“ bin. Deswegen hatte sie mich weitgehend vor dem Grafen und seine Familie beschützt, doch jetzt ist es wohl vorbei mit dem Verstecken. Ich war so in Gedanken versunken, dass ich erst nicht reagieren konnte, als Ulrich mich an sich zog und küsste. Ein wohliges Gefühl durchrieselte mich und ich konnte nicht anders als den Kuss zu erwidern. Doch als seine Hand langsam an meinen Beinen entlang glitt, besann ich mich und sprang auf und wurde rot: „ Ich hole euch ein wenig Wein, Herr! “, und ging hinaus bevor er noch etwas erwidern konnte. Doch dann ging ich noch mal zurück und beugte mich zu Ulrich rüber und flüsterte: „ Euch gehört mein Herz, vergesst das nicht, aber nicht meinen Körper, entscheidet euch, was Ihr besitzen wollt.“, Ich drehte mich nicht noch einmal zu ihm um, damit ich seine Reaktion auf meine Worte sehen konnte und lief nun wirklich in die Küche. Dort waren die Köchin und Magdalena. Während Magdalena die Stirn runzelte, grinste mich die Köchin an, als wisse sie alles. Ich ignorierte einfach das hässliche Grinsen der Köchin und sagte kühl: „Ich brauche einen Krug Wein für Herrn Ulrich“ Das Grinsen der Köchin wurde noch breiter, „ Ja natürlich und viel Spaß noch“ Verwirrt sah ich sie an und fragte mich, was so lustig war und kurze Zeit später sollte ich es herausfinden. Am Brunnen warf ich einen flüchtigen Blick ins Wasser und da sah ich es: Meine Haare waren total zerzaust und meine Wangen gerötet als hätte ich ein Schäferstündchen gehabt. Ich hatte aber keine Hände frei um mich zurechtzumachen. „Soso Ich wollte doch gar keinen Wein“, Ulrich lächelte mich schmunzelnd an, als ich wieder im Raum war. Zögern lächelte ich, „Ich habe nur für euch vorgesorgt“, Er nickte abwesend während er mein Gesicht studierte. „Du siehst noch umwerfender aus wenn du zerzauste Haare hast.“, sagte er in die Stille hinein. Automatisch wurde ich rot und wollte meine Haare glätten doch er hielt mich zurück, „ Nein, lass“, er strich mir sanft über die Wange, „Geh jetzt“. Ich knickste vor ihm und ging hinaus. Endlich konnte ich wieder in den Garten gehen. An demselben Abend, es war schon sehr spät, befahl mir Ulrich Trauben zu holen. „ Und nun“, er schaute mich spitzbübisch an, „ möchte ich, dass du mich fütterst.“ Also setzte ich mich neben ihn aufs Bett und schob ihm eine Traube in den Mund. Seine weichen Lippen schlossen sich langsam um jede einzelne Traube und die ganze Zeit blickte er mich an. Währenddessen betrachtete ich sein Gesicht- seine tiefgründigen, so umwerfenden grauen Augen, die geschwungenen Lippen, seine haselnussbraunen Haare einfach alles. Ich verspürte das tiefe Bedürfnis Ulrich zu küssen und um mich davon abzuhalten kaute ich auf meinen Lippen herum. „Wusstest du, dass du die sinnlichsten Lippen hast, die ich je gesehen habe“, sagte er leise und in seinen Augen lag eine Aufforderung, der ich nicht länger mehr widerstehen konnte: Tu es endlich! Zeig mir wie sehr du mich liebst!
Langsam und zögernd beugte ich mich zu ihm und verschloss meinen Mund mit dem seinen. Ich vergaß die Welt um mich herum, es gab jetzt nur noch Ulrich und mich. Aber ich war noch nicht so weit um mit ihm es zu tun, also löste ich mich von ihm nach einer Weile. Es wunderte mich, dass er nichts sagte aber vielleicht hatte er sich entschieden. „Ich bin müde. Wenn es euch genehm ist...“, fing ich an, doch Ulrich unterbrach mich: „Schlaf doch bei mir..., bitte. Morgen kannst du dann in der Kammer neben mir schlafen“ Ich nickte, zu müde um noch zu protestieren und legte mich neben ihn. Er zog mich an sich, an seine Brust gedrückt und spürte seine Wärme. Es gefiel mir, seinen Duft einzuatmen, denn Ulrich war einer der wenigen, die sich täglich wuschen, er stank nicht. An seiner Schulter fühlte ich mich geborgen und doch dauerte es eine Weile bis ich endlich einschlafen konnte. Was machte ich hier?

Gerade ging Ulrich pfeifend durch die Gänge. Er kam gerade vom Abendmahl mit seiner Familie und freute sich darauf, Rachel endlich wieder zu sehen und in die Arme zu nehmen. Er hatte sie fast den ganzen Tag nicht gesehen, denn er war mit seinem Vater jagen gewesen. Dann hörte er ein Geräusch aus seinen Gemächern- es hörte sich wie ein unterdrücktes Schluchzen an. Leise öffnete er die Tür und sah Rachel, die weinend auf seinem Bett lag. Ulrich ging zu ihr: „Rachel...“.
Mein Kopf ruckte hoch, hatte ich nicht bemerkt wie Ulrich hereinkam, „Oh nein...ich…Verzeiht“, brachte ich gerade noch so heraus und rannte an Ulrich vorbei aus dem Zimmer. Ich hörte noch wie Ulrich mir noch etwas hinterher rief, doch ich hörte nicht mehr zu. Ich musste einfach nur weg, weg von ihm.

Wo ist sie? Ulrich sah sich um, aber er konnte Rachel nicht entdecken. Plötzlich sah er ein Stück Stoff herumwirbeln und folgte dem. Doch es war nur eine andere Magd. „ Weißt du wo Rachel, eh Johanna ist? “ Erst schüttelte sie den Kopf doch dann hielt sie inne: „Sie könnte im Garten sein, Herr. Doch ich bitte euch, verratet sie nicht“ Verwundert schaute Ulrich die Magd an, „ Wer bist du“, diese knickste vor ihm, „Ich bin Hilda, die Halbschwester von Johanna“, „Sie heißt Rachel“, korrigierte Ulrich sie abwesend, „du kannst jetzt gehen“ und ging. Hilda sah ihrem Herrn verwirrt nach. Was wollte er von Johanna oder Rachel, wie auch immer? Stimmte das Gerücht, dass Rachel nun das Bett von Ulrich wärmen würde? Sie zuckte kurz mit den Schultern, sie würde es noch früh genug herausfinden und ging dann wieder ihrer Arbeit nach. Währenddessen war Ulrich schon im Garten geeilt und suchte zwischen den vielen Bäumen seine Magd, doch bislang hatte er sie noch nicht gefunden. Aber kurz darauf kam er in die Mitte des Gartens, dort wo majestätisch der See lag. Mitten auf dem See führte ein Steg der zum Festland reichte. Das war eine Idee von seinem Vater gewesen, so wollte er, seine Gäste beeindrucken. In der Mitte des Steges war eine Schaukel und dort saß Rachel. Der Mond erhellte ihr Gesicht und Ulrich wollte diesen Moment nicht zerstören, denn sie sah so zerbrechlich und verletzlich aus, sodass es ihm das Herz zuschnürte aber er musste jetzt wissen was los ist.

Ich hatte Ulrich nicht bemerkt und zuckte zusammen als er sich nun neben mich setzte. „ Hier darf nur die Familie des Grafen herein und keine Dienerschaft, warum riskierst du es bestraft zu werden?“, fragte er behutsam. Es war wirklich rührend wie er sich Sorgen machte, aber wahrscheinlich deshalb, meiner Schönheit könnte zerstört werden. „Weil ich ein Bastard bin und es verdiene bestraft zu werden.“ meine Stimme hörte sich so traurig und hart an, und so war ich auch, unendlich traurig. Er schüttelte müde den Kopf: „ Nein, ich möchte nicht, dass dir etwas passiert.“ Bei diesen Worten rollte mir eine Träne über die Wange und Ulrich wischte sie zärtlich weg. Durch diese Berührung wachte ich aus meiner Trance auf und schaute ihn wütend an, „Oh nein, du möchtest, dass ich dein Bett wärme, um deine Männlichkeit zu prüfen und wenn es schlimm kommt, dich damit brüsten ein Balg gezeugt zu haben.“ Er blickte mich verletzt an, es schmerzte sehr, ihn so zu sehen, aber vielleicht war das auch gut so. „Warum sagst du so was? “, hauchte er. Ich schwieg. „Sag mir, was ist mit dir?“, fragte er nun. Ich schüttelte den Kopf, er würde es sowieso nicht verstehen, ich verstand es ja selber nicht. „Das würdest du nicht verstehen“, sagte ich nun. „ Dann hilf mir es zu verstehen“, beharrte er weiter. Ich seufzte und nahm meinen Kopf zwischen die Hände: „Ich bin so furchtbar schwach, du weißt, mein Herz gehört dir, es hatte immer dir gehört und wenn ich so weitermache…ich würde mich dir hingeben…und ich kenne dich…nach einer Nacht würdest du mich fallen lassen. Ich könnte es einfach nicht ertragen“ Schweigend hatte Ulrich meinen gestammelten Worten zugehört, doch jetzt nahm er meine Hände und sah mir tief in die Augen: „ Wie könnte ich dich, ein Geschöpf voller Zartheit und Eleganz fallenlassen? Ich begehre dich und werde es immer tun und ich würde dich nie verletzen. Dazu bin ich einfach nicht in der Lage.“ Ich sah ihn groß an, meinte er das wirklich ernst oder sagte er das nur so daher? Doch ich sagte nichts, man konnte nur die Grillen zirpen hören. Auf einmal schob sich Ulrich ins Wasser und blickte mich lächelnd an: „Komm wir gehen schwimmen“, „Ich kann nicht schwimmen“, sagte ich abweisend. Mir war das Wasser noch nie geheuer. „Ich trage dich“, er lächelte mich an und bevor ich überhaupt widersprechen konnte, nahm er mich und schob sich mit mir ins Wasser. Ich hielt den Atem an und schrie kurz auf als ich das Wasser berührte, es war sehr kalt. „Nicht los lassen“, flüsterte ich uns sah Ulrich bang an. Dieser aber lachte nur: „Keine Angst ich lass dich nicht los.“ Trotzdem klammerte ich mich an ihn. So, hier kannst du stehen“, und langsam glitt ich ins Wasser. Ich ließ Ulrich nicht los und schaute das Wasser an, als wolle es mich gleich fressen. „Rachel“, hauchte Ulrich. Er zog mich enger an sich. Ich sah zu ihm hoch, und er küsste mich. Ich konnte einfach nicht widerstehen und es war doch auch so ein schönes Gefühl. Aber als Ulrich seine Hand unter mein Kleid gleiten ließ, sanft die Innenseiten meiner Schenkel berührten, meine Brüste, konnte ich mich endlich wieder zusammenreißen und stieß ihn weg. Es war alles nur Fassade gewesen, er hatte nur immer den gleichen Gedanken gehabt. Jetzt konnte ich die Tränen nicht mehr aufhalten, ich wusste doch, man konnte Niemandem trauen. Ich rannte aus dem Wasser, so schnell wie es eben möglich war, hatte ich dennoch meinen Stolz. Ich rannte an so vielen Bäumen vorbei, doch den Ausgang fand ich nicht. Denn es war einer der größten Gärten, die es überhaupt gab. An einer Kreuzung stolperte ich über einen Zweig und fiel hin. Mein Knöchel tat höllisch weh und ich konnte kaum laufen oder überhaupt aufstehen. So saß ich da, an irgendeiner Kreuzung und war mal wieder ganz allein. Wie immer hatte ich mich geirrt, in dem Menschen, die ich liebe. Plötzlich hörte ich ein Geräusch, ein Knacken und auf einmal stand Ulrich vor mir. Ich wollte aufstehen und weglaufen, ich wollte ihn einfach nicht mehr sehen, aber ich konnte nicht, es tat zu weh. Mit brennenden Augen starrte ich auf meinen Fuß. Ich wollte nicht in Ulrichs Gesicht sehen. Ich werde nie wieder schwach werden. Schweigend hockte er sich neben mich. Dann nahm er behutsam meinen Fuß, „Ich vermute, der Fuß ist verstaucht, komm ich helfe dir“ Ich aber schüttelte seine Hand ab. Ich merkte wie Ulrich langsam ungeduldig wurde. Gut, das hatte er auch verdient. Nun sah er mich finster an: „ Du bist jetzt eingeschnappt, weil ich dich unsittlich berührt habe. Ich verstehe, dass du es nicht ertragen kannst schwach zu sein oder jemanden leidenschaftlich zu lieben, aber ich bin verdammt noch mal dein Herr und ich habe auch nicht die Geduld zu warten bis du endlich Lust dazu hast“, er atmete tief durch und schloss für einen Moment seine Augen. „Entschuldige“, fügte er dann noch hinzu. Ich konnte ihn jedoch nur noch fassungslos anschauen, es tat weh dies zu hören auch wenn er es nicht so meinte, hatte er Recht. „Dann geht, oder nehmt mich, jetzt gleich, vielleicht geht es euch dann besser“, sagte ich herausfordernd und knöpfte schon die ersten Knöpfe von meinem Kleid auf. Angewidert sah er mich an, doch erwiderte nichts und ging. Schon tat es mir Leid was ich gesagt habe und hielt ihn zurück: „Warte…Ich wollte nicht…es tut mir Leid, ich…“ Er sagte nichts, als er mich hoch hob und mich zur Burg trug. Ich schlief dann in seinen Armen ein.
Warum machte sie so etwas? , fragte sich Ulrich die ganze Zeit als er Rachel zur Burg trug. Ich hätte sie da lassen sollen, dann hätte sie sich Gedanken machen können, wie sie sich mir gegenüber benehmen sollte. Aber er konnte nichts anderes als ich ihre Stimme hören, so voller Hilflosigkeit und Verzweiflung. Nun er würde sie anders bestrafen, aber erstmal sollte sie schlafen. Er trug sie in eine Kammer neben der seinem, dann konnte er sie bestrafen ohne großes Aufsehen zu erregen.
Am Morgen weckte mich das Zwitschern der Vögel. Ich ruckte hoch, wenn die Vögel schon angefangen hatten zu singen, dann war es schon ziemlich spät und ich müsste eigentlich schon lange arbeiten. Ich sprang auf und rannte zur Tür. Ich machte mich darauf gefasst, bestraft zu werden, wenn nicht für heute dann für gestern. Doch als ich den Knauf drehte, geschah nichts- die Tür war verschlossen. In dem Moment wurde mir klar, Ulrich war schon dabei mich zu bestrafen. Deshalb hockte ich mich auf den Boden. Wieso geschieht immer nur mir so etwas, warum musste ich mich so ungebührlich verhalten? Jetzt musste ich für meine Fehler büßen. Doch warum brachte er mich nicht in den Kerker? Und wieso konnte er nicht verstehen, dass ich nicht seine Gespielin sein wollte. Lieber würde ich sterben. Tausend Fragen gingen mir durch den Kopf und so bemerkte ich nicht, wie sich die Tür öffnete. Erst als Ulrich vor mir stand sah ich zu ihm auf, dann aber starrte ich aus dem Fenster. „Wie soll ich euch dienen mein Herr, wenn ich in diesem Zimmer bin? “, die Stimme die gerade redete, die meine, hörte sich so tonlos an, war das wirklich meine?
Mein Kopf drehte sich zu ihm, sein Gesicht so verschlossen und seine Augen hatten so einen traurigen Glanz angenommen, nicht mehr so leuchtend, wie früher. „Du musst bestraft werden. Gestern hast du dich unmöglich benommen. So etwas dulde ich nicht, ich bin Ulrich, der Sohn des Grafen von Sayn und du bist meine Magd, nicht mehr und nicht weniger.“ Ich nickte, aber meine Gedanken waren woanders, ich hörte nicht zu, er wollte mich verletzten aber dies ließ ich nicht mit mir machen. „Verzeiht, mein Herr aber erlaube mir die Anmaßung wenn ich sage, es ist doch wahr oder, ich meine was ich gesagt habe oder?“, hörte ich meine Stimme sagen. Er antwortete nicht. „Wieso habt Ihr mich nicht in den Kerker werfen lassen? “, fragte ich nun. „ Ich wollte deine Unschuld nicht zerstören.“ Dann ging Ulrich aus dem Zimmer, bevor er mir jedoch ein Leib Brot und ein Stück Schinken. Als ich mich an Ulrichs Worten erinnerte musste ich mir ein Lachen verkneifen. Nur er möchte meine Unschuld besitzen, er wollte nie etwas anderes. Nie. Doch das könnte ich nicht ertragen, ich konnte es einfach nicht. In mir kam ein flüchtiger Gedanke, der sich jedoch immer mehr festigte. Aber konnte ich so etwas denn tun?
Wenn ja, dann müsste dies bald geschehen, ich konnte nicht warten, bis es zu spät wäre…


Ulrich stand an der Tür und lauschte um irgendein Geräusch aus der Kammer von Rachel zu hören. Doch es kam kein Ton heraus. Plötzlich klopfte es an der Tür. Ulrich zuckte zurück und musste sich erstmal für einen Moment sammeln bevor er sagte: „ Ja?“ Es war Grethe.
„Verzeiht, mein Herr aber eure Mutter schickt mich, ihr sollt so schnell wie möglich in ihre Gemächer kommen“ Ulrich nickte. Es musste schon etwas Wichtiges sein wenn sie so dringend nach mir fragt. Aber große Lust hatte er nicht. Er wollte bei Rachel bleiben. Er wusste, dass die Strafe die er ihr auferlegt hatte noch ziemlich milde war und doch schmerzte es ihn sie dort einzusperren. Seine Mutter erwartete in schon und schaute ihn aufgeregt an:
„ Mein Sohn, du wirst es nicht glauben, aber Elisabeth wird uns in ein paar Wochen besuchen. Ist das nicht wunderbar?“ Ulrich nickte abwesend. Er wollte so schnell wie möglich wieder zu Rachel. „ Sie wäre eine wunderbare Schwiegertochter, findest du nicht? “, „Warum hast du dann nicht Gunter zu dir rufen lassen sondern mich? Aber du hast Recht die beiden wären wirklich ein vortreffliches Paar.“, entnervt schaute Ulrich seine Mutter an.
„ Nein, ich meinte dich. Was ist denn los mit dir?“, überrascht schaute sie vom Brief auf.
„ Nichts. Wenn es dir nichts ausmacht, würde ich jetzt gerne gehen.“ Sprachlos nickte die Herrin, so hatte sie ihren Sohn noch nie erlebt. Als er nun auf den Gängen war, prallte er gegen Grethe, die sich bei im sofort überschwänglich entschuldigte. Weil sie zusammen geprallt waren, rutschte Grethes Ärmel ein wenig runter und Ulrich sah Grethes nackte Schulter und konnte nicht widerstehen. Er zog sie in die Besenkammer und küsste sie wild. Grethe stöhnte auf: „Und ich dachte schon Ihr wolltet schon nichts mehr von mir“ Ulrich hielt einen Moment inne, „ Warum glaubtest du das?“, „Na ja, Ihr habt jetzt Jo- eh Rachel und brauchtet mich nun nicht mehr.“ Ulrich küsste sie auf den Mund: „ Jetzt brauche ich dich aber noch“ Grethe sah ihn überrascht an, „ Wie meint Ihr das?“, „Das heißt…“, sagte er und knöpfte die ersten Knöpfe von Grethes Kleid auf, „dass ich Rachel noch bezwingen werde und dann habe ich auch mal wieder richtiges Vergnügen im Bett.“ Während er redete, wurde ihm klar, was er da redete und mit wem. Er hatte wohl zu viel Wein getrunken als er auf Rachel gewartet hatte. Grethe schaute ihn groß an. Ulrich wurde ganz bleich vor Wut über sich selbst und packte Grethe, „Das, was du gerade gehört hast wird niemand erfahren, hast du mich verstanden? “ Bang nickte Grethe und schaute Ulrich nach als er dann aus der Kammer ging. Grethe musste grinsen, bei den Gedanken, dass es Ulrich nicht geschafft hatte Johanna oder Rachel zu bespringen. Währenddessen war Ulrich wieder in seinen Gemächern und raufte sich die Haare. Warum machte er immer nur so einen Mist?! Schließlich entschied er sich Rachel Essen zu bringen, er musste nur noch schnell etwas besorgen.

Ich wusste nicht mehr wie lange ich hier im Zimmer war, aber es kümmerte mich nicht. Gegen Abend kam Ulrich wieder. Er wollte mir wohl wieder was zu essen geben, denn er hatte wieder ein Laib Brot und ein Stück Schinken dabei. Aber als er das Essen von gestern sah, dass ich nicht angerührt hatte, blieb er mitten im Raum stehen: „Warum isst du nichts? “, seine Stimme hörte sich besorgt an, das rührte mich. Aber warum ist meine Stimme immer noch ohne Wärme, als ich antwortete: „Verzeiht, mein Herr aber ich finde es nicht nötig etwas zu essen, ich verspüre keinen Hunger.“ Während ich dies sagte, stand Ulrich auf uns setzte sich neben mich, „Bitte iss etwas“, er schaute mich bittend an. Er nahm ein kleines Stück Brot, wo viele Sesamkörner drin waren und wollte es mir in den Mund schieben aber ich zog meinen Kopf zur Seite. Ulrich versuchte mehrmals, doch es kam immer auf dasselbe Ergebnis raus. Schließlich gab er es auf und ließ das Stück sinken. Er nahm meine Hände und beugte sich zu mir herüber und küsste mich, „Bitte“, flüsterte er und schaute mich mit seinen hinreißenden Augen an. Ich konnte nicht anders, ich wurde wieder schwach und nickte schließlich. Er atmete auf und schob mir nun ein Stück Brot in den Mund. Ich kaute aber nur weil Ulrich mich beobachtete. Seine Züge entspannten sich auch sofort. Das Brot schmeckte scheußlich und mir wurde auch ein wenig schwindlig und ich hoffte, dass der Schinken besser schmeckte. Das tat er auch und ich schloss vor Genuss die Augen. Ulrich lächelte. Er strich mir über die Wange: „So ist es doch gut. Ich möchte nicht, dass dir etwas passiert, ja?“ Meinte er dass Ernst oder nicht? Liegt ihm wirklich etwas an mir, oder nur an meinem Körper. Vielleicht hatte ich mich doch geirrt. Das tat ich so häufig. Aber lohnt es sich, die Geliebte von Ulrich zu sein? Aber nur als Magd hatte ich auch keine besseren Aussichten. Ich holte tief Luft, es wurde auf einmal so heiß. „iss doch noch etwas“, sagte Ulrich und gab mir noch etwas Brot. Widerwillig nahm ich es und aß es, wollte ich nicht, dass Ulrich mich wieder besorgt ansah. Dann schlang ich meine Arme um seinen Hals, zog ihn zu mir und küsste ihn, unsere Lippen berührten uns unendlich sanft. Vielleicht war ich nur geboren worden um die Geliebte eines Herrn zu werden. Ich hockte mich auf seinen Schoß und zog mein Kleid aus. Darunter hatte ich zwar noch ein Unterkleid an, aber es reichte, um Ulrich klarzumachen was ich wollte und zum anderen wollte ich mir Luft verschaffen, denn es wurde auf einmal immer wärmer. Wahrscheinlich weil ich mich ihm hingab. Ulrich starrte mich sprachlos an. Bei seinem Gesichtsausdruck musste ich lächeln. „Hat dir schon jemand gesagt, dass du das schönste verführerische Lächeln hast das es gibt.“ Er schaute mich zärtlich an, „Dann beweis es mir“, flüsterte ich in sein Ohr. Ich spürte, wie seine Erregung wuchs. Doch bei mir war auch etwas, Druck, soviel Druck. Woher kam der nur? Ulrich drückte mich sanft ins Bett und fing an mich überall zu küssen. Es wurde immer heißer fast unerträglich heiß. Sollte ich etwas sagen? Mein Atem ging schneller und ich bekam kaum noch Luft. Ulrich schaute mich verwirrt an, „ Ist etwas mit dir, deine Stirn fühlt sich so heiß an“ Ich wollte ihm sagen, dass es mir nicht so gut geht aber ich konnte kein Wort sagen und es fing an sich alles zu drehen, ich schwindelte, schnappte nach Luft und dann wurde es so dunkel…


Ulrich starrte fassungslos auf die fast leblose Gestalt von Rachel. Nur das ständige heben und senken ihrer Brust verriet, dass sie lebte. Was war passiert? Was war los mit ihr? Tausend Fragen gingen ihm durch den Kopf doch zu keinem fand er eine Antwort. Ulrich lief durchs Zimmer und raufte sich die Haare und schaute immer wieder zu Rachel und betete, sie würde jetzt aufwachen und ihm sagen, es gehe ihr gut. Doch das passierte nicht. Schließlich rannte er den Gang entlang, bis er endlich Hilda fand. „ Du…“, er versuchte sich krampfhaft an ihren Namen zu erinnern, „Hilda. Deine Schwester, sie ist bewusstlos, hol Magdalena, aber sofort!“ Hilda erblasste bei Ulrichs Worten, denn sie wollte nicht, dass Rachel je etwas geschieht. Obwohl Rachel immer verschlossen und zurückhaltend war, hatte sie ihre Halbschwester gern. Denn wenn Rachel in seltenen Momenten lebhaft und liebenswürdig wurde hatte sie jeder gern. Das und manches andere ging Hilda durch den Kopf als sie wie Ulrich durch die Gänge zu der Kammer von Magdalena entlanglief. Diese nähte gerade ein Kleid für die Herrin, dafür war Magdalena berühmt, umwerfende Kleider zu kreieren. Sie blickte auf als Hilda schwer atmend ins Zimmer kam. „ Was ist los? Warum arbeitest du nicht?“, fragte Magdalena und schaute Hilda streng an. „ Es ist wegen Rachel, sie ist ohnmächtig.“ Hilda konnte nicht weiter sprechen, sie bekam vom vielen Rennen keine Luft mehr und atmete erst mal tief ein, „Ulrich schickt mich, du sollst sofort kommen“ Abrupt legte sie das Nähzeug beiseite und eilte aus dem Zimmer. „ Du bleibst hier und machst das Kleid fertig“, sagte sie noch, als sie sah, dass Hilda ihr folgen wollte. Diese machte den Mund auf um zu protestieren, schloss den Mund dann aber missmutig und nickte. Dann fuhr sie Magdalenas Arbeit fort. Währenddessen war Magdalena schon in Ulrichs Gemächern und blickte auf Rachels leidenden Körper. Magdalena sah, wie ihre Pflegetochter krampfhaft versuchte Luft zu holen aber es ihr nicht gelang. Ihr Hals war geschwollen, als Magdalena ihn vorsichtig betastete und sie schwitzte auch sehr. „Ich brauche Wasser und Tücher“, sagte Magdalena konzentriert. Ulrich nickte und verschwand für kurze Zeit. Das wunderte Magdalena, denn es war undenkbar für einen Grafensohn, etwas für die Hausherrin oder für eine Magd zu holen. Doch sie konnte nicht weiter darüber nachdenken, denn die Kranke kostete ihre ganze Aufmerksamkeit. Schnell holte sie ein paar Kräuter aus ihrem Beutel, den sie sicherheitshalber mitgenommen hatte und verrieb ein paar Kräuter an ihrem Hals und strich ein bisschen Paste an Rachels Lippen, bevor Ulrich kam, sie wollte ja nicht, dass er denken könnte sie wäre eine Hexe. Erleichtert stellte die Hausherrin fest, dass Rachel jetzt besser atmen konnte. Nun kam auch Ulrich mit einer Magd wieder die darauf auch wieder verschwand, als sie die Tücher abgelegt hatte. „ Was ist mit Rachel“, Ulrich schaute Magdalena bang an. Magdalena wurde es warm ums Herz als sie die Angst in Ulrichs Augen sah. Er liebte Rachel wohl wirklich. Nur leider hatte die Liebe keine Zukunft. Rachel würde nur die Geliebte werden und vielleicht ein Kind bekommen. Aber Ulrich würde irgendwann eine adlige Frau heiraten. Das würde Rachel das Herz brechen. Aber so ist das nun mal. „ Sie hat Fieber und ihr Hals ist geschwollen, womöglich hat sie etwas gegessen was ihr nicht bekommt und deswegen bekommt sie keine Luft“, erläuterte Magdalena und tunkte ein Tuch ins Wasser und legte es dann auf Rachels Stirn und eins auf ihren Hals. „Was kann man tun?“, Ulrich strich Rachel sanft über die Stirn. „Ich denke der Hals wird bald abschwellen und wird dann auch wieder Luft bekommen. Aber wie es überhaupt dazu gekommen?“ Ulrich zuckte verzweifelt die Schultern, „ Ich weiß es nicht. Sie hat vorhin etwas gegessen und auf einmal ist sie umgekippt“ Magdalena zog eine Braue hoch: „Was hat sie gegessen?“ Ulrich setzte sich in seinen Sessel und zuckte hilflos mit den Schultern, „ Ich glaube, sie hat ein, ein Sesambrötchen gegessen und ein Stück Schinken.“ Magdalena wurde plötzlich bleich, „ Sesam, sagt ihr?“ verwirrt nickte Ulrich, „ Warum? Ist das Schlimm? „ Magdalena nickte: „Ihr bekommt Sesam nicht. Davon wird sie immer sehr krank. Als Kind wäre sie daran beinahe gestorben.“ Fassungslos starrte er seine Hausherrin an. „Ich hätte sie beinahe umgebracht“, stammelte er. Magdalena hob die Hände hoch, „ Es ist ja noch alles gut gegangen. Sie braucht jetzt nur viel Ruhe.“ Dann ging sie hinaus und ließ einen verstörten Mann allein.


Langsam öffnete ich meine Augen, wo bin ich? Ich richtete mich auf und sah mich um. Das letzte an was ich mich erinnern konnte war, dass ich mit Ulrich dabei warY Mehr wollte ich jetzt nicht darüber nachdenken. Ist es passiert? Jetzt bemerkte ich auch Ulrich der neben mir schlief. Dann habe ich es wohl getan- oder? Nein ich wollte doch nicht. Ich konnte das Schluchzen nicht unterdrücken. Dabei wachte Ulrich auf und schaute mich verschlafen an. „ Oh du bist wach. Aber was ist denn los?“ Ich konnte nicht antworten, ich war noch zu geschockt. Doch dann fiel mir etwas ein und ich hob die Decke hoch und atmete auf. Es war kein Blutfleck zu sehen. Ich hatte wieder so einen Verfolgungswahn. Warum konnte ich nur keinem vertrauen? Mir wurde langsam klar, dass ich in Ulrichs Bett lag und sprang augenblicklich aus dem Bett. Doch die schnelle Bewegung brachte mich zum Schwanken. Sofort war Ulrich an meiner Seite und stützte mich, „ Vorsicht, du musst dich ausruhen. Du hast fast zwei Tage geschlafen.“ Ich wollte ihn abwehren aber bei seinen Worten hielt ich inne, „ Zwei Tage? Was ist denn passiert?“, Du bist sehr krank gewesen. Ich glaube dir bekommt der Sesam nicht, dass auf dem Brot war.“ Ich musste mich hinsetzen, „ Und wie bin ich wieder gesund geworden? “ Als Ulrich antworten wollte klopfte es an der Tür. Schnell stand ich auf und fing an das Bett zu richten. Es war Grethe, eine der verflossenen von Ulrich. Und sofort schmachtete sie Ulrich schon an: „ Mein Herr, eure Mutter schickt mich, Ihr sollt zu ihr kommen.“ Ulrich zögerte und schaute zwischen mir und Grethe hin und her. Ich nickte ihm unauffällig zu und er straffte sein Schultern und ging aus dem Zimmer. Zurück blieb dann ich und Grethe. Ich ignorierte sie und machte mit meiner Arbeit oder besser, ich fing damit an. „ Na war’s schön?“ fragte mich Grethe plötzlich. Sie grinste mich fast genauso an wie die Köchin. „ Ich weiß nicht was du meinst“, entgegnete ich kühl. „ Du weißt ganz genau was ich meine, du hast es doch mit ihm getrieben“, sie schaute mich fies an. Vor Wut lief ich ein wenig rot an: „ Wer sagt das?“ Grethe beobachtete lässig ihre Fingernägel, „ Ach das sagen so ziemlich alle auf der Burg, jeder weiß es.“

Ich wurde noch roter, sagte aber nichts. „ Oder läuft da überhaupt nichts zwischen euch beiden?“, Grethe sah mich hämisch an. Bevor ich jedoch antworten konnte, kam Ulrich rein und schaute Grethe ärgerlich an: „ Was machst du denn noch hier?“ Grethe wurde rot und entschuldigte sich mehrmals, dann verschwand sie. Ich ging zu ihm und umarmte ihn, „ Danke“ Er schaute mich verwirrt an, sagte aber nichts. Er hob mein Kinn hoch, sodass ich ihm in die Augen sah und er küsste mich unendlich sanft. „ Warum seid ihr schon so früh zurückgekommen? “ , „Meine Mutter wollte mir mitteilen, dass wir einen Ball veranstalten werden. Ich löste mich aus seiner Umarmung und eilte zur Tür. „ Was machst du?“ ich blieb an der Tür stehen, „ Ich gehe zu Magdalena, sie braucht mich, bestimmt soll ich ihr helfen.“ Er schaute mich leicht enttäuscht an, „ Aber ich brauche dich jetzt!“ Wie er mich anschaute, da wurde es mir warm ums Herz. Ich ging zu ihm und legte meine Hand auf seine Wange, „Wenn du willst bleibe ich hier, aber ich möchte doch wenigstens bei den Vorbereitungen für den Ball dabei sein“, „ Aber du wirst doch beim Ball dabei sein“, ich lachte auf. „Du weißt, ich bin nur eine Magd und ich kann dort nicht hingehen so wie ich es möchte.“ Er fuhr sich durch die Haare, „Stimmt. Daran habe ich gar nicht gedacht. Nun gut dann mache ich eben noch einen Ball nur für dich und der einzige Gast bin ich“ Ich konnte mir das Lächeln einfach nicht unterdrücken. „ Hey, er nahm meinen Gesicht in seine Hände, „glaubst du mir etwa nicht?“ Ich schüttelte den Kopf, „ Nein. Es macht mir aber Spaß, ich mache das gerne.“ Er schüttelte lachend den Kopf, „ Ich glaube, du möchtest bei mir bleiben, bei mir wird es mehr Spaß machen, vertrau mir, es wird mehr Spaß machen“ Er lächelte mich spitzbübisch an. Ich lächelte zurück, „ Wenn du mich gehen lässt, dann bekommst du… einen Kuss“ Theatralisch hob er seine Hände, „ Das ist wirklich eine Versuchung wert. Aber nein mir wäre es lieber wenn du bleibst“, „und was ist mit zwei? “, ich gab nicht locker. Ulrich lachte auf, „ Ich werde noch tausende von dir bekommen. Zwar nicht jetzt aber bald“ Ich gab es auf. Er setzte sich auf seinen Sessel und sagte: „ Schenk mir Wein ein und dann komm her“ So schenkte ich ihm Wein ein und als ich den Krug wieder abstellte, zog er mich auf seinen Schoß. Er betrachtete mein Gesicht und lächelte mich dann sanft an, „ Du hast ein wunderschönes Gesicht“ Ich lächelte ihn an. Sanft strich ich ihm über die Wange. Plötzlich klopfte es an der Tür. Ulrich rollte entnervt mit den Augen, „ Ja?“ Da die Person wohl nicht selber aufmachen konnte, ging ich zur Tür und öffnete sie Draußen stand Grethe mit einem Ballen Stoff in den Händen. „ Magdalena schickt mich, ich soll eure Maße nehmen und dann eure Abendgarderobe zuschneiden. „ Bekommst du das auch hin?“, fragte er mich. Überrascht nickte ich, „Magdalena hat es mir beigebracht“, „ Gut. Dann machst du es. Und du“, und sah Grethe an, „du kannst dann gehen“ Grethe knickste und ich konnte sehen, dass sie verärgert war. Ich nahm ihr die Stoffballen ab und legte diese aufs Bett. Mit dem Maßband in der Hand schaute ich Ulrich erwartungsvoll an. Dieser sah meinen Blick und seufzte, „ Du möchtest es wohl gleich tun“ Ich nickte und wurde mir dann zugleich die Zweideutigkeit der Worte bewusst und meine Wangen färbten sich rot. Ulrich hatte wohl auch die Zweideutigkeit bemerkt, denn er grinste nun. Ich begann mit meiner Arbeit. Den Rest des Tages verbrachte ich damit, seine Maße zu nehmen und Ulrichs Abendgarderobe zu entwerfen und zu zuschneiden. Spät am Abend wurde ich fertig und war erschöpft. Auch Ulrich war erleichtert, endlich fertig zu sein. Ich stand auf und knickste vor Ulrich, „Bitte um Erlaubnis mich zurückzuziehen“ Statt zu antworten kam er auf mich zu und umarmte mich. Dann nahm er meine Hand und er ging mit mir zum Sessel und setzte mich wieder auf seinen Schoß: „ Machen wir doch dort weiter wo wir vorhin aufgehört haben“, ich hatte keine Lust dazu aber ich war zu erschöpft, um etwas dagegen zu sagen. Es tat gut, sich an seiner Schulter zu lehnen. Zum ersten Mal in meinem Leben hatte ich dieses Gefühl, Geborgenheit, ich hatte es noch nie so derartig gefühlt. Vielleicht könnte ich für einen Moment meine Augen schließen, nur ganz kurz. Langsam fielen mir die Augen zu, nur ganz kurz.
Ulrich bemerkte, dass Rachel eingeschlafen war. Er strich ihr sanft eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Aber auch Ulrich war müde und so schlief er kurze Zeit später ein. Am Morgen wachte ich dann auf. Neben mir lag Ulrich. Er schlief noch. Wie süß er aussah, wenn er schlief. Man konnte schon die Schatten seines Bartes sehen. Sachte strich ich ihn über seine stoppelige Wange. Ich stand auf und glättete die Falten. Dann ging ich hinaus. Ich ging in die Küche um dort ein paar Früchte zu holen, denn der Obstkorb musste aufgefüllt werden. Als ich zurückkam war Ulrich schon aufgewacht. Er saß wieder auf seinem Sessel und grübelte vor sich hin. Ich legte die Früchte in den Korb und ging zu Ulrich. Dieser sah noch etwas verschlafen aus. Ich gab ihm einen Kuss auf die Wange, „Guten Morgen“ Überrascht sah er mich an, lächelte mich aber nur an, „Als du aufgestanden bist, hast du mir gefehlt“ Ich wandte ihm den Rücken zu, wollte ich nicht das er mich sah, dass ich mich über seine Worte amüsierte. Ich nahm die fast fertige Abendgarderobe, „Wohin gehst du?“, fragte er mich. „ Ich bringe eure Abendgarderobe zu Magdalena, damit sie die dann fertig machen kann.“, antwortete ich. Er legte seinen Kopf schief, „ Du kommst doch wieder oder? “ Es dauerte einen Moment, bis ich nickte. Ich schaute zu Boden, er sollte nicht meine Enttäuschung sehen. Nachdem ich die Abendgarderobe zu Magdalena gebracht habe, ging ich wieder zu Ulrich. Dieser lag auf dem Bett- seine Augen waren geschlossen. Ich ging zum Fenster- es war ein wundervoller Morgen. Die Vögel zwitscherten und die Blumen fingen gerade an zu erblühen. Meine Gefühle waren in Aufruhr. Jeden Tag wuchs meine Zuneigung zu Ulrich, doch jeden Tag schmerzte es noch mehr. Ich wollte jeden Tag bei ihm sein und doch würde ich Magdalena so gerne helfen. Ich musste doch auch meine normalen Aufgaben erledigen, als Magd. „Los geh“, sagte Ulrich auf einmal, er hatte seine Augen immer noch geschlossen. Fragend sah ich ihn an, „Wohin?“ Er richtete sich auf und schaute mich direkt an: „Zu Magdalena, ich sehe doch, du möchtest ihr helfen, als lieber hier zu sein. Aber geh nur, ich komme zurecht“ Warm lächelte ich ihn an, „ Danke“, und hauchte ihm einen Kuss auf die Lippen. Dann ging ich hinaus. Magdalena sah mich ein wenig streng an, „ Was machst du denn schon wieder hier? Solltest du jetzt nicht bei dem Herrn Ulrich sein“ , „U- eh der Herr schickt mich, ich soll euch helfen“ Magdalena schmunzelte, „ So, hat er dich mal gehen lassen“ Bei ihren Worten spürte ich die Wärme in meinen Wangen aufsteigen. Ich nickte und sagte: „Kann ich dir denn helfen?“ Sie lächelte immer noch, „ Na dann komm mal mit“ Ich folgte ihr und fing auch sofort an, meine Arbeit zu verrichten. Ich fühle mich wesentlich wohler wenn ich die Arbeit verrichte, die für meinesgleichen gedacht ist. Die nächsten Tage vor dem Ball sah ich Ulrich fast gar nicht, denn ich war zu sehr mit meiner Arbeit beschäftigt. Am letzten Abend vor dem Ball war ich endlich fertig mit meiner Arbeit und ging in meine Kammer. Ich legte mich auf mein Bett doch bevor ich einschlafen konnte, rief mich Ulrich. Ich ging zu ihm, und lächelte matt. Zärtlich schaute er mich an und breitete seine Arme aus. Ich ging auf ihn zu und glitt in seine Arme. „Du wirst morgen die Getränke austeilen“, sagte er leise. Ich nickte und schloss meine Augen. Atmete seinen Duft ein. Es tat so gut in seinen Armen zu liegen, und seinem Herzschlag zu lauschen. So standen wir eine Weile da, bis mir schließlich die Augen zu fielen und ich in meine Träume schwebte.
Als Ulrich bemerkte, dass Rachel eingeschlafen war, legte er sie sanft in ihr Bett, das man als Sack voll Binsen erkennen konnte.


Fasziniert sah ich mir die Kleider der Damen an. Alle hatten wunderschöne Kleider an und ich kam mir so grau und fad vor. Obwohl auch ich ein neues Gewand an hatte, natürlich nicht so elegant, eben einer Dienstmagd würdig. Ich dachte an heute Morgen, ich lag plötzlich in meinem Bett. Ulrich hatte mich wohl in mein Bett gebracht. Sie musste lächeln, als sie an den schlafenden Ulrich denken musste, er sah immer so gut aus, wenn er schlief. Nun ging ich durch den Raum und schenkte den Herren Wein ein. Niemand beachtete mich, doch es machte mir nichts aus. Schließlich entdeckte ich Ulrich. Er stand neben seinem Bruder Gunter und neben Isabelle von Klingen. Gerade lachte diese und legte ihre Hand auf die von Ulrich. Keinen Moment ließ sie ihn aus den Augen. Nicht mal als ich ankam um ihr Wein einzuschenken. Das war normal, die Bediensteten ignorierte man. Als ich dann Ulrichs Becher wieder zurück gab berührten sich unsere Fingerspitzen scheinbar zufällig und es durchzuckte mich. Er lächelte nicht, doch seine Augen lächelten und sahen mich warm an. Gunter sah mich ebenfalls an und betrachtete mich. Es gefiel ihm wohl, was er sah den er leckte sich seine Lippen. Er schaute mich gierig an und seine Augen glitzerten. Gerade als ich gehen konnte, kniff mir Gunter in den Hintern. Ulrich sah dies und runzelte mit der Stirn. Als sein Bruder mir folgen wollte, sagte Ulrich: „ Gunter, bleib doch hier, du möchtest Isabelle bestimmt von deiner erfolgreichen Jagd erzählen.“ Gunter schaute Ulrich finster an, nickte dann aber. Ich atmete erleichtert auf als ich sah, dass Gunter mir nicht folgte. Ich verschwendete auch keinen Gedanken mehr an Gunter und widmete mich meiner Aufgabe. Doch plötzlich packte er mich und schleifte mich in eine Besenkammer. Ich versuchte mich zu wehren aber es war aussichtslos. Er packte meine Arme und verdrehte sie schmerzhaft. Bevor er aber sein, wie er sagte, bestes Stück herausholen konnte, ging die Tür auf. Der erst verärgerte Ausdruck verwandelte sich binnen Sekunden in Entsetzen, als er sah wer vor ihm stand. Es war der Neffe von der Fürstin Helene von Aquin. Gunter hielt mich immer noch schmerzhaft fest, sodass ich mich nicht bewegen konnte, aber dann ließ er mich los. Er starrte den Mann nur an. Ich quetschte mich durch die beiden und verschwand dann aus der Kammer. Kurze Zeit später verließ ein ziemlich wütender Gunter und der Mann die Kammer. Ich ging auf ihn zu und knickste noch einmal vor ihm, „Habt Dank“ Er lächelte, „Wie ist dein Name?“, „Rachel“, ich hob den Krug, der runter gefallen war, als mich Gunter gepackt hatte auf. Zum Glück war der Krug schon leer. Er half mir hoch. „Raphael“, rief Fürstin Helene zu ihrem Neffen. Er lächelte mich noch einmal kurz an, dann verschwand er. Ich schaute ihm so lange wie möglich nach. Dann tauchte vor mir Ulrich und ergriff meine Hand und presste mich dann gegen eine entlegene Wand. Er küsste mich zärtlich und seine Hände wanderten über meinen ganzen Körper. Doch mir wurde es zu viel. Sachte schob ich ihn weg. Doch er achtete nicht auf mich. Ich konnte nicht, alle seine Berührungen erinnerten mich an Gunter. Er hörte nicht auf. Ich konnte die Tränen nicht mehr aufhalten. Er hielt inne als er merkt, dass ich weinte, „ Was ist denn los?“ Bevor ich jedoch antworten konnte läutete es zum Essen. Essen wurde nun gebracht und alle Gäste setzten sich. Widerwillig ging jetzt auch Ulrich, denn es schickte sich nicht zum Essen zu erscheinen und doch wollte er bei Rachel bleiben und erfahren was nun los sei. Seine Mutter hatte es so eingerichtet, dass er neben Isabel saß. Schnell wischte ich mir meine Tränen weg und lief in die Küche. Dort half ich jetzt mit das Essen aufzutragen. Ich wich Ulrichs Blicken aus, während ich wieder den Gästen Wein einschenkte. Aus den Augenwinkeln sah ich, wie er Isabel betrachtete und ich spürte, wie mich die kalte Eifersucht packte. Doch dann schüttelte ich mich innerlich, was sollte das? Ulrich muss eine Gemahlin finden und ich sollte mich langsam beruhigen. Ich sollte ihn mir aus dem Kopf schlagen. Denn es hatte keinen Sinn, es würde nicht klappen. Die ganze Zeit ging mir dies durch den Kopf bis ich es nicht mehr aushielt. Auf dem Gang angekommen rief mich jemand. Es war Ulrich. Er sagte nichts, schaute mich nur an. „Komm heute Abend zu mir. Ich möchte es endlich tun. Ich warte schon so lange“ Ich biss mir auf die Lippen, „ Ich… möchte nicht…noch nicht…versteh doch“ Abrupt ließ er mich los und gekränkt und wütend sah er mich an, „ Du kommst heute zu mir. Ich will nicht mehr warten. Du gehörst mir und ich will dich.“ Ich starrte ihn an, konnte nicht glauben, was er da gesagt hatte, „Nun gut, Ihr habt euch für meinen Körper entschieden“, sagte ich kalt und ging weg. Als ich fort war raufte sich Ulrich noch die Haare und ging wieder zurück, denn er durfte nicht zu lange wegbleiben.
Mir traten Tränen in den Augen, mühsam versucht die Tränen zurück zuhalten lief ich durch die kleine Kammer. Er wollte immer nur meinen Körper, sonst nichts. Es hatte keinen Sinn je etwas anderes zu Erwarten. Es gab keinen Sinn mehr. Der einzige Sinn war er gewesen und dieser hatte sich nicht für sie entschieden.
Während die fünf Gänge kamen, musste er immer wieder an Rachels Worte nachdenken. Er bekam sie einfach nicht aus dem Kopf. Er konnte ihr verletztes Gesicht nicht vergessen und sofort taten ihm seine Worte leid. Direkt nach dem Essen ging er sofort in ihre Kammer doch sie war dort nicht und niemand hatte sie irgendwo anders gesehen. Dann fiel ihm etwas ein. Rasch ging er zum See. Dort stand sie. Zuerst wollte er erleichtert ausatmen doch dann blieb sein Herz stehen. Sie stand gefährlich nah am See und an ihren Füßen war ein großer Stein befestigt.

Lautlose Tränen rannen mir die Wange entlang, es hatte alles keinen Sinn. Lieber sterbe ich als meinen Körper für eine Sache, die es nicht gibt, hinzugeben. Da bemerkte ich leise Schritte und sah Ulrich. Er sah mich ängstlich an. Warum? Er hatte doch noch genug Mägde mit den er sich vergnügen konnte. Es musste jetzt vorbei sein, sonst war es zu spät. Für einen Moment sah ich ihn an, dann sprang ich.
Leb wohl, Geliebter
„NeinA, schrie er und rannte nun zum See in den Rachel gerade gesprungen ist, „tu mir das nicht an“. Doch er war zu weit entfernt um irgendetwas zu verhindern.
Aste und Sträucher behinderten seinen Weg. Er stolperte und fiel hin. Er landete auf einen Stein und verlor für einen Augenblick das Bewusstsein.
Als er erwachte, hatte er das Gefühl, als würde sein Kopf platzen. Für einen Moment fragte er sich, wo er war, dann erinnerte er sich. Obwohl er Schmerzen hatte, sprang er auf und rannte zum See. Es durfte noch nicht zu spät sein, es durfte einfach noch nicht zu spät sein, hoffte er, betete er.
Ohne zu Zögern sprang er ihr hinterher. Im Wasser waren sie nun auf gleiche Höhe. Ihre Augen waren geschlossen. Es schien als schliefe sie, sie sah so seltsam friedlich aus. Nein, sie durfte ohne ihn nicht glücklich sein, wie sollte er ihr dahin folgen? Er packte sie und zog sie mit zum Ufer und schüttelte sie. Doch sie bewegte sich nicht. Er nahm sie hoch, ihr Körper war kalt und leblos. Sein Herz krampfte sich zusammen, es durfte noch nicht vorbei sein. Du musst kämpfen Rachel, kämpf! Er brachte sie in seine Gemächer und legte Rachel auf sein Bett. Dann rannte er zu Magdalena und riss die Tür auf. Magdalena zeigte Hilda gerade einen Trick zum Nähen. Beide schauten auf, als Ulrich die Tür krachend auf machte. Magdalena stand sofort auf, „ Herr, Ihr müsst aus den nassenY.A Er aber schüttelte den Kopf, er hatte noch nicht bemerkt, dass seine Kleidung an ihm klebte und vor Nässe triefte, „Komm mit, ich brauch dich, SOFORTA Magdalena hörte die Panik in seiner Stimme und packte schnell ein paar Sachen, da sie vermutete, etwas wäre mit Rachel. Auf dem Weg versuchte Magdalena immer wieder Ulrich vorsichtig zu fragen, was los sei, doch er hörte nicht zu, sondern stammelte immer nur ein paar Wörter, „Beeil dich sonst ist es nicht zu spät, hoffentlich ist es noch nicht zu spät!“. Als sie endlich in Ulrich Gemächern waren, erschrak Magdalena unwirklich. Sie blickte in das kalkweiße Gesicht von Rachel, die wie Ulrich völlig durchnässt ist. „Mein Herr, ihr solltet euch umziehen“, sagte sie, „ich kümmere mich um Rachel“, fügte sie noch hinzu als sie sah, dass Ulrich ihr widersprechen wollte. Widerwillig ging er durch eine Nebentür in ein anderes Zimmer von ihm und zog sich um. Währenddessen holte Magdalena trockene Sachen für Rachel und zog ihr die nassen Kleider aus und die neuen an. Dann deckte sie Magdalenas Schutzbefohlene mit vielen Decken zu. Zart strich sie ihr über die Stirn, Welches Leid soll dir denn noch durchfahren, bis du dein Glück gefunden hast, fragte Magdalena sich. Beruhigt stellte sie fest, dass Rachel gleichmäßig atmete. Nun war Ulrich auch wieder da. Sofort kam er an die Seite von Rachel und hielt ihre Hand ganz fest. „Wie geht es ihr?“, fragte er nach kurzem Schweigen. „ Soweit gut. Sie hatte Glück, wäre sie noch länger drinnen geblieben dann wäre es wohl zu spät gewesen. Wir können nur hoffen, dass sie keine Lungenentzündung bekommt und noch den Willen hat, weiter zu leben.“ Er raufte mehrmals sich die Haare. Da entdeckte Magdalena die Verletzung an Ulrichs Kopf. Sie erschrak, „Herr, ihr seid verletzt“ Nach einer Zeit ging Magdalena, sie würde gegen Abend noch einmal nach ihr schauen. In den nächsten Tagen veränderte sich Rachels Zustand immer wieder und man wusste nie genau ob sie je wieder gesund werden würde. Ulrich saß jeden Tag neben ihr ließ sie auch nur keinen Moment aus den Augen. Eines Abends nahm Ulrich ihre Hand und küsste diese sanft. „Rachel“, flüsterte er, „Es tut mir so leid. Ich wollte, ich könnte es ungeschehen machen. Ich will dich nicht verlieren! Bitte bleib bei mir, ich könnte es nicht ertragen wenn…“ er konnte nicht mehr sprechen ihm rann eine einzelne Träne an der Wange entlang hinunter. Er konnte die Schluchzer nicht mehr unterdrücken. Er fühlte sich klein, so schwach, ihm war alles egal. Sein Leben, seine Familie. Alles würde er nur für sie aufgeben. Komm zu mir zurück, betete er in brünstig, Geh nicht, ich werde dich nie wieder verletzten!

Langsam entfernte ich mich von dem tiefen Abgrund indem ich mich befand. Ich hörte eine Stimme, sie hörte sich wie die Ulrichs an, doch sie war so fremd, voller Zweifel geplagt. Eine Weile lauschte ich nur seinen Worten, seiner wunderschönen Stimme. Doch dann öffnete ich vorsichtig die Augen und blickte in das bange Gesicht von Ulrich. Mir schnürte es die Kehle zu, seine Angst zu sehen und seine Erleichterung. Er strich mir sanft eine Strähne weg doch ich blickte weg. Ich konnte ihm nicht in die Augen schauen. „Rachel“, sagte er leise, langsam blickte ich in seine wunderschönen blauen Augen, „Ich weiß ich war ein Idiot. Bitte verzeih mir. Ich war so töricht.“ Ist das wahr? Meinte er es denn Ernst? „Rachel, Ich liebe Dich“, flüsterte er mir ins Ohr, „Und ich werde dich nie wieder verletzen!“ Vorsichtig richtete ich mich auf, „Bitte sag mir, dass du deine Worte wahr sind. Bitte sag mir, dass ich dir vertrauen kann. Bitte sag…“ Statt einer Antwort küsste er mich unendlich sanft. Endlich. Er liebt mich. Eine Woge voller Liebe und Glück durchströmte meinen Körper. Jetzt konnte ich ihm zeigen, wie sehr ich ihn liebte…

Langsam knöpfte ich mein Kleid auf, Ulrich wollte widersprechen doch ich hielt ihn zurück, „Jetzt bin ich dran“, und zog es aus. Darunter trug ich nichts, kein Unterhemd, keinen Unterrock. Ulrich sagte nichts. Er sah mich nur an, sein Blick betrachtete staunend meinen Körper, „Wie wunderschön…“ Ich schauderte, als er mich berührte, „du nur bist“ Dann ganz vorsichtig drückte er mich ins Bett. Unsere Lippen verschmolzen miteinander. Ich zog ihm sein Hemd aus und berührte seine Brust mit meinen Lippen. Meine Finger glitten durch sein Brusthaar während er meine Brustwarzen küsste. Ich spürte die Wärme in mir aufsteigen, mein Körper kribbelte vor Verlangen und wilde Leidenschaft packte mich. Doch ich wagte nicht mich zu rühren. Zart streichelte er meinen Körper. Seine Finger glitten über meinen Körper und alles schien zu verbrennen, wo er meine Haut berührte. Meine Gedanken überschlugen sich, doch ich konnte keinen richtig zusammenfassen. Er hielt kurz inne, nur um sich ganz auszuziehen. Seine Hände verharrten für einen Moment über meine Brüste doch dann konnte er sich nicht mehr zurückhalten und umfing sie. Lang und Leidenschaftlich küsste er mich, „Rachel, du darfst mich nie wieder verlassen, bitte versprich mir das“, flüsterte er mir ins Ohr, Ich nickte, in diesem Moment hätte ich alles für ihn getan. „Ja, lass mich nicht mehr los“, ich legte meine Arme um seinen Hals, küsste seinen Hals. Er nahm mein Gesicht zwischen seine Hände und küsste mich so langsam. Es kam ein kurzer Schmerz, wie ein Peitschenhieb und ich zuckte kurz zusammen. Ich hatte ihn mir viel schlimmer vorgestellt. Ich wurde immer mehr ein Teil von ihm. Das Verlangen wurde immer stärker und stärker, ich presste mich an ihn. „Ich gehöre dir“, hauchte ich und krallte mich an seine Schulter. Mein Atem wurde schneller. Es ist unglaublich. Es ist noch viel schöner als ich es mir je in meinen Träumen vorgestellt habe. Er liebkoste meine Brust, seine Lippen streiften meinen Hals bis hinunter zu meinem Bauch. Seine Finger glitten in mein Haar, „ Du hast so wunderschönes Haar“, sprach er. Als sein Höhepunkt kam, kam meine Unsicherheit zurück, was ist wenn… Doch der Gedanke verschwand so schnell wie er gekommen war und das mit nur ein einzigen Kuss. „Ulrich, ich liebe dich so sehr….“, ich schloss meine Augen. Seine Liebe war in mir. Seine Männlichkeit überflutete mich, sie war in mir, erfüllte mich mit Glückseligkeit. Mir kommt es vor, als würde ich schweben, mit ihm in einer Welt, die nur uns gehörte. Eine einzelne Träne spürte ich auf meiner Wange. Als er nun von mir abließ, strich ich ihm eine einzelne Strähne aus dem Gesicht. Er sah glücklich aus, sein ganzes Gesicht strahlte und auf seinen Lippen lag noch immer ein Lächeln. Ich kuschelte mich an seiner Brust und schon versank ich in die süßesten Träume der Nacht.


Sie schlief noch. Zärtlich betrachtete Ulrich ihr Gesicht. Ihre Wangen waren noch von der gestrigen Nacht gerötet. Ihre Brust senkte sich gleichmäßig - auf und ab. Er wagte es nicht sich zu rühren, aus Angst er könnte sie aufwecken. Vorsichtig legte er ihren Kopf an seine Brust. Er würde am liebsten aufschreien so glücklich war er. Sie seufzte, „Ulrich…“ Sanft strich er ihr eine Strähne aus dem Gesicht, die ihr immer wieder ins Gesicht flog. Ihre Haare lagen wirr auf ihrem Kopf. Es glänzte in der Morgensonne. Schließlich entschied er sich doch dazu, aufzustehen, nur um noch eine Decke zu holen, denn jetzt im Winter war es morgens immer noch sehr frisch. Als er wieder ins Bett gehen wollte, bemerkte er, dass Rachel schon wach war.
Ich verstand jetzt, was Ulrich letztens damit meinte, er wäre aufgewacht weil ich aufgestanden bin. Bei mir war es gerade auch so gewesen. Zaghaft lächelte ich ihn an. Was jetzt? Wird er mich jetzt wie alle seine anderen Mägde wie ein abgenutztes Tuch weglegen? Seine Augen leuchteten, er sprang wieder ins Bett und küsste mich zärtlich. Ich schloss meine Augen. Ulrich nahm die Decke, die er geholt hatte und legte sie auf uns beide. Dann kuschelte ich mich an ihn. Er küsste meinen Hals. Sachte schob ich ihn weg, ich wollte ihm nicht das Gefühl geben, dass ich nur da bin um ihn Zufrieden zu stellen. Nun begnügte er sich damit, mich zu küssen. Doch es war nicht einfach es nur dabei zu belassen. „Du bist wohl nicht zufrieden zu stellen. Bin ich denn nicht hübsch?“, flüsterte ich. Er lachte, „ Bei dir nie. Man muss jeden Moment mit dir auskosten. Bei dir weiß man nie ob du vielleicht jeden Moment verschwinden könntest.“ Unmerklich wurde ich rot. Nun konnte ich es nicht mehr im Bett aushalten, raffte mich auf und stand auf, um mir mein Kleid anzuziehen. Als dies Ulrich bemerkte, sprang er auf und hinderte mich daran, mein Kleid wieder anzuziehen, „Lass mich doch noch ein bisschen deinen wunderschönen Körper betrachten. Ich winkte ab, „So schön ist er aber nicht.“ Er lachte. „ Lügnerin. Du bist die wunderschönste Frau, die es auf dieser Welt gibt.“ Er schlang seine Arme um meinen Körper. Ich schloss meine Augen. Sanft strichen seine Finger über meinen Bauch. Für einen Moment runzelte er die Stirn, als mache er sich über etwas Sorgen, doch im nächsten Augenblick glättete sich seine Stirn und ein glückliches Lächeln erschien auf seinen Lippen. So verharrten wir in einem Moment voller Zufriedenheit, bis es an der Tür klopfte. Entnervt rollte er die Augen, „Nein!“ Ich nahm schnell die Decke vom Bett und umschlang diese um meinen Körper. Ich wollte in der Hintertür verschwinden doch Ulrich hielt mich fest, „Wer ist da?“, „Ich bin es Isabelle“, ertönte es von der anderen Seite der Türe. Bevor Ulrich oder ich überhaupt reagieren konnte ging die Tür auf und Isabelle stand vor uns und blickte uns überrascht an. Dann wurde sie rot und war bemüht nicht auf Ulrichs Unterleib zu schauen, „Oh… eh… ich geh dann mal…“ Mit einem Klaps auf den Hintern schickte er mich weg. Schnell ging ich durch die Tür. Ich schnappte mir ein Kleid, mein letztes, und zog es an. Es wurde mir langsam klein, ich musste mir wieder ein Neues nähen. Für einen Moment erlag ich der Versuchung nahe, das Gespräch mit anzuhören. Doch ich hielt mich zurück, zu viele schlechte Erfahrungen hatte ich dabei schon gemacht und ging zu Magdalena, diese gab mir Stoff zum Nähen eines neuen Kleides. Sie schaute mich ein wenig komisch an, sah man mir es an, dass ich durcheinander war? Bin ich so leicht zu durchschauen? Ich setze mich auf mein Strohbett und fing an. Nach einer Weile hörte ich das dumpfe Schließen einer Tür. Dann kam Ulrich herein. Er hatte sich jetzt eine Hose angezogen. Ich lächelte, wollte nichts sagen. Verschmitzt sah er mich an, „Na?“ Ich legte das Kleid beiseite und strich ihm sanft über die Wange. „Ich gehe jetzt zu Magdalena, du musst glaube ich noch etwas klären“, dann ging ich zu Magdalena. Diese wartete schon auf mich und drückte mir den Korb voller dreckiger Wäsche in die Hand, „Wasch jetzt die Wäsche, sie wird ja nicht von allein sauber“ Ich nickte, schnitt aber hinter ihrem Rücken eine Grimasse. Schließlich machte ich mich dann an die Arbeit. Aber immer wieder legte ich die Wäsche fort, ich musste immer an gestern denken. Wie er meine Haut berührt hatte. Als ich fast fertig war kam plötzlich Ulrich. Er setzte sich neben mich, „Na? Hast du mich vermisst?“, ich lachte, „Du kannst doch nicht die ganze Zeit hinterher mir her laufen. Du musst dich doch um deine Verpflichtungen kümmern.“ Ulrich tat so als hätte er dies nicht gehört, und blickte mich scheinbar entrüstet an, doch seine Augen lachten mich an, „Ich habe dich eben vermisst, ist das denn so schlimm wenn man seine Liebste vermisst?“ Unmerklich wurde ich rot und stand auf. Er sah mich empört an, „Läufst du jetzt immer weg wenn ich zu dir komme?“ Ich schüttelte lachend den Kopf, „Nein, du Dummerchen, ich muss nur meine Aufgaben erledigen“, „Ich bin deine Aufgabe“ Dazu erwiderte ich nichts und er verschwand aus dem Raum. Vielleicht war es auch gut so, ich musste erst mal richtig begreifen, was ich da getan hatte und was er gerade gesagt hatte. Ich legte den Korb mit der sauberen Wäsche auf den Tisch, als mir Magdalena wieder einen Korb in die Hand drückte, der war nun aber leer. Dann drückte sie mir noch ein paar Golddulden in die Hand, „Geh jetzt auf den Marktplatz und besorge alles Nötige“ Ich atmete tief durch, nickte aber. Ulrich wird nicht gerade erfreut sein, wenn er erfährt dass ich wieder weg musste. Es gruselte mich, wenn ich mich jetzt nicht beeile, dann komme ich nicht mehr vor Sonnenuntergang wieder zur Burg. Es war einfach, auf dem Marktplatz Wurst zu finden, aber diese Früchte in eingelegtem Honig fand ich zuerst nicht. Dann aber fand ich endlich den Stand und bezahlte. Ich wollte gerade aufbrechen als jemand meinen Namen rief. Ich drehte mich um und sah Raphael vor mir. Er lächelte mich an. Ich starrte ihn an, beeilte mich dann aber zu knicksen. „Hallo Rachel“, „Mein Herr“, er nahm meinen Arm und zog mich zur Wiese. „Möchtest du vielleicht mit mir kommen?“ Verblüfft und zugleich verwirrt, sah ich ihn an, „Was meint Ihr damit, Herr?“ Wieder lächelte er, langsam gefiel es mir was ich sah, er hatte angenehme Züge. „Ich meine, du sollst mit mir in meine Heimat kommen“ Dies brachte mich völlig aus der Fassung. Er hatte mich doch nur einmal gesehen und jetzt wollte er schon dass ich ihn begleitete! Als ich meine Fassung wieder gewonnen hatte schüttelte ich den Kopf, „Verzeiht, mein Herr aber das geht nicht. Ich bin Zufrieden mit meinem Leben, so wie es gerade ist.“ Raphael sah enttäuscht aus und nickte dann, „Falls du es dir noch anders überlegst, dann geh zu meiner Haushältern, sie heißt Cecilia. Du musst nach ihr fragen“ Ich nickte und wollte schon gehen als er mich noch am Arm festhielt, „Warte, möchtest du eh, vielleicht eine Bratwurst?“ Ich zögerte, „Ich weiß nicht“, ich blickte in Raphaels erwartungsfrohe Gesicht und entschied mich es zu wagen. Er deutete mein Schweigen als Zustimmung. Er kaufte zwei Bratwürste und zu spät kam mir der Gedanke, dass er dann eine gewisse Bezahlung für die Bratwurst verlangen könnte. Was war ich nur für eine Närrin. Als ich nun langsam die Bratwurst aß, wartete ich darauf, dass er mir nach den belanglosen Worten sagte, ich soll mit ihm hinter ein Gebüsch verschwinden. Doch derartiges passierte nicht und mit wachsender Verwunderung hörte ich seinen Worten zu, nickte und gab auch manchmal Antworten wenn er welche erwartete. Als Raphael kurz Atem holte, nahm ich meinen Mut zusammen und fragte ihn: „Verzeiht wenn ich euch unterbreche doch erlaubt mir die Frage, warum redet Ihr mit mir, ich bin nur eine Leibmagd und es nicht würdig mit euch zu reden? Warum tut ihr das?“ Er sah mich mit einem Blick an, denn ich nicht ganz deuten konnte dann aber lächelte er spitzbübisch, „Vielleicht mag ich dich ja, und…“, weiter kam er nicht, denn jemand rief seinen Namen und ließ den Satz unvollendet. Es war Fürstin Helene die auf uns zukam. Als sich Raphael zu ihr um drehte, verschwand ich hinter einen der Bäume. Es war keine gute Idee gewesen mit ihm zu reden, ich sollte doch schon längst wieder auf der Burg sein.

Meine Schritte wurden schneller, da ich so schnell wie möglich wieder auf der Burg sein wollte und außerdem graute es mir, ganz allein in dem Wald herumzulaufen. Ich zog meine Arme fester an mich, es wurde nämlich sehr kalt und ich fröstelte. Ich musste vorsichtig sein, denn es war schon zu dunkel und ich musste meine Augen anstrengen um überhaupt etwas zu sehen. Meine Augen schauten sich unruhig um, was ist wenn jetzt jemand käme? Eine Frau, wie ich und allein, wer würde sich diesen Leckerbissen schon entgehen?! Doch dann schnalzte ich mit der Zunge und dachte kopfschüttelnd an meine Worte, es ist ja nicht so, dass hinter dem nächsten Baum ein Mann lauerte. Plötzlich knackte es irgendwo. Ich zuckte zusammen- oder vielleicht doch? Langsam beruhigte ich mich wieder, es sind wahrscheinlich nur meine Nerven, ich bin einfach zu ängstlich. Aber wie kam ich auch dazu einfach hier allein in den Wald zu gehen, da mache ich mich ja zur Zielscheibe! Langsam wurde ich echt wütend auf mich, wie konnte ich nur so naiv sein? Plötzlich hörte ich Schritte, da war jemand und ich bezweifelte, dass es die einer Frau waren. Schließlich war ich nur so dumm und lief allein mitten in der Nacht im Wald herum. Ich zuckte zusammen und blieb regungslos stehen. Auf den Gedanken mich im Gebüsch zu verstecken kam ich erst gar nicht. Die Person die nun vor mir auftauchte, blieb wenige Schritte vor mir stehen und schwieg. Es war Andreas, Sohn von Sinaida. Er hatte sich verändert, aus der recht schlanken Person ist ein übergewichtiger Mann geworden, der einen beachtlichen Bauch hatte. Und doch hatte er noch angenehme Züge, mit seinen flachsblonden Haaren wirkte er beinahe unschuldig. Er sah mich an und seine Augen weiteten sich vor Überraschung, „Ich glaub es nicht, bist du’s Johanna-Rachel?“ Zögernd nickte ich, ich glaube so weit ich mich erinnern konnte, war er immer nett zu mir gewesen, hatte mich nicht immer geärgert wie die anderen, die ihre Verachtung mir gegenüber, mich jeden Tag spüren ließen. Er lachte, „Wie geht es dir? Wir haben lange nichts mehr von dir gehört. Mutter sagte, du wärst abgehauen“ Ich schluckte, er schien wirklich nett zu sein, „Ich lebe auf der Burg und arbeite auch dort“ Andreas musste nicht wissen, dass ich die Leibmagd und Geliebte von Ulrich bin. Ich glaube, Andreas war in mich verliebt gewesen, als wir Kinder waren. Er kannte die Liebe immerhin schon, er war immerhin acht Jahre älter als ich. Mir wurde der Begriff Liebe erst sehr viel später klar, nachdem ich mit Ulrich in seinem Spielzimmer gespielt hatte und ihn sogar beim Baden beobachtet hatte. Ich errötete leicht, als ich daran dachte, wie ich draußen gespielt hatte, ich war da schon 8 Jahre bei Magdalena gewesen, hatte meine Aufgaben schon erledigt und war nun im Garten. Ich wusste natürlich, dass ich dort nicht spielen durfte, aber ich fand den Garten einfach zu schön und konnte mich nicht zügeln. Auf einmal hatte ich dann ein Geräusch gehört, hatte ich mich Gebüsch versteckt und hatte Ulrich gesehen, wie er gerade ins Wasser gesprungen war. Sein muskulöser Oberkörper glänzte als er wieder auftauchte. Das war so der Moment, wo ich mich in ihn verliebt hatte.
Andreas holte mich aus meinen Gedanken, als er sagte: „Ich…eh’…du bist noch schöner geworden als ich dich in Erinnerung hatte“ Als ihm klar wurde was er gesagt hatte, röteten sich seine Wangen. Ich lachte auf, aber hoffte er würde nicht merken, wie sehr mich seine Worte erschreckt hatten. Andreas hatte mich immer so angesehen. Damals dachte ich, es wäre nur eine brüderliche Zuneigung, doch heute bin ich mir da nicht mehr so sicher. Jetzt war ich mir sicher. Ich versuchte mich zu beruhigen, doch der Schreck ließ nicht nach. Immerhin bin ich allein in einem Wald mit ihm und wenn er merkt, dass ich nichts für ihn empfinde so, wie er für mich, könnte er auf die Idee kommen sich das Recht meines Körpers zu nehmen. „Da war ich doch gerade mal sechs Jahre alt!“ Er zuckte wortlos mit den Schultern und sah auf den Boden. „Ich sollte weiter gehen, sonst bekomme ich noch Ärger“ Ich wollte schon an ihm vorbei gehen, als er mich am Arm festhielt, scheinbar fragend sah ich ihn an und betete, er würde das Zittern meines Körpers nicht bemerken. „Also, du bist echt…“ , er schluckte, „wunderschön und deswegen…“, er redete nicht weiter und bevor ich überhaupt reagieren konnte, küsste er mich. Ich stieß ihn von mir weg, „Was machst du da?“ Er wurde noch roter als er schon war und glich jetzt einer Tomate. „Ich liebe dich“, sagte er leidenschaftlich und wollte mich wieder an sich ziehen, doch ich ging einen Schritt zurück. Das hatte ich befürchtet, was sollte ich jetzt sagen? Ich atmete tief durch, „Es ist wirklich sehr schmeichelhaft, dass du mich liebst...wirklich…aber ich liebe dich nicht. Du warst eher wie ein Bruder für mich“ Die Leidenschaft in seinen Augen verschwand und er sah mich beinahe böse an. Aber es lag auch Verletzlichkeit drin. „Meine Mutter hatte Recht, du bist eine Hure. Macht es wenigstens Spaß, die Matratze der hohen Herren zu spielen?“ Er wusste es! Ich hatte nicht geahnt, dass es sich so schnell herumsprach, aber es hatte ja schon das Gerücht gegeben. „Das geht dich gar nichts an. Deine falsche Mutter hatte mich verkauft. Du hast gar nicht das Recht dich über mich aufzuregen.“ Allmählich wurde auch ich wütend. Ich vergaß für einen Moment meine Angst. Was fällt ihm nur ein? „Und jetzt, lass mich los“ , doch das tat er nicht, sondern presste mich gegen einen Baum. „Jetzt kannst du mal deine Beine für mich spreizen“ Ich schüttelte den Kopf und wand mich, doch es war aussichtslos. Was war nur aus dem lieben Andreas geworden, der niemanden etwas zu leide tun konnte? Er zerriss mein Kleid und berührte mich mit seinen fleischigen Fingern einfach überall. „Nein, ich will nicht, lass mich sofort los“, schrie ich, doch er achtete nicht darauf. Ich wusste es, er war genauso wie seine Geschwister. Wie konnte ich mich nur einer Illusion hingeben, er wäre es nicht. „Ich glaube, das Mädchen hat gesagt, es möchte nicht von dir berührt werden. Lass sie jetzt sofort los“, ertönte eine Stimme aus dem Dunkeln des Weges. Sie kam mir so bekannt vor und ich ahnte schon, wer dort stand. Wütend drehte sich Andreas um und sagte zu der Stimme, „Wenn du willst kannst du sie auch haben, aber lass mich jetzt in Ruhe, du kannst sie dann später haben oder verschwinde einfach, klar? Wer bist du überhaupt, der mir irgendetwas befiehlt? Geh weg, oder ich mache dir Beine!“, „Ich bin“, sagte die Stimme und trat aus dem Dunkeln in den Schein der Fackel. Wie ich es vermutet hatte, war es Raphael. „Ich bin Raphael von Leinigen und jetzt lass das Mädchen los, denn meines Wissens, ist sie die Magd des Grafen Ulrich und jeder weiß, Niemand darf sie anrühren.“ Das immer noch gerötete Gesicht von Andreas wurde bleich und hätte auch einem Toten gehören können. „Das…das wusste ich nicht!“ Abrupt ließ er mich los uns verschwand dann in die Dunkelheit. Zurück blieb ich mit Raphael, der mich nun anlächelte. „Es scheint, du bist ein begehrtes Opfer für Männer, bei denen der Hafer sticht, du solltest nicht einfach allein durch den Wald gehen.“ Zaghaft lächelte ich zurück, „Ja, es sieht so aus. Aber ich dachte, es würde schon gehen. Wie man sich irren kann“ Ich hatte überhaupt nicht nachgedacht! Sichtlich errötend versuchte ich meine Blöße zu verstecken und verschränkte meine Arme vor meiner Brust. Doch er sah gar nicht hin, wie ich erleichtert feststellte. Plötzlich zog er sein Wams aus und reichte ihn mir. Ich sah ihn dankbar an und zog mir diesen über die Schulter. Er begleitete mich noch zur Burg, als wäre es selbstverständlich, eine Magd zu begleiten. Ich hoffte, er würde mich nicht fragen, warum ich einfach abgehauen war und zu meinem Glück fragte er dies auch nicht. Den ganzen Weg lang schwiegen wir. Ich traute mich nicht etwas zu sagen und ich wusste auch nicht, was ich hätte sagen sollen. Es war komisch neben einem hohen Herrn zu gehen. Auf der Mauer von der Burg erkannte ich eine Silhouette von einem Mann. Ich vermutete, es war Ulrich.
Ich wollte schnell zu Ulrich gehen, und ihm alles erklären, doch ich vergaß nicht, mich angemessen zu verhalten und drehte mich zu Raphael um und knickste, „Ich möchte mich bei euch vielmals bedanken, Herr. Wenn ich bemerken darf, es erstaunt mich immer noch, warum Ihr mir helft. Ich weiß nicht, wie ich euch danken soll“ Er lächelte leicht und strich mir über die Wange, „Es wird sich bestimmt etwas finden“ Ich beschloss später über seine Worte nachzudenken. Ich winkte ihm noch einmal zu, dann verschwand ich hinter der Mauer. Raphael blickte der zarten Gestalt nach, bis er sie nicht mehr sehen konnte. Dann drehte er sich seufzend um, und machte sich auf den Weg zu der Herberge in dem er zurzeit quartierte.
Mit zügigen Schritten ging ich durch das Tor, an dem mich Michael freundlich grüßte. „Hallo Rachel. Du bist aber noch spät unterwegs. Der junge Graf hatte sich nach dir erkundigt“ ich schluckte, das würde bestimmt Ärger geben. „War er wütend? Weißt du wo er ist?“ Er nickte kurz und mir sank das Herz in die Magengrube, „Es schien so. Ich glaube er ist in seine Gemächer gegangen nachdem er eine Zeitlang auf der Wehrmauer gestanden hatte.“ Ich versuchte zu lächeln, „ Na dann, ich muss jetzt den Korb wegbringen“, und wollte schon gehen als ich den hungrigen Blick von Michael sah, mit dem er den Korb streifte. Schnell holte ich einen Apfel heraus, warf ihn ihm zu und ging bevor ich noch Zeit hatte meine Entscheidung zu bereuen. So sah ich nicht den Blick, mit dem mich Michael diesmal streifte. Es lag darin Dankbarkeit und Väterliche Zuneigung. Für ihn war Rachel wie eine zweite Tochter. Er kannte sie schon ein Leben lang, hatte alle Phasen von ihr miterlebt. Und nicht zum ersten Mal fragte er sich, warum niemand diesen kleinen Engel haben wollte. Herzhaft biss er in den Apfel und schloss genießerisch die Augen. Ja, sie war wirklich ein Engel, der ihm in den richtigen Zeitpunkt geschickt wurde. Er hätte nicht gewusst was er gemacht hätte, denn er durfte den Posten nicht verlassen und sein Magen hatte schon heftig geknurrt, seitdem sein Weib streikt und ihm kein Essen mehr machen wollte und er mit leerem Magen seiner Arbeit antreten musste.

Fast denselben Gedanken hatte ich auch gehabt, ohne auch nur zu ahnen, dass Michael dasselbe gedacht hatte wie ich, als ich den Korb in die Küche brachte. Warum wollten mich meine Eltern nicht haben?
Nun war ich vor der Tür von Ulrich und wollte schon anklopfen als mir einfiel, dass ich noch das Wams von Raphael anhatte. Ich ging noch einmal in die Küche und gab das Wams Magdalena, „ Kannst du den bitte waschen?“ Magdalena wollte schon fragen, woher das Mädchen den hatte als sie sah, dass Rachel ein halb zerrissenes Kleid an hatte. Daraus zog sie ihre eigenen Schlüsse. Ich sah nicht den besorgten Blick, den Magdalena wir noch zu warf, sondern zog mir noch schnell ein neues Kleid an und klopfte dann an der Tür von Ulrichs Gemächern an und trat ein. Ulrich stand am Fenster und regte sich nicht. Ich kam ein paar Schritte näher, er sagte immer noch nichts. „Ulrich?“ Ein Schauer lief Ulrich über den Rücken, dies konnte ich sehen. Er mochte es wohl, wenn ich ihn mit seinem Namen ansprach. Stille. „Rachel…“, erwiderte er fast monoton, immer noch dem Fenster zugewandt. Es schmerzte, ihn so zu sehen, als wären wir in zwei verschiedenen Welten. Das stimmte doch, meldete sich mein Verstand. Ich ignorierte ihn und schlang meine Arme um seinen Körper, „Ich hatte so einen furchtbaren Tag. Sei du jetzt auch nicht sauer auf mich. Bitte.“ Er seufzte erschöpft, „Also gut. Was ist denn passiert? “ Er setzte sich auf das Bett und schob mich auf seinen Schoß. Ich lehnte mich an seiner Schulter und schloss für einen Moment die Augen. Sofort kamen die Erinnerungen in mir hoch und ich spürte, wie mir ein kalter Schauer über den Rücken lief. Ich spürte heiße Tränen, aber ich wollte auf keinen Fall weinen, also unterdrückte ich sie. „Ich…habe einen alten Bekannten getroffen, der mich…“, ich atmete noch einmal tief durch, „er wollte mich schänden.“ Fluchend stand Ulrich auf und lief im Raum herum. „Wer ist dieses Schwein? Sag mir seinen Namen und wenn ich erst mal mit ihm fertig bin, wird er sich wünschen, er wäre dir nie begegnet. Hat er… es geschafft? “ Ich schüttelte den Kopf, zu ergriffen um Worte zu finden. Mir ging das Herz auf, als ich seine Wut sah. Ich nahm sein Gesicht in meine Hände und küsste ihn dankbar, bis er sich wieder ein wenig beruhigt hatte. „Mir wurde geholfen“ Ulrich sah mich erstaunt an, „Wer?“ Ich blickte zu Boden, „Der ehrenwerte Herr Raphael von Leinigen“ Ulrich war sprachlos und ihm fiel plötzlich die seltsame gestellte Frage von Raphael ein. Seit Wann suchte man sich eine bestimmte Magd aus, die man sich nur für sich beanspruchen konnte? Es gibt doch genug andere. Und niemals würde er Rachel jemanden geben. Ulrich merkte nicht, dass er genau das gemacht hatte. Eifersucht übermannte ihn, als ihm klar wurde, wie Rachel ihm ihre Dankbarkeit gezeigt haben konnte. Trotzdem zwang er sich zur Ruhe und zwang sich zu einem Lächeln. „ Und was wollte er für seine Hilfe von dir?“ Ich hätte beinahe gelächelt, als ich die heftige Eifersucht von Ulrich sah. „Nichts…“, antwortete ich und fügte aber nicht hinzu, dass ich Raphael noch etwas Schulde. Dies würde ihn nur noch wütender machen. Und ich denke, er wusste es auch so. Wieder kam ich zu den Gedanken der mich vorhin schon beschäftigte. Warum hatte er mich nicht genommen, was für ihn eine faire Gegenleistung gewesen wäre. Ich verstand es nicht. Ulrich lief wieder unruhig im Zimmer herum. Ich stand auf, und strich ihm über die Wange, „Ich liebe Dich“ Er ließ seine Schultern sinken und seufzte. Er vergrub sein Gesicht in meinen Haaren, „Liebste, was wird dir nur immer wieder angetan?“ ich frohlockte, er hatte mich Liebste genannt! Plötzlich hob er mich hoch und schleppte mich ins Bett. Ich wollte widersprechen, doch schmiegte sich an mich, und es schien als wolle er nur schlafen. „Aber ich kann doch auch in meiner Kammer schlafen“ Er schüttelte den Kopf, „Ich will niemals wieder ohne dich schlafen“ Und bevor ich noch etwas sagen konnte, war er eingeschlafen. Ich strich ihm noch eine Strähne weg und schmiegte mich an ihn. Ein Lächeln lag auf meinen Lippen, es war schön geliebt zu werde. Endlich. So lange hatte sie gehofft ihre Mutter würde eines Tages kommen und mich wieder zu sich holen, doch ich hatte die Hoffnung längst aufgegeben.
Als Ulrich am nächsten Morgen sein Pferd satteln ließ, kam ein Bote, der Ulrich mitteilte, dass der ehrenwerte Herr Raphael von Leinigen um seine Gastfreundschaft bittet. Verwundert empfing er Raphael, nachdem der Bote Raphael die Zusage mitgeteilt hatte. „Guter Freund was führt dich her?“ Raphael lachte, „Ich wollte meinen alten Freund Ulrich besuchen und ehrlich gesagt, wollte ich raus aus dem muffigen Zimmer in der Herberge.“ Das stimmte natürlich nicht, der Wirt hatte ihm das beste Zimmer gegeben, doch Raphael hatte nur eine Ausrede gesucht, um sein Vorhaben durchzuführen. Misstrauen lag in Ulrichs Augen, es konnte doch nicht nur Zufall sein, dass Raphael ausgerechnet jetzt, nachdem Raphael Rachel geholfen hatte und noch etwas bei ihr gut hatte, auf die Burg kam. Ulrich glaubte nicht an Zufälle. Raphael hatte bestimmt etwas vor, dieses Gefühl ließ Ulrich nicht los. Schließlich schob er seine Gedanken beiseite umarmte ihn freudig, er konnte noch später darüber nachdenken. „Dann komm doch mal rein“


Verwundert sah ich Magdalena an, die mir gerade gesagt hatte, dass ich für Maria einspringen sollte, da diese unpässlich wäre. „Aber Magdalena, ich habe noch nie so etwas gemacht, was ist wenn mir das Essen herunterfällt oder ich aus Versehen Suppe verschütte. Man würde mich in den Kerker werfen lassen.“ Es war nur eine Ausrede und das wusste auch Magdalena. Doch sie wagte nicht nachzufragen. Wie sollte ich es nur schaffen, im gleichen Raum mit Gunter zu sein? Er wird es bestimmt wieder versuchen. Immer starrte er sie an, er schien mit seinen Blicken sie auszuziehen wollen. Schließlich schluckte ich für einen Moment meine Ängste hinunter. Ulrich würde ja auch im gleichen Raum sein. Mir wird schon nichts geschehen. Ich nickte Magdalena zu, „Also gut. Mir bleibt wohl keine andere Wahl“ Diese hob eine Braue sagte aber nichts, verstand sie nicht, vor was Rachel sich nur fürchtete, doch sie hatte es schon längst aufgegeben, zu versuchen herauszufinden was dem Mädchen durch den Kopf ging. Rachel wirkte immer so anmutig und nie hatte sie je Dienerisch gewirkt. Immer stolz und mutig, obwohl sie noch nicht einmal ihre Eltern kannte und schon so viel Schlimmes erlebt hatte, in ihren jungen Jahren. Andererseits war sie sehr Ängstlich, wenn sie das Gefühl hatte, verletzt zu werden. Magdalena seufzte und schickte mich dann in die Küche. Ich hatte keine Ahnung von den Gedanken der alten Frau. Dort drückte mir die Köchin auch schon sofort die Speisen in die Hand. Ich hielt jetzt eine Suppenschüssel in der Hand, sie roch sehr wohlschmeckend. Meine Ängste waren verflogen und ich ging in den Speiseraum. Magdalena hatte mir eingeschärft, ja auf meine Füße zu schauen, doch meine Neugier siegte. Ich war noch nie im Speiseraum gewesen und schaute kurz auf. Ich ließ beinahe die Suppenschüssel vor Schreck fallen. Magdalena hatte mir zwar gesagt, dass wir überraschenderweise Besuch bekommen haben, doch ich hatte nie im Traum daran gedacht, dass er das sein würde. Neben Ulrich saß Raphael! Beide lächelten mich an und ich wusste nicht, was ich tun sollte, darum sah ich auf meine Füße. Ich konzentrierte mich jetzt auf die Suppenschüsse und versuchte bemüht nicht rot zu werden. Als ich das Tablett direkt zwischen Ulrich und Raphael absetzte strich mir jemand über meinen Oberschenkel. War das Raphael oder Ulrich? Ich traute mich nicht aufzusehen und ging zu schnell wie möglich aus dem Raum. Hinter der nächsten Ecke blieb ich erst stehen. Mein Atem ging schnell, ich war schon beinahe gerannt. Was wollte Raphael hier? Als ich mich ein wenig beruhigt hatte ging ich zurück in die Küche und wartete darauf, dass ein Glöckchen ertönte und wir- die Mägde räumten dann das Geschirr ab und servierten das Hauptgericht. Ich wollte das so schnell wie möglich hinter mich bringen, doch diesmal brauchten sie wohl doppelt so lang wie üblich. „Rachel, halt keine Maulaffen und hilf mit oder fühlst du dich zu fein dafür? “, erklang die gehässige Stimme der Köchin. Ich schüttelte schweigend den Kopf und blickte zu Boden, in letzter Zeit behandelten mich die anderen, als wäre ich Abschaum, ich verstand nicht warum. Was hatte ich nur getan? Ich machte meine Arbeit genauso gewissenhaft wie die anderen und ich werde jetzt auch nicht anders behandelt wie anderen. Oder merkte ich das schon gar nicht mehr? Als endlich das Glöckchen erklang brachten wir erst einmal das Geschirr in die Küche. Die ganze Zeit starrte ich auf meine Füße und versuchte so viel wie möglich Abstand von den beiden zu halten. Ich verstand mich einfach nicht mehr, warum machte es mir so aus, dass Raphael hier war? Ich hatte keine Ahnung. Aber vielleicht war es auch nur eine Vorahnung, die mich unruhig werden ließ. Die Köchin drückte mir einen Krug Wein in die Hand, „Schenk den Herren nun Wein ein“, sagte sie mürrisch. Ohne noch etwas zu sagen, ging ich in den Speiseraum. Raphael hob auch gleich seinen Becher. Widerstrebend ging ich zu ihm. Er sah mich mit einem schelmischen Lächeln an und in seinen Augen lag etwas, was ich nicht deuten konnte. Als ich ihm Wein eingeschenkt hatte, hob auch Ulrich seinen Becher. Dieser konnte nur schwer seine Eifersucht unter Kontrolle halten. Auch er hatte den Blick gesehen. Seine Finger zitterten und in seinen Augen lag ein Ausdruck, der mich erschreckte. Es schien als würde ihn die Eifersucht auffressen. Als ich ihn nun auch eingeschenkt hatte, stellte ich mich ein wenig beiseite und hörte ihnen zu. Heute waren außer Raphael auch einige Nachbarn vorbeigekommen. Darunter Graf Walden und sein Sohn Karl, und Jens.

„...Wir sollten aufpassen, wenn wir zu lange warten, dann könnte es passieren, dass sich Albrecht heimlich Söldner anschafft und uns dann so hintergeht, wie dem armen Heinrich letztes Jahr.“, sagte gerade Graf Eberhard, der Vater von Ulrich. Ein anderer sah ihn zweifelnd an, es war sein Nachbar, Graf Walden, „Warum glaubst du, wird Albrecht uns angreifen wollen? “ Ulrich schlug heftig auf den Tisch, so wütend hatte ich ihn noch nie gesehen. „Das liegt doch auf der Hand, Albrecht will Macht!“ Jens, ein Freund der Familie, nickte zustimmend, „Ich habe eine zuverlässige Quelle, die mir berichtete, dass Albrecht seinem Sohn aufgetragen hatte, er solle eine Söldnertruppe kaufen, damit sie uns angreifen würden.“ Zweifelnd wiegte Raphael den Kopf, „Seit ihr euch sicher, ob er euch angreifen möchte?“ Eberhard trank seinen Becher leer, ich eilte zu ihm, um ihm einzuschenken. Während ich den Grafen einschenkte, streifte mein Blick für einen Moment Ulrich. Er sah mich an. In seinen Augen lag etwas, das mein Herz zum Klopfen brachte. Ich hatte nur Augen für Ulrich, doch dies tat ich so unauffällig, dass nur ein aufmerksamer Beobachter gesehen hätte, was zwischen uns war. Deshalb bemerkte ich nicht, dass mich Raphael beobachtete. „Nun ja, wir wissen noch nicht genau, wen er angreifen will, doch eines ist sicher, es ist einer aus unserem Kreise hier, und er wird immer weiter machen, bis er sich alles unterm Nagel gerissen hat“, sagte Jens. Karl nickte zustimmend, „Das glaube ich auch“, sagte Karl und mit diesem Satz trank er seinen Becher leer. Die anderen taten es ihm gleich. Sie sahen alle missmutig in ihren leeren Becher. Plötzlich schlug Raphael wütend auf den Tisch, „Lasst uns jetzt nicht weiter darüber nachdenken. Bald sehen weiter. Jetzt lasst uns trinken, auf uns und dass wir diesem Schuft irgendwann die Leviten lesen!“ Ich beeilte mich, allen nach zu schenken. Da sie schon davor etliche Becher Wein getrunken hatten, waren sie schnell betrunken und tranken ihren Wein, so als wäre es nur Wasser. Gerade hatte Raphael wieder seinen Becher leer getrunken und winkte mich herbei. Gerade als ich fertig war, ihm einzuschenken, setzte er mich plötzlich auf seinen Schoß. Es war ein ähnliche Situation, wie damals, als ich angefangen hatte, Ulrichs persönliche Magd zu werden. Ich wollte aufstehen, doch er hielt mich fest. Er lachte auf, sein Atem roch nach Wein. „Hab dich doch nicht so, ich bin’s nur“. Ich sah zu Ulrich, dieser klammerte sich an den Tisch, als müsste er sich beherrschen, nicht aufzustehen und mich von Raphael wegzuzerren. Eifersucht lag in seinen Augen, sie sprühten vor Zorn. Dies schien Raphael nicht zu bemerken, denn kurz darauf fragte er: „Du hast doch sicher nichts dagegen, wenn ich sie mir mal ausleihe?“ Ulrich knirschte kaum merklich mit den Zähnen, doch die anderen grölten bei Raphaels Worten auf. „Ich will sie dann auch haben“, erwiderte Karl grinsend und machte eine anzügliche Geste. Die anderen lachten auf, außer Ulrich. „Und ich auch!“ , lachte Gunter, der sich gerade dazu gesetzt hatte. Ich erbleichte, ich war doch kein Stück Vieh, das man einfach so weiterreichen konnte! Raphael schüttelte lachend den Kopf, „Ein anderes Mal, aber heute Nacht gehört sie mir“. Dann flüsterte er mir noch ins Ohr, „Komm in einer Stunde zu mir“, und ließ mich los. Ich taumelte zurück. Ich sah zu Ulrich, es schien, als würde dieser nur mit seinem Nachbarn sprechen, um meinen Blicken auszuweichen. Er beachtete mich gar nicht. Plötzlich fühlte mich so allein, es schnürte mir die Luft ab. In kurzer Zeit löste sich die Runde nun auf. Ich erschrak, das hieß, ich musste zu Raphael gehen. Dieser grinste mir noch einmal kurz zu und verschwand dann auch. Im Saal waren nur noch Ulrich und ich. Er ging schweigend voran in seine Gemächer. Ich ging in mein Zimmer, besann mich dann aber meiner Aufgaben und ging in Ulrichs Gemächer. Ich knickste vor ihm, „Habt ihr noch irgendwelche Wünsche, Ulrich?“ Ulrich starrte mich an, in seinen Augen las ich Eifersucht und Schmerz. Ich rannte auf ihn zu und umarmte ihn heftig. Ich schloss meine Augen, in der Hoffnung, die Umarmung würde reichen um seine Eifersucht zu besänftigen und seinen Schmerz zu lindern. Es schien als würde dies helfen, doch im nächsten Moment strafften sich seine Schultern wieder und er stieß mich weg. Er sah mich an, in seinen Augen lag jetzt Wut. „Lass mich! Du gehörst mir, hast du das nicht verstanden?!!“ Ich wollte etwas sagen, doch er schnitt mir das Wort ab, „Lass es sein, geh weg, ich will dich nicht mehr sehen, VERSCHWINDE!!“ Ich zuckte bei seinen Worten zusammen, tat aber was mir gesagt wurde. Tränen rollten meinen Wangen entlang. Doch ich musste mich zusammen reißen. Zu gern würde ich hier bleiben, noch einmal versuchen, mit Ulrich zu reden, doch ein Wort von Raphael glich einem Befehl. Außerdem glaube ich nicht, dass man mit Ulrich, in seiner Verfassung reden konnte. Langsam ging ich zu den Gemächern, die für die Gäste gemacht wurden. Ich verharrte für einen Moment vor Raphaels Tür. Gerade als ich Klopfen wollte, ging die Tür auf. Raphael machte auf, „Du hast dir aber Zeit gelassen“, er trug einen Abendmantel und darunter nichts! Ich wurde rot, versuchte es aber zu verstecken. Er lächelte mich an, es wunderte mich, es schien als würde er nicht mehr betrunken sein, wenn man davon absieht, dass er völlig nackt war. Er zog mich stürmisch hinein, und presste seinen Körper gegen meinen. Da hatte ich wohl falsch gedacht. Plötzlich ließ er mich los und holte zwei Becher Wein. Ich wunderte mich, warum gab er mir so etwas? Es stand Bediensteten nicht zu, Wein zu trinken. Ich nahm einen Schluck, Wein schmeckte wirklich köstlich. Erst als ich den Becher leer getrunken hatte, wurde mir klar, warum er so eine Köstlichkeit bereitwillig gab. Er wollte mich betrunken machen! Ich wurde bleich, und ich bin nichts ahnend in seine Falle getappt. „ Mach dir nicht so viele Gedanken“, sagte Raphael und schmunzelte. Wieder wurde ich rot. Erst jetzt bemerkte ich, wie Raphael mich beobachtete. Ich fröstelte, ich hatte nur ein Tuch um meinen Körper geschlungen. Dies wurde wohl Raphael auch bewusst, er zog mich an sich, „Dir ist kalt“, flüsterte er beinahe. „Nein, mir…“, fing ich an, doch dann legte er seinen Finger auf meinen Mund. Ein Lächeln lag auf seinem Mund, „Du lügst“, sagte er sanft, oder bildete ich mir das nur ein? Ich wich seinem Blick aus. Doch er hob mein Kinn hoch, sodass ich ihn ansehen musste, „Ich zwinge dich zu nichts“. Ich spürte seinen Atem auf meine Haut. Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Er hatte zwar gesagt, es würde ihm nichts ausmachen, wenn ich mich weigerte, doch ich bezweifelte, dass er das wirklich ernst gemeint hatte. Ganz langsam ließ er mich los und setzte sich auf die Reisetruhe. Ich war verwirrt, doch es schien ihn nicht zu stören. „Setz dich“. Ich zögerte, doch schließlich setzte ich auf die Kante des Bettes. Er sah mich an, sagte aber nichts. „Du bist wirklich außergewöhnlich hübsch“, sagte er plötzlich in die Stille hinein, „Deswegen wollte ich dich in meinem Zimmer haben. Ich hatte nämlich gesehen, wie dich Karl und Ulrich angesehen hatten, sonst wären die beiden noch über dich hergefallen.“ Ich sah ihn verwundert an, er hat mich nur zu sich geschickt, weil er mich beschützen wollte. Es rührte mich so, dass ich sagte, „Ich schulde ich euch noch etwas, sagt mir, was ich tun soll.“ Diesmal war es Raphael, der verblüfft aussah, aber er hatte sich schnell wieder gefangen, „Küss mich“, sagte er mit einer rauen Stimme. Ich stand langsam auf und ging auf ihn zu. Ich nahm sein Gesicht in meine Hände, so etwas hatte noch niemand für mich getan, sogar noch nicht einmal Ulrich, und sanft berührten meine Lippen, die seine. „Danke“, flüsterte ich noch in sein Ohr und wollte schon wieder auf meinen Platz gehen, als er mich an der Hand festhielt, „Geh nicht wieder so weit weg.“ So setzte ich mich neben ihn. Jetzt sag mir, warum ist so ein schönes Mädchen, wie du nicht bei seiner Familie, sondern hier, oder nicht verheiratet ist? “ Raphael hatte sich wohl wieder gefangen. „Nun ja…“, ich zögerte, sollte ich es ihm wirklich sagen? Schließlich entschied ich mich dafür. „Meine Mutter hatte mich ausgesetzt, weil ich ein Bastard bin, so sagte es jedenfalls die Frau, die mich gefunden hatte. Diese hatte mich dann an hierher verkauft.“ Er sah mich irgendwie komisch an, „Das kann ich mir gar nicht vorstellen.“ Ich wusste nicht, was ich dazu sagen sollte und schwieg. Stattdessen fragte er: „Wie alt bist du? “, ich überlegte kurz, „Ich werde bald neunzehn, mein Herr.“ Er lächelte, „Nenn mich Raphael. Neunzehn sagtest du? “ Ich nickte. Ein trauriger Schatten lag plötzlich in seinen Augen. „Die Tochter meiner Tante wäre jetzt auch ungefähr Neunzehn. Ich erinnere mich zwar nicht an sie, aber meine Tante hatte seitdem nie wieder gelächelt.“ Ich schwieg, hatte ich keine Ahnung, was ich dazu sagen sollte. Langsam wurde ich müde. Ich würde nur für einen Moment meine Augen schließen, nur ganz kurz.

Die ersten Sonnenstrahlen des Tages weckten mich und als ich mich umsah, blickte ich in das Zimmer von Raphael. Ich schreckte hoch, mich hatte gestern wohl doch der Schlaf übermannt. Ich merkte, dass ich mein Tuch verloren hatte, es lag auf der Reisetruhe. Ich stand vorsichtig auf und hoffte er würde nicht aufwachen. Zum Glück wachte er auch nicht auf. Ich wollte schon gehen, denn Ulrich machte sich sicher schon Sorgen, als ich auf Raphaels schlafendes Gesicht blickte. Eins hatten die eigentlich grundverschiedenen Männer gemeinsam: Beide sahen wirklich gut aus, wenn sie schliefen. Ohne überhaupt Nachzudenken, strich ich ihm noch eine Strähne aus dem Gesicht. Plötzlich öffneten sich seine Augen. Ich erschrak und wurde rot. „Ich…eh… muss gehen“, stammelte ich und rannte zur Tür und ging hinaus. Für einen Moment lehnte ich mich an die Tür, mein Atem ging schnell. War er schon die ganze Zeit wach gewesen? Hatte er mich gesehen, wie ich mein Tuch geholt hatte? Ich wusste es nicht. Auf einmal tauchte Ulrich auf, dieser lief gerade den anderen Gang, gegenüber, als er mich entdeckte. Er wirkte erleichtert. Dennoch hatte ich Angst, er würde wieder so wütend werden wie gestern Nacht. Doch es schien nicht so. Er lächelte sogar, obwohl ich halb nackt im Gang stand. Er umarmte mich heftig, „Es tut mir Leid. Ich hatte einfach überreagiert. Ich kann es einfach nicht ertragen, wenn dich jemand anderes berührt.“ Ich strich ihm sanft über die Wange, „Ist schon gut.“ Erst jetzt schien Ulrich zu bemerken, dass ich nur ein Tuch um meinen Körper geschlungen hatte, sein Lächeln verblasste. Ich sah ihn ängstlich an, „Ich erkläre es dir, wenn wir wieder unter uns sind, in Ordnung?“ Ulrich nickte, doch er schien wieder wütend zu sein. Er nahm meine Hand und rannte in seine Gemächer. Ich wollte ihm gerade alles erklären, als er mich an eine Wand presste und mein Gesicht mit Küssen bedeckte. Seine Küsse wurden immer leidenschaftlicher, es wunderte mich. Er drückte mich ins Bett, seine Finger wanderten überallhin. Wir liebten uns, sehr zärtlich und sehr lange. Nach unserer Liebestat lagen wir beide schweißgebadet nebeneinander. Ich schmiegte mich an ihn, „Ich will, dass du weißt, dass nichts passiert ist, rein gar nichts.“ Er wich meinen Blicken aus und sagte nach einer Weile, „Lass uns jetzt nicht darüber reden. Wie wäre es, wenn du mit mir morgen in den Wald gehst? “ Meine Augen leuchteten auf, „Oh ja gern“ Ulrich gab mir noch einen sanften Kuss, „Du musst es nur schaffen, unbemerkt aus der Burg kommen, dann treffen wir uns im Wald an dem kleinen Häuschen.“ Ich nickte lächelnd. Mit dem wohligen Gedanken, an Morgen schlief ich ein. Ulrich aber blieb noch eine Weile wach. Er hasste Raphael dafür, dass dieser seine Magd angefasst hat. Er glaubte Rachel nicht, als sie sagte, es wäre nichts passiert, nicht bei dieser geheimnisvollen Ausstrahlung und dem makellosen Körper, selbst er musste viele Male an sich halten und sich andere suchen, die ihm Abhilfe leisteten, wenn Rachel nicht in Stimmung war. Es fraß ihn auf, daran auch nur zu denken. Er würde sie erst einmal von Raphael fernhalten. Als er endlich zu dem Schluss gekommen war, Raphael und Rachel nicht mehr aus den Augen zu lassen, schlief er schließlich ein.
Irgendetwas kitzele meinen Bauch. Ich zwang mich meine Augen zu öffnen und blickte in das Gesicht von Raphael“ Ich erschrak, und wachte auf. Mein Atem ging schnell, sehr schnell, es war nur ein Traum gewesen. Ich versuchte mein Herz zu beruhigen. Ich blickte zur Seite und sah Ulrich neben mir schlafen. Ich betrachtete sein Gesicht, es blickte gerade so friedlich. Ein Lächeln schlich sich auf meine Lippen. Ich tappte vorsichtig in meinen kleinen Raum, um Ulrich nicht zu wecken, kramte ein Kleid heraus und zog es an. Gerade als ich leise wieder in Ulrichs Gemach ging, sah ich die Gepäcktruhe nicht und lief dagegen, „Verdammt!“, entwisch es meinen Lippen. Als ich zu Ulrich schaute, sah ich, dass dieser schon wach war. Er sah mich verschlafen an, „Guten Morgen, meine Schöne.“ Ich lächelte bei seinen Worten, „Wir haben es schon spät Nachmittag“, sagte ich. Seine Augen weiteten sich überrascht, „Wirklich?“, ich nickte lächelnd. Er sprang aus dem Bett und zog sich schnell an. Er ging zu seinem Sekretär und holte plötzlich ein kleines Täschchen heraus. Er streute, wie es schien Kräuter auf seine Hand und schob dann diese in seinen Mund. Ich sah ihn verwundert an. Als er mein verwundertes Gesicht sah, sagte er: „Mein Mutter gab mir am Tag des Balls diese Kräuter, sie meinte, sie würden mir gut tun.“ Ich verstand nicht, warum Ulrichs Mutter dies getan hatte, doch ich ließ es darauf beruhen und nahm mir vor, Magdalena danach zu fragen, denn die Herrin hatte bestimmt Magdalena beauftragt, die Kräuter zusammen zu mischen. Ulrich kam auf mich zu und küsste mich heftig, „Ich werde jetzt mein Pferd satteln lassen und du gehst schon mal vor. Wir treffen uns dann an der kleinen Hütte.“ Dann war er auch schon fort. Ich freute mich riesig auf diesen Ausflug. Ich musste nur dafür sorgen, dass Niemand nach mir fragte. Also suchte ich Hilda, sie konnte mir bestimmt weiterhelfen. Ich hörte schon weitem Stimmen und dachte, eine davon würde Hilda gehören. Doch es war nur Grethe und ihre Freundin Frieda. „Hast du schon gehört, diese Hure hat sich gestern auch an den Herrn Raphael von Leinigen rangemacht.“, sagte Grethe. Frieda sah sie entrüstet an, „Wirklich? “ Grethe nickte eifrig, „Dabei wollte ich ihm Befriedigung verschaffen, da sie mir schon Herrn Ulrich weggeschnappt hat. Aber so einfach lass ich mich nicht abspeisen, sie wird noch ihr blaues Wunder erleben.“ Ich wollte gerade gehen, als Raphael um die Ecke kam. „Rachel“, sagte er, sodass es Grethe und Frieda hören musste. Ich wurde bleich und rannte fort. Zum Einen, weil ich Raphael aus dem Weg gehen wollte und zum Anderen, weil ich wusste, wenn ich noch länger geblieben wäre, dann hätten Grethe und Frieda mir etwas Schlimmes angetan. Nach einer Weile fand ich schließlich Hilda. „Da bist du ja“, sagte ich erleichtert, „Kannst du mir helfen, ich muss für ein paar Stunden weg, kannst du jedem sagen, ich wäre krank oder so etwas Ähnliches, in Ordnung?“ Hilda nickte verwundert, sie ahnte schon, was ihre Halbschwester machen würde, doch sie sagte nichts. Als dies erledigt war, rannte ich in Magdalenas Raum, dort ging ich in ihr Schlafzimmer und berührte dann die Wand. Ich suchte und suchte und endlich fand ich den Schalter. Plötzlich ging eine Geheimtür auf. Ich hatte diese Geheimtür als ich noch klein war entdeckt. Ich hatte gerade mit Hilda gespielt als ich aus Versehen diesen Schalter bestätigte. Als ich nun den Gang hinunter ging, überlegte ich mir, wie ich Michael bestechen konnte. Dabei fiel mir ein, dass ich ja noch etwas bei ihm gut hatte und lächelte. Es war manchmal doch gut, jemandem einen Gefallen zu tun. Michael sah mich vom Weiten, doch er gab kein Alarm, oder derartiges. Er hatte mich wohl schon erkannt. Er grinste mich an, „Was machst du denn hier?“ Ich lächelte leicht, „Ich muss raus, kannst du bitte die Tür öffnen?“, er sah mich zweifelnd an, „Ich weiß nicht, ob ich das wirklich tun sollte“ Ich sah ihn an, „Hey, ich hab dir einen Apfel gegeben, ich hätte sehr viel Ärger bekommen können. Bitte.“ Er nickte zögernd, „Also gut.“

Erleichtert lächelte ihn an, „Danke“ Er lächelte zurück, „Jetzt beeil dich, bevor ich es mir anders überlege“. Ich ging ein wenig schneller, denn ich musste mich beeilen, ich hatte mir schon ziemlich viel Zeit gelassen. Ulrich wartete bereits schon auf mich. Er empfing mich mit offenen Armen, „Da bist du ja, du hast dir ja viel Zeit gelassen.“ Ich sah ihn entschuldigend an, „Ich weiß, es ging nicht anders“. Plötzlich, ohne Vorwarnung, hob er mich hoch und trug mich zu dem kleinen See. Ich sah ihn ängstlich an, er wusste, dass ich Angst vor Wasser hatte und noch nicht schwimmen konnte. Aber ich vertraute ihm, er würde schon wissen, was er tat. „Keine Angst, ich weiß was ich tue“, sagte er, als hätte er meine Gedanken gelesen. Nicht zum ersten Mal fragte ich mich, ob ich wirklich so durchschaubar bin oder kennt mich Ulrich einfach? Aber ich beschloss, ein anderes Mal darüber Nachzudenken. Ganz sachte ließ er mich hinunter ins kühle Wasser, doch er hielt mich immer noch fest. Ich schrie kurz auf, das Wasser war wirklich kalt. Ulrich lachte auf, „Es ist nur Wasser“, ich sah ihn schief an, nur Wasser? Wieder musste er bei meinem Gesichtsausdruck lachen. Er wirbelte mich herum und küsste mich dann stürmisch. „Ich habe dich vermisst2, sagte er leise. Ein Schauer lief mir über den Rücken. Es war so schön ungestört mit Ulrich zu sein. Einfach alles vergessen zu können und nur in seinen Armen zu liegen. Ich spürte, dass er erregt war und auch ich wollte mich nicht länger mehr zurückhalten. Ich strich mit meinen Fingern über seinen Körper und blickte ihm tief in die Augen. Ein Blitzen tauchte in seinen Augen auf, er verstand, was ich ihm sagen wollte.


Als die Sonne am Himmel ihren Höhepunkt fand, waren unsere Körper mit unserer Liebe erfüllt und wir stiegen aus dem Wasser, als es plötzlich anfing, zu regnen. Ich lachte auf, ich liebte den Regen und hielt mein Gesicht gegen den Himmel. Ulrich betrachtete mich, ein Lächeln schlich sich auf seine Lippen, wie schön Rachel nur aussah, mit ihren leuchtenden Augen und ihren nassen blonden Haaren. Sie glich einem Engel.
Wassertropfen tropften auf mein Gesicht. Doch als der Regen stärker wurde, schnappten wir uns unsere Sachen und liefen zur kleinen Hütte, die in der Nähe von Fluss lag. Dort angekommen kuschelten wir uns in eine Decke. Es war schön in einer Decke dazuliegen, nur mit Ulrich, ganz allein. Er küsste meinen Hals, ich schloss meine Augen. Seine Finger wanderten meinen Körper entlang. Es tat so gut geliebt zu werden. Ich spürte, dass er mich wieder lieben wollte. Er sah mir tief in die Augen und ich konnte nicht anders.
Ein Lächeln lag auf meinen Lippen, als wir uns erschöpft aneinander kuschelten. Doch plötzlich ertönten Geräusche. Es hörte sich wie Männer an, die ganz in der Nähe waren. Ich erschrak, sprang auf, sammelte meine Sachen ein und versuchte mich anzuziehen. Ulrich sah mich verwirrt an, „Was? “, „Da kommen Männer, ich habe sie gehört.“ Während ich dies sagte, sprang Ulrich ebenfalls auf und zog sich schnell an. Ich wollte schon gehen, als Ulrich mich zurückhielt. „Ich möchte noch nicht, dass du gehst“, ich lächelte ihn leicht an, „Ich muss, ich war schon zu lange weg. Bestimmt sind das Leute, die dich suchen.“ Er schüttelte den Kopf, „ich war schon länger draußen und sie hatten mich immer noch nicht gesucht. Aber du hast Recht, wir sollten langsam zurück gehen. Ich begleite dich.“ Er nahm meine Hand und rannte mit mir zu seinem Pferd. Er hob erst mich auf das Pferd, dann stieg er selber auf. Die Schritte der Männer wurden immer leiser, je weiter wir ritten. Ulrich wurde langsamer und schmiegte sich an mich. „Du solltest jetzt absteigen, damit du von der anderen Seite der Burg eintreten kannst. Ich nickte. Kurz beugte er sich noch zu mir hinunter und gab mir einen langen Kuss, dann ritt er davon. Ich sah ihm nach, bis das Dunkel der Nacht ihn verschluckt hatte, dann ging ich zurück. Es dauerte eine Weile bis ich die Burg sah. Vor der Tür wartete Michael auf mich, „Da bist du ja. Du warst aber ganz schön lange unterwegs. Du hattest wohl ein Schäferstündchen gehalten, hm?“ Ich versuchte aus seinem Gesicht zu lesen, ob er das nur aus Spaß gesagt hatte oder ob er es ernst meinte. Ich konnte es nicht erkennen. Ich blieb ruhig, „Lässt du mich jetzt rein?“ Er nickte immer noch grinsend. Ich ging gerade den Gang entlang, als jemand meinen Namen rief. Ich drehte mich um und vor mir stand Raphael. Er lächelte mich leicht an. Ich knickste schnell und wollte mich schon entschuldigen als er plötzlich sagte, „Wo warst du? Ich habe dich gesucht. Ich überlegte kurz, was ich sagen sollte, doch mir fiel nichts ein. Innerlich verfluchte ich mich für meine Töricht. Doch wenn ich an diesen schönen Tag dachte, wusste ich, dass es kein Fehler war. „Ich musste heute in der Küche aushelfen“, log ich und hoffte er würde nicht weiterfragen. Das tat er auch nicht, sondern sagte nur noch, „Willst du es dir nicht doch noch einmal überlegen, mit mir zu kommen?“ Ich sah ihn überrascht an, ich hatte diesen Vorschlag schon längst wieder vergessen, um aber nicht unhöflich zu wirken, sagte ich: „ Ich weiß es nicht, ich muss es mir noch überlegen. Wenn es euch jetzt genehm ist, würde ich gerne gehen“ Er nickte, doch es schien als wäre er niedergeschlagen. Es machte mich ein wenig traurig, denn Raphael war immer so nett zu mir gewesen und gar nicht so wie die anderen hohen Herren. Ich lächelte ihn noch einmal an, dann ging ich. Plötzlich hatte ich das Gefühl, als würde mich jemand beobachten, doch als ich mich umdrehte, war niemand zu sehen. Ich ging noch ein paar Schritte weiter, als auf einmal Grethe und Frieda auftauchten. Beide grinsten mich böse an.
„ Hallo Johanna, oder soll ich besser sagen, Rachel? “, sagte Grethe. Ich wich einen Schritt zurück, beide lachten nur böse. „ Du hast unser Gespräch belauscht“, sagte nun Frieda, „Das ist sehr unhöflich, oder fühlst du dich jetzt, da du hier wohl die Hure von den großen Herren bist, als etwas Besonderes, musst nichts mehr machen und kannst tun, was du willst?!“ Ich schüttelte den Kopf, „Nein, das tue ich nicht. Jetzt lasst mich vorbei. Ich habe noch etwas zu erledigen“ Beide lachten kurz auf, „Du kommst hier nicht weg, wir sollten dir erst einmal eine Lektion erteilen, damit du weißt, was du bist.“ Ich erbleichte, „Was habt ihr vor?“ Grethe und Frieda sahen sich kurz an, dann packte mich Frieda und hielt mich fest. Währenddessen ging Grethe um mich herum und lächelte böse. „Du bist Abschaum“, sagte sie. Ich lachte auf, obwohl Frieda mich immer noch schmerzhaft festhielt. „Das sagt gerade diejenige, die mit jedem schläft, was einen Schwanz hat“ Ihr Lächeln verschwand, ihr Gesicht wurde bleich vor Wut. Sie blickte mich für einen Augeblick mit wilden Augen an, dann erschien ein eigenartig ruhiges, ich würde fast sagen, amüsiertes Lächeln auf ihre Lippen und schlug ohne Vorwarnung, mit voller Kraft in meinen Magen. Mir blieb der Atem weg. Grethe lachte, „Tja jetzt bist du wohl nicht mehr so hochnäsig“ Sie wollte gerade wieder zu schlagen als ihr wohl eine bessere Idee kam. Ihr Grinsen wurde noch breiter. „Ich hab eine viel bessere Idee. Diese Lektion soll sie nie vergessen und ihr eine Lehre sein. Daran wird sie sich auch nach Wochen noch erinnern. Hihi“, sagte sie zu Frieda. Frieda nickte zustimmend. „Lass sie los“, sagte Grethe forsch zu Frieda. Diese gehorchte. Auf einen Wink von Grethe, nahm Frieda meinen Arm und stützte sich mit einem Fuß an meinem Körper ab. Grethe nahm meine Hand und drehte sie schmerzhaft zur Seite. Als dies nicht zu funktionieren schien, drückte sie meine Hand nach außen, sodass es gefährlich anfing zu knacken. Es tat schrecklich weh, doch ich wollte mir keine Blöße geben. Das schien Grethe nur noch wütender zu machen und sie drückte mit voller Kraft meine Hand zurück. Mein Handgelenk knackte fürchterlich. Als wäre dies nicht genug, verdrehte sie voller Kraft. Tränen stiegen mir in die Augen. Erst jetzt schien Grethe zufrieden zu sein, denn sie lachte noch einmal und trat mir in die Magengegend. Ich fiel zu Boden und sie trat noch paar Mal kräftig zu, besonders auf mein Handgelenk. Dann gingen sie beide. Ich hörte etwas Wimmern und erkannte, dass ich es war, die so schrecklich wimmerte. Die Tränen konnte ich auch nicht mehr aufhalten. Mein Handgelenk tat so schrecklich weh. Langsam und vorsichtig richtete ich mich auf. Mein ganzer Körper tat weh, jeder Schritt machte es nur noch schlimmer. Jede Bewegung schmerzte. Ich schleppte mich zu Magdalenas Räumen und hoffte, sie würde da sein. Sie war da.
Als Magdalena in das Gesicht von Rachel sah, erschrak sie. Seltsamerweise war ich erleichtert sie so erschreckt zu sehen. Ich konnte ihre Liebe zu mir sehen und diese brauchte ich jetzt dringend. Denn mir wurde schwarz vor Augen.

Ich war froh, dass Magdalena da war, sie war meine Rettung. Magdalena legte mich ins Bett und betrachtete vorsichtig mein Handgelenk. „Dein Handgelenk ist gebrochen“, sagte Magdalena fachmännisch, Ich stöhnte, „Verdammt. So kann ich unmöglich rausgehen.“ Magdalena verstand. Wenn Ulrich herausfand, wer das getan hatte, dann würde diese Person schwer bestraft werden und das würde Rachel nur noch unbeliebter unter den Mägden machen. „Wer war das? “ fragte sie nach kurzem Schweigen mich. Ich schluckte, Magdalena wusste, dass dies auf gar keinen Fall ein Unfall sein konnte. „Grethe und Frieda.“ Ich schloss meine Augen und versuchte den Schmerz zu unterdrücken. Ich schluckte. Es tat so weh und ich hatte noch nicht einmal etwas getan. Sie strich mir sanft eine Strähne aus dem Gesicht, „Es wird alles wieder gut“ Ich schüttelte den Kopf, unfähig irgendetwas zu sagen. „Hast du etwas für mein Handgelenk?“, fragte ich Magdalena. Diese überlegte kurz und holte dann eine Tube aus ihrem Schrank. „Ich werde dir jetzt eine Salbe drauf machen, die die Schmerzen lindern sollte. Aber es wird seine Zeit dauern, bis das Handgelenk wieder gerichtet ist, mindestens zwei Monate, denke ich.“ Ich stöhnte auf, „So lange?“ Magdalena nickte. Die Salbe half wirklich und ich fühlte mich schon ein wenig besser. Dennoch im Vergleich zu meinen restlichen Schmerzen war die Linderung ziemlich dürftig. Die Rippen taten nicht mehr ganz so weh. Ich versuchte aufzustehen, doch es klappte nicht so Recht. „Bleib liegen, du solltest dich nicht so viel bewegen“ Ich schüttelte den Kopf, „Ich muss.“ Magdalena seufzte, „ Also gut, warte, ich helfe dir“ Dankbar sah ich sie an. Magdalena war immer für mich da gewesen. Ich beeilte mich so gut es ging in mein Zimmer zu kommen, dort wartete schon Ulrich auf mich. Dieser sah nicht gerade gut gelaunt aus. „Wo warst du die ganze Zeit?“ Ich schluckte und beeilte mich zu erklären. „Weißt du ich bin wirklich schusselig, ich bin vorhin hingefallen, auf mein Handgelenk und ich war bis eben bei Magdalena, die mich verarztet hat. Sie sagt, es ist gebrochen, aber sonst ist alles in Ordnung“, ich versuchte einen unbekümmerten Ton zu treffen, es schien zu funktionieren. Sein zuerst verärgertes Gesicht entspannte sich. Er nahm mich in seine Arme und küsste mich sanft, „Aber jetzt geht es dir wieder besser?“ Ich nickte und biss meine Zähne zusammen, denn meine Rippen taten bei seiner Umarmung weh. Ich zwang mich zu einem Lächeln, „Du, ich bin ziemlich müde, ist es genehm wenn ich jetzt schlafen gehe?“ Er nickte gedankenverloren, „Natürlich“ Er nahm mich an die Hand und führte mich zu seinem Bett. Dort bettete er mich ein und ging dann aber raus. Augenblicklich schlief ich ein. Meine Träume waren unruhig, immer wieder wachte ich wegen den Schmerzen auf. Ulrich kam nicht zurück.

Als mich die ersten Sonnenstrahlen weckten, hatte ich das Geschehen gestern schon fast vergessen. Doch dann meldete sich der Schmerz zurück. Ich versuchte so wenig wie möglich meinen Körper zu bewegen. Es ging auch einigermaßen. Ulrich war wohl schon aufgestanden. Beunruhigt ragte ich mich, was Ulrich die ganze Nacht getrieben hatte. Oder mit wem er es getrieben hatte, meldete sich eine böse Stimme in mir. Andererseits war es gut, dass Ulrich nicht mitbekam, wie groß meine Schmerzen wirklich waren und dass ich wieder zu Magdalena ging. Sie sah sich noch einmal mein Handgelenk an und gab mir ein paar Kräuter, die die Schmerzen lindern sollten. Als ich wieder zurückkam war Ulrich wieder da. Er lag auf dem Bett und es schien als würde er schlafen, doch ich wusste es besser. Ich legte mich neben ihn und kuschelte mich an ihn. Dieser gab mir einen keuschen Kuss auf die Stirn. Es wunderte mich, das hatte er noch nie getan. Sanft strich ich ihm über die Wange. Er schaute mich kurz an, dann schloss er wieder seine Augen. Langsam fragte ich mich, ob etwas nicht mit ihm stimmte. Doch dann zog er mich an sich und gab mir einen langen sanften Kuss. Er beugte sich über mich und küsste meine Brust und zog dann mein Kleid aus. Zu meiner Verwunderung schob er mich auf den Bauch. Er betrachtete meinen Rücken, doch dann hielt er erstaunt den Atem an, „Was hast du denn da für ein Muttermal auf deinem Rücken?“ Ich sah ihn fragend an, welches Muttermal? Sanft strich er darüber und küsste es, „Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, es ist ein fürstliches Muttermal, dass nur Adlige haben.“ Ich lachte auf, „Genau, ich bin eine Adelige, also solltest du gut zu mir sein, sonst könnte es sein, dass ich bald meine Familie finde und die werden dich dann bestrafen und dann dich mit mir verheiraten, weil du mich entjungfert hast“, jetzt lachte auch Ulrich. Er küsste meine ganze Wirbelsäule entlang. Dann drehte er mein Gesicht zur Seite und gab mir einen ungestümen Kuss, als es plötzlich an der Tür klopfte. Ich schlang mir schnell ein Tuch um meinen Körper, doch mein Atem ging noch schnell. Meine Rippen taten weh und mein Handgelenk pochte. Ich schloss für einen Moment meine Augen, hoffte der Schmerz würde vorübergehen, doch er ging nicht. Ulrich atmete entnervt aus, „Ja?“, fragte er ungehalten. Grethe trat ein. Ich erschrak, ließ es mich aber nicht anmerken, hoffte ich zumindest. Panik stieg in mir auf, würde sie mir noch etwas Schrecklicheres antun, als sie es schon getan hatte, weil sie mich jetzt so sah? Sie warf mir einen verhassten Blick zu, dann sagte sie aber: „Der Gast, Isabelle von Klingen ist eingetroffen.“, „Danke“, sagte er nicht gerade freundlich, „du kannst jetzt gehen“, und wandte sich wieder mir zu. Wütend verließ Grethe den Raum. Die Nachricht, dass Isabelle da war, beunruhigte mich. Er gab mir noch einen letzten Kuss, dann ging er auch, um seinen Gast zu begrüßen. Es machte mich wahnsinnig, zu wissen, dass sich Isabelle an Ulrich ranschmiss. Es war nicht zu übersehen, dass sie in ihn verknallt war. Außerdem war sie eine potenzielle Ehefrau und ich nur die Geliebte. Wir könnten nie so zusammen sein, wie Isabelle und Ulrich es werden könnten, auch wenn ich mir es immer vorstellte. Um mich abzulenken, ging ich zu Magdalena. Diese sah wohl auf dem ersten Blick, dass ich missgelaunt war und halste mir haufenweise Arbeit auf, hauptsächlich Arbeit, wo ich die Grafenfamilie nicht sehen würde. Normalerweise würde mich die viele Arbeit ärgern, doch heute war ich dankbar dafür. Nach einigen Stunden, war ich fast fertig mit der Arbeit. Ich musste nur noch die Wäsche am Fluss waschen. Es war ziemlich mühselig, die Wäsche zu waschen, denn sie stank und es war schwierig, den Dreck herauszubekommen. Der Himmel färbte sich schon rot und die Wäsche war immer noch nicht fertig. Plötzlich hörte ich Stimmen und ich wollte schon an einem anderen Ort die Wäsche weiter waschen. Doch dann erkannte ich die Stimmen als die von Ulrich und Isabelle von Klingen. Meine Neugier übermannte mich und ich blieb stehen und lauschte dem Gespräch. Gerade lachte Isabelle, „Das ist wirklich eine köstliche Geschichte. Setzten wir uns doch auf die Steine dort“ Ulrich nickte. „Also ich muss dir etwas gestehen“, sagte Isabelle. Ulrich sah sie neugierig an, „Was denn?“ Isabelle wurde rot und schluckte, als müsste sie sich damit Mut machen. Sie rückte ein wenig näher zu ihm und ich ahnte schon, was sie jetzt tun würde. Ohne Vorwarnung küsste Isabelle ihn. Zuerst schien Ulrich überrascht, dann ließ er es geschehen. Ich starrte die beiden fassungslos an, das durfte doch einfach nicht wahr sein. Ich träumte doch sicherlich. Schnell nahm ich die Wäsche und rannte davon. Ich hatte Tränen in den Augen. Ich verstand es nicht. Warum, Warum nur? Ich gab die Wäsche schnell Magdalena, dann rannte ich weg, irgendwo ihn, ich wollte nur nicht Ulrich sehen. Hatte ich nicht schon genug gelitten? Wegen meiner Liebe zu ihm wurde mir so viel Schreckliches angetan, und dann das!
Plötzlich wurde Ulrich klar, was er gerade tat. Er stieß Isabelle weg, „Das dürfen wir nicht“, und er wollte es nicht. Er hatte wohl zu viel Wein getrunken und Isabelle auch. Diese sah ihn verletzt an, „Warum nicht?“, Isabelle nahm seine Hand, „ich mag dich, ich mag dich wirklich sehr“. Doch Ulrich schüttelte ihre Hand ab, „Wenn jemand das herausfindet, bekommen wir beide großen Ärger und ich kann zurzeit wirklich keinen Ärger gebrauchen“, dies war zwar nur eine fade Ausrede , doch Ulrich wusste einfach nicht, was er sonst hätte sagen sollen. Bevor sie noch etwas sagen konnte, sagte er, „Es tut mir Leid“, und ging. Er musste Nachdenken, also ging er zu dem See, seiner Familie. Als er dort angekommen war, sah er eine Person am Steg. Er erkannte diese Person als Rachel. Er seufzte, ging auf sie zu, legte seine Hand auf ihre Schulter und küsste sie am Hals. „Du weiß doch, du darfst hier nicht herkommen, ich will nicht, dass du bestraft wirst. Dafür bist du mir viel zu kostbar“

Ich zuckte zusammen, als Ulrich plötzlich hinter mir auftauchte. Ich war so in Gedanken verstrickt gewesen, dass ich Ulrich gar nicht bemerkt hatte. Für einen Moment ließ ich mich fallen, doch dieser Moment verschwand schnell. Ich stieß ihn von mir weg, „Fass mich nicht an“. Erst jetzt merkte Ulrich wohl, dass ich weinte. Er sah mich verwundert an, „Aber was ist denn mit dir? “ Ich starrte ihn an, dass wusste er nicht?! „Ich hab dich gesehen. Mit deiner adeligen Freundin.“ Auf einmal wurde Ulrich bleich. „Oh ja, ich habe den Kuss zwischen euch gesehen“, sagte ich, um seine Vermutung zu bestätigen. „Es tut mir so leid, ich weiß auch nicht, was in mich gefahren war, ich habe einfach zu viel Wein getrunken. Ich liebe nur dich. Glaub mir.“ Meine Wut ging so schnell, wie sie gekommen war. Ich sah ihn an. In seinen Augen lag die Bitte, ihm zu verzeihen. Doch ich wusste nicht genau, ob ich das wirklich tun sollte. Doch dann wurde mir etwas klar, was ich die ganze Zeit verdrängt hatte. Ich war nur die Geliebte, eine Magd, er würde sowieso bald heiraten müssen und solange er mich wirklich liebte, würde ich meine Eifersucht unterdrücken müssen, denn bald würde die schöne Zeit vorbei sein. Mehr konnte ich nicht erwarten. Ich lächelte ihn zaghaft an, „Ich liebe dich“, erwiderte ich. Er lachte befreit auf und wirbelte mich herum. Wir gingen dann zurück in seine Gemächer. Ich schmiegte mich an ihn, atmete seinen Duft ein. Ich schloss meine Augen. Diesen Moment nutze Ulrich, strich mir sanft über die Wange. Dann ganz langsam, knöpfte er mein Kleid auf. Ich wollte abwehren, doch fiel mir wieder meine Eifersuchtszene ein und ich ließ ihn gewähren. Nach unserem Liebespiel betrachtete er mein Muttermal. „Du siehst so schön aus, auch mit dem Mal, es macht dich einzigartig“ Am nächsten Morgen reiste Isabelle ab und ich war erleichtert, obwohl ich mir geschworen hatte, nicht mehr eifersüchtig zu sein, aber trotzdem erleichterte es mich. Ich sah auf, Ulrich kam von der Verabschiedung wieder. Er lächelte mich an, „Na meine Schöne“, er legte sich neben mir aufs Bett und strich mir eine Strähne aus dem Gesicht. Seine Hände wanderten über meinem Körper und ganz langsam zog er mir mein Kleid aus. Er küsste jede Stelle an meinem Körper. Es tat so gut. Entzückt schloss ich meine Augen.

Da fiel mir plötzlich etwas ein. „Verdammt!“, rief ich und schob Ulrich von mir weg, „Ich muss weg, in die Küche“. Ulrich sah mich irritiert an, „Aber…“, ich sah ihn entschuldigend an, „Ich muss wirklich gehen“. Er sah wütend aus, doch auf einmal legte sich so eine ungewöhnliche Ruhe über sein Gesicht. Sanft gab ich ihm noch einen letzten Kuss, ich würde es später wieder gut machen. Ich rannte so gut es ging in die Küche, denn heute musste ich wieder in der Küche arbeiten. Die Köchin wartete schon ungeduldig. Ich entschuldigte mich bei ihr kurz, dann machte ich mich an die Arbeit. Als das Essen zu gut wie fertig war, wurde geläutet. Ich gehörte natürlich wieder zu den glücklichen, die das Essen auftragen durften. Mir tat mein Handgelenk weh, doch ich biss mir auf die Lippe, dann ließ sich der Schmerz einigermaßen ertragen. So langsam traten alle Hausbewohner und deren Gäste, in diesem Fall nur noch Raphael ein. Nur der Platz von Ulrich blieb leer. „Wo ist denn Ulrich?“, fragte seine Mutter Katharina erstaunt. „Er lässt sich entschuldigen“, sagte Gunter und lächelte anzüglich. Die Herrin schaute mich an und wirkte auf einmal verwirrt. Ich verstand nicht warum. Auch diesmal hatte ich die Aufgabe den Wein einzuschenken. Raphael sah mein Handgelenk verwundert an. Ich ahnte schon, dass er später mit mir reden wollte. Gerade als ich Graf Eberhard einschenkte, strich er mir beinahe zufällig über mein Bein. Ich erschauderte und hoffte, es war wirklich nur ein Versehen. „Raphael, wollt Ihr uns heute wirklich schon verlassen? “, fragte die Herrin Katharina ein wenig betrübt. Raphael nickte, „Ja, meine Tante und ich haben uns schon wirklich zu lange hier aufgehalten, wir werden in den nächsten Tagen aufbrechen“, „Dann wünsche ich euch eine gute Reise“, sagte Graf Eberhard freundlich. „Vielen Dank. Ich möchte mich noch einmal bedanken, dass ich mich bei Euch aufhalten durfte“, sagte Raphael und schob sich ein Stück Kartoffel in den Mund. In den nächsten drei Gängen geschah es immer wieder, dass Graf Eberhard mich scheinbar aus Versehen mit seiner Hand streifte. Ich war froh, als das Mahl zu Ende war und ich jetzt in Ruhe bei Ulrich sein konnte. Doch da hatte ich mich getäuscht. Denn gerade kam Hilda vorbei und sie sah nicht gerade glücklich aus. Mein Lächeln verschwand, „Hilda, Was ist denn los? “ diese sah unglücklich zu Boden, „Ich soll dir von Graf Eberhard sagen, du sollst in seine Gemächer kommen.“ Ich starrte sie an, hoffte das wäre nur ein schlechter Scherz, doch diese Hoffnung starb, als ich Graf Eberhards Augen sah. Sie sahen mich gierig an und glitzerten begierig. Ich sah noch einmal kurz zu Hilda, dann rannte ich zu Ulrichs Gemächern. Wieso geschah dies immer nur mit mir? Meine Schönheit war mehr ein Fluch als ein Segen. Ohne Nachzudenken riss ich die Tür auf, „Ulri…“, mir blieben die Worte im Halse stecken. Ulrichs wunderbarer Körper, dessen Liebe ich geglaubt hatte, sie gehöre mir, lag auf Grethe. Eine schwindelerregende Übelkeit überkam mich und ich musste mich an der Tür festklammern. Er schaute erst verärgert drein, doch als er mich sah, entspannten sich seine Gesichtszüge, „Rachel.“ Ich brachte immer noch nichts heraus. Ulrich entließ Grethe mit einem Klaps. Meine Kehle schien wie zugeschnürt. Währenddessen schlang sich Grethe ein Tuch um ihren Körper und verschwand aus der Tür. Davor warf sie mir noch einen verächtlichen Blick zu, um ihren Mund spiegelte sich ein zufriedenes Lächeln. Deswegen war er nicht zum Essen gekommen und seine Mutter hatte sich deswegen so gewundert, weil sie wusste, dass er nie zum Essen erschien, wenn er sich vergnügte. Ulrich zog sich seelenruhig seine Hose an. Ich beobachtete ihn dabei fassungslos. Mir schwirrten zu viele Gedanken in Kopf herum, um auch nur einen vernünftigen Satz herauszubekommen. Ich fühlte mich so leer. Doch dann kam der Schmerz. Der unbändige Schmerz, als würde mir jemand ein Dolch ins Herz rammen. Er kam mit einem anmaßenden Lächeln auf mich zu und schob seine Hand unter mein Kleid. Die einst so schöne Berührung, ließ mich erschaudern. Ich stieß ihn weg und wich einen Schritt zurück, „Es war alles nur eine Lüge gewesen. Deine Worte, die du zu mir gesagt hattest, waren alle nur gelogen?! Nur damit du mich ins Bett bekommst.“ Er lächelte anzüglich, „Nicht nur, aber weißt du, mir ist seit längerem klar geworden, dass du nur meine Magd bist. Ich brauche mich bei dir gar nicht zu rechtfertigen oder sogar zu entschuldigen, ich bin dein Herr. Du gehörst mir, egal was ich mache. Ich kann tun und lassen was ich will. Ich bin es leid mir deine Ausflüchte anzuhören und das du immer wieder verschwindest“ Seine Worte trafen mich wie Hammerschläge, ich taumelte zurück, spürte, wie der Boden unter meinen Füßen zu verschwinden drohte. Plötzlich über kam mich die Wut und ich zitterte vor Zorn. Die ganze Zeit, hatte ich wirklich gedacht, dass er mich liebte. Aber er wollte sich doch nur mit mir Vergnügen. Das hatte er ja auch geschafft, und ich dumme Gans bin auf ihn noch hereingefallen. Ich hatte ihm mein Herz geschenkt, meinen Körper. Ich spuckte ihm vor die Füße, „Du Schwein, du Schuft. Ich habe dir vertraut. Geh doch zum Teufel.“ Sein Gesicht färbte sich rot vor Wut bei meinen Worten. „Ich bin dein Herr, so darfst du nicht mir reden. Ich könnte dich für diese Worte bestrafen.“ Verächtlich sah ich ihn an. „Das ich nicht lache, bestraf mich doch, es ist mir egal“ Ich konnte mir nicht vorstellen, dass es etwas schlimmeres gab, womit er mich noch bestrafen konnte und was noch schmerzhafter war als sein Verrat. „Du bist das verabscheuungswürdigste Geschöpf, das ich je gekannt habe. Du bist nicht viel besser als die anderen Schänder und Lügner“ Er packte mein verletztes Handgelenk und schlug mich mit der anderen Hand. Mein Handgelenk pochte, doch ich ignorierte den Schmerz. Hasserfüllt sah ich ihn an. Er sah mich nur spöttisch an, „Eins muss man dir aber lassen, mit dir kann man sich am Besten vergnügen auch wenn du dich immer so erbärmlich aufführst.“ Ich riss mich zusammen und zwang mich zu einem Lächeln, um ihm nicht die Genugtuung zu geben. „Das kann ich leider nicht zurückgeben.“ Ich sah ihn noch ein Mal scheinbar spöttisch an, dann wollte ich langsam aus dem Zimmer gehen, doch Ulrich ergriff mein Handgelenk und schob mich zu ihm. Mein Handgelenk schien zu brennen, so weh tat es. „Du bleibst hier, du gehst erst, wenn ich es dir sage, hast du mich verstanden?“ Für einen Moment blieb mein Herz vor Angst stehen, doch dann straffte ich meinen Rücken, versuchte meine Schmerzen zu ignorieren und schubste ihn von mir weg. Ich sah ihn noch einmal kurz höhnisch an, „Niemals!“, und ging hinaus. Ich lehnte mich nur für einen Augenblick gegen die Wand. Ich atmete tief durch, damit ich nicht weinen musste. Plötzlich, völlig unerwartet tauchte Ulrich auf. Er sah mich mit seinen leblosen grauen Augen an, packte mich an meinem Hals und drückte mich gegen die Wand. „Was fällt dir ein. Du bist nichts, du bist nur ein Bastard!“ Er drückte mir meine Kehle zu, ich bekam keine Luft mehr. Panik stieg in mir auf und ich strampelte mit den Beinen. Ulrich lachte höhnisch, ich hatte ihn noch nie so gesehen, es schien, als wäre er ein anderer Mensch. Oder war er schon immer so gewesen und ich wollte es einfach nicht sehen? „Willst du jetzt deine Beine wieder für mich öffnen?“ Ich sagte nichts. Ulrich drückte sich an mich und gab mir noch einen Kuss. Er wollte gerade mein Kleid hochschieben, als er Lutz sah.
Lutz, der Diener von Graf Eberhard verbeugte sich eilig vor Ulrich und sagte: „Verzeiht mein Herr, doch euer Vater schickt mich, ich soll die Magd zu ihm bringen. Da fiel mir ein, dass ich ja zu ihm kommen sollte. Ich nickte und machte mich los. Ulrich sah mich erstaunt und wütend zu gleich an. Hämisch sah ich Ulrich an und lachte kurz auf, „Ich sagte doch, du bist nicht der einzige“ Obwohl ich nicht zu Ulrichs Vater gehen wollte, war mir dieser lieber, als noch länger bei Ulrich zu bleiben. Dieser wagte es nicht, etwas zu sagen, denn er wollte seinen Vater nicht erzürnen. So konnte er nur mit ansehen, wie ich mit Lutz zu seinem Vater ging. Als Ulrich mich nicht mehr sehen konnte, suchte ich einen Ausweg, wie ich entkommen konnte. Ich wollte gerade mich langsam davon schleichen, als Lutz meinen Arm packte. Er sah mich finster an, „Wag es ja nicht, wegzurennen, du solltest schon längst bei ihm sein! “ Als ich den Kopf schüttelte, schleifte er mich zu Eberhards Gemächern. Ich versuchte mich von Lutz zu befreien, doch dieser hielt mich eisern fest. Vor Eberhards Gemächern klopfte er kurz an und dann schubste er mich ins Zimmer. Graf Eberhard trank gerade einen Schluck Wein. Er sah mich an, er schien ganz ruhig zu sein. Er kniete sich zu mir hin, nahm mein verletztes Handgelenk in die Hand, betrachtete es einen Moment und dann drückte er immer und immer fester zu. Ich stöhnte auf, es tat entsetzlich weh. „Wag’ es noch einmal, mich warten zu lassen, dann siehst du dich im Kerker wieder.“ Er starrte mich finster an. Ich hatte nicht geahnt, dass Graf Eberhard so brutal sein konnte. „Und jetzt“, sprach er mit einem Lächeln, „leg dich auf das Bett und zieh’ dich aus.“ Ich zögerte, und das bekam ich auch sofort zu spüren. Da ich nicht sofort gehorchte, tritt er mir in die Magengegend. Mühsam stand ich auf, ich konnte meine Wut nicht mehr beherrschen und schrie zornig: „Nein!“ Eberhard blieb in mitten seiner Bewegungen stehen. Er drehte sich langsam zu mir um, blickte mich bedrohlich an, kam auf mich zu und zerrte mich auf den Boden, machte dabei seine Hose auf. Doch bevor er mir etwas antun konnte, stieß ich ihn von mir weg und schlug ihn mit meiner gesunden Hand ins Gesicht. Sein Gesicht wurde dunkel vor Wut. Er schlug auf mich ein, die ganze Zeit lang. Wie konnte diese Magd es auch nur zu wagen, ihn dermaßen zu beleidigen.
Meine Rippen taten schrecklich weh. Ich schütze mein Handgelenk, damit es nicht noch mehr zu Schaden kommen würde. Es schien eine Ewigkeit zu vergehen, bis seine Wut verraucht war und er Lutz rief. „Lutz“, sagte er ganz ruhig, nur wenn man mich ansah, wusste man, was für ein Temperament Graf Eberhard hatte, „Bring sie in den Kerker, sie soll morgen ausgepeitscht werden, zwanzig Hiebe“ Lutz nickte stumm und schleifte mich in den Kerker. Ich erschrak, der Kerker war so kalt und nass. Ich fröstelte. Es gab nur ein kleines Fenster, nur daran wusste ich ungefähr, welche Tageszeit wir hatten. Dieses vergessene Gefühl, dass ich vor vielen Jahren hatte, wo ich meine ersten Jahre bei dieser Frau Sinaida verbracht hatte, war wieder da: Ich fühlte mich allein und verlassen.

Ich zitterte vor Schmerzen, wie konnte er mir das nur antun? Ich hatte ihn geliebt und er hatte mich nur benutzt. Ich fühlte mich verraten. Er ist ein Monster, genau wie sein Vater.
Als der nächste Tag anbrach, wartete ich darauf, dass Männer kommen würden, um mich abzuholen, damit ich ausgepeitscht werden konnte. Doch niemand kam. Es kam eine dringende Nachricht von dem Spion, dass Albrechts Sohn mit den Söldnern zurückgekommen war. Deswegen wurde eine Besprechung eingelegt. Die Magd, die ausgepeitscht werden sollte, vergaß man. Ich war nun fast eine Woche vergangen, als der schreckliche Tag mein Leben veränderte, mir meine Augen öffnete und ich endlich verstand, wo ich hingehörte. Nicht zu Ulrich.
Er kam mich besuchen. Er hatte sich wohl ein wenig beruhigt, denn er redete sanft auf mich ein: „Rachel, es war nicht gelogen, als ich sagte, dass ich dich mag, dich liebe, komm wieder zu mir“ Meine leeren Augen blickten die Wand an, als ich sprach, „Du hast die ganze Zeit mir etwas vorgespielt, du wusstest, dass ich dich liebe und ich meinte das Ernst. Und jetzt verlangst du von mir ich soll wieder deine Hure werden!? Verdammt, verschwinde, hau ab und lass mich in Ruhe“ Ohne auch nur ein einziges Wort zu verlieren, verließ er den Kerker. Doch kurz darauf kam er wieder, schloss die Tür meiner Zelle auf. Er kam auf mich zu und küsste mich impulsiv. Es schien, als wäre der Ulrich, den ich geliebt hatte, wieder zurückgekehrt. Dennoch spürte ich nichts. Ich war leer. Ich war ausgebrannt. Er konnte mich nicht mehr täuschen. Nie wieder. Er gab es auf und sagte nur noch kühl, „Wenn du dich beruhigt hast, komm zu mir. Vielleicht bringen dich die Peitschhiebe wieder zu Vernunft.“ Ich erstickte beinahe an seinen Worten. Ich war zu Vernunft gekommen, oh ja, dass war ich. Ich betrachtete die karge Landschaft. So wie ich, durchzuckte mich dieser Gedanke wie ein Blitz. Ich spürte ein erdrückendes Gefühl und es wollte nicht weichen, es schnürte mir die Luft ab, aber ich wusste mir einfach nicht mehr zu helfen. Mein Handgelenk fing auch langsam an zu heilen. Das war gut, aber mich interessierte nichts mehr, außer dem Gedanken, hier endlich heraus zu kommen, weg zu laufen und der Familie von Sayn für immer den Rücken zu kehren. Heute würde es so weit sein, gleich müsste Magdalena kommen. Als hätte sie meine Gedanken gelesen, schlich sie gerade zu meiner Zelle. Magdalena wirkte zum ersten Mal angespannt. Die sonst so ruhige Haushälterin sah sich immer wieder um. Sie hatte dem Wachmann die Schlüssel geklaut und sie musste diese ihm gleich wieder zurückstecken, bevor er merkte, dass sie weg waren. Leise öffnete sie das Schloss der Zelle. Dann gab sie mir einen Beutel, „Hier drin ist ein Kleid, Kräuter für dein Handgelenk und ein bisschen Verpflegung.“ Dankbar nahm ich den Beutel. Da fiel mir noch etwas ein, „Hast du das Kleid von dem Ball?“ Magdalena nickte und gab es mir. Doch sie fragte sich, was ich damit machen würde. Ich betrachtete es, ich sah so schön in dem Kleid aus, aber all’ das war nur Schein gewesen, ein Trugbild, dass ich mir zurechtgemacht hatte uns das nun endlich zerstört war. Magdalena betrachtete ihren Schützling, sie wollte nicht, dass ich ging. Sie war immer stolz auf ihre Menschenkenntnis gewesen, aber bei Ulrich hatte sie sich wohl geirrt. Sie hatte wirklich geglaubt, dass er sie liebte und irgendwie konnte sie es nicht ganz glauben, dass das alles nur eine Täuschung gewesen sein sollte.

Schnell verdrängte ich meine Gedanken, denn ich musste mich jetzt konzentrieren. Ich musste mich beeilen, sonst könnte es passieren, dass mein Vorhaben scheiterte. Ich umarmte das letzte Mal Magdalena, „Danke für Alles, ich weiß nicht, wie ich nur ohne dich leben soll!“ Magdalena lächelte, in ihren Augenwinkeln waren Tränen, „Ach was, du schaffst das schon, ich weiß es.“ Nachdem ich mich jetzt endgültig von Magdalena verabschiedet hatte, rannte ich schnell in den fürstlichen Garten zu dem See. Für einen kurzen Moment verharrte ich dort. Doch dann schmiss ich das Kleid ins Wasser. Ich sah zu, wie es langsam unterging. Hier war der See, indem ich angefangen hatte, ihm zu vertrauen. Warum hatte ich nicht auf mich gehört? Ich hatte mir einst geschworen, niemanden mehr zu vertrauen, doch ich hatte es doch getan. Warum musste ich es auch immer nur so herausfordern? Auf einmal fing es an zu regnen. Es war einfach zu viel, ich könnte die Tränen nicht mehr aufhalten. Aber jetzt musste ich mich jetzt wirklich beeilen. Ich rannte so schnell ich konnte. Als Michael mich erkannte, fragte er überrascht, „Aber Rachel, was machst denn noch hier?“ Ich war erleichtert, dass er mein Gesicht nicht sehen konnte. „Bitte stell’ keine Fragen, aber lass mich bitte raus, es ist sehr wichtig“ Michael nickte stumm, er ahnte schon was die freundliche Magd machen wollte und sagte nur noch, „Viel Glück“, „Danke“, erwiderte ich. Ich rannte so schnell es ging zur Stadt. Ich musste mehrmals anhalten, weil ich einfach keine Luft mehr bekam, aber ich durfte nicht aufgeben. Als ich schließlich zur Stadt kam, war ich erleichtert. Jedoch konnte ich immer noch nicht aufhören zu weinen. Ich zwang mich weiter zu gehen. Ich ging zu der Herberge, in der Raphael noch schlafen müsste. Ich hämmerte gegen die Tür, doch keiner machte auf. Es schien eine Ewigkeit zu vergehen, bis jemand endlich aufmachte. Der Wirt sah mich ärgerlich an, bevor er mich jedoch wegschicken konnte, sagte ich: „Ich möchte Cecilia, die Haushältern vom Herrn von Leinigen sprechen.“ Mürrisch nickte er und nach ein paar Minuten kam eine Frau an die Tür. Sie blickte mich verschlafen aber verärgert an. „Was willst du?“, blaffte sie. Ich schluckte. „Der ehrenwerte Herr von Leinigen, hatte mir gesagt, ich solle mit euch sprechen, wenn ich mit euch reisen wolle.“ Ihre Augenbrauen ruckten hoch, „Wie ist dein Name? “, „Rachel“, antwortete ich.

Plötzlich kamen Schritte zur Tür. Es war Raphael. Er stellte sich neben seiner Haushälterin und sah mich verwundert an, „Rachel? Was machst du denn hier? Hast du es dir etwa anders überlegt?“ Ich nickte. Cecilia sah ihren Herrn verwundert an, „Ihr kennt dieses Mädchen?“ Dieser nickte, auf seinen Lippen lag ein Lächeln. Er betrachtete mich und langsam verschwand sein Lächeln. Vermutlich sah mein nasses Gesicht, dass nicht nur vom Regen nass geworden war. Meine Augen waren bestimmt verquollen. „Komm doch erst einmal herein“, sagte er. Ich schüttelte den Kopf, „Nein, nein ich möchte nicht zu viele Umstände machen, außerdem würde ich gerne wissen, ob ich nun mit euch reisen könnte, wenn es euch genehm ist.“ Nach kurzem Überlegen sagte er: „Wir suchen noch eine Dienerin für meine Tante. Sie wird dich morgen anschauen, sie muss dir ihr Einverständnis geben.“ Ich nickte, „In Ordnung, dann bin ich morgen früh hier“, „Du kannst auch hier ein Zimmer haben“, sagte er nach kurzem Überlegen. Cecilia sah ihren Herrn entrüstet an, sagte aber nichts. Wieder schüttelte ich den Kopf, „Ich habe das Geld nicht, und ich kann so etwas nicht annehmen, das steht mir nicht zu“ Er sah mich enttäuscht an, doch ich blieb hart, „Ich werde morgen da sein“, verabschiedete ich mich und knickste vor Raphael. Ich wollte mich schon abwenden, als Raphael mich zurückhielt. Cecilia war schon auf dem Weg in ihr Bett zurück, nur Raphael stand noch da. Sanft legten sich seine Finger um meinen Arm. Ohne dass ich es wollte zuckte ich zurück. In meinen Augen stand ungewollt die Angst. Raphael hob seine Hände, „Ganz ruhig, ich tue dir doch nichts.“ Mühsam versuchte ich zu lächeln, schaffte aber nur ein zittriges Lächeln. „Ja ich weiß.“ Raphael schien mit seinem Blick direkt in meine Seele blicken, sodass ich meine Augen senkte. Den kümmerlichen Rest brauchte ich zum Überleben. „Was ist mit dir los?“ Leicht erschrak ich, er durfte mich nicht so leicht durchschauen. „Mir geht es gut, mein Herr, wirklich“ Hastig verabschiedete ich mich und verschwand in der Dunkelheit.
Jetzt blieb mir nur eine Frage, wo schlief ich diese Nacht? Ich ging ein Stück, als jemand meinen Namen rief. Mein Herz blieb stehen, er konnte doch nicht so schnell herausgefunden haben, dass ich weg war, oder etwa doch? Doch es war nur Raphael. Ich beruhigte mich schnell wieder. „Ich weiß, dass du keinen Platz zum Schlafen hast, schlaf dann doch wenigstens im Stall, dort ist es warm und sicher.“ Ich zögerte, „Ich weiß nicht.“ Er lächelte zaghaft, „Bitte! Ich würde mich wohler dabei fühlen“ Schließlich nickte ich. „Sagst du mir noch, wie das mit deiner Hand passiert ist?“ fragte er mich besorgt. Hastig suchte ich nach einer Ausrede. „Ich bin hingefallen und irgendwie ist dann das Handgelenk gebrochen.“ Selbst in meinen Ohren klang dies unglaubwürdig. Er nahm meine Hand in die seine und betrachtete sie, „Du lügst.“, sagte er mich einem zaghaften Lächeln, „Ich hatte auch mal ein gebrochenes Handgelenk und meins war viel komplizierter gebrochen. Dein Handgelenk wurde böswillig gebrochen“ Ich wusste nicht, was ich dazu sagen sollte. Ich traute mich nicht ihn an zu sehen. Er hatte einfach so meine Lüge enttarnt. Er hob mein Kinn hoch, sodass ich ihn ansehen musste, „Jeder lügt einmal, ich würde in deiner Situation wohl auch lügen. Vielleicht sagst du mir eines Tages, was wirklich geschehen war.“ Einen Augenblick lang strich er über meinen Hals, dort konnte man wohl die Blutergüsse sehen. Sanft hielt er immer noch meine Hand und küsste vorsichtig das Handgelenk. Ich erschrak, entzog ihm meine Hand und versteckte diese hinter meinem Rücken. Meine Stimme drohte zu versagen. „Ich bitte Euch…tut, tut das nie wieder“ Auch er schien erschrocken. Einen Moment betrachtete er mich. Meine schreckensweiten Augen, meine zittriger Körper, meine Arme die fest um meinen Körper geschlungen sind. Vorsichtig kam er auf mich zu, um mich nicht noch mehr zu erschrecken. Sanft strich er eine Strähne weg, „was wurde dir nur angetan?“, flüsterte er. Zum Abschied strich er mir zu meinem großen Erstaunen die letzten Tränen weg. Auch das hatte er bemerkt. Ich bettete mich in das Stroh und unvermeidlich wanderten meine Gedanken zu Ulrich. Wie konnte ich mich nur derart in ihn täuschen? Wie konnte ich mich nur so täuschen lassen? Wieder einmal musste ich weinen. Ich wollte nicht weinen, doch ich konnte nicht anders. In den Tagen im Kerker hatte ich jeden Gedanken an Ulrich verdrängt. Jetzt kam alles raus und es ließ sich nicht aufhalten. Das Stroh war durchnässt von meinen Tränen, als ich schließlich einschlief.
Am nächsten Morgen stand ich sehr früh auf. Länger konnte ich sowieso nicht mehr schlafen. Unruhe erfasste mich, hatte Ulrich schon gemerkt, dass ich nicht mehr da war? Suchte er schon nach mir? Ich starrte immer wieder zum Eingang des Stalls und vermutete jedem Moment Ulrich dort zusehen. Ich ordnete meine Haare und ging in den Wald. Ich hatte gestern Abend dort einen Bach gesehen und suchte diesen nun. Nach einer Weile fand ich diesen dann auch. Vorsichtig tauchte ich einen Fuß in das Wasser. Ich fröstelte, das Wasser war sehr kühl. Ich beschloss, mich zu waschen. Nachdem ich mich gesäubert hatte, ging ich zurück. Ich betrachtete mein Handgelenk. Dieses hatte sich nun blau gefärbt. Ich biss mir auf die Lippe, es hatte gerade angefangen zu heilen, doch nachdem Ulrich und sein Vater mein Handgelenk so schlimm zugerichtet hatten, würde dies wohl noch lange dauern. Ich verdrängte meine Gedanken über jenen Abend, doch ich spürte Tränen in meinem Gesicht. Ich schüttelte mich einen Moment, dann achtete ich wieder auf meinen Weg. Es schien alles so friedlich zu sein. Ich kam wieder zu der Herberge. Plötzlich ging die Tür auf. Raphael sah mich verdutzt an, „Du bist schon wach?“ Ich nickte lächelnd. Er schien erst vor Kurzem aufgewacht zu sein, denn seine Haare lagen noch wirr. Ich knickste vor ihm. Er schüttelte lächelnd den Kopf. „Komm gehen wir ein Stück.“ Ich zögerte, „Ich weiß nicht, ich glaube nicht, ob das eine so gute Idee wäre.“ Er wollte gerade etwas sagen, als sein Name gerufen wurde, es war seine Tante. Diese stand an der Tür und musterte mich. Schnell knickste ich vor ihr. Raphael sah sie freudig an, „Ah Tante, du bist wach“ Sie nickte, schaute aber immer noch mich an. Raphael bemerkte es und sagte, „Das ist Rachel. Sie würde gern als deine Dienerin mitreisen“ Helene von Aquin kam ein paar Schritte näher, lief um mich herum und betrachtete mich von allen Seiten. „Wie alt bist du?“, fragte sie nach kurzem Schweigen. „Ich bin ungefähr neunzehn Jahre alt“, „So, so“, sagte sie. Es machte mich nervös, von ihr so betrachtet zu werden. Ich fühlte mich wie ein Vieh, dass gleich verkauft werden würde, und doch sah ich einen Schmerz in ihrem Augen, der mich an meinen eigenen denken ließ. Helene von Aquin nahm behutsam mein verletztes Handgelenk und sah mich fragend an, „Wie ist das geschehen? “, ich zögerte, würde sie wissen, wenn ich log? Schließlich gab ich mir einen Ruck. „Ich bin dummerweise hingefallen“ Ihre Augenraue ruckte hoch und sie sah mich ein wenig ungläubig an, „Nun gut, wenn du meinst.“ Sie schien wohl auch die Blutergüsse entdeckt zu haben. Dann hatte sie Eins und Eins zusammengezählt. Ich schalt mich einen Narren, das ich nicht früher daran gedacht hatte, „Und was sagst du? “, fragte Raphael lächelnd. Helena sah ihn an, „Sie kann mitkommen“ Ich atmete erleichtert aus. Auch Raphael sah erleichtert aus. Er zwinkerte mir kurz zu, dann ging er mit seiner Tante wieder hinein. Davor sagte er aber noch: „Hilf jetzt den Mägden, das Gepäck einzusammeln. Zum ersten Mal erschien wieder ein Lichtpunkt in den dunklen Tagen. Gerade wollte ich zu den Mägden gehen, als ich auf einmal jemanden heran galoppieren hörte. Ich drückte mich instinktiv in den Schatten, noch war die Gefahr nicht gebannt. Ich war erleichtert, dass ich auf meine Intuition gehört hatte, denn es war Ulrich! Ich erschrak, als ich sein Gesicht sah. Mein Herz klopfte wie wild. Voller Angst, Schmerz und Sehnsucht. Es konnte alles vorbei sein, wenn er mich jetzt sah. Die Erinnerung an den Abend kam zurück, ich schloss meine Augen und meine Hände ballten sich zu Fäusten, dies jedoch verursachte nur noch mehr Schmerzen in meinem Handgelenk. Der Schmerz lenkte mich ein wenig ab. Er schien jemanden zu suchen, denn er blickte sich die ganze Zeit um. Mein Verschwinden, wurde wohl schon bemerkt. Sein Gesicht schien voller Sorge zu sein, denn er lächelte nicht. Sein Blick war finster. Ich erschauderte, er durfte mich nicht sehen. Erst als Helene und ihr Neffe heraus kamen, trug er eine Maske, in der er sogar lächelte. Helene sah ihn überrascht an, „Aber Ulrich, was machst du denn hier?“ Dieser gab ihr einen Handkuss, „Ich wollte mich bei euch beiden nur noch richtig verabschieden. Ich kam leider noch dazu“ Raphael lächelte, „Wie nett von dir“ Er entdeckte mich und sein Blick wanderte zwischen mir und seinem Freund. Sein Gesicht verdüsterte sich, dennoch legte auch er eine Maske auf. Ich betete, dass er mich nicht verriet, irgendeine Andeutung machte, die Ulrich auf meine Spur bringen konnte. Ulrich gab Helene noch einen Handkuss und Raphael gab er die Hand, „Alles Gute. Wir werden uns in nächster Zeit wieder sehen.“ Dann blickte er sich noch einmal kurz um, und als er immer noch nicht das fand, was er suchte, verzog er sein Gesicht, sprang dann aber auf sein Pferd und galoppierte davon. Ich wusste, dass er mich suchte. Er brauchte mich als seine willige Geliebte. Vor lauter Schmerz lief mir die Luft weg. Ich sollte zurückkehren, damit ich meine Strafe bekommen konnte und reumütig mit ihm das Bett teilte. „Rachel“, sagte Helene plötzlich, „Komm her.“ Ich zuckte zusammen, doch ich ging zu ihr. Ich sah sie ängstlich an, würde sie mich wegen meiner törichten Handlung nun nicht mehr mitnehmen wollen? Ich hatte keine Ahnung, was ich dann tun sollte. Doch sie sagte nur: „Pack’ mein Gepäck ein.“ Ich nickte schnell und eilte in ihr Zimmer. Ich musste meine Arbeit gut machen, sonst wäre alles vorbei. Es gab keinen anderen Ausweg.
Wenige Stunden später brachen wir auf. Die Mägde, zu denen ich gehörte, bildeten das Ende der Truppe. Wir gingen etliche Stunden, die Landschaft schien nur dahinzuschwemmen, ich achtete gar nicht mehr auf diese. Schweiß rann mir den Rücken entlang, es fing schrecklich an zu jucken, doch ich musste warten, bis wir rasten würden. Die Sonne wanderte den Himmel entlang und es schien kein Ende in Sicht. Doch je länger ich ging, desto mehr schmerzte mein Körper, dennoch fühlte ich mich immer mehr glücklicher und erleichtert. Jeder Schritt war Stück mehr Freiheit vom Schmerz. Ich war frei. Endlich frei. Das Geschehene verschwand tief in meinem Innern, es sollte nie wieder herauskommen. Es sollte verschwinden.
Meine Füße schmerzten und ich musste den Verband wechseln, doch zuerst musste ich meine neue Herrin bedienen. Diese hielt schon auffordernd ihren Becher mir entgegen. Ich schnappte mir schnell den Krug und schenkte ihr dann ein. Währenddessen redete sie mit ihrem Neffen Raphael, „Sag mir Raphael, wann hast du vor zu heiraten? “ Der Gefragte sah mich kurz an, dann antwortete er mit einem geheimnisvollen Lächeln, „Wenn ich die Richtige gefunden habe.“ Helene folgte seinem Blick, sagte aber nichts. Auch zu seiner Antwort erwiderte sie nichts. Unwohl hoffte ich, dass ich bald gehen konnte. Es durfte sich nicht wiederholen „Du kannst gehen“, sagte Helene zu mir. Ich knickste noch einmal vor ihr und verschwand aus dem Zelt. Ich blickte mich noch einmal um. Dieser Blick, er beunruhigte mich. Es schien als empfinde er etwas für mich. Es wunderte mich schon, dass er immer so nett war und sich in meiner Nähe so ungebührlich verhielt. Ich wollte deswegen keinen Ärger bekommen. Die Konsequenzen kannte ich nur zu gut. Ich betrachtete meine Hand, sie war immer noch ziemlich blau, doch sie schwoll nicht mehr an. Gerade als ich an mein weniges Gepäck ankam, läutete es zum Einpacken, damit wir aufbrechen konnten. Ich musste mich beeilen, den Verband um mein Handgelenk zu machen, andernfalls musste ich dies machen, während ich lief und das würde sich als ziemlich schwierig gestalten. Doch, gerade weil ich mich so beeilen musste, klappte es nicht. Ich verfluchte innerlich Grethe und Frieda, die mir das angetan hatten und mich nun in diese Lage brachten, doch wem hatte ich dies zu verdanken? Dieser Mistkerl, dem hatte ich dies alles zu verdanken, doch am meisten verfluchte ich mich selbst. Ich war so naiv gewesen, hatte mich verliebt, geglaubt, er würde mich lieben und habe alles auf mich genommen. Es war meine eigene Schuld. Warum hörte ich nur nicht auf mich?
Auf einmal kam eine der Mägde zu mir und half mir beim Verbinden meines Handgelenks. Ich sah sie dankbar an, doch erst musste ich meine Sachen holen, damit ich den anderen folgen konnte. Diese waren schon vorgegangen und einer der Reiter sah ich mich gereizt an. Er musste auf die Trödler warten und der Tag war schon lang gewesen. Er wollte nur noch so schnell wie möglich an dem ersten Nachtplatz angelangen. Inzwischen hatte ich mich der Truppe wieder angeschlossen und hielt Ausschau nach dieser Magd, die mir geholfen hatte. Als ich sie schließlich entdeckte, ging ich auf sie zu. „Ich wollte mich nur mal bedanken, weil du mir mit meiner Hand geholfen hast. Ich bin Rachel“, während ich dies sagte, wurde mir klar, dass Rachel ja nur ein Name von Ulrich war, mein neuer Name war eigentlich nur ein Schein. Das war gar nicht mein richtiger Name. Warum nenn ich mich dann noch Rachel? Doch ich konnte das Gesagte nicht mehr zurück nehmen. Als ich länger darüber nachdachte, wurde mir bewusst, dass ich keinen richtigen Namen hatte. Sinaida hatte mich nie getauft. Diese Tatsache machte mir jedoch nicht viel aus, ich glaubte nicht an Gott. Würde es einen Gott geben, würde er mir nicht so viel Leid antun. Die Magd lächelte mich an, „Gern Geschehen und außerdem war das auch nur aus reinem Eigennutz. Ich bin neu zu dem Gefolge von der Herrin von Aquin und ihrem Neffen Herr von Leinigen dazugekommen und kenne hier niemanden. Wie ich gehört hatte, bist du auch neu. Ich bin Theresa.“ Sie lächelte mich freundlich mit ihrem Schmollmund an, ihre Grübchen stachen beim Lächeln deutlich hervor. Ich mochte sie auf Anhieb. Ich wusste nicht, warum, aber sie schien so etwas Beruhigendes auszustrahlen.
So wurden die restlichen Stunden, die wir noch liefen erträglicher. Als es das nächste Mal läutete, wurde das Nachtlager aufgestellt. Theresa und ich halfen beim Essen mit. Dann ging ich zu dem Koch von der Herrin und ließ mir das Essen für sie geben. Anschließend brachte ich ihr die Mahlzeit und ging wieder hinaus. Dabei wäre ich beinahe gegen Raphael gelaufen. „Pass’ auf, du könntest noch jemanden verletzten“, sagte er mit einem schlüpfrigen Lächeln und ging in das Zelt hinein, bevor ich mich überhaupt entschuldigen konnte. Verwirrt sah ich ihm nach, ging dann aber zurück und bereitete mit den anderen Mägden die Mahlzeit für uns weiter vor. Doch als ich das Essen, dann vor mir sah, hatte ich keinen Hunger mehr. Dennoch zwang ich mich, etwas zu essen, ich brauchte die Kraft. Gerade als ich fertig gegessen hatte, machten sich die Mägde auf den Weg zum Fluss. Sie wollten sich waschen, solange die anderen Männer noch damit beschäftigt waren, selbst etwas zu essen. „Kommst du?“, fragte mich Theresa. Ich jedoch schüttelte den Kopf, „Nein, ich bleib hier, wasch das Geschirr ab und wasche mich dann später, wenn ihr zurück seit, und außerdem muss doch einer auf unser Gepäck aufpassen, oder?“ Mir behagte es nicht, mit den Mägden gemeinsam nackt in den Fluss zu steigen. Außerdem wollte ich nicht, dass sie meine blauen Flecken sahen, sie würden nur Fragen stellen und ich wüsste nicht, was ich ihnen antworten sollte. Theresa zuckte kurz mit den Schultern, dann folgte sie den Mägden. Es war schön, einen Moment für sich zu haben, ganz allein zu sein. Wieder einmal, in diesen ruhigen Momenten, konnte ich nicht verhindern, dass ich an Ulrich dachte. Er drängte sich immer wieder in meine Gedanken, er schien wie in mein Gehirn eingebrannt zu sein. Wie ein Geschwür, das unaufhaltsam wächst und immer wieder kommt. Es schmerzte mich noch immer, in der Erkenntnis zu leben, dass er mich nur benutzt hatte. Es kamen keine Tränen mehr, sie schienen verschwunden zu sein. Zu lange und zu Oft hatte ich einfach geweint. Ich fragte mich, wann würde der Schmerz aufhören, wann würde ich aufhören andauernd an ihn zu denken?

Ich wusch wie verrückt das Geschirr, in der Hoffnung, dass endlich diese Gedanken an ihn, verschwinden würden, doch ich wusste, das würde nicht geschehen. Gerade als ich fertig war, das Geschirr zu waschen, kamen die anderen Mägde wieder. Schnell wischte ich die wenigen Tränen weg, die sich doch in meinem Gesicht verirrt hatten. Ich sah Theresa lächelnd an, niemand ahnte, was sich hinter dieser Maske versteckte. Theresa schüttelte ihre nassen Locken und sagte, „Bist du sicher, dass du jetzt allein zum Fluss gehen willst?“ Ich nickte und wollte gerade noch etwas sagen, als mich ein stechender Schmerz in meiner Brust durchzuckte. Es beunruhigte mich ein wenig, hatte dies mit meinen Verletzungen zu tun? Schnell schob ich den Gedanken beiseite. Ich durfte nicht ernsthaft krank sein, Helene von Aquin konnte keine kranke Magd gebrauchen, sie würde mich wohl hier stehen lassen, oder im nächsten Ort abgeben. Ich hatte vergessen, was ich sagen wollte, deshalb sagte ich stattdessen, „Mir wird schon nichts passieren“, und ging dann schnell in Richtung Fluss. Daher sah ich nicht den besorgten Blick, den sie mir zu warf.

Der Mond spiegelte sich im Fluss. Für einen Moment sah ich das Wasser faszinierend an, es sah einfach zu schön aus. Ich zog mein Kleid aus und ging ganz langsam ins Wasser. Ich erschrak, das Wasser war kalt. Doch ich hatte mich schnell wieder beruhigt. Dennoch blieb ich nur am Ufer des Flusses. Die Angst vor dem Wasser war nicht verschwunden und ich hatte auch niemanden, der mich festhielt. Plötzlich spielte vor meinem inneren Auge das Geschehen an dem kleinen See ab.
Ich konnte nicht mehr aufhören zu Schluchzen, es tat einfach zu weh. Auf einmal hörte ich Schritte und bevor ich überhaupt reagieren konnte, stand Raphael vor mir. Überrascht starrte ich ihn an, „Raphael?“. Er lächelte mich leicht an. Ich war froh, dass es so dunkel war und er mich nicht sehen konnte. Trotzdem fühlte ich mich unwohl. Er räusperte sich kurz und sagte dann, „Ich hatte gesehen, wie du allein zum Fluss gegangen bist und ich dachte mir, dass man so eine schöne Frau wie dich, einfach nicht allein lassen darf. Ich habe wirklich keine bösen Absichten, wenn du das denkst.“ Ich entspannte mich ein wenig. Dennoch machte es mich unruhig, dass er einfach da stand und mich betrachtete. Ich verschränkte die Arme um meine Brust, „Raphael, ich weiß nicht, du solltest nicht hier sein. Ich…“ Was sollte ich denn sagen? Ich will nicht, dass du hier bist, geh weg?! Nein, das konnte ich auf keinen Fall sagen! Er würde auf mich gar nicht hören, oder noch schlimmer, er würde zornig werden und ich wusste nur zu gut, was dann passieren würde, wenn die Adligen wütend wurden. Doch andererseits, Raphael schien nicht so wie die anderen Adligen zu sein. Er lächelte leicht und kam vorsichtig näher. Wenn ich aber so nachdachte, hatte ich ja auch gedacht, Ulrich wäre anders. Doch das war er nicht, er war noch schlimmer als die anderen. Mein ganzer Körper zitterte, ich hatte Angst davor, was jetzt passieren könnte. Hatte er mich die ganze Zeit, wo er mich beschützt hatte, nur den Hintergedanken gehabt, dass er mich als Erstes besitzen wollte. Sanft strich er mir über die Wange, „Du bist so wunderschön. Sei nicht so misstrauisch, ich tue dir nichts“, sagte er leise. Bevor ich auch nur reagieren konnte, nahm er mein Gesicht in seine Hände und küsste mich. Ich traute mich nicht, ihn zurück zu stoßen. In diesem Moment wurde mir klar, wie sehr ich mich verändert hatte. Was war nur los mit mir? Früher hätte ich niemanden so nah an mich heran gelassen, doch jetzt…Ich bin schwach geworden, so schwach. Früher hatte ich noch Mut, doch jetzt….
Ich hoffte, ich könnte mich irgendwie befreien, irgendwie verschwinden. Überraschenderweise, schienen meine Gebete erhört zu werden, denn jemand rief meinen Namen. Es schien wie ein Geschenk des Himmels. Ich nahm meinen Mut zusammen, löste mich vorsichtig von ihm und rannte weg, in die Richtung, woher die Stimme kam. Davor sagte ich noch schnell zu Raphael: „Verzeiht, aber man sucht mich, man sollte euch nicht in so einer verfänglichen Situation sehen“, bevor er noch etwas darauf erwidern konnte, war ich schon weg. Die Person, die meinen Namen gerufen hatte, entpuppte sich als Theresa. Ich war erleichtert, dass es Niemand anderes war. Ich hatte mir inzwischen mein Kleid wieder angezogen und strich es jetzt noch einmal glatt. Ich lächelte sie kurz an, blickte mich noch einmal zu Raphael um, den man nicht mehr erkennen konnte. „Ist da jemand? “, fragte Theresa mich, da sie wohl meinen Blick gesehen hatte. „Niemand, ich dachte nur, da wäre jemand, doch ich hatte mich wohl geirrt“, beeilte ich mich zu sagen, dann gingen wir zurück zum Zeltlager. „Du hättest aber nicht kommen müssen“, sagte ich lachend. Doch in Wirklichkeit war ich heil froh.

Seine Augen wanderten die ganze Zeit unruhig den See entlang. Vielleicht gab es noch ein Zeichen, dass sie noch lebte. Kurz nachdem er sich bei Raphael und Helene verabschiedet hatte, wurde das Kleid von Rachel hier, im See gefunden. Ulrich hatte sich nur von Raphael und Helene verabschiedet, weil er glaubte, Rachel wäre zu denen gelaufen um mit dem Reisezug ein Stück beschützt zu reisen. Doch anscheinend, war es nur reine Zeitverschwendung gewesen. Ihm kam sogar die Idee, sie wäre zu Raphael gegangen, ziemlich absurd vor. Er hatte ja zuerst gedacht, sie würde zu ihm gehen, weil sie miteinander geschlafen hatten, doch er wusste, sie liebte ihn und deswegen war diese Idee verrückt. Und jetzt war der Beweis für ihren Tod da. Er verstand es nicht. Es hatte ihn ziemlich wütend gemacht, dass Rachel zu seinem Vater geschickt worden war und diese ihn darauf schwer beleidigt hatte. Sie hatte ihn sogar geschlagen! So etwas derartiges, hatte noch kein Bediensteter gewagt. Es war für ihn unvorstellbar und er hatte es zuerst nicht geglaubt, doch als er mit seinem Vater darüber reden wollte, hatte dieser ihn brüsk aus seinem Gemach geworfen und ihm verboten, je diesen Namen Rachel wieder auszusprechen. Das verstärkte das Gerücht nur, als es zu widerlegen. Er fasste es nicht, so etwas würde Rachel nicht wagen. Doch dann schoss ihm die Erinnerung im Wald durch den Kopf. Sie hatte sich selbst bei ihm so ungebührlich verhalten und ihm wurde klar, dass sie sich zu nichts zwingen würde, bis zum bitteren Ende.
Es wunderte ihm aber immer noch, wie sie einfach so aus dem Gefängnis flüchten konnte, sie hatte wohl eine Gehilfin gehabt. In seinen Händen hielt er immer noch das Kleid. Er hatte es so gut wie nie beiseite gelegt. Er klammerte sich daran, als wäre dies ein Sakrament der Christenheit. Das war wohl alles nur seine Schuld. Hätte er sie nicht so schlimm behandelt, dann wäre das wohl auch nie passiert. Er hatte sie umgebracht. Durch seine Tat, dass mit dem Schäferstündchen mit Grethe und die Worte, die er ihr an den Kopf geworfen hatte. Er wusste selbst nicht, warum er das getan hatte. Irgendetwas in ihm hatte ihn dazu gezwungen. Es schien für ihn, als wäre er zu diesem Zeitpunkt, ein anderer Mensch gewesen. Oder bildete er sich das nur ein? Die Erinnerungen waren so bruchstückhaft. Er wusste es nicht.
Als die Sonne langsam unterging und die warmen Sonnenstrahlen nicht mehr sein Gesicht wärmen konnten, schreckte er aus seinen Gedanken. Er hatte mehrere Stunden am See gesessen und er hatte es noch nicht einmal gemerkt. Mühsam stand er auf, seine Füße waren taub. Er schleppte sich bis zu seinen Gemächern und sackte auf sein Bett. Er war zu erschöpft, um seine Augen noch offen zu lassen. Es fraß ihn auf, zu wissen, was er getan haben könnte, aber schlimmer waren die Worte von Rachel gewesen. Hatte sie wirklich noch andere gehabt? Doch gerade als er einschlafen wollte, klopfte es an der Tür und seine Mutter Katharina blickte hinein. Mühselig hob er seinen Kopf Richtung Tür. Katharina erschrak, als sie ihren Sohn so kraftlos auf dem Bett liegen sah. „Ulrich, hast du die Kräuter genommen? “, fragte sie, doch er musste ihr nicht antworten, sie wusste auch so die Antwort. Sie nahm das Säckchen von Ulrichs Sekretär und flößte ihm mit einem Becher Wein die Kräuter ein. Sie nahm ihren Sohn in die Arme und wiegte ihn hin und her, als wäre er noch ihr kleiner Junge, der sich das Knie verletzt hatte und deswegen weinte. „Schlaf jetzt, morgen wird es dir wieder besser gehen“, sagte sie mit einer sanften Stimme, die Ulrich an seine Kindheit erinnerte. Doch Ulrich schüttelte den Kopf, „Ich will sie wieder haben, Mutter, sie soll wieder kommen. Sie darf nicht tot sein.“ Katharina wusste sofort, von wem er sprach und sie erschrak. Als Ulrich sie gebeten hatte, Rachel ihm als Magd zu geben, dachte sie, er würde Rachel nur begehren. Es wäre nur ein Verlangen gewesen, genau wie es bei den anderen Mägden gewesen war. Doch jetzt schien es so, als wäre da mehr im Spiel gewesen…
Nach einiger Zeit war er endlich eingeschlafen. Sie bettete ihn sanft in sein Bett. Katharina ging vorsichtig hinaus, um Ulrich nicht zu wecken. Als sie zurück zu ihren Gemächern ging, machte sie sich klar, dass sie schnellstmöglich eine Braut finden musste, es konnte nicht ewig so weiter gehen. Ein kleines Lächeln huschte auf ihre Lippen. Obwohl nicht alles nach Plan verlaufen war und vieles nicht so geworden war, wie sie es sich vorgestellt hatte, war ihr Plan aufgegangen. Es würde sich jetzt alles wieder zum Guten wenden, dessen war sie sich sicher.

Ich war gerade dabei, Helene von Aquin Wein einzuschenken, als sich das Zelt öffnete und Raphael eintrat. Ich erschrak, ließ es mich aber nicht anmerken. Es waren einige Wochen vergangen seit dem Zwischenfall am Fluss. Ich war Raphael die ganze Zeit so gut es ging aus dem Weg gegangen. Doch es ließ sich nicht ganz vermeiden, zudem ich auch die Magd von seiner Tante war. Es erstaunte mich immer noch, wie einfach es war, jemandem in diesem Zeltlager aus dem Weg zu gehen. Seit dem Abend am Fluss wusch ich mich nie wieder alleine, ich ging immer mit den anderen Mägden mit, das war mir lieber, als das Geschehene noch einmal zu erleben. „Tante“, sagte er nachdem er mir einen Seitenblick zugeworfen hatte, „Wo sind wir jetzt eigentlich, es dürfte ja nicht mehr weit sein, bis wir die Hälfte des Weges zurückgelegt haben, oder?“ Helene sah kurz auf die Karte und sagte dann, „Wir müssen noch ungefähr zwei Wochen reisen, dann kommen wir endlich wieder zu einem größeren Ort, wo wir unsere Vorräte auffüllen können.“ Raphael nickte. Er sah mich an, doch ich wich seinen Blicken aus und sah zu Boden. Ich wusste, es konnte nicht ewig so weitergehen. Ich wartete in der Ecke, nachdem ich Helene und Raphael die Becher gegeben hatte, bis Helene mich wieder brauchte oder mich wegschickte. Als Raphael seinen Becher Wein ausgetrunken hatte, verabschiedete er sich von seiner Tante und blickte mich ein letztes Mal an, bevor er aus dem Zelt verschwand. Es verwirrte mich, sein Blick war gerade so undurchdringlich, so als wäre ihm etwas klar geworden. Helene nahm das Buch, dass auf dem Tisch in der Mitte lag und sagte zu mir: „Du kannst jetzt gehen, aber bleib in der Nähe.“ Ich nickte, knickste noch schnell und ging dann hinaus. Ich wollte zu Franz gehen, er briet gerade so leckere Bratwürste, vielleicht würde er mir ja eine abgeben, wenn ich nett fragte. Mir lief das Wasser schon im Mund zusammen, wenn ich an die Bratwürste dachte. Gerade als ich aus dem Zelt kam, packte jemand meinen Arm und zog mich ein wenig abseits vom Zeltlager weg. Es war Raphael. Mein Atem beruhigte sich langsam, dennoch blieb ich achtsam. Er legte seine Hand auf meinen Mund, bevor ich überhaupt etwas sagen konnte. „Ich weiß, du gehst mir schon die ganze Zeit aus dem Weg und das zu Recht, aber lass es mich erklären. Aber bitte schrei nicht.“ Ich nickte. Was würde es denn bringen, ich war nur eine Magd und hatte keinerlei Rechte. „Es tut mir leid, dass ich an dem Abend am Fluss dir zu nahe getreten bin. Ich hatte einfach zu viel Wein getrunken.“ Inzwischen lief er hin und her, doch dann blieb er abrupt stehen und sah mich mit schmerzerfüllten Augen an, „Dir wurde schlimmes angetan, oder? Deswegen bist du auch so abweisend? Dich hat jemand geschändet. Darum hattest du auch das gebrochene Handgelenk, das hat er dir angetan, habe ich Recht? “ Mich hätte nichts auf diese Frage vorbereiten können, es traf mich wie ein Schlag mitten ins Gesicht. Ich spürte, wie alle Farbe aus meinem Gesicht wich. Ich konnte ihn nur wortlos anstarren. Er erwartete wohl keine Antwort, er sah an meinem Gesicht, dass er richtig lag. Er ballte seine Hände zu Fäusten, „Und ich konnte dich nicht beschützen! Deswegen hatte ich mich betrunken und deswegen wurde ich so…deswegen hatte ich dich geküsst.“ Ich sagte immer noch nichts, konnte seine Vermutung nicht widersprechen, zu groß war der Schock, dass er so nah an meinem Geheimnis gekommen war. Ich verstand, warum er das getan hatte und lächelte ihn sachte an. Aber trotzdem, es machte mir Angst, dass es ihn so mitnahm. Ich durfte ihm keine Hoffnungen machen. Nicht noch einmal konnte ich das durchmachen. Es schnürte mir die Kehle zu, ein stehender Schmerz machte sich in meiner Brust breit. Doch etwas war anders. Erst jetzt bemerkte ich, dass dies körperlicher Schmerz und kein Seelischer war. Mir schnürte etwas die Luft ab. Ich rang nach Luft, doch es half nichts. Meine Augen weiteten sich, ich versuchte vergeblich nach Luft zu schnappen. Raphael sah mich mit Panik in den Augen an, er wusste nicht, was er tun sollte. Nach einer Weile schien es sich wieder zu bessern, ich bekam wieder Luft. „Alles in Ordnung? “, fragte Raphael, die Angst in seinen Augen war noch nicht verschwunden. Ich nickte nur und hastete schnell zurück, zu meinem Schlaflager. Dort wartete schon Theresa auf mich. Als sie mein Gesicht sah, wurde ihr Blick sorgenvoll, „Alles in Ordnung mit dir? “, ich konnte nur den Kopf schütteln und krächzte mühevoll, „Ich bekomme nicht richtig Luft“. Theresa verstand, sie kramte schnell ein paar Kräuter die Kräuter und schmierte diese unter meiner Nase. Als wäre dies nicht schon genug, fing mein Handgelenk wieder einmal an zu pochen. Es war angeschwollen und rot, doch ich beschloss, mich später darum zu kümmern. Ich hatte gedacht, es wäre jetzt endlich geheilt, doch es schien, als würde dies noch sehr lange dauern. Doch wenigstens bekam ich wieder genug Luft. Als Theresa sah, dass ich wieder Luft bekam und es mir besser ging, atmete sie erleichtert aus. Doch im nächsten Moment wurde sie blass und sah mich erschreckt an, „Das hatte ich ganz vergessen, du sollst zur Herrin gehen.“ Auch ich erschrak bei ihren Worten. Meine Lippen zitterten vor Angst. Ich sah Theresa noch kurz ängstlich an, dann rannte ich zu Helenes Zelt. Ich versuchte mich ein wenig zu beruhigen, doch nur die Vorstellung, was Helene mit mir anstellen würde, weil ich mich scheinbar ihren Befehlen widersetzt hatte, versetzte mich in Panik. Ich trat ein, knickste vor ihr und wollte mich schon wortreich entschuldigen, als sie ihre Hand hob und mir befahl, den Mund zu halten. Ihr Blick fiel auf mein Handgelenk, dann blickte sie mich an, „Was ist mit deinem Handgelenk, sollte dies nicht schon längst verheilt sein? “, fragte sie mich. Anscheinend erwartete sie keine Antwort, denn als Raphael hereinkam, sagte sie zu ihm: „Raphael, kannst du bitte den Doktor holen? “ Dieser nickte überrascht und ging gleich wieder hinaus. „Verzeiht, doch das ist wirklich nicht nötig“, beeilte ich mich zu sagen, ich wollte nicht zu sehr auffallen. Helene schüttelte jedoch den Kopf, „Doch, das ist es sehr wohl, du brauchst ein gesundes Handgelenk um meine Befehle gut auszuführen. „Bitte, ich brauche das nicht, ich kann auch so gut arbeiten. Ihr müsst wegen mir kein größeres Aufsehen erregen“, meine Stimme hörte sich panisch an, dessen war ich mir bewusst. Nur zu tief saß meine Erinnerung, an die Peinigung der andern Mägde, wenn sie erzürnt waren. Helene jedoch zog nur ratlos ihre Braue hoch. Nach wenigen Minuten kam Raphael mit dem Doktor, namens Conrad, zurück. Dieser sah sich eingehend das Handgelenk an und sagte dann mit seiner beruhigenden Stimme: „Das Handgelenk war gebrochen, habe ich Recht? Es ist falsch verheilt, obwohl es sehr gut verarztet wurde, deshalb muss es noch einmal gebrochen werden. Du hast mit Kräutern das Handgelenk einmassiert, oder?“ Ich konnte nur nicken. Mir fehlten einfach die Worte. Das Handgelenk musste wieder gebrochen werden, um es dann richtig einzurenken! Es machte mir Angst, ich wusste, es würde wieder wehtun. „Das…das muss doch nicht sein, es ist doch alles in Ordnung, ich brauche nicht…“. „Setzt dich hin“, befahl Helene unnachgiebig und blickte mich fest an. Ich setzte mich kleinlaut auf den Stuhl, der herbeigeschafft wurde. Mein Körper fing an zu zittern, doch ich versuchte es so gut wie möglich zu verstecken. Raphael sah mich mitfühlend an und lächelte mich aufmunternd an. Doch das half mir nicht. Ängstlich sah ich den Doktor an. Dieser sagte zu Helene und Raphael, „Ich brauche noch einen starken Mann, der sie festhält.“ Raphael schlug vor, dass er das doch machen könnte, doch Helene hielt ihn zurück, „Nein, das kann jemand anderes machen und nickte Edith, ihrer zweiten Magd, zu, jemanden herbeizuschaffen. Diese verschwand dann auch aus dem Zelt und kam dann auch gleich mit einem Mann zurück. Es war Julien, einer von Helenes Leibwache. Ich hatte ein paar Mal mit ihm geredet, doch das war auch alles gewesen. Conrad gab ihm die Anweisung mich festzuhalten. Julien sah mich tröstend an und sagte zu mir leise, „Gleich ist es ja zu Ende“. Ich lächelte ihn kurz an und bevor ich mich überhaupt darauf vorbereiten konnte, nahm Conrad mein Handgelenk und brach es. Es tat schrecklich weh, aber nicht so sehr wie damals Grethe. Ich schluckte meine Tränen hinunter und versuchte nicht zu schreien. Dennoch entwischte meinen Lippen ein kleines Wimmern. Ohne Vorwarnung machte er weiter, und renkte mein Handgelenk ein. Dies tat noch mehr weh. Eine einzelne Träne tropfte meiner Wange entlang. „So, schon fertig. Jetzt muss das Handgelenk noch verbunden werden“, sagte Conrad, sah mich noch einmal begütigend an. Trotz seiner Verwunderung, eine Magd zu behandeln, verband er mir seelenruhig das Handgelenk. Er wusste, er würde sowieso keine Antwort bekommen. Er stellte schon lange keine Fragen mehr.
Ich atmete noch ein paar Mal tief durch, dann stand ich auf und knickste trotz meinen Schmerzen vor Helene und Raphael, „Wünscht Ihr noch etwas?“ Helene schüttelte lächelnd den Kopf und entließ mich. Ich atmete erleichtert aus und trat aus dem Zelt. Ich lächelte Julien dankbar an und ging zu Theresa. Diese lächelte, als sie mich sah. Aber jetzt konnte ich meine Tränen nicht mehr zurückhalten. Vergeblich versuchte ich aufzuhören, leiser zu sein, um kein Aufsehen zu erregen. Theresa nahm mich in ihre Arme und bettete mich zum Schlafen hin. Ich dachte an die vergangenen Wochen und mir wurde klar, ich war wirklich schwach geworden. Das musste sich ändern, aber erst einmal musste ich mit Raphael reden. Er konnte mich nicht die ganze Zeit zu mir kommen, das würde nur wieder Ärger geben. Nach einiger Zeit schlief ich schließlich ein.

Am nächsten Morgen brachen wir wieder ziemlich früh auf und ich hatte einfach keine Zeit, mit Raphael zu sprechen. Stattdessen kam Julien zu mir. Überrascht sah ich ihn an, „Was machst du denn hier? Musst du nicht vorne, bei den anderen sein und die Herrin bewachen?“ Er lächelte, „Ach, das ist nicht so schlimm. Bestimmt haben sie noch nicht einmal bemerkt, dass ich weg bin“ Ich lächelte zurück, „Na dann. Du, ich wollte mich bei dir bedanken, dass du mir gestern Mut gemacht hast“ Er zuckte mit den Schultern, „Nicht der Rede wert. Wie geht es deinem Handgelenk?“ Ich betrachtete mein Handgelenk, die Schwellung war weitgehend zurückgegangen, doch es tat immer noch sehr weh. „Es geht, es tut noch ziemlich weh“. „JULIEN! “, kam es von einem Freund von Julien, ich hatte den Namen vergessen. Julien sah mich bedauernd an, „Jetzt muss ich wirklich gehen, wir sehen uns dann später, ja?“ Ich nickte. Stirn runzelnd blickte ich ihm nach. Musste ich mir noch einen vom Leib halten? Wir liefen weiter, bis es dunkel wurde, dann schlugen wir wieder das Nachtlager auf. Gerade als Theresa und ich etwas gegessen hatten, kam Julien. Er grinste und hielt eine Schale in der Hand, „Kann ich etwas von euch haben, es riecht so lecker“ Ich nickte lächelnd und wollte ihn gerade etwas fragen, als ich Raphael entdeckte. Ich stand schnell auf, entschuldigte mich kurz, dann ging ich zu Raphael. Dessen Gesicht leuchtete auf, als er mich auf sich zu kommen sah. Bevor ich jedoch etwas sagen konnte, sagte Raphael, „Hey, kommst du mit mir zum Fluss? “ Ich zögerte, das wäre wirklich nicht gut, aber ich konnte ihm das doch nicht so einfach abschlagen. „Komm.“, lächelte er und nahm mich an die Hand. Ich wusste nicht, was ich tun sollte, ich konnte ihn doch nicht so einfach sagen, dass ich nicht mit ihm zu Fluss gehen wollte. Trotzdem blieb ich auf einmal stehen. Raphael sah mich fragend an. Ich schluckte, „Verzeiht, doch ich möchte nicht mit euch zum Fluss gehen, wirklich nicht. Ich…ich glaube es wäre besser, wenn wir nicht mehr miteinander reden würden, also nicht so vor allen anderen. Ich möchte nicht…ich möchte keinen Ärger und es steht euch nicht zu, mit jemanden wie mich zu verkehren oder so mit mir zu reden, wie Ihr es tut.“ Ich hoffte, er würde nicht sauer werden, doch er schien ganz ruhig zu sein. Er lächelte, „Ja, das wäre wohl das Beste. Wie geht es deinem Handgelenk? “, fragte er. Ich war froh, dass er das Thema wechselte, „Es tut noch sehr weh.“ Sanft strich er mir eine Strähne aus dem Gesicht, „Gut. Es scheint so, als würde meine Tante dich mögen, so etwas hatte sie noch nie getan, für ihre Bedienstete.“ Ich musste mich beherrschen, nicht zusammenzuzucken als er mich berührte und sah ihn noch einmal kurz lächelnd an, dann ging ich langsam zurück, zu den anderen. Ich war erleichtert, dass dies so gut gelaufen war. Als ich wieder an meinem Schlafplatz war, erwarteten mich Theresa und Julien schon. „Wo warst du denn?“, fragte mich Julien. Ich zuckte mit den Schultern, „Mädchengeheimnis“, sagte ich lächelnd. Theresa und er mussten lachen. Gerade als ich mich zu ihnen gesetzt hatte, erfasste mich eine heftige Übelkeit, dass ich in den Busch rannte und mich übergab. Als dies endlich vorüber war wischte ich mir die Reste von Übergebenem von meinem Mund weg. Theresa sah mich besorgt an, „Alles in Ordnung?“ Ich nickte, „Ja, ich habe wohl nur was Falsches gegessen.“ Ich lachte auf, damit sie sich keine Sorgen mehr machten. Wir redeten noch die ganze Nacht, erst als der Mond, hell am Himmel erschien, gingen wir schlafen. Als wir am nächsten Morgen wieder aufbrachen, hatte ich den Vorfall gestern schon fast vergessen. Doch als wir Pause machten, erfasste mich eine weitere Übelkeitswelle. Ich hoffte, niemand hatte dies gesehen. Doch ich lag falsch, Theresa sah mich, doch sie sagte nichts. Ich machte mir keine Gedanken darüber, ich dachte nur, ich hätte eine Magenverstimmung. Jeden Morgen, kurz nachdem ich aufgewacht war, kam diese Übelkeit wieder. Allmählich wunderte es mich, doch ich war ratlos, was konnte ich tun? Ich versuchte es so gut wie möglich zu verstecken, es wäre nicht gut, wenn jemand dies bemerkte. Langsam machte ich mir Sorgen, ich war schon genug aufgefallen, wegen meinem Handgelenk. Früher hatte ich Magdalena, die mir immer zur Seite stand, doch jetzt, hatte ich niemanden. Ich hatte mich geirrt, obwohl ich es so gut verborgen hatte, wie es nur ging, hatte Theresa es bemerkt. Sie kam an einem Abend, kurz nachdem wir etwas gegessen hatten, zu mir und sah mich mit einem ernsten Blick an, „Rachel, ich hab da mal eine Frage. Ich weiß das hört sich jetzt komisch an, aber wann hattest du das letzte Mal deine Monatsblutung?“ Verwirrt sah ich sie an, warum wollte sie das denn wissen? Je länger ich über diese Frage nachdachte, wurde mir klar, ich hatte schon lange nicht mehr meine Monatsblutung. Ich erbleichte und starrte Theresa an. Nein, das konnte nicht sein! Das durfte nicht sein! Theresa sah mich mit sorgenvoller Miene an und sprach meinen Gedanken aus: „Du erwartest ein Kind“

Wütend schmiss er den Stuhl gegen die Wand. Dieser zerbrach in tausend Stücke. In seinen Augen loderte die Wut. „Lass mich endlich in Ruhe damit“, schrie er. Katharina erbleichte, als sie ihren Sohn so sah, „Aber…“, „Nichts aber, ich will nicht mit irgend so einer verheiratet werden. Ich habe es satt, die ganze Zeit darüber zu reden. Lass mich endlich in Ruhe damit“ Katharina musste sich immer wieder ins Gedächtnis rufen, dass dies nicht ihr Sohn war, dass es einen anderen Grund gab, den ihn so aggressiv machte. „Aber, mein Sohn, ich will doch nur das Beste für dich“, versuchte sie ihn zu beruhigen. Doch das schien ihn nur noch wütender zu machen. „Ich brauche das nicht, ich will kein dummes Weib. Was ich brauche, gibt es nicht mehr, also lass mich in Ruhe. Du kannst es mir nicht geben, also Raus!“ Katharina tat dies. Es beunruhigte sie, was sollte sie nur tun, damit er sich endlich dazu entschloss, jemanden zu heiraten. Doch ihr wurde langsam klar, Ulrich würde niemanden heiraten. Mit Schrecken musste sie mit ansehen, wie Ulrich immer mehr von seinen eigenen Dämonen heimgesucht und ganz langsam zerstört wird. Seufzend ging sie in ihre Gemächer zurück, ihre Gäste waren ja schon gegangen. Sie hatte viele heiratsfähige Mädchen aus dem Umfeld eingeladen, damit Ulrich sich die Mädchen anschauen konnte, doch anstatt dies zu tun, hat er sich in seinem Zimmer vergraben oder irgendwelche Ausflüchte gesucht, um nicht mit den Mädchen reden zu müssen. Sie wollte ihn doch nur dazu bringen, sich für ein Mädchen zu entscheiden.
Doch dies war wohl fehlgeschlagen.
Ulrich atmete noch einmal tief ein, um sich zu Beruhigen. Er wusste selbst nicht, warum ihm das so wütend machte. Es ärgerte ihn zwar, doch eigentlich hatte er sich immer unter Kontrolle und rastete nicht so aus. Es klopfte an der Tür und Ulrich versuchte sich zu beruhigen, er wollte doch einfach nur in Ruhe gelassen werden. „Ja?“, sagte er unwirsch. Grethe trat ein und hatte ein Tablett zu Essen dabei. „Ich bringe das Frühstück, mein Herr“, sagte sie. Grethe stellte das Tablett auf das Bett ab und lächelte ihn mit ihrem, wie sie denkt, unwiderstehlichstem Lächeln an. Obwohl er Grethe überhaupt nicht anziehend fand, kam er mit einem spitzbübischen Lächeln auf sie zu, packte sie und drückte sie gegen die Wand. Er schob ihr Kleid hoch und betrachtete ihren wohlgeformten Körper. Grethe wollte nicht warten, bis Ulrich endlich in sie eindrang und machte seine Hose auf und nahm ihn in ihre Hand. Als sie ihn befriedigt hatte, schickte er sie schnell weg. Es störte ihn nicht, wie gekränkt sie ihn ansah. Er raufte sich die Haare, was machte er die ganze Zeit nur? Nicht zum ersten Mal, stellte er fest, es schien, als wäre er ein anderer Mensch. Nicht zum ersten Mal dachte er wieder an seine geliebte Rachel. Wieder einmal hatte er sie verraten, wie seine Tat eben gerade bewies. Er verspürte das Bedürfnis, schwimmen zu gehen. Ihn erinnerte der See so sehr an Rachel. Dort fühlte er sich ihr nah. So ging er zum See. Dort setzte er sich erst einmal an den Steg. Er ließ seine Beine im Wasser baumeln. Hier, hatte sie angefangen ihm zu vertrauen. Das hatte er gespürt, als er sie im Wasser getragen hatte. Dann sprang er hinein ins Wasser. Es war schön kühl. Nach einer Weile ging er schließlich wieder zurück, dabei merkte er, dass er vergessen hatte, die Kräuter zu nehmen. Doch er nahm es mit einem Schulterzucken hin, es war ja nicht so schlimm. Er wollte gerade um die Ecke biegen, als er Stimmen hörte. Er erkannte die eine, als die von Grethe. Diese sagte gerade: „Ich hatte heute wieder ein Schäferstündchen mit Ulrich. Es war so schön, obwohl er mich dann immer gleich wieder weggeschickt hatte. Irgendwann wird ein Balg von ihm unter meinem Herzen sein und dann wird er mich bestimmt nicht mehr so schnell wegschicken. Wie hatte diese Hure das nur geschafft? Ich habe wirklich alles versucht. Es war gut, dass wir ihr gezeigt hatten, wo sie wirklich hingehörte, sonst wäre sie noch mehr abgehoben.“ Als Ulrich dies hörte, wurde ihm klar, dass Rachel Feinde in den eigenen Reihen hatte. Gleichzeitig fiel ihm ihr Handgelenk ein, das gebrochen war, sie hatte so nervös gewirkt, als sie ihm erklärt hatte, wie das passiert war. Er musste Gewissheit haben, war das wirklich ein Unfall gewesen? Darum ging er schnell zu Magdalena, wenn einer wüsste, ob das wirklich ein Unfall gewesen war, dann sie. Magdalena sah ihn verwundert an, als er hineinkam. Schnell knickste sie vor ihm, „Was kann ich für euch tun, mein Herr?“, „Du hast doch das Handgelenk von Rachel verarztet, oder?“, er bemerkte wie sich Magdalena anspannte und ihr Blick wurde vorsichtig, als er weiter sprach, „ Dann weißt du doch bestimmt auch, ob das Handgelenk absichtlich gebrochen wurde, oder nicht? “ Er schien völlig ruhig zu sein. Magdalena nickte zögernd, „Eh…nun ja…also…“, Magdalena stotterte herum. Ulrich sah sie ungeduldig an und Magdalena atmete tief durch und sagte dann, „Das war ein Unfall, ganz sicher… also ich meine…ich weiß nicht, ich kann das nicht so genau feststellen…das müsste jetzt aber wieder verheilt sein, wenn sie…eh…ich meine…“ Ulrich sah Magdalena verwirrt an, sie hatte es gerade so gesprochen, als würde Rachel noch leben“, „Magdalena…“ Die Hausmutter erbleichte, jetzt hatte sie sich versprochen. Sie lächelte scheinbar ungezwungen, „Ich meine, wenn sie noch leben würde, wäre das Handgelenk jetzt verheilt.“ Für Ulrich hörte es sich so an, als wäre es nur eine Ausrede, als wolle sie etwas verbergen. Doch er ließ es jetzt darauf beruhen, er hatte ja das bekommen, was er wollte. Er machte sich auf den Weg, zu seinen Gemächern. Er hatte ganz vergessen, dass Grethe und ihre Freundin auf dem Weg dort noch standen. Denn er hörte wieder ihre Stimmen und wollte schon einen anderen Weg gehen, denn er wollte Grethe heute nicht mehr sehen oder hören, als Grethe plötzlich sagte: „Schade, das Rachel sich umgebracht hat, ich hätte zu gern gesehen, wie sie ausgepeitscht worden wäre. Wie ihr schöner Körper verunstaltet gewesen wäre. Dann hätten die hohen Herren sie abstoßend gefunden und hätten mich gerufen. Doch sie musste sich ja unbedingt umbringen. Nun, das ist ja auch nicht so schlecht.“ Da sagte die andere Stimme, „Ich sage dir jetzt was, dass darfst du niemandem anderem sagen, okay? “ Ohne eine Antwort zu warten, sagte die Magd, „Ich habe gehört, wie Michael zu Magdalena gesagt hatte, wie er Rachel aus dem Tor gebracht hatte. Das bedeutet doch, dass sie noch lebt. Sie ist nur abgehauen“ Ulrich hörte sich fassungslos diese Worte an und er konnte sie einfach nicht glauben. Jetzt machte alles einen Sinn. Warum sich Magdalena so seltsam benommen hatte. Das würde auch erklären, wie sie aus dem Gefängnis entkommen war, Magdalena hatte ihr geholfen. Jetzt gaben die Worte von Magdalena auch einen Sinn. Doch zuerst musste er zu diesem Michael. Er eilte zu dem Turm. Schnell fand er Michael. Dieser starrte seinen Herrn verwundert an, denn dieser atmete schnell, als wäre er gerannt. „Michael, ich stell dir jetzt eine Frage und du musst sie mir wahrheitsgemäß beantworten“ Michael nickte. „Hast du Rachel aus dem Tor gelassen?“ Dieser zögerte, „Ja.“ Voller Angst sah Michael seinen Herrn an, würde dieser ihn jetzt bestrafen? Doch Ulrich tat nichts dergleichen er nickte scheinbar ruhig, klopfte Michael kurz auf die Schulter und ging dann davon. In seinem Kopf brodelte es. Rachel lebte, Rachel lebte, sie lebte!! Für einen Moment war er so glücklich, er hätte Bäume ausreißen können. Da wurde ihm aber klar, er würde sie dennoch nie wieder sehen. Sie war jetzt verschwunden, für immer. Vielleicht war sie sogar schon tot. Er ertrug diesen Gedanken nicht. Es machte ihn verrückt, zu wissen, dass sie noch gelebt hatte und er sie hätte suchen können, aber jetzt schon tot sein könnte. Er lief im Zimmer auf und ab. Nach einer Weile, rief er Magdalena zu sich. Diese sah ihn ziemlich nervös an. Wut stieg in ihm auf, „Wo ist sie? In welche Richtung ist sie gelaufen und verdammt noch mal wo wollte sie hin?!“ Magdalena zuckte zusammen, „Ich weiß es nicht. Sie hat mir nicht gesagt, wo hin sie wollte. Ich schwöre es! “ Ulrich konnte die Angst in ihren Augen sehen, und er wusste, sie sprach die Wahrheit. Doch dies schmälerte nicht seine Wut. „Dir ist klar, dass es noch ernste Konsequenzen für dich geben wird, weil du ihr aus der Zelle geholfen hast“ Magdalena sah zu Boden und nickte. „Nun geh, ich will dich nicht mehr sehen. Schick aber Grethe zu mir.“ sagte Ulrich. Seine Wut war scheinbar verraucht. Magdalena hob ihren Kopf, als sie Ulrichs Worte hörte. In ihrem Gesicht lag Entsetzten. Ihr wurde klar, dass Ulrich wusste, was Grethe getan hatte und dass ihre Lügen aufgedeckt wurden. Doch sie wagte nicht, etwas zu sagen, sie hatte Angst, noch härter bestraft zu werden, wenn sie versuchte, Grethe zu beschützen. Grethe hatte eine Strafe zwar verdient, doch sie wusste, Ulrich war unberechenbar. Er würde ihr Schlimmes antun. Sie ließ ihren Kopf hängen, und ging hinaus, um Grethe zu suchen. Wenige Augenblicke später kam Grethe herein. Auf ihrem Gesicht lag ein zufriedener Ausdruck. Sie hatte nur ein Laken um ihren Körper geschlungen. Sie hatte nur darauf gewartet, dass Ulrich sie endlich zu sich rief. Ulrich stand mit dem Rücken zu ihr und als er sich zu ihr umdrehte, ließ sie das Laken fallen. Sie ging langsam auf ihn zu. Sie bemerkte nicht den Ekel in seinen Augen. Er ging langsam zu seinem Sekretär und nahm ein paar Kräuter aus dem Säckchen. Als er in das grinsende Gesicht von Grethe sah, erinnerte er sich an die Schmerzen, die Rachel gehabt hatte, wegen dem Handgelenk, obwohl sie das nie gezeigt hatte. Erneut stieg Wut in ihm auf, doch diesmal war es etwas anderes. Es war eine mörderische Wut. Er sah Grethe, wie sie Rachel hämisch ansah, als sie Rachel das Handgelenk gebrochen hatte und Rachel allein und hilflos am Boden lag. Er packte sie am Hals und presste sie gegen eine Wand. Das Lächeln auf ihrem Gesicht starb und Angst blitzte in ihren Augen auf. Sie wagte nicht, sich zu bewegen. „Du..“, sagte Ulrich bedrohlich leise, „hast das Handgelenk von Rachel gebrochen! “ Grethe schüttelte Panik erfüllt den Kopf. Ulrich lachte leise und drückte noch ein wenig fester zu, „Oh doch. Ich weiß es. Du hast ihr Schmerzen bereitet, jetzt werde ich dir Schmerzen bereiten“ Tränen liefen Grethe über die Wange, sie konnte nicht schreien und sie wusste, es hätte auch nichts gebracht. Er ließ sie los und lief im Zimmer herum. Grethe fiel währenddessen auf den Boden und schnappte nach Luft. „Bitte, Herr, lasst Gnade walten. Ich trage euer Kind, unter meinem Herzen“, krächzte Grethe mühsam. Ulrich lachte hart auf, „Du warst ein Grund, dass sie weggelaufen ist“, sagte er, es ließ ihn kalt, dass sie sagte, sie wäre in anderen Umständen, denn er wusste, sie log. Und wenn es auch wahr wäre, in diesem Moment kümmerte ihn es wenig. Was hatte er mit so einem Balg, wie dem von dieser Dirne. Er kam auf sie zu, betrachtete sie einen Moment, wie sie zusammengekrümmt auf dem Boden lag, „Tut es weh?“ und bevor Grethe überhaupt reagieren konnte, trat er zu. Immer und immer wieder. Doch irgendwann wurde ihm bewusst, was er tat. Einen Augenblick lang, sah er Grethe zu, wie sie sich am Boden krümmte, dann rief er eine Magd, die Grethe dann wegschaffte. Er fühlte Genugtuung.
Für diesen einen Moment.
In den nächsten Tagen spuckte nur ein einziger Gedanke in seinem Kopf und es machte ihn verrückt, keine Antwort bekommen zu können:
Hatte Rachel ein Kind von ihm erwartet?


Helene von Aquin verspürte das Verlangen an diesem sonnigen Tag spazieren zu gehen. Raphael bot ihr sofort an, sie zu begleiten. Doch Helene wollte in Ruhe und allein die schöne Landschaft genießen. In den letzten Wochen wurde Raphael von einer inneren Unruhe gepackt, sie machte sich langsam große Sorgen um ihren Neffen. Sie war fast an dem Fluss angekommen, als sie Gelächter hörte. Eigentlich wollte Helene sich abwenden und einen anderen Weg einschlagen, doch sie wollte sehen, wie sich ihre Bediensteten verhielten, wenn sie nicht in der Nähe war. Langsam kam sie näher, darauf bedacht, nicht entdeckt zu werden.
Die beiden Mägde merkten nicht, dass sie nicht mehr allein waren, sie plauderten munter weiter. „Hast du dieses Muttermal auf ihrem Rücken gesehen? Ich sage dir, sie könnte vielleicht von fürstlichem Blut abstammen“, sagte die eine Magd und sah ihre Freundin aufgeregt an. Die andere Magd lachte, „Aber Emma, du kannst doch nicht jedes Mal behaupten, dass wenn du ein Muttermal siehst, dass diese Person Adlig ist. Es muss schon wirklich außergewöhnlich sein“. Die Magd namens Emma nickte eifrig, „Das ist es ja, Martha, ich sage dir, es ist wirklich außergewöhnlich. Ich kann es leider nur sehr schlecht beschreiben“ Martha sah ihre Freundin zweifelnd an, „Also ich weiß nicht, wen meinst du denn überhaupt?“ Helene hielt den Atem an, konnte es wirklich sein, dass sich unter den Mägden eine Adlige versteckte? Emma sah ihre Freundin mit leuchtenden Augen an, „Es ist diese neue Magd, Rachel“
Mehr musste Helene nicht mehr hören, sie wusste, was sie zu tun hatte. Schnell ging sie zurück zu ihrem Zelt. Gepackt von der Neugier, ob Rachel wirklich eine Adlige war, rief sie nach ihrer Magd. Als diese endlich kam, sagte sie: „Edith, suche Rachel und bringe sie her“

Gerade wischte ich mir den Schweiß von meiner Stirn. Es ist sehr warm und ich musste noch dazu die Wäsche waschen. Wie ich das hasste. Da kam Theresa. Ich wusste, warum sie gekommen war. Seit sie mir vor einigen Tagen offenbart hatte, ich könnte ein Kind erwarten, konnte ich meine Gedanken nicht mehr zurückhalten. Ich wollte nicht daran denken, dass ich Ulrichs Kind unter meinem Herzen trug. Es ist einfach zu unerträglich. Jede Nacht weinte ich, leise, damit es niemand hörte, dass niemand merkte, was mit mir los war. Nur Theresa schien es zu spüren. Sie versuchte schon die ganze Zeit, mit mir zu reden. Doch ich kann nicht! Ich wollte nicht, dass Theresa mich zwang, den Tatsachen ins Gesicht zu blicken. Sie lächelte leicht, „Soll ich dir helfen?“, fragte sie. Ich nickte wortlos. Sie sah mich vorsichtig an. Ich ahnte schon, was sie jetzt sagen würde. „Wollen wir zu Gisela gehen, damit sie dir Gewissheit bringt, ob du ein Kind erwartest?“, fragte sie zaghaft. Ich zuckte bei ihren Worten zusammen und konzentrierte mich auf meine Arbeit. Doch schließlich seufzte ich, „Nein, ich glaube das ist nicht nötig und es müssen ja nicht noch mehr Leute wissen, dass ich in anderen Umständen bin.“ Theresa strich eine Strähne aus meinem Gesicht, „Willst du mir nicht erzählen, was los ist?“ Ich hielt es nicht mehr aus, es war einfach zu viel. Tränen tropften auf den Boden. Vorsichtig nahm mich Theresa in den Arm, „Keine Sorge, es wird alles wieder gut“, ich musste bei ihren Worten traurig lächeln, „Es war noch nie etwas gut gewesen.“ Theresa starrte mich bestürzt an, dann lächelte sie, „Ich glaube trotzdem, dass alles wieder gut wird.“ Ich musste bei ihren Worten lachen. Dennoch, hatte mich dies ziemlich aufgewühlt. Meine Gedanken ließen sich einfach nicht mehr stoppen. Augenblicke schossen mir durch den Kopf. Es waren die mit Ulrich. Unsere erste Liebesnacht und die zahlreichen anderen Liebesnächte, die dazu geführt hatten, dass jetzt ein kleines Lebewesen in meinem Bauch heranwuchs. Es wurde mir einfach zuviel. Ich musste weg, ganz weit weg. Ich murmelte schnell etwas, dann rannte ich weg. Theresa blickte mir sorgenvoll nach, doch sie folgte mir nicht. Sie wusste, ich musste jetzt allein sein. Durch meinen Tränenschleier konnte ich nicht entdecken, wohin ich lief. Es war mir auch egal, einfach nur weg. Die Tränen flossen, die Gefühle, die unvergesslichen Augenblicke kamen zurück. Sie übermannten mich, wollten mich erdrücken. Neben mir tauchte Raphael auf. Sein Lächeln verschwand, als er mich sah. „Rachel...“, sagte er, doch ich hörte nicht zu, ich musste weg, den Gedanken entfliehen. Plötzlich hielt mich jemand fest. Ich blickte auf und sah das beunruhigte Gesicht von Raphael. „Was ist los?“, ich konnte nur stumm den Kopf schütteln. Ich wollte alles vergessen, den Schmerz, die Liebe, alles. „Lass mich dir helfen“, flehte er, „ich kann es nicht ertragen, dich so zu sehen“ Für einen Moment starrte ich ihn an, Lass mich dir helfen…Die Worte drangen durch den Schmerz, erfassten mein Herz. „Dann lass es mich vergessen“, schluchzte ich plötzlich. Ich wusste nicht mehr, was ich tat. Ich wollte nur vergessen. Raphael verstand. Er nahm mein Gesicht in seine Hände und küsste mich, ganz sachte. Seine Lippen liebkosten meinen Hals, meinen Körper, meine Seele. Wieder erfasste mich diese verhasste Unruhe.
Ich liebe dich, hatte er gesagt,
Ich liebe dich
Er bettete mich sanft in das Laub, doch ich wollte nicht mehr warten, ich konnte diesen Schmerz einfach nicht ertragen. Doch plötzlich erstarrte Raphael. Er blickte mir einen Moment in die Augen, dann sprang er fluchend auf. „Nein Rachel das geht nicht!“ Er lief hin und er, nur mit einer Hose bekleidet. Ich erhob mich, Wut stieg in mir auf, „Warum nicht? Warum geht das nicht, du sagtest du hilfst mir, dann lass es mich vergessen, bitte lass es mich vergessen!“ Ich rannte auf ihn zu, trommelte gegen seine Brust, „Lass es mich vergessen, oh bitte, ich flehe dich an, lass es mich vergessen!“ Einen Augenblick ließ Raphael sich das gefallen, dann nahm er meine Hände und drückte mich an sich. Stark und schützend legten sich seine Arme um mich. Beruhigend murmelte er ein paar Wörter, die ich nicht verstand. Mein Körper wurde von Schluchzern durchzuckt. Bitte, lass es mich vergessen! Warum nur? Konnte ich denn nicht endlich meinen Frieden machen? Warum ließ er mich nicht frei? Als ich mich wieder ein wenig beruhigt hatte, blickte ich Raphael an. Dieser lächelte sachte, „So ist es doch besser“ Mein Atem beruhigte sich wieder, es schien vorbei. In diesem Moment wurde ich mir bewusst, was ich gerade getan hatte. Nein, das konnte doch nicht sein! Hatte ich jetzt schon wieder den gleichen Fehler gemacht? Hatte ich den überhaupt keinen Verstand?! Ich löste mich aus Raphaels Umarmung, wich ein paar Schritte zurück. „Verzeiht…Ich wollte das nicht! Verzeiht mir, bitte vergibt mir…ich muss…Verzeiht…“, stammelte ich, unfähig das Geschehene zu begreifen und rannte weg. Ich achtete nicht darauf, als er meinen Namen rief, ich musste nur weg. Was hatte ich nur getan? Als ich keine Luft mehr bekam, blieb ich stehen, ich hatte keine Ahnung, was ich jetzt tun sollte. Ich musste einfach meinen Verstand verloren haben.

Unruhig lief ich hin und her. Plötzlich rief jemand meinen Namen. Erleichtert stellte ich fest, dass es nicht Raphael war. Es war Edith. Sie seufzte erleichtert, „Da bist du ja. Rachel, du sollst zur Herrin kommen“ Ich sah sie verwirrt an und wurde nervös. Wusste Helene schon Bescheid? Hatte sie bemerkt, dass ich ein Kind in mir trug? Das konnte doch nicht sein. Ich hatte ein ungutes Gefühl als ich in Richtung Helenes Zelt ging. Unwirklich drehte ich mich um und entdeckte Raphael, der sich an einen Baum gelehnt hatte und nickte mir zu. Er hatte wohl gehört, dass ich zu Helene gehen sollte. Zögernd ging ich hinein. Helene saß auf einem Klappstuhl und starrte auf ihre Hände, als sie mich bemerkte. Sie stand auf, ging um mich herum und betrachtete mich von allen Seiten. Ich fühlte mich unwohl. In die Stille hinein sagte Helene zu den Mägden, „Haltet sie fest“, und bevor ich überhaupt reagieren konnte, hielten mich zwei Mägde fest. Angst loderte in mir auf, was hatte sie nur vor? Helene kam wieder auf mich zu und zog mein Kleid ein wenig hinunter, sodass meine Schultern entblößt waren. Zum ersten Mal sah ich Helene aufgebracht und nicht so kühl. Sie starrte meine Schultern an und ihre Augen wurden ganz groß vor Fassungslosigkeit. Sie setzte an zu sprechen, doch sie schwieg. Ihr Gesicht wurde blass und ihre Lippe zitterte und Tränen bildeten sich in ihren Augen. Ich verstand nicht warum. Was war nur los? Es würde doch keiner edlen Frau ausmachen, wenn ich, eine Magd schwanger wäre. Inzwischen hatten die Mägde mich losgelassen, so ging ich vorsichtig hinaus. Mich verwirrte das merkwürdige Verhalten von Helene. Vor dem Zelt stieß ich mit Raphael zusammen, der jetzt dort stand. Er war jetzt wieder völlig ruhig und entspannt. Er lächelte mich leicht an, und wollte gerade etwas sagen, als sein Blick auf meine Schulter fiel. Auch er sah mich fassungslos an, auch ihm fehlte die Sprache. Doch er schien sich schnell wieder zusammen zu reißen, denn er schob vorsichtig mein Kleid wieder hoch, damit meine Schultern wieder bedeckt waren. Dann winkte er Julien herbei und sagte zu ihm, „Bring Rachel in mein Zelt und bewache das Zelt. Es darf niemand hinein. Keiner darf hinaus und keiner darf hinein, verstanden?“ Ich wollte wütend auffahren, dass man mich nicht einfach so hin und herschieben konnte, aber eigentlich konnten sie das wirklich tun. Julien nickte. Er schien überrascht zu sein, doch er sagte nichts. Nachdem Raphael dies gesagt hatte, ging er in Helenes Zelt. Julien befolgte seinen Befehl und brachte mich in Raphaels Zelt. Ich verstand es nicht, was war denn los? Was ist denn mit mir? Und jetzt musste ich noch in diesem Zelt herumsitzen und warten, bis Raphael wieder kam. Wollte er mich jetzt zu Rede stellen, was in mich gefahren war? Ich hatte keine Ahnung.
Helene saß auf ihrem Stuhl, starrte auf ihren Boden und konnte es immer noch nicht fassen, was sich gerade offenbart hatte. Sie hatte noch nicht einmal bemerkt, dass Rachel hinausgegangen war. „Tante“, sagte Raphael leise und riss Helene damit aus ihren Gedanken. Sie blickte Raphael an und sah an seinem Gesicht, dass er es auch wusste. „Sie ist es“, sagte er immer noch durcheinander. Helen nickte wortlos. Sie konnte es immer noch nicht glauben. So viele Jahre hatten sie nach ihr gesucht und als die Hoffnung gestorben war, tauchte sie auf einmal auf. Helene war schon aufgefallen, dass Rachel sie an jemanden erinnert und sie hatte schon als sie sich kennen gelernt hatten gewusst, dass sie etwas Besonderes war, sonst hätte sie Rachel nie mitgenommen, aber sie hatte nie gedacht, dass sie...
Raphael nahm ihre Hand und lächelte immer noch verblüfft, „Gehen wir zu ihr.“ Helene zögerte, „Ich weiß nicht. Ist sie das wirklich?“ Raphael nickte lächelnd, „Es gibt keinen Zweifel. Wenn man euch beide so betrachtet, sieht man auch die Ähnlichkeit zwischen euch. Das war mir schon einmal aufgefallen, doch ich hatte gedacht, das wäre nur Zufall.“ Schließlich ließ sich Helene davon überzeugen und beide gingen zu Raphaels Zelt.
Ich betrachtete mir gerade das Zelt, es sah so anders aus, als das Zelt von Helene, als plötzlich das Zelt aufging und Helene und Raphael hineinkamen. Ich stand schnell auf. Doch beide schienen sich wieder beruhigt zu haben. Raphael schenkte sich Wein ein und trank einen Schluck, dann nickte er Helene aufmunternd zu. „Rachel…“, sie hatte ein Lächeln in den Augen, doch ihre Stimme hörte sich unsicher an, „Du hast ein außergewöhnliches Muttermal auf deinem Rücken“, und zur Bekräftigung ihrer Worte nahm Raphael ein Silbertablett und zeigte mir dieses Muttermal. Dieses Muttermal sah wirklich außergewöhnlich aus. Plötzlich entblößte auch Helene ihre Schultern. Sie drehte sich um, sodass ich ihre Schultern sehen konnte. Ich erstarrte, sie hatte das gleiche Muttermal auf den Rücken wie ich. Helene nickte lächelnd,
„Rachel, du bist meine Tochter“.

Ich konnte nicht aufhören, sie anzustarren. Das konnte nicht sein. Ich hatte Tränen in den Augen, „Nein, das kann nicht sein, du kannst nicht meine Mutter sein.“ Mit diesen Worten rannte ich hinaus, rannte einfach weg. Ich wusste nicht, wo hin ich rannte, einfach nur weg. Erst, als an dem Fluss war, hielt ich an. Mein Atem ging schnell, doch das störte mich nicht. Das konnte einfach nicht sein. Ich konnte nicht die Tochter von einer Fürstin sein. Das hieße ja, dass die Person, die mich nicht liebte, die mich weggegeben hat, die ganze Zeit in meiner Nähe gewesen war. Die ganzen Wochen. Ich konnte das einfach nicht begreifen, ich wollte das nicht begreifen. Es kamen Schritte näher. Als ich aufblickte, stand Raphael neben mir. Er setzte sich neben mich. „Hey“, sagte er leise, „ist es so schlimm, eine adlige Mutter zu haben? Also das finde ich nicht“, sagte er humorvoll. Ich sah ihn an, „Ich will nicht ihre Tochter sein. Sie hat mich weggegeben. Ich hatte neunzehn Jahre lang keine Familie, jetzt brauche ich auch keine Familie. Meine ersten Lebensjahre hatte ich bei einer Familie verbracht, die mich hasste. Dann wurde ich verkauft und niemand hatte mich je geliebt bis…“, ich verstummte, nein das war auch eine Lüge gewesen, niemand hatte mich je geliebt, „…man hat mich immer nur ausgenutzt. Vor Jahren hätte ich eine Familie gebrauchen können, sie kann jetzt nicht einfach ankommen, und sagen, sie wäre meine Mutter. Das geht nicht.“ Raphael sah mich erstaunt und zugleich kummervoll an, „Du glaubst, Helene hätte dich weggegeben? “, er musste lachen. Ich sah ihn fassungslos und verständnislos an. Darum beeilte er sich zu sagen, „Deine Mutter hat dich nicht weggegeben, sondern du wurdest entführt. Deine Familie hatte dich sehr lange gesucht, aber nie gefunden. Und keiner konnte ahnen, dass du so weit weggebracht wurdest“ Ich starrte ihn an, „Wirklich?“ Raphael nickte lächelnd, „Deine Mutter betete jeden Tag, du würdest wieder zu ihr zurückkommen. Es hat ihr das Herz gebrochen, dich nicht mehr bei ihr zu haben.“ Dennoch war ich mir immer noch nicht sicher, „Ich bin keine Adlige“ Er schüttelte den Kopf, „Du bist eine, du fühlst dich nur nicht wie eine Adlige.“ Ich zuckte mit den Schultern. Raphael hob mein Kinn hoch, sodass ich ihn anschauen musste, „Komm, gehen wir zu deiner Mutter.“ Ich zögerte, „Ich weiß nicht.“ Lächelnd stand er auf, „Komm, gib dir einen Ruck, du hast jetzt eine Familie.“ Er nahm meine Hand und ging mit mir zu Helenes Zelt. Doch als wir nun vor dem Eingang standen, packte mich neue Angst, ich wollte schon wieder umkehren, doch Raphael zog mich einfach mit ins Zelt. Helene schaute auf und lächelte, als sie mich sah. Zaghaft lächelte ich zurück. Schweigen herrschte im Raum, keiner wagte es, etwas zu sagen. Nachdem ich meinen Mut zusammen genommen hatte, fragte ich: „Wie…wie ist mein richtiger Name? “ Helene sah mich überrascht an, „Stimmt, den habe ich dir ja noch gar nicht genannt. Mein Mann und ich haben dich Charlotte-Mariella Sophie von Aquin getauft.“ Irgendwie gefiel mir der Name. „Es ist gut, dass wir bald in Koblenz ankommen, du musst angemessen eingekleidet werden“, sagte Raphael fröhlich, doch ich fühlte mich plötzlich so müde. Unmerklich gähnte ich. Lächelnd sah mich Helene an, „Du solltest schlafen gehen, mein Kind. Es war ein anstrengender Tag für dich gewesen. Du kannst hier schlafen, ich werde in Raphaels Zelt schlafen“, und blickte dann Raphael an, „Du wolltest heute doch unter den Sternen schlafen, wenn ich mich nicht irre?“. Raphael nickte und verschwand aus dem Zelt. Ich legte mich auf das Bett und streifte mir eine Decke über den Kopf. Augenblicklich schlief ich ein. Helene blieb noch für einen Moment und betrachtete ihre Tochter. Sie schlief so friedlich. Endlich, endlich hatte sie ihre geliebte Tochter wieder. Die lange Suche war endlich vorbei. Dann ging sie hinaus und ging schlafen mit dem Gedanken, endlich mit ihrer Tochter wieder vereint zu sein.

Ich spürte eine Hand auf meiner Hand und öffnete meine Augen. Vor mir stand Ulrich! Er lächelte mich an, legte seine Hand auf meinen Bauch, „Endlich habe ich dich wieder“ Schweißgebadet erwachte ich aus meinem Traum. Mein Atem ging schnell und ich versuchte mich schnell zu beruhigen. Es war nur ein Traum gewesen. Dieser schien aber so echt. Ich blickte mich um, doch niemand war da. Kein Ulrich. Ich stand auf und ging hinaus. Ich atmete die frische Nachtluft ein. Ich liebte die Nacht, sie war so friedlich. Ich ging ein Stück, dachte über den gestrigen Tag nach. Konnte es wirklich sein, dass ich schon immer eine Adlige gewesen war und es nur nicht gewusst hatte? Es schien so bizarr. „Rachel…was machst du hier?“, fragte Raphael, der plötzlich hinter mir aufgetaucht war. Ich erschrak, lächelte dann aber, „Ich genieße nur die Nacht.“ Raphael lächelte, doch dann wurde sein blick traurig, „Wir sollten…über gestern sprechen…Was ist denn nur mit dir los?“ Ich blickte zu Boden, was sollte ich sagen? Ich wusste es einfach nicht, „Ich kann es dir nicht sagen, bitte versteh mich.“ Er nickte stumm, dann wandte er sich ab und ging davon. Ich konnte es ihm nicht erzählen. Schließlich legte ich mich wieder Schlafen. Ich würde morgen darüber nachdenken, wie es jetzt mit Raphael weiterging.  

Als ich am nächsten Morgen aufwachte, wusste ich zuerst nicht, wo ich war. Aber im nächsten Moment fiel es mir wieder ein. Helene von Aquin hatte mir gestern offenbart, ich wäre ihre Tochter. Ich konnte es immer noch nicht so richtig glauben, es schien, als wäre das alles nur ein Traum gewesen. Wäre dies aber so, hätte ich nicht in dem Zelt von Helene geschlafen. Ich erinnerte mich an die Worte, die Ulrich mir einmal gesagt hatte: Er hatte auch mein Muttermal gesehen und schon vermutet, dass ich mit so einem außergewöhnlichen Muttermal eine Adlige hätte sein können. Er hatte Recht behalten. Ich wollte nicht an ihn denken, doch ich tat es. Allein, der Gedanke, ein Kind von ihm zu erwarten, schlich ihn jeden Tag in meine Gedanken. Es machte mich verrückt. Es wurde immer komplizierter, jetzt wo ich auch noch eine Adlige war. Als wäre der Gedanke nicht schon genug, erfasste mich gerade eine weitere Übelkeitswelle. Schnell nahm ich den Nachttopf unter meinem Bett und übergab mich. Als ich mich wieder aufrichtete, stand Theresa vor mir. Sie knickste vor mir und lächelte scheu, „Eure Mutter hat mich euch zugeteilt“, „Ich bin immer noch die gleiche! “, erwiderte ich lachend. Theresa atmete erleichtert aus, „Ein Glück, ich hatte schon gedacht…“, sie nahm den vollen Nachttopf und verschwand mit diesem. Damit ich mich nicht mehr so schlecht fühlte, legte ich mich auf das Bett und ließ meine Gedanken schweifen. Meine Hand lag auf meinem Bauch. Unter meinem Herzen lebte etwas. Es würde wachsen, immer größer werden. Würde Ulrich sich freuen? Wohl nicht. Er hätte sich nur damit gebrüstet, mehr aber nicht. Ich rief mich zur Ordnung. Ich sollte diese Gedanken lassen. Da fasste ich einen Entschluss. Ich war froh, dass Theresa gerade mit dem sauberen Nachttopf wiederkam. „Theresa“, fing ich an, „du musst mir einen Gefallen tun. Es muss weg! “. Theresa erschrak, sie wusste sofort, wovon ich sprach und schüttelte den Kopf, „Das kann ich nicht. Außerdem finde ich, du solltest es dir noch einmal überlegen. Denke nur daran, was aus dem Kleinen werden könnte. So ein niedliches Kind, mit deinen Augen und deinem Haar. Ich glaube, deine Mutter würde es sogar verstehen“. Ich sah sie überrascht an, ich hatte sie noch nie so reden hören, dennoch brachte sie mich zum Nachdenken, sollte ich es wirklich wagen? Ich wollte ihr gerade antworten, als Helene hereinkam. Ich verstummte sofort und auch Theresa verzog sich in die Ecke. „Guten Morgen, Charlotte“, sagte sie lächelnd. Sie schien über Nacht wie ausgewechselt. Die sonst so kühle Helene hatte immer für jeden ein Lächeln. Mit einem Wink schickte sie Theresa weg. „Ich…es ist doch nicht schlimm, dass ich dich Charlotte nenne, oder? “, fragte Helene mich. Ich schüttelte den Kopf, „Nein gar nicht“. Mit dem alten Namen würde ich auch meine Vergangenheit ablegen. Es gab nur noch ein Hindernis. Das Kind. Ich musste es einfach wegmachen. Ich wollte nicht jetzt schon meine Mutter enttäuschen. „Worüber denkst du nach? Ist alles in Ordnung?“, fragte meine Mutter mich sanft. Ich zuckte zusammen, lächelte aber, damit Helene nichts merkte, „Ach nichts. Es ist nichts“, „Gut. Ich gehe spazieren, kommst du mit?“ Doch ich schüttelte den Kopf, „Nein, geh nur. Ich möchte mich noch ein wenig ausruhen.“ Helene nickte und ging dann hinaus. Kurze Zeit später kam auch Theresa wieder. Sie knickste vor mir und lächelte leicht, „Es ist so ungewohnt. Mehrere Wochen lang waren wir nebeneinander eingeschlafen und jetzt bist du auf einmal die verschollene Tochter von unserer Herrin.“ Lächelnd nickte ich. Doch etwas beunruhigte mich. In den letzten Monaten hatte ich auf schmerzliche Weise gelernt, dass es nie gut ist, wenn man auf jemandem neidisch ist. „Kannst du mir eigentlich sagen, was die anderen davon halten, dass ich plötzlich die Tochter von ihrer Herrin bin?“ Beruhigend sah sie mich an, „Keine Angst, sie sind nicht so wie die Bediensteten, die du kanntest. Fast alle haben dich als Baby gekannt und sie sind froh, dass du wieder da bist.“ Erleichtert atmete ich aus. Ich stand auf und streckte meine müden Glieder, als Raphael hereinkam. Er lächelte, „Guten Morgen, Kusine. Für einen Moment sah ich ihn überrascht an, dann fiel mir ein, dass meine Mutter ja Raphaels Tante ist. Ich war erleichtert, er schien nicht wütend zu sein. „In einer Stunde brechen wir auf, mach dich fertig“, sagte er noch, dann ging er auch schon wieder hinaus. Ich war nervös, als ich schließlich fertig in die Kutsche stieg. Meine Mutter wartete dort schon auf mich. Zaghaft lächelte ich. Es war so ungewohnt, ich war noch nie in einer Kutsche gefahren. Als es dann losging, merkte ich, dass es bequemer war, wenn man lief, denn ich war es nur gewohnt, die ganze Zeit zu laufen. Außerdem schmiss die Kutsche einen immer hin und her. Das verursachte bei mir Übelkeit. Ich versuchte so gut wie möglich diese zu unterdrücken. Es war sehr stickig in der engen Kutsche und mir rann der Schweiß den Rücken entlang. Ich versuchte dies zu ignorieren und betrachtete mein Handgelenk. Es schien zu heilen. Die Schwellung hatte nachgelassen. Mir schien es wieder gut zu gehen. Plötzlich, als wollte die Ironie des Schicksals mir einen weiteren Streich spielen, drückte etwas gegen meinen Brust. Zwar hatte ich dieses Gefühl schon den ganzen Tag gehabt, doch ich hatte mir dabei nichts gedacht. Jetzt wurde dieses Gefühl erdrückend. Es schnürte mir die Luft ab. Verzweifelt versuchte ich nach Luft zu schnappen und sah Helene voller Panik an. In ihren Augen lag Angst, „Charlotte? “, fragte sie mich, in ihrer Stimme lag Panik, als sie sah, wie ich vergeblich versuchte Luft zu schnappen. Ich erinnerte mich an das letzte Mal, als dies passiert war und tat das gleiche, doch es half nichts. Alles verschwamm vor meinen Augen, es schien, als fiele ich einen bodenlosen Abgrund.

Immer tiefer und immer tiefer…

 

 

Er stand am See, mit leerem Blick sah er die Spiegelungen des Wassers an. Nach einer Weile wandte er sich ab und ging langsam zurück, zu seinen Gemächern. Seine Schritte waren schwer, so als müsste er sich bei jedem Schritt erst einmal fragen, warum er diesen Weg ging, was das alles für ein Sinn hätte. Für ihn schien es wie eine Ewigkeit zu vergehen, bis er endlich diesen einst so vertrauten Gängen entkommen war und in seinem Zimmer war. Dort lehnte er sich an die Wand und starrte in die Leere. Ulrich kratzte sich an seinem Bart. Er wollte sich nicht mehr jeden Tag rasieren, das war so ermüdend. Es schien sich alles für ihn so verändert zu haben, seit Rachel geflüchtet war. Er dachte immer und immer wieder nach, was der Grund sein könnte, weshalb er sich so derartig verändert hatte, dass er die einzige Person, die er wirklich liebte von sich gestoßen hatte. Er fiel in unruhige Träume, in denen die so unendlich traurigen Augen von Rachel ihn anblickten. Er konnte den Schmerz sehen, die sein Herz bluten ließ, als sie ihn das letzte Mal angesehen hatte. Er schreckte auf, es hatte geklopft. Verwirrt strich er sich die Haare aus dem Gesicht und befahl mürrisch der Person einzutreten. Die Person entpuppte sich als Maria, die ihren Herrn ängstlich ansah. Sie hatte gehört, was Ulrich mit Grethe angestellt hatte. Sie hatte nie geglaubt, dass Ulrich zu solchen Wutanfällen überhaupt fähig war, kannte sie ihn nur als liebenswürdigen, sehr netten Herrn. Aber sie wusste nicht mehr, was sie nun von ihm halten sollte. Er war unberechenbar geworden. „Verzeiht, d-dass ich euch störe, doch eure Mutter schickt mich. Ihr sollt sofort kommen.“ Ulrich war zu sehr in seinen Gedanken verstrickt, als dass er die Angst in Marias Augen sehen konnte. Sie knickste vor ihm und verschwand dann schnell wieder aus dem Raum. Ihm fiel wieder letzte Begegnung mit seiner Mutter ein. Sie musste ihm natürlich die neuesten Neuigkeiten erzählen. Diese hatten ihn ein paar Tage lang beschäftigt. Doch er ließ nun von diesem Gedanken ab.

Er raffte sich auf und ging zu seiner Mutter. Diese erwartete ihn schon. Sie lächelte ihn fröhlich an, sodass sich Ulrich wieder einmal fragte, was seine Mutter mit ihm nur wieder vorhatte. Ulrichs Mutter stand auf und zeigte ihrem Sohn den Brief, „Isabelle hat uns geschrieben, sie bittet, sich für ein paar Tage bei uns aufhalten zu können“. Ulrich konnte es nicht fassen, wieder einmal wollte seine Mutter ihn mit Isabelle zusammen bringen. Ulrich atmete tief durch, um sich zu beruhigen, „Mutter, ich sagte doch…“, Katharina ließ ihn gar nicht ausreden, „Ulrich! Ich sage du gehst zu diesem Essen! Ich habe genug davon, zu warten, bis du dich endlich selbst darum kümmerst. Womöglich hättest du das niemals getan. Du brauchst endlich ein Weib. Bald wirst du dieses Anwesen hier erben und du brauchst endlich einen Erben!“ Ulrich starrte seine Mutter überrascht an, sie hatte noch nie mit ihm so geredet. Katharina atmete einmal tief durch und sagte dann etwas ruhiger, „Ich habe hier noch einen Brief für dich, er kam zur gleichen Zeit wie der von Isabelle“. Ulrich nickte verwirrt und ging dann ohne noch irgendetwas zu sagen hinaus. Er betrachtete den Brief und nahm sich vor, diesen zu lesen, wenn er in seinen Gemächern war. Dort angekommen, legte er den Brief erst einmal auf seinen Sekretär. Plötzlich ertönte das Horn. Ulrich ging in den Innenhof und wartete gespannt, wer der Besucher wohl sein könnte. Das Hufgeklapper kam immer näher, bis diese vor Ulrich hielten. Zu seiner Verwunderung war es Isabelle. Mit offenem Mund sah er Isabelle an. Der Brief war doch erst eben angekommen. Sie konnte doch unmöglich so schnell sein, außerdem hatten wir noch gar keine Antwort gegeben. Doch dann begriff er. Seine Mutter hatte den Brief wohl schon länger gehabt und diesen schon beantwortet. Sie wollte ihn wohl nur vorwarnen. Wirklich sehr schlau, musste Ulrich zugeben, wenn er das früher gewusst hätte, dann hätte er eine Möglichkeit gefunden, dieser Begegnung zu entfliehen. Aber dafür war es nun zu spät. Ulrich verfluchte diese andauernde Einmischung in seinem Leben. Konnte sie ihn nicht einmal in Ruhe lassen. Sollte sie doch Gunter damit belästigen. Er konnte doch den herbeigesehnten Erben beschaffen. Isabelle sah ihn lächelnd an, „Sei gegrüßt Ulrich“. Es eilte ein Knecht zu Isabelle und half ihr aus dem Sattel. Dann knickste sie vor Ulrich. Dieser nahm Isabelles Hand und hauchte einen Kuss auf Isabelles Hand. Es lag ein Lächeln auf seinen Lippen. Doch niemand konnte ahnen, dass dies nur eine Maske war. Innerlich loderte er vor Wut. Es machte ihn rasend, auf die List seiner Mutter hereingefallen zu sein. Er wollte sich gerade mit einer Entschuldigung verabschieden und schnell verschwinden, als er plötzlich wie erstarrt stehen blieb. Er riss seine Augen voller Unglauben auf. Das konnte nicht sein! Er blickte in das Gesicht einer Toten!

Ulrich schloss für einen kurzen Moment die Augen, doch sie stand immer noch da. Nein, das war kein Traum. Er wollte auf sie zugehen, doch er bemerkte, dass Isabelle ihn beobachtete. Ulrich verabschiedete sich schnell von Isabelle und ging davon. Unzählige Fragen gingen ihm durch den Kopf, doch zu keiner fand er eine Antwort. Die ganzen Ängste, sie läge tot im Graben waren unnötig. Sie lebte! Schließlich hielt er es nicht mehr aus. Er rannte durch die Gänge, getrieben von seinen Qualen. Er vermutete, sie würde am See sein, da ging sie ja am Liebsten hin, es war ihr Zufluchtsort. Vielleicht würde sie ja da sein. Doch dann entdeckte er sie, als sie die Wäsche am Fluss wusch. Für einen Moment blieb er stehen und betrachtete sie. Es schien, als würde eine Last von seinen Schultern fallen. Sie war wieder da. Endlich. Vorsichtig ging er auf sie zu, aus Angst, sie könnte wie ein Traum zerplatzen.

Voller Abscheu betrachtete Sara die schmutzige Wäsche. Sie fragte sich, wie man so etwas nur so dreckig machen konnte. Aber sie kannte ihre Herrin. Isabelle war zwar schon ein großes Mädchen, sie würde bald eine vollwertige Frau werden, doch immer noch verhält sie sich wie ein Kind. Das musste sie dann immer ausbaden. Denn sie war diejenige, die Isabelle badete, ihre Wäsche säuberte und alle anderen Aufgaben erledigte. Sara seufzte. Nun gut, sie sollte nicht die ganze Zeit herumjammern, die Wäsche wurde dadurch nicht weniger und sauberer. Obwohl Sara so viel zu tun hatte, konnte sie sich nicht vorstellen, ihre Herrin zu verlassen. Sie beide waren im gleichen Alter, Isabelle ist die verspielte und sie immer die Ernste. Aber sie musste ja schon Anfang an lernen, auf sich selbst aufzupassen. Sara beschloss, später mit der Wäsche weiterzumachen. Sie stand auf und wollte zur Waschkammer gehen, als plötzlich der Sohn vom Grafen, Ulrich vor ihr stand. Sie erschrak, wusste sie nicht, was sie tun sollte und knickste schnell. Vor Schreck ließ sie den Korb fallen.

Ulrich musste ein wenig schmunzeln, doch sagte nichts. „Rachel“, fing er an und kam einen Schritt näher, „du bist wieder da“. Sara sah Ulrich verwirrt an, „Verzeiht, aber ich bin nicht ’Rachel’. Ich heiße Sara“. Bei ihren Worten musste Ulrich lachen, „Unsinn. Du bist es. Und ich hatte gedacht, du würdest nicht mehr wiederkommen. Ich bin so froh, dass du wieder da bist. Ich habe dich vermisst.“ Sara wusste nicht, was sie tun sollte, warum glaubte er, sie wäre diese Rachel? Sie wollte nur noch schnell die Wäsche wieder aufsammeln und verschwinden. Doch Ulrich nahm ihr Gesicht in seine Hände und hauchte, „Ich habe dich endlich wieder“. Bevor sie auch nur etwas sagen konnte, küsste Ulrich sie behutsam aber dann er wurde immer stürmischer. Er merkte gar nicht, wie sich Sara verkrampfte. Was sollte sie tun? Sie konnte sich nicht gegen einen hohen Herrn auflehnen. Sie hatte die letzte Magd gesehen, die das getan hatte. Sie hatte Mitleid mit Grethe gehabt. Tränen stiegen ihr in die Augen, nein, sie wollte nicht so enden. Tränen liefen die Wange entlang, sie konnte diese nicht aufhalten. Sie fühlte sich in diesem Moment so machtlos. Isabelle hat sie immer vor den anderen Männern beschützt und dafür gesorgt, dass niemand sie berührte. Aber Isabelle war nicht hier.

Als Ulrich die Tränen spürte, sah er sie verblüfft an. „Rachel? Aber was ist denn los?“ Sara sah ihn verständnislos an, „Ich bin nicht diese Rachel!“ Sie konnte einfach nicht verstehen, warum er glaubte, sie wäre dieses Mädchen. Ulrich sah sie verwirrt an, „Warum sagst du so etwas?“. Sara konnte nichts sagen, ihr fehlte die Sprache. Ein letztes Mal schüttelte sie den Kopf, „Ich bin nicht Rachel“. Obwohl sie große Angst hat, bestraft zu werden, knickste sie vor Ulrich und entschuldigte sich mehrmals bei ihm. Sie hoffte, er würde nicht zu sehr erzürnt sein, denn dann ging sie.

Ulrich blickte ihr nach, in seinen Augen lag Schmerz, was ist nur mit seiner Rachel los? Er raufte sich die Haare und versuchte zu begreifen, warum Rachel sich gegen ihn nur so wehrte. Er lief hin und her, in der Hoffnung, ihm würde die rettende Erkenntnis kommen. Doch diese blieb aus. Er verstand es nicht, er verstand es einfach nicht. Ulrich spürte Tränen in seinen Augen. Endlich war seine Rachel wieder da und dann verwehrte sie ihn. Er strich sich über die Augen, niemand sollte sehen, dass er wie ein Weib flennte. Wütend ging er in seine Gemächer, dort angekommen, nahm er den ersten Stuhl, den er in seinen Fingern bekam und schmiss den Stuhl gegen die Wand. Sein Atem ging schnell, seine Gedanken kreisten die ganze Zeit um Rachel. Es schien kein Ende zu nehmen. Plötzlich klopfte es an der Tür. Ulrich atmete einmal tief durch und befahl mit beherrschter Stimme einzutreten. Hilda trat ein. Sie knickste und entschuldigte sich schnell für die Störung. Ängstlich blickte sie ihn an, hatte sie das Gefühl, als wäre Ulrich sauer. Dann aber beeilte sie zu sagen, „Das Essen ist fertig und eure Mutter wünscht, dass Ihr erscheint.“ Mit angehaltenem Atem wartete sie auf seine Reaktion. Zu ihrem Glück hatte sich Ulrich jedoch wieder ein wenig beruhigt und nickte mürrisch, „Nun gut, ich komme“ Hilda atmete erleichtert aus und wollte schon gehen, als Ulrich plötzlich sagte, „Du bist doch die Schwester von Rachel?“ Zögernd nickte sie, hoffte er würde sie nicht mehr fragen wohin sie gegangen war. „Dann sag mir, warum sich deine Schwester so komisch verhält“ Verwirrt sah Hilda ihren Herrn an. Hatte dieser jetzt völlig seinen Verstand verloren? „Ich…Ich weiß nicht, was ihr meint, Herr“. Ulrich schüttelte ungeduldig ihren Kopf, „Na deine Schwester, Rachel. Sie ist wieder hier, hast du sie noch nicht gesehen?“ Hilda schüttelte den Kopf, „Nein, verzeiht“. Ihr Herr hatte wohl den Verstand verloren, denn sie glaubte nicht, dass Rachel, wenn sie noch lebte, hier wieder freiwillig hinkommen würde. Das wäre absurd. Sie hoffte, er würde sie bald gehen lassen. Sie hatte Angst, bestraft zu werden, wenn sie etwas Falsches sagen würde. Aber Ulrich war es müde, mit der Magd zu reden und entließ Hilda schließlich. Er nahm noch schnell ein paar Kräuter und ging dann schließlich in den Saal. In seinem Innern tobte es. Er musste einfach noch mal mit Rachel reden. Im Saal wartete seine Familie schon auf ihn. Isabelle strahlte ihn an. Er erwiderte nach längerem Zögern das Lächeln und setzte sich zu Tisch. Isabelle versuchte zu verbergen, wie sie ihn die ganze Zeit anstarrte, doch dies gelang ihr nicht so recht. Ihm war unwohl, die ganze Zeit so angestarrt zu werden, doch was sollte er tun? Seine Mutter sprach mit Gunter und beobachtete zufrieden, wie langsam ein Gespräch zwischen Isabelle und ihrem Sohn Ulrich aufkeimte. Aber Ulrich gab nur einsilbige Antworten und konzentrierte sich darauf, zu Essen. Aber Isabelle ließ nicht locker. Ulrich wünschte sich endlich vom Tisch aufzustehen, doch dafür war es noch zu früh. Als die Hauptspeise nun vorüber war, trugen die Mägde das Dessert hinein. Die Köchin hatte sich diesmal selbst übertroffen. Ulrich liebte die in Honig eingelegten Pflaumen. Doch das war nicht das einzige, was das Dessert so vorzüglich machte. Seine geliebte Magd stellte seinen Nachtisch auf den Tisch. Er lächelte sie an, sie wich seinem Blick aus, doch das störte ihn wenig. Er war nur froh, sie in seiner Nähe zu sehen. Dann verging der Abend schneller, als er erwartet hatte. Nachdem er sich nun von seiner Familie und den Gästen verabschiedet hatte, wartete er auf sie, er musste wissen, warum Rachel so abweisend war. Es schien eine Ewigkeit zu vergehen, bis sie endlich erschien. Er wollte schon aufgeben und in sein Zimmer gehen, als er ihre engelsgleiche Gestalt entdeckte. Er atmete erleichtert aus, dachte er schon, er würde sie heute nicht mehr allein treffen und rief ihren Namen. Sie reagierte nicht, erst nach wiederholten Rufen drehte sie sich um. Das Mädchen erschrak und wollte schnell um die Ecke verschwinden, aber Ulrich nahm ihre Hand, damit sie nicht wegrennen konnte.

Sara blickte den Herrn vorsichtig an, was wollte er nur von ihr. Sie konnte ihm nicht mehr länger aus dem Weg gehen und wartete gespannt aber zugleich auch ängstlich, was er nun vorhatte. „Rachel“, sagte er leise, in seinem Blick lag so viel Schmerz, Traurigkeit und Unverständnis, dass sie zusammenzuckte. „Verzeiht, aber ich bin nicht dieses Mädchen, was ihr Rachel nennt, ich heiße Sara“, vergeblich versuchte sie ihn zu überzeugen, dass sie nicht dieses Mädchen war, es musste wohl eine sehr große Ähnlichkeit zwischen uns beiden liegen, damit der Herr uns verwechseln konnte. Sie fragte sich, wer diese Rachel war und warum Ulrich so versessen auf diese Frau war. Plötzlich, ganz sanft, drückte Ulrich sie an die Wand. „Herr..“, versuchte Sara zu protestieren. „Still.“, zärtlich ließ er ihren Protest in einem Kuss ausklingen, „Warum quälst du mich so?“ Sie blickte in seine Augen, so voller Schmerz. „Ich...“, sie verstummte, was sollte sie antworten? Sie ertrug es nicht, jemanden mit soviel Schmerz zu sehen. Er glaubte ihr nicht einmal. Was konnte sie denn tun? Sie wusste darauf einfach keine Antwort. Zärtlich strich er über ihren Rock, schob ihn beiseite und streichelte ihren Oberschenkel. Sara zog scharf die Luft ein, niemand hatte sie je so angefasst. „Oh Rachel, was tust du mir nur an?“, flüsterte er leise. Seine Lippen glitten strafend über ihr Gesicht. Seine Hände berührten sanft ihre Lippen, so als könne er noch nicht ganz glauben, dass seine geliebte Rachel wieder bei ihm wäre, „Rachel…“ Sara zuckte kurz zusammen, als wäre sie aus einem zuschönen Traum erwacht, stieß Ulrich weg und wollte nur noch verschwinden, „Ich bin nicht Rachel. Ich bin nicht diese Frau. Ihr solltet das endlich verstehen!“ Sara erschrak, was hatte sie getan? Sie wurde bleich und sank auf die Knie, „Verzeiht Herr, vergibt mir für meine Worte. Verzeiht mir“ Er betrachtete sie, wie so auf Knien vor ihm lag, auf seinen Lippen lag ein nachsichtiges Lächeln. „Du musst nicht länger eine andere Person spielen, du musst dich nicht länger als eine andere Person ausgeben.“ Sara sah ihn fassungslos an, wie konnte er nur beharrlich glauben, sie wäre diese Frau?! Sie stand auf und wollte gehen. Sie war erschöpft, zuviel war geschehen. Aber er ergriff ihre Hand und zog sie an sich. „Ich lass dich nicht mehr los.“ Sara konnte einfach nicht mehr, sie war es leid, zu versuchen, Ulrich davon zu überzeugen, dass sie jemand anderes war, als diese Rachel. Nicht zum ersten Mal fragte sie sich, wer diese Frau war und wie sie es schaffte, einen Mann, wie Ulrich in ihren Bann zu ziehen und auf die Knie zu zwingen. Es blieb ihr ein Rätsel. Sie ließ sich einfach fallen. Mit einem Seufzer auf den Lippen ließ sie sich von Ulrich in seine Gemächer führen. Dort angekommen, erfasste sie jedoch eine erneute Welle der Furcht und wollte so schnell wie möglich verschwinden. Lachend hielt er sie zurück, dann wurde sein Blick ernst, „ Bleib hier, bitte.“ Sara konnte nicht anders, als nur stumm zu nicken. Es gefiel ihr immer noch nicht, was hier passierte. Wieder lächelte Ulrich, „Schön.“ Ihre Blicke begegneten sich lange, auf einmal, als hätte Ulrich nur auf etwas gewartet, bedeckte er ihren Körper mit feurigen Küssen. In ihm erwachte Ungeduld und Verlangen, riss ihr die Kleider vom Leib. Sara schrie erschrocken auf, aber nur kurz, denn ihr Schrei ging in seinen Küssen unter. Saras Zurückhaltung wich, sie ließ sich einfach treiben…

 

Der Morgen für Sara kam früh. Sie schrak auf, als hätte sie einen Alptraum gehabt, doch es war die Sinnlichkeit ihres Traums gewesen, was sie so erschreckt hatte. Sogar jetzt trieb der Traum ihr noch Röte ins Gesicht. Aber der Traum schien so echt, war das wirklich nur ein Traum gewesen? Sie hoffte, betete es wäre so gewesen. Doch dann bemerkte sie, dass sie nackt war und blickte auf. Ulrich lehnte sich gegen das Fenster und sah sie amüsiert an. Mit Erschrecken erkannte Sara, dass dies keinesfalls ein Traum gewesen war. Sie sprang auf, bedeckte ihre Blöße mit einem Laken und wollte ihre Sachen zusammensuchen. Was hatte sie nur getan? Panik stieg in ihr auf, ihre Herrin würde so etwas nie dulden, wenn sie davon erfuhr.

Als Ulrich merkte, dass sie so schnell wie möglich verschwinden wollte, kam er lachend auf sie zu und umschlang sie mit seinen Armen, „Nicht so hastig.“ Doch Sara wehrte sich, zu groß war die Angst, sie könnte von ihrer Herrin verstoßen werden, „Nein Herr ich muss gehen, bitte“. Ihre Haare wirbelten herum und glänzten in der Morgensonne. Ulrich betrachte ihre wunderschönen Haare. Sein Blick glitt hinunter zu ihrem Hals, so graziös wie eh und je und dann zu ihrem bezauberten Rücken…Er stutze, suchte nach diesem außergewöhnlichen Mal, das ihn seither fasziniert hatte…Sein Lächeln erstarrte, fassungslos starrte er auf diesen makellosen Rücken. Nicht einmal ein Leberfleck war zu sehen. Er riss ihr das Laken vom Körper. Er suchte fieberhaft nach diesem Mal, dass nur seine Rachel besaß. Doch er konnte es nicht entdecken. Erzürnt sah er Sara an. Sie hatte ihm vorgemacht, sie wäre Rachel. Er war ihr nachgelaufen hatte sie angefleht… „Wo ist es? WO IST DAS MUTTERMAL?“ Doch größer als die Wut und die Schmach, war der Schmerz. Rachel war nicht wieder bei ihm. Verwirrt sah Sara Ulrich an, der sie auf einmal wütend ansah. Gerade eben noch hatte er gelacht und jetzt sah er sie so rasend an. Sie sah, dass sich seine Hände zusammenkrampften, also müsse er sich beherrschen, sie nicht gleich zuschlagen. Sie bekam Angst. Hatte er endlich begriffen, dass sie nicht diese Rachel war? Und wenn ja, was würde er jetzt mir ihr tun? Das gleiche, wie mit dieser einen Magd? Sara wich einen Schritt zurück, völlig entblößt.

Ulrich sah ihre Angst in den Augen, aber es kümmerte ihn wenig. Diese Magd, sah wirklich genauso wie Rachel aus, nur hatte sie nicht das Muttermal wie Rachel. Wie konnte er sich nur so getäuscht haben? Er verspürte das große Bedürfnis, sie zu schlagen, bis endlich ihre Rachel wiederkam. Aber er tat es nicht. Er ertrug es nicht mehr, die Magd zu sehen und schrie, „Hinaus! Verschwinde und wag es ja nicht, mir auch nur einmal unter die Augen zu treten.“ Sara erschrak, nahm das Laken, dass Ulrich ihr verächtlich hinwarf und verschwand aus dem Raum. Sie hatte gewusst, dass dieser Zeitpunkt irgendwann gekommen wäre, trotzdem hatte sie zugelassen, dass es so weit kam. Sie schlang das Laken enger um ihren Körper und machte sich auf den Weg zu ihrer Herrin. Vielleicht hatte diese noch nicht bemerkt, dass sie nicht wieder zurückgekehrt war.

Ulrich hatte das Gefühl, als würde sein Kopf explodieren. Er verstand es einfach nicht. Die letzten Tage waren für ihn so erstaunlich gewesen. Er hatte gedacht, er hätte sie wieder, so glücklich hatte er sich schon lange nicht mehr gefühlt. Jetzt war das Gefühl wieder da, was er so lange verdrängt hatte. Es war alles so freudlos, so trostlos. Ulrich konnte einfach keinen klaren Gedanken mehr fassen. Er fühlte sich verraten, doch er wusste, dass es seine eigene Schuld war. Um sich abzulenken, wollte er in den Garten gehen. Doch auf dem Weg dahin hörte er zwei Leute, die sich unterhielten. Zuerst dachte er sich nichts dabei, doch als er seinen Namen hörte, blieb er stehen, darauf bedacht, dass die Personen ihn nicht bemerkten. „Seit ihr euch sicher, dass euer Sohn nichts ahnt? Denn ich glaube…“, „Sei still!“, zischte die andere Stimme, „natürlich ahnt er nichts, warum sollte er auch?“ Erstaunt hielt Ulrich seinen Atem an, denn die eine Stimme gehörte seiner Mutter. Die andere schien Grethe zu gehören. „Halt’ dich einfach an den Plan, verstanden? Du tust was ich dir sage!“, sagte seine Mutter, „du wirst mir weiterhin die Kräuter besorgen, damit ich Ulrich im Griff habe.“ Grethe nickte und fügte kleinlaut dazu: „Ja, Herrin“ Ulrich hatte genug gehört und wandte sich ab. Er lief durch die Gänge, ohne zu wissen, wo er eigentlich hinging. In seinem Kopf schwirrten tausend Fragen, doch keine konnte er beantworten. Aber sie mussten beantwortet werden. Zorn stieg in ihm auf, was für ein Spiel spielte man mit ihm. Als er dann die Tür erreichte, zu der er wollte, hatte sich sein Zorn schon ein wenig gelegt. Dennoch trat er ein ohne anzuklopfen und lehnte sich dann an die Tür. Er war gefährlich ruhig. Nur in seinen Augen konnte man Wut sehen.

Katharina erschrak, als plötzlich die Tür aufging, beruhigte sich aber schnell, als sie erkannte, dass es Ulrich war. Sie sah ihren Sohn ungehalten an, „Ulrich, stör mich jetzt nicht. Ich habe Kopfschmerzen.“ Ulrich tat so, als hätte er nichts gehört und lächelte scheinbar freundlich. Doch dieses Lächeln tropfte nur von Hohn. „Ich habe nur eine Frage. Diese Kräuter, die du mir gegeben hast, wofür sind die gut?“ Seine Mutter sah ihn überrascht an, „Aber das weißt du doch, du…“, „Die Wahrheit“, unterbrach er seine Mutter abfällig. Katharina wurde blass, antwortete aber nicht. „Also?“, fragte Ulrich ungeduldig, er hatte genug von diesen Spielchen. Als Katharina antwortete, hatte sie sich wieder gefasst und antwortete daher kühl, „Es war nur zu deinem Besten. Du musst mich verstehen“, „Verdammt Mutter, antworte mir“, schrie Ulrich. Katharina zuckte bei seinem Wutausbruch zusammen, ließ sich mehr aber nicht anmerken, „Nun gut“, plötzlich änderte sich ihre Haltung. Sie schloss ihre Augen, seufzte und sprach mit leiser Stimme, „Die Kräuter schalten deine Gefühle aus, du wirst unbarmherzig und kalt. Außerdem wirst du dann sehr aggressiv. Aber erinnern kannst du dich nur bruchstückhaft. Es sollte dir helfen, du musstest doch deine alte Stärke wiedererlangen, die das Miststück dir genommen hatte.“ Ulrich wollte gerade gehen, als sie ihre letzten Worte hörte. Wütend schlug er gegen die Wand, „Wag es nie wieder in meiner Anwesenheit, so über Rachel zu reden, verstanden?“, seine Stimme hörte sich seltsam ruhig an, als er sich jedoch noch einmal umdrehte, sah man seine Augen vor Wut Funken sprühen. Dann ging er hinaus. Zurück blieb die völlig verschreckte Katharina. Sie bekam Angst, sie hatte ihren Sohn noch nie so wütend gesehen. Katharina wusste, dass die Kräuter ihn unberechenbar machten, doch sie wollte ihn nie wieder so leiden sehen und die Kräuter hatten ja gewirkt. Die Magd war gegangen.

Lange starrte Katharina die Tür, aus der Ulrich gegangen war, an. Sie wusste nur zu gut, wie gefährlich eine Frau für einen Mann sein kann.

Sie hatte miterlebt, wie ihre eigene Mutter ihren Vater durch ihre Schmach zerstört hatte. Er war schon immer schwach gewesen, doch ihre Mutter hatte ihm den Rest gegeben. Danach war er nie wieder wie früher. Beinahe hätten sie alles verloren, nur durch die dem Glück gesegnete Hochzeit mit ihrem Gemahl Eberhard hatte sie vor dem Ruin gerettet.

Wutentbrannt lief er durch die Gänge. Er hatte keine Ahnung wohin er lief, er wollte einfach nur weg. Gerade in diesem Moment bog Grethe um die Ecke. Bevor sie Ulrich sah und verschwinden konnte, damit Ulrich sie nicht sah, hatte er sie schon am Arm gepackt, gegen die Wand gepresst und glitt mit seinen Fingern ihren Oberschenkel entlang. Grethe starrte Ulrich voller Panik an. Zu tief saß noch die Erinnerung, als er seinen Wutausbruch hatte. Ihre Wunden waren noch nicht einmal richtig verheilt. Sie hatte Tränen in den Augen, „Bitte, Herr ihr tut mir weh“ Ulrich blickte auf und blickte in das schmerzerfüllte Gesicht von Grethe, Tränen flossen ihrer Wange entlang. Ohne noch etwas zu sagen wandte er sich verächtlich ab und ging zurück in seine Gemächer. Zurück ließ er ein zutiefst verängstigtes Mädchen. Er starrte hinaus in die Dunkelheit. Sein ganzes Leben war so verzwickt geworden. Wann hatte das angefangen? Früher war alles so einfach gewesen, doch nun?

Unruhig lief er hin und her. Seine Ruhe fand er jedoch nicht mehr. Da fiel sein Blick auf seinen Sekretär. Dort lag noch der Brief, den er eigentlich noch lesen wollte. Er nahm diesen und las ihn. Dann las er ihn noch einmal. Nachdenklich starrte er das Schreiben an. Scharf zog er die Luft ein und schloss seine Augen. Das hatte ihm gerade noch gefehlt. Er erinnerte sich an seinen alten Jugendfreund, hatte Raphael auch so einen Brief bekommen? Etwas lag zwischen ihnen, er wusste aber nicht was. Ihm schmerzte die Erkenntnis, dass wenn er herausfinden würde, was der Grund für dieses Zerwürfnis ist, dann würde die Freundschaft zwischen den beiden wohl endgültig enden. Das war nur noch eine Frage der Zeit. Er bedauerte dies, denn Raphael hatte ihm schon viele Male aus sehr verzwickten Lagen geholfen.

Der Brief fiel zu Boden und Ulrich hatte eine Entscheidung getroffen.

 

Jemand legte mir ein nasses Tuch auf die Stirn. Mühsam öffnete ich meine Augen und sah Theresa über mich gebeugt. Erleichtert sah sie mich an, als sie sah, dass ich wach war. Schnell stand sie auf und verschwand aus der Tür. Wenige Augenblicke später kam sie mit Helene wieder. Dunkle Schatten lagen unter ihren Augen, als hätte sie lange nicht mehr geschlafen. Sie brach beinahe in Tränen aus, eilte zu mir und nahm meine Hand. „Du bist wach. Gut. Der Arzt müsste gleich kommen. Wie geht es dir? “, „Besser“, krächzte ich, dennoch lag dieses erdrückende Gefühl immer noch auf meiner Brust. Während ich sprach, ging die Tür auf und Raphael kam herein, wartete bis Helene geendet hatte und teilte ihr dann mit, dass der Arzt da wäre. Helene atmete einmal tief durch, dann stand sie auf und verbarg ihre Gefühle hinter einer Maske. Der Arzt, der nun hereinkam, war ganz anders, als Conrad. Dieser war wesentlich jünger, aber er hätte trotzdem noch mein Vater sein können. Er schüttelte Raphael gerade die Hand, „Guten Tag, wo ist denn die Kranke?“ Raphael deutete schweigend auf mich, ich sah in seinem Blick die Sorge um mich. Der Arzt sah mich beruhigend an und sagte zu mir: „Es wird alles gut.“, an Helene gerichtet sagte er, „Es ist wohl besser, wenn jetzt alle hinaus gehen, damit eure Tochter ein wenig Ruhe hat“ Helene nickte und ging hinaus. Ihr folgte nun auch Raphael. Nur Theresa blieb da und hielt die Arzttasche. Vorsichtig betastete er meine Brust und dann meinen Bauch. Es war so still, dass ich beinahe meinen Herzschlag gehört hätte. Als er ein weiteres Mal meine Brust untersuchte und ein wenig fester zu drückte, stöhnte ich vor Schmerz auf. Der Mann zog eine Braue hoch und murmelte etwas vor sich hin, was ich nicht verstand. Dann betastete er noch einmal meinen Bauch und als er damit geendet hatte, ging er hinaus, zu meiner Mutter und Raphael. Doch er dachte nicht daran, die Tür zu schließen, so hörte ich mit, wie er mit meiner Mutter redete. „Die verformten Rippen drücken auf die Lunge eurer Tochter. Ist sie in letzter Zeit schwer gefallen? Nun muss ich die Rippen wieder in die richtige Richtung biegen, sonst könnte es für Ihre Tochter und dem Kind tödlich enden“. Ich erschrak, daran hatte ich gar nicht gedacht. Ich hatte es so gut versteckt halten können und jetzt wurde mein Geheimnis einfach so aufgedeckt. Ich sah schon die entsetzten Blicke, dich mich anblickten und mich zu Teufel schickten. Erst jetzt wurde mir die Tragweite seiner anderen Worte bewusst. Dies würde genauso schmerzhaft sein, wie das erneute Brechen meines Handgelenks. Es herrschte schweigen, bis der Arzt noch sagte, „Ich denke, wir sollten das jetzt hinter uns bringen. Dann ist es vorbei.“ Mühsam richtete ich mich auf, es tat schrecklich weh, doch ich musste versuchen, aufzustehen. Irgendwie schaffte ich das dann auch. Mit großer Mühe ging ich in Richtung der Seitentür, versuchend die schmerzende Brust zu ignorieren. Doch es tat einfach zu weh. Erschöpft sank ich auf den Boden, schwer nach Atem ringend Nun kam auch der Arzt und die anderen herein, die noch einmal erklärt haben wollten, wie der Arzt meine Rippen in die richtige Richtung schieben wollte, und sahen mich entgeistert an, als sie sahen, dass ich versuchte zu gehen. Raphael rannte auf mich zu und hob mich hoch. Ich versuchte mich zu befreien, doch er hielt mich sanft aber eisern fest. „Halten sie ihre Frau fest“, sagte der Arzt schnell, als er sah, wie ich versuchte mich aus Raphaels Griff zu lösen. Doch dieser ließ nicht locker und für einen Moment gab ich auf. Der Arzt kam langsam auf mich zu er schien verwirrt zu sein, „Beruhig dich doch, du störrischen Ding, es wird dir danach wieder besser gehen, und deinem Kind auch und das möchtest du doch, oder?“ Ich zuckte bei seinen Worten zusammen und wand mich, aber auch diesmal brachte es nichts. „Meiner Tochter wurde einmal das Handgelenk neu gerichtet, deshalb hat sie jetzt so Angst davor“, versuchte meine Mutter zu erklären. Der Mann nickte zustimmend, „Das macht Sinn“, er kratzte sich kurz an seinem Bart, dann sagte er zu Raphael, „Legen Sie ihre Frau auf den Boden, ich denke so kann ich am Besten ihre Rippen korrigieren“. Raphael legte mich vorsichtig auf den Boden. Ich wand mich, doch er hielt mich bestimmt fest. „Lass mich los“, fauchte ich, ich wusste in meinen Augen lag Panik. Helene hockte sich neben mich und strich mir sanft über die Wange, „Es ist alles in Ordnung“. Ich hörte ihre Worte hinter einem Schleier von Angst. Es tat so schrecklich weh, als er versuchte, meine Rippen wieder in die richtige Form zu schieben. Ich biss mir auf die Lippen, bis sie bluteten. Ich wollte keine Schwäche zeigen. Es schien eine Ewigkeit zu vergehen, bis der Arzt endlich fertig war. Mit einem Seufzer beendete der Arzt seine Arbeit. Mir tat die Brust weh, fast so schlimm wie bei dem Handgelenk. Der Mann legte mir noch einen Verband um die Brust, ich spürte, wie sich meine Schmerzen ein wenig minderten. Zum ersten Mal seit Tagen, konnte ich wieder normal tief einatmen. Als der Arzt gegangen war, setzte sich Helene neben mich. Sanft strich sie mir eine Strähne weg. Zu Raphael sagte sie: „Raphael, könntest du uns beide allein lassen?“. Bedrückt nickte Raphael und verschwand aus dem Raum. Ich konnte meine Tränen nicht mehr zurückhalten. Sie liefen mir die Wange hinunter und ich konnte sie nicht unterdrücken. „Ist schon gut, Liebes, es ist doch alles in Ordnung“. Ich schüttelte den Kopf, „Nichts ist in Ordnung“. Helene lächelte leicht, „Wann wolltest du es mir sagen?“. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, ich hatte mir ja selbst noch keine Gedanken gemacht, wann ich es ihr sagen wollte. „Ich weiß es nicht. Ich wusste nicht einmal ob ich es behalten möchte.“ Ich hatte wohl gedacht, es würde verschwinden, wenn ich nicht daran denken würde. „Hast du Schmerzen?“, fragte sie mich. Ich nickte wortlos. „Es wird alles wieder gut“ antwortete sie. Ich war mir da nicht so sicher. Ich bin die Tochter einer Fürstendynastie und trage einen Bastard unter meinem Herzen. Ich bringe nur Schande über meine neue Familie und ich kenne diese kaum. Ich bezweifle, dass alles gut wird. „Hey“, sagte sie leise, „mir ist egal, dass du ein Kind unter deinem Herzen trägst, obwohl du noch nicht verheiratet bist, du bist meine Tochter und…ich liebe dich“. Ich konnte ihren Worten nicht ganz glauben. Helene sah mich lächelnd, mit Tränen in den Augen an. Mit großen Augen blickte ich sie an. „Du hast ihn geliebt, nicht wahr?“ fragte mich Helene nach längerem Schweigen. Ich zuckte zusammen, sah man mir das so offensichtlich an, dass ich ihn geliebt hatte? Ich antwortete nicht, ich wusste natürlich, dass sie nicht Raphael meinte, sondern den Vater, des Kindes. Helene erwartete keine Antwort, sie kannte diese bereits, „Deswegen hattest du auch so Verletzungen, oder? Diese sind nicht einfach so passiert, sondern das wurde dir böswillig angetan, habe ich Recht?“. Ich wusste nicht, was ich dazu sagen sollte, also schwieg ich. Helene deutete mein Schweigen als Zustimmung, „Dann solltest du das Kind behalten“ Sachte strich sie mir eine Strähne aus dem Gesicht und tupfte den Schweiß von meiner Stirn, „Ich wollte eigentlich damit warten, aber ich habe einen Plan, wie sich alles zum Guten wenden wird. Vertrau mir, ja? Ich möchte nämlich nicht, dass du von der höheren Schicht nicht anerkannt wirst, obwohl sie dich noch nicht einmal kennen“. Ich verstand, was sie meinte, trotzdem behagte es mich nicht. Beruhigend strich sie mir über die Wange, „Du weißt, dass Raphael dich liebt.“ Ich nickte. Natürlich wusste ich das, kein Herr hätte eine vermeintliche Magd wie mich so behandelt. „Und es macht dir wirklich nichts aus?“, fragte ich zaghaft, ich konnte es einfach nicht glauben, dass sie es selbstverständlich hinnahm. Lächelnd nickte sie, „Ich werde jetzt mit Raphael reden, ruh’ dich noch ein wenig aus“. Als Helene aus dem Raum gegangen war, fiel ich in einen tiefen Schlaf. Es würde alles wieder besser werden. Bald werde ich an meinem neuen Zuhause ankommen, niemand wird erfahren, dass mein Kind ein Bastard ist und vielleicht kann ich endlich mal ein ruhiges, geregeltes Leben führen. Endlich.

 

Raphael starrte in die Ferne, betrachtete die herrliche Landschaft, die sich über das Land erstreckte. Doch sie konnte seine schlechte Laune nicht bessern. Er hatte erfahren, dass Albrecht es nun wirklich auf eine Fehde anlegte. Doch schlimmer war die Nachricht, dass Kaiser Sigmund einen Krieg zwischen ihm und den Hussiten begann. Er wollte seine Krone über Böhmen wieder zurückerlangen, die ihm entrissen wurde. Sigmund rief alle auf, sich seinem Heer anzuschließen. Doch es schien, als würden nur die wagemutigsten Adligen sich ihm anschließen und sie schienen alle auch dafür verrückt genug zu sein. Raphael gehörte nicht zu denen. Er hatte genug Probleme mit der nahenden Bedrohung durch Albrecht.

Um auf andere Gedanken zu kommen, achtete Raphael wieder auf die Landschaft. Er konnte schon die Türme seines Schlosses sehen. Ein Lächeln glitt ihm über seine Lippen. Bald würde er seine Braut wieder sehen. Seine Stimmung hob sich augenblicklich und er spornte seinen Hengst an. Im Hof wartete bereits der Stallbursche und nahm seinen Hengst entgegen, nachdem Raphael sich aus seinem Sattel geschwungen hatte. Zügig ging er in seine Gemächer. Er konnte es nicht mehr abwarten, bei seiner Braut zu sein. Verschwunden waren die Gedanken an Krieg. Doch dort war sie nicht. Er ging zu seiner Tante. Diese stickte gerade. „Tante, hast du sie gesehen?“, fragte er, in seiner Stimme lag eine Spur Ungeduld. Helene blickte auf, als sie Raphael entdeckte. Sie nickte, „Sie ist im Garten“ Mit leuchtenden Augen, bedankte Raphael sich und verschwand dann aus dem Zimmer. Helene blickte ihm nach. Nicht zum ersten Mal fragte sie sich, ob sie einen Fehler gemacht hatte. Doch nun war es auch zu spät. Sie hoffte nur, es würde nicht böse enden.

Einen Moment blieb er stehen und betrachtete sie. Sie war so wunderschön, endlich gehörte sie ihm. Langsam ging er auf sie zu. Sanft liebkoste er ihren Hals, „Hallo, meine Schöne“

Völlig in Gedanken versunken strickte ich eine kleine Mütze, deshalb hörte ich die Schritte nicht. Für einen Moment erschrak ich, doch dann beruhigte ich schnell wieder. „Oh du bist es.“ Raphael nickte lächelnd. Ich lächelte leicht zurück, dann wandte ich mich meiner Strickarbeit wieder zu. Nach einer Weile gab ich es auf. Ich machte bei jedem zweiten Loch einen Fehler und kniff meine Augen zu, um mich zu konzentrieren. Ich hasste diese Arbeit, aber was sollte ich sonst tun? Ich wollte gerade aufstehen, als ich Raphael sah, der immer noch da stand und sich an einen Baum lehnte. „Hast du die ganze Zeit hier gestanden?“ Raphael nickte lächelnd, „Ich sehe dir gern zu, wie du dich so konzentrierst. Das macht dich nur noch unwiderstehlicher“ Ich musste lachen, „Bei meinem dicken Bauch, wohl kaum“ Raphael antwortete nicht, sondern blickte zu Boden. Schwerfällig versuchte ich aufzustehen. Langsam hasste ich es, nur sehr schwer voranzukommen und mein Bauch wurde auch immer dicker. Raphael kam mir zu Hilfe. Ich sah ihn dankbar an. Dann ging ich mit Raphael zu meiner Mutter. „So, ich verabschiede mich jetzt von euch Damen, ich habe noch etwas Wichtiges zu tun“ Ein letztes Mal sah er mich an, bemüht, nicht auf meinen Bauch zu starren. Für einen Moment schloss ich meine Augen und seufzte. „Was ist los?“, fragte mich Helene. Sanft massierte ich meinen Bauch, „ich weiß auch nicht…Ich fühl’ mich im Moment nicht so gut“ „Du meinst, du fühlst dich schlecht, wegen Raphael“ Stumm nickte ich. Ich fragte mich schon lange nicht mehr, warum ich nur so durchschaubar war. Helene lächelte, „Das brauchst du wirklich nicht. Raphael wusste genau, was er tat, als ich ihm diesen Vorschlag gemacht hatte und was es für ihn bedeuten würde“ Ich sah sie zweifelnd an, „Aber…wenn Raphael erfährt, dass ich ihn noch…“, ich verstummte, nein mit diesen Gedanken sollte ich erst gar nicht anfangen. „Charlotte, das gehört zur Vergangenheit, lass sie endlich ruhen und konzentriere dich aufs hier und jetzt. Bald wird dein Kind zur Welt kommen, es wird dann deine ganze Kraft brauchen“ Ich nickte und wandte mich meiner Strickmuster wieder zu. Helene stand auf und streckte ihre Glieder, „So ich lass dich erst einmal allein. Ach bevor ich es noch vergesse, eine Hebamme wird bald vorbeikommen und wird nachsehen, ob alles in Ordnung ist.“ Dann ging sie hinaus. Ich legte die Stricknadel beiseite, ich konnte mich heute einfach nicht mehr konzentrieren. Meine Gedanken schweiften hinab in die Vergangenheit, so vieles war geschehen und so vieles würde noch geschehen.

Ich hatte Raphael geheiratet. Er hatte meinem noch ungeborenen Kind einen Namen gegeben. Helene meinte zwar, Raphael wüsste, was er tat, doch ich war mir da nicht so sicher. Meine Eltern standen zu mir, meine Mutter und mein Vater. Mit einem Lächeln erinnerte ich mich an meine Ankunft. Ich hatte so schreckliche Angst gehabt.

Voller Unruhe verharrte ich die letzten Stunden vor meiner Ankunft in meinem neuen Zuhause. Meinem richtigen Zuhause. Doch was würde mich dort erwarten. Ich hatte keine Ahnung, was Helene vorhatte und ich fragte nicht, nachzufragen. Nervös blickte ich aus dem Fenster der Kutsche, doch dies konnte mich auch nicht beruhigen. Raphael trabte mit seinem Pferd zurück, bis er neben der Kutsche ritt. Er lächelte mich aufmunternd an, „Bald sind wir da“ Ich nickte, doch ich wusste nicht was ich sagen sollte. Was würde mit meinem Vater sein? War er genauso wie Ulrichs Vater? Hatte ich Geschwister? Und wie wollte Helene diese verzwickte Situation vertuschen? Unzählige Fragen gingen mir durch den Kopf und keine wagte ich Helene zu stellen. Ich strich eine Falte meines Kleides glatt. Der Samt war weich. Ich hatte noch nie so etwas getragen und es fühlte sich so ungewohnt an. Als wir in Koblenz ein paar Tage Rast gemacht hatten, waren wir zu einem Schneider gegangen und hatten Kleider anfertigen lassen. Bisher hatte ich meine Kleider immer selber genäht. Es kam mir so komisch vor, mich von anderen bedienen zu lassen. „Mach dir keine Sorgen“, sagte Raphael lächelnd, dann ritt er wieder voraus. Ich fragte mich, was mit Raphael war, er war irgendwie so glücklich. Seine Augen leuchteten und um seine Lippen spielte sich immer ein Lächeln. Aber ich konnte jetzt nicht weiter darüber nachdenken. Man konnte schon das Schloss sehen. Es ragte auf dem Berg erhaben hervor. Ich staunte, es wirklich prächtig aus und das sollte mein neues Zuhause werden? Ich konnte es nicht ganz glauben. „Großartig, nicht wahr?“, flüsterte Helene. Ich nickte nur, zu befangen um etwas zu sagen. Auf der Mauer stand ein Mann. War das mein Vater?

Mit einem Poltern hielt die Kutsche. Ich wagte nicht, hinauszusehen. Helene lächelte mir noch einmal aufmunternd zu, dann stieg sie aus. Zögernd folgte ich ihr. Wir standen mitten im Hof und alle Blicke lagen auf mir. Sogar die Bediensteten waren hinausgekommen, haben ihre Arbeit unterbrochen und starrten mich an. Ich versteckte mich ein wenig hinter Helenes Rücken. Ich mochte es nicht, angestarrt zu werden. Ich wollte nicht im Mittelpunkt stehen. Da kam der Mann auf uns zu, der auf der Mauer gestanden hat. Er lächelte, gab Raphael die Hand und strich Helene sanft über die Wange und flüsterte ihr etwas ins Ohr. „Hallo Liebster“, hauchte Helene. Ich hatte sie noch nie so gesehen. Dies versetzte mir einen Stich. Ich hatte auch einmal angenommen, für mich würde jemand so empfinden.

Dann ruhte sein Blick auf mir. Seine braunen Augen sahen mich überrascht und zugleich freudig an. „Du siehst aus wie deine Mutter“, ein zärtliches Lächeln glitt über seine Lippen, „wir sind so froh dich wieder zu haben. Die verlorene Tochter ist wieder zu uns zurückgekehrt“

Freudestrahlend nahm er mich in den Arm, „…so glücklich“, murmelte er. Gegen Abend saßen wir in der Kemenate. Leise knisterte das Feuer. Wir hatten gerade das Abendessen beendigt, mein Bauch fühlte sich voll und satt an. Es war so ungewohnt, solche Speisen zu essen. Natürlich hatte ich sie schon gesehen und zubereitet (doch nie hätte ich gewagt etwas davon zu probieren). Es war einfach köstlich. Ich lauschte den Worten meiner Eltern. Eltern! Wie ungewohnt dieses Wort nur war. „Wie geht es dir?“, fragte mich Raphael leise. Er legte beruhigend seine Hand auf meinen Rücken. „Gut, danke“, ich lächelte ihn leicht an. Es war auf einmal so still und ich bemerkte, wie Helene mich ansah. Ihr Mundwinkel zuckte, sie schien irgendwie betrübt. Ich bekam es mit der Angst zu tun. Hatte ich etwas Falsches getan? Bereute sie es, dass ich hier war? Was aus ihrer Tochter geworden war? Doch dann sagte sie zu ihrem Gemahl:

„Charlotte und Raphael werden heiraten“ Mein Vater und ich sahen wohl gleichermaßen entsetzt aus, denn Helene schmunzelte, doch ihr Blick blieb bekümmert. Ich blickte zu Raphael. Er saß immer noch gelassen im Lehnsessel um seine Lippen spielte sich ein begeistertes Lächeln. Er schien überhaupt nicht überrascht zu sein. Und erst jetzt verstand ich. Das war also Helenes Plan. Ich hatte keine Ahnung, was ich davon halten sollte und starrte stumm zu Boden.

„Aber Warum?“, fragte mein Vater erbost, „wir haben sie doch erst wieder gefunden und jetzt soll sie schon verheiratet werden!“ Als ihm Helene leise den Grund nannte, schwieg er. Die Farbe war ihm aus dem Gesicht gewichen. Ängstlich blickte ich ihn an. Was würde er jetzt tun? Würde er mich nun hinausjagen, da er wusste, dass ich in mir einen Bastard trug?

Schließlich brach er das Schweigen und sprang auf: „Was! Was haben die Schufte nur mit meiner kleinen Tochter angetan?! Und jetzt ist sie…Das werden sie mir büßen, ich werde jetzt sofort…“, „Nein!“, krächzte ich, „sie sollen nicht…“, abrupt beendete ich meinen Satz, meine Stimme versagte. Ulrich durfte nicht erfahren, dass ich noch lebte. Niemals. „Charlotte hat Recht. Das hat keinen Sinn. Sie hatten angenommen, dass sie eine Magd war und demnach war es ihr Recht gewesen. Charlotte hat ihnen gehört. Doch Schluss damit! Wir müssen uns Gedanken um ihre Zukunft machen und die des ihres Kindes!“ Immer noch aufgebracht nickte sie ihrem Gemahl zu, als wolle sie sich Mut machen. Überrascht sah ich meinen Vater an, mit dieser Reaktion hatte ich nicht gerechnet. „Ich sagte doch du brauchst dir überhaupt keine Sorgen machen, jeder auf diesem Schloss liebt dich“, flüsterte Raphael mir zu. Sanft strich er mir eine Strähne aus dem Gesicht. Ich lächelte leicht, immer noch zu aufgewühlt von den Ereignissen. Für einen Moment schloss ich meine Augen. So sah also mein restliches Leben aus. Helene hatte Raphael den Vorschlag gemacht, mich zu heiraten, damit ich in die Gesellschaft aufgenommen werden konnte. Deswegen war er die ganze Zeit so glücklich gewesen. Ich würde die Frau von Raphael werden. Mein Kind hätte einen Namen. Es würde eine glückliche, sorgenfreie Kindheit haben.

Dafür würde ich nun meine Seele verkaufen.

Völlige Dunkelheit umhüllte mich. Ich erschrak aus meinen Gedanken. Es war schon spät abends, wenn nicht sogar Nacht. Die Kerze war heruntergebrannt. Ich hatte die Zeit ganz vergessen. Ich verzichtete darauf, eine neue Kerze anzumachen. Mich störte die Dunkelheit nicht. In meinem Magen rumorte es. Ich stand schwerfällig auf und trottete in die Küche. Die Sonne war schon längst untergegangen. Die Mägde hatten sich schon lange Schlafen gelegt. Als sich meine Augen endlich an die Dunkelheit gewöhnt hatten, nahm ich einen Apfel und schnitt ihn in kleine Stücke.

Ich dachte an meinen Traum in die Vergangenheit. Natürlich hatte ich nicht meine Seele verkauft. Das war völlig absurd.

„Was machst du hier, in völliger Dunkelheit?“, ertönte auf einmal eine Stimme hinter mir. Ich erschrak und schnitt mir aus versehen in den Finder. Ich blickte auf uns sah in Raphaels lächelndes Gesicht. Vorsichtig nahm er meinen blutenden Finger und wischte das Blut mit seinen weichen Lippen weg. Verlegen zog ich meine Hand weg, „Ich habe nur… einen Apfel geschnitten“. E lachte leise, „Dafür gibt es doch Mägde“ Ich zuckte nur mit den Schultern, „Eine alte Gewohnheit. Ich hab mich noch nicht dran gewöhnt“, „Na dann komm“, er nahm meine Hand und ging mit mir in unsere Gemächer. Unsere Gemächer. Keinen kleinen Raum, nein, gleich zwei große Räume voller alter Familienschätze und einem großen Himmelbett. Ich betrachtete das große Familienbild und blickte in das Gesicht meiner Mutter. Sie war wirklich wunderschön. Ihre klugen Augen sahen auf mich herab. Sie wusste immer genau, was zu tun war. Mein Blick auf dem Mann neben ihr. Ihrem Gemahl. Meinem Vater. Leopold.

Raphael schlang seine Arme um mich und liebkoste meinen Hals, „Komm ins Bett“ Ich drehte mich zu ihm um, „Raphael, ich…“, „Still, es ist doch alles gut“, unterbrach er mich sanft. Liebevoll nahm er mein Gesicht in seine Hände, „Ich liebe dich. Das wird sich auch nie ändern“ Behutsam öffnete er mein Kleid, „Für immer und ewig“, flüsterte er leise. Ich musste wegschauen, ich konnte es einfach nicht ertragen, länger in seine liebenden braunen Augen zu sehen. Ich würde ihn niemals so lieben wie er mich liebte, wie ich Ulrich geliebt hatte.

Nachdem er erfolgreich mein Kleid ganz geöffnet hatte, stand ich nun nur noch im Unterkleid vor ihm. Ich spürte wie die Röte in meinen Wangen stieg. „Bitte, Raphael ich bin hässlich und fett!“ Er lachte leise, „Niemals könntest du hässlich und fett sein“

Ich wollte nur noch schnell ins Bett. Doch er hielt mich davon ab, „Warte…“ ich sah ihn fragend an und wartete. Ganz langsam kam er meinem Gesicht näher, ich zitterte, ich war diese Nähe von ihm nicht gewohnt.

Unendlich sanft liebkoste er meinen Körper. Doch ich konnte einfach nicht dieses Gefühl für ihn empfinden. Es ging nicht. Er war unendlich liebevoll und als sein Liebesspiel beendet war, lagen wir nebeneinander. Wir beide schwiegen, keiner wollte etwas sagen. „Charlotte“, flüsterte er leise, „Ich liebe dich“ Ich erschrak, nur einen Moment, dann hatte ich mich wieder unter Kontrolle. Er hatte es noch nie so direkt gesagt, so voller Inbrunst und Leidenschaft. Zu meiner Erleichterung bedeckte er mein Gesicht mit Küssen und ich musste ihm nicht antworten. Was sollte ich ihm auch sagen? Dass ich ihn nicht liebte? Nein, das konnte ich nicht tun. Ich fühlte mich so leer, als wäre die Person, die ich einmal gewesen war, verschwunden. Der Abgrund wurde immer größer, wie sollte ich das nur aushalten? Ich erinnerte mich an das letzte Mal, als ich mich so gefühlt hatte. Doch da war es nur schlimmer gewesen. Meine Hochzeit. Der Tag, an dem ich nicht mehr ich war, sondern Raphaels Frau. Ich würde ein neues Leben beginnen. Ein glücklicheres, ein besseres. Doch warum machte dies mich nicht glücklich? Ich wusste es nicht. Der Tag war überraschenderweise viel zu trostlos, für eine Hochzeit. Hatte ich denn eine andere Wahl?

„Charlotte“, zwitscherte die kleine Mathilda, „dein Haar muss noch gemacht werden, starr nicht so viel aus dem Fenster. Heute ist doch so ein schöner Tag“

Ich erschrak, hatte ich ganz vergessen dass meine sehr junge Magd noch im Zimmer war. Ich liebte die Kleine. Sie brachte mich immer zum Lachen, nur heute war mir nicht zum Lachen. Heute, würde ich heiraten. Ich hatte es immer noch nicht ganz verstanden. Den Sinn hatte ich begriffen, doch ich verstand einfach nicht, warum das alles so gekommen ist. Ich hatte mir nie eingebildet, jemals zu heiraten, mir war schon immer klar gewesen, dass ich Ulri… „Charlotte, komm doch jetzt her“, beklagte sich Mathilda. Ich stand schnell auf. Mir fehlten die Worte, konnte ich nicht endlich aufhören, daran zu denken? Ich heirate heute Raphael, Raphael und nicht Ulrich!

Um mich abzulenken, hörte ich Mathildas Geplapper zu. Sie war so hübsch, mit ihren fast schwarzen Haaren und den grünen Augen. Ich konnte nur hoffen, dass sie niemals auf jemanden wie ihm reinfiel. Sie würde dann bestimmt nicht so viel Glück haben, wie ich.

Mit einem Seufzen setzte ich mich, als ich Mathilda unruhig hin und her laufen sah. Mathilda atmete erleichtert aus und fing an, meine Haare zu einer kunstvollen Frisur zu flechten. Ich versuchte nicht in den Spiegel zu blicken. Mir gefiel die Person nicht, die mir dort entgegen blickte. Ihre blauen Augen schienen so leer und ausdruckslos, der einst so wunderschöne Glanz in ihren Augen war verschwunden. Ihre Lippen waren unmerklich zu einem Strich verzogen. Mühsam versuchte sie ein Lächeln auf ihrem Mund zu zwingen. Doch richtig gelang es dem Mädchen nicht. Tiefe Falten lagen in ihrem Gesicht.

„So, ich bin fertig, du siehst wundervoll aus“, zwitscherte Mathilda. Ich schreckte aus meinen Gedanken. Ich wandte mich von dem Gesicht im Spiegel ab und sah Mathilda an. Diese holte gerade etwas aus dem angrenzendem Zimmer. Mit Schrecken erkannte ich ein Kleid in ihren Händen. Ein Hochzeitskleid. Ich erschauderte bei diesem Anblick. Doch ich riss mich zusammen. Mathilda half mir das Kleid anzuziehen. Die Nähte hatte man heimlich entfernt, damit man meinen schon leicht wölbenden Bauch nicht sah. „Du siehst wunderschön aus“, sagte die Magd ehrfürchtig. Ich zwang mich zu einem Lächeln, doch ich fühlte mich, als bekäme ich keine Luft mehr. Ein Abgrund riss sich vor meinen Füßen auf und ich würde bald hineinfallen.

Leise klopfte es an der Tür. Ich zuckte zusammen, versuchte mich aber zu beruhigen. Helene trat ein. „Hallo meine Süße. Wie geht es dir?“ Ich zuckte mit den Schultern, „Gut, so weit“

Dann kam Leopold und hielt mir seinen Arm hin, „Darf ich die Braut zu ihrem Gemahl geleiten. Ich hatte dich noch viel zu selten in meinem Arm und will dich sicher in die Arme deines Mannes jetzt bringen“ Ich schluckte und wich seinem Blick aus. Ich wusste, auch für sie war es schwer und ich wollte es ihnen nicht noch schwerer machen als es schon ist, sie mussten nicht sehen, dass es für mich eine noch größere Qual war.

Alles in mir schrie, ich sollte wegrennen, die Menschen um mich herum sollten meinetwegen nicht verletzt werden, ich wollte nicht mehr verletzt werden. Doch musste ich diesen Schritt wagen, damit mein ungeborenes Kind ruhig und ohne Sorgen aufwachsen konnte? Eine Kindheit, die ich nie hatte? Das einzige was ich dafür tun musste war einen Bund mit Raphael einzugehen. Sonst nichts. Das müsste doch dann eine Kleinigkeit sein, oder?

Ich versuchte zu lächeln, als wir zur Kapelle den Gang entlang gingen. Das ist nichts. Überhaupt nichts Besonderes. Den ganzen Weg versuchte ich mir das einzureden.

„Bist du bereit?“, fragte mich Helene leise. Ihre Stimme glich einem flüstern. Ihr Blick war besorgt. Es kostete mich Kraft ein Lächeln aufzusetzen. „Ja, natürlich“, ich hoffte das klang glaubwürdig. Helene runzelte die Stirn, sagte aber nichts.

Mein Herz hämmerte, wir standen jetzt vor der Kapelle. Langsam machte Mathilda die Tür auf, ihr Gesicht strahlte. Es schien als würde jeder Schritt, der mich zu Raphael brachte, mich immer näher an den Abgrund bringen. Doch ich musste diesen Schritt tun. Ich atmete tief durch und riss mich zusammen. Raphael strahlte, man könnte meinen er erhellt den ganzen Raum. Ich musste meinen Blick abwenden. Auch ihn würde ich mit ins Verderben stürzen, doch er hatte es freiwillig getan, nur dass er nicht wusste was er tat. Er war blind. So wie ich auch mal blind gewesen war. Doch ich war geheilt, er nicht. Ich tat einen Schritt nach dem anderen, dachte nicht darüber nach, sonst wäre ich wohl umgekehrt. Nun standen wir beide vor den Priester. Leopold drückte mir einen Kuss auf die Wange und übergab mich nun Raphael. Ich zitterte am ganzen Körper, doch ich versuchte es zu unterdrücken. Die Worte des Priesters brannten wie Säure. „…möchtest du, Charlotte-Mariella Sophie von Aquin, Raphael Friedrich von Leinigen heiraten, ihn lieben und ehren, bis dass der Tod euch scheidet?“, ertönte die leicht raue Stimme des Priesters. Ich nickte und sagte die drei Worte meines Verderbens, „Ja, ich will“, „Und du, Raphael Friedrich von Leinigen, möchtest du Charlotte-Mariella Sophie von Aquin heiraten, sie lieben und ehren, bis dass der Tod euch scheidet?“ Raphaels Augen leuchteten und seine Worte waren so voller Inbrunst, dass ich erschauderte, „Ja, ich will“ Der Priester lachte, „So erkläre ich euch zu Mann und Frau.“ Ich erstarrte, als er mich küsste. Erleichterung erfasste mich. Raphael lachte befreit auf und führte mich weg. Glücklicherweise hatten wir nur im Familienkreis geheiratet, wir mussten keine große Feier feiern. Theresa brachte einen Weinkrug und es wurde allen eingeschenkt. „Auf das Paar“, sagte Helene und lächelte. „Ja“, Raphael lachte, „auf uns“ Ich nippte leicht am Wein und wiederholte leise die Wörter. Um mich herum verschwamm alles. Ich blinzelte. „Charlotte, alles in Ordnung mit dir?“, Leopold blickte mich besorgt an. Ich schüttelte den Kopf, „Ja…Nein…mir ist ein wenig schwindlig“ Raphael brachte mich stumm zu unseren gemeinsamen Gemächern. Sanft bettete er mich in das Bett. „Es ist schon in Ordnung, Raphael, du musst nicht bleiben. Mir ist nur ein wenig schwindlig“ Zärtlich strich er mir über die Wange, „Schon gut, Liebste. Das macht mir nichts aus. Du solltest jetzt schlafen“ Ich lächelte leicht. Jetzt hatte ich es geschafft, ich hatte Raphaels Hochzeitsnacht ruiniert.

Raphael schlief noch, als ich aus meinen Schlaf schreckte. Vorsichtig löste ich mich aus Raphaels Umarmung und versuchte mich leise anzuziehen, was sich als ziemlich schwierig gestaltete, wenn man meinen dicken Bauch beachtet. Irgendwie schaffte ich es dann doch.

Mit der Hand am Rücken ging ich in den Garten. Ich fühlte mich so unförmig, es war schrecklich. Obwohl ich mir nie Gedanken über meine Schönheit gemacht hatte und obwohl ich wusste, dass meine Schönheit ein Fluch war- ich fühlte mich hässlich. Aufatmend setzte ich mich in das schöne weiche Gras. Schon ein kurzer Weg, wurde zur Tortur. Lächelnd schloss ich meine Augen, war die Sonne so früh am morgen richtig angenehm.

Erschrocken öffnete ich meine Augen. Die Sonne war weg. Ich musste wohl eingenickt sein. Ich hatte ja letzte Nacht auch ziemlich wenig geschlafen. Schlagartig kehrten die düsteren Gedanken zurück. Wie sollte sie das nur aushalten. Seine Liebe. Das war krank. Man durfte so nicht lieben. Raphael war nett, ich mochte ihn wirklich, aber ich… ich konnte nicht mein ganzes Leben mit ihm teilen. Doch jetzt sind wir Mann und Frau. Aber ich liebte ihn nicht.    

Vielleicht mit der Zeit, meldete sich eine leise Stimme in mir, du wirst lernen ihn zu lieben. Du musst es nur wollen. Aber… Du musst es wollen!

Wütend schüttelte ich den Kopf, um die Gedanken zu vertreiben. So einen schönen Tag sollte ich nicht mir trüben Gedanken vergeuden. Energisch stand ich auf um den Rest meiner schlechten Laune abzuschütten und ging in die Kemenate, denn mein Magen knurrte fürchterlich. Dort saßen schon Helene und Leopold und genossen das Frühstück. „Guten Morgen“, sagte Leopold fröhlich und Helene lächelte, „Wie geht es dir heute?“ Ich verzog mein Gesicht zu einem Lächeln, „Ich fühle mich dick…und hungrig“ Helene lachte leise, „Na dann setz dich schnell und iss etwas. Ihr beide könnt es gebrauchen. Das ließ ich mir nicht zweimal sagen.

Als ich endlich gesättigt war, verbrachte ich einige Zeit damit, die kleine Mütze, die ich angefangen hatte, fertig zu stellen. Helene half mir und so machte ich nicht mehr so viele Fehler wie sonst. Ich war völlig in meiner Arbeit vertieft, dass ich nicht einmal bemerkte, wie Raphael hereinkam. „Hallo Liebste“, er drückte mir ein zärtlichen Kuss auf die Stirn. Ich sah ihn an und nicht zum ersten Mal wurde mir bewusst, dass ich ihn nicht verdiente. Er war so herzensgut und ich…

„Hallo“ meine Stimme war leise und ich lächelte schwach dann wandte ich mich meiner Arbeit wieder zu. Raphael setzte sich neben Leopold und sie unterhielten sich leise. Ich schaute erst wieder auf, als sich jemand räusperte. Es war Theresa. Sie lächelte mich kurz an, dann sagte sie: „ Herrin, die Hebamme ist angekommen. Mein Herz schlug heftig gegen meine Brust. Die Hebamme! Sie hatte ich ja ganz vergessen. Ich wartete gespannt.

Sie war eine hagere Gestalt, mittleren Alters. Sie war anders als die anderen Hebammen, die ich kannte. Ihr Gesicht hatte einen energischen Ausdruck und ihre Augen zeigten Wissen und Willenstärke.

Als sie mich erblickte, lächelte zum ersten Mal und ihr Gesicht bestand aus lauter kleinen Lachfältchen. Ihre Stimme hörte sich wie Schmirgelpapier an, doch das änderte nichts an ihren Worten: „Ach Charlotte, wie hübsch du nur geworden bist. Wo warst du nur? Na ist ja auch nicht wichtig, Hauptsache du bist wieder da. Ich kannte dich schon, da warst du gerade mal ein Tag alt.“ Ich lächelte leicht, wusste ich nicht, was ich sonst noch hätte tun sollen. „Das ist Elsa“, sagte Helena und ihre Mundwinkel zuckten, „Soviel wie heute hat sie schon lange nicht mehr gesprochen.“ Elsa errötete leicht und schwieg einen Moment. Sie hatte sich wieder gefasst, doch ihre Augen leuchteten noch, „So, wo soll ich sie mir ansehen?“ Wie vom Blitz getroffen sprang Raphael auf, lächelte und sagte: „Wir gehen schon“ und verschwand eilig aus dem Raum. Leopold warf ihm einen nachsichtigen Blick zu und folgte ihm. Mir lächelte er noch einmal kurz zu, bevor er verschwand.

Fachkundig tastete Elsa meinen Bauch ab und lächelte kurz, als sie zu mir aufblickte, „Alles in Ordnung“ Trotzdem machte sie noch ein paar andere Untersuchungen. Als sie damit fertig war erhob, „Bald ist es soweit“ Sie zwinkerte mir noch einmal zu und verschwand dann. Zurück blieb ich mit klopfendem Herzen. Ich sah meine Mutter an. Diese lächelte und setze sich dann in einen Sessel. Sanft umfasste ich meinen Bauch. Bald würde es soweit sein. Bald würde ich das Ergebnis aus Liebe in meinen Armen halten. Mein Lächeln verschwand. Einer falschen Liebe.

Ich biss mir auf die Lippe, damit die Erinnerungen verschwanden. „Was denkst du gerade?“ Helenes Frage holte mich aus meiner Trance heraus. Ich sah auf. Helene durchbohrte mich mit einem forschenden Blick. Ich wusste, sie würde nicht eher nachgeben, bis ich ihr die frage beantwortet hatte. Doch ich konnte ihr nicht sagen, dass ich an ihn dachte, dass konnte ich einfach nicht. Ich wusste sie hatte recht, es sollte einfach nur Vergangenheit sein, doch er war einfach nicht Vergangenheit, jetzt noch nicht. Aber mit der Zeit…mit der Zeit würde alles heilen. Doch ihr würde ich etwas anderes erzählen. Ich lächelte leicht, „Ich mache mir Sorgen. Ich weiß doch nicht wie das geht, die Geburt...“

Helene entspannte sich ein wenig und lächelte aufmunternd, „Du wirst wissen, was du tun musst wenn es soweit ist“ Ich nickte und starrte auf den Boden, versuchte zu verhindern, dass die Erinnerungen über mich hereinbrachen. Einen Moment lang herrschte Schweigen, doch dann sagte Helene munter: „ Komm, gehen wir in den Garten. Es ist heute so wunderbares Wetter.“ Ich nickte erleichtert, jede Ablenkung nahm ich dankbar an. Das würde mir bestimmt gut tun.

Zaghaft ließ ich meine Füße ins Wasser gleiten, meine Scheu vor Wasser war noch nicht verflogen. „Wir müssen dir unbedingt das Schwimmen beibringen“, sprach Helene nach einem Moment Schweigen. Sie sah mich an und lächelte. Quälende Erinnerungen legten sich um mein Herz wie Blei. Mühsam versuchte ich die Fassung zu wahren. Ich biss mir auf die Lippe und schloss einen kurzen Moment meine Augen. Das ist Vergangenheit. Das ist Vergangenheit. Das ist Vergangenheit.

Als wäre alles nur ein grausames Spiel, schlenderte Raphael gerade her. Seine Augen leuchteten, als er uns entdeckte und ein fröhliches Grinsen lag auf seinem Gesicht. Ich unterdrückte ein hysterisches kreischen. Ich verhielt mich ruhig. Ich bin in Ordnung. Ich habe keine quälenden Erinnerungen. Ich führe eine zufriedene Ehe. Er gab mir einen Kuss und legte seinen Arm um mich. Seine Hand strich zärtlich über meinen Arm.

Alles ist in Ordnung. Ich führe eine glückliche Ehe, ein glückliches Leben. Ich trage nur ein Kind unter meinem Herzen, dessen Vater der widerwärtigste, verräterischste Mensch auf dieser Welt ist. Ja, alles ist in Ordnung.

Gequält schloss ich meine Augen. Alles ist in Ordnung.

Erschrocken riss ich meine Augen auf. Ich starrte auf meinem Bauch. Tränen schossen mir in die Augen. Helene sah mich verwundert an, „Charlotte, was hast du?“ ich sah sie an und ein Lächeln glitt über meine Lippen. Ich konnte nicht sprechen, es war einfach unbeschreiblich, so etwas hatte ich noch nie erlebt. Raphael und Helene sahen mich angespannt an.

Ich schluckte, musste erst einmal meine Sprache wieder finden. „Es…hat mich gestupst“, befreit lachte ich auf, „es bewegt sich in mir“ Nun leuchteten auch Helenes Augen, während Raphaels erloschen. Behutsam fasste sie meinen Bauch an. Ich nahm kaum war, wie sich Raphaels Gesicht verdüsterte. Wortlos stand er auch und verschwand. Aber ich bemerkte das kaum. Es interessierte mich in diesem Moment nicht. Endlich hatte dieses absurde Unterfangen einen Sinn. Es war einfach unbeschreiblich. Seufzend richtete Helene sich auf. Fragend blickte ich sie an. „ Ich muss mich langsam um die Angelegenheiten der Burg kümmern. Die Burg muss schließlich bewirtschaftet werden“ Ich nickte und erhob mich ebenfalls, jedoch sorgsam auf meinen Bauch achtend. „Ich werde mich wohl ein wenig frisch machen“ Lächelnd schritt ich zu meinen Gemächern. Gerade als ich zur Waschschüssel gehen wollte, entdeckte ich Raphael. Er saß auf dem Bett, seinen Kopf in seinen Händen vergraben. Er schien mich nicht zu bemerken. Überrascht sah ich ihn an, „Hallo“ Ich lächelte leicht. Vielleicht sollte ich mich mehr bemühen. Ich mochte Raphael wirklich sehr, doch ich liebte ihn nicht. Aber ich werde es lernen. Das war ich ihm schuldig. Langsam hob Raphael seinen Kopf. Mein Lächeln erstarrte. Die Fröhlichkeit, die ich immer an Raphael so mochte war verschwunden. An dessen Stelle war ein eigenartiger Ausdruck, der mir Angst machte. Er stand auf, nahm mein Gesicht in seiner Hände und küsste mich unendlich sanft. Doch sein Kuss drückte so viel Schmerz aus, dass ich unmerklich erschrak. Zärtlich strich er über mein Kinn, seine Finger glitten entlang zu meinen Brustansatz und langsam zu meinem gewölbten Bauch. Ich hielt den Atem an. Er sah mich an. Ich wollte den Schmerz nicht sehen, wollte nicht dafür verantwortlich sein. Ein weiteres Mal beugte er sich zu mir herab und berührte zärtlich seine Lippen mit den meinen. „Ich liebe dich“ Seine Stimme war rau. Es schien als würde mein herz zerspringen von diesen Worten. Ich hielt das einfach nicht aus. Selbst bei meiner Mutter und meinem Vater konnte ich es nicht immer ertragen, ihre Blicke, ihre Berührungen. Ihr Glück. Und Raphael. Er liebte mich vom ganzen Herzen, voller Inbrunst. Warum? Schrie ich ihm stumm entgegen Warum liebst mich so? Mich darf man nicht lieben. Ich darf nicht lieben. Und du machst alles noch schlimmer.

Ich blieb still. So war nun mein Leben. Die Zeit bringt das Vergessen. Sie muss mich vergessen lassen.

Mit Schrecken sah ich, wie Raphaels Augen immer lebloser wurden. „Bitte. Sag es“ Seine Stimme klang flehend. Ich schluckte, „Raphael…“ Ich konnte es nicht sagen. Es ging nicht. Niemand sollte diese Wörter sagen. Niemand sollte so empfinden, damit man diese Wörter benutzen wollte. Unnachgiebig hielt er mein Kinn fest, zwang mich ihn anzusehen.

Mit brennenden Augen sah ich ihn an. Verstand er denn nicht, dass ich ihm das nicht sagen konnte. Abrupt ließ er mich los. Unruhig schritt er Zimmer auf und ab.

Nichts war zu hören, als die ruhelosen Schritte von Raphael. Die Stille war unerträglich. Doch was sollte ich sagen? Die Stille wurde mit einem Mal mit seinem Geschrei unterbrochen. „Du liebst ihn, nicht wahr?“ Ich erstarrte. Hilflos schüttelte ich den Kopf. Meine Kehle war wie zugeschnürt. Nein! Nein! Nein! „Du liebst ihn. Du liebst ihn.“, verzweifelt raufte sich Raphael die Haare, „Was kann ich denn noch tun, damit du ihn vergisst…damit du mich liebst? Sag es mir. Sag es mir!“ Er packte meinen Arm und schüttelte mich. Ich versuchte mich von ihm zu lösen, „Au! Raphael du tust mir weh“ Er ließ mich los und trommelte mit seinen Fäusten gegen die Wand.

Hastig schritt ich ein, „Raphael hör auf damit. Hörst du. Hör auf. Ich liebe ihn nicht. Er hat mich benutzt und ich hasse ihn. Hörst du, ich hasse ihn“ Ich packte seine Arme und versuchte sie festzuhalten. Für einen Moment schien er sich beruhigt zu haben, doch dann sah er mich mit wildem Blick an. Ich wich zurück. So hatte ich Raphael noch nie gesehen. „DU LIEBST IHN. DU HAST DICH IHM HINGEGEBEN“ Ich wollte das nicht hören. Jedes Wort traf mich wie ein Dolch ins Herz. Meine Starre löste sich und ich schrie, „Das stimmt nicht. Er hat mich geschändet. Deshalb bin ich geflüchtet“ Raphaels Kopf ruckte hoch. Er lachte höhnisch auf, „Du bist geflüchtet, weil du nicht seine einzige Bettgespielin sein wolltest“ Ich taumelte zurück. Ich wollte das nicht mehr hören. Diese...diese Lügen. „Das ist nicht wahr. Das ist einfach nicht wahr“ Meine Stimme hörte sich klein und heiser an. „Natürlich. Du liebst ihn. Ich sehe doch, wie du deinen Bauch beschützt, wie du ihn ansiehst, wie du ihn berührst. Ich bin nicht blind, Charlotte“ Ich musste weg. Kein weiteres Wort würde ich mehr ertragen. Bevor er noch etwas erwidern konnte, machte ich auf den Absatz kehrt, rannte mit meinen linkischen Füßen nur noch weg. Einfach weg. Der Schleier aus Tränen verdeckte meine Sicht.

Als ich nicht mehr konnte, blieb ich keuchend stehen. Ich wusste nicht, wo ich war, ich war völlig orientierungslos. Am anderen Ende des Ganges entdeckte ich Helene. Sie sah mich erst verwundert und dann besorgt an, „Charlotte?“

Mit einem Mal, durchzuckte mich Schmerz. Ich starrte auf meinen Unterleib. Ich brach zusammen, meine Hände pressten sich auf meinen Bauch um meinen Schmerzen so vielleicht zu mindern. Alles um mich herum verschwand, nur der Schmerz blieb.

Mein Baby, Ulrichs Baby. Irgendetwas verursachte so einen unmenschlichen Schrei. Erst als Helene mich am Arm packte und mich ein wenig schüttelte, merkte ich, dass ich es war, die dieses Geräusch machte. Vor Schmerz krümmend, lag ich auf dem Boden. Panik stieg in mir auf. Mein Baby. Mein Baby. Kühle Hände legten sich auf meine viel zu heiße Stirn, „Du musst dich erst einmal beruhigen, Charlotte. Beruhig dich“, ertönte Elsas Stimme. Sie drückte meine Beine auseinander, doch ich wollte nicht, es tat zu weh. „Charlotte du musst jetzt stark sein. Sonst war alles umsonst“ Helenes Stimme drang durch den Nebel von Schmerz. „Das Baby kommt“, murmelte Elsa verbissen. Ihre Stirn lag in Falten.

Instinktiv wusste ich, was ich zu tun hatte. Es ging so schnell. Mit einem Mal waren die Schmerzen weg. Eine Woge der Erleichterung umgab mich. Ich atmete aus. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass ich nicht mehr geatmet hatte.

„Es ist ein Junge“, teilte Elsa mir mit. Ihre Augen blickten mich fröhlich und ein wenig feucht an, „Ein wunderbarer Junge“ Seufzend öffnete ich meine Augen. Da erklang das wunderbarste Geräusch, das ich jemals gehört hatte. Der Kleine schrie, als wolle er damit seine Entrüstung zeigen, dass er einfach aus seinem behüteten Platz entschlüpft war. Erschöpft lächelte ich. Eine Woge Liebe erfüllte mich. Mein Sohn. Sanft drückte ich ihm einen Kuss auf die Stirn. Sein Gesicht war noch ganz runzlig. Seine dunklen Haare lagen nass und platt auf seinem kleinen Köpfchen. Mit großen tiefgrauen Augen sah er mich an. Mein Herz setzte für einen Moment aus. Er war ein Ebenbild seines Vaters. Doch diesen Gedanken schob ich weit weg von mir. Das war nicht wichtig. Er war jetzt bei mir und er würde seinen Vater niemals sehen. Bewundernd sah ich meinen Sohn an. Vergessen war die Qual. Vergessen war die Schmach. Er war der Sinn, den ich brauchte um weiterzuleben. Deshalb musste ich Raphael verletzen.

„Leonard“, flüsterte ich. , Das ist sein Name. Leonard“ Helene lächelte, „Das ist ein wunderbarer Name“ Elsa nickte stumm. Behutsam nahm sie Leonard und wickelte ihn in Tücher. Erleichtert atmete ich aus und sank zu Boden auf ein Kissen. Mir hatte wohl jemand das Kissen unter den Kopf geschoben, als ich zu abgelenkt war, um es zu bemerken. Mein Atem ging immer noch unregelmäßig. Es war vorbei. „Du solltest dich ausruhen, bemerkte Helene leise. Ich nickte, dann aber schüttelte ich verbissen den Kopf, „Ich möchte nicht schlafen“ Dennoch fielen mir immer wieder die Augen zu. Helene lachte leise, doch ich hörte ihre Sorge heraus, „Du musst dich ausruhe. Leonard geht es gut. Er braucht dich morgen und dafür musst du ausgeschlafen sein.“ Ich wusste dass sie Recht hatte, doch ich wollte einfach nicht Schlafen. Ich vergeudete nur Zeit, die ich mit Leonard verbringen konnte. Auf einmal ertönte eine andere Stimme. Es war Leopold. Aus seiner Stimme hörte man Angst und anschließend Erleichterung und Freude. „Charlotte geht es dir gut?“ Ich nickte müde, zu erschöpft um etwas zu sagen. „Lass sie schlafen...“, sprach Helene leise. Ich führte einen aussichtslosen Kampf mit dem Schlaf. Schließlich überwältigte er mich, denn der Tag forderte seinen Tribut.

Das nächste, was ich mitbekam, war das Geschrei eines Kindes. Für einen Moment lag ich benommen da, doch dann schreckte ich hoch.

Noch ein wenig verwirrt, strich ich mir eine Strähne aus dem Gesicht. Wie war ich hier hergekommen? Vermutlich hatte Leopold mich getragen. Mein Bauch tat noch ein wenig weh, aber ich ignorierte es. Ungläubig starrte ich meinen Bauch an. Es war wirklich vorbei. Ich hatte wirklich ein Kind hervorgebracht. Dann aber besann ich mich wieder auf das Geschrei und folgte diesem in ein anderes Zimmer. Dort saß Helene auf einem Schaukelstuhl und summte eine wohlklingende Melodie vor sich hin. Dennoch Leonard schrie störrisch weiter. Schnell eilte ich zu Leonard und nahm ihn in meine Arme. Behutsam wiegte ich ihn hin und her. Abrupt hörte er auf zu schreien und blickte mich mit einem leicht geöffneten Mund an. , „Hallo mein Kleiner“ Leonards Augen wurden noch größer. „Ich glaube, er möchte an deine Brust“ bemerkte Helene.

Leonard legte seine weichen, kleinen Lippen auf meine Brust und saugte. Selig betrachtete ich ihn. Hin und wieder gab er ein glucksendes Geräusch von sich. Ich konnte mein Glück kaum fassen. Man hatte mir diesen wunderschönen Jungen geschenkt.

„Charlotte?“ Ich blickte auf und sah in Helenes Gesicht. Irgendetwas bedrückte sie. „Du liebst ihn noch immer, habe ich recht?“ Ihre Stimme klang sanft. Schlagartig verdüsterte sich mein Gesicht, „Nein.“ Das stimmte. Ich liebte Ulrich nicht mehr. Ich konnte es mir nicht leisten, jeden Tag in das Gesicht seines Sohnes zu sehen und ihn zu lieben. Das ging nicht. Obwohl ich wusste, dass Helene es nicht böse gemeint hatte, konnte ich nicht verhindern, dass meine Antwort schroff klang. Helene seufzte leise.

Leonards kleine Finger umschlangen meinen Finger. Mit einem Seufzen löste ich mich von Leonard und gab ihn Helene.

„Ich gehe mich ausruhen“, sagte ich und ging aus dem Zimmer. Müdigkeit legte sich wie ein Schatten auf mich. Ich konnte meine Augen kaum offen halten. Der gestrige Tag war anstrengen gewesen und ich musste mich erholen. Von Raphael war keine Spur. Auch in den nächsten tagen ließ er sich nicht blicken. Doch ich war mir sicher, er hatte Leonard schon einmal betrachtet. Bis jetzt ahnte er nur, wer der Vater war. Aber wenn er Leonard betrachtete, das Gesicht, unverkennbar des seines Vaters. Was würde er tun?

Dies würde ich wohl früher als erwartet erfahren.

Gerade als ich Leonards Zimmer eintrat, sah ich Raphael sitzend in dem Schaukelstuhl. Einen Moment lang erschrak ich, doch schnell beruhigte ich mich wieder. Behutsam deckte ich Leonard zu und ging ohne etwas zu sagen in unser Schlafgemach. Raphael folgte mir.

Mit einem undurchdringlichen Blick starrte er mich an. „ Ich hab ihn gesehen“, seine Stimme klang brüchig und leblos. Wortlos nickte ich, das war mir schon längst klar gewesen.

Er schloss seine Augen. „Ulrich. Du musstest dich ausgerechnet Ulrich hingegeben?!“ Ich zuckte zusammen. So lange hatte ich versucht, diesen Namen nicht zu denken, nicht an ihn zu denken.

„Und ich hatte gehofft…irgendjemand anderes…der Gedanke…du und er…“ Schmerzerfüllt sah er mich an. „Raphael, bitte…“ Wie betäubt stand ich da, unfähig mehr zu sagen oder mich zu rühren. Unruhig lief Raphael im Zimmer herum, es schien als würde er innerlich zerreißen. Ängstlich sah ich ihn an. Er durfte nicht weiterreden. Es war einfach nicht zu ertragen. Fassungslos schüttelte er nur den Kopf, unfähig zu sprechen. Seine Augen wirkten glasig und mein Blick fiel auf den Weinkrug. Wie viel hatte er schon getrunken? Sonst trank er doch auch nicht soviel. „Du hast dich ihm hingegeben!“ Seine Stimme donnerte wie Hammerschläge. Ein Schauder lief mir den Rücken runter, als Raphael anfing zu schreien. „Du liebst ihn! Du tust es immer noch“ Hilflos schüttelte ich den Kopf, „Du irrst dich Raphael, hörst du?“ Doch er hörte einfach nicht zu. „Ich liebe ihn nicht. Ich…hasse ihn.“

Raphael lachte hart auf, „Ich glaube dir nicht. Du bist verletzt. Wie jede verstoßene Geliebte“ Völlig Fassungslos starrte ich ihn an. Diese Seite an Raphael kannte ich nicht und ich fürchtete mich. „Ich kenne Ulrich. Ich wusste schon am Tag der Abreise, dass er sich eine neue Bettgespielin zugelegt hatte“ Es schien als würde man mir mein herz rausreißen. Ich wollte, dass Raphael damit aufhörte, doch er redete ohne Erbarmen weiter. Er wusste wie sehr mich diese Worte schmerzten, doch dennoch hörte er nicht auf. „Deshalb bist du auch vor ihm geflüchtet. Du wusstest doch von Anfang an, wie er ist und dennoch hast du dich ihm hingegeben. Du hast ihm deine Liebe geschenkt. Er verdient deine Liebe doch gar nicht!“

Hatte er denn langsam nicht genug. Wie konnte ich ihm nur begreiflich machen, dass ich Ulrich nie geliebt hatte und dass das die Wahrheit war. Auch wenn das nicht stimmte. Ich wusste selbst wie absurd das war, aber so war es am Besten.

Er konnte, er durfte mich nicht länger für etwas bestrafen, was zur Vergangenheit gehörte. Zorn stieg in mir auf. Er musste damit aufhören. Ich hatte ein neues Leben angefangen und er wollte es mir wieder kaputt machen.

„Raphael hör sofort damit auf!“, hörte ich mich schreien, „ich war seine Magd. Was hätte ich denn tun sollen? Wehren konnte ich mich nicht, sonst wäre ich in den Kerker gelandet. Ich war ein Nichts!“ Mein Atem ging unregelmäßig, ebenso wie der von Raphael.

„Das ist Vergangenheit. Lass sie uns vergessen. Bitte Raphael, ich möchte nicht länger daran denken.“ Mit einem Ruck sprang er auf und seine Stimme hallte in den Wänden wider, „Wie soll ich das vergessen?! Du liebst jemand anderen und ich bin dein Ehemann! Denkst du, ich merke nicht, wie unwohl du dich in meiner Nähe fühlst? Raphael packte meinen Arm und schüttelte mich. „Au, Raphael du tust mir weh. Ich liebe ihn nicht und habe ihn noch nie geliebt. Warum willst du das nicht glauben?“ Eisern hielt er mich in seinem Griff. „Glaubst du ich sehe nicht, wie du dieses Balg ansiehst? Ich bin nicht blind. Mir hast du noch nie so ein Blick geschenkt und verdammt noch mal ich bin dein Mann!“ Er schien mir gar nicht zuzuhören. Seine Augen schienen mich mit seiner Verzweiflung zu verschlingen. Doch trotzdem konnte ich die Wahrheit in seinen Augen nicht leugnen. Ich liebte das Kind mehr als alles andere.

„Ich kann es nicht vergessen, nicht wenn ich das Balg jeden Tag sehen muss!“

Vergeblich versuchte ich ihn zu beruhigen, „Raphael, jetzt beruhig dich doch, es gibt…“, ich verstummte, meine Hand an meine schmerzende Wange gepresst. Raphael starrte mich an, seine Hände zu Fäusten geballt. Alles an ihm drückte Verzweiflung aus. Er war nicht er selbst. Nicht einmal böse konnte ich ihm sein. Ich hatte de Schlag verdient. Ich war es, die aus dem liebenswürdigen Raphael, dieses zusammengebrochenen Mann gemacht hatte. Der lächelnde, herzensgute Raphael. Der glückliche, zuversichtliche Raphael. Dieser war verschwunden. Jetzt schien er von Sinnen zu sein.

Einen Moment lang starrte er mich an, dann ließ er sich auf den Boden fallen. Seine Hände vergruben sich in seinem Gesicht. „Charlotte…Rachel…was machst du nur mit mir?“ Ich zuckte zusammen. Mein Herz schien durchbohrt von Dolchen, die Raphaels Worte auslösten.

Genau wie sein Herz. Er brauchte Liebe und ich musste sie ihm geben. Ich wollte ihm Liebe geben. Den inneren Kampf in ihm auslöschen und ich brauchte Ablenkung. Sanft hockte ich mich zu ihm. Raphael sah mich reglos an. Es erinnerte mich an die Zeit, die ich noch im Kerker verbracht hatte. Langsam beugte ich mich zu ihm, legte zärtlich meine Lippen auf die seine. Ich hatte ganz vergessen, wie schön dieses Gefühl war. Verzückt und heftig schob ich mich zu ihm und küsste ihn. Doch Raphael wich zurück. Zweifel lagen in seinen ruhelosen Blick, „Ich brauche das nicht. Ich brauche dein Mitleid nicht.“ Ein leichtes Lächeln umspielte meine Lippen, „Das ist kein Mitleid. Ich möchte es.“ Das war die Wahrheit, ich wolle es wirklich. Ich brauchte es. Sonst ertrug ich diese Liebe nicht, es machte mich krank. Ebenso Raphael. „Lass uns zusammen die Vergangenheit vergessen“ Innig und zugleich liebevoll schoben sich meine Lippen auf die Seine. Langsam entspannten sich Raphaels Schultern, er hob mich hoch und trug mich zum Bett. Das hinderte uns nicht daran unsere Kleidung abzulegen. Lass uns gemeinsam vergessen.

 

Die Wochen danach wurden besser. Keiner von uns sprach das Thema Ulrich je wieder an. Es wurde vergessen.

Leonard liebte meine Finger. Es war so unbeschreiblich, wie er fasziniert mit meinen Fingern spielte. Doch heute konnte ich mich nicht wie üblich auf Leonard konzentrieren. Ich erinnerte mich an den Tag, als Raphael mich so furchtbar angeschrieen hatte. Meine Entscheidung, unseren Schmerz gemeinsam zu lindern hatte vieles verändert. Nie hatte ich für möglich gehalten, dass das erste Mal mit Raphael so…angenehm sein würde.

In mir hatte alles gebrannt, noch von der Niederkunft Leonards, doch das war eine seltsame Linderung meiner anderen Schmerzen. Zwischen mir und Raphael, es war anders…so schön…und ruhig. Er konnte wieder lächeln, er hatte seinen Frohsinn wieder gefunden. Seine Nähe, seine Liebe machten mich nicht länger krank. Ich brauchte sie, so wie er mich brauchte. Leonard holte mich jäh aus meinen Gedanken. Glucksend zog er mit seinen kleinen Fingerchen an meinen Haaren. Zärtlich gab ich ihm einen Kuss und legte ihn zurück in sein Bettchen.

Lächelnd ging ich zurück in die Gemächer, nahm mir einen Apfel aus dem Schälchen und wollte nun zu Helene. Doch dann entdeckte ich Raphael im Sessel. Sein Blick war undurchdringlich und erinnerte mich an ihn von früher. Er nahm noch einen großen Schluck Wein und schlang seine Arme um mich. Stirn runzelnd betrachtete ich sein Gesicht, „Du trinkst zuviel.“ Er sagte nichts, sondern küsste sanft meinen Nacken. Wie schön die Berührung war. Nie hätte ich gedacht, dass es jemals einen Zeitpunkt gegeben haben sollte, als ich das nicht genoss. Doch ich musste mich wohl erst einmal von Ulrich befreien, bevor ich Berührungen dieser Art wieder genießen konnte. Seine Finger wanderten meinen Arm entlang. Seufzend dachte ich an den schönen Tag, den wir, wenn wir weiter hier oben bleiben würden, verpassen würden und sprach: „Gehen wir in den Garten?“ Raphael nickte lächelnd, seine Lippen berührten sanft meinen Mund. Aber immer noch ließ er mich nicht los. Sanft liebkosten seine Finger mich. Seufzend löste ich mich von ihm und nahm seine Hand, „Komm.“ Jedes Mal wenn ich den Garten sah öffnete sich mein Herz von neuem und ich hatte das Gefühl als wäre ich ohne Schmerz. Es gab nur die friedliche Stille.

Es war wie in einem Märchen und jedes Mal fühlte ich mich so, als wäre ich in einem.

Sachte liebkoste Raphael meinen Mund, mein Gesicht und meinen Hals, versuchte alles zu erkunden und konnte nicht genug bekommen. Völlig hingerissen sehnte ich nach mehr und schloss genüsslich meine Augen. Ein Seufzen entschlüpfte meinen Lippen. „Charlotte du bist so verführerisch!“ Ein verschmitztes Lächeln lag auf meinen Lippen, „Ach wirklich?“ Raphael nickte und grinste spitzbübisch, „Einfach unwiderstehlich.“

Ich sah Helene auf uns zukommen. Sie lächelte, „Hallo ihr beiden“ Gegen die Sonne blinzelnd, konnte ich nur Helenes Umrisse erkennen. „Wir genießen die Sonne“, lachte Raphael schelmisch. Meine Mundwinkel zuckten. Einen Moment lang betrachtete Helene uns schweigend, dann sagte sie, „Charlotte, ich würde dir gern etwas zeigen“ Widerwillig nickte ich. „Ich komme wieder“, lächelnd sah ich Raphael an. Seine Augen funkelten, „Ich warte auf dich“, erwiderte er.

Als wir das Ende des Gartens erreicht hatten, konnte ich meine Neugier nicht mehr länger zügeln, „Was wolltest du mir denn zeigen?“ Entschuldigend sah mich Helene an, „Eigentlich gar nichts. Ich wollte nur mit dir reden.“ Leicht beunruhigt wartete ich auf eine Erklärung. „Du scheinst dich jetzt wohl mit Raphael besser zu verstehen.“ Verwirrst sah ich sie an, „Wie meinst du das?“ Helene zuckte mit den Schultern. „Ich sehe doch, wie ihr beide beinahe über euch herfällt. Jedoch am Anfang eurer Heirat schienst du dich in seiner Nähe nicht wohl zu fühlen.“ Unbehaglich hob ich meine Schultern. „Das ist schon möglich, aber wir verstehen uns jetzt besser.“ Helene hob fragend eine Braue, „Wie kommt das?“ Scheinbar ahnungslos zuckte ich mit den Schultern, „Ich weiß es nicht. Wir haben geredet.“ Vorgeblich strich ich mein Kleid glatt uns suchte nach Dreck. Ich wusste, dass meine Mutter mir nicht glaubte, doch sie sagte nichts dazu. Stattdessen sagte sie: „Kurz vor Leonards Niederkunft habe ich gesehen, wie du völlig aufgelöst aus deinem Schlafgemach geflüchtet bist. Was war geschehen?“ Fieberhaft suchte ich nach einer passenden Erklärung, doch mir fiel keine ein. Sie wartete. „Raphael war…ein wenig sauer.“ Helene nickte, als hätte sich ihre Vermutung bestätigt, „Was ist passiert?“ Ich starrte vor mich hin. „Er konnte den früheren Umstand nicht mehr ertragen und wurde wütend. Sehr wütend.“ Schmerzhaft erinnerte ich mich an seine Worte, verbannte sie jedoch, da ich sie längst schon vergessen haben wollte. Helene wurde blass, „Hat er…dich geschlagen?“ Hastig schüttelte ich den Kopf. Sie musste ja nicht erfahren, dass er es zu einem anderen Zeitpunkt getan hatte. „Und wenn es so wäre, es wäre nicht so schlimm. Ich habe ihn dazu getrieben.“ Helenes Augen verengten sich. „Du trägst daran keine Schuld. Außerdem hat er niemals - egal was du tust - das Recht, dich zu schlagen.“ Ich merkte wie ich trotzig das Kinn hob, „Das spielt keine Rolle. Es ist gut so, wie es ist. Wir helfen uns gegenseitig und das reicht“, seufzend schloss ich meine Augen, „es muss reichen.“ Ich lächelte leicht. „Außerdem…irgendwann werde ich ihn auch lieben.“ Trotz lag in meiner Stimme. „Man muss nur lieben wollen“ Es schien eine Ewigkeit zu vergehen als Helene leise sprach: „So einfach ist das aber nicht.“ Starsinnig hob ich den Kopf, „Doch!“ Meine Mutter schmunzelte einen Moment, dann sagte sie: „ Du bist so dickköpfig wie dein Vater, das hatte ich schon bei dir als Baby erkannt.“ Ihre Augen bekamen einen traurigen Ausdruck, „Ich hoffe es für dich.“ Scheinbar gleichgültig zuckte ich mit den Schultern, „Ich gehe dann mal wieder zu Raphael.“ Helene nickte und lächelte leicht.

Raphael lag immer noch an der Stelle, wo ich ihn zurückgelassen hatte, seine Augen waren geschlossen und ein Lächeln umspielte seine Lippen.

Es war nicht der richtige Zeitpunkt um mich mit dem Gesagten auseinanderzusetzen. Ich kuschelte mich in seiner Arme und genoss die Wärme seiner Berührungen. „Was hat sie dir denn gezeigt?“, zärtlich knabberte er an meinem Ohrläppchen. „Nichts Besonderes“, hauchte ich. Es tat so gut. Liebevoll liebkoste er meinen Hals und wanderte mit seinen Küssen immer weiter nach unten. „Lass uns wieder nach oben gehen“ Seine Finger glitten über meine Beine. „Gut. Gehen wir.“ Langsam schlenderten wir zurück.

Raphael sah mich lächelnd an, „Ich glaube, jeder Tag ohne dich, wäre wie ein Tag ohne Sonne“ Leise lachte ich, „Das glaube ich nicht.“ Als er meine Worte hörte, blieb er abrupt stehen, drückte mich sanft an die Wand, seine Lippen strichen sanft über meine Wange, „Es ist mein Ernst. Du darfst nicht so unsicher um deine Person sein. Du bist der hellste Glanz, den ich je gesehen habe.“ Schweigend sah ich ihn an, „Warum denkst du, ich fühle mich unsicher?“ Zärtlich und zugleich traurig sah er mich an, „Weil er dir etwas schlimmes angetan hat und du nur so eine Erklärung dafür gefunden hast“ Kaum merklich zuckte ich zusammen, aber Raphael bemerkte es. Schnell nahm ich seine Hand, zog ihn weiter in Richtung unserer Schlafgemächer und lächelte schalkhaft, „Ich glaube, du wirst deine Worte bald wieder zurücknehmen“ Raphael konnte nicht anders, seine bekümmerte Miene wich einem Lachen. Er umschlang mich mit seinen Armen und irgendwie schafften es wir in unsere Gemächer zu kommen. Auf einmal hörte ich ein Wimmern. Alarmiert hob ich den Kopf. Raphael hielt mit seinen Liebkosungen inne und sah mich fragend an, „Was ist los?“

Sanft machte ich mich von ihm los, „Leonard, ich muss nach ihm sehen.“ Ich konnte sehen, wie sein Lächeln verschwand und seine Miene sich verdüsterte. , „Helene kann sich doch um ihm kümmern.“ Bittend sah ich ihn an, „Ich muss nur kurz nach ihm sehen. Ich bin gleich wieder da. Wirklich.“ Er nickte wortlos und wandte sich ab. Ich wusste, dass es nicht in Ordnung war, doch ich musste nach Leonard sehen. Erleichtert stellte ich fest, dass es ihm gut ging. Er lag fröhlich glucksend in seinem Bettchen und blickte mich mit seinen wunderschönen grauen Augen an. Zärtlich strich ich ihm über seine Wange. „Du wirst später ein genauso großer Herzensbrecher, wie dein Vater.“ Erst als ich die Worte hörte wurde mir klar, dass ich laut gedacht hatte. Doch verstand ich nicht, wie ich jetzt auf den Gedanken kommen konnte. „Ja, das wird er“, ertönte hinter mir plötzlich eine Stimme. Ich wirbelte herum und sah Raphael vor mir stehen. Seine Augen schienen leblos und voller Entsetzen musste ich mit ansehen, wie er sich umdrehte und aus dem Raum verschwand. Ich wagte nicht, ihm nachzulaufen. Schließlich ging ich ihm doch nach.

Das erste, was ich bemerkte, war der zerbrochene Krug auf dem Boden. „Oh Raphael…du solltest wirklich nicht soviel trinken“ Er lachte höhnisch auf, „Wenn es dir nicht passt, geh doch zu Ulrich zurück. Er kann dir anscheinend das geben, was ich nicht kann.“ Raphael sah mich wütend an. Unter seinen Worten zuckte ich zusammen. Er kam mir gefährlich nahe. Sein Atem stank nach Wein und langsam bekam ich es mit der Angst zutun. Ich wollte zurückweichen, doch er packte mich am Arm und zog mich an sich. „Du wirst erst gehen, wenn ich fertig mit dir bin. Du gehst erst, wenn ich es sage!“

Auf einmal fühlte ich mich zurückversetzt in die Vergangenheit. Wieder einmal würde mir der Mann, dem ich vertraut hatte, weh tun.

„Bitte Raphael…tu mir nicht weh. Ich bitte dich“ Raphaels Gesicht war gerötet, seine Lippen zusammengepresst. „Und was ist mit mir? Du bringst mich noch um. Ich halte es nicht mehr aus. Glaubst du, du kannst mich verletzten, mich irreführen und beleidigen? Aber ich soll dich verschonen. Warum? Weil du mich liebst?!!“ Vergeblich versuchte ich mich von ihm zu befreien. Dann schleuderte mich ein Schlag nach hinten. Ich spürte langsam Panik in mir aufkommen. Trotzdem spürte ich eine Wut, die mich meine Ängste vergessen ließ. Es reichte langsam. Ich war nicht dazu da, damit sie ihre Wut an mir auslassen konnten! Mühsam stand ich auf. Mit zornerfüllten Augen sah ich ihn an. „Ich habe nichts getan, damit ich das verdient hätte.“ Er sah mich höhnisch an, „Du hast mir die ganze Zeit etwas vorgespielt!“, „Nein habe ich nicht! Ich habe nie gesagt, dass ich dich liebe. Ich habe es versucht, wirklich. Ich fand die letzten Wochen wunderschön und ich hatte geglaubt, dass ich mich in dich verlieben könnte!!“ Er starrte mich an, er wurde noch blasser, als er eh schon war. Brutal presste er mich gegen den Schrank, sah mich mit seinen wilden Augen an und flüsterte: „Du lügst.“

Stumm schüttelte ich den Kopf. Tränen liefen meine Wange entlang. „DOCH!“, schrie er und plötzlich spürte ich eine Faust im Magen. Für einen Moment blieb mir die Luft weg. Im nächsten Moment schlug er mich ins Gesicht. „Hör auf!“, schluchzte ich. Es war zuviel. Es war genauso wie bei Ulrich. „Wenn du weiter so machst, wirst du genauso wie er. Los schlag mich noch ein bisschen. Am Besten du drückst mir noch meinen Hals zu, das hat er auch gemacht.“ Er ließ mich augenblicklich los. Entsetzt sah er mich an. Zusammengekrümmt lag ich auf dem Boden, „Jetzt hast du es. Nie wieder werde ich jemandem vertrauen. Niemals! Bist du jetzt zufrieden?“ Wortlos schüttelte er den Kopf, er schien wieder nüchtern zu werden. Völlig Verzweifelt sah er mich an. Ich konnte nicht länger in diese gepeinigten Augen sehen und raffte mich mühsam auf. Raphael schien Anstalten zu machen, mir zu helfen, doch ich wich gleichzeitig zurück, sodass ich wieder auf den Boden zurücksank. Leise stöhnte ich auf. Mein zweiter Versuch gelang besser und ich konnte mich mühevoll aus den Gemächern schleppen. Mit letzter Kraft sank ich in den Schaukelstuhl, neben Leonards Bettchen. Ich konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen. Erschöpft lauschte ich den regelmäßigen Atemgeräuschen des Babys. Es beruhigte mich. Irgendwann zwischen der Nacht und dem Morgen überkam mich der Schlaf.

Ich hatte nicht gedacht, dass es so schwer sein würde, Raphael in der großen Burg aus dem Weg zu gehen. Doch so war es. Aber noch schwerer war es vor meinen Eltern die Blutergüsse zu verbergen. Also tat ich das einzige, was wirklich half. Den ganzen Tag versteckte ich mich im Garten, unternahm lange Spaziergänge und ließ mir mein Essen in Leonards Zimmer schicken. Ich traute mich nicht, in meine Gemächer zu gehen, dort würde ja dann Raphael sein. Voller Liebe sah ich Leonard zu, wie er jeden Tag neu entdeckte. Wie er fröhlich mit seinen Ärmchen wedelte. Wie er mich bedingungslos liebte ohne etwas zu wollen außer in meinen Armen gehalten und gefüttert zu werden. Er war die einzige männliche Person, der ich meine Liebe schenken würde.

Nach zwei Wochen, die ich Raphael erfolgreich aus dem Weg gegangen war musste bald die unvermeidliche Begegnung kommen. Gerade kam ich von einem langen Spaziergang zurück und wollte nun zu Leonard. Unglücklicherweise ging ich an den Rittersaal vorbei. Als ich nun meinen Namen hörte, mit dieser mir so bekannten Stimmte, konnte ich nicht anders als zusammenzuzucken. Schlagartig kamen die Erinnerungen an dem Abend wieder. Ich zitterte und für einen Moment erwog ich wirklich einfach weiterzugehen und mich weiter zu verstecken. Doch da sah ich Raphaels Gesicht und erschrak. Er sah völlig ausgelaugt aus. Seine Haut spannte sich auf seinen Knochen und seine Haut war blass. Sein Haar hing völlig glanzlos an ihm. Trotz allem was er getan hatte, machte ich mir Sorgen um ihn.

Er starrte auf seinen Tisch und schien nichts wahrzunehmen. Sanft strich ich ihm eine Strähne aus dem Gesicht. Sein Kopf ruckte hoch. Unmerklich wich ich zurück.

„Sag, warum kannst du mich nicht lieben? Bin ich so abstoßend?“ Wortlos schüttelte ich den Kopf. Bodenloses Entsetzen erfüllte mich. Er sollte das nicht immer und immer wieder bereden. Er würde sich nur wieder aufregen. „Du siehst nicht gut aus“, brachte ich schließlich heraus. Er lachte hart auf, „Ich fühle mich auch tausendmal schlimmer“ Vorsichtig legte ich meine Hand auf seine Wange, sodass er mich ansah, „Tu das nicht.“ Verzweifelt sah er mich an, „Ich halte das nicht länger aus“ Wortlos nickte ich. Mit einem Mal stand er auf und lief unruhig herum. Vor mir blieb er abrupt stehen. Mein Herz hämmerte. „Du hast Angst vor mir“, flüsterte er. Es war eine Feststellung, keine Frage. „Es ist schon gut“, entgegnete ich, alles andere wäre eine offensichtliche Lüge gewesen. Raphael seufzte, „Nein, ist es nicht.“

Sachte strich er mir über seine Wange, dort wo sein Schlag mich getroffen hatte. Es war noch leicht gerötet. „Es tut mir unendlich leid!“ Er wandte sich ab und schaute aus dem Fenster. „Ich sehe jetzt endlich alles klar“ Verwirrt sah ich ihn an, „Wie meinst du das?“ Raphael ging zurück zum Tisch und betrachtete den dort liegenden Brief. „Vorhin war ein Bote hier und mir diesen Brief überreicht. Kaiser Sigismund bittet mich, ihm im Kampf gegen die Hussiten zu kämpfen.“ Entsetzt starrte ich ihn an, „Nein! Das kannst du nicht tun. Du könntest sterben!“ Sein Gesicht zeigte zum ersten Mal seit ich ihn kannte einen zynischen Ausdruck, „Das würde so viele Dinge einfacher machen, findest du nicht auch?“ Wortlos schüttelte ich den Kopf, unfähig etwas auf seine Worte zu erwidern. Er sah mich flehendlich an, „Charlotte, sag mir, dass ich bleiben soll. Gib mir das Gefühl, dass du mich brauchst.“, „Bleib hier“, meine Stimme bettelte schon. Raphael seufzte gequält, „Ich habe mir die ganze zeit etwas vorgemacht, nicht wahr? Es war nicht so schön, wie wir beide dachten. Du wirst mich niemals lieben und das halte ich einfach nicht mehr aus!“ Kurz flackerte in seinem Gesicht Wut auf, doch es verschwand so schnell, dass ich mir nicht sicher war. Sein Gesicht verzog sich schmerzhaft. Sanft berührte er meine Wange. „Nicht weinen, bitte nicht.“ Ich hatte gar nicht bemerkt, dass ich weinte. „Ich will nicht, dass du gehst. Du brauchst nicht zu gehen. Es wird bestimmt wieder so schön…wenn ich mich anstrenge…“ Ein klägliches Lächeln zierte sein Gesicht, „Du kannst da nichts machen. Du kannst keine Gefühle erzwingen.“ Ich spürte wieder den alten Trotz in mir herausbrechen, „Doch!“ Raphael lachte leise, dass jedoch sehr schnell wieder verstummte, „Mach mir keine Hoffnungen, Charlotte“ Zärtlich schloss er seine Arme um mich, „Es gibt keine Chance für uns“ Ich umklammerte ihn fest, ich wollte nicht dass er ging. „Sag mir was ich tun kann. Es gibt bestimmt eine Möglichkeit, damit wir zusammen sein können.“ Er schwieg eine Weile. Seine Brust hob und senkte sich unsicher. „Meinst du das Ernst?“, seine Stimme klang brüchig. Ich nickte heftig und vergrub mich in seinen Armen. „Vielleicht…gibt es eine Möglichkeit“, ich hörte den Hoffnungsschimmer in seiner Stimme. Ich blickte zu ihm auf und sah ein leichtes Lächeln auf seinen Lippen. „Was? Sag mir was ich tun soll.“ Seine Finger glitten über meinen Arm entlang, „Gib Leonard zu einer Pflegefamilie ab. Wir können noch viele Kinder haben.“ Fassungslos starrte ich ihn an. „Das meinst du doch nicht ernst!?“ Ich entwand mich aus seinen Armen. „Das kann ich nicht tun. Er ist doch mein Sohn!“ Raphaels Gesicht verdüsterte sich, „Entscheide dich. Entweder er oder ich“ Unglücklich blickte ich ihn an, „Ich würde alles für dich tun, nur das nicht! Er muss nicht verschwinden. Es wird auch so gehen. Ich schwöre es. Du wirst ihn nie zu Gesicht bekommen.“ Wortlos schüttelte er den Kopf. Ich konnte seine Qual sehen, doch seine Forderung konnte ich nicht erfüllen. „Dein Sohn wird immer zwischen uns stehen. Jedes Mal wen ich ihn sehe, sehe ich Ulrich und erinnert mich daran, dass dein Herz nicht mir gehört und doch bin ich dein Mann.“ Sachte strich ich ihm über die Wange, „Bitte verlange nicht von mir, meinen Sohn wegzugeben. Das kann ich nicht.“ Bodenlose Enttäuschung machte sich in ihm breit und er wandte sich von mir ab, „Es kann keine gemeinsame Zukunft mit uns geben, wenn du nicht Ulrich - deinen Sohn – vergisst.“ Ich spürte die Tränen, die jeden Moment auszubrechen drohten, doch ich hielt sie eisern zurück.

Sanft nahm er mich noch einmal in seine starken Arme. „Ich werde gehen. Vielleicht änderst du deine Meinung noch, wenn ich wieder zurückkehre.“ Verzweifelt starrte ich ihn an, „Bitte nicht. Lass mich nicht allein.“ Raphael gab mir noch einen letzten keuschen Kuss, dann wandte er sich ab und ging. Ich konnte mich nicht bewegen.

Allein stand ich in diesem großen Raum und starrte dem Mann nach, der mich als einziger wirklich geliebt hatte.

Vielleicht gab es auch eine andere Möglichkeit, damit er blieb. Ich musste sie nur finden. Aber erst einmal musste ich ihn aufhalten, damit er nicht ging.

So schnell ich konnte rannte ich ihm hinterher, bevor ich ihn überhaupt erreichen konnte, prallte ich mit Helene zusammen. „Charlotte, was ist los?“ Alarmiert hörte ich plötzlich Hufgeklapper. Ich stürzte zum Fenster und sah noch, wie Raphael in der weiten Landschaft verschwand. Meine Beine trugen mich nicht mehr und ich sank zu Boden. Helene kam auf mich zu, ihr Gesicht schmerzhaft verzerrt. „Er ist weg“ Ich hörte mein Schluchzen, wollte mich beruhigen, doch es ging nicht. „Ich bin jetzt völlig allein. Er darf nicht weg sein!“ Wortlos nahm sie mich in ihre Arme und wiegte mich wie ein kleines Kind.

Ich konnte es nicht begreifen, „Er ist weg.“

 

Der Himmel war grau und riesige Nebelschwaden erstreckten sich über das Land. Die wenigen Reisenden, die man zu Gesicht bekam, waren verrückt genug dem Wetter zu trotzen.

Das Wetter passte zu Raphaels Laune. Völlig in Gedanken versunken, achtete er nicht auf den Weg. Das monotone Platschen der Hufen seines Pferdes im Matsch, verschlimmerte seine üble Laune. Seine Gedanken kreisten um das einzige Mädchen, dessen Herz er nicht erobern konnte. Sie würde mir niemals gehören. Sein Herz blutete, als er sich an ihre unendlich traurigen Augen, die ihn anblickten, erinnerte. Es brach ihm das Herz, sie bei ihrem Abschied so zu sehen. Doch letztlich wusste Raphael, das Richtige getan zu haben. Ihre Lieblosigkeit fraß ihn auf. Er hatte schon einmal die Beherrschung verloren. Ein zweites Mal würde es nicht geben. Voller Gram dachte er an Charlottes zerschundenen Körper, der zusammengekrümmt auf den Boden lag. Seine unbedachte Tat, entstanden aus Wut und Schmerz konnte er sich nicht verzeihen. In diesem Augenblick hatte er erkannt, dass es nicht so weitergehen konnte. Wie es das Schicksal so wollte, traf am nächsten Morgen der Bote mit der Nachricht, Sigmund wolle gegen die Hussiten in den Krieg ziehen.

Seufzend blickte er in den Himmel. Konnte nicht wenigstens das Wetter angenehm sein? Dann wäre die Reise immerhin genießbar.

Ein schriller Pfiff durchbrach Raphael düstere Gedanken. Er blickte sich um und sah einen herannahenden Reiter. Der erste Lichtblick an diesem Tag erschien. „Julian, alter Freund. Was führt dich in diese verlassene Gegend?“, begrüßte Raphael seinen alten Spielkameraden. Julian lachte, „Das gleiche wie bei dir. Ich werde Sigmund bei seinem Krieg unterstützen.“ Bekümmert sah Raphael seinen Freund an, „Weiß deine Familie, wo du dich im Moment aufhältst?“ Julians Lächeln verblasste ein wenig, „Nein. Wir haben nicht mehr miteinander gesprochen seit…du weißt schon“ Raphael nickte. Da fiel ihm ein, dass Julian von den neusten Ereignissen nichts wusste. Gerade als er ihm in die neuesten Geschehnisse einweihen wollte, fluchte Julian laut auf, „Schau, die Brücke dort ist vom Unwetter völlig zerstört worden. Wir müssen umkehren und einen Umweg machen.“ Raphael sah die Katastrophe und ächzte auf. „Das passt. Der Tag war ja noch nicht schon schlimm genug gewesen.“ Erstaunt sah Julian ihn an, „Warum das? Was ist mit dir?“ Missmutig zuckte Raphael mit den Schultern, „Es ist irgendwie kompliziert. Ich habe das Gefühl, als würde sich der Herr jeden Tag einen neuen Streich einfallen, um mir das Leben schwerer zu machen.“ Einen Moment lang ritten sie schweigend, als Julian sagte: „Es geht um deine neue Frau, habe ich Recht?“ Verblüfft sah Raphael ihn an, dann nickte er grimmig. Julians Gesicht verzog sich zu einer Grimasse, „ Es scheint, als wären es immer die schlimmsten Probleme, die mit einer Frau zu tun haben.“ Ohne es zu wollen lachte Raphael auf, „Du hast Recht.“ Neugierig betrachtete Raphael seinen neuen Begleiter. Er schien nicht die Sorte Mann zu sein, die in den Krieg zogen, um Ruhm und Ehre zu erlangen. Seine strohblonden Haare lagen wirr auf seinem Kopf und schienen nicht gebändigt zu werden. Er blickte mit offenen blauen Augen in die Welt und meistens lag auch immer ein Lächeln auf seinen Lippen. Es versetzte Raphael einen Stich, Julian sah ihr so ähnlich. Nicht nur das, sondern Julian ähnelte seinem früheren Ich. Bevor er sich in Charlotte verliebt hatte.

„Warum nimmst du an Sigmunds Krieg teil?“ Julian zuckte mit den Schultern. „Ich weiß es nicht. Vielleicht aus Spaß. Vielleicht um mich abzulenken.“ Gedankenverloren starrte er in die Ferne. Raphael sah den Schmerz in Julians Zügen. Mit seinen fünfundzwanzig Jahren galt er noch als recht jung in der Welt der Erwachsenen. Jene, die den Fehler begangen hatten, ihn als Grünschnabel zu bezeichnen, hatten auf die unangenehme Weise erfahren, dass sie sich irrten. Mit achtzehn war er aus seinem Elternhaus ausgezogen und hatte die Welt erkundet. In letzter Zeit nahm er immer häufiger an Kriegen und Fehden teil. Er hatte mehr von der Welt als manch andere von uns gesehen. Doch er war nie wieder zu Hause gewesen.

„Woran denkst du?“, fragte Julian, nachdem Raphael einige Minuten geschwiegen hatte und schreckte ihn somit aus seinen Gedanken, „Du solltest wieder nach Hause zurückkehren. Ich kann mich nicht länger darum kümmern.“ Julian sagte nichts. Doch schließlich nickte er. Damit war das Thema beendet. Ihr Gespräch bewegte sich nur noch auf neutrales Terrain. Es wurde nicht mehr seine Frau oder seine Familie erwähnt.

Doch je weniger ihr Name fiel, desto öfter musste er an Charlotte denken. Am Ende des Tages war seine Stimmung genauso schlimm wie am Morgen. Als sie endlich eine geeignete Herberge gefunden hatten, machten sie Rast. Doch anstatt ausgehungert vom anstrengenden Tag zu sein, fühlte sich Raphael nur müde. Aber statt sich Schlafen zu legen, da morgen ein neuer anstrengender Tag beginnen würde, betrank sich Raphael mit Wein. Schließlich musste Julian den betrunkenen Raphael hinauf in sein Zimmer tragen.

Er sagte nichts dazu. Er sagte Raphael auch nicht, dass dieser wie ein Kind geweint hatte. Auch nicht, dass er die ganze Zeit geschrieen hatte: „Ich will sie wieder haben!“

Für ihn war es einfach nur ein normaler Abend mit seinem Freund und mit zuviel Wein. Es gab keinen Schmerz, keine Angst und auch keine Sehnsucht.

Raphael hatte das Gefühl, als würde jemand ununterbrochen auf seinen Kopf einhämmern. Die Sonne brannte in seinen Augen, jeder Huftritt war die reinste Qual und er hatte das Gefühl, als würde er sich jeden Moment übergeben müssen. Er musste sich nicht umsehen, aber wusste, dass Julian aufs köstliche Amüsieren musste. Dummerweise erinnerte er sich nicht mehr an den gestrigen Abend. Zu allem Unglück würden sie heute im Lager eintreffen und dem kaiserlichen Profos, dem Militärpolizist im Heer, gegenüberstehen.

Mürrisch starrte er den Weg entlang mit dem sie in wenigen Stunden das Lager erreichen werden. Plötzlich ertönte ein Lachen. Sein Kopf ruckte in Richtung Julian und bedauerte dies sofort. Diese schnelle Bewegung ließ ihn schwindeln. „Was ist so lustig?“, bellte er. Das brachte nur, dass Julian nur noch lauter lachte, „Du willst den Kaiser in seinem Kampf unterstützen und trotzdem siehst du aus, als würde dir der Gedanke, endlich im Lager anzukommen, nicht behagen.“, „Unsinn!“, blaffte Raphael. Julian brauchte ja nicht die Wahrheit zu wissen. Langsam legte sich die Übelkeit und Raphael fühlte sich schon wesentlich besser. Seine Stimmung hob sich allmählich. Er konnte sogar über Julians Witzen lachen. Selbst der Regen hatte aufgehört und nun schien die Sonne warm auf sie herab. Sogar in Raphael wuchs Hoffnung. Vielleicht, wenn er zurückkehrte, würde Charlotte ihr Herz für ihn öffnen.

In der Ferne erschienen die äußeren Wachposten des Lagers.

Der Profos erwartete sie schon. „Seid gegrüßt“ Raphael und Julian nickten dem Mann zu und gaben ihm die Hand, „Wir hoffen nicht, dass wir die Letzten sind“

Müde von der langen Reise schritten sie den Platz entlang und streckten ihre müden Knochen. „Also ich brauche jetzt erst einmal einen guten Schluck Wein, Mädchen und leckere Bratwürste!“, begierig leckte sich Julian seine Lippen. Raphael konnte nicht anders, er musste lauthals lachen. „Ich komme mit. Wein ist eine gute Idee“ Julian warf ihm einen spöttischen Seitenblick zu, „Das kann ich mir denken.“ Raphael klopfte ihm auf die Schultern, „Es ist schön, wieder mit dir zu reden. Es war wirklich lang her“ Julian nickte lächelnd. Er sah sich kurz um und fragte dann Grimassen schneidend, „Wo sind wir hier? Sag bloß du hast dich verlaufen?“ „Ihr seid genau richtig hier!“, ertönte eine laute Stimme. Raphaels Lächeln erlosch und er drehte sich um. An einem Zelt abstützend lehnte sein alter Freund und grinste ihn an. „Ihr habt aber ganz schön lange gebraucht um hier her zukommen.“ Julian lachte, „Das war alles Raphaels Schuld. Seine schlechte Laune hat die Brücke zerstört. Schön dich zu sehen, Ulrich.“ Ulrich lachte schallend und nahm einen deftigen Schluck aus seinem Becher. Zornig und zugleich überrascht sah Raphael Julian an, „Du kennst ihn?“ Julian nickte, „Ich habe ihm und seinen Nachbarn bei einer Fehde mit einem Albrecht von Steinzell geholfen“ Raphael knirschte mit den Zähnen. „Wie schön, dann ist wenigstens ein Problem gelöst“ Freundschaftlich klopfte Ulrich ihm auf die Schultern. „Du warst ja nicht da. Hattest zuviel mit deinem Weibchen zutun, wie?“ Raphael wirbelte herum. Mit zusammengekniffen Augen sah er ihn an, „Ja kann schon sein.“ Ulrich lachte laut. Sein Atem stank nach Wein. „Du musst mir unbedingt diese Charlotte vorstellen. Die verschwundene Tochter der Aquins. Und was tust du? Du hast sie sofort geheiratet!“ Verblüfft stellte er fest, dass Ulrich keine Ahnung hatte. Eine gewisse Genugtuung erfüllte ihn. Bei näherer Betrachtung, sah Ulrich genauso schlimm aus wie er. Er war blass, dunkel hoben sich seine Bartstoppeln ab. Er hatte sich wohl schon länger nicht mehr rasiert. Blutunterlaufende Augen sahen ihn an, blickten jedoch gleichzeitig ins Leere. Perplex erkannte er, dass Ulrich genauso fertig wie er war. Er fühlte sich wesentlich besser. Andererseits gehörte Ulrich die Liebe von Charlotte, auch wenn sie nicht bei ihm war und es nicht zugeben wollte. Er hatte ihr lediglich seinen Namen gegeben, mehr nicht. Er hatte nichts. Erneut überfiel ihn eine Woge Zorn. „Wie geht es denn deiner blonden Magd? Als ich das letzte Mal bei dir sah sie wirklich hinreißend aus. Warum hast du sie denn allein in deinem Bett gelassen?“ Ulrichs Grinsen verschwand und Wut trat zum Vorschein. „Aber eins muss ich dir lassen“, setzte Raphael noch eins drauf, „Sie kann was“ Ulrich wurde blass und seine Hände waren zu Fäusten geballt. „Du meinst Rachel, richtig?“ Mokant grinsend nickte Raphael. Ulrichs Faust prallte gegen einen Pfosten. Kein Muskel zuckte in seinem Gesicht und sein Gesicht wurde ausdruckslos, „Sie ist weg.“ Sein bodenloser Schmerz kam zum Vorschein und beinahe hätte Raphael Mitleid mit ihm gehabt, wäre sein Schmerz nicht ebenso groß. Verdutzt hörte Julian den beiden zu. „Mensch Leute, es kann doch nicht sein, dass ihr beide Probleme mit Frauen habt, oder? Da habe ich ja direkt Angst zu heiraten.“ Ulrichs Mundwinkel zuckte, sein Gesicht immer noch schmerzlich verzogen, starrte er in die Ferne und kippte seinen Becher, als wäre es Wasser, runter. Er wandte sich ab, „Ich wünsche euch noch eine schöne Nacht“ Konfus sah Julian ihm nach, „Er scheint genau wie du, ziemlich fertig zu sein.“ Wütend wirbelte Raphael herum, „Meine Schuld war es nicht. Er dagegen trägt die volle Schuld“ Aufgebracht raufte er seine Haare, „ Ich brauch jetzt unbedingt Schnaps.“

Es war wie ein Déjà-vu. Mit schmerzendem Kopf erwachte Raphael in seinem Zelt. Klugerweise hatte Julian die Zelte schon aufgebaut, als er Raphael wieder einmal tragen musste. Die Sonne schien unerbittlich hell und brannte in seinen Augen.

Er hatte einen schalen Beigeschmack in seinem Mund, als er lustlos seinen Schinken vertilgte. Kurze Zeit später erschien auch Ulrich. Seine Haut war noch blasser geworden und jetzt bei Tageslicht konnte Raphael erkennen, wie abgemagert er aussah.

Aber trotz seinem schlechten äußerlichen Zustand, lief Ulrich schon munter herum und erteilte Befehle, während Raphael sich noch kaum bewegen konnte. Ulrich hatte wohl schon öfters solche Nächte gehabt, dachte Raphael boshaft.

„Der Kerl ist gnadenlos“, murmelte sein Nachbar. „Du meinst wohl eher herzlos“, gab Raphael bissig zurück. Es machte ihn rasend die Anerkennung aus den Worten des Mannes zu hören. Charlotte würde ihm nie gehören, da Ulrich existierte. Selbst wenn dieser tot wäre, würde Charlotte ihn immer noch lieben. Ulrich verdiente keinen Respekt. Er hatte seine Zukunft mit Charlotte zerstört, bevor sie richtig beginnen konnte.

Wutentbrannt stand er auf und marschierte in den nahegelegenen Wald. Er hörte Schritte hinter sich, hielt jedoch nicht an. Erst als sich eine Hand auf seine Schulter legte, wirbelte er herum. Er stöhnte auf. Es war eben der Mann, den er in diesem Moment am allerwenigsten sehen wollte. „Was willst du?“ Ulrich zuckte mit den Schultern, „Du scheinst Probleme zu haben. Ist es wegen deiner Frau?“ „Als würde dich das etwas angehen. Du wärst auch nicht gerade der beste Ansprechpartner, wenn es um Frauen geht“ Argwöhnisch sah Ulrich ihn an, „Was meinst du damit?“ Raphael zuckte scheinbar gleichgültig mit den Schultern, „Ich meine, deine Magd war auch nicht gerade glücklich“ Seine Antwort klang trotzdem bissig. Jegliche Farbe wich aus seinem Gesicht. Er rang nach Atem. „Hast du sie gesehen? Wo?“ Raphael wandte sich zum Gehen. „Raphael, warte!“ Widerwillig drehte er sich um, „Was willst du noch?“ Völlig fiebrig starrte er ihn an, „Du musst mir sagen, wo sie ist! Lebt sie noch? Als Freund musst du mir…“ Raphael hatte genug von diesem Geschwätz. Er schnitt Ulrich das Wort ab, „Als Freund? Wir sind schon lange keine Freunde mehr! Ich sage es dir ein letztes Mal, lass mich in Ruhe! Ich möchte nichts mehr mit dir zu tun haben. Vergiss die Magd. Viel von ihrer kümmerlichen Seele kann nach dir nicht mehr übrig sein“ Um nicht länger mit Ulrich sprechen zu müssen, wandte er sich ab und ging schnellen Schrittes weg. Als er sich jedoch kurz umdrehte, erstarrte er. Er sah einen Mann, kniend auf dem Boden, die Hände gegen den Himmel ausgestreckt und betete wehleidig.

Ungehalten wartete Julian darauf, dass einer seiner Freunde aus dem Wald herauskommen würden. Als schließlich Raphael herauskam, hielt Julian ihn am Arm fest. „Was geht zwischen dir und Ulrich vor? Wart ihr nicht einmal Freunde gewesen?“ Raphael schien abwesend zu sein, „Ja…vor langer Zeit.“ Verwirrt sah Julian seinen Freund an, „Was ist denn passiert?“ Raphael zuckte mit den Schultern, „Das ist nicht wichtig“ Er machte sich los und verschwand. Sprachlos starrte er ihm nach.

Inzwischen versuchte Raphael erfolglos, seine Gedanken zu kontrollieren. Er konnte das eben Geschehene nicht vergessen. Es war unwiederbringlich in sein Gedächtnis eingebrannt. Er versuchte sich am Rande der Erschöpfung zu bringen, damit ihn das ablenkte. Während Schweiß seinen Rücken bedeckte, musste er sich eingestehen, dass er keine Ahnung hatte, was wirklich zwischen Charlotte und Ulrich geschehen war. Er hatte nur Charlottes misshandelten Körper gesehen. Aber es war nun mal so, dass Charlotte keine andere Liebe als die zu Ulrich zuließ, auch wenn diese einseitig war. Doch dessen war sich Raphael nun nicht mehr sicher. Niemand konnte so inbrünstig beten und zugleich völlig gefühllos und brutal sein.

„Raphael, alter Freund“, rief ihn Karl Walden, den er bei seinem letzten Besuch bei den Sayns kennen gelernt hatte. Er grinste ihn an. „Manche von uns wollen sich ein bisschen Spaß gönnen und wollen den Huren einen Besuch abstatten. Möchtest du uns begleiten? Und was ist mit dir, Julian?“ Raphael hatte gar nicht bemerkt, dass Julian dazu gestoßen war. Dieser schüttelte den Kopf, „Ulrich und ich halten es für besser, wenn wir noch ein wenig trainieren. Wir brechen ja morgen auf und das kann nicht schaden. Karl winkte lachend ab, Es gibt nichts besseres, als das Vergnügen mit einer Frau vor einer bevorstehenden Schlacht!“ Heiter schmunzelte Raphael, „Das stimmt“ Karls Augen leuchteten auf, „Also kommst du mit?“ Raphael nickte grinsend. „Warum nicht?“ Vielleicht brachte ihn ein wenig Spaß auf andere Gedanken.

Grau und bedeckt ließ der Himmel jede noch so gute Stimmung senken. Schwere Tropfen fielen gegen die Zelte, die Erde und auf die herumirrende Menge.

Der Boden war aufgewühlt und jeder Schritt wurde zu einer Qual. Dennoch war dieser Morgen, der herrlichste, den Raphael seit seiner Abreise erlebt hatte.

Zum ersten Mal war er frei von seinen Gefühlen, die ihn quälten.

Mit beschwingten Schritten sattelte er sein Pferd und machte sich bereit für den Aufbruch.

Heute würden sie an die Grenze von Böhmen reiten, da die Hussiten dem Grenzposten gefährlich nahe kamen.

Er lenkte sein Pferd in die hinterste Reihe. Er sah Ulrich und Julian an der Spitze reiten. Raphael wollte Ulrich so gut es ging aus dem Weg gehen. Er wollte die aufreibenden und schmerzhaften Gefühle nicht wieder haben. Er hatte sich endlich von ihnen befreit. Nie wieder wollte er diese Schwäche zeigen.

Der Regen tröpfelte monoton vor sich hin und durchnässte die Rüstung der Krieger. Dennoch genoss Raphael den kalten Regen auf seiner Haut.

Nach einer Weile ließ sich Julian zu Raphael zurückfallen. Einen Moment lang ritten sie schweigend beieinander. Schließlich seufzte Julian leise, „Du hast dich verändert, Raphael.“ Entrüstet sah Raphael seinen Freund an, „Habe ich nicht! Ich bin noch genauso wie früher.“ Julian schüttelte den Kopf. „Es ist zwar nicht üblich, aber du würdest nicht heiraten, wenn du die Frau nicht lieben würdest. Und dann tust du dir diesen Mist an. Du gehörtest nie zu den Menschen, de sich mit anderen Mädchen vergnügten, während die Frauen in der Heimstätte auf sie warten. Zumindest warst du einst so.“ Raphael zuckte scheinbar gleichgültig mit den Schultern. Er wusste selbst nicht, was er tat und schwieg. „Es geht mir gut.“ Starrköpfig blickte er in die Ferne. Ihm ging es jedenfalls besser und das war alles was er wollte. Mit einem Mal erkannte er, dass Charlotte dasselbe mit ihm getan hatte.

„Es zerfrisst dich. Du solltest vorsichtig sein.“ Raphael schüttelte de Kopf, „ Unsinn. Ich habe mich noch nie besser gefühlt.“ Selbst er bemerkte, dass dies nicht besonders überzeugend klang. Julian sah ihn skeptisch an schwieg jedoch.

Die Stunden vergingen, während Julian und Raphael jedes Thema ergriffen, dass ihnen einfiel. Lediglich Raphaels Problem ließen sie unberührt und wichen dem tunlichst aus. Der Tag neigte sich zum Ende und bald würden sie ein Nachtlager errichten müssen. Es würde Dunkel werden und bei Nacht war es gefährlich zu reisen. Zumal sie Angst haben mussten, dass die Hussiten sie angriffen. Alle waren erschöpft von der langen Reise und ein jetziger Angriff des Feindes wäre fatal.

Eben aus dem Sattel gesprungen, lief Raphael in die Richtung, die zu den Wagen der Marketenderinnen führten. Kopfschüttelnd sah Julian ihm nach. Mit einer Schüssel Wasser, wusch er sich den Dreck und Schweiß, der durch die Reise entstanden war, weg.

„Wie geht es deinen Beinen?“, fragte Ulrich grinsen, als er auf Julian zukam.

Julian lachte, „Ich bin es gewohnt. Aber du…vielleicht solltest du in den Bach dahinten gehen. Das könnte dir Linderung verschaffen“ Mit einem undurchdringlichen Blick starrte er für einen Moment in den Himmel. Für einen Augenblick erschien unendliche Traurigkeit in Ulrichs Augen, doch Ulrich wandte sein Gesicht ab, sodass er sich nicht mehr sicher war. Julian betrachtete ihn genauer. Zu gern hätte Julian gewusst, was Ulrich wohl in diesem Moment durch den Kopf ging. Obwohl Ulrich in seinem Alter war, sah er wesentlich älter aus, als fünfundzwanzig Jahre. Er hatte Ulrich zwar nie anders erlebt, dennoch hatte er das Gefühl, dass diese Fröhlichkeit und Lebensfreude nicht echt war. Nur selten sah er die Risse in seiner Maskerade.

Was war nur mit seinen Freunden los? Beide schienen am Rande des Abgrundes zu sein.

Ratlos blickte Julian seinen Kameraden an. Er fasste einen Entschluss. Er würde dem Ganzen auf den Grund gehen. „Ich habe vorhin, nicht weit von hier eine heiße Quelle entdeckt. Entspannen wir uns doch ein bisschen. Das würde unseren müden Knochen gut tun.“ Ulrich zögerte, „Ich weiß nicht, es macht mir nichts aus, Schmerzen zu haben“ Verwundert hob Julian eine Braue, doch er ging darauf nicht ein, sondern sagte stattdessen: „Keine Widerrede, du kommst mit!“ Resigniert zuckte Ulrich mit de Schultern, „Also gut“, und folgte seinem Freund, dem er in diesem Moment am liebsten den Hals umgedreht hätte.

Die Quelle war herrlich erfrischend für seinen erschöpften Körper und es schien, als würde es auch seine Seele reinigen. Auch wenn Ulrich sich das nicht eingestehen wollte. Er hatte das Gefühl, als könnte er einen Augenblick lang, alles vergessen. Doch dem war es nicht so. Er wusste es besser.

Als er seine Augen wieder öffnete, bemerkte er, dass Julian ihn besorgt ansah. „Warum quälst du dich so?“ Als Julian in einem kurzen Augenblick Furcht in den Augen seines Freundes sah, da wusste er, dass er Recht hatte. Ulrich sah ihn scheinbar schalkhaft an. Doch Julian wusste es besser, er wusste, was er gesehen hatte. „Was meinst du? Warum sollte es mir schlecht gehen. Ich fühle mich fabelhaft.“ Julian seufzte, „Du bist wie Raphael. Ihr beide lasst euch nicht helfen.“ Ulrich lächelte freudlos, „Hast du es auch schon bemerkt. Im Gegensatz zu mir, hat er ein Problem.“ Julian ignorierte seinen unausgesprochenen Widerstand über seinen Verfassungszustand und nickte. „Er will es nicht zugeben“, er sah Ulrich kurz eindringlich an, „Er ist so dickköpfig. Vielleicht wenn du mit ihm redest…?“ Ulrich schüttelte seufzend de Kopf, „Er will mit mir nicht reden. „ Erstaunt hob Julian eine Braue, „Ihr seit doch Freunde.“ Sein Freund zuckte hilflos mit seinen Schultern, „Er hasst mich für etwas. Aber nur er weiß, was es ist. Ich bin die denkbar schlechteste Wahl, um ihm zu helfen.“ Fassungslos starrte Julian ihn an. „Ihr beide seid die beklagenswertesten Menschen, die ich kenne.“ Entrüstet protestierte Ulrich. „Ich sagte dir doch, mir fehlt nichts. Mich quält nichts.“ Ein kurzer Schatten legte sich auf sein Gesicht. Zweifelnd sah Julian ihn an. Ulrichs Geduld war am Ende. Er sprang auf und schrie, „Verdammt Julian! Ich habe keine Probleme. Der einzige, der ein Problem hat ist Raphael. Du wirst bald auch eins haben, wenn du nicht deine Zunge hütest! Ich schwöre dir…“ Kraftlos sank er zurück in die Quelle. Sein Atem ging schnell. Er hatte heute einfach keine kraft mehr, zu kämpfen. Als er einen kurzen Blick auf Julian wagte, sah er Wut in seinen Augen aufblitzen. „Zum Teufel mit euch beiden“, schrie er, „Ihr beide seid so gottverdammt stur! Verstehst du denn nicht, dass es dich umbringen wird, ebenso wie es Raphael umbringen wird? Glaubst du ich sehe nicht deine neuen Blutergüsse und die mehr schlecht als recht verheilten Verletzungen?“ Ulrich zuckte scheinbar gleichgültig mit den Schultern, dann sah er ihn empört an. „Ich gehe Kämpfen nicht aus dem Weg. Willst du etwa, dass ich mich verstecke, wie ein Feigling. Damit sie über mich lachen. Niemals!“ Genervt sah Julian ihn an, „Natürlich nicht. Es ist nicht nur, dass du dich in jeden Kampf stürzt. Du scheinst dich mit jedem schlagen zu wollen, als könntest du so irgendetwas wieder gutmachen und den Schmerz loswerden.“ Verständnislos sah Ulrich ihn an. „Das ist Unsinn!“ Julian ließ ihn nicht weiterreden. „Vielleicht übertreibe ich. Beantworte mir nur eine Frage: Warum bist du mit in den Krieg gezogen?“ Fassungslos sah Ulrich Julian an, „Wie meinst du das? Das weißt du doch. Um unseren Kaiser zu unterstützen.“

Julian schüttelte den Kopf. „Nein, das tust du nicht. Das ist nur ein weiterer Grund warum du kämpfst.“ Ulrich wollte schon widersprechen, als er Julians Blick bemerkte. Erfolglos versuchte Julian seine Gefühle zu verdecken, doch er durchschaute ihn. Es verschlug ihm die Sprache. Julian hatte Mitleid mit ihm!

Julian seufzte leise, „Deine Familie braucht die Unterstützung Sigmunds nicht. Dieser Krieg bringt dir kein Nutzen. Trotzdem kämpfst du und riskierst dein Leben. Ich frage dich, warum kämpfst du wirklich?“

„Blödsinn!“, Ulrich sprang auf, „Ich gehe jetzt. Wenn du aufgehört hast, dich so verrückt zu benehmen, können wir wieder reden.“

Julian sah ihm kopfschüttelnd nach.

 

Klar und hell leuchteten die Sterne in der Nacht. Nur das Wiehern der Pferde und das gelegentliche Schnarchen eines Schläfers, störten die idyllische Nacht.

Plötzlich ertönte ein Schrei und der Alarm erklang. Ohrenbetäubender Lärm entstand. Raphael schreckte hoch. Das Mädchen neben ihm schlief unbekümmert weiter. Sie würde es nicht einmal merken, wenn der Leibhaftige vor ihr stehen würde. Er kümmerte sich nicht weiter um das Mädchen, dessen Namen er sich einfach nicht entsinnen konnte und Raphael sprang alarmiert auf, zog sich schnell seine Hose an, packte sein Schwert und rannte hinaus. Was er dort sah, ließ ihn einen Moment erstarren. Sein Blut schien in seinen Adern zu gefrieren. Unzählige Hussiten waren in das Lager gestürmt und schienen jeden zu töten, der ihnen in den Weg lief.

Erst heute waren Raphael und die anderen am Treffpunkt angekommen. Er wusste, es war unvermeidlich, dass die Hussiten das Lager angreifen würden, doch hatte er nicht erwartet, dass sie so früh und unerwartet angriffen. Hätten die Spione sie nicht sehen müssen, als sie heute Mittag auf Erkundigungstour gewesen waren? Er war nicht vorbereitet. Das könnte aber auch daran liegen, dass er sich lieber mit den Marketenderinnen vergnügt hatte, als sich körperlich auf den bevorstehenden Kampf vorzubereiten. Wie Julian und Ulrich. Heiße Wut durchfuhr Raphael. Sollte Ulrich nicht völlig verzweifelt sein, dass seine geliebte Magd scheinbar tot war? Warum musste er so pflichtbewusst sein? Doch diese Gedanken verdrängte er schnell. Eine Bewegung brachte ihn wieder in die Gegenwart. Raphael sah seinen Freund Karl mit einem Hussiten kämpfen. Sein Gesicht voller Schmerzen zu einer Grimasse verzogen, kämpfte er unerbittlich weiter. Blut floss aus einer Wunde an seinem Bein und dennoch schien er der Überlegene in diesem Kampf zu sein. Mit einem Mal attackierte ein weiterer Feind seinen Freund. Doch bevor der Hussit Karl erreihte, warf sich Raphael dazwischen und rammte ihm sein Schwert in dessen Leib. Ein plötzlich befriedigendes Gefühl erfüllte Raphael und ließ die Unruhe in seinen Inneren für einen Moment verschwinden. Er hatte noch nie jemanden sterben sehen. Unerwartete Macht durchströmte seinen Körper. „Danke“, stieß Karl kurz aus, als dieser seinen Gegner ebenfalls ausgeschaltet hatte. Raphael nickte ihm zu und stürmte in die Menge voller Feinde. Mit einer zügellosen Zerstörungswut tötete er jeden, der ihm entgegentrat. Aus den Augenwinkeln entdeckte er Ulrich, der mit dem gleichen freudigen Ausdruck in den Augen kämpfte. Er genoss es genauso sehr wie er!

Bis zu diesem Zeitpunkt hatte er gnadenlos getötet und kannte keine Gnade. Jeder Schwerthieb steigerte das beherrschende Gefühl von macht. Doch mit einem bekam er Zweifel. Er wusste, etwas stimmte mit Ulrich nicht, auch wenn er immer so tat als ginge es ihm gut. Doch dass Ulrich das gleiche befreiende Gefühl wie er hatte, machte ihm Angst. War es möglich, dass er genauso war wie Ulrich? Am Boden zerstört?

Raphael fühlte sich mit einem Mal völlig ernüchtert. Was machte er nur hier? Das war er doch nicht. Einen Augenblick lang war er abgelenkt. Das schien sein größter Fehler in dieser Nacht zu sein. Er sah den Hussiten nicht kommen, zu vertieft in seiner qualvollen Erkenntnis. Der Hussit erkannte die Gunst der Stunde und rannte auf Raphael zu. Viele unterschätzen ihn dank seiner Größe und manche drehten sich überrascht zu ihm um, als er trotz seiner Größe so schnell rannte. Seine flachsblonden Haare umschmeichelten sein Gesicht und ließ ihn kindlicher wirken als er wirklich war. Eiskalte Augen schienen jeden Gegner zu durchbohren.

Bevor sich überhaupt auch nur verteidigen konnte, spürte Raphael einen tiefen Schmerz in seinem Arm. Schmerzerfüllt schrie er auf und fiel zu Boden. Der Hussit stand vor ihm, hielt sein Schwert über ihn, bereit zuzuschlagen. Das Schwert brauste auf ihn hinab. Resigniert schloss Raphael seine Augen. Es war vorbei und alles war seine Schuld. Julian hatte wohl Recht gehabt. Alles würde er tun, um noch einmal Charlottes liebreizendes Gesicht zu sehen.

Überrascht öffnete Raphael seine Augen. Er spürte keinen Schmerz, der ihn töten sollte. Das Schwert, das seinen Tod bedeutete, unmittelbar vor seinem Gesicht, wurde von einem anderen Schwert abgewehrt. Als er aufblickte, erkannte er Ulrich als seinen Verteidiger. Schwer atmend schleifte sich Raphael ein Stück weg, um sich einen Moment auszuruhen. Währendessen kämpfte Ulrich verbissen mit dem Hussiten weiter. Mit zitterndem Körper zog sich Raphael hoch und packte sein Schwert, bereit Ulrich zu helfen. Doch es war zu spät. Mit einem Aufschrei, sank Ulrich zu Boden. Blut floss aus seiner Brust. Der Hussit lachte dreckig, „Jetzt werdet ihr sterben.“ Raphael nahm Ulrichs Seite ein. Der Hussit grinste begeistert, „Du hast wohl immer noch nicht genug!“ Trotz seiner schlimmen Verletzung, schaffte es Raphael, die Angriffe des Hussiten wirksam zu parieren. Doch lange würde er nicht mehr lange standhalten. Raphael half ihm doch dennoch war es keine große Hilfe. Der Hussit war zu stark und Raphaels Verletzung machte ihm immer mehr zu schaffen. Mit einem letzten Schlag schaffte es der Hussit, Raphael an seinem Bein zu treffen und dieser sank zu Boden, endgültig besiegt. Der Hussit holte zu seinem vernichtenden Schlag aus, um die Krieger Sigmunds zu töten. Doch auf einmal stutzte der Feind, seine Hand zitterte und sein Schwert fiel zu Boden. Mit einem ungläubigen Ausdruck brach er zusammen. Hinter ihm stand Julian. „Was würdet ihr nur ohne mich tun, wenn ich euch nicht immer aus euren prekären Lagen herausholen würde?“, stieß er schwer atmend aus. Ein klägliches Lächeln erschien auf Raphaels Lippen. Er wollte noch etwas erwidern, doch er spürte die drohende Dunkelheit die ihn zu verschlingen drohte. Er richtete sich auf, kämpfte um nicht ohnmächtig zu werden. „Dann wären wir eine lästige Glucke los“ Empört sah Julian ihn an. Raphael lachte, sank zurück und verlor das Bewusstsein.

Sonnenstrahlen schienen gnadenlos auf Raphael, zerrten ihn aus seinem geruhsamen Schlaf. Murrend versuchte er sich vor Sonne zu schützen, dabei bewegte er sich unwillkürlich. Doch diese scheinbar harmlose Bewegung ließ ihn aufstöhnen. Nach Wochen verheilte seine Verletzung immer noch nicht richtig. Stöhnend öffnete er seine Augen und versuchte sich aufzurichten. Sein Arm pochte schmerzhaft. Übelkeit überkam ihm, die Schmerzen schienen ihn erneut zu überwältigen. Eine Weil verharrte er mit geschlossenen Augen, bis die Übelkeit verschwand. Mühsam stand er auf und verließ das Zelt. Vielleicht sollte er nicht mehr so viele Nächte mit den Marketenderinnen verbringen. Das würde ihm bestimmt gut tun. Doch er konnte einfach nicht aufhören, jeden Abend zu den Mädchen zu gehen und den Alkohol genießen. Draußen sah er das Ausmaß des Angriffs. Obwohl schon Wochen vergangen waren, konnte man die Zerstörung und das Blutbad erkennen. Die Berge voller Leichen waren jedoch schon längst begraben worden. Dennoch sah Raphael die Leeren Augen immer noch in seinen Träumen und schienen ihn jeden Moment zu begleiten. „Raphael“, rief ihm Julian zu und kam verärgert auf ihn zu, „vielleicht wenn du aufhören solltest, dich jede Nacht hemmungslos zu betrinken und deinen Arm eine Weile Ruhe gönnen würdest, könnte dieser auch heilen.“ Raphael schüttelte den Kopf, „Aber mir geht es gut. Meine Verletzungen beginnen zu heilen. Keine Sorge.“ Obwohl der Kampf ihm über die Leere in seinem Inneren geholfen hatte, wollte er nicht länger kämpfen. Zu sehr hatte ihn seine Erkenntnis auf dem Schlachtfeld verstört. So mussten die Mädchen helfen. Um sich auf andere Gedanken zu bringen sagte er schalkhaft zu Julian, „Du führst dich wieder wie eine Glucke auf“ Empört sah Julian ihn an, „Das ist nicht wahr. Vielleicht solltest du und Ulrich auch einfach aufhören euch gehen zu lassen. Dann müsste ich mir keine Sorgen mehr machen.“ Julian schmollte immer noch, weil Raphael ihn als eine Glucke bezeichnet hatte. Wieder einmal musste Raphael darüber lachen. Doch schließlich verebbte sein Lachen und nach einigem Zögern fragte er: „Wie geht es Ulrich?“ Besorgt runzelte Julian die Stirn, „Er ist erst heute aufgewacht. Ihn hatte es ja schlimmer erwischt. Lange wussten wir nicht, ob er durchkommen würde. Dann ist er auf einmal verschwunden.“ Bekümmert sah Julian seinen Freund an, „Ich weiß, dass es etwas gibt das zwischen euch steht, aber ich mache mir Sorgen.“ Raphael seufzte, „Wo ist er?“ Erleichtert sah Julian ihn an, „Er ist im Wald.“ Sofort bereute Raphael seinen Entschluss. Was würde das bringen? Das war völlig irrsinnig. ER wollte nicht mir Ulrich reden. Trotzdem lief er in Richtung Wald zu Ulrich.

Überrascht riss Raphael seine Augen auf, als er Ulrich entdeckte. Nur mit einer Hose bekleidet und einem blutigen Verband um seine Brust gebunden stand er vor einem Baum. Ohne jegliche Emotionen starrte Ulrich den Stamm des Baumes vor ihm an. Seine Fäuste prallten auf den Stamm nieder. Die Rinde, ebenso seine Hände waren blutig. Keinerlei Regungen durchliefen sein Gesicht. Er war völlig leer. Erstarrt blieb Raphael stehen, starrte das Geschehen an, voller Unglauben, dass dies wirklich geschah. Raphael schüttelte den Kopf um seine Gedanken zu ordnen. Er schluckte, „Warum hast du mich gerettet?“ Ulrich zuckte mit den Schultern, ohne aufzusehen, ohne aufzuhören immer wieder auf den Baum einzuschlagen, „Du bist mein Freund. Auch wenn du mich hasst, ich bin dein Freund. Du solltest die Frau, die du liebst nicht verlassen. Sie allein lassen. Es würde sie umbringen.“ Raphael hätte beinahe aufgelacht, bei dieser wahnsinnigen Hoffnung, Charlotte könnte traurig über seinen Tod sein. Ulrich jedoch kniff die Lippe zusammen und schlug noch heftiger zu. Ohne es zu wollen zuckte Raphael zusammen. Sein Arm fing wieder an zu pochen. Eine Woge des vergessenen Elends überrollte ihn. Gepeinigt schloss Raphael seine Augen. Ehe er sich es versah schlug seine Faust gegen einen Baum neben ihm. Er erkannte die Ähnlichkeit zwischen ihm und Ulrich. Beide versuchten sie ihren Schmerz zu bewältigen. Zorn stieg in ihm auf. Zum ersten Mal blickte Ulrich auf. Sein Gesicht verzog sich zu einem gequälten Grinsen. Dann stellte er sich vor Raphael und ging in Kampfstellung, „Los. Greif mich an.“ Fassungslos starrte Raphael Ulrich an, doch er zögerte nicht lange. Er begriff, wie befreiend so ein schmerzender Schlag war. Mit voller Wucht schlug seine Faust in Ulrichs Gesicht. Dieser taumelte zurück und wischte sich ein wenig mit Blut von der Lippe. Er schlug nicht zurück. Er stand nur da. Jedoch zögerte Raphael nicht. Voller Wut schlug er auf Ulrich ein. Jeden Schmerz, jeder Augenblick mit Charlotte lief vor seinen Augen ab und ließ ihn noch härter Zuschlagen. Mit einem Mal sank Ulrich zu Boden, sein Atem ging stoßweise ebenso Raphaels. Die Kraft verließ nun auch Raphael. Er brach in die Knie. „Was ist mir dir los?“ Ulrich schloss seine Augen und presste seine Hand gegen seine Brust. „Es ist nichts…es war nur…du hast als du ohnmächtig warst, Namen gemurmelt. Charlotte und Rachel. Du weißt wo sie ist, habe ich Recht?“ Raphael erstarrte und schwieg einen Moment. „Du liebst sie. Die Magd.“ Ulrich zuckte zusammen, stöhnte auf und schlug mit seinen Fäusten auf den Boden ein. „Es ist nicht gut…du weißt, dass in unserer Gesellschaft…man verliebt sich nicht in eine Untergebene. Ich zeige meinen Schmerz nicht.“ Einen Moment lang starrte er in den Himmel. Raphael glaubte, Tränen in Ulrichs Augen zu sehen, doch er blickte schnell weg, sodass er sich nicht sicher war. „Als mich meine Kräfte verließen…ich habe von ihr geträumt…ich habe noch einmal ihre wunderschönen blauen Augen gesehen, ihre Lippen, ihr Haar…es war so…als würde…ich weiß nicht…“ Raphael blickte ihn leblos an, „Sie leidet.“ Ulrichs Kopf ruckte hoch, „Wo ist sie? Sie ist zu dir gekommen, als sie weggelaufen war, habe ich Recht?“ Raphael zuckte mit seinen Schultern, „Sie hat uns eine Zeit lang begleitet, aber dann trennten sich unsere Wege“, er konnte nicht anders und fügte noch boshaft hinzu, „ich erinnere mich an ihren Blick. Sie war zerbrochen. Ich hatte noch nie eine so unendlich traurige Frau gesehen. Ich weiß nicht, ob sie noch lebt.“ Ulrich zuckte zusammen und bedeckte gramerfüllt sein Gesicht. „Es ist meine Schuld. Ich…habe…habe sie getötet. Meine Mutter, sie hat…“ Ein hasserfüllter Blick traf ihn. Unwillkürlich fragte Raphael er sich, was Ulrichs Mutter wohl getan hatte. Früher hatte Ulrich seine Mutter heiß und innig geliebt.“ Ulrich blickte auf, sein Gesicht voller Emotionen. Grenzenloses Leid spiegelte sich in seinen Augen wider. Seine Maske war gewaltsam heruntergerissen. „Raphael für mich ist es zu spät. Ich habe keine Hoffnung mehr, aus dieser Hölle zu entkommen. Aber du, du hast noch eine Chance. Geh zu deiner Frau und rette deine Liebe.“ Beinahe hätte Raphael aufgelacht, so grotesk war es. Der Mann, der alles zerstört hatte, gab ihm den Rat, er solle zu ihr zurückkehren. Auch für ihn gab es keine Hoffnung mehr. Freudlos zuckte Raphael mit den Schultern. Ohne Ulrich zu antworten, kehrte er ihm den Rücken zu und ging zurück in sein Zelt. Er musste über vieles Nachdenken und er konnte nicht länger in Ulrichs Nähe bleiben. Seinen Schmerz sehen. Wie sollte er seinen eigenen länger verschließen? Es war unmöglich.

Langsam machte sich Julian Sorgen. Vielleicht war es doch nicht so eine gute Idee gewesen, Raphael zu Ulrich zu schicken. Mit schnellen Schritten lief in Richtung Wald. Auf einmal sah er Raphael auf sich zukommen. Julian erschrak. Raphael wirkte irgendwie nachdenklich und verzweifelt zugleich. Seine Knöchel waren blutig. Julian eilte zum Wald und fand dort Ulrich auf dem Boden kniend. Sein Gesicht in seinen Händen vergraben. „Ulrich?“ Er blickte auf und nun konnte das Ausmaß Ulrichs Elends sehen. „Verdammt, Ulrich dein Verband blutet. Du musst verarztet werden.“ Gleichgültig zuckte mit den Schultern, „Spielt keine Rolle. Ich brauche jetzt nur Alkohol.“ Julian schüttelte den Kopf, „Deine Wunde muss zuerst versorgt werden.“ Hilflos sah Ulrich Julian an, „Ich brauche aber jetzt Alkohol! Sonst…“Abrupt verstummte er. Mühsam stützte Julian seinen Freund und trug diesen zu dessen Zelt. Während Julian Ulrich auf das Feldbett legte, schnappte dieser sich die Schnapsflasche und trank einen großen Schluck. Erst jetzt bemerkte er Ulrichs blutige Knöchel. Besorgt fragte sich Julian was zwischen ihm und Raphael vorgefallen war. Julian holte einen Arzt, der Ulrichs Verletzungen versorgte. Die ganze Zeit lang trank er den Schnaps. Eine Weile betrachtete Julian ihn schweigend. Dann sagte er: „Komm auf das Fest, dass meine Familie alljährlich veranstaltet.“ Ulrich winkte ab, „Was soll ich da?“ Julian zuckte mit den Schultern, „Das Fest könnte dein Leben verändern. Es könnte dir gut tun. Du kannst so nicht weitermachen.“ Ulrich seufzte und nahm einen weiteren Schluck aus der Flasche, „Wenn ich ja sage, wirst du dann aufhören, dir Sorgen um mich zu machen?“ Julian lächelte kopfschüttelnd. „Komm einfach, ich weiß du wirst es genießen.“ Gleichgültig zuckte Ulrich mit den Schultern, „Ich werde darüber nachdenken.“ Julian seufzte, eine bessere Antwort bekam er wohl nicht. Er ging hinaus, bevor er mit ansehen musste, wie Ulrich sich völlig betrank. Julian seufzte. Er musste noch mit seinem anderen Freund sprechen. Er fand ihn in seinem Zelt auf dem Feldbett liegend auf die Decke starrend. „Wusstest du, dass Ulrich in seiner Truhe ein Kleid versteckt. Ich habe es neulich gesehen. Es ist das Kleid von seiner Magd. Ich habe sie mit diesem Kleid auf einem Ball gesehen. Er trägt ihr Kleid immer mit sich. Weil er sie nicht loslassen kann, als sie vor ihm geflüchtet ist.“ Julian nahm sich die Karaffe und füllte sich einen Becher Wein. Verwirrt hörte er ihm zu, verstand nicht, was er damit sagen wollte. Doch Raphael sagte nichts weiter dazu. Stattdessen sagte er: „ Ich werde zu meiner Frau zurückkehren.“ Raphael raufte sich seine Haare. Julian nickte, „Warum bist du dann so bedrückt?“, „Weil ich nicht anders kann! Ich muss zurück. Ich muss versuchen, die Dämonen zu besiegen. Es bringt mich um, nicht bei ihr zu sein. Aber es bringt mich um, bei ihr zu sein!“, klagte er. Julian rieb sich seinen Rücken. Auch an ihm war der Kampf nicht spurlos vorbeigegangen. „Versuche es. Reinige dich von deinem Schmerz.“ Raphael nickte und seufzte, „Ich werde zurückkehren“, er atmete tief ein, „ich werde zurückkehren.“

 

Es war ein schöner Tag. Die Sonne strahlte. Die Vögel sangen und im Wind mischte sich das Lachen glücklicher Menschen. Die Glücklichen unter uns konnten ihre Zeit in der Sonne verbringen und die Wärme der Sonnenstrahlen genießen. „Sag Mama!“ Liebevoll sah ich Leonard an. Dieser jedoch sah mich nur mit großen Augen an. Die einzigen Geräusche, die aus seinem Mund kamen, war fröhliches Glucksen. Seufzend erhob ich mich, es war wohl zuviel verlangt, dass Leonard schon zu sprechen beginnt, und trug Leonard aus dem Garten. Leonard hatte heute schon genug Sonne abbekommen. Irgendwann entdeckte ich Vater, der auf mich zukam. „Na Charlotte, hattet Ihr einen schönen Tag im Garten?“ Lächelnd nickte ich, „Ich bringe Leonard erst einmal zu Heike. Die Magd soll ihn ins Bett bringen.“ Zärtlich blickte ich Leonard nach, als Heike ihn wegbrachte. Leonard war nun ein Jahr alt und jeder Tag war er meine Sonne. Doch als er nun weg war, trübte sich meine Stimmung. Ein Jahr. Ein Jahr war vergangen, seit Raphael in den Krieg gezogen war. Ich hatte nicht erwartet, dass Raphael mir so sehr fehlen würde. Jetzt konnte ich mich ein wenig ausruhen. Mit der Zeit war Leonard schon anstrengend. Dennoch würde ich Leonard niemals der Magd abgeben und es ihr überlassen, mit Leonard Zeit zu verbringen, so wie es andere Adlige zu tun pflegen. Dafür war mir die Zeit mit Leonard zu kostbar. Als ich das Schlafzimmer erreichte, erstarrte ich überrascht. Raphael lag auf dem Bett! Bevor ich bremsen konnte, eilte ich zu Raphael und umarmte ihn stürmisch. Überrascht riss er seine Augen auf. „Ich habe dich vermisst.“, flüsterte ich und küsste ihn. Völlig perplex lächelte er, „Schöne Begrüßung.“ Seine Stimme war völlig heiser. Sanft strich ich ihm über seinen Arm, als er plötzlich zusammenzuckte. Erst in diesem Monet bemerkte ich das Blut auf seinem Hemd. Erschrocken sah ich ihn an. Seine Augen wirkten glasig und seine haut schien einer Leiche zu gehören. „Was ist mit dir Raphael? Bist du verletzt?“ Gleichgültig zuckte er mit den Schultern, „Es ist nur ein Kratzer“ Behutsam schob ich seinen Ärmel hoch. „Es ist mehr als nur ein Kratzer!“ Traurig sah ich ihn an. Auch er sah mich an. Schweigen herrschte. Dann, langsam strichen seine Finger über meine Lippen. Er lächelte leicht, „Du bist so wunderschön“ Zärtlich strichen seine Lippen über die meine. Glücklich seufzte ich, „Du hast mir gefehlt.“ Raphael lachte leise, seine Lippen glitten über mein Schlüsselbein. Liebevoll knappere ich an seinem Ohrläppchen. Er zog mich an sich und küsste mich innig. Es war ein langer Tag gewesen. Keiner von uns wollte aufhören, doch schließlich übermannte mich der Schlaf.

Ein Geräusch weckte mich. Es war noch Nacht. Immer noch im Halbschlaf, tapste ich in Richtung des Geräusches. Raphael, halb bekleidet hockte mitten im Raum und machte Liegestütze. Er ächzte und trieb sich immer weiter an. Entsetzt sah ich ihn an, „Raphael, was machst du?“ Ohne sich zu unterbrechen, sagte er: „Ich konnte nicht schlafen.“ Zugern würde ich etwas erwidern, ihn auffordern zurück ins Bett zukommen, aber ich traute mich einfach nicht. Raphael erst gestern zurückgekehrt und ich wollte ihn nicht schon wieder vertreiben. Unsicher biss ich mir auf die Lippe. Raphael hielt inne, sah mich einen Moment lang an und nahm mich dann in seine Arme. „Wirklich. Es ist alles in Ordnung.“ Zaghaft lächelte ich ihn an, „In Ordnung. Ich gehe wieder ins Bett. Kommst du?“ Er schüttelte den Kopf, „Geh nur, ich komme gleich nach.“ Mit einem unguten Gefühl legte ich mich wieder schlafen. Als ich am Morgen erwachte, war die Seite neben mir leer.

Seufzend stand ich auf und besuchte Leonard. Er vermisste mich bestimmt schon. Den ganzen Abend war ich mit Raphael beschäftigt gewesen. Ich hatte mich nicht getraut, mich um Leonard zu kümmern. Nur zu gut wusste ich, wie heikel die Anwesenheit Leonards für Raphael war. Voller Vorfreude eilte ich zu meinen kleinen Schatz. Doch mitten in meinen Bewegungen erstarrte ich. Raphael stand vor Leonards Bettchen. Er schien mich nicht einmal zu bemerken. Sein Blick ruhte auf Leonard und seine Hand näherte sich langsam Leonards Gesicht. Ich hielt den Atem an. Aber Leonard blickte ihn nur mit großen Augen an. Bevor Raphaels Finger Leonard berührten, erstarrte seine Hand. Zitternd lächelte er gequält. Zu gern hätte ich in diesem Moment gewusst, was Raphael dachte. Schließlich zog er seine Hand weg. Seufzend wandte er sich ab und entdeckte mich. Ängstlich sah ich ihn an, hatte ich doch keine Ahnung, wie er jetzt reagieren würde. Raphael jedoch lächelte leicht und nahm meine Hand und liebkoste meine Fingerspitzen. Alles was ich nur tun konnte, war ihn entsetzt anzusehen, „Ich weiß, dass Leonard…aber du brauchst dich nicht aufzuregen, er wird…er wird…Du darfst nicht wieder gehen!“ Raphael sah mich einen Moment schweigend an, dann lachte er leise und nahm mich in seine Arme, „Es ist doch alles in Ordnung.“ Na Toll. Während ich beinahe einen Nervenzusammenbruch erleide, kann er sich nur amüsieren.

Zweifelnd sah ich ihn an, „Wirklich?“ Lächelnd nickte er und ging mit mir in die Küche. Er nahm das schon bereitgestellte Frühstück und aß mit mir schweigend im Garten. Unwohl starrte ich meinen Apfel an. Das Essen lag mir schwer im Magen. Raphael hatte sich verändert. Er war schon immer ruhig gewesen, aber trotzdem war diese Ruhe geradezu unheimlich. Seine Fröhlichkeit war verschwunden und obwohl er immer lächelte, lag etwas Trauriges darin, dass mir Angst machte.

Sanft strichen seine Finger über meine Wange, „Du hast noch Angst vor mir.“ Das war keine Frage, sondern eine Feststellung. Seufzend schüttelte ich den Kopf, „Nein…es ist nur, du bist anders. Du hast dich verändert.“ Gleichgültig zuckte er mit den Schultern, „Eigentlich nicht.“ Einen Moment starrte er in die Ferne, dann lächelte er, „Du hast also keine Angst mehr vor mir?“, hakte er nach. Lächelnd schüttelte ich den Kopf. Erleichtert sah er mich an und umarmte mich. Zärtlich strichen seine Lippen über meinen Hals, bis seine Lippen, die meinen erreichten. Innig küsste er mich. Sanft und noch ein wenig ängstlich löste ich mich von ihm, „Ich muss weg. Ich muss noch etwas Dringendes erledigen. Ich komme bald wieder.“ Raphael nickte schweigen. Bang sah ich ihn an, ging dann aber. Als ich zurückschaute, sah ich Raphael mit geschlossenen Augen im Gras liegen. Obwohl ich die Zeit mit Raphael genoss, musste ich jetzt Leonard sehen. Ich konnte ihn doch nicht den ganzen Tag allein lassen. Fröhlich quietschte er auf, als ich ihn hochhob. Zärtlich küsste ich seine kleine Hand. „Ja mein Kleiner, ich hab’ dich auch vermisst.“ Während ich ihn fütterte, betrachtete ich ihn. Er wurde jeden Tag schöner und schöner. Es schien eine Ewigkeit vergangen zu sein, als ich Leonard das letzte Mal gesehen hatte. Ich drückte ihn an meine Brust und vergaß die Zeit, als ich Leonard dabei zusah, wie er mit seinen Bauklötzen spielte. Erst als es dämmerte, schreckte ich auf. Sanft löste ich mich von Leonards Anblick. Auf der Suche nach Raphael entdeckte ich Helene. Ich lächelte leicht, „Mutter, ich kann Raphael nicht finden, weißt du wo er ist?“ Helene schüttelte den Kopf, „Nein, ich habe keine Ahnung.“ Meine Mutter runzelte die Stirn, „Charlotte ich weiß du bist glücklich, dass Raphael wieder da ist, aber ich mache mir Sorgen.“ Verwundert hob ich eine Braue, „Was meinst du?“, „Raphael hat sich verändert. Er scheint jetzt noch unberechenbarer geworden. Du weißt, was er dir angetan hat und ich habe Angst, dass er dir wieder wehtun könnte.“ Unbekümmert zuckte ich mit den Schultern, „Diesmal ist es anders. Es wird funktionieren.“ Helene schüttelte den Kopf, „Du weißt, ich liebe Raphael wie einen Sohn aber…“ Lachend winkte ich ab, „Unsinn. Ich muss jetzt gehen.“ Helene seufzte, als sie mir nachblickte. Damals hatte ich es noch nicht begriffen, doch Helene hatte die Wahrheit schon längst erkannt.

Schließlich entdeckte ich Raphael im Garten. Ich fand ihn an der derselben Stelle, an den ich ihn zurückgelassen hatte. Unsicher setzte ich mich zu ihm. Vorsichtig strichen meine Finger über seinen Arm. Ruckartig öffneten sich Raphaels Augen und ehe ich es mich versah umschlangen seine Arme mich. Mein Puls beschleunigte sich. Er lächelte, „Da bist du ja wieder.“ Lächelnd nickte ich, „Ich hoffe du hast mich vermisst“ Raphael lachte, „Ohne dich ist der Tag ohne Sonne.“ Seine Lippen glitten über meinen Hals. Seine Finger schienen jede Stelle meines Körpers zu suchen. Beseelt seufzte ich, „Es ist so lange her. So eine lange Zeit ohne dich. Ich hatte das alles vermisst. Wie hast du es nur geschafft so lange ohne diesen Genuss auszukommen?“ Raphael zuckte zurück und sprang auf, „Es ist spät. Ich bin müde, ich denke, ich gehe jetzt schlafen.“ Überrascht sah ich ihm nach. Was hatte ich gesagt? Als ich schließlich ihm nachging, fand ich ihn nirgendwo. Das Bett war leer. Völlig erschöpft und völlig verwirrt, schlief ich ein. Erst am nächsten Morgen sah ich Raphael in der Küche wieder. Raphael lächelte, „Du hast aber lange geschlafen.“ Musternd sah ich ihn an, er wirkte ganz ruhig, nichts wies auf sein Verhalten des gestrigen Abends hin. „Ich war müde. Du warst ja gar nicht da.“ Raphael zuckte mit den Schultern und biss in seinen Apfel. Er erwiderte nichts mehr und ich wagte es nicht, noch etwas zu seinem seltsamen Verhalten zu sagen. Raphael schien sich wieder beruhigt zu haben. Er verhielt sich nicht mehr sonderbar, nur manchmal zeigte er seine neue unheimliche Seite. Das reichte.

Es war schön, dass Raphael wieder da war. Die Wochen vergingen ohne dass es je einen Zwischenfall gab. Irgendwie schaffte ich es meine Zeit zwischen Leonard und Raphael aufzuteilen. Es war schwer, gegenüber Raphael niemals Leonards Namen zu erwähnen, doch es gelang mir. Inzwischen waren schon fast zwei wundervolle Monate vergangen. Endlich würde alles gut werden. Es wird funktionieren.

Kleine Fingerchen berührten meine Wange und holten mich aus meinen Gedanken raus. Mein Herz schwoll voller Glück an. Behutsam legte ich ihn zurück in sein Bettchen. Sachte legte ich meine Hand auf meinen Bauch. Ich musste mit Helene sprechen. Schließlich entdeckte ich sie im Garten. „Hallo meine Kleine“, lächelte Helene, „was hast du denn auf dem Herzen?“ Ich musste lachen, „Warum denkst du, dass ich etwas auf dem Herzen habe?“ Helene zuckte mit den Schultern, „Du hast diesen Blick. Du möchtest doch etwas sagen.“ Neugierig betrachtete sie mich. „Ich bin vielleicht schwanger!“, platzte ich dann heraus. Überrascht sah mich Helene an, dann lächelte sie, „Wann hattest du denn deine letzte Regel?“ Kurz überlegte ich. „Vor etwa zwei Monaten.“ Vorsichtig betastete sie meinen Bauch. Vor Konzentration runzelte sie die Stirn. Dann strahlte sie mich an, „Du bist schwanger!“ Ich konnte es nicht fassen, „Wirklich?“ Helene nickte. Ich jubelte- Helene lachte. Vor Glück traten mir Tränen in die Augen. Liebevoll umarmte mich Helene, „Ich freue mich für dich.“ Aufgeregt strich ich mein Kleid glatt, „ Ich muss zu Raphael. Er wird sich bestimmt freuen.“ Helene nickte freudig, „Das muss ich deinem Vater erzählen.“ Lachend machte ich mich auf den Weg zu Raphael, „Tu das“ Voller Vorfreude auf Raphaels Reaktion ging ich in sein Arbeitszimmer. Vermutlich müsste er da sein. In letzter Zeit verbrachte er seine Zeit häufiger dort. Mir wurde bewusst, dass ich strahlte. Jeden dem ich begegnete, strahlte ich an. Sie mussten sich wohl schon fragen, was mit mir los war. Plötzlich hörte ich Geräusche aus den Abstellkammern. Vermutlich vergnügte sich ein Paar in der Kammer. Zuerst wollte ich weitergehen, doch wenn sich das Paar hier in diesem Moment beschäftigte, erledigten sie nicht gewissenhaft ihre Arbeit. Das musste ich unterbinden. Außerdem war ich schlicht und einfach neugierig. Ich setzte auf meinem Überraschungsmoment. Das würde sie richtig erschrecken. Mit einem Tadel auf den Lippen riss ich die Tür auf.

Ich hatte recht gehabt. Das Pärchen war gerade mitten bei der Sache. Jedoch was ich nicht erwartet hatte, war Raphael zu sehen. Besonders da ich nicht die andere Person war. Mein Blick fiel auf Raphaels heruntergelassener Hose. In seinen Armen lag Heike. Leonards Amme. Heike blickte mich erschrocken an, dann errötete sie und versuchte sich hinter Raphael zu verstecken. Etwas in mir verdorrte. Vermutlich mein Herz. Beinahe wäre ich in hysterisches Gelächter ausgebrochen. Es war so grotesk. Zwei Jahre waren inzwischen vergangen, seitdem ich Ulrich mit Grethe entdeckt hatte. Doch ich fühlte mich, als wäre keine Minute vergangen. Meine Freude über meine Schwangerschaft schwand und jenes Gefühl der Zuneigung für Raphael mit dazu. „Ich sehe, ihr seid beschäftigt. Ich möchte nicht stören.“ Ruckartig drehte ich mich um und verschwand. Schmerz durchzuckte mich, meine Augen brannten, doch ich würde jetzt nicht weinen. Wieder einmal holte mich meine Vergangenheit ein. Ich hatte gedacht, gehofft es wäre nun alles anders. Doch nun musste ich erkennen, dass sich nichts verändert hatte. Ein weiteres Mal war ich verraten worden. Raphael war nicht anders als Ulrich. Scharfer Schmerz durchzog meinen Körper. Entsetzt presste ich meine Hand auf meinen Bauch. „Charlotte, vielleicht übertreibst du ein bisschen“ Ich zuckte zusammen, ich hatte nicht bemerkt, dass er mir gefolgt war. „Ich will nicht mit dir reden!“ Raphael hob eine Braue, „Ach wirklich? Es tut mir leid, dass du es so erfahren musstest, Ich wollte eigentlich nicht, dass du es überhaupt erfährst. Doch daran lässt sich jetzt nichts mehr ändern.“ Verstört hörte ich ihm zu, konnte aber nicht glauben, dass er das wirklich sagte. „Hör’ zu, als ich zurückkam, dachte ich, wir hätten eine Chance. Ich habe es versucht. Ich brauche dich, doch in meinem Innern ist diese Ruhelosigkeit und du konntest sie mir nicht nehmen. Deshalb brauchte ich andere dazu.“ ANDERE?! Ich musste mich setzten. Der Schmerz in meinem Körper verschlimmerte sich, doch wagte ich es nicht zu gehen. Seine Worte trafen mich wie ein Schlag ins Gesicht. „Wie viele hattest du noch außer Heike?“ Raphael schwieg. Ich hatte das Gefühl, als würde ich vor einem Abgrund stehen, der mich zu verschlingen drohte. „Raphael sag mir, wie viele?“ Unbekümmert zuckte er mit den Schultern, „Das ist unwichtig.“ Ich vermutete, dass er seine Liebschaften nicht mehr zählen konnte. Bodenloses Elend erfüllte mich und ich konnte nicht mehr aufhören zu schluchzen. „Bin ich denn nicht gut genug? Warum brauchst du andere Mädchen, wenn du doch mich hast?“ Die Schmerzen in meinem Körper wurden schlimmer. Sanft berührte Raphael meine Hände, seine Augen blickten mich kummervoll an, „Ich weiß es nicht. Du bist alles für mich…Aber es ist nicht genug. Du gibst nicht genug.“ Nun blickte er mich vorwurfsvoll an, „Du gibst mir einfach nicht genug.“ Das war einfach zuviel. Ich entzog ihm meine Hände. Wütend funkelte ich ihn an, „Ich gebe dir doch schon alles was ich habe! Was soll ich denn noch tun?“ Mühsam schleppte ich mich weg. „Charlotte lauf nicht weg.“, rief er mir hinterher, doch ich antwortete ihm nicht. Ich musste weg. Weg von Raphael. Erst dann konnte ich mich beruhigen. Dann wird es dem ungeborenen Kind auch gut gehen. Ich war einfach nur zu aufgebracht. Es verursachte mir Übelkeit, nur daran zu denken, dass ich Raphael alles geschenkt hatte und er mich dafür verriet. Er war nicht besser als Ulrich. Ich konnte einfach nicht länger über die Ironie hinwegsehen. Erneut wurde ich vom Vater meines ungeborenen Kindes verraten. Dennoch, ich liebte dieses Kind unter meinem Herzen.

Der Gedanke, Leonard würde bald nicht mehr allein sein und ein Geschwisterchen bekommen, hellte mich ein wenig auf.

Doch jetzt wollte ich mich einfach nur hinlegen. Schnell entschied ich mich aber doch noch einmal bei Leonard vorbeizuschauen. Aber sein Bettchen war leer. Beunruhigt fragte ich mich, wo er war. Vielleicht war Heike mit ihm im Garten. Oder vielleicht hatten meine Eltern Leonard. Doch ich konnte mich unmöglich bewegen. Als hätte Helene meine Gedanken gelesen, erschien sie plötzlich. Mühsam versuchte ich nicht allzu panisch zu wirken. Sie lächelte als sie mich sah, „Hallo mein Schatz.“ Ich versuchte ein zittriges Lächeln. Mutter betrachtete mich genauer und fragte dann besorgt, „Was ist denn los? Hast du geweint?“ Vermutlich waren meine Augen verquollen. Tief durchatmend verdrängte ich Raphael fürs Erste, „Das ist jetzt nicht wichtig. Ich erzähle es dir später. Hat Vater Leonard?“ Verwundert schüttelte sie den Kopf, „Nein, er hat ihn nicht. Möglicherweise hat Heike ihn. Ich habe sie schon länger nicht mehr gesehen.“ Eine weitere Schmerzenwelle durchzuckte mich. „Nein, sie hat Leonard nicht.“ Panik durchzuckte mich. Verzweifelt sah ich Mutter an. Die Schmerzen wurden immer unerträglicher. Ich biss mir auf die Lippe, damit mir kein Schmerzenslaut entwich. „Ich sage deinem Vater Bescheid. Er wird das Gefolge losschicken. Sie werden Leonard finden. Aber du musst dich jetzt ausruhen. Denk an dein Kind.“ Sie hatte Recht. Sie stütze mich und brachte mich in die Kemenate. Ich entspannte mich ein wenig. Helene ging um Vater Bescheid zu geben. Es würde alles gut werden. Leonard würde bald auftauchen und das allein zählte. Doch plötzlich tauchte Raphael auf. Augenblicklich versteifte ich mich wieder. Seine Miene schien entschlossen. „Du solltest nicht immer wegrennen, wenn wir reden. Ich wollte dir nicht etwas mitteilen. Als er mich jedoch an Helene stützend sah, wirkte er besorgt, „Was ist mit dir?“ Mit den Tränen kämpfend sah ich ihn an. „Leonard ist verschwunden.“ Es konnte doch nicht sein, dass sich die Geschichte wiederholte. Oder etwa doch? Raphael strahlte mit einem Mal eine völlige Ruhe aus. Er war nicht sehr besorgt, eher erheitert. Es schien ihm nichts auszumachen geschweige denn zu interessieren. Raphael hatte seine Fehler, sehr viele Fehler wohlgemerkt, dass das ihn kalt ließ, würde ich ihm niemals zutrauen. Sanft sah er mich an und strich für zärtlich über meine Wange. „Ja ich weiß. Darüber wollte ich noch mit dir sprechen.“ Hoffnungsvoll wallte in mir auf. Hatte er Leonard gefunden? Als er jedoch weiter sprach schwanden meine Hoffnungen. „Ich verliere dich das spüre ich. Jede Sekunde bringt dich immer weiter von mir weg.“ Woran das nur lag? Raphael räusperte sich, „Ich denke, ich habe den Grund gefunden.“ Beunruhigt sah ich ihn an. Eine fürchterliche Ahnung stieg in mir auf, doch wollte ich es nicht glauben. „Was meinst du?“ Wut blitzte in seinen Augen. „Er nimmt dich mir wieder weg. Wir könnten nicht das wunderbare Leben haben, dass ich mir so sehr sehne. Du würdest ihn jeden Tag vor Gesicht haben und du könntest nie vergessen. Ich will so sehr, dass du vergisst. Damit wir eine Zukunft haben.“ Mein Herz hämmerte wild und ich wollte nicht weiterzuhören. Doch ich musste das jetzt hören. Ich musste es wissen. Raphael lächelte gequält, „ Leonard steht zwischen uns. Er musste weg. Keine Sorge, ich habe eine gute Familie für ihn gefunden.“ Schreckenstarr blickte ich ihn an. Ich konnte nicht denken, alles in mir schrie. Angewidert stieß ich ihn von mir weg. „Sag’, dass das ein Scherz ist. Du meinst das doch nicht Ernst, nicht wahr? Bitte sag mir, dass du nicht meinen Sohn fortgebracht hast!“ Raphael sah mich nur schweigend an. Zornig sah ich ihn an. Momentan überdeckte mein Zorn die Angst. „Du hast meine Familie verschleppt? Nur weil du glaubst, ich hätte dir nicht genug gegeben. Was hast du nur getan?“ Eine erneute Schmerzenswelle durchzuckte mich. Mir wurde schon schwarz vor Augen. In diesem Moment wurde mir klar, dass ich mich beruhigen musste. Aber ich konnte es nicht. Plötzlich spürte ich etwas Nasses an meinen Schenkeln. Panisch blickte ich hinab und sah, wie sich mein Kleid dunkelrot färbte. Verstört sah ich mein Kleid an und schrie bis mein Hals rau wurde. Ich spürte Tränen auf meinen Wangen. Fest presste ich meine Beine zusammen mit dem vergeblichen Versuch es aufzuhalten. Das durfte nicht sein. Das durfte einfach nicht sein! Geschockt sah er mich an, „Charlotte was hast du?“ Mit einem Mal hörte das Toben in meinem Inneren auf. Alles in mir verschloss sich. Ich wurde ruhig. Ganz ruhig. Emotionslos blickte ich ihn an, „Das Kind unter meinem Herzen, dein Kind stirbt in diesem Augenblick.“ Raphael wurde blass. „Aber…aber..“ Ich lachte hart auf, „Heute morgen war ich so glücklich.“, schmerzerfüllt zog ich tief den Atem ein, „Ich wollte es dir gerade erzählen, dass wir ein Kind bekommen, als du…beschäftigt warst“ Raphael öffnete seinen Mund um etwas zu sagen, schloss ihn dann aber wieder. Als ich aufblickte, sah ich Helene auf mich zueilen. „Charlotte was ist passiert?“ Sie sah auf mein Kleid und keuchte erschrocken auf, „Oh mein Gott!“ Anklagend sah sie Raphael an, „Was hast du nur getan?“ Raphael antwortete nicht, er starrte mich nur an. Stattdessen sagte ich: „Er hat Leonard weggegeben. Ihn in eine andere Familie abgegeben. Als wäre er ein Stück Mehl. Er hat ihn fortgebracht! Er hat meinen Sohn einfach verschleppt und einer anderen Familie gegeben!“ Fassungslos starrte Helene ihn an, „Bist du von Sinnen?“ Ich stöhnte auf, die Schmerzen wurden immer unerträglicher. „Mutter kannst du mich wegbringen?“ Helene nickte und blickte Raphael ein letztes Mal wütend an. Sie wollte mir hoch helfen, doch ich konnte mich einfach nicht rühren. Das stellte uns vor ein schwieriges Problem. Raphael machte Anstalten mich zu tragen, doch Helene schob ihn weg, „Bleib einfach fern. Du hast schon genug getan!“ Helene schickte schnell eine Magd zu Leopold. Dieser kam dann auch sofort. Besorgt sah er mich an, „Was ist passiert?“ Helene winkte ab, „Ich erkläre es dir gleich. Du musst sie ins Bett bringen. Sie hat eine Fehlgeburt.“ Raphael zuckte zusammen. Ich döste ein, als ich in Leopolds Armen lag. Doch ich schreckte auf, als ich einen klagenden Schrei hörte. Raphael kniete auf dem Boden. Seine Hände verbargen sein Gesicht, doch ich konnte seine Pein spüren. Als wir schließlich außer Sichtweise waren, wollte ich wieder stehen und versuchte mich loszumachen, doch Leopold hielt mich fest. Verdutzt sah mich Helene an, „Was tust du?“ Gequält presste ich meine Hand auf meinen Bauch und versuchte die Schmerzen zu verdrängen. „Ich muss…muss Leonard finden“, keuchte ich. Entschieden schüttelte Helene den Kopf. „Du musst dich jetzt ausruhen.“ Protestierend schüttelte ich den Kopf, „Ich ihn suchen!“ Leopold nickte zustimmend, „Deine Mutter hat Recht.“ Ich wollte schon widersprechen, „Du bist zu schwach. Dein Körper muss sich erholen…von der Fehlgeburt. Wir werden nach ihm suchen und wir werden ihn finden. Ich verspreche es dir. Es wird nicht noch einmal passieren.“ Mit einem Mal bemerkte ich Tränen in Helenes Augen und ich begriff, wie sehr es ihr zusetzte. Helene hatte schon einmal eine Entführung durchgemacht. Ich seufzte, „In Ordnung. Ich ruhe mich ein wenig aus. Aber dann werde ich ihn suchen!“ Helene nickte und Leopold brachte mich ins Bett. Jeden Gedanken an mein totes Kind verdrängte ich. Zusammengerollt wie ein Embryo schlief ich schließlich ein.

Doch mitten in der Nacht wachte ich schweißgebadet auf. Es drängte mich nach Leonard zu suchen. Ich richtete mich auch und sank mit einem schmerzenlaut wieder zurück. In diesem Moment erschien Helene. „Charlotte! Du solltest dich noch nicht aufrichten. Du bist noch zu schwach!“ Ich schüttelte den Kopf, „Ich muss Leonard finden!“ Vehement schüttelte Helene den Kopf, „Nein! Das kann ich nicht zulassen. Wir werden ihn finden.“ Energisch wollte ich protestieren, doch dann schwang die Tür auf. Leopold kam herein. In seinen Armen schlief Leonard unbekümmert. Mit einem leisen Aufschrei sprang ich aus dem Bett, ignorierte meine Schmerzen und nahm ihn in meine Arme. Leonard blickte mich mit großen Augen an, nichts ahnend von dem ganzen Trubel, der seinetwegen veranstaltet wurde. Völlig glücklich seufzte ich. Ich wollte ihn gar nicht mehr loslassen. „Wo war er?“, fragte Helene ihren Mann. Leopold lachte erleichtert, „Wir haben ihn im Jägerhäuschen am Rande des Besitzes gefunden. Raphael hat mir verraten, wo er war.“ Bei Raphaels Erwähnung zuckte ich zusammen. Dich ich verdrängte jeden Gedanken an Raphael und widmete mich nur noch Leonard. Es schien eine Ewigkeit vergangen zu sein, als ich Leonard das letzte Mal im Arm gehalten hatte. Seine Grübchen erschienen mir umso schöner. Ich würde am liebsten die ganze Nacht hier stehen und Leonard betrachten, doch ich musste mich hinsetzten. Mein Körper machte nicht mehr mit, auch wenn ich es wollte. Helene hatte Recht. Ich musste mich ausruhen. Seufzend setzte ich auf das Bett. Helene lächelte, „Ruh’ dich ruhig aus. Ich kümmere mich jetzt um Leonard und ich lasse ihn nicht mehr aus den Augen.“ Erschöpft nickte ich und legte mich schlafen. Zum Schluss forderte der Tag seinen Tribut.

Doch mit dem Schlaf kam auch alles wieder zurück. All’ die verdrängten Gefühle und Gedanken, die ich vergessen wollte. Aber wie Raphael einmal gesagt hatte: Es gab kein Vergessen. Erst nach Tagen konnte ich aufhören zu schreien. Meine Stimme war heiser. Die Tränen waren längst versiegt. Allein Leonard war es zu verdanken, dass ich nicht völlig durchdrehte. Doch Leonard erinnerte mich ebenso an das Kind als alles andere. Ich war nur froh, dass es Leonard gab. Heute konnte ich mir nicht mehr vorstellen, ohne Leonard zu leben. Wochen vergingen und ich saß auf meinem Bett und bemerkte kaum, dass ich in die Ferne starrte. Meine Haare hingen völlig glanzlos und verfilzt an mir, doch das störte mich wenig. Mich störte nichts mehr. Helene kam rein, aber ich beachtete sie kaum. „Raphael bereitet seine Abreise vor.“ Ich sollte mich traurig fühlen, doch ich tat es nicht. Gleichgültig zuckte ich mit den Schultern. „Helene seufzte, „Wie geht es dir?“ Bevor ich ihr antworten konnte, erschien Raphael. Die Worte auf meinen Lippen erstarrten. Feindselig starrte ich ihn an, doch schließlich erstarb auch diese letzte Gefühlsregung. Helene schien das auch zu bemerken. Besorgt runzelte sie die Stirn. Raphael stand einfach nur da. Er wirkte erschöpft. Seine Augen lagen in tiefen Höhlen, sein Körper zitterte. Er schien am Ende zu sein. Traurigerweise kümmerte mich das nicht. Schweigen erfüllte den Raum. Ich wandte den Blick ab, ich wollte ihn nicht sehen. Nicht nachdem er so viel angetan hatte. Raphael sank zu Boden, „Es tut mir leid. So leid.“ Was sollte ich mit einer Entschuldigung anfangen. Seine Taten sind unentschuldbar.

Verstört blickte er auf, sein verzweifelter Blick traf mich. Seine Finger fuhren durch seine Haare und ließen ihn noch trostloser erscheinen. „Im vergangenen Jahr hatte ich Ulrich gekämpft. Wir waren im gleichen Kriegslager. Er kämpfte an meiner Seite und ich sah seinen Schmerz. Ich meine, es war schon ironisch, dass wir den gleichen Schmerz teilten. Es brachte mich beinahe um den Verstand.“ Als er Ulrich erwähnte zuckte ich zusammen. Panisch sah ich ihn an. Hatte Raphael etwas verraten. Kannte Ulrich nun mein Geheimnis? Raphael lachte höhnisch auf. Das war das erste Mal, dass er seit längerer Zeit wieder so grausam wurde. „Natürlich. Jetzt habe ich deine ungeteilte Aufmerksamkeit. Aber keine Angst. Ich habe nichts verraten. Er weiß nichts von Leonard“ Er blickte zu Boden und zog eine Grimasse, „Er leidet. So wie ich leide. Noch nie hatte ich so einen unvorstellbaren Schmerz gesehen. Er hält es einfach nicht aus, zu wissen was mit dir geschehen ist, nachdem du weggelaufen warst.“ Erschrocken blickte ich ihn an. Ulrich weiß, dass ich weggelaufen bin! Einen Moment lang erlaubte ich meinem Herzen zu erstarren, „Gut.“ Gequält sah er mich an, „Warum musste das alles passieren? Wieso schafft es, Ulrich dich zum Reden bringen, während ich dabei versage?“ Mein letzter Geduldsfaden riss. Ich konnte es einfach nicht länger ertragen. Wutentbrannt lief ich im Zimmer hin und her, „Immer nur Ulrich. Dich macht der Gedanke an ihn krank und du bildest dir ein, dass er der Grund wäre warum wir niemals eine Chance haben werden zusammen zu sein und ein glückliches Leben zu führen. Aber du ist der Grund. Du hast die Schuld! Ich war völlig leer und tot gewesen, als ich zu dir gestoßen bin. Ich hatte gedacht, du wärst anders als Ulrich.“, Raphael zuckte bei meinen Worten zusammen, doch ich hörte nicht auf, „Du bist viel schlimmer. Ulrich könnte mir niemals so etwas antun. Er hätte so etwas niemals getan! Doch das schlimmste ist: Ich hätte dich lieben können.“ Überrascht schloss ich meinen Mund. Selbst für mich war dies eine lange Rede gewesen. Gepeinigt verbarg er sein Gesicht in seinen Händen. Doch schließlich stand er auf und strich mir sanft über meine Wange. Ich musste mich beherrschen, nicht zurückzuweichen. „Ich liebe dich“, seine Stimme war nur noch ein Hauch. Mit einem letzten Blick auf mich ging er hinaus und verschwand aus meinem Leben.

Monate vergingen und Schritt für Schritt fing ich wieder an zu leben. Ich meine, ich mich konnte dennoch nichts mehr interessieren aber ich sperrte mich nicht mehr in mein Zimmer ein. Nicht mehr so oft. Zum ersten Mal seit langer Zeit atmete ich die frische aber dennoch kalte Luft des Morgens ein. Plötzlich kam ein Bote angeritten. Uns erreichte die Nachricht, dass der ehrenwerte Raphael von Leinigen im verheerenden Kampf für die Kaiserkrone mit seinem Leben bezahlte.

 

Es gab einmal eine Zeit, da hatte Raphael mir gefehlt. Ich hatte mich ohne ihn einsam gefühlt. Doch nun, wo Raphael tot war, musste ich mich der Wahrheit stellen.

Drei Jahre waren inzwischen vergangen und ich fühlte mich einfach nur erleichtert. Liebevoll betrachtete ich Leonard, der den Tag spielend im Garten verbrachte. Er gedieh prächtig, ich konnte ihn schon fast jede Minute wachsen sehen. SO groß war er schon geworden. Aber mit jedem Tag wuchs auch seine Ähnlichkeit mit Ulrich. Seufzend betrachtete ich meinen Sohn. Es war so ungerecht. Ich wollte in Ruhe leben und mich nicht ständig mit den Schatten der Vergangenheit plagen. „Mama!“, schrie er dem Wind entgegen und winkte mir zu. Lachend winkte ich zurück und ging zurück in die Burg. Genug getrödelt. Ich musste mich um die Vorbereitungen des alljährlichen Ball kümmern. Die Magd würde jetzt auf Leonard aufpassen. Jedes Jahr veranstaltete meine Familie einen Ball, einer der größten Festlichkeiten, die im Adel veranstaltet wurde. Dieser sollte die Bündnisse stärken. Jedoch war in den letzten drei Jahren der Ball ausgefallen. Meine Eltern hatten sich Sorgen um mich gemacht. Ich war einfach nicht ich selbst gewesen. Allein Leonard hatte es geschafft mich langsam zurückzubringen. Trotzdem, war ich noch nicht völlig gesund. Da nun der Ball die ganzen Jahre ausgefallen war, wurde es zum Ereignis des Jahres und war noch begehrenswerter als zuvor. Bevor ich mit Helene jedoch sprechen konnte, hörte ich Das Horn ertönen, das einen Besucher ankündigte. Neugierig trat ich hinaus. Der Mann stieg gerade von seinem Pferd ab. Seine blonden Haare glitzerten in der Sonne. Stahlblaue Augen durchsuchten die Ferne um jede mögliche Gefahr zu erkennen. Der Mann verwirrte mich. Irgendwie kam er mir bekannt vor. Ich war mir sicher, dass ich ihn irgendwo schon gesehen hatte. Doch mehr als der Mann, verwirrte mich das Verhalten der Bediensteten. Sie blickten den Mann mit großen Augen an und sprachen leise miteinander, während sie auf den Fremden zeigten. Es schien als wäre er in einem großen Skandal verwickelt gewesen oder so etwas Ähnlichem. Jedenfalls kannten die Leute ihn. Der Mann drehte sich zu mir um und wieder hatte ich das unheimliche Gefühl, ihn zu kennen. Überrascht sah er mich an, „Seid gegrüßt, seid ihr ein Gast der Familie?“ Völlig durcheinander sah ich ihn an, „Wie meint Ihr das? Ich bin die Tochter der Familie. Charlotte.“ Der Mann erblasste und packte mich an den Schultern. „Was sagst du da?“ Erschrocken riss ich mich von ihm weg. Schon lange war mir niemand mehr so nahe gekommen. Das machte mir Angst. „Wer seid ihr?“ Er antwortete nicht und blickte sich um. Mutter? Wir hatten doch momentan keine Gäste und ich konnte mir nicht vorstellen, dass er zu den Bediensteten gehörte. Er war einer von uns, ein Adliger. Wer also war seine Mutter? Vielleicht war er einfach geistig geschwächt. Hatte ich ja auch schon. Unauffällig machte ich einen Schritt zurück um Helene zu suchen, damit sie das klären konnte. Aber ich brauchte sie gar nicht zu suchen. Ich sah sie erstarrt im Hof stehen. Was war nur heute mit den Menschen los. Verwirrt blickte ich sie an. Warum blieb sie da einfach stehen und starrte den Mann an. Dieser blickte ebenfalls Mutter an, ein leichtes Lächeln lag auf seinen Lippen. Langsam kam Mutter auf uns zu und drückte meinen Arm. Was will sie damit denn sagen? Dann lächelte sie den Mann an. Sie strahlte solche Erleichterung aus. Wie als sie mich gefunden hatte und mir berichtete, dass ich ihre Tochter wäre. Zärtlich strich sie ihm über die Wange, „Hallo mein Sohn“ Perplex sah ich Mutter an. Was ist hier los? Nach ewig stillen Minuten wandte sie sich zu mir. „Charlotte, das ist Julian. Dein Bruder.“ Mein Bruder?! Fassungslos starrte ich ihn an, „Mein Bruder?“, stammelte ich. Julian nickte schweigend. Völlig wirr im Kopf blickte ich zwischen den beiden hin und her. „Mutter warum hast du mir nie etwas von ihm erzählt?“ Diese lächelte gequält, „Nach deiner Entführung waren wir alle sehr von Trauer zerfressen. Doch Julian hatte es am schlimmsten getroffen. Mit seinen sehr jungen Jahren hatte er schon schnell begriffen, dass seine kleine Schwester, die alle geliebt hatten für immer verloren war. Doch er wollte es einfach nicht akzeptieren. Nachdem er volljährig geworden war, ging er weg. Er wollte dich suchen und wiederfinden. Er hatte immer geglaubt, wenn er dich ansehen würde, dann würde er dich erkennen. Wir lebten nur noch in Briefwechsel. Doch irgendwann erreichten uns keine Nachrichten mehr von ihm. Er unternahm jeden Versuch um dich zu finden. Dein Vater und ich konnten dir einfach nicht erzählen, dass dein Bruder verschollen war nur weil er dich finden wollte. Wir hatten unser zweites Kind verloren. Wir konnten es einfach nicht.“ Liebevoll schlug sie ihm leicht auf seinen Arm, „Dieser dumme Junge war so voller Tatendrang, dass er nicht die Geduld aufbrachte, bei seinen Eltern zu bleiben.“ Verlegen lächelte er, „Es tut mir leid. Nachdem meine Suche erfolglos war, wollte ich einfach nicht nach Hause zurückkehren und von meiner Niederlage berichten. Es war so beschämend. Also zog ich in den Krieg oder half den Adligen mit deren Fehden“ Ich merkte, wie ich meine Augen aufriss, „Du hast deine Familie verlassen, nur weil du mich finden wolltest?“ Julian lächelte leicht, „Ziemlich närrisch, oder?“ Ich konnte nicht anders, aber ich musste lachen, „Danke.“, „Ich bin froh, dass meine Schwester nun wieder zurück ist.“ Lächelnd nahm ich seine Hand, „Komm, du musst mir alles erzählen! Warum bist du denn ausgerechnet jetzt zurück?“ Julian verzog das Gesicht und seine Miene verdüsterte sich schlagartig, „Ich habe von Raphaels Tod erfahren.“ Alles in mir erstarrte, mein Lächeln erstarb. Die alte Angst holte mich wieder einmal ein. Nur die leiseste Erwähnung seines Namens ließ mich panisch umzusehen. Julian schien mein verändertes Verhalten zu bemerken und hob fragend eine Braue. Nervös zuckte ich mit den Schultern und spielte scheinbar konzentriert mit meinem Kleid. Ich wollte ihm nicht erzählen, was passiert war und wollte mich schon abwenden, als er sagte: „Ich hätte es wissen müssen! Warum hat er mir das nicht gesagt? Du bist seine Frau. Du hast ihn geheiratet.“ Stumm nickte ich. Er seufzte, „Lass uns reden. Wir haben ja viele Jahre aufzuholen und ich brenne darauf mehr von deinem Leben zu erfahren“ Erleichtert, dass er mich nicht weiter über Raphael ausfragte, folgte ich ihm. Plötzlich kamen Leonard und die Magd uns entgegen. „Mama!“, schrie er und rannte auf mich zu, „Ich habe einen riesigen Wurm gefunden! Darf ich ihn behalten?“ Lachend schüttelte ich den Kopf, „Um Gottes Willen nein! Leonard ich möchte dir jemanden vorstellen. Deinen Onkel.“ Mit großen Augen blickte Leonard seinen Onkel an. Graue Augen, die seinem Vater so sehr glichen begegneten stahlblauen. „Hallo“, erwiderte der kleine Junge mit einer leisen Stimme. Julian starrte Leonard mit zusammengekniffenen Augen an, dann erstarrte er und blickte Leonard überrascht und geschockt zugleich an. Ich spürte wie mir etwas kalt den Rücken runter lief. Eine schlimme Vorahnung erfasste mich. „Du kennst Ulrich.“ Mühsam versuchte ich mich zu beruhigen. „Diana, bring doch Leonard in sein Zimmer“ Mit einem lautstarken Protest wurde er weggebracht. Lächelnd sah ich ihnen nach, als wir uns schließlich im Gemeinschaftsraum niederließen. Julian räusperte sich, „Du bist die Frau von Raphael. Trotzdem ist dein Sohn das Ebenbild von Ulrich von Sayn. Was geht hier vor?“ Ich schluckte. Noch nie wurde ich so schnell auf den Boden der Tatsachen gebracht. Innerhalb von Sekunden hatte Julian in Leonard Ulrich erkannt. Ich zuckte mit den Schultern und blickte ich zu Boden. „Nachdem ich entführt wurde, wurde ich zu einer Familie gebracht, die mich aufzog. Als ich vier war wurde ich an die Haushälterin der Sayns verkauft. So wurde ich die Bedienstete Ulrichs.“ Julian runzelte die Stirn, „Wie bist du zu unserer Familie zurückgekehrt?“ Seufzend setzte ich mich bequemer hin. Ich musste ihm wohl alles erzählen. Noch einmal tief durchatmend begann ich zu sprechen, „Alles fing damit an, dass…“ Obwohl er mein Bruder war, konnte ich ihm nicht von meinen Ängsten erzählen und mir war vollkommen bewusst, dass ich ihm nicht alles erzählte, aber ich konnte es einfach nicht laut aussprechen. Ich konnte ihm einfach nicht von Raphaels Taten berichten. Julian war sein Freund gewesen. Nebenbei bemerkte ich, dass meine Stimme so seltsam monoton klang. Ich hatte so viel durchlitten und hatte kein Gefühl mehr dafür. Als ich schließlich geendet hatte, herrschte eine betretende Stille. Dann lehnte sich Julian zurück und lachte kurz auf, „Dein Leben ist ja alles andere als ereignislos“ Sch lächelte ich, schwieg aber. Verwundert schüttelte er den Kopf, „Du bist die Magd, die Ulrich den Kopf verdreht hat und die Frau in der Raphael so unsterblich verliebt war. Endlich verstehe ich das alles!“ Scheinbar desinteressiert sah ich zu Boden, doch würde ich jetzt am liebsten laut aufschreien. Wieso musste denn unbedingt ich die Frau sein, die allen den Kopf verdrehte?! Julian sprach weiter, er schien meinen inneren Konflikt wohl nicht bemerkt zu haben. „Diese ganze Feindseligkeit. Das macht jetzt alles einen Sinn“ Scheinbar gleichgültig zuckte ich mit den Schultern. Plötzlich kam eine Magd herein und teilte mir mit, dass ich gebraucht wurde. Entschuldigend lächelte ich Julian a und wollte schon gehen, als er sagte : „Was wirst du tun wenn Ulrich erfährt, dass er Vater ist?“ Mitten in meiner Bewegung erstarrte ich. „Er wird es nicht erfahren!“ Selbst ich hörte den trotzigen Unterton in meiner Stimme, „Er wird niemals wissen, dass ich die verschwundene Tochter der Familie der Aquins bin. Er denkt, dass ich verschollen bin oder schon tot. So ist es am Besten.“ Julian schüttelte den Kopf, „Seine Familie ist auf dem Ball eingeladen“ Entsetzt sah ich ihn an, „Bist du sicher?“ Er nickte betrübt, „Was wirst du tun, wenn du ihn siehst?“ Verdattert sah ich ihn an, „Was meinst du?“ Immer noch nicht konnte ich ganz begreifen, dass ich Ulrich wieder sehen würde. Julian zuckte mit den Schultern, „Ich meine, er liebt dich. Das konnte ich damals im Kriegslager erkannte ich, dass er seine Magd, dich, liebt. Was denkst du passiert, wenn er erfährt, dass du noch lebst?“ Unwohl hob ich unwissend meine Schultern, „Nichts wird passieren. Ich glaube nicht, dass er kommen wird“ Beinahe wütend sah ich ihn an. Ich wusste, dass ich ihm unrecht tat, aber ich konnte nicht anders. „Ulrich liebt mich nicht. Das kann er nicht. Er hat mich noch nie geliebt“ Bekümmert lächelte er mich an, „Ich habe mit ihm gelebt. Er war voller Pein und litt. Damals wusste ich nicht warum. Aber nun weiß ich es. Wenn er sein Leben weiterhin aufs Spiel setzt, dann wird er daran zugrunde gehen“ Gleichgültig sah ich ihn an, „Wenn er stirbt, hätte ich ein Problem weniger“ Erstaunt hob Julian eine Braue. Bevor er noch etwas sagen konnte, kam ich ihm zuvor, „Ich muss jetzt gehen“ Julian nickte und lächelte gequält, „Jetzt habe ich dich verärgert“ Ich wandte mich um und ging hinaus. Zwei Menschen hatte nun gesagt, dass Ulrich wegen mir litt. Aber was ist mit mir? Ich hatte auch gelitten. Ich wurde bestraft, was nicht meine Schuld war und mir wurde meine Zukunft genommen. Trotzdem wurde Ulrich bemitleidet. Die alte Wut überkam mich, während ich wohl erfolglos versuchte, mit Helene den Ball zu besprechen. Es war anstrengend mich darauf zu konzentrieren einen Ball zu organisieren, wo Ulrich auftauchen könnte. Bald wünschte ich mir einfach, zu Leonard gehen zu können und den Ball einfach zu vergessen. Doch ich hatte meiner Mutter ein Versprechen gegeben und ich halte meine Versprechen. „Wir brauchen etwas Besonderes für diesen Ball. Es ist der Erste, seit mehreren Jahren und es muss…ich weiß nicht…etwas sein, dass wir noch nicht hatten“, überlegte Helene laut. Der Gedanke, dass Ulrich auf dem Ball auftauchen könnte, peinigte mich. Was würde passieren wenn er Leonard sah? Ich könnte Leonard einfach nicht zum Fest mitnehmen, aber er freute sich doch so darauf. Ich möchte ihm nicht die Freude nehmen. Ich musste irgendwie…ihn vertuschen…Ich hatte es! „Masken!“ Verdutzt sah Mutter mich an, „Masken?“ Begeistert nickte ich, „Jeder trägt eine Maske. Wir veranstalten einen Maskenball!“ Helene lächelte fröhlich, „Das ist eine wunderbare Idee“, sie lachte, „das wird das Ereignis des Jahres!“ Lächelnd stimmte ich ihr zu.

Die Wochen vergingen, mit denen ich immer mehr unter Stress stand, während die richtigen Blumen ausgesucht oder die richtigen Musiker mussten gefunden werden. Meine innere Anspannung wuchs. Würde Ulrich beim Ball auftauchen? Immerhin brauchte ich mir keine Sorgen zu machen, dass Ulrich Leonard unter der Maske erkennen würde. Solange Leonard seine Maske aufbehielt. Seufzend schüttelte ich den Kopf um meine trüben Gedanken loszuwerden. Ich sollte nicht daran denken und mich einfach um meine Aufgaben kümmern. Er würde nicht noch einmal mein Leben durcheinander bringen. Es waren nur noch wenige Tage zum Ball und ich würde mich nicht von Ulrich ablenken lassen.

Zahllose Masken blickten mich an, wunderschöne und verzerrte Grimassen, doch alle diese Namenlosen Gesichter hatten ein Lächeln auf den Lippen. Aber einige waren genauso falsch wie das meine. Trotzdem war der Ball einfach atemberaubend. Ich hatte nicht erwartet, dass das Fest so beeindruckend werde würde. Nervös zupfte ich mein Kleid zurrecht. Mutter hatte es genau für diesen Anlass anfertigen lassen. Blaue Seide schmiegte sich an meinen Körper und betonte meine Augen. An der Hüfte entlang wölbte sich das Kleid und mit der Spitze am Bund wirkte das Kleid einfach nur zauberhaft. Die Ärmel des Kleides waren an meinen Armen drapiert, sodass mein Rücken offen lag. Jeder konnte mein Muttermal erkennen. Dies war mein Fest. Hiermit wurde ich offiziell in die Gesellschaft aufgenommen. Nur wenige hatten mich je gesehen, deshalb gab es auch schon eine menge Gerede darüber, warum ich mich von der Außenwelt so abgeschottet hatte. Nun, jetzt würden sie mich zu Gesicht bekommen. Alle bedeutendsten Adelsfamilien waren eingeladen. Nervös betastete ich meine Maske. Lange hatte ich mir überlegt, wie meine Maske wohl aussehen sollte und hatte mich schließlich für eine verzerrte Sonne entschieden. Statt in leuchtendem Gelb war sie in schwarz gefärbt und war mit silbernen Schnörkel verziert. Ich blickte mich um und sah einen Meer voller bunter Masken, die fröhlich tanzten und plauderten. Er erinnerte mich an den Karneval in Venedig. Ich hatte schon viele davon gehört und hatte mir fest vorgenommen, einmal dorthin zu fahren und an dem unglaublichen Fest teilzunehmen. Lautes Lachen brachte mich in die Gegenwart zurück. Leonard lief durch die Menge und strahlte jeden an, der ihm ein Lächeln schenkte. Man konnte nicht glauben, wie schnell er mit seinen kleinen Beinen durch die Menge lief. Schon mit seinen vier Jahren versprühte der Kleine eine menge Energie. Vor lauter Freude vergaß er ganz den Sinn des Maskenballs und schob seine Maske immer wieder über sein Gesicht. Wie oft hatte Leonard getobt, seine Maske zu bekommen. Seit er von dem Ball wusste, wollte er eine Maske mit dem Gesicht eines Welpen darauf besitzen. Seufzend erkannte ich, dass der Moment wenn Leonard schlafen gehen soll, sicher sehr anstrengend wird. Es würde sehr schwer werden, denn Leonard hasste es, während in einem anderen Teil der Burg ein Fest stattfand nicht dabei zu sein und wollte dann nicht schlafen. Er wollte miterleben wenn die Gäste tanzten und lachten. Das hatte er bestimmt von seinem Vater, nicht von mir! Aber jetzt hatte Leonard noch Zeit und ich ließ ihm seinen Spaß. Ich ließ meinen Blick über die Menge schweifen. Alle waren gekommen um die verschwundenen Tochter zu sehen, dessen Schönheit als Baby bekannt war. Helene hatte den Saal mit Spiegel ausgestattet, sodass es eine lebhafte Atmosphäre erzeugte. Die maskierten Adligen betrachteten sich in den Spiegeln und lachten. Es war einfach ein wunderbares Fest. Es floss reichlich Wein und die wunderschöne Musik hallte m Saal wieder. „Herrin, sollen wir nun das Essen auftragen?“, fragte mich Clara, die Küchenmagd. Endlich hatten die Bediensteten ihre Scheu vor mir abgelegt. Aber das hatte fast vier Jahre gedauert. Ich schüttelte den Kopf, „Sag den Musikern, sie sollen etwas Fröhliches spielen. Das ist ja immerhin keine Trauerfeier hier, habe ich Recht?“ Als die Musik ertönte, kreischte die Menge auf und tanzten fröhlich miteinander. Wüste ich es nicht besser, würde ich behaupten, dies wären einfache Kaufleute in Venedig. Die Masken schienen sie zu verzaubern und nahmen ihnen die Hemmungen. Alle lachten -die Jungen, die Alten, die Schönen und alle anderen. Endlich konnte ich mich entspannen. Ich fühlte mich so frei und gelöst. Für einen Moment vergaß ich die letzten Jahre und ich konnte mich nun amüsieren. Die Musik begleitete mich, während ich plauderte und tanzte. Im Spiegel sah ich ein glückliches Mädchen mit geröteten Wangen. Auf den zweiten Blick erkannte ich mich als dieses Mädchen. Es war einfach unglaublich. In diesem Augenblick fühlte ich mich einfach glücklich. Es war schwer es nicht zu sein, bei diesem Fest.

Eine leichte Berührung ließ mich aufschrecken. Vor mir stand ein Mann, den ich nicht kannte. Seine grünen Augen blickten mich an und ein leichtes Lächeln umspielte seine Lippen. Mit seinem markanten Gesicht galt er bestimmt zu den begehrtesten Männern unter den Frauen. Doch für mich galt das nicht. Galant verbeugte er sich vor mir. „Darf ich mich vorstellen, ich bin Mark von Benroide. Es wäre mir eine Ehre, wenn Ihr mir erlauben würdet, mit mir zu tanzen“ Lächelnd nickte ich. Ich war heilfroh, dass Julian mir beigebracht hatte, wie man anständig tanzte. „Ihr tanzt wirklich wunderbar“, sagte er schmeichelnd. Lächelnd dankte ich ihm. Plötzlich zog er mich enger an sich, „Ihr seid also die verlorene Tochter. Meine Eltern haben schon viel über euch erzählt. Ich war da ja noch ein kleiner Junge gewesen. Dabei haben alle geglaubt, Ihr wäret für immer verloren.“ Völlig überrascht über seine plötzliche Nähe war ich für einen Moment sprachlos. Auch wenn mich diese Nähe ein wenig ängstigte, wollte ich nicht unhöflich sein. Ich meine, vielleicht bin ich auch einfach zu empfindlich wenn ich mich nun unwohl fühlte. Also besann ich mich auf meine gute Erziehung und antwortete ihm scheinbar unbekümmert, „Ich hatte Glück“ Er sollte nicht sehen, wie sehr mich das Thema noch beschäftigte. Marks Gesicht war undurchdringlich, „Ja das stimmt wohl.“ Bevor ich noch antworten konnte, erschien mit einem Mal Mutter. Ihre fröhliche Miene war einem starrem Lächeln gewichen, „Mark wie schön, dass Ihr es einrichten konntet zu kommen.“ Er lachte, „Das hätte ich um nichts auf der Welt verpasst“ Helene lächelte schmal, während ich mich immer mehr wunderte. Wer war dieser Mann, dass Helene sich so feindselig verhielt? „Ihr entschuldigt uns, aber ich muss etwas mit meiner Tochter besprechen“ Mark nickte und trat zurück. Schnell knickste ich vor ihm und verschwand mit ihr in der Menge. „Mutter was war denn das?“ Helene stoppte und sah mich eindringlich an, „Du musst mir etwas versprechen. Du musst dich von Mark fernhalten. Er ist gefährlich“ Verwirrt sah ich ihn an, „Aber warum?“ Helene seufzte, „Seine Familie. Sie hat schon viele Intrigen gegen uns gesponnen. Wir konnten uns zwar gegen sie wehren, dennoch solltest du dich von der Familie fernhalten. Wir mussten ihn einladen. So ist die Sitte.“ Unruhig sah ich ihn an, „In Ordnung“ Erleichtert atmete Mutter aus, „Gott sei Dank. Jetzt genieße das Fest“ Lächelnd nickte ich und machte mich auf die Suche nach Leonard, ich hatte heute noch nicht mit ihm getanzt. Das durfte ich nicht versäumen. Schließlich fand ich ihn und obwohl er sich sträubte, amüsierten wir uns prächtig. Doch es gab einen, der nicht tanzte. Dieser blickte mich mit seinen stahlgrauen Augen an und schien mich mit seinen Blick die Maske zu durchschauen. Nervös prüfte ich, ob meine Maske richtig saß. Es war Eberhard von Sayn. Ich erstarrte und mein Lächeln erstarb. Ein einziger Gedanke beherrschte mich: Leonard. Ich wirbelte herum und suchte nach meinem Sohn. Ich der kurzen Zeit, als ich ihn losgelassen hatte, war er mir entwischt. Ich fand ihn am Buffet. Er sah mich schuldbewusst an, sein Mund und seine Finger waren mit Schokolade beschmiert. Doch darauf konnte ich jetzt nicht achten. Ich legte ihm die Maske wieder an, die er mal wieder achtlos über seine Stirn geschoben hatte. „Leonard, Schatz tu mir einen Gefallen und lass deine Maske jetzt an, in Ordnung?“ Leonard nickte abwesend, hatte er schon wieder die Torte im Blick. Dann entwischte er mir ein weiteres Mal. Dieser Junge war wirklich nicht aufzuhalten. Panik erfasste mich, doch äußerlich blieb ich ruhig. Natürlich war Eberhard eingeladen, er gehörte zur oberen Adelsschicht. Doch trotz allen Vorbereitungen, erinnerte ich mich mit Grauen an ihn. Wie er mich geschlagen hatte, seine Brutalität. Mit aller Willenskraft schaffte ich es, nicht aus dem Saal zu fliehen. Ich musste den Anschein wahren. Nur weil Eberhard erschienen war, hieß es noch lange nicht, dass Ulrich auch da war. Zu meiner Erleichterung hörte ich die Frau mit der Katzenmaske sagen hören: „Ja das ist wirklich schade, dass Graf Sayns Sohn nicht mitkommen konnte, wie war noch gleich sein Name? Ach ja Ulrich. Er sieht aber gut aus. Ich wünschte…“ Erleichtert atmete ich aus. Ein nervöses Lächeln konnte sich auf mein Gesicht schleichen. Er war nicht da. Er konnte meinen Sohn nicht sehen, die Ähnlichkeiten entdecken. Niemand schien etwas von meiner anfänglichen Panik mitbekommen zu haben. Leonard lachte und hüpfte immer noch auf und ab. „Darf ich dich zum Tanz bitten?“, ertönte eine Stimme hinter mir. Ich wandte mich zu der Stimme um und erblickte Julian. Lächelnd schüttelte ich den Kopf und sah ihn entschuldigend an, „Ich wollte gerade zu Mutter und möchte ein bisschen auf Leonard aufpassen. Er hatte seine Finger schon wieder in der Schokolade. Einen Moment lang blickte ich ihn an. Ich hatte nie Geschwister gewollt, doch seit ich wusste, dass ich einen Bruder hatte, konnte ich mir ein Leben ohne ihn nicht mehr vorstellen. Ich ging nun mit einem zappelnden Leonard zu Mutter. Diese lächelte als sie mich sah. „Du hättest mir Bescheid sagen sollen, dass Eberhard angekommen ist.“ Sie zuckte mit den Schultern, „Dann hättest du eine Ausrede gefunden um dich dem Fest zu entziehen. Du musst dich deiner Vergangenheit stellen. Du bist nicht länger die kleine Magd. Ihr seid nun gleichgestellt. Du brauchst nicht länger Angst zu haben.“ Ich wollte ihr widersprechen. Es gab eine Gefahr und es würde immer eine Gefahr geben. Leonard sieht seinem Vater einfach zu Ähnlich. Was würde geschehen, wenn Ulrich über seinen Sohn Bescheid wusste? Ich wollte es nicht herausfinden. Schließlich bewahrte Leonard uns vor einem Streit, „Mama? Ich habe Hunger!“ Einen Moment lang überlegte ich. „In Ordnung. Es wird jetzt Essen geben, mein Schatz. Geh zu Clara und sag Ihr Bescheid“ Leonard jubelte auf und rannte durch die Menge. Plötzlich ging die Saaltür auf und ein Mann trat ein. Die Maske des Mannes faszinierte mich. Leuchtendrot war sie, mit einer unnatürlich langen Nase. Aber ich konnte nicht feststellen, was die Maske darstellen soll.

Leonard lief immer noch völlig überdreht durch die Menge, drehte sich kurz um und winkte mir zu. Da passierte es: Leonard prallte gegen den Mann. Der Mann lachte und hielt Leonard fest, damit er nicht hinfiel. Mein Lachen erstarb. Ich hatte das Gefühl als würde ich jeden Moment in Ohnmacht fallen. Einen Augenblick lang hatte ich ihn nicht erkannt, doch sein Lachen war einfach unverkennbar. Hatte es einmal Glück in mir hervorgerufen, wurde mir jetzt davon übel. „Pass auf mein Junge“, sagte er mit seiner unverwechselbaren rauen Stimme. „Verzeihung“, murmelte Leonard und lief hinaus. Ein lautes Raunen ging durch die Adligen. „Das ist doch…Ulrich…der Sohn des Grafen von Sayn. Er sieht ja wirklich blendend aus!“ Genervt verdrehte ich die Augen. Es schien alles vor mir zu verschwimmen. Obwohl die Maske sein halbes Gesicht verdeckte, sah ich tiefe Falten in seinem Gesicht eingegraben. Sein Mund. Die so wunderbar küssen konnten- waren zu einem dünnen Strich verzogen. Sein Körper, gestählt von zahlreichen Kämpfen gestählt, bewegte sich geschmeidig. Behutsam legte Mutter mir eine Hand auf meinem Arm, „Alles in Ordnung mit dir?“ Ich wollte es bejahen, doch ich brachte kein Wort raus. Meine Beine fühlten sich wie Butter an. „Komm, du musst hier raus!“, flüsterte Helene und zog mich hinaus. Als ich die kalte Luft einatmete, stützte ich mich gegen die Wand, versuchte zu atmen und die Bilder einer längst vergangenen Zeit zu verscheuchen, die ich so lange verdrängt hatte und mich nun zu überwältigen drohten. Liebevoll strich Mutter mir über meine Haare. „Du musst jetzt stark sein. Er weiß doch gar nicht, dass du unsere verschwundene Tochter bist“ Da war ich mir nicht so sicher. Zweifelnd sah ich ihn an. Aber schließlich wusste ich, dass sie Recht hatte. Ich musste wieder hineingehen, ich musste den Anschein wahren. Einen Moment lang schloss ich meine Augen, verschloss meine schmerzenden Erinnerungen und folgte Helene. Ich zitterte als wollten mich meine Beine davontragen, weg von der Gefahr, weg von Ulrich. Doch Leonard war immer noch auf dem Fest. Ich musste ihn erst einmal wegbringen. Ich zwang mich zu lächeln, niemand durfte meine wahren Gefühle erkennen. In diesem Moment wurde das Essen angerichtet. Erleichtert stellte ich fest, dass Ulrich sich am anderen Ende der Tafel hinsetzte. Erst jetzt erkannte ich die Folgen des Krieges, die sich auf seinem Gesicht abzeichneten. Hohle Wangen und tiefe Augenringe kennzeichneten ihn.

Tagelang hatten die Mägde und ich in der Küche gestanden um die großartigsten Köstlichkeiten den Gästen zu präsentieren. Aber nun bekam ich kaum einen Bissen runter. Es war so bizarr, dass ich mit Ulrich zusammen an einem Tisch saß und aß. Jahrelang hatte ich ihn nicht mehr gesehen. Jahrelang hatte mein Herz geblutet und jetzt saß er am gleichen Tisch wie ich. Ich wollte, dass er wieder ging. Dass er in sein Leben zurückkehrte und ich mich wieder entspannen konnte. Er sollte verschwinden! Mein Blick zog sich immer wieder zu Ulrich, konnte ich unmöglich ignorieren. Plötzlich lachte er auf, als ihm von seinem Freund einen Witz erzählt wurde. Angespannt zuckte ich zusammen und versuchte mich zusammenzureißen. Ich betete, dass das Essen bald vorüber wäre, doch so viel Glück hatte ich nicht. Unruhig zählte ich die Minuten. Es schien eine Ewigkeit zu vergehen, bis die Mägde endlich die Teller abräumten. Die Gäste versammelten dich in kleinere Gruppen und plauderten munter weiter. Helene sprach mit mir, doch ich hörte nur halb zu. Ich war einfach zu angespannt. Mit Erschrecken sah ich, dass Ulrich auf mich zukam. Sein Lächeln war gezwungen, es erreichte nicht seine Augen. Dennoch tat es seiner Schönheit keinen Abbruch. Es schmerzte, als würde mir ein Dolch in meinem Herz stecken. Ihn so zu sehen, nachdem ich ihn jahrelang aus dem Herzen verbannt hatte, war schlimm. Reichte es nicht, dass ich ihn jeden Tag im Wesen meines Sohnes erkannte. Warum musste er jetzt auftauchen! Ich rief mich zur Ordnung. Ich musste damit aufhören. Er würde nur diesen einen Abend hier sein, dann würde er wieder verschwinden. Für immer. Ich brauchte mir keine Sorgen machen. Er würde mich nicht erkennen und alles wäre wunderbar. Ulrich nahm sachte meine Hand und ich versuchte krampfhaft nicht zu zittern, als er einen Kuss auf meinen Handrücken hauchte. Mit Mühe unterdrückte ich einen Schauder. „Es ist mir eine Freude, die verschwundene Tochter der Aquins kennenzulernen.“ Meine Beine gaben beinahe nach, so schwach fühlte ich mich. Ich zwang mich zu lächeln, „Freut mich, eure Bekanntschaft zu machen. Doch nun entschuldigt mich, ich muss mich um meinen Sohn kümmern“ Verwirrt blickte er mich an, er schien wohl meine Stimme wiederzuerkennen. Eindringlich sah er mich an und widerstand dem Drang sofort wegzurennen. Stattdessen drehte ich mich langsam um und schnappte mir Leonard und lief so ruhig wie möglich weg. Leonard ahnte schon, dass er jetzt ins Bett musste, während das Fest im vollen Gang war. Er quengelte als ich ihn an die Hand nahm. Leonard sah mich mit so mitleiderregend an, dass ich nicht anders konnte, als zu lachen. Wenn ich den Kleinen so betrachtete, ging mir immer mein Herz auf, bei ihm konnte ich immer meine Sorgen vergessen. Plötzlich hörte ich ein entsetztes Aufkeuchen. Mein Magen rumorte und ich wollte mich nicht umdrehen. Doch etwas schien mich wie magisch anzuziehen. Ulrich starrte mich erschüttert, seine Haut war kreidebleich. Er hatte seine Hand ausgestreckt, so als wollte er mich berühren. Sein Mund öffnete sich, als er wollte er etwas sagen, doch er klappte seinen Mund wieder zu. Instinktiv wich ich zurück und mein Körper erstarrte. Ich konnte mich nicht bewegen, nicht weglaufen! Zornig hätte ich mich am liebsten selbst geschlagen. Das war Vergangenheit! Er starrte mich an und ich starrte zurück. Mein Atem ging zu schnell, viel zu schnell. Mutter reagierte schnell. Sie kniff mir kurz in den Arm und wandte sich dann zu Ulrich, „Ulrich, könnt Ihr mir verraten, ob Ihr die Werke des neuen Dichters kennt? Ist seine Dichtkunst nicht einfach wunderbar?“ Ulrich antwortete nicht. Er sah mich nur an, sein Gesicht war voller Emotionen. Ich sah den Schock in seinen Augen, der ebenso groß wie meiner war. Dank Helene hatte ich mich jedoch wieder ein wenig gefangen und brachte Leonard hinaus. Der Kleine schien nichts von alledem bemerkt zu haben. Er plapperte einfach weiter, erzählte von seinem Opa, der ihm morgen ein Geheimnis verraten wollte, von Julian, der ihm die Geschichte von David und Goliath erzählt hatte. Nun wollte er auch so eine Schleuder wie David haben. Hoffnungslos versuchte ich ihm zuzuhören, ihm Antworten zu geben, doch ich konnte mich nicht auf ihn konzentrieren. Wieder einmal erfasste mich die allzu vertraute Panik. Er hatte mich erkannt. Ich hatte es in seinen Augen gesehen. Nun gut, es war geschehen. Doch Ulrich würde niemals erfahren, dass Leonard sein Sohn war.

Trotz seinen anfänglichen Protesten, schlief Leonard augenblicklich ein. Es war wohl doch ein ziemlich anstrengender Tag für ihn gewesen. Eine Weile lang betrachtete ich sein friedliches Gesicht, dann ging ich in den Garten. Ich konnte einfach noch nicht zurückgehen. Ich musste mich erst einmal beruhigen und gegen ihn wappnen.

Die Nacht war kühl, doch es störte mich nicht. Wie schön der Rasen war, wenn der Mond ihn beschien und die Blumen zu leuchten brachte. Ruhig und gelassen lag der kleine Teich da und ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Schmerzhaft erinnerte er mich an einen ganz anderen Teich. Vorsichtig glitten meine Füße in das kühle Wasser. Der Teich konnte mich immer beruhigen. „Rachel?“, ertönte es leise aus der tiefen Dunkelheit. Wie eine Liebkosung umarmte mich diese Stimme. Doch ich erschrak und rutschte aus. Ich machte mich schon darauf gefasst ins kalte Wasser zu fallen, aber mit einem Mal hielten mich zwei starke Arme fest. Seine Finger glitten sanft über meinen Rücken, „Ich wusste, dass ich das Muttermal schon einmal gesehen hatte“ Schnell löste ich mich von ihm, „Verschwinde!“ Doch er ging nicht. Immer noch spürte ich noch seine Anwesenheit. „Du bist es doch wirklich, oder?“, fragte er mich nach mehreren Minuten schweigen. „Natürlich musst du es sein. Deine Stimme, dein Lachen, dein Muttermal…Du bist es!“ Völlig geistesabwesend starrte ich in die Ferne, „Ich bin nicht Rachel. Vielleicht einmal vor langer Zeit…“, „Nein!“, rief er aufgebracht, schon beinah verzweifelt und schreckte mich so aus meinen Gedanken, „du bist es!“ Ich verstand nicht, warum er so zornig war. Soviel Zeit war vergangen und doch hatte sich nicht viel geändert. Mit einem Mal erfasste mich die vertraute kalte Wut. Wutentbrannt sprang ich auf, „Ich bin Charlotte von Aquin, Tochter von Helene und Leopold, Ehefrau von Raphael von Leinigen, Mutter eines wunderbaren Sohnes. Deine Bettgespielin ist tot. Rachel gibt es nicht mehr. Nie wieder!“ Trotz der Dunkelheit sah ich ihn den Kopf schütteln. „Erinnerst du dich noch and die Tage am See? Das waren so wundervolle Tage gewesen. Du warst so umwerfend, wie dein Har im Mond glänzte, deine Haut schimmerte so wunderschön“ Wutentbrannt hielt ich meine Hände vor meinem Gesicht, „Hör auf!“, schrie ich. Das wollte ich nicht hören! Alles war nur eine Lüge gewesen!“ „Ich gehöre nicht länger zu dir! Ich habe ein neues Leben. Endlich habe ich eine Familie, die mich liebt. Ich bin glücklich!“ Lange starrte er mich an. Schmerz überschattete ihn, doch dann verhärteten seine Augen und sine Lippen verzogen sich zu einem spöttischen Grinsen, „Wie war es denn, mit Raphael verheiratet gewesen zu sein? Er war doch die meiste Zeit im Krieg, kämpfte er um die Kaisers Krone als bei der zu sein. Seine unzähligen Geliebten hatten ihn beschäftigt während du nicht einmal einen Brief erhieltest. Das ist keine Liebe“ Mein Wangen färbten sich rot, er wusste es auch, und stampfte mit dem Fuß auf, „Du weißt doch nicht wovon du redest!“ Er lachte leise. Langsam kam er auf mich zu und strich mir sanft über meine Wange, „Mein kleiner Engel. Du brauchst doch Liebe“ Ich konnte nicht anders, aber ich musste über diese verzerrte Komik lachen, das konnte er doch nicht ernst meinen! Meine Fähigkeit zu lieben war mir gewaltsam ausgebrannt worden. Hohn lag in meinen Worten, „Vor langer Zeit konnte ich lieben, habe ich geliebt. Aber du hast nur meine Seele, meinen Körper benutzt und verbraucht. Mir blieb nichts anderes übrig. Ich habe Raphael geheiratet und du hast kein Recht das anzuzweifeln. Er war die einzige Möglichkeit, die ich hatte. Ungläubig sah er mich an, „ Wir hatten etwas wunderbares. Ich weiß ich hatte mich seltsam und unrecht verhalten. Ich war nicht ich selbst. Aber seit du fort warst hatte sich das alles verändert! Es tut mir wirklich leid. Aber du darfst nicht so etwas Schönes in den Schmutz ziehen!“ Mein Kopf ruckte hoch und blickte in das einst so vertraute Gesicht. In mir brodelte die Wut, mörderische Wut, der vergangenen Verletzungen die er mir zugefügt hatte. Meine Hände ballten sich zu Fäusten und versuchte mühsam das Zittern meines Körpers zu unterdrücken. Es spielte keine Rolle, dass er sich bei mir entschuldigt hatte. Das hatte er wahrscheinlich sowieso nicht ernst gemeint. Ulrich schien wohl meine Verfassung zu bemerken und kam auf mich zu. Abwehrend hob ich meine Hände. Dennoch schloss er mich zärtlich in seine Arme, „Du erinnerst dich an unsere Nächte am See, habe ich Recht? Ich weiß, du erinnerst dich daran.“ Mein Herz klopfte verräterisch wild in meiner Brust und hätte mich am liebsten selbst geohrfeigt. Einen Augenblick lang verharrte ich in seinen Armen, genoss seine Wärme, seinen Körper, der an mich gedrückt war. Doch ich erwachte aus meiner dummen Trance und Fäuste prallten auf seine Brust, „Du hat kein Recht hier aufzutauchen und die Vergangenheit mitzubringen. Verstehst du? Du bist Vergangenheit“ Ich spürte etwas Nasses an meinen Wangen und erkannte, dass ich weinte. Ich wollte nicht weinen, wollte nicht, dass er sah wie schwach ich immer noch war. Ulrichs Mundwinkel verzogen sich schmerzlich. Bekümmert sah er mich an und wischte meine Tränen weg, „Rachel…“ Bei seiner Berührung wich ich zurück, „Ich. Bin. Nicht. Rachel! Ich will dich nicht sehen! Du hast mich verraten, auf schändlichste Weise hast du mich verraten! Ich habe dir mein Herz geschenkt, meine Seele, meinen Körper und du betrügst mich. Du tauscht hier auf und willst mich an die schlimmste Farce in meinem Leben erinnern?!“ Erschöpft schloss ich die Augen, „Ich war nur deine Magd gewesen, doch hatte ich, so naiv wie ich war, geglaubt du würdest mich wirklich lieben. Du hast mich eines Besseren belehrt. Nie hattest du mich geliebt.“ Meine Stimme versagte, ich wollte nur noch weg, „Bitte geh! Such dir eine neue Geliebte und trauere keiner Illusion hinterher. Du machst meinen Frieden zunichte. Bitte vergiss mich!“ Ich wollte nur noch verschwinden, leer und ausgesaugt von diesem verführerischen Vampir. Eigensinnig schüttelte Ulrich den Kopf, seine Stimme war nur noch ein Flüstern, „Aber du bist nicht glücklich“ Müde seufzte ich, „Das spielt doch keine Rolle. Es geht dich nichts an“ Er zuckte zusammen. Das hatte ihn wohl ziemlich hart getroffen. Doch ich achtete nicht darauf und kehrte ihm den Rücken zu. Ohne es zu bemerken, ging ich zu Leonard. Liebevoll betrachtete ich meinen schlafenden Jungen. Friedlich schlummerte er und bekam nichts von den ganzen Problemen um ihn herum mit. Vorsichtig legte ich mich neben ihn, um ihn nicht aufzuwecken. Ich konnte jetzt nicht in mein leeres und dunkles Schlafzimmer gehen. Wie konnte das alles nur geschehen? Mein Herz blutete und ich hatte keine Ahnung wie ich es dieses Mal heilen sollte. Meine Augen brannten, doch konnte ich nicht in Gegenwart Leonards weinen. Behutsam schmiegte ich mich an seinen kleinen Körper. Tiefe Verzweiflung packte mich. Ich presste mein Gesicht gegen das Kissen. Lautlose Tränen nässten es. Ein einziger Gedanke heiterte mich ein wenig auf: Morgen würde alles anders sein. Ich konnte dann wieder in Ruhe mit Leonard leben. Es dauerte noch eine Zeit lang, bis ich dann völlig erschöpft endlich einschlief.

„Mama, Mama!“, ertönte eine Stimme, die mich schließlich weckte. Mit geschlossenen Augen lächelte ich. Ich liebte es, wenn mich Leonard weckte. „Wach auf, wach auf!“ Widerwillig öffnete ich meine Augen. Geradewegs sah ich in diese wunderschönen Augen und mit einem Mal kam alles zurück. Derjenige mit denselben Augen war am gestrigen Abend erschienen und hatte mich völlig durcheinander gebracht. Ich musste mich aufsetzen. Mein Herz setzte einen Moment lang aus, doch ich beruhigte mich schnell wieder. Leonard sah mich immer noch abwartend an. Himmel! Das war mein Sohn! Schläfrig stand ich auf und versuchte mein Kleid hoffnungslos ein wenig in Form zu bekommen, doch war nicht dazu geeignet, damit zu schlafen. „Mama, können wir in den Garten gehen? Ich will schwimmen!“ Lächelnd nickte ich stumm. Leonard jubelte auf und war schon verschwunden. Mit Grauen sah ich mein Kleid an. Es war hoffnungslos zerknittert. Zügig zog ich mir ein anderes Kleid an und folgte Leonard. Ich setzte mich an den Rand des Teiches, in dem Leonard schon bereits planschte. „Mama, komm doch auch rein! Das macht Spaß!“ Ich musste lachen. Vorsichtig tauchte ich meinen Fuß ins Wasser. Es war angenehm warm. Zaghaft glitt ich ins Wasser. „Mama!“, sofort hängte Leonard sich mit seinem Armen an meinen Hals, sodass ich Mühe hatte nicht unterzutauchen. Lachend kitzelte ich ihn an seiner empfindlichsten Stelle, woraufhin er sich von mir wegstieß und weg schwamm. Hatte ich früher Angst vor Wasser gehabt, war mein Sohn ganz anders. Er tollte im Wasser herum, tauschte und sprang immer wieder ohne Angst ins Wasser, als gehörte er zu den magischen Wassermenschen. Anders wie ich. Ich blich vorsichtig am Rand des Teiches. Zwar hatte Leopold mir das Schwimmen beigebracht, würde mir das Wasser immer nicht ganz geheuer bleiben. Einen Augenblick lang schloss ich meine Augen, ließ mich treiben und hörte dem glücklichen Lachen des Kindes zu. In diesem wunderbaren Moment ertönte plötzlich ein Geräusch. Ich blickte auf und sah den lächelnden Julian. „Na Schwesterherz, genießt du die Sonne?“ Lächelnd nickte ich. Er setzte sich zu mir an den Rand des Teiches, ließ seine Füße im Wasser taumeln und betrachtete Leonard. „Er wird seinem Vater jeden Tag ähnlicher“, sagte er leise und sein Blick war ernst. Ich warf ihm einen bitterbösen Blich zu, meine Lippen waren zu einem dünnen Strich verzogen, während ich beharrlich schwieg. Er schien meinen Stimmungswechsel zu bemerken, denn er sah mich entschuldigend an und zuckte dann mit den Schultern. Erneut schloss ich meine Augen und versuchte meine Ruhe wiederzufinden. Doch zu verstörend war einfach die Erinnerung an die gestrige Nacht. „Glaubst du, ich weiß das nicht? Ich sehe Leonard und sehe ihn…“, meine Stimme brach. Beruhigend strich er mir über seine Haare, er schien nicht zu wissen, was er sagen sollte. Er wusste ebenso gut wie ich, wie verzwickt die Lage war. Ich wollte Ulrich vergessen und doch sehe ich das Ergebnis meiner Liebe und seinem Verrat immer vor mir. Julian seufzte, „Ich habe gestern Ulrich auf dem Ball gesehen. Wie geht es dir?“ Freudlos sah ich in die Ferne, „Es war wie ein Blick in die Vergangenheit. Ich möchte nicht, dass das noch einmal passiert“ Tröstend drückte er kurz meine Schulter. Ich erwartete schon, dass er nun loslassen würde, stattdessen packte er auch meine andere Schulter und drückte mich ohne Vorwarnung ins Wasser. Prustend tauchte ich wieder auf. Leonard lachte und verschluckte sich beinahe. Entrüstet sah ich ihn an, „Julian! Das war nicht lustig!“ Doch dieser lachte nur, „Ich muss zu Mutter, sie wollte noch etwas von mir“, japste er und richtete sich auf. Doch mitten in seiner Bewegung erstarrte er . Ich blickte auf und sah mich um, um den Grund seiner Erstarrung zu erkennen und sah ich ihn. Völlig Bewegungslos lehnte er an einem Baum und betrachtete mich mit einem derart finsteren Blick, dass ich fröstelte. In seiner Hand war ein Beutelchen, dass mich an diese merkwürdigen Kräuter erinnerte, er noch zu sich genommen hatte, als wir noch glücklich miteinander waren. „Ich werde mich um ihn kümmern“, erwiderte Julian und sein Blick war nicht weniger wütend, als Ulrichs, obwohl dieser sein Freund war. Jedoch wollte Julian nicht, dass ich, seine endlich wiedergefundene Schwester, litt. Er kannte mich so wenig, hatte soviel von meinem Leben verpasst, dass er es jetzt nicht ertragen konnte, mich unglücklich zu sehen. Aber ich hielt ihn zurück, „Es ist schon in Ordnung. Ich mache das“ Kläglich scheiterte ich, ein Lächeln hinzubekommen. Julian sah mich zweifelnd an, doch ich nickte ihm eindringlich an, „Pass du lieber auf Leonard auf. Ich will nicht, dass er ihn sieht.“ Da fiel mir etwas ein, „Bring ihn zu Mutter. Du wolltest doch ohne hin zu ihr“ Unschlüssig blieb Julian noch einen Moment lang stehen, „Ich lasse dich aber jetzt nicht allein“ Ich musste lächeln, „Keine Angst, ich kann schon auf mich allein aufpassen. Ich muss das jetzt tun“ Geschlagen seufzte er, „Also gut.“ Er warf noch einen letzten zornigen Blick auf Ulrich und verschwand dann mit einem stark protestierenden Kind. Währenddessen kämpfte ich mit mir. Wenngleich ich gesagt hatte, ich würde es tun, wünschte ich mir, ich wäre nicht so unbedacht gewesen. Die alte Wunde drohte wieder aufzureißen und das durfte auf gar keinen Fall geschehen! Meine Füße fühlten sich wie Blei an, als mich jeder Schritt Ulrich näher brachte. Alles in mir widerstrebte es, dem Mann auch nur in die Nähe zu kommen. Verächtlich verschränkte ich meine Arme vor meiner Brust und sah ihn kalt an. Ich war froh, dass ich mich heute Morgen dazu entschlossen hatte, ein blaues Unterkleid zu tragen. Dennoch fühlte ich mich beinahe nackt.

Ulrich richtete sich langsam auf und betrachtete mich. Sein Blick wanderte meinen Körper entlang, „Hübsch wie immer.“ Ich spürte die Gänsehaut an meinen Armen. „Was willst du hier? Hatte ich dir nicht deutlich gesagt, dass ich dich nie wieder sehen will?“, blaffte ich zurück. Mein Herz klopfte wild und war mir nicht sicher, ob es vor Wut oder etwas anderem so wild schlug. Das machte mich noch wütender. Ich sollte mich gefälligst zusammenreißen! Ulrich schien sich wohl nicht aus der Ruhe bringen zu lassen, denn er hob lediglich gelassen eine Braue, „Ist das deine Art, so deine Gäste zu behandeln? Du musst wohl noch sehr viel lernen“ Ich machte mir nicht einmal die Mühe, ihm zu antworten. Er grinste kurz, „Wie schaffst du es nur…ich kenne dich und ich weiß, dass du deine Natur verrätst. Du würdest nie ohne Liebe heiraten…“, ich lachte kurz auf. Stimmt, wenn mich die Umstände nicht dazu gezwungen hätten- Dieser Umstand saß nun bei Helene und ließ sich Geschichten erzählen. Er sprach weiter, ohne auf meine Unterbrechung zu achten, „Du hast Raphael nie geliebt und hast auch noch einen Beweis für deinen Verrat!“ Ich erstarrte. Verzweifelt versuchte ich mich zu beruhigen, „Ha! Das ich nicht lache! Ich hatte doch auch einen guten Lehrer. Vielleicht scheinst du bequemerweise zu vergessen, dass du mir das angetan hast!“ Um mich zu beruhigen atmete ich tief durch, „Du bist Vergangenheit und du wirst mir meine Zukunft nicht kaputt machen. Es geht dich nichts mehr an und ich sage es dir nur noch einmal, verschwinde!“ Erst als die Vögel aufgeschreckt aus den Bäumen flohen, bemerkte ich dass ich schon gebrüllt hatte. Ich atmete heftig ein und aus und vermutlich war mein Gesicht puderrot. Ehe ich überhaupt reagieren konnte, presste er mich an den Baum. „Du liebst mich immer noch. Das weiß ich.“ Seine samtene Stimme liebkoste mich und verursachte mir ein Kribbeln in der Magengegend. Seine Augen versuchten mich zu durchdringen, als wollten sie mir die Wahrheit entlocken. Ich war ihm machtlos ausgeliefert, alles in mir schrie. Ich wollte schon wegrennen, ganz schnell, ganz weit und doch konnte ich mich um keinen Zentimeter rühren. Meine Haut kribbelte. Ich schüttelte den Kopf, kein Ton entwich meiner Kehle, wollte ich mich doch nicht verraten. „Raphael ist ein um längen besserer Ehemann, als du es je sein könntest“ Hoffnungslos versuchte ich meine Fassung zu wahren. Verzweifelt versuchte ich ihn mit Worten wegzustoßen, wo meine Hände versagten. Ulrich lachte leise und mir lief einen Schauer meinen Rücken entlang. „Ein Mann, der lieber auf der Schlacht war, als bei Frau und Kind.“ Seine Lippen kamen meinem Gesicht gefährlich nahe. Waren seine Lippen immer noch so zart und weich, wie vor unzähligen Jahren? Wie gebannt starrte ich seine Lippen an. Die meinen kribbelten schon vor freudiger Erfahrung. Mein Verstand sagte nein aber mein Körper…er war ein Verräter. Furcht erfüllte mich du doch, war da ein anderes, das meinen Magen zusammenzog. Meine Gedanken wirbelten, ließen sich zu keinem klaren Gedanken fassen. So viele Jahre waren vergangen und er war immer noch so unwiderstehlich gutaussehend. Zart strichen seine Lippen wie ein Hauch über die meine. Sanft glitten sie über meine Wange, meinen Hals. „Oh Rachel…“, flüsterte er. Mit einem Mal erwachte ich aus meiner Starre. Blinzelnd sah ich ihn an. Er hatte mein Leben zerstört, mich verraten und geschlagen und was tat ich? Ich ließ zu, dass er mich wieder verletzen konnte. Er hat mir Leonard geschenkt. Sofort verdrängte ich den Gedanken wieder.

Mit blitzenden Augen blickte ich ihn an, „Lass. Mich. Los. Sofort!“ Meine Zähne knirschten vor Wut. Seine Mundwinkel zuckten, doch er rührte sich aber nicht. Mein Geduldsfaden riss. Meine Hand brannte, als ich sie wieder sinken ließ. Geschockt sah ich Ulrich an, der mich nur überrascht ansah. Seine Wange verfärbte sich rot. Stumm starrten wir uns an. Ich wagte es nicht etwas zu sagen, so sehr hatte mich meine Tat verblüfft. Doch schließlich wandte ich mich ab. Ulrich lachte auf, „Ach Rachel, du bist eine richtige Wildkatze geworden!“, und hielt mich am Arm fest. Empört sah ich ihn an, „Ulrich! Lass mich los!“ Lachend schüttelte er den Kopf. Mein Retter erschien in Form von Julian. Er sah Ulrich und mich mit zusammengekniffenen Augen an, „Charlotte, könntest du mal bitte?“ Ulrich wich mit erhobenen Händen zurück. Schnell schlüpfte ich an ihm vorbei und ging mit Julian weg. Es herrschte ein düsteres Schweigen. Vorsichtig blickte ich ihn aus den Augenwinkeln an. Schließlich wagte ich zu sprechen: „Wo ist Leonard?“ Julian zuckte mit den Schultern, „Bei Mutter.“ Seufzend liefen wir schweigend beieinander. Plötzlich blieb Julian stehen und sah mich missbilligend an, schwieg jedoch. Ein wenig unwohl fühlte ich mich unter seinen Blick und senkte meinen Blick, „Es war nicht meine Schuld. Er…hat mich überrumpelt“ Seufzend schloss er einen Augenblick lang seine Augen, „Charlotte…“ Ich wehrte ab, „Nein. Keine Sorge. Es ist vorbei. Ich war mir nur nicht vorbereitet, das ist alles. Er bedeutet mir nichts mehr.“ Schnappend nach Luft schwieg ich. Soviel hatte ich noch nie geredet. „In Ordnung.“ Julian sah mich immer noch zweifelnd an, „Mir ist nicht wohl dabei“ Ich nickte, „Ich weiß.“ Ich biss mir auf die Lippe, „Ich will, dass er geht!“ Julian nickte, „Ich kümmere mich darum“ Überrascht sah ich ihn an. Bevor ich noch etwas sagen konnte, war er schon weg. Ich sah ihm nach, wie er mit Ulrich sprach. Dessen Miene blieb undurchdringlich. Er schien ruhig und gelassen zu sein wie eh und je. Aus der Entfernung sah ich nur, wie Ulrich nickte und verschwand. Julian kam wieder zu mir, Er wirkte ein wenig beunruhigt und geistesabwesend. „Er reist nun ab. Aber…“, er brach ab und schritt unruhig auf und ab. Verwundert sah ich ihn an, „Was ist denn?“ Julian atmete tief durch, „Ich soll dir noch etwas von Ulrich sagen…“ Fragend hob ich eine Braue. Verlegen begann er zu sprechen: „Ich weiß, wir gehören zusammen. Vergiss mich nicht.“

 

„Au!“, entfuhr es Helene. Ich blickte von meiner Stickarbeit auf und sah, dass sich Helene in den Finger gestochen hatte. Sie lächelte leicht, „Ich bin aber heute ungeschickt!“ Lächelnd stimmte ich ihr zu, „Mir geht es genauso“ Es sollte scherzhaft klingen, doch selbst ich hatte meine ständige Zerstreutheit bemerkt. Helene sah mich an und ein stetig besorgter Blick traf mich. „Charlotte…Ich weiß, Ulrichs Auftauchen hat dich ziemlich durcheinander gebracht, aber…“ Ich wusste was nun kommen würde, „Mutter, lass es sein. Wir hatten schon darüber geredet. Ich werde es nicht tun!“ Helene biss sich zweifelnd auf die Lippe und für einen Moment schien es, als wolle sie noch etwas sagen, doch sie schwieg. Entnervt legte ich mein Stickzeug weg und schloss einen Augenblick lang meine Augen. Ein Monat war schon seit dem Ball vergangen. Ein Monat. So viel Zeit war vergangen und doch fühlte ich mich noch so angespannt wie am Tag des Balls. Nach einigen Tagen des wirklich ereignisreichen Festes erreichte uns ein Bote mit einem Brief. Er trug die unverkennbare Schrift Ulrichs. In regelmäßigen Abständen erschien ein neuer Brief, der mich erneut in Schrecken versetzte. Die Briefe lagen ungeöffnet in meinem Sekretär. So viele Wochen waren vergangen und meine Gedanken kreisten noch immer um ihn. Es machte mich langsam verrückt! Es wäre die Büchse der Pandora geöffnet worden und ließ sich nun nicht mehr schließen. Verärgert seufzte ich und Helene blickte auf. Doch sie wagte es nicht, mich noch einmal darauf anzusprechen. Zu oft hatten wir darüber gesprochen und hatte ich mich vehement dagegen gewehrt. Stattdessen war ich diejenige, die sprach: „Mich langweilt dieses ganze Sticken. Hast du noch etwas anderes was ich erledigen könnte?“ Helene schien zu überlegen, „Im Moment nicht. Cecilia muss noch Einkaufen gehen, aber sonst fällt mir nichts ein, was du noch machen müsstest. Du könntest dich doch ein wenig in Malerei üben, das wäre doch eine gute Idee.“ Unwillig verzog ich meinen Mund, „Diese Kunst werde ich wohl nie erlernen. Aber ich würde liebend gern einmal in die Stadt gehen. Ich lebe schon so lange hier und war doch nie auf dem Markt, obwohl er so nah ist.“ Leicht verwundet sah sie mich an, „In Ordnung…dann sag ich Cecilia Bescheid. Nimm doch Leonard mit, es wird ihm bestimmt Spaß machen. Aber denke daran, dass du noch eine Magd mitnimmst, es schickt sich nicht, wenn du allein auf dem Markt herumläufst.“

Leonard freute sich riesig, als wir aufbrachen. Auf dem Markt liefen überall Menschen herum und man musste aufpassen, dass man nicht angerempelt wurde. Leonard und ich hatten damit jedoch keine Probleme. Jeder kannte uns und man hütete sich, die Tochter der Grafen zu beleidigen. Jedoch hielt unsere Stellung Leonard nicht auf, durch die Menge zu rennen und er verschwand hin und wieder zwischen der Menge. Beunruhigt sah ich ihm nach. Anscheinend musste ich aufpassen, dass ich ihn nicht verlor. Sprachlos betrachtete ich die Stände. Es gab so viele fremde Dinge, die ich noch nie in meinem Leben gesehen hatte. Wunderschöne Tücher, leckere Früchte, die ich nicht kannte und vieles mehr. Dieser Markt war ganz anders, als ich ihn von früher kannte. Entzückt betrachtete ich Seide, die angeboten wurde. Ich hatte zwar nicht viel Ahnung von Seide aber ich fand sie einfach wunderbar. Ich sah mir all diese wunderbaren Dinge an und vergaß ganz auf Leonard zu achten. Alarmiert blickte ich mich um, doch Leonard konnte ich nicht entdecken. Besorgt lief ich durch die Menge, meine Kehle schnürte sich angstvoll zusammen. Wo war er? Und plötzlich tauchte er wieder auf. Erleichtert atmete ich aus. Vielleicht war ich wirklich ein wenig zu ängstlich wenn es um Leonard ging, aber schließlich hatte mich die Vergangenheit gelehrt. Ich nahm ihn am Arm und kniete mich zu ihm, sodass wir auf Augenhöhe waren, „Leonard, mach mir doch bitte nicht so viel Angst. Bleib doch bitte in meiner Nähe.“ Leonard sah mich mit großen Augen an, seine Miene wirkte schuldbewusst, „Ja Mama“ Schließlich hielt sein Versprechen ungefähr fünf Minuten. Er sah einen Stand mit Holzfiguren und wollte schon losrennen. Aber ich hielt ihn an der Schulter fest. Daraufhin quengelte er und bettelte mich an, dass er sich doch so gern die Figuren ansehen wollte und ich konnte nicht anders, aber musste lachen, „Nein, mein Lieber, du bleibst jetzt hier!“

„Euer Sohn ist ein wirklich aufgeweckter kleiner Junge“ Ich drehte mich zu der Stimme um und blickte geradewegs in ein allzu bekanntes Gesicht. Mark von Benroide stand vor mir und lächelte mich leicht an. Dann verzogen sich seine Lippen zu einem Grinsen und es folgte eine galante Verbeugung. „Es ist schön, euch hier zu treffen. „Es ist schön, euch hier zu treffen. „Es ist schön, euch hier zu treffen. „Es ist schön, euch hier zu treffen. „Es ist schön, euch hier zu treffen. „Es ist schön, euch hier zu treffen. „Es ist schön, euch hier zu treffen. „Es ist schön, euch hier zu treffen. „Es ist schön, euch hier zu treffen.“ Einen Moment lang sah ich ihn skeptisch an, erinnerte ich mich noch an Helenes Worten. Doch dann schob das schnell beiseite und nickte ihm lächelnd zu, Da bin ich ganz euere Meinung“ Mark hielt mir seinen Arm hin, „Erweist mir doch die Ehre und geht mir ein Stück“ Einen Augenblick lang zögerte ich, doch dann gab ich mir einen Ruck und stimmte seinem Vorschlag zu. Daraufhin ergriff Leonard seine Chance, machte sich los und war schon wieder verschwunden. Seufzend blickte ich ihm nach und ließ ihn machen, solange ich ihn einigermaßen im Blick hatte. Hoffentlich hatte die Magd ein besseres Auge auf ihn als ich. Mark lachte leise, „Er ist seinem Vater sehr ähnlich.“ Genervt verdrehte ich meine Augen, „Das ist wahr! Sehr zu meinem Missfallen!“ Mark nahm meine Hand und führte mich ein wenig abseits vom Markt. „Meine Liebe, ihr seid eine hervorragende Mutter. Er wird schon nicht verloren gehen“ Ich lachte, „Nein natürlich nicht. Es wäre nur schön, wenn ich mich nicht immer so sorgen müsste, weil er immer verschwindet. Das wäre eine immense Erleichterung“ Mark neigte seinen Kopf und blickte mich mit seinen unglaublich grünen Augen an, „Seid unbesorgt, Jungs müssen sich einfach mal austoben können. Männer übrigens auch!“ Lachend stimmte ich ihm zu, „Das ist wohl wahr“ Es war schon bizarr, dass ich darüber lachen konnte und mir trotzdem ständig Sorgen machte. „Was tut Ihr hier in der Stadt“, „Ich erledige Besorgungen“, antworte ich ihm. Er hob fragen eine Braue, „Tut das nicht üblicherweise eure Haushälterin?“ Nickend betrachtete ich sie Stände, „Schon. Aber ich wollte unbedingt in die Stadt. Ich muss zugeben, dass seit mich meine Familie wiedergefunden hat, noch nicht auf dem Markt gewesen war und es hat mich einfach interessiert. Überrascht sah er mich an, „Noch nicht?“ Schweigend schüttelte ich den Kopf. Nachdenklich blickte er mich an, „Erlaubt mir die Frage, aber habt Ihr schon in Erfahrung gebracht, wer euch entführt hat? Ich war da noch ein kleiner Junge gewesen aber meine Eltern haben mir davon berichtet und wir waren sehr betroffen gewesen.“ Niedergeschlagen schüttelte ich den Kopf, „Nein. Der Entführer wurde nicht gefunden. Aber das ist jetzt auch nicht mehr wichtig. Ehrlich gesagt bin ich nur froh, dass ich wieder bei meiner Familie bin“ Mark hob eine Braue, „Habt Ihr denn keine Angst?“ Verwirrt sah ich ihn an, „Wie meint Ihr das?“ Unbehaglich hob die Schultern, „Ich meine, er könnte doch wieder auftauchen. Es könnte doch sein, dass er eurem Sohn das gleiche antun wird“ Mein Herz setzte einen Moment lang aus. Instinktiv sah ich zu Leonard und sah ihn sorglos die Holzfiguren betrachten. Daran hatte ich noch gar nicht gedacht. Ich hatte schon einmal Leonard beinahe verloren, ich konnte es nicht noch einmal ertragen. Das würde ich nicht überleben. Panik machte sich in mir breit und ängstlich sah ich Mark an und versuchte mich hoffnungslos zu beruhigen, „Das ist doch Unsinn! Das kann nicht sein. Ich meine ich lebe schon so lange hier, er hätte doch schon längst zugeschlagen“ Unwissend zuckte er mit den Schultern, „Ich weiß es nicht.“ Ich war so durcheinander, dass ich nicht das Glitzern in Marks Augen bemerkte. Er blickte kurz zum Markt hinüber und sagte dann: „Ich muss nun auch gehen. Es sind noch wichtige Angelegenheiten zu erledigen.“ Geistesabwesend nickte ich ihm zu. Ich war viel zu beschäftigt mit meinen Ängsten, als dass ich sein spöttisches Lächeln hätte erkennen können. Er nahm meine Hand und hauchte einen Kuss auf meinen Handrücken, „Es war mir wie immer ein Vergnügen, euch heute zu sehen“ Dann ging er ließ mich noch verwirrter und schreckhafter als je zuvor zurück. Dennoch fragte ich mich, ob Helene nicht vielleicht zu feindselig gegenüber Mark ist. Schließlich waren seine Eltern, diejenigen, die gegen sie intrigierten und nicht er. Er konnte immerhin nichts für seine Eltern.

Schnell nahm ich Leonard an die Hand und wollte nur noch zügig nach Hause. Ich merkte selber, dass ich mich ein wenig paranoid verhielt, aber ich konnte nichts dagegen unternehmen. Leonard sträubte sich vehement gegen mich. Er verstand nicht, warum wir jetzt auf einmal so schnell aufbrachen. Er konnte sich nicht erklären, was passiert war und er wollte ja noch bleiben, um sich alles anzusehen, „Mama! Ich will noch nicht gehen!“ Ich wollte ihm widersprechen, als mir ein Stand ins Auge fiel. Dieser hatte alle möglichen Arten von Kräutern. Doch mehr als die Kräuter, faszinierte mich die Frau. Diese stand mit dem Rücken mir zugewandt vor mir. Sie hatte ihre Haare zu einem strengen Zopf zusammengebunden und hantierte mit etwas. Mit einem Mal drehte sich die Frau um. Ich sah sie mir genauer an und riss überrascht meine Augen auf. Das konnte doch nicht sein! Was machte sie denn hier? Unschlüssig stand ich vor dem Stand, an einer Hand den quengelnden Leonard und überlegte mir, was ich tun sollte. Es konnte ja sein, dass ich mich irrte. Das wäre dann schon sehr beschämend. Und während ich so dastand und mir immer noch überlegte, ob sie es wirklich war, drehte sie sich um. Ihr Blick begegnete dem meinem, völlig fassungslos riss sie ihre Augen auf. Sie hielt ihre Hand schützend vor ihrer Kehle, als ihr ein erschrecktes Keuchen entwich. Zögern kam ich auf sie zu. „Magdalena?“ Ihr Blick glitt zu meinem Kleid, das zwar schlicht aber dennoch von Qualität zeugte. Schließlich blieb ihr Blick auf Leonard hängen, den ich immer noch an meiner Hand hielt und mürrisch drein blickte. Ihre Augen wurden noch größer, falls das überhaupt möglich war. Dann aber sah sie mich an und eine schmerzliche Erleichterung erhellte ihr Gesicht. „Rachel, bist du es wirklich?“ Lächelnd nickte ich, „Eigentlich heiße ich Charlotte“ Überrascht sah sie mich an, dann lächelte sie. Begeistert winkte sie mich zu sich, „Du musst mir unbedingt erzählen, was nach deiner Flucht passiert ist!“ Sie zog mich hinter den Stand zu zwei kleinen Schemeln. Ich lächelte leicht, „Ich habe meine Familie gefunden. Du erinnerst dich doch noch an Helene von Aquin, die Tante von Raphael von Leinigen?“ Magdalena nickte und hielt dann inne. Verblüfft öffnete sie den Mund, „Du meinst…du bist die Tochter der Aquins?“ Nicknd betrachtete ich meinen Sohn, „Ich habe dann Raphael geheiratet“ Fassungslos sah sie mich an, ihr Blick glitt immer wieder zu Leonard und runzelte immer wieder die Stirn, „Das sind aber Neuigkeiten“ Scheinbar gleichgültig zuckte ich mit den Schultern, „Er ist vor drei Jahren gestorben“ Verwundert hob sie eine Braue, „Du scheinst nicht gerade unglücklich darüber zu sein“ Ich spürte wie mein Lächeln verschwand. „Er hat ein paar Dinge getan, die unentschuldbar sind. Er gab mir gute Gründe, ihn nicht zu vermissen“ Ihr Blick bohrte sich in die meinen, als wolle sie herausfinden, was ich mit meiner rätselhaften Äußerung meine. So wie früher. Es war schön, sich für einen Augenblick lang wieder in die gute alte Zeit zurückzufühlen. Anscheinend begann sich Leonard zu langweilig, denn er scharte schon ungeduldig mit seinen Füßen. Zärtlich strich ich ihm über seine Wange, „Das ist mein Sohn, Leonard“ Liebevoll gab ich ihm einen Klaps und schickte ihn hinaus zum Spielen. Die Magd würde auf ihn aufpassen. „Und der Grund, warum ich Raphael geheiratet habe“ Ungläubig schüttelte Magdalena den Kopf, „Er sieht genauso aus wie Ulrich“ Mein Lächeln verrutschte zu einer Grimasse, „Das ist sein Fluch“ Kummervoll sah sie mich an, „Ich kann mir gar nicht vorstellen, was du alles durchmachen musstest“ Scheinbar unbekümmert zuckte ich mit den Schultern, „Er ist Vergangenheit. Ich bin jetzt glücklich“ Magdalena legte ihren Kopf schief, „Du siehst aber nicht glücklich aus“ Ulrich hatte das auch schon gesagt! Was ließ die beiden Menschen nur annehmen, sie wäre nicht glücklich?! Ich lachte hart auf, „Wenn die Vergangenheit einen einholt, ist das wirklich nicht erfreulich!“ Fragend hob die ehemalige Haushälterin eine Braue. Grimmig lächelte ich, „Vor ein paar Wochen hatte meine Mutter einen Ball veranstaltet. Ulrich war auch dort“ Um mich zu beruhigen, atmete ich erst einmal tief ein, „ich hatte solche Angst und war völlig geschockt, als ich ihn dort auf einmal sah“, langsam beruhigte ich mich wieder, „aber nun ist er wieder weg und ich werde ihn nie wieder sehen und wird niemals von Leonard erfahren“ Nachdenklich sah Magdalena mich an, „ Ich muss dir etwas erzählen, denn ich finde, du solltest das wissen, wenn du dich bezüglich Ulrich so entschieden hast“ Verwundert sah ich sie an, „Was meinst du?“ Sie setzte zum Sprechen an, jedoch kam in diesem Moment ein Kunde. Sie sprang auf und half dem Kunden die richtigen Kräuter zu finden. Als sie sich wieder hinsetzte, kam mir etwas in den Sinn, „Wie kommt es, dass du hier Kräuter verkaufst und nicht die Haushälterin der Sayns bist?“ Unbehaglich rutschte sie auf dem Schemel hin und her. Neugierig sah ich sie an. Es musste ja schon etwas Erschreckendes sein, wenn Magdalena sich zierte, zu sprechen. Seufzend schloss sie für einen Moment ihre Augen, „Als du fort gingst…war Ulrich außer sich. Er litt und war brutaler denn je. Ich hatte miterlebt, wie er an deinem Verschwinden zerbrach“ Verärgert schnalzte ich mit der Zunge, sagte jedoch nichts. Warum sagen sie mir das nur alle? Habe ich denn nicht auch gelitten? Musste ich denn nicht auch Opfer bringen?

Magdalena ließ sich nicht beirren und sprach weiter, „Als er erfuhr, was Grethe getan hatte…“, ich erinnerte mich nur ungern an sie und schob diese Gedanken an sie schnell weg, „hatte er auch aus irgendeinem Grund von deiner Flucht erfahren. Zuerst war er einfach nur glücklich, dass du nicht tot warst, dann erkannte er fassungslos, dass du vor ihm geflohen warst. Ab diesem Zeitpunkt war er einfach nur unberechenbar. Er reimte sich zusammen, dass ich dir geholfen haben muss…und ich fürchtete mich. Ich hatte gesehen, was mit Grethe passiert war und bin dann fortgegangen. Ich habe mit meinem Ersparten diesen Stand gekauft und bin immer weitergezogen, bis ich hier gelandet bin“ Voller Bitterkeit lachte ich auf, „Mir hat er gesagt, dass er sich verändert hätte! Doch das hatte er nicht. “ Magdalena sah mich einen Moment lang verwundert an, hatte ich sie völlig aus dem Zusammenhang gerissen, doch dann sagte sie nach einigen Zögern, „Du irrst dich. Herrin Katharina hatte mich damals um ein paar Kräuter gebeten…als ich die verschiedenen Kräuter sah, konnte ich mir keinen Reim darauf machen aber irgendwann verstand ich es! Wenn man die Kräuter zusammen einnimmt, verändern sie die Persönlichkeit eines Menschen. Sie unterdrücken das Gewissen und die Gefühle. Anstelle erscheint Wut. Grenzenlose Wut. Deshalb hatte er sich so verhalten. Es war nicht seine Schuld. Die Kräuter waren es“ Fassungslos sah ich sie an. Das konnte doch nicht sein! Hatte Katharina wirklich das gemeinsame Leben von Ulrich und mir zerstört? Völlig außerstande einen klaren Gedanken zu fassen, schüttelte ich den Kopf, „Das ist doch nicht möglich!“ Doch Magdalena nickte bejahend, „Ich war mir nie sicher gewesen, erst als du schon fort warst, hatte ich Gewissheit“ Schwach erinnerte ich mich an ein Säckchen voller Kräuter, die laut Ulrich von seiner Mutter waren. Ich hatte das Gefühl keine Luft mehr zu bekommen. Es war fast so schlimm wie damals, als meine Rippen gebrochen waren. Besorgt sah mich Magdalena an, „Alles in Ordnung?“ Ich schüttelte den Kopf, „Nein…ja…ich weiß nicht…“ Ich wollte nur noch weg, darüber nachdenken. Beruhigend strich Magdalena mir eine Strähne aus dem Gesicht, „Ich weiß, du musst erst einmal begreifen, was das bedeutet. Aber nun, da du weißt, dass Ulrich niemals so etwas getan hätte, hätte er nicht unter den Kräuter gestanden, könntest du es doch vielleicht in Erwägung ziehen, dass es nicht so schlimm wäre, wenn Ulrich Leonard kennenlernen würde, oder liege ich falsch?“ Erschreckt ruckte mein Kopf hoch, „Ulrich darf niemals etwas von Leonard erfahren! Es spielt keine Rolle, ob ich mich in ihn getäuscht habe, aber es gibt keine Hoffnung mehr für uns. Wenn er von Leonard erfahren würde, dann würde er sich in mein Leben drängen. Es ist vorbei. Ich liebe ihn nicht länger. Zuviel musste ich schon seinetwegen durchmachen, beabsichtigt oder nicht.“ Seufzend wandte sich Magdalena ab, „Da bin ich mir nicht so sicher“ Ich ignorierte ihre Bemerkung und schüttelte den Kopf, „Es geht nicht!“ Sie wollte noch etwas erwidern, doch dann kam Leonard hereingestürmt. „Mama ich will das Holzpferd!“ Lachend schüttelte ich den Kopf, „Du möchtest ein Holzpferd haben und du doch bereits schon etliche. Du brauchst kein weiteres“ Leonard zog einem Schmollmund und stampfte wütend mit dem Fuß auf, „Ich will aber!“ Mahnend sah ich ihn an, „Leonard benimm dich!“ Grummelnd kehrte Leonard uns den Rücken zu und betrachtete die verschiedenen Kräuterarten. Viele davon kannte er, doch es gab auch welche, die er nicht zuordnen konnte. Liebevoll zog ich Leonard zu mir und auf meinen Schoß. Ich bemerkte Magdalenas amüsierten Blick und erwiderte trocken, „Es ist erschreckend, wie sehr er seinem Vater ähnelt“ Magdalena nickte lächelnd, „Ich kann mich noch gut an seine Tobsuchtsanfälle erinnern, als er im gleichen Alter wie Leonard war“ Quengelnd zupfte Leonard an meinem Ärmel, „Mama ich bin müdee!“ Lächelnd strich ihm eine Strähne aus dem Gesicht, dass er nur widerwillig mit sich geschehen ließ. Er war langsam in dem Alter, wo offene Liebesbezeugungen ihn widerstrebten. „Ist ja schon gut. Wir gehen ja gleich“ Dann sah ich zu Magdalena, „Es war schön, dich wiederzusehen. Ich hatte gedacht, ich würde dich nie wieder sehen.“ Liebevoll sah sie mich an, „Fand ich auch“ Magdalena war immer wie eine Mutter für mich gewesen, als ich keine hatte und ich von meiner vermeintlichen Pflegemutter Sinaida so schlecht behandelt worden war und der Gedanke, sie nie wieder zu sehen, hatte geschmerzt.

Da fiel mir was ein, „ Wenn du möchtest, kannst du bei uns leben, meine Eltern bräuchten bestimmt noch eine Kräuterfrau“ Sie aber schüttelte den Kopf, „Ich bin mit meinem Leben zufrieden, so wie es ist“ Ich musste lachen, „Meine Eltern würden dich bestimmt gern kennenlernen! Aber du kannst uns besuchen kommen, solange du noch da bist“ Magdalena nickte lächeln. Als ich gerade aufbrechen wollte, hielt sie mich noch zurück, „Da ist noch etwas, dass ich vergaß. Wenn du Ulrich wieder triffst, dann sei bitte vorsichtig. Die Kräuter machen süchtig und ich weiß nicht, ob Ulrich die Kräuter immer noch nimmt oder nicht“ Da brauchte ich mir keine Gedanken zu machen. Ich beabsichtigte nicht, Ulrich jemals wieder zu sehen.

Schließlich nahm ich Leonard an die Hand und winkte ihr noch einmal zu, bevor Leonard und ich gingen.

Völlig erschöpft brachte ich Leonard in sein Zimmer und setzte mich anschließend zu Helene, die immer noch in der Kemenate saß und stickte. Lächelnd hielt sie inne, „Du warst aber ganz schön lange weg. Hattet ihr Spaß?“ Lächelnd nickte ich, „Ja sehr. Ich habe jemanden wiedergesehen, die ich noch von früher kannte“ Fragend hob Helene eine Braue, „Meine Pflegemutter, die ehemalige Haushälterin der Sayns. Sie hat etwas höchst Interessantes erzählt“, „So?“ Seufzend fasste ich ihr das Gespräch zusammen. Verblüfft sah sie mich an, doch dann klatschte sie beigeistert in die Hände, „Das ist doch wunderbar!“ Zweifelnd sah ich sie an, „Ich sehe nicht, was daran wunderbar sein soll“ Mitfühlend sah sie mich an, „Ach Charlotte, dein ganzer Schmerz lässt dich nicht das Schöne erkennen. Du wurdest nicht verraten, es ist alles nur eine Verirrung zweier Herzen durch eine bösartige Handlung“ Eigensinnig schüttelte ich den Kopf, „Es gehört schon mehr dazu. Es soll einfach nicht sein. Es ist passiert und man kann nichts mehr daran ändern“ Missbilligend schnalzte Helene mit der Zunge, „Du bist so stur wie eh und je. Du kannst doch nicht für immer vor Ulrich kuschen wie ein scheues Reh. Du bist Charlotte von Aquin und du musst ihm mutig in die Augen blicken und darfst dich nicht daran hindern, dein Leben zu leben“ Niedergeschlagen schüttelte ich den Kopf, „Es geht nicht. Ich will ihn nicht mehr in mein Leben lassen. Auch wenn er keine Schuld hat, sind mir die Boshaften der anderen und auch die Gewalt noch gut in Erinnerung. Du hast mich doch gesehen. Das kann ich nicht einfach vergessen“ Bevor Helene noch etwas sagen konnte, stand ich auf, „Ich werde nicht mit dir zu den Sayns fahren. Ich will ihn nicht sehen und das ist mein letztes Wort!“ Verärgert stürmte ich hinaus. Alle schienen ihren Verstand verloren zu haben! Ulrich würde sich nicht noch einmal in mein Leben drängen! Niemals!!

Erst in meinen Gemächern hatte ich mich erst wieder beruhigt. Ich merkte wie müde ich doch war und legte mich für ein kurzes Schläfchen aufs Bett. Doch nach einigen Minuten öffnete ich geplagt meine Augen wieder. Unruhig trommelte ich mit meinen Fingern auf meinen Bein während mein Blick immer wieder den Sekretär suchte. „Verdammt!“, entfuhr es mir, während ich aufsprang und mit zitternden Fingern den ersten Brief herausholte. Vorsichtig öffnete ich das Siegel und traute mich dennoch nicht, den Brief zu lesen. Fluchend schmiss ich den Brief weg und stampfte genervt mit dem Fuß auf. Das konnte doch nicht wahr sein! Jetzt raubte er mir noch meinen Schlaf!

Plötzlich klopfte es und ich blickte auf. Helene stand an der Tür und lächelte, „Kleinen Wutausbruch?“ Scheinbar ruhig zuckte ich mit den Schultern, „Ein wenig, ja.“ Sie lachte leise, „Ach Charlotte, wie unverbesserlich du doch bist. Manchmal sehe ich dich und denke, du wirkst viel zu alt für dein Alter, aber Momente wie diese zeigen mir, dass dich auch noch als stures kleines Mädchen aufführen kannst. Es ist schön, etwas von deiner verpassten Jugend zu sehen.“ Ich lächelte schalkhaft, „Früher habe ich mich nie so aufgeführt. Ich immer ein eher ruhiges Mädchen gewesen“ Helene musste lachen, „Na dafür bist du es jetzt!“ Freudig stimmte ich ihr zu, froh dass unser kleiner Streit vergessen war und sah sie gespannt an, „Was führt dich her?“ Helene zögerte, „Also ich weiß, dass du auf gar keinen Fall zu den Sayns möchtest, aber was hältst du davon, wenn wir in eine Kur fahren? Ein paar entspannte Tage könnten dir gut tun.“ Begeistert sah ich sie an, „Das ist eine wunderbare Idee! Ich sage gleich Leonard Bescheid, er wird sich bestimmt riesig freuen“, „Ich dachte eher, nur du und ich fahren. Dir würden ein paar Tage ohne Leonard sicherlich gut tun“, stoppte Helene meinen Ausbruch. Meine Begeisterung schwand ein wenig, „Oh. In Ordnung.“

Helene verschwand dann schnell wieder, mit der Erklärung, sie müsse noch wichtige Angelegenheiten klären. Das gab mir immerhin Zeit, über alles nachzudenken.

Ich hatte wirklich das Gefühl, dass es wirklich eine gute Idee wäre, ein bisschen Abstand von allem zu bekommen. Vielleicht würden meine Gedanken nicht andauernd über die eine unsägliche Person kreisen. Ulrich. Quälend waren die Gedanken an ihn und doch konnte ich sie nicht abstellen. Ich brauchte wirklich Ruhe. Jedoch beunruhigte es mich, Leonard nicht dabei zu haben. Ich war noch nie von ihm so lange getrennt gewesen und ich würde ihn vermissen. Vor lauter kreisenden Gedanken konnte ich gar nicht schlafen. In den folgenden Tagen waren alle damit beschäftigt, die Abreise vorzubereiten. Voller freudiger Erwartung half ich mit und doch stieg mit jedem Tag meine Nervosität. Ich wollte Leonard nicht allein lassen. Ihn allein zu lassen, versetzte mich ein wenig in Panik. Grübelnd stand ich am Fenster, betrachtete die Landschaft, den wolkenlosen Himmel, das satte Grün der Felder und doch bemerkte ich nichts von der Schönheit. Die ersten warmen Sonnenstrahlen wärmten mein Gesicht, während ich versuchte nicht an meine Zeit ohne Leonard zu denken und doch freute ich mich darauf, mich endlich entspannen zu können. Schließlich wandte ich mich seugfzend ab und erblickte Theresa, die gerade den Krug mit Wasser auffülte. Sie lächelte leicht. Siet Jahren war sie eine gute Freunbdin, auch wenn uns unserer Standesunterschied trennte. Dennoch ich war lange genug eine von ihnen gewesen um mit ihr befreundet zu sein. Als ich mich den Aquins angeschlossen hatte, noch keinerlei Ahnung über meine wahre Herkunft, war sie diejenige, die mir geholfen und beigestanden hatte. Nun arbeitete sie in der Küche und wir sahen uns nicht mehr oft. Da kam mir eine Idee. Sie war völlig schwachsinnig und unsinnig, aber ich wollte es dennoch wagen. Ernst sah ich sie an, „Theresa, du musst mir ein Gefallen tun…“

Fröhlich ging ich hinunter zum Hof, bereit für die Abreise. Helene wartere schon auf mich. Sie lächelte leicht, „Bist du bereit?“ Ich nickte, verabschiedete mich schweren Herzens von Leonard und Leopold und stieg dann in die Kutsche ein. Der Weg war lang und beschwerlich und ich war froh, dass ich Theresa gebeten hatte, sich noch einmal zu erkundigen, wo wir hinfahren. Helene war bezüglich dessen sehr verschwiegen gewesen. Sie meinte es wäre eine Überraschung. Das einzige was sie mir sagte war, dass wir öfters in einer Herbege übernachten werden müssen.

Es dauerte nicht lange und tat dank der holprigen Fahrt mein Hintern weh. Während ich mir mein schmerzendes Hinterteil rieb, bemerkte ich verwirrt, wie Helene immer nervöser wurde. „Alles in Ordnung?“, fragte ich verdutzt. Sie wich meinem Blick aus, „Ja, ja. Mir geht es gut“ Ich ließ es dabei bewenden. Seufzend schloss ich meine Augen und dachte an die kommenden Wochen. Eine Fahrt mit der Kutsche war längst nicht so entspannend, wie ich es gern hätte. Ziemlich falscher Trugschluss einer ehemaligen Magd. Dennoch freute ich mich, nicht immer nur die Gemäuer der Burg zu sehen. Aber momentan machte mir die sengende Hitze in dem Holzkasten wirklich zu schaffen. Die ersten Sonnenstrahlen des Morgens ließ die Fahrt nicht gerade angenehm werden. Neugierig sah ich Mutter an, „Wo ist denn dieser Kurort denn genau?“ Geistesabwesend lachte sie auf, „Ach nicht so weit. Vielleicht ein paar Tage. Als wir noch mit den Bediensteten unterwegs fahren, hatte es wesentlich länger gedauert“ Erstaunt sah ich sie an, „Du warst mit den Bediensteten im Kurort?“ Nun wandte sie mir ihre volle Aufmerksamkeit zu und lächelte zittrig, „Nein natürlich nicht. Aber wir sind an dem Ort vorbeigekommen“ Ihre Augen huschten fahrig hin und her und weg war ihre Aufmerksamkeit. Dann aber sagte sie: „Wusstest du eigentlich“, sie lächelte, „dass Julian, als er noch ein kleiner Junge wat, war er ein genauso wilder Junge wie Leonard. Er trickste immer seine Amme aus und durchstreifte die Wälder. Es trieb uns beinahe in den Wahnsinn. Einmal kam er völlig verdreckt und mit einem voller Beeren verschmierten Mund“ Ich musste lachen, „Ja das passt zu ihm“ Eine Zeit lang erzählte sie mir noch weitere unterhaltsame Geschichten über Julian. Ich beschloss, ihn wieder darauf anzusprechen, wenn wir wieder zurück waren. Immer wieder erkannte ich ein gewissen nervösen Unterton in ihrer Stimme, dachte ich mir nichts dabei. Ich freute mich einfach zu sehr auf den Ort. Nichts sollte dies kaputt machen. Ich würde mich ein paar Wochen ausruhen und bald wäre Leonard wieder an meiner Seite. Die Höfe der Bauern, die Nächte in den Herbergen waren kurz aber gemütlich und die Zeit schwand dahin, ohne größere Ereignisse und bald berichtete mir Helene, dass es nicht mehr weit wäre. Doch je weiter wir fuhren, desto vertrauter wurde mir die Gegend. Verwirrt blickte ich Helene an, wollte sie fragen, was dies auf sich hatte, doch sie schlief. Ich ließ von der Landschaft abzulassen und machte es mir so gut es ging auf der Sitzbank gemütlich. Vielleicht würde mir ein wenig Schlaf gut tun. Ich meine, es wäre doch bestimmt besser ausgeruht in dem Kurort anzukommen.

Ein lautes Poltern riss mich abrupt aus meinem Schlaf. Zerstreut blickte ich mich um und fand mich in der Kutsche wieder. Mit noch trübem Blick sah ich aus dem Fenster und stockte. Alles war so vertraut…Der Marktplatz und die Stände und dann noch der Wald. Fast wie….Bodenloses Entsetzen erfüllte mich und ein Knoten bildete sich im Magen. Ich war einer Ohnmacht nahe. „MUTTER!“, schrie ich, konnte meine Stimme nicht mehr beherrschen. Helene schreckte auf und sah mich verständnislos an, „Was ist denn los?“ Mit Mühe schaffte ich es noch mich zu beherrschen und ihr nicht an die Gurgel zu springen. Ich spürte wie mir vor Zorn die Röte ins Gesicht stieg. Kurz sah ich hinaus, sah die wohlbekannten Felder, auf denen ich früher als kleines Kind gespielt hatte. Erinnerungen stürmten auf mich ein, die ich so erfolgreich verdrängt hatte, Wütend sah ich sie an, „Wo sind wir?“ Zwar war ich mir allzu bewusst, wo wir waren, doch ich wollte es aus ihrem Mund hören. Sie blickte kurz hinaus und mit einem Schlag kam ihre ganze Nervosität wieder zum Vorschein. In mir wallte sich so ein mächtiger Druck auf, der alles zu verschlingen drohte und sich jeden Moment Luft machen würde. „Halt! Halt den Wagen. Sofort!“ Völlig abrupt stoppte der Wagen und der Fahrer sah mich perplex an. Ich kümmerte mich nicht um ihn und stieg aus. Helene sah mich erschrocken an, „Charlotte ich-“ Zornig hob ich meine Hand und unterbrach sie, „Ich will es nicht hören!“ Mit diesen Worten sprang ich aus der Kutsche und lief völlig außer mir hinein in den Wald. Verdammt! Alles war so vertraut. Der Duft der Wälder, die Bäume und sogar das Gezwitscher der Vögel! Erfolglos versuchte ich mich zu beruhigen. Zögernd folgte Helene mir. Ich beachtete sich nicht und lief einfach weiter. Ich beachtete nicht die Zweige, die in meine Haut stachen oder es interessierte mich nicht, ob mein Kleid schmutzig wurde. Ich musste mich von dieser Wut befreien. Sanft strich Mutter mir über meinen Arm, doch ich wich zurück, „Wir hatten das doch so oft besprochen. Ich dachte, wir hätten das geklärt! Wie konntest du nur? Mich so zu täuschen!“ Entschuldigen sah sie mich an, „Aber Charlotte…“ Wutentbrannt schnitt ihr das Wort ab, „Verdammt! Du weißt genau…oh Mutter ich bin so wütend. Ich dachte, du hättest verstanden…verstanden, dass es nicht geht!“ Helene seufzte, „Natürlich verstehe ich, warum du Angst hast, aber du musst verstehen, dass du dich der Familie stellen musst. Sonst wirst du nie zu Ruhe kommen“ Verärgert wandte ich mich ab, „Du verstehst nicht! Du hast keine Ahnung, was du getan hast!“ Wenn ich nur daran dachte! Und Leonard! Ich fühlte mich einer Ohnmacht nahe. Das war einfach falsch. Ich sollte mich in diesem Kurort entspannen, aber nun holt mich meine Vergangenheit ein und ich hatte das Gefühl, wahnsinnig zu werden. Störrisch sah ich sie an, „Ich werde nicht mitgehen“ Helene seufzte, „Hör mal, es tut mir leid, dass ich dich ausgetrickst habe, aber ich hatte keine Wahl. Du solltest an Leonard denken. Es wäre wirklich besser wenn du dich nicht mehr gegen Ulrich sträubst. Du musst ja nicht gleich mit ihm ins Bett springen“, empört schnaubte ich, „wir werden ja nicht lange bleiben“ Finster blickte ich in die Ferne. Sie wird nicht lockerlassen, bis ich nachgebe. Schließlich seufzte ich genervt, „Ich glaube nicht, dass es gut gehen wird. Aber in Ordnung.“ Schweigend stiegen wir wieder ein. Die Kutsche fuhr wieder los und jeder Schritt ließ mich panischer werden und doch konnte ich nicht leugnen, dass es in meinem Bauch merkwürdig kribbelte.

Ich starrte aus dem Fenster, ohne wirklich etwas zu sehen. Die Vertrautheit der Landschaft verursachte mir nur Übelkeit. Beruhigend sah mich Helene an, „Keine Sorge, alles ist in Ordnung. Es wird alles gut gehen und danach wird es dir besser gehen.“ Betrübt sah ich sie an, „Du hast es immer noch nicht verstanden. Es tut mir weh ihn zu sehen. Immer wieder werde ich in meine Vergangenheit reingezogen und es gibt keinen Ausweg um endlich abzuschließen“ Mit einem seltsamem Gefühl betrachtete ich meine Narbe auf dem Handgelenk, „Ich werde mitkommen. Aber ich werde nicht so tun, als hätte ich vergessen. Ich wollte nie zurückkehren!“ Ich wandte mich ab und Helene schwieg. Den Rest der Fahrt versuchte ich mich zu beruhigen und nicht gänzlich meinen Verstand zu verlieren. Leonard kam mir in dem Sinn. Was hatte ich nur getan? Allmählich bereute ich meine Entscheidung. Mühsam unterdrückte ich meine Tränen. Es würde bestimmt alles gut gehen. Vielleicht übertrieb ich auch einfach. Helene berührte mich sanft am Arm, sodass ich aus meinen Gedanken schreckte, „Wir sind da“ Ich blickte hinaus und sah das allzu bekannte Tor, durch das ich schon unzählige Male durchgegangen war. Ich unterdrückte einen Schauder. Ich zwang mich, zu lächeln, auch wenn es auch so kalt und gleichgültig war. In meinem Innern tobte ein Aufruhr. Wild klopfte mein Herz und schien beinahe zu zerspringen. Die Kutsche hielt im Hof und ein letztes Mal atmete ich tief durch und sah Katharina und Eberhard im Hof stehen, die Gäste erwartend. Katharina lächelte und ich war mir sicher, dass sie sich darauf freute, endlich die verschwundene Tochter kennenzulernen. Oh ja, das würde eine richtige Überraschung werden. Zögernd stieg ich aus und betrachtete den Hof. Es hatte sich nichts verändert. Im Stall waren zwar mehr Pferde, als ich es in Erinnerung hatte, aber die Menschen waren noch dieselben, nur eben ein paar Jahre älter. Unsicher umfasste ich mein vernarbtes Handgelenk und besann mich auf mein Lächeln. Sie sollten nicht merken, wie sehr es mich zusetzte, hier zu sein. Ohne jegliche Emotion trat ich mit Mutter zu den Sayns. Erleichtert stellte ich fest, dass Ulrich nicht zu sehen war. Vielleicht war er ja gar nicht da? Ich wandte wieder meine ganze Aufmerksamkeit den Sayns zu. Das Lächeln der beiden war verschwunden und sie starrten mich kreidebleich an, als sähen sie einen Toten. Nun ja, immerhin hatte mein Auftreten einen glücklichen Effekt. Helene lächelte, „Seid gegrüßt, es freut mich, euch wieder zu sehen“ Geschockt sah mich Katharina an, „Rachel?“ Boshaft musste ich lachen. Ich blickte in dieselben Augen, die ein ganzes Leben zerstört hatten. So unschuldig wie sie wirkte, so hinterhaltig war sie in Wirklichkeit. Verächtlich sah ich sie an, „Mein Name ist Charlotte.“ Sie wirkte erleichtert, als hätte sie sich einfach nur geirrt. Mit großen Vergnügen zerstörte ich ihre Hoffnung mit meinen nächsten Worten: „Eine Menge Erinnerungen hängen an diesem Ort. Wie wunderbar, dass ich mich hier wieder einmal aufhalten kann. Wie ist es euch denn ergangen? Es ist ja wirklich lange her, als ich hier war und euch gesehen habe“ Fassungslos starrte sie mich an, dann aber riss sie sich wieder zusammen und lächelte zittrig, „J-Ja das stimmt“ Nur allzu deutlich spürte ich Eberhards Blick auf mich liegen. Sein anfänglicher Schock hatte sich verflüchtig und wich etwas dunklem und bedrohlichem. „Es ist schön euch wiederzusehen. Es ist eine wirklich nette Überraschung.“, „Ja…“, erwiderte ich mit einem kurzen Seitenblick auf Helene. Sein begieriges Glitzern in seinen Augen ließ mich frösteln, doch ich ließ es mir nicht anmerken. Die Erinnerungen an damals wollten mich überwältigen, doch ich drängte sie schnell weg. Sein Blick glitt an meinem Körper hinunter, so wie früher, doch schnell schüttelte ich diesen ab. Meine Wangen schmerzten schon von dem vielen Lächeln. Mir lag eine bissige Bemerkung auf den Lippen, doch Helene legte mir beruhigend ihre Hand auf meinem Arm, „Wir hatten einen wirklich anstrengende Reise hinter uns und es wäre einfach wunderbar, wenn Ihr uns zu unsere Quartieren bringen könntet“ Um Fassung ringend nickte Katharina lächelnd und bedeutete uns ihr zu folgen. Gerade als ich mich abwandte, entdeckte ich einen Schatten in einer der beengten Gasse. Ich spürte wie mein Herz erschreckt einen Hüpfer machte. Völlig gelassen lehnte er sich an die Wand und betrachtete mich mit einem unergründlichen Blick. Seine Augen glitten an mich runter und schienen mich zu verschlingen. Anzüglich lächelte er. Mein ganzer Körper prickelte, doch ich unterdrückte es schnell. Alberne Träumereien. Lange richtete sich sein Blick auf mich. Ich konnte mich dem nicht entziehen. Ich hatte das Gefühl zur Salzsäure erstarrt zu sein. Kein Muskel wollte sich bewegen. Erst nach einer schieren Ewigkeit, konnte ich mich zusammenreißen und wandte mich abrupt von ihm ab und folgte Helene, die bereits auf mich wartete. Fragend sah sie mich an, doch ich zuckte nur mit den Schultern und sie ließ es dabei bewenden. Stumm gingen wir den Flur entlang, war ich ergriffen von der ganzen Flut von den ganzen Erinnerungen. Es war so bizarr, so vertraut, dass mein Herz einen Moment lang aussetzte. Als wäre die Zeit zurückgedreht worden und ich wäre immer noch das kleine naive Mädchen.

Unschlüssig stand Helene vor dem Quartier und sah mich verzagt an, „Bist du noch böse?“ Ich lächelte leicht, „Ein wenig. Aber keine Sorge, ich denke ich verstehe, was du möchtest. Ich meine es ist schwer, hier zu sein und mich nicht von allem überwältigen zu lassen aber ich denke ich werde damit zurrecht kommen“ Erleichtert atmete sie aus, „Da bin ich aber beruhigt“ Dann aber blickte sie mich forsch an, „Ich kann dich doch alleine lassen, oder?“ lachend verdrehte ich die Augen, „Aber ja. Ich kenne mich ja hier bestens aus“ Beruhigt nickte sie und verschwand in ihrem Zimmer. Vergnügt machte ich mich auf den Weg in mein Zimmer. Doch dann packte mich plötzlich jemand und zog mich in eine dunkle Ecke. Angst schnürte mir die Kehle zu, bis ich einen allzu vertrauten Duft einatmete. Hart und würzig. Wie Kiefernadeln. Verärgert stieß ich die Luft aus, „Verdammt! Du hast mich erschreckt!“ Diese so wunderbare raue Stimme lachte leise, „Du bist so wunderbar, wenn du aufgebracht bist“ Sein Körper presste sich an den meinen. Meine Brust hob und senkte sich hastig. Seine Nähe vernebelte meine Gedanken. „Lass mich los“, flüsterte ich, versagte meine Stimme in diesem Moment. Ulrich lachte leise, „Du bist da. Du bist zu mir gekommen“ Vehement schüttelte ich den Kopf, „Ich bin nicht wegen dir hier“ Seine Nase strich sanft über meine Wange, meiner Kehle. Zu meinem Entsetzen spürte ich, wie meine Beine nachgaben. Zu verführerisch war seine Stimme, „DU bist wieder bei mir“ Augenblicklich schärfte sich wieder mein Verstand und ich konnte wieder klar denken. Zornig stieß ich ihn weg. Ulrich war nicht darauf gefasst gewesen und stolperte. Überrascht sah er mich an, „Was…?“ Frustriert sah ich ihn an, „Ich bin nicht wegen dir hier. Meine Mutter ist dafür verantwortlich“ Ich sah seinen verletzten Blick, doch ich konnte ihm nicht helfen und wandte mich ab. Immer noch spürte ich seine Wärme und merkte, dass ich zitterte. Vergeblich versuchte ich dieses verräterische Gefühl abzuschütteln und stürmte verärgert in Helenes Zimmer, „Das wird hier alles in einer Katastrophe enden!“ Verwundert sah sie mich an, „Warum?“ Entnervt seufzte ich und merkte, wie ich verlegen errötete. Verschämt wandte ich ihr den Rücken zu und fingerte an meinem Kleid herum, „Also ich bin Ulrich begegnet und…er ist mir nahe gekommen!“ Hinter meinem Rücken hörte ich Helene lachen, „Ach Charlotte! Du brauchst doch keine Angst haben, ich meine es wäre doch einfach wunderbar, wenn eure Liebe von neuem erblühen wurde, nicht?“ Entgeistert starrte ich sie an. Meinte sie das ernst? „Wovon redest du? War das dein Plan? Ich habe geradeso akzeptiert, dass du möchtest, dass ich mich nicht mehr ängstlich verkrieche vor den Sayns aber Ulrich und ich haben keine Zukunft! Daran wird sich auch nichts ändern nur weil Ulrich immer wieder bedrängt!“ Wutentbrannt stürmte ich hinaus in mein Zimmer und setzte mich murrend auf mein Bett. Das konnte wohl ja nicht wahr sein! Auf was für Ideen die Frau kam! Einen Moment lang schloss ich meine Augen und versuchte die erste Begegnung seit dem Ball aus meinem Gedächtnis zu streichen. Was bildete sich der Kerl ein. Ich würde wegen ihm kommen! Er verstand gar nichts, genau wie meine Mutter! In der Stille hinein, die allein meine lauten Gedanken unterbrach, klopfte es plötzlich an der Tür. In der Annahme, es sei Helene ließ ich mich unwirsch aufs Bett fallen und presste mir das Kissen gegen das Gesicht, „Mutter! Lass mich in Ruhe!“ Am anderen Ende der Tür war es still. Verwundert richtete ich mich auf und fragte: „Wer ist da?“ Langsam ging die Tür auf und ein Mädchen, das ich nicht kannte, trat ein. „Mylady, meine Herrin schickt mich, sie lässt fragen, ob Ihr der Herrin nicht Gesellschaft leisten möchtet“ Ich betrachtete das Mädchen, ihre blonden Haare, die blauen Augen und verwirrt musste ich feststellen, dass sie mir irgendwie bekannt vorkam. Aber ich hatte sie noch nie im Leben gesehen. Nach einem zweiten Blick fiel mir aber auf, dass sie mir einfach nur ähnlich sah. Sie erinnerte mich an mein altes Ich. Ihre Augen trugen dieselbe Traurigkeit wie ich es einst tat. Sie trug diese ängstliche Höflichkeit zur Schau, um mich bei einem falschen Wort im Kerker zu landen, wie es jede junge Magd tat. Besonders da diese immer Angst haben mussten, ins Auge ihrer Herrn zu fallen. Sie sah mich einen Augenblick lang verwundert an, bevor sie scheu ihre Augen senkte. Nein, so war ich nicht gewesen. Nicht immer. Nicht bevor ich Ulrich begegnet bin. „Sie müssen Rachel sein.“ Es war nur ein Flüstern und ich war mir nicht sicher, ob ich mich einfach nur verhört hatte. Ich bemerkte ein merkwürdiges Glitzern in ihren Augen, als müsste sie angestrengt ihre Tränen zurückhalten. Doch das verstand ich nicht. Immer noch sah sie mich fragend an und ich gab mir widerwillig einen Ruck und lächelte die Magd an, „Du kannst deiner Herrin sagen, dass ich mich freue, ihr Gesellschaft zu leisten“ Gewaltig große Lüge. Zaghaft lächelte sie, verbeugte sich und verschwand wieder. Schon bereute ich meine Zusage. Mit einem Seufzend machte ich mich auf den Weg zu Katharina. Doch vor ihrer Tür zögerte ich. Ich hatte keine Angst, doch ihre Freude an Intrigen machte mir Sorgen. Ich wollte nicht in ihrer Nähe sein, wollte nicht mit der Person, die mir so viel Schmerz und Unglück verursacht hatte, in einem Raum sein. Sie hatte mir meine Zukunft gestohlen, auch wenn ich nicht wusste ob ich dann glücklicher gewesen wäre als jetzt. Alles in mir widerstrebte, ihr falsches Lächeln zu sehen, ihr falsches Lachen zu hören, das verursachte mir Übelkeit. Aber ich musste den Sitten entsprechend, ihr Gesellschaft leisten. Aber wollte nicht! Meine Entscheidung wurde mir abgenommen, denn die Tür öffnete sich von allein. Überrascht weiteten sich meine Augen, während ich versuchte das verräterische Klopfen meines Herzens zu ignorieren. Ulrich lächelte mich an, in seinen Augen lag eine Aufforderung, die mich erschauern lässt. Liebevoll nahm er meine Hand und hauchte einen Kuss auf meinen Handrücken. Seine Fingerspitzen strichen über mein Handgelenk, während seine Augen mich liebkosten. Mich überzog eine Gänsehaut. Wütend presste ich meine Zähne zusammen und ich musste mich zusammenreißen, nicht meine Hand wegzuziehen um ihm eine Ohrfeige verpassen. Ulrich lächelte neckisch, als wüsste er genau, was ich in diesem Moment dachte. Eine Weile stand er einfach nur da und amüsierte sich über mich, dann aber trat er beiseite und sagte, „Wie schön euch Schönheit hier erblicken zu können. Es ist einfach unfassbar, euch nach so langer Zeit wiederzusehen“ Schweigend nickte ich ihm zu und trat ein. Immer noch spürte ich seinen amüsierten Blick auf mich ruhen. Als sich die Tür jedoch schloss, stand ich nun hier, allein mit Katharina und wollte nur noch weg. Hölzern lächelte ich sie an und Katharina bedeutete mir, es mir gemütlich zu machen. Sie gab der Magd, die stillschweigend in der Ecke stand, einen Wink mir Wein einzuschenken. „So…“, sie strich sich ihr Kleid zurrecht, „es ist doch wahrlich bizarr, wie das Leben so spielt, findet Ihr nicht auch?“ Was sie nun wieder vorhatte? Kalt lächelnd stimmte ich ihr zu, „Das ist wahr. Es ist erstaunlich, wenn man nur eine einzige Entscheidung trifft“ In ihren Augen blitze es und ich wusste sie hatte den Doppelsinn der Worte verstanden. Dennoch blieb ihre Miene gelassen, „Wie ist es dir denn ergangen, ich meine, die Dinge haben sich für dich ja sehr verändert“ Ich musste lachen und selbst ich erkannte den Hohn in meiner Stimme, „Ja das stimmt wohl. Ich hatte wohl einfach Glück gehabt“ Katharina lachte leise, „Es ist bestimmt eine unterhaltsame Geschichte, wie du nun so plötzlich zum Hochadel gehörst“ Mit Mühe schaffte ich es in ihrem Lachen einzustimmen, „Da habt Ihr Recht, die Geschichte ist wirklich aufschlussreich“ Ich musste meine Übelkeit bekämpfen. Die Worte schienen in meinem Hals zu ersticken. Unterhaltsam ja, so konnte man die ganzen Schmerzen und den grenzenlosen Pein nennen. „Aber ich möchte euch wirklich mir dieser Geschichte langweilen. Erzählen Sie mir doch, wie es euch so ergangen ist, ich bin furchtbar neugierig“ Während Katharina so munter drauf los plauderte, wie sie die Burg leitete und wie er mit dem ganzen Gesindel umgehen musste, musste ich aufpassen, dass mein Lächeln nicht verrutschte. Dummerweise musste ich die Höflichkeit wahren, aber das fiel mir so verdammt schwer! Ich hörte ihr zu und beantwortete ihre Fragen so gut, wie es mir möglich war. Je länger es dauerte, desto erschöpfter wurde ich. Schließlich hielt ich es nicht länger aus und verabschiedete mich hastig bei Katharina. Als ich endlich aus dem Raum war, atmete ich erleichtert aus. Wie in früheren Zeiten, wenn ich mich etwas bekümmerte und lief einer unwillkürlich durch die Flure. Ich wollte einfach nicht allein in meinem Zimmer sein und das führte mich unweigerlich zu dem einen Ort, der mir immer half. Erst der kalte Wind brachte mich in die Gegenwart zurück und ließ mich die Umgebung gewahr werden. Seufzend konnte ich nur den Kopf schütteln über meine eigene Nostalgie. Wie vor unzähligen Jahren blickte ich auf den See, betrachtete die Spiegelungen des Wassers und fühlte mich irgendwie friedvoll. Anders konnte ich es nicht erklären. Der See lag immer noch da, wie ich ihn in Erinnerung hatte. Es war so verdammt merkwürdig. Ich musste mir immer wieder klar machen, dass ich nicht mehr die naive Magd war, die in ihrem Herrn verliebt war, sondern Charlotte, die Tochter der Aquins, eine angesehene Grafenfamilie. Dennoch fühlte ich mich, als hätte sich nichts verändert. Friedvoll atmete ich den Waldduft ein und setzte mich an den Rand des Sees. Es war so still und dunkel, dass ich nichts erkennen konnte, aber das störte mich nicht. Ich hatte keinerlei Angst mehr vor der Dunkelheit des Wassers. Doch plötzlich wurde die Harmonie unterbrochen. Wie aus dem Nichts tauchte eine dunkle Gestalt aus dem Wasser auf und schnappte sich mit einem Griff meine Arme. Verängstigt schrie ich auf und ruderte panisch mit meinen Armen. Ich spürte die warmen und muskulösen Arme, die mich ins kalte Wasser zogen und mit einem Mal wusste ich wer das war. Bevor ich jedoch reagieren konnte, drückte er mir noch einen Kuss auf die Lippen. Aufgebracht stieß ich ihn von mir weg, was mir wegen dem Wasser nicht viel brachte. Mein Herz hämmerte wild in meiner Brust, dass ich Angst haben musste, es würde gleich zerspringen. Vor Angst oder etwas anderem wusste ich nicht. „Verdammt Ulrich! Du hast mich zu Tode erschreckt! Bist du von Sinnen?“ Ich kam nicht umhin, seine wunderbar gebräunte und muskulöse Brust zu begutachten. Jahre waren seit dem letzten Mal vergangen, als ich diese Muskel betrachten geschweige denn angefasst hatte. Sie schienen sogar noch ausgeprägter, als ich sie in Erinnerung hatte, zu sein. Nasse Tropfen liefen die Brust entlang und machten seine Brust einfach unwiderstehlich. Mein Mund wurde ganz trocken und ich musste schlucken, besann mich aber wieder auf meine Wut und hörte mich schreien, „DU verdammter Mistkerl! Was fällt dir ein? Hast du den Verstand verloren?!“ Lachend zog er mich an seine Brust, „Du redest zu viel, meine Schöne“, seine Lippen pressten sich auf die meinen. Leidenschaftlich nahmen sie von mir Besitz und schienen mich nicht mehr loslassen zu wollen. Stöhnend schmiegte ich mich an ihn, meine Hände glitten an seine Brust entlang. „Liebste…“, stöhnte er. Ich fühlte mich ihm so nah. Alles ist wunderbar. Alles war vergessen. Jeder Verrat, jeder Schmerz. Es war vergessen. Für diesen einen Augenblick. Ich erstarrte. Es gibt dieses Gefühl von Geborgenheit nicht. Nicht für mich. Hat es nie gegeben. Augenblicklich kehrte ich in die Realität zurück. Er schien meine Veränderung zu bemerken und strich mir zärtlich ein paar nasse Strähnen aus dem Gesicht, „Was ist denn, mein Schatz?“ Mit einem Mal kam meine alte Wut zurück. Zornig schlug ich ihm gegen die Brust, „Mistkerl!“ Noch ein wenig geistesabwesend stieg ich aus dem Wasser und stapfte triefnass davon. Das Kleid klebte an meiner Haut und ich war mir völlig bewusst, dass ich eine nasse Spur hinterließ. Was für ein jämmerlicher Anblick, das wusste ich selber. Meine Haare klebten an mir, die Wangen waren noch von der unsäglichen Begegnung gerötet, während meine Kleidung an meinem Körper klebte, sodass jede Rundungen meines Körpers sichtbar wurden. Missmutig stampfte ich in Richtung meines Zimmers und hoffte, dass mich niemand in dieser Aufmachung sehen würde. Doch heute hatte ich wohl einfach kein Glück. Ich hörte näher kommende Schritte und machte mich bereit, die schlimmstmögliche Person zu treffen. Doch es war nur Helene. Erleichtert atmete ich aus, doch mein Zorn hatte sich noch nicht gelegt und wandte mich nun zu Helene. Diese sah mich erstaunt an, „Was ist denn dir passiert?“, „Du wolltest doch, dass Ulrich mir nahe kommt! Sei doch froh!“, fauchte ich und ging ruckartig in mein Zimmer. Völlig erschöpft verbannte ich das letzte Geschehen mit Ulrich. Beschämt verdrängt ich die Tatsache, dass sich diese Begegnungen immer wider häuften. Und das war immer Ulrichs Schuld! Müdigkeit legte sich schwer wie Blei auf mich und ich beeilte mich, meine nassen Klamotten auszuziehen. Ich sah aus dem Fenster und betrachtete die satten grünen Berge und fühlte mich so unruhig. Nicht eine Sekunde lang konnte ich mich entspannen, immer wieder sah ich mich Ulrichs Blick ausgesetzt, der mich zu verfolgen schien, überall hin. Bei jedem Schritt spürte ich seinen derart intimen Blick, sodass es schien, als würde er mich berühren. Erbost rückte ich vom Fenster ab. Seine Berührungen waren mir nicht ganz unangenehm. Ein freudiger Schauer überfiel mich, wenn ich nur daran dachte. Kopfschüttelnd sammelte ich mich wieder. Das lag bestimmt daran, dass er der Vater meines Kindes ist und ich hatte schon seit längerer Zeit keine zärtlichen Berührungen mehr erfahren. Das ist der Grund. Mir wurde ganz warm, wenn ich an seine Berührungen dachte. Seufzend schloss ich die Augen. Nein! Ich bin einfach zu verspannt. Ulrich soll mir gefälligst gestohlen bleiben! Vielleicht würde ja ein wenig Schlaf mich von diesen unpassenden Gedanken abbringen. Ja diese verdammten Fantastereien würden dann aufhören.

Aber so viel Glück hatte ich anscheinend nicht! Diese Nacht bescherte mir der Allmächtige keinen ruhigen traumlosen Schlaf. Nein, als ich im Morgengrauen erwachte, schweißgebadet und aufgewühlter denn je, war ich fiebriger als am vorigen Tag und immer noch mit diesen Fantastereien geplagt. Hoffnungslos versuchte ich den Traum abzuschütteln. Aber er hatte sich in mein Gedächtnis gebrannt. Die ersten Sonnenstrahlen schienen auf mein Gesicht und ich warf einen Blick aus dem Fenster. In der Ferne sah ich die Sonne tief am Himmel liegen und verbreitete sie frohe Botschaft des neuen Tages. Aber unmittelbar vor mir, sah ich die Handwerker und Marktleute schon eifrig arbeiten. Flüche und Lachen drangen an mein Ohr. Ich hörte die Pferde wiehern und deren Hufen klapperten auf dem Hof. Mit einem Mal erhellte sich mein Gemüt. Ich hatte eine wunderbare Idee. Vielleicht würde ja ein Ausritt mir gut tun! Nachdem ich bei Katharina mir die Erlaubnis für die Benutzung ihrer Pferde geholt habe, ließ ich ein Pferd namens Dorne satteln. Er hatte ein wunderschönes schwarzes Fell, das in der Sonne schimmerte. Sein feuriger Blick traf mich, doch ich ließ mich nicht beirren und nahm ihn. Jegliche Einwürfe des Stalljungens überhörte ich. Leopold hatte mir das Reiten beigebracht, als er erfahren hatte, dass ich es nicht konnte. Lachend hatte er mich auf ein Pferd gesetzt und dem Pferd einen Klaps gegeben. Das war eine wirklich fürchterliche Stunde in meinem Leben gewesen. Ich war gut, aber einfach nur eine durchschnittliche Reiterin. Bei dem Namen des Pferdes konnte ich erahnen, dass er nicht ganz temperamentlos ist, aber mein Stolz ließ kein anders Pferd zu. Mit Mühe aber erfolgreich schaffte ich es den Gaul zu bändigen. Friedlich trabte er, nachdem er den Kampf verloren hatte und ich ihm seine letzten Flausen ausgetrieben hatte, friedlich daher. Dorne schnaubte zufrieden und seine Nüstern beschnupperten neugierig mein Bein. Er schien wohl länger nicht mehr aus dem Stall gekommen zu sein. Wie verwunderlich. Übermütig beugte ich mich über den Hals des Pferden und trieb in an. Im vollen Galopp flog ich durch die Wälder und erkannte nur noch Fetzen der Landschaft. Es war einfach herrlich. Der Wind peitschte mir ins Gesicht und gab mir das Gefühl zu fliegen. Überall sah ich nur Farbflecken so bunt und wunderbar und gab mir das Gefühl in einem Wunderland zu sein. Ich sollte das öfters machen. Wenn ich wieder zu Hause bin, werde ich mit Leonard einmal ausreiten. Ich erstarrte, mein Lächeln erlosch. Leonard! Von einer plötzlichen Unruhe erfasst zügelte ich das Pferd und stieg ab und möchte am liebsten Schreien. Von der ganzen Aufregung hatte ich Leonard ganz vergessen. Beschämt musste ich feststellen, dass ich keinen Schritt näher zu Lösung meines Problems gekommen bin. Verdammt! Was soll ich nur tun? Ich verfluche meine übertrieben Sorge. Das hatte mir nur Schwierigkeiten eingebracht.

Entmutigt ließ ich mich auf einen Baumstamm fallen und seufzte kummervoll. Allein die Aussicht schien mich wieder ein wenig aufzuheitern. Augenblicklich verlor ich mich in den Anblick. In völliger Harmonie lag auf der Lichtung eine halbzerfallene Hütte. Moos überwucherte die Hütte. Es war ein Wunder, dass die Hütte noch stand. Es hatte etwas überirdisches, dieser Anblick. Unzählige Erinnerungen schossen auf mich ein. Ich lächelte, bis mir klar wurde, welche Art diese Erinnerungen beinhalteten. Doch selbst Ulrich konnte mir diesen Augenblick nicht zerstören. Der Tag war einfach zu schön. Ich sollte mich entspannen und mich nicht über irgendwelche Gedanken ärgern. Ich musste mich entspannen. Das konnte ich in letzter Zeit viel zu wenig. Gelöst schloss ich meine Augen und bemerkte gar nicht, wie ich einnickte. Als jedoch die schöne Wärme aus meinem Gesicht verschwand und eine der kalte Wind mich traf, schreckte ich auf. Benommen blinzelte ich und strich mir durcheinander ein paar Strähne aus dem Gesicht. Schläfrig blickte ich mich um, ich musste wohl eingeschlafen sein. Die Sonne stand schon sehr tief am Himmel, der Himmel färbte sich langsam rosa. Mit einem Mal war alle Müdigkeit weg und schnell rappelte ich mich auf und machte mich auf den Rückweg. Es war wirklich schon ziemlich spät. Ungeduldig trieb ich das Pferd an und beeilte mich zurückzukehren.

Helene erwartete mich schon verwundert, „Wo warst du denn?“ Betreten lächelte ich, „Tut mir leid, ich war Ausreiten und hatte vergessen Bescheid geben. Aber ich brauchte einfach ein wenig Ruhe.“ Sie nickte mir zu und lächelte leicht, „Ich hatte mir ein wenig Sorgen gemacht“ Ich zuckte mit den Schultern und übergab das Pferd dem Stalljungen, „Keine Sorge, mir geht es gut“ Unschlüssig stand sie noch vor mir, wusste nicht, was sie tun sollte, entschied sich aber, es gut sein zu lassen. Lächelnd wandte ich mich ab und machte auf den Weg umzuziehen. Ich stank entsetzlich nach Pferd und das Kleid war völlig zerknittert. Wie aus dem Nichts erschien Ulrich vor mir. Erschrocken zuckte ich zusammen, sein Gesicht war voller Emotionen, die überkochen zu drohten. Unbehaglich zog ich die Schultern ein und wollte schon umkehren, doch seine Arme umschlossen mich blitzschnell und verhinderten jede Flucht. „Du bist wieder da…“, flüsterte er heiser. Irritiert sah ich ihn an, „Natürlich bin ich noch da, was ist denn mit dir?“ Sein ganzer Körper zitterte, als seine Hände mein Gesicht zärtlich umschlossen. Tausend kleine Schmetterlinge rumorten in meinem Bauch und ließen mich einen Moment lang keinen klaren Gedanken fassen. Schnell besann ich mich wieder aufs hier und jetzt. Besorgt blickte ich ihn an, „Ulrich…Was ist denn mit dir?“ Seine Augen brannten sich in die meine, als wollten sie alle ungelösten Fragen darin erkunden. Sie lenkten mich ab und führten in mich in eine längst vergangene Zeit, die jedoch zerbrach, als er mit brüchiger Stimme begann zu erzählen, „ Du warst weg, mein Herz ein weiteres Mal verloren. Angst hatte mich erfüllt mit der grauenvollen Annahme, du wärest ein weiteres Mal verschwunden. Meine Mutter sagte mir, du wärest nicht da und dachte, dachte du würdest nicht mehr wiederkommen!“ Er hielt fest, sein ganzes Sein hing an mir und schien mich nicht mehr loslassen zu wollen. Er presste seine Lippen auf meinen Mund, sehnsuchtsvoll und flehentlich zugleich. Sein ganzes Herz lag in diesem Kuss. Sein unstillbarer Schmerz zeigte sich und traf mich völlig ungehemmt und ließ mich zurücktaumeln. Erschüttert sah ich ihn an und konnte es nicht fassen. Er hatte gelitten, genau wie ich. Er litt immer noch! Hilflos blickten seine Augen mich an, er streckte einen Arm nach mir aus und ich konnte nicht anders als ihm sanft über di Wange zu streicheln, „Ach Ulrich…du bist wirklich…“, ich verstummte, was wollte ich eben sagen? Der Mann, in dem ich mich verliebt hatte, kein Monster, das in meinen Nächten mir den Schlaf raubte? Nein. „...ich laufe nicht weg. Aber ich habe nun ein Leben und in dieses werde ich zurückkehren. Bald.“ Gequält sah er mich an, doch mein Herz sagte mir, ich konnte ihm nicht helfen. Wie sollte ich? Es gab kein uns. Er sah mich, der erloschene Funke loderte wieder auf und eindringlich hefteten sich seine Augen auf mich. „Ich muss dir etwas berichten. Es könnte deine Entscheidung ändern, es könnte…“, atemlos sah er mich und wollte erneut beginnen zu sprechen, doch das konnte ich nicht zulassen. Behutsam strich ich ihm über seine Lippen, „ Du musst nicht. Es ist nicht wichtig“ Ungläubig sah er mich, „Doch! Ich muss, ich muss-„ Bekümmert schüttelte ich den Kopf und wandte mich ab. Nicht eine Sekunde länger konnte ich sein verzweifeltes Gesicht sehen. Doch mitten in der Bewegung hielt ich inne und erblickte eine Magd. Einen Moment lang fürchtete ich, dass sie unser Gespräch gehört haben könnte, aber ich sah, dass sie viel zu beschäftigt war, den Krug humpelnd in ihren zitternden Händen zu tragen. Der Krug schien jeden Moment aus ihren Händen zu gleiten, deshalb eilte ich zu ihr. Ich wusste, wie es war, eine Magd zu sein. Es interessierte nicht, ob man verletzt war oder nicht. Lächelnd nahm ich dem Mädchen den Krug aus der Hand und sah das Mädchen begütigend an, „Das war knapp. Aber keine Sorge, es ist nicht schlimm. Wie heißt du denn?“ Die ganze Zeit lang hatte sie ihre Augen gesenkt, doch nun blickte sie mir direkt in die Augen. Überrascht und völlig bleich starrte sie mich an. Meine Reaktion war ihrer nicht unähnlich. Erschrocken wich ich zurück und stolperte beinahe über meine eigenen Beine. Grenzenloses Entsetzten erfüllte mich, meine Kehle war wie zugeschnürt. Das konnte doch nicht sein! Dieser Ort barg so viele Grausamkeiten, so viele schlimme Erinnerungen und doch habe ich keinen Moment lang keinen Gedanken an die anderen Personen gedacht, die mich verletzt hatten. Allein Ulrich hatte meine Gedanken beherrscht und doch hatte ich eine andere Person ganz vergessen, die hier auch lebte! „Grethe!“, krächzte ich. Wie närrisch und fokussiert ich nur auf Ulrich war! Sie schien genauso geschockt zu sein wie ich, bemerkte meine vornehme Bekleidung und blickte verwirrt drein. Doch sie besann sich auf ihre Pflichten als Magd, biss sich unsicher auf die Lippe und knickste, „Mylady“ Bestürzt betrachtete ich sie. Sie wirkte so anders. Das einschüchterne und ichbezogene Mädchen war nun völlig in sich gekehrt und verschreckt. An ihrem Bein war eine große entstellende Narbe, die nur dürftig mit dem Kleid bedeckt wurde. Gebeugt stand sie vor mir und erst jetzt bemerkte ich die seltsame Verrenkung an ihrer Wirbelsäule. Es glich einem Wunder, dass sie noch lebte und laufen konnte.

Geschockt konnte ich mich nicht rühren. Was wurde ihr nur angetan? Ich meine, sie war grausam aber dies habe ich ihr niemals gewünscht. Tränen traten ihr in die Augen, „Sie mich nicht so an“ Es war nur ein Flüstern und doch konnte ich es deutlich hören. Beschämt senkte ich die Augen. „Charlotte“, ertönte es hinter mir. Ulrich hatte ich ja ganz vergessen! Langsam drehte ich mich um und instinktiv rieb ich an meinem Handgelenk die Narben. Ausdruckslos sah er mich an, er kam einen Schritt näher, die Hand nach mir ausgestreckt. Jegliche Emotion war aus seinem Gesicht verschwunden, doch ich wusste, wie gut er seine wahren Gefühle verbergen konnte. Und da, in seinen Augen blitzten der Schmerz und die Scham. Fassungslos weiteten sich meine Augen, als ich es schlagartig verstand. Nun verstand ich auch Magdalenas Worte. Das hatte sie damit gemeint. Darum war sie geflohen. Ulrichs Zorn war grenzenlos und zerstörerisch gewesen und sie hatte Angst gehabt, ihn auch zu spüren zu bekommen. Grethe entwich ein angsterfüllter Aufschrei und sie wich panisch zurück und floh kopflos. Ulrich kam mir vorsichtig näher. Furchtsam blickte ich ihn an. Ich konnte akzeptieren, dass er einen genauso großen Schmerz in sich trug, wie ich, aber Grethes Verletzungen zeugten von einer so großen unbändigen Wut, die mir Angst machte. In meinem Innern wusste ich, dass Ulrich niemals zu so furchtbaren Grausamkeiten fähig wäre, aber es erinnerte mich an den Mann, besessen von Kräutern, die ihn wahnsinnig und unberechenbar machten. Es zeigte mir den Mann, der mich nicht liebte sonders besaß.

Ulrich machte Anstalten mich zu berühren, doch ich hob abwehrend meine Hände, „Fass mich nicht an. Bitte!“ Und mit einem Mal fiel seine Maske. Ich sah den Schmerz, die Scham und die Bitte mir zu verzeihen. Er sah mich mit großen Augen an, die mutlos zu verstehen schienen und doch so großen Kummer in sich trugen, dass ich mich um ihn sorgte. Nun, da ich mir bewusst war, dass er litt, hatte alles verändert. Ich konnte ihn einfach nicht mehr als das Ungeheuer sehen, dass ich aus meiner Vergangenheit kannte. Völlig erschöpft und durcheinander ging ich weg. Mein Herz war voller widersprüchlicher Gefühle, die ich nicht einordnen konnte. Ich wusste einfach nicht mehr, was ich denken sollte. Hatte ich mich nach dem Ausritt so entspannt gefühlt, spürte ich den ganzen Druck diesen vermeintlich unbedenklichem Besuch. Ich wollte nur noch schlafen.

Doch selbst der Schlaf brachte mir nicht viel. Der Morgen kam viel zu früh und ich fühlte mich wie erschlagen. Schaudernd erinnerte ich mich an meinen Traum.

Lauf. Allein dieses Wort schwirrte in meinem Kopf. Ich schrie, doch kein Ton kam aus meiner Kehle. Ich bettelte, schluchzte, klagte. Ulrich, so kalt, so grausam. Sein Blick schien mich zu verschlingen und zu vernichten. Er kam mir näher und näher…ich kann nicht weg, ich kann nicht!

Ruckartig sprang ich auf um mich nicht länger mit diesem abscheulichen Traum zu befassen. Vielleicht würde mich ein Spaziergang auf andere Gedanken bringen. Dennoch hatte die Bewegung eher die gegenteilige Wirkung. Irgendwie gelangte ich auf den Wehrgang. Reglos stand ich da und atmete die frische Luft ein und betrachtete die Landschaft. Auch wenn dieser Ort mein Albtraum war, die Landschaft war einfach unglaublich. Heute jedoch, passte das Wetter zu meiner Stimmung. Schwere Tropfen fielen auf die Erde, wie tausend Tränen kleiner Engel. Der graue Himmel schlägt allen auf Gemüt. Während ich den Himmel so betrachtete, bemerkte ich nicht, wie sich jemand neben mich gesellte. „Dein ansehnlicher Körper war mir schon aufgefallen, als du noch diese unscheinbaren Kleider getragen hattest“, ertönte plötzlich eine Stimme. Ich zuckte zusammen und wirbelte herum in Richtung der Stimme. Alarmiert erkannte ich den Mann, der mir früher so viel Angst gemacht hatte. Eberhardt sah mich vollkommen ausdruckslos an, doch in seinen Augen blitzte da Begehren. „Hallo Rachel“ Angewidert blickte ich ihn an, „Mein Name ist Charlotte“ Eberhardts Mundwinkel zuckte, während er mich weiterhin begierig anstarrte. „Es interessiert mich nicht, wie du dich nun nennst, aber es gab etwas, dass du mir verweigerst hast und das verlange ich nun“ Sprachlos starrte ich ihn an. Eberhardt wagte es wirklich so mit mir zu reden. Kaum zu glauben, dass es einmal eine Zeit gab, als ich für ihn Respekt empfunden hatte. Erzürnt sah ich ihn an, „Wie könnt Ihr es wagen? Ihr vergesst wohl, mit wem Ihr redet! Verzeiht, aber ich nicht länger die Geduld, mir euer unerhörtes Geschwätz länger anzuhören. Ich wünsche nicht länger von euch gestört zu werden!“ Verächtlich sah ich ihn und wollte davon stürmen, doch er packte meinen Arm und presste sich an mich. Ich schluckte meine hinunter und sah Eberhardt wütend an, „Lasst mich los!“, „Erst wenn ich das bekommen habe, was ich verdiene. Ob adlig oder nicht.“ Übelkeit stieg in mir auf, während ich erfolglos versuchte, mich von ihm zu befreien. „Vater, ich hoffe ich komme doch nicht etwa ungelegen?“ Wie ein rettender Engel erschien mir die Stimme hinter mir. Unwillkürlich atmete ich erleichtert aus. Eberhard blickte seinen Sohn hart an, „Junge, du solltest dich nicht in diese Angelegenheit einmischen“ Ulrich lächelte lasziv, „Tut mir leid, aber da Charlotte meine Angelegenheit ist, muss ich mich einmischen. Wenn sie mir genug Vergnügen bereitet hat, bin ich vielleicht bereit, sie dir zu übergeben“ Wütend wollte ich auffahren, doch ich erkannte Ulrichs Plan hinter seinen Worten. Eberhard war immerhin noch sein Vater und er schuldete ihm einen gewissen Respekt. Das war seine Art mir zu helfen ohne respektlos zu sein.

Widerwillig ließ mich Eberhard los und verschwand nach einem kurzen Schulterklopfen, „Ich warte Sohn.“ Ulrich sah seinem Vater einen Augenblick nach, dann wandte er seine Aufmerksamkeit mir zu. Diese wunderbar grauen Augen blickten mich an, schienen tief in mein Innerstes hineinzublicken und es machte mich beinahe Wahnsinnig. „Geht es dir gut?“ Tiefe Dankbarkeit erfüllte mich und würde ihm am liebsten um den Hals springen, aber diese grauen Augen. Sie konnten so liebevoll und grausam zugleich sein. Die gleichen Augen wie Eberhardt. „Ich habe gesagt, du sollst mich in Ruhe lassen!“ Schroff drehte ich mich um und ging weg. Man könnte es auch flüchten nennen. Hinter mir hörte ich Schritte, die mir folgten. „Ulrich…“, sagte ich warnend. Dieser zuckte nur gelassen mit den Schultern, „Ich kann nichts dafür, dass ich der Sohn meines Vaters bin. In meinem Blut ist seins. Das macht noch lange nicht einen Menschen aus.“ Überrascht hielt ich inne und sah ihn mit großen Augen an. Mir fehlten wahrhaftig die Worte. Er trat näher und hob eine Braue, „Was? Erstaunt, dass ich verstehe, wie du dich fühlst?“ Sein Atem strich verführerisch über meine Haut und verursachte mir eine Gänsehaut. Die Umgebung schwand dahin, allein Ulrich galt meine Aufmerksamkeit. Tat er das wirklich? Verstand er mich? Konnte er meine Gedanken erraten, wie damals? Es war verwirrend und doch ließ es mein Herz schneller schlagen. Ich wusste nicht wie lange wir so dastanden und uns ansahen. Stunden oder Minuten? Es war mir gleichgültig. Nichts konnte den Bann brechen. Außer die eine Stimme. „V- verzeiht, meine Herrin schickt mich, sie wünscht, dass Ihr zum Essen erscheint“ Erschrocken blinzelte ich und wich ein paar Schritte zurück. Dann blickte ich das Mädchen, der die Stimme gehörte, an. Sie sah mich an, ängstlich und verletzlich. Erschöpft seufzte ich. Bisher war ich dem bedrückenden Essen ausgewichen, aber nun war es wohl unausweichlich. Vermutlich würde Katharina ihre Wut an dem Mädchen auslassen, wenn diese meine Absage überbringen würde. Nun erkannte ich das Mädchen, als die Magd Katharinas. Sara war ihr Name. Trotz allem war ich mir Ulrichs Nähe nur allzu bewusst und ich spürte, wie er erstarrte. Verwundert blickte ich zu ihm, während Sara noch nervös auf meine Antwort wartete. Sie wagte es nicht, einen Blick auf Ulrich zu werfen, der regungslos dastand und finster auf den Boden starrte und sie senkte ihre Augen. Endlich schaffte ich es mich zu einer Antwort abzuringen, „Sag deiner Herrin, sie soll mich erwarten“ Das Mädchen nickte und warf nun doch einen vorsichtigen Blick auf Ulrich, nur um ihren Blick verzweifelt auf den Boden zu richten. Verwundert wanderte mein Blick zwischen den beiden. Er völlig erstarrt und einem Blick, der wenn ich es nicht besser wüsste, Reue ausdrückte und sie, völlig verschüchtert und verzweifelt wie ein liebeskrankes Mädchen. Bevor auch nur ein weiteres Wort über meine Lippen kommen konnte, verabschiedete sie sich und flüchtete. Ich meine sie flüchtete wie…ein Mädchen, das vor dem Grund ihres gebrochenen Herzens stand. Ich wusste ja nur zu gut, wie das ablief. Und Ulrich, er stand da, hatte seine Augen geschlossen, als hätte er seiner Liebsten die Treue gebrochen. Schlagartig traf mich die Erkenntnis. „OH VERDAMMT!“, heulte ich und konnte es mir nicht verkneifen, ihm auf die Brust zu schlagen. „Bitte sag mir, dass das nur ein Scherz ist! Sag mir, dass ich mich Närrischerweise irre und ich einfach einen Hang zum Misstrauen habe. Sag mir, dass meine Zweifel an dich unbegründet sind!“ Beschämt senkte er seinen Blick. Fluchend stampfte ich mit Fuß auf, „Verdammt! Du und Sara?! Ich meine, das ist so- das ist- wolltest du mich verhöhnen?!“ Ich hatte keine Ahnung, warum mich das so wütend machte. Ich meine es sollte mich nicht stören oder zum Ausrasten bringen. Ich empfinde ja nichts mehr für Ulrich. „Wolltest du mich für mein Verschwinden bestrafen in dem du mit einer anderen Magd, die mir ähnlich sieht, schläfst? Hast du denn gar keinen Respekt vor mir?!“ Ulrichs Kopf ruckte ruckartig hoch und er schüttelte vehement seinen Kopf, „Nein! So war das nicht! Ich dachte, ich dachte du wärest es! Ich dachte du wärst zu mir zurückgekommen!“ Augenblicklich verpuffte meine Wut. Er wandte sich von mir ab und ich sah, dass seine Schultern zuckten. „Ich wollte doch nicht…ich würde nie...!“ Durcheinander biss ich mir auf die Lippe. So groß war seine Sehnsucht nach mir, dass er ein Mädchen, mit ein wenig Ähnlichkeit mit mir, als mich hielt. Was war nur mit ihm geschehen? Hatten die Kräuter seinen Verstand so stark vernebelt, dass er glauben konnte, ich wäre sie?! Ich wollte ihn berühren, ihm seinen unberechtigten Schmerz nehmen, aber ich traute mich einfach nicht. Ich wusste doch, dass er nicht andere Frauen nahmen, wenn sein Herz an mir hing und deswegen litt. Ruckartig drehte er sich zu mir um, sein Gesicht voller widersprüchlichen Emotionen. Flehentlich sah er mich an, „ Hör zu, ich kann…ich kann es erklären! Ich weiß, was ich getan habe, ist abstoßend und ich kann verstehen wenn du…du mich hasst. Aber du musst mir glauben, ich würde doch nie…keine außer dich…mein Verstand spielte mir einen scheußlichen Streich. Niemals würde ich eine andere ansehen als dich. Nicht wenn ich bei klarem Verstand bin“ Bestürzt musste ich feststellen, dass er gebrochen schien. Das Leben in ihm, das schalkhafte Blitzen in seinen Augen war verschwunden und nichts außer endlose Verzweiflung und Hilflosigkeit war geblieben. Ich konnte nicht länger mit ansehen! Ohne nachzudenken legte ich ihm sanft eine Hand auf seine Wange. Augenblicklich verstummte er und senkte seinen Blick. Leise rief ich seinen Namen. Er reagierte nicht. Ich flüsterte seinen ein weiteres Mal. Er zögerte und sah mich gepeinigt an. „Ach Ulrich…“, lachte ich leise, „du dummer Junge. Es ist in Ordnung. Ich verstehe. Du musst es mir nicht erklären, es ist-“, „Nein! Das ist es nicht! Es ist nicht in Ordnung. Was ich getan habe…“, heulte er voller Gram auf. Beruhigend strich ich ihm über seinen Arm. Er schüttelte den Kopf und entzog mir seinen Arm. Er wollte etwas sagen, schwieg dann aber. Bekümmert sah ich ihn an. Es war unwichtig, was ich sagen würde, kein Wort konnte ihm aus seinem Nebel des Schmerzes befreien. Es tat weh, ihn so gequält zu sehen. Mir fiel nur eine Möglichkeit ein, die unser beider Leiden verringern würde. Sanft zog ich seinen Kopf hinunter und küsste behutsam seine Augenlider, „Ich werde in ein paar Tagen abreisen. Ich denke es ist besser so. Es tut nur uns nur beide weh, wenn ich länger bleibe.“ Entsetzt riss Ulrich seine Augen auf und schüttelte heftig den Kopf, „Nein! Das kannst du nicht tun! Ich verstehe ja, es gibt eine Menge, die ich wieder bereinigen muss, Missverständnisse und auch dieser Graben zwischen uns, aber wir können es schaffen. Es gibt Hoffnung!“ Bekümmert schüttelte ich den Kopf, „Nein Ulrich, die gibt es nicht. Vielleicht hat es mal Zeit gegeben, wo wir eine Chance auf ein gemeinsamen Leben hatten, aber die ist nun endgültig vorbei“ Schweigend schüttelte er den Kopf, sein Mund war zornig zusammengekniffen. „Du kannst dich nicht immer und immer wieder verstecken!“ Ich antwortete nicht. Kein Wort konnte ihm begreiflich machen, dass es keine Hoffnung gab, an die er sich so verzweifelt klammerte. Er musste anfangen, sein Leben zu leben und nicht einem Traum hinterrennen. Nein, er konnte das nicht verstehen.

Wortlos wandte er sich ab uns stürmte davon. Bekümmert sah ich ihm nach und machte mich auf die Suche nach Helene. Ich konnte jetzt nicht allein sein. Ich fand sie im Garten. Sie lächelte als sie mich sah, „Hallo du, du hast dich ja nicht viel blicken lassen“ Schulterzuckend setzte ich mich neben sie, „Ich hatte kein Bedürfnis nach Gesellschaft“ Helene nickte und legte ihren Kopf schräg, „Na was hast du denn auf dem Herzen?“ Ich lächelte leicht, wie immer war ich ein offenes Buch für sie. Dann aber sah ich sie ernst an, „Ich will abreisen. So schnell wie möglich. Es ist genug. Ich kann keinen weiteren Tag länger ertragen“ Seufzend nickte sie, „War es ein Fehler gewesen dich hierherzubringen?“ Ich atmete tief ein, „Nein. Aber es ist einfach zu erschöpfend.“ Helene erwiderte nichts und ich machte mich auf den Weg um mich für das Essen umzuziehen. Verdammt, mir fielen tausend Gründe ein, warum ich nicht zu diesem Essen gehen sollte aber Katharina verlangte meine Anwesenheit und als Adlige musste ich mich an die Anstandsregeln halten. Nachdem der letzte Knopf an meinem Kleid geschlossen war, klopfte es pünktlich an der Tür. Es war Sara, die mich und Helene zum Essenssaal führte. Mühsam unterdrückte ich einen Seufzer. Dieser Ort hatte wirklich nichts Gutes an sich. Ständig wurde ich mit schwerwiegenden Tatsachen konfrontiert und wenn ich es dann wage, mich einen Moment lang zu entspannen, wurde ich mit neuen denkwürdigen Dingen beschäftigt, die mich nur mehr verwirrten. Da wäre das Mädchen, das mein früheres Ich zu verkörpern schien und damit auch den Platz in dem Bett des Mannes, den ich vor langer Zeit mit jeder Faser meines Herzens geliebt hatte, angenommen hatte und ich sollte sie hassen. Doch ich konnte es nicht. Alles was ich fühlte, war Mitleid für das Mädchen, so jung und naiv, das sich nicht gegen Ulrichs Charme wehren konnte und Schmerz gegenüber Ulrichs Verzweiflung. Ich sollte wütend sein! Unwirsch blinzelte ich, um mich von diesen sinnlosen Gedanken abzulenken. Dieser Ort zehrte an meinen Kräften und ich wollte einfach nicht mehr hier sein und diesen unliebsamen Personen begegnen. Doch nun würde ich Angesicht zu Angesicht bei ihnen sitzen. Verraten und verletzt haben sie mich und ich musste ihnen zulächeln. Mit Mühe konnte ich einen Aufschrei verhindern. Selbst Ulrich, der keinerlei Schuld an meinem Kummer trägt ist keine Hilfe. Seine Blicke, sein Lächeln brachten meine Gefühle völlig durcheinander. Wie sollte ich das bitte durchstehen?

Helene drückte tröstend meine Hand, als hätte sie meine Gedanken erraten. Ich blickte sie an und sie lächelte leicht und nickte mir aufmunternd zu, bevor wir eintraten. Die ganze Familie von Sayn hatte sich bereits versammelt. Eberhard und Katharina in trügerischer Würde, Gunter so abstoßend, wie ich ihn noch in Erinnerung hatte und Ulrich. Seine Mimik war so undurchdringlich wie ich es von ihm gewohnt war. Allein seine Augen zeigten einen Funken Zorn, der wohl rasender und unberechenbarer war, als es den Anschein hatte. Diese ganze Situation überwältigte mich und ich spürte, meine Beine drohten nachzugeben. Glücklicherweise konnte ich mich mit viel Mühe auf den Beinen halten und ich setzte mich scheinbar völlig gelassen und aufrecht hin. Die Mägde verteilten traten ein und servierten das Essen. Es erinnerte mich so haarsträubend an ein Erlebnis aus einer früheren Zeit, dass ich sofort aufgesprungen wäre, hätte mich Ulrichs Blick, der mich aufspießte, nicht an meinem Platz gehalten. Ich lächelte und hoffte diese unglückselige Geselligkeit würde bald beendet sein. Sein Blick war wie spitzer Pfeil der sich durch meine Haut bohrte und mir völlig meine Orientierung nahm. Lustlos stocherte ich im Essen und bekam kaum mit, wie Katharina munter mit Helene plauderte. Plötzlich kniff mir Helene in meinen Oberschenkel und ließ mich meine Aufmerksamkeit auf Katharina richten. „…Tragödie, dass Raphael verstorben ist. Er war ja ein wirklich guter Freund von unserem Ulrich. Welch ein Held, im Kampf für die Kaiserkrone zu fallen. Entzückt seufzte Katharina und richtete dann ihren berechnenden Blick auf mich, „Ach meine liebe Charlotte, ich finde es ja einfach bezaubernd, dass die verschwundene Tochter nach der man jahrelang gesucht hatte, bereits nach ihrem Auftauchen mit dem Helden verheiratet war. Bitte erlaubt mir die Frage, wie kam das? Es war doch wirklich so Überraschend!“ Fassungslos starrte ich sie an und konnte nicht glauben, dass sie diese Frage wirklich gestellt hatte. Automatisch nickte ich, bemühte mich, meine Sprache wiederzufinden, aber allein der Gedanke an Raphael verursachte mir Übelkeit. Er war schon lange tot und doch löste er in mir abrundtiefes Grauen aus. Vergebens versuchte ich meine Fassung wiederzuerlangen und lächelte schwach. Dunkles Schweigen lastete auf die Runde, bis Helene mich rettete. Hastig begann sie zu sprechen: „Ach das ist eine wunderbare Geschichte! Als meine Tochter“, liebevoll sah sie mich an, „vor meinen Augen völlig ahnungslos herumhuschte, da hatte sie Raphael kennengelernt. Er wich ihr nicht mehr von ihrer Seite und war völlig vernarrt in sie. Ich hatte mir ja schon Sorgen gemacht, aber als sich mittlerweile herausstellte, dass sie meine Tochter ist, da fügte sich alles zu Gutem!“ Ich hörte ihrer Lügengeschichte kaum zu, es war einfach so aufreibend! „Sie hat sich in ihn verliebt. Es war einfach großartig! Sie…“ Während Helene weiter sprach, richtete sich mein Blick automatisch auf Ulrich. Er war kalkweiß geworden und seine Lippen waren zusammengepresst, als müsste er seinen Zorn beherrschen. Sein düsterer Blick schien mich langsam zu sezieren. Meine Haut juckte und ich widerstand dem Drang, einen weiteren Blick auf Ulrich zu wagen. Was er sich wohl bei diesem Worten dachte? Mit gesenktem Blick lag meine ganze Konzentration auf das mir vorliegendem Gericht. Schweigend stocherte ich in meinem Essen und ließ meine Mutter für mich reden. Katharina ließ sich an meinem Schweigen nicht stören, nein sie genoss es freilich und schwatze vergnüglich mit den restlichen Anwesenden. Kochend vor Wut brachte ich kaum ein Bissen hinunter. Dieses Miststück! Ihre ständigen Anspielungen brachten mich beinahe um den Verstand. Sie führten nur dazu um mich zu verletzen und steigerte Ulrichs Wut, die mich fürchten ließ. Ich rang mit meiner Beherrschung. Allein die Anstandsregeln hielten mich davon ab, einfach aufzuspringen und zu verschwinden. Ich würde ihr keinen weiteren Grund liefern um mich bloßzustellen. Mit zusammengekniffenen Lippen starrte ich auf mein Essen und versuchte nicht auf Ulrichs eindringlichen Blicken zu achten. Doch es war so schwer! Mein ganzer Körper war von einer Gänsehaut erfasst und ich spürte, wie sich jedes Härchen an meinem Körper sich aufrichtete. Die Kalbsleber auf meinem Teller war mir noch nie so interessant vorgekommen. Ausgiebig befasste ich mich mit jeder Faser der Leber und ergründete mit außerordentlichem Interesse an die Beschaffenheit des Organs.

Erst als Mutter unsere bevorstehende Abreise ansprach, verfolgte ich dem Gespräch mit mehr Aufmerksamkeit. Verwundert schüttelte Katharina den Kopf, doch ihre Augen blitzten spöttisch, „Ach wie schade. Dennoch, ihr Aufenthalt bei uns war wirklich…erfreulich.“ Mutter nickte lächelnd, „Wir möchten uns für euere wunderbare Gastfreundschaft bedanken“ Ich verschluckte mich beinahe an meinem Stück Leber. Also nun übertrieb meine Mutter aber! Lachend winkte Katharina ab, „Das war uns eine Ehre“ Ungeduldig hoffte ich auf ein baldiges Ende, doch dann sagte Katharina: „Lasst uns auf eure Gesellschaft anstoßen und gestalten wir heute einen erquickend Abend!“ Ich unterdrückte ein stöhnen und lächelte matt. Nun gut. Dann würde ich den Abend einfach über mich ergehen lassen und sobald es der Anstand erlaubte, würde ich mich entschuldigen. Doch es schien eine Ewigkeit zu vergehen, bis dies möglich war. Solange saß ich unruhig und wie auf glühenden Kohlen und hörte dem Geschwätz Katharinas zu, bis ich mich unendlich erleichtert entschuldigte.

Völlig außer mir verschanzte ich mich in mein Zimmer. Niemand sollte mir mehr unter die Augen treten. Allein sein. Keine Blicke, die mich innerlich verbrannten und mich völlig durcheinander brachten, keine Worte, die mich in den Wahnsinn trieben. Stille war angenehm und saugte mir nicht meine Kraft aus. Endlich konnte ich befreit ausatmen. Wenigstens für einen Moment. Es dauerte nicht mehr lange und ich würde abreisen und mein Problem wäre dann gelöst. Beruhigt kuschelte ich mich in mein Bett und schließ augenblicklich ein. Glücklicherweise war mein Schlaf traumlos. Die nächsten Tage verbrachte ich in meinem Zimmer und beschäftigte mich mir selbst. Es war gar nicht so schlimm, wie man es sich vorstellen würde. Endlich konnte ich mich einmal nur um mich kümmern. Mutters Bitten, mit ihr etwas zu unternehmen, ignorierte ich, wies Katharinas Einladungen aufgrund einer Krankheit ab und ließ mich auch für die Mahlzeiten entschuldigen. Meine Gedanken wurden von Zimmerdekorationen und nicht von wahnsinnig wütenden Männern beherrscht. Ich spielte mit dem Gedanken mich mit der Kunst der Malerei zu beschäftigen und versuchen meine restlichen Gepflogenheiten einer Magd ablegen, die ich mich mir mühevoll angeeignet hatte und nun als Adlige völlig unschicklich waren. Während die anderen Damen ihre Fertigkeiten in ihrer Jugend erlangt hatten, hatte ich Fußböden geschrubbt und Mahlzeiten vorbereitet. Nun ja. So war es wohl. Ich lenkte meine Gedanken auf ein wesentlich erfreulicheres Thema: Ich würde Leonard bald wiedersehen. Ihn in meinen Arm nehmen und nie wieder loslassen. Ich konnte mich dann wieder voll auf ihn konzentrieren.

Ich sah aus dem Fenster. Der Abend neigte sich dem Ende. Rot schimmerte am Himmel und leitete die Nacht ein. Lächelnd sank ich in mein Bett, doch nach einer merkte ich, dass ich viel zu aufgekratzt war um schlafen zu können. Schlaflos wälzte ich mich im Bett und fand doch keinen Schlaf. Schließlich gelang es mir nach einer Weile einzudösen. Ich wiegte mich in völliger Gewissheit, dass meine Welt nichts mehr erschüttern konnte, ich meine, ich reise morgen ab, da konnte doch nichts mehr passieren. Fataler Irrtum. Während ich mir halb im Schlaf Gedanken um Leonard machte, erfasste mich so ein wohliges Gefühl. Ich könnte ihn ja das Reiten beibringen lassen. Dann könnten wir gemeinsam ausreiten. Zart berührte es mich an der Schulter und zog sich meinen Nacken entlang. Eine kleine Spur von wohligen unsichtbaren Berührungen entstanden an meiner Wirbelsäule entlang. Zittrig rang ich nach Atem. Es fühlte sich an, als würden mich Fingerspitzen federleicht berühren. Überrascht riss ich meine Augen auf. Moment mal! Es waren Fingerspitzen! Mit einem Mal begriff ich, dass ich wirklich berührt wurde und ich wusste, er mich berührte. Erschrocken zuckte ich zurück und wich ans andere Ende des Zimmers. Völlig gelassen saß Ulrich auf dem Bett, auf meinem Bett, während sich meine Brust heftig hob und sank. Unangebracht breitete sich ein verräterisches Kribbeln in meinem Innern aus. Er stand auf und beängstigend langsam näher. Es erinnerte mich an einen Jäger, der sich an seine Beute heranpirschte.

Mit zitternder Hand deutete ich auf die Tür, „ Du hast hier nichts zu suchen! Geh weg!“ Ulrich lachte leise, „Ich möchte, dass du mir eine Frage beantwortest“ Er trat einen Schritt näher und mein Bauchkribbeln verstärkte sich. Ich atmete tief durch, damit die wachsende Wärme in mir nachließ. Aufgebracht stieß ich den Atem aus, „Ich muss dir gar nichts beantworten! Morgen werde ich abreisen und wir werden und nie wieder sehen. Es gibt kein gemeinsames Leben oder gar L-Liebe! Jetzt Geh!“ Einen Moment lang flackerte in seinem Gesicht Schmerz auf, doch dann verschloss sich sein Gesicht wieder und er lächelte spöttisch und trat näher. Aufreizend stützte er seine Hände neben meinem Kopf, sodass ich zwischen seinen Armen gefangen war. Scheu sah ich ihn an, „Ulrich…Bitte lass es sein…“ Durchdringend sah er mich an, seine Augen versanken in die meinen, suchten etwas, suchten die Wahrheit. Sein Atem strich über meine Wange und ließ mich erzittern. „Ich habe verstanden, dass ich der Grund war, warum du wegliefest, dass ich Dinge getan habe, die unverzeihlich sind. Aber es gibt etwas, das ich trotz allem einfach nicht verstehe.“ In meinem Magen bildete sich ein Knoten. Wusste er etwa…? „Zwischen uns besteht eine Liebe, so rein, so einzigartig…“, „Eine Liebe, überschattet von verrat und Schmerz!“, entfuhr es mir. Erschrocken hielt ich mir die Hand vor dem Mund. Was sagte ich denn da? Hatte ich den Verstand verloren?! Ulrichs Mundwinkel zuckten, seine Stimme war nicht mehr als ein leises Flüstern, „Bekommt das Schloss in deinem Herzen endlich Risse?“ Schmerzhaft pochte mein Herz gegen die Brust, sodass es Ulrich mitbekam. Zärtlich legte er seine Hand auf meine Brust, lauschte meinen hämmernden Herzen. „Ach Schatz, du brauchst doch keine Angst haben“ Angst? Ich hatte doch keine Angst! Missbilligend wandte ich mich ab, „Ich habe dir nichts zu sagen. Geh weg! Ich will dich hier nicht haben!“ Sein Lachen dröhnte in meinen Ohren und verursachte einen so derartigen Tumult in meinem Innern, dass ich leicht schwankte. Ulrichs starke Arme umfingen mich und ließ mich völlig geborgen fühlen. Ich schloss meine Augen und ich konnte keinen einzigen vernünftigen Gedanken fassen. Für einen Moment lang. Denn dann begann Ulrich wieder zu sprechen. „Ich möchte, dass du mir nur zuhörst. Ich möchte, dass du meine Frage beantwortest“ Stumm schüttelte ich den Kopf, nicht mehr fähig ein Wort aus meiner verschnürten Kehle zu bekommen. Seine Stimme bekam einen drängenden Ton, „Damals hattest du mir gesagt, du empfindest nichts für Raphael, ich konnte dir nicht glauben, doch nun erkannte ich, dass du die Wahrheit gesprochen hattest. Nun bin ich mir nicht mehr sicher. Irre ich mich? War das nur eine Lüge gewesen. Was deine Mutter gesagt hatte…Liebtest du ihn wirklich? Liebtest du Raphael? Habe ich mir die ganze Zeit nur etwas eingebildet?!“ Wie gern hätte ich ihm gesagt, dass er Recht hatte. Ihm glauben machen, ich hätte Raphael geliebt, doch ich konnte es nicht. Meine Zunge schien schwer wie Blei, meine Kehle wie ausgedörrt. Kein einziges Wort kam über meine Lippen. „Verdammt Rachel!“, fluchend wandte er sich ab und raufte sich die Haare, „Du kannst ich nicht lieben! Du liebst mich! Ich weiß, dass du mich liebst!“ Getrieben von einem grenzelosen Kummer kam er auf mich zu, seine Augen funkelten düster. Er war mir so nah, so gefährlich nah. Leicht zitterten meine Beine und ich hatte das Gefühl, dass sie mich nicht lange mehr tragen würden. Seine verführerisch raue Stimme tat sein übriges. „Warum hast du Raphael geheiratet? Warum?“ ich musste schlucken. Ja warum? Ulrich war so gefährlich nah dran, mein Geheimnis zu lüften. Meine Kehle schnürte sich vor Angst zu. „Wage es nicht mir etwas zu fordern. Du hast kein Recht dazu. Es geht dich nichts an! Es ist meine Angelegenheit.“ Trotz meiner Angst bemerkte ich ein zunehmend angenehmes Kribbeln in meiner Magengegend. Daraufhin sagte er nichts. Wortlos sah er mich einfach nur an. Es herrschte eine derartig drückende Stille, die mich um den Verstand brachte. Zahllose Schmetterlinge schienen in meinem Innern zu tanzen. Zögernd hob Ulrich seine Hand und umschloss meinen Nacken. Seine Berührung war so unendlich sanft und wahnsinnig sinnlich, dass ich zerfloss. Sein Daumen strich zärtlich über meine Wange, streifte mein Ohrläppchen. Unwillkürlich erschauderte ich. Die Umgebung verschwamm, einzig allein er war von Bedeutung. Leidenschaftlich blitzen seine Augen. Mehr als deutlich bemerkte ich den Weg seiner Augen. Meine Lenden zogen sich sehnsüchtig zusammen. Die Intimität in seinen Augen ließ mich beinahe vergessen und mit einem Mal verschwand meine ganze Anspannung und schlagartig loderte mein Verlangen auf. Ein unbändiges Verlangen nach ihm, dass mich zu verzehren schien. Sein Knie streifte wie zufällig meinen Rock. Ich schwindelte und meine Beine zitterten. Ulrich schien auf etwas zu warten. Die Stille zog sich dahin und zögernd wagte ich es zu ihm aufzublicken. Schwerer Fehler. Es lag eine Aufforderung in seinen Augen, der ich nicht widerstehen konnte. Tu es! Mit einem Wimpernschlag war meine ganze Abwehr zerbrochen. Alles in mir schrie nach ihm und ich konnte mich nicht länger dagegen wehren. Bevor ich wusste, was ist tat, küsste ich ihn. Begierig schlang ich meine Arme um ihn und presste meine Lippen heißblütig auf ihn. Mein Blut kochte und ich fühlte mich völlig berauscht, in einer anderen Welt, in der alles möglich war. Ein Stromschlag durchfuhr meinen Körper und ergriff auch von Ulrich Besitz. Hungrig nahmen seine Lippen mich in Besitz und ließen keinen klaren Gedanken mehr zu. Alle mühevoll unterdrückten Gefühle brachen hervor und ich konnte es nicht länger leugnen. Ich liebte ihn! Und ich wusste was ich tat. Alles war vergessen, jeder Schmerz, jede Träne hatten keine Bedeutung mehr. Allein er und ich hatten Bedeutung. Das hier und jetzt.

Ulrich schien nur darauf gewartet zu haben. Stürmisch umschlangen mich seine Armen und er presste sich am mich, als wollte er jede Sekunde, die wir getrennt waren aus unserem Gedächtnis tilgen. Sein unersättlicher Mund entzückte mich und ließ mich beinahe schweben und nahm mir meine letzte Kontrolle über meinen Körper. Getrieben von einer höheren Macht schlangen sich meine Beine um ihn, während seine Zunge mich umschmeichelte, liebkoste und wahnsinnig machte. Stöhnend drängte ich mich an ihn und biss ich ihm zart in den Hals. Eine lange Zeit war vergangen, als wir uns das letzte Mal auf diese Weise berührt hatten und doch fühlte es sich an, als wäre es erst gestern gewesen. Wir kannten uns. Er wusste, was er tun musste und ich wusste wie ich ihn verzücken konnte. Wir waren eins.

Meine Hände wanderten begierig seinen Körper entlang, berührten jeden Muskel und zeichneten diese nach. Einen Moment lang hielt er inne, tat nichts anderes, als mich zu betrachten bis sein hungriger Blick den meinigen traf. Kein Wort fiel in dieser Stille und doch war es, als hätten wir bereits tausend Wörter gesagt. Sein Mund fand wieder den meinen und erneut versanken wir in unsere Welt. Mühelos trug er mich aufs Bett und knabberte sanft an meinem Ohrläppchen, während er mein Kleid aufknöpfte. Berauscht rang ich nach Luft, als seine Finger meine Haut berührten. Sanft strich seine Zungenspitze über meine Unterlippe, knabberte daran und schob sie dann in meinen Mund. Entzückt schmeckte die Süße seiner Zunge. Immer fordernder und drängender wurde sein Kuss, ließ mich erbeben bis ich mich jeder Faser meines Körpers nach ihm sehnte. Ich war bereit. Bereit, endlich die Liebe zwischen uns von neuem Glanz auflodern zu lassen. Impulsiv riss ich ihm die letzten störenden Fetzen Kleidung, die unsere Haut noch trennte, vom Leib und schmeckte genussvoll das Salz seiner Haut. Ulrich stöhnte lustvoll auf und zahlte es mir heim. Rücksichtslos zerrte er mein Kleid von meinen Schultern, entledigte mich von allem Stoff und hielt mit zitterten Atem inne, als er meinen Körper betrachtete. Andächtig stockte ihm der Atem, als er mich völlig hüllenlos erblickte. In seinen Augen lag ein sehnsuchtsvolles Glitzern, das mich erzittern ließ. Zweifel erfassten mich. Jahre waren vergangen seit er mich das letzte Mal so gesehen hatte. Damals hatte er den Körper eines jungen Mädchens gesehen, nicht von Verletzungen und einer Geburt beeinträchtigt. Wie würde nun reagieren? Sich von mir abwenden? Zaghaft blickte ich zu ihm auf. Seine Augen zeigten mir sein grenzenloses Entzücken und den Ausmaß seiner Liebe. Mein Herz war voll von Glück. Zärtlich zog ich zu mir hinunter und zog begierig eine Spur von Küssen auf seinen Körper. Der Schweiß brach ihm aus, als er sich beherrschen musste nicht sofort zu explodieren, als meine Spur sich nach unten bewegte. Ich wagte mich immer weiter vor, bereit ihm Vergnügen zu bereiten, als er mich herumwirbelte, sodass er mich mit seinem ganzen Körper umfing. Sein keuchender Atem traf meine Haut, schien mich zu verbrennen, während seine Lippen ihren Weg zu meinen Busen fanden. Neckisch nahm sein Mund meine Knospe in beschlag und knabberte zärtlich daran. Heiser schrie ich auf, doch das war nicht das Ende seiner süßen Folter. Seine Finger glitten über meine Schenkel, strichen über die Innenseiten und formten kleine Kreise, die mich völlig rasend machten. Unstillbare Gier nach mehr öffneten sich meine Beine. Er kam dieser Einladung unmittelbar nach. Seine Fingerspitzen glitten immer höher, immer höher, berührten mich an meiner empfindlichsten Stelle, dass ich entzückt aufstöhnte. Lustvoll bog ich meinen Rücken zurück und krallte mich in sein Haar. Ulrich lachte leise, spielte ein gefährliches Spiel und gab mir das Gefühl jeden Moment zu explodieren. Doch plötzlich zog er seine Hand zurück und wandte sich anderen Stellen meinen Körpers zu. Unwillig wollte ich aufbegehren, doch er stoppte jeden Protest mit einem einzigen leidenschaftlichen Kuss. Um es ihm heimzuzahlen biss ich ihm neckisch in seine Brustwarze und liebkoste sie dann mit meiner Zungenspitze. Meine Hand glitt über seine Brust immer tiefer und umfasste erhitzt sein Glied. Groß und pulsierend lag er in meiner Hand. Ulrich zog scharf den Atem ein, nahm meine Hand und knabberte an meinen Fingerspitzen. „Genug gespielt“, flüsterte er heiser. Lächelnd biss ich ihm in die Schulter, „Dann mal los“ Eine weitere Aufforderung benötigte er nicht. Begierig drängte er sich zwischen meine Beine und glitt sanft in mich. Meiner Kehle entwich ein verzückter Aufschrei. Geschmeidig bewegte er sich, trieb ich immer mehr am Rande des Wahnsinn und der Erfüllung. Er fand seinen Rhythmus, seine stürmischen Stöße verursachten eine pulsierende Hitze, die meinen Körper bemächtigte und nach mehr verlangte. Ulrich erfüllte ihr den Wunsch nur allzu gern. Einen Momentlang zog er sich zurück, nur ein Stück und doch veranlasste es mich protestierend zu stöhnen. Dann aber drang er hemmungslos wieder in mich hinein. Er lachte leise, als er mich mit der gleichen Vorgehensweise quälte. Vor und zurück. Mein Kopf schwirrte von den ganzen Emotionen, die mich erfüllten. Völlig berauscht stöhnte ich auf und presste mich an ihn damit er mich völlig erfüllte. Und mit einem Mal explodierte ich. Wenige Augenblicke später kam Ulrich mit einem letzen Stoß zum Höhepunkt. Keuchend verharrten wir eine Weile, keiner wagte es sich zu bewegen und nichts störte diese friedliche Stille. Seufzend glitt er von mir ab und umschlag mich sogleich mit seinen Armen. Friedliche Geborgenheit umhüllte mich wie ein Schleier. Zärtlich bedachte Ulrich meine Schulter mit kleinen Küssen. Lächelnd wandte ich mich ihm zu, sorgsam darauf achten, seine beruhigende Wärme nicht zu verlieren, „Ich liebe dich“ Er lachte leise und sah mir tief in die Augen, „Und ich liebe dich“ Seufzend schmiegte ich mich an ihn, atmete seinen berauschenden Duft ein, spürte seinen stetigen Herzschlag. Die Finger Ulrichs strichen beruhigend kleine Kreisbewegungen auf meiner Haut, „ Nach so langer Zeit bist du endlich wieder mein“ Ich erstarrte und sah ihn bedrückt an, „Ulrich-“ Sanft legte er seinen Finger auf meinen Mund und unterbrach somit meinen Protest. Zärtlich knabberte er an meinem Hals, „Nicht jetzt. Brich mir nicht mein Herz, jetzt da es gerade erst geheilt ist“ Sein Daumen strich sanft über meine Unterlippe. Ich lächelte leicht, „In Ordnung.“ Liebevoll knabberte ich an seinen Fingerspitzen. Mir ging mein Herz auf, als er mich voller Liebe ansah. Aber mit einem Mal bemerkte er die Narben an meinem Handgelenk, und sein Blick verhüllte sich. Ich wollte meinen Arm wegziehen, ihn bedecken, doch er hielt ihn fest und betrachtete sie Narben. „Grethe?“ Stumm nickte ich. Langsam beugte er sich zu mir hinüber und küsste behutsam meine Narben. Mein Herz schwoll an und fand einfach keine Worte. Ulrich seufzte, „Es ist meine Schuld.“ Energisch schüttelte ich den Kopf, „Nein! Grethe war es. Sie hat mich aus Neid und Missgunst verletzt, nicht du. Du warst vielleicht der Grund aber das war es wert“ Glücklich sah er mich an, „Meinst du das ernst?“ Lächelnd nickte ich. Ulrich seufzte leise und nahm mein Gesicht zärtlich zwischen seine Hände. Sanft berührten seine Lippen meine. „Ich habe dich gar nicht verdient“ Ich lachte, „Ach Unsinn!“ Zärtlich sah er mich an, „Ich wüsste nicht, was ich nur ohne dich tun würde“

Doch dann wurde sein Miene plötzlich ernst. „Ich muss dir etwas sagen. Du musst es wissen“ Ich wusste bereits, was er sagen wollte, doch nun war nicht die Zeit um ihn zu unterbrechen. Nicht der richtige Augenblick, um mit ihm zu streiten und diesen wunderbaren Moment zu zerstören. Ulrich atmete tief ein und sah mich so unendlich traurig und wütend aus, dass es mir einen Stich versetzte, „ Es gibt Dinge, die ich getan habe, so grauenvoll und unverzeihlich, dass du mich hassen müsstest. Ich hasse mich dafür. Aber du musst mir glauben, wenn ich sage, dass ich das nicht war. Es war nicht ich. Jede Tat, jede Grausamkeit die ich dir angetan habe, tat ich unwillentlich.“

Stumm hörte ich seine Worte, erlebte ein weiteres Mal das Tosen seiner Gefühle, sah seine Schuldgefühle und mein Herz zerbrach. Tröstend strich ich ihm über seinen Arm. „Meine Mutter“, wutverzerrt schloss er einen Moment lang seine Augen, „hat mir Kräuter gegeben, die mir helfen sollten. Doch alles was diese Kräuter bewirkt hatten, war, dass meine Gefühle unterdrückt wurden. Alles was ich bin hatte sie mit ein paar Kräutern einfach ausgeschaltet, weil sie der Meinung war, sie müsste mir den ganzen Unsinn und die Kinderei austreiben. Deshalb verabreichte sie mir Drogen!“ Bitterkeit überschattete sein Gesicht und ließ ihn noch verletzlicher erscheinen, „Ihr Eingreifen hat so viel zerstört und zunichte gemacht!“ Ich wusste, wie viel ihm seine Mutter einmal bedeutet hatte. Für ihn war eine Welt zusammengebrochen. Seine wunderbare Mutter hatte ihm ihre Schattenseite gezeigt. Ich wollte ihn trösten, ihn nicht so gequält sehen. Zärtlich vergrub ich meine Hand in seinem Haar und massierte ihn sanft. „Ich weiß.“ Überrascht sah er mich an. Liebevoll stupste ich meine Nase an seiner Wange, bedeckte seine Mundwinkel mit Küssen, „Magdalena hat es mir erzählt. Ich verstehe es. Damals nicht. Aber nun weiß ich, das warst nicht du.“ Erleichtert strahlten seine Augen. Lachend umarmte er mich, begierig fanden seine Lippen die meinen, „Es gibt doch noch Hoffnung!“ Doch mit einem Mal zog er sich von mir zurück, sein Gesicht war überschattet von grenzenlosen Schmerz, Zweifel und Eifersucht. Eindringlich sah er mich an, „Sag mir, hast du ihn geliebt? Hast du Raphael geliebt?“ Lange sah ich ihm in die Augen, versuchte zu ergründen, was in ihm vorging und küsste ihn dann zärtlich, „Nein. Ich habe ihn nie geliebt.“ Befreit atmete er aus, „Endlich! Unsere Liebe hat eine Chance.“ Zweifelnd senkte ich meinen Blick. Ich konnte ihm dazu keine Antwort geben. Ich bezweifelte das. Doch schnell warf ich meine düsteren Gedanken beiseite und sah ihn schelmisch an. Grinsend setzte ich mich auf ihn und knabberte lustvoll an seinem Hals, bis er nach Atem rang. „Lass uns nicht darüber nachdenken. Nicht jetzt. Lass uns gar nicht denken und lass mich dich lieben“

 

Das erste Mal seit langem schlief ich völlig ruhig und traumlos. Keine Alpträume, kein abruptes Aufwachen. Allein der kalte Morgenwind schaffte es, mich aus meinem tiefen Schlaf zu reißen. Strahlender Sonnenschein erwartete mich, als ich meine Augen öffnete. Unwillkürlich lächelnd richtete ich mich auf und wandte mein Gesicht zur Sonne hin.

Und doch drängte sich schlagartig die gestrige Nacht in meine Gedanken. Beschwingt räkelte und streckte ich meinen Körper. Mein Körper glühte noch und wollte wieder mehr. Es war die atemberaubendste Nacht in meinem Leben gewesen. Mein ganzes Zögern und Weigern waren sinnlos gewesen, denn die Wahrheit war unumstößlich: Ich liebte ihn! Ich hatte ihn schon immer geliebt. Raphael hatte Recht gehabt. Ulrich war der einzige Mann, dem mein Herz gehört. Und doch nachdem der Zauber der Nacht verflogen war, kamen nun wieder meine Zweifel. War das genug. Reichte es zu lieben und geliebt zu werden?

Mit einem Mal wurde ich mir gewahr, dass mein Bett leer war. Verwirrt strich ich mir einzelne Strähnen aus dem Gesicht. War er schon gegangen. Ich hätte ihn doch gehört, wenn er die hinter sich geschlossen hätte.

Ein Geräusch aus dem Nebenzimmer schreckte mich aus meinen Gedanken. Freudiges Jauchzen drang aus dem Raum. Heiter sprang ich auf und folgte dem bekannten und geliebten Geräusch. Vergessen war die Problematik mit Ulrich. Leonard war da! Voller freudiger Erwartung flog ich beinahe. Doch das was ich nun sah, verschlug mir den Atem. Mein süßer kleiner Leonard spielte fröhlich mit seinen Bauklötzchen, jauchze vor Freude und Ulrich saß neben ihm, lächelnd und beobachte ihn bei seinem Spiel. Geschockt setzte mein Herz einen Moment lang aus, als Ulrich anfing zu lachen. Amüsiert beobachtete er, wie Leonard völlig konzentriert ein Gebäude konstruierte und jedes Mal scheiterte. Mir wurde schwarz vor Augen. Meine Beine gaben nach und ich musste mich an dem Türrahmen festklammern um nicht zu fallen. Mein schlimmster Alptraum war Wirklichkeit geworden. Panische Angst schnürte mir die Kehle zu. Leonard runzelte seine Stirn, als Ulrich lachen musste. Alles in mir drängte mich, Leonard zu schnappen und zu flüchten, doch ich blieb wo ich war. Verzweifelt versuchte ich mich zu bewegen, nur ein Schritt, nur eine kleine Bewegung, doch ich war völlig erstarrt. Was soll ich tun? Wusste er es? Wusste er, dass Leonard sein Sohn ist? Verzweifelt klammerte ich mich an den Gedanken, Ulrich hätte die Ähnlichkeit zwischen ihm und Leonard nicht bemerkt. Doch diese Hoffnung starb, als Ulrich begann zu sprechen: „Vor einer Weile kam eine Magd mit dem Kleinen. Ich wollte dich nicht wecken und habe auf ihn aufgepasst“ Ich zuckte zusammen als seine Stimme in der Stille erklang. Sie klang rau und nach unterdrückter Wut. „Als das Mädchen mich sah wurde sie ganz nervös und wollte den Jungen zu deiner Mutter bringen. Zunächst verstand ich nicht warum, doch als ich mir den Jungen genauer ansah, wusste ich es.“ Ich fühlte mich einer Ohnmacht nahe, zitternd versuchte ich es meine Stimme unter Kontrolle zu halten, während sich in mir bodenlose Angst ausbreitete, „Bitte geh.“ Aber Ulrich sprach weiter als hätte er mich nicht gehört, „Ich hatte den Jungen schon oft gesehen und doch fiel es mir erst heute auf“ Ich brachte kein Wort heraus und mich erfüllte grenzenloses Entsetzen. Er wusste es! Ulrich atmete tief durch und sah mich an. Dieser grenzenlose Schmerz und seine Verwirrung ließen mich taumeln. Abrupt sprang er auf und erreichte mich binnen weniger Schritte. „Er ist mein Sohn, habe ich Recht?“ Erschöpft senkte ich meinen Blick, konnte ich seinem bohrenden Blick nicht länger standhalten, „Du kennst die Antwort“ Er schnaubte und packte meine Arme, seine Finger gruben sich in meinen Arm, „Ich will es hören! Ich will es aus deinem Mund hören!“ Ich sah den Wahnsinn, der langsam von ihm Besitz nahm und es versetzte mir einen Stich. Ich wollte ihm doch nicht mehr weh tun, als ich es schon getan hatte. Ich wollte sein Leid nicht sehen. Wieso waren wir beide dazu verdammt uns gegenseitig zu verletzen? Aber ich musste es ihm sagen, er musste es wissen. Bevor ich jedoch antworten konnte, entdeckte mich nun auch Leonard, „Mama!“ Ulrich zuckte zurück. Ich zwang mich zu einem Lächeln und nahm Leonard auf meinem Arm. Ich drehte mich zu ihm um und sah ihn traurig an, „Sieh ihn dir an. Sieh die Liebe mit der er geschaffen wurde“, meine Stimme war kaum noch ein Flüstern, „Ja, er ist dein Sohn“ Ohne noch ein weiteres Wort zu verlieren machte er auf dem Absatz kehrt und verschwand. Besorgt blickte ich ihm nach, wollte ihm nachlaufen, aber Leonard forderte meine ganze Aufmerksamkeit. Zärtlich stupste ich meine Nase an seine, „Du hast mir gefehlt, mein Schatz“, „Wer war das Mama?“ Ich erstarrte und einen Moment lang schwieg ich. Was sollte ich jetzt sagen? „Niemand mein Schatz. Nur ein Freund.“ Oder auch nicht mehr. Ich fühlte mich schrecklich. Ich hatte so eine wunderbare Nacht mit Ulrich erlebt, wir waren für einen Augenblick glücklich gewesen und ich hatte ihn erneut ins Verderben gestürzt. Völlig aufgewühlt rief ich nach Theresa. Ich musste jetzt allein sein, sonst würde ich mich Anwesenheit Leonards nicht mehr beherrschen können. Als Theresa eintrat, wirkte sie nervös. Sie warf mir einen ängstlichen Blick zu und ich musste Lächeln, „Keine Angst. Du hast doch keine Schuld. Es ist meine. Ich hätte Leonard nicht hinterher reisen lassen sollen. Sie wirkte kurz erleichtert, doch dann blickte sie mich besorgt an, „Der Mann. Er ist es, habe ich Recht?“ Wortlos nickte ich. Mit keinem Wort erwähnte Theresa ihre Begegnung mit Ulrich an so früher Stunde in meinem Zimmer und ich war ihr dafür so unendlich dankbar. Behutsam setzte ich Leonard ab und überließ ihn Theresa. Nun konnte ich mich allein meinen Gefühlen und den Schmerz in meiner Brust kümmern. Der einzige Ort, der mir einfiel war der See. Ruhig und gelassen kräuselten sich die Wellen, völlig unberührt von dem Kummer und Schmerz der Welt. Kümmerte sich nicht um das Geschehen der Welt und war nur damit beschäftigt, den Boden mit seinen Lebenssäften zu nähren. Einen Moment lang blieb ich vor dem See stehen und schloss meine Augen. Endlich Ruhe. Doch mit einem Mal bemerkte ich jemanden nicht weit von mir. Ich erstarrte. Ulrich! Unauffällig wollte ich mich davon schleichen, ich konnte jetzt nicht mit ihm reden, doch er hielt mich auf, „Bitte bleib.“ Seufzend rieb er sich seine Augen, „Das ist der Grund warum du Raphael geheiratet hast“ Es war eine Feststellung von ihm, keine Frage. Gepeinigt schüttelte er den Kopf, „Warum hast du es mir denn nicht gesagt?“ Ich setzte mich neben ihn und zuckte mit den Schultern, „Es gab keine Gelegenheit. Außerdem war ich der Meinung, du verdientest es nicht zu wissen.“ Ulrich schüttelte den Kopf und schwieg, aber ich nicht. Unerbittlich sprach ich weiter, ich konnte in diesem Moment nicht auf seine Gefühle Rücksicht nehmen, auch wenn es schmerzte. „Ich hatte gedacht, ich würde dich nie wieder sehen, du wärest für immer aus meinem Leben verschwunden. Wenn es nach mir gegangen wäre, hättest du niemals von ihm erfahren“ Ulrich fuhr auf und starrte mich verletzt an, „Er ist mein Sohn!“, Nein! Er ist Raphaels Sohn“ Ulrich zuckte zurück. Sanfter fügte ich hinzu: „In unserer Gesellschaft ist er Raphaels Sohn. Kein Bastard von einer entehrten und verschwundenen Grafentochter. Darum habe ich ihn geheiratet. Damit mein Sohn einen Namen hat“ Ihm entwich ein klagender Laut, „Ich hätte ihm einen Namen gegeben!“ Ich lächelte leicht, „Ich weiß. Doch du warst für mich nur ein Alptraum gewesen, dem ich entfliehen wollte“ Mit einem Mal ruckte Ulrichs Kopf hoch und hoffnungsvoll sah er mich an, „Aber heute ist es möglich“ Zärtlich nahm er mein Gesicht in seine Hände, „Nun können zusammen sein, so wie es uns bestimmt ist“ Seufzend wandte ich mich ab, „Nein. Es ist zu spät! Wir beide haben uns getrennt voneinander ein neues Leben aufgebaut. Wir haben uns verändert. Wir kennen uns doch gar nicht mehr!“ Vehement schüttelte Ulrich den Kopf, „Das ist egal! Alles was ich wissen muss, weiß ich bereits“ Traurig blickte ich ihn an, „Mir reicht es nicht. Ich kann es nicht riskieren, kann keine Zukunft mit dir aufbauen, wenn ich mir nicht sicher sein kann, ob ich dir vertrauen kann.“ Gekränkt sah er mich mit großen Augen an, seine Stimme war kaum mehr als ein erschüttertes Flüstern, „Du vertraust mir nicht?“ Meine Kehle schien wie zugeschnürt, „Nein.“ So viele Emotionen spiegelten sich in diesem Moment in seiner Miene, dass ich Mühe hatte sie zu erkennen. Geschockt und verletzt blickte er mich an. Ich floh. Ich konnte das nicht länger ertragen.

Ich fühlte mich zerrissen, innerlich wund. Warum mussten wir uns nur immer gegenseitig verletzen?

Wenig später fand mich Mutter in einem katastrophalen Zustand.

Schweigend sah ich Leonard beim Spielen zu, betrachtete sein glückliches Gesicht und fragte mich wie zwei Personen, die nichts anderes konnten, als sich zu verletzen, so ein wunderbares Kind hervorbringen konnten. Helene trat fröhlich ein, „Charlotte bist du bereit-„, abrupt verstummte sie als sie zwei Dinge bemerkte: Leonard und mein aufgelöstes Ich. Besorgt strich sie mir über den Arm, „Was ist los?“ Schwach lächelte ich, „Ich möchte nur noch weg.“ Verwirrt blickte zwischen mir und Leonard hin und her. „Was macht Leonard denn hier?“ Schniefend zuckte ich mit den Schultern, „Ich wollte ihn zu Hause nicht allein lassen. Ich hatte ja keine Ahnung, dass du mich hierherbringen würdest. Ich hielt es für eine gute Idee.“ Kopfschüttelnd sah sie mich an, „Du und deine guten Einfälle!“ Ich wollte etwas erwidern, doch nun schien auch Leonard zu bemerken, dass etwas passiert war. Er kuschelte sich an mich und sah mich traurig an, „Bist du traurig Mama?“ Rasch wischte ich mir meine Tränen weg, „Aber nein. Ich bin nur ein wenig erschöpft. Aber ich freue mich auf die Reise!“ Leonard zog einen Schmollmund, „Wir sind doch schon die ganze Zeit unterwegs“ Lächelnd strich ich ihm einzelne Strähnen weg, die sich in seinem Gesicht verirrten, „Keine Sorge, das macht Spaß“ Es schien Leonard zu genügen, denn er wandte sich wieder seinen Holzklötzen zu. Helene schwieg während sie den Bediensteten anwies, ihr Gepäck zu verstauen. Liebevoll nahm ich Leonard an die Hand und ging mit ihm zur Kutsche. Bevor Katharina und Eberhard ihn jedoch sehen konnten, übergab ich ihn an Theresa, die ihn schnell in die Kutsche brachte. Ich brauchte nicht noch ein weiteres Debakel mit Ulrichs Eltern. Hastig zwang ich mich zu lächeln während ich ihnen lieber für immer den Rücken gekehrt hätte. Doch hier stand ich und empfand nur Verachtung, die ich mit einem Lächeln zu kaschieren versuchte.

„Ach meine Liebe“, seufzte Katharina und sah mich verschlagen an, „Wie schade, dass Ihr und schon verlässt. Eure Anwesenheit war wirklich reizend gewesen“ Meine Hand zuckte gefährlich. Ich musste aufpassen, dass meine Hand nicht ausrutschte und in ihrem Gesicht landete. Stattdessen sagte ich: „Das ist wahr. Doch ich hoffe Ihr verzeiht uns, denn wir müssen wirklich aufbrechen“ Ruckartig drehte ich mich um und ging. Sollte sich Mutter um weitere Höflichkeiten und heuchlerischen Schmeicheleien kümmern.

Frohgemut hüpfte ich beinahe zu der Kutsche. Doch mit einem Mal war alles anders. Der Weg bis zur Kutsche, die wenigen Schritte, schienen unüberbrückbar. Mein Rücken kribbelte, als würden unzählige Dornen drüber streichen. Ich konnte den Blick zweier grauen Augen förmlich spüren. Meine Augen huschten nervös hin und her und ich musste mich zwingen, mich noch einmal umzudrehen. Ich wusste, er war hier, irgendwo, beobachtete mich, verfolgte mich mit seinem stechenden Blick und das trieb mich beinahe in den Wahnsinn. Mein Schritt beschleunigte sich. Erleichtert sank ich in die Kutsche und konnte erst jetzt konnte ich wieder ausatmen. Seufzend schloss ich meine Augen, „In diesem Moment sehne ich nach einer wirklichen Erholungskur“ Mutter, die nun endlich eingestiegen war, lachte. „Ja das würde uns bestimmt gut tun.“ Ihr Lachen verstummte und sie wirkte bedrückt, „Das war nun wirklich nicht so ein sagenhafter Einfall von mir gewesen“ Ich nickte ihr zustimmend zu. Lachend schloss sie die Augen. Nach einer Weile friedlichen Schweigens, das nur von Leonards endlosem Geplapper unterbrochen wurde sah sie mich beunruhigt an. „Hat Ulrich ihn gesehen?“ Ich wusste wen Mutter meinte und nickte nur erschöpft. Sie runzelte die Stirn und sagte dann, „Ich würde sagen, wir haben uns eine Erholungskur verdient. Ich sage dem Fahrer Bescheid“ Abermals nickte ich, froh nicht darüber reden zu müssen, was Ulrichs Erkenntnis nun für Folgen hatte und freute mich einfach auf die Kur.

Der Erholungsort des Schwesterordens, das Magdalenenstift entpuppte sich als einfach nur wohltuend. Ich konnte tagelang reiten ohne mir finstere Gedanken über jemanden zu machen und wusste Leonard sicher in den Händen der Schwestern. Ihm gefiel es sehr von den Frauen so umsorgt zu werden.

Kein Gefühlschaos oder Lügen und Intrigen trübten meinen Alltag. Es herrschte eine so friedvolle Ruhe, dass ich jegliche finstere Tage vergessen konnte. Doch irgendwann mussten wir auch nach Hause zurückkehren. Wehmütig blickte ich zurück und wünschte, ich könnte noch ein wenig länger bleiben. Ich war so schön abgeschieden von allem gewesen. Abseits vom realen Leben und dessen Härte.

Doch Leopolds Empfang entschädigte die Abreise vom Magdalenenstift. Er umarmte mich innig und drückte mir einen Kuss auf die Stirn, „Schön dass ihr wieder hier seid“ Dann hob er Leonard hoch und wirbelte ihn freudestrahlend herum. Und schließlich wandte er sich an seine Frau. Strahlend nahm er sie in seine Arme und küsste sie liebevoll. Ich spürte einen Stich, als ich sie so sah. Sie liebten sich heiß und innig. Es erinnerte mich stark an die Nacht mit Ulrich. Da hatte er mich mit demselben verliebten Blick angesehen. Meine Eltern hatten etwas, dass ich wohl nie haben würde. Seufzend folgte ich den Bediensteten in meine Gemächer und sah ihnen zu, wie sie die Truhen abstellten, ausräumten und leise gingen. Ich wollte nur noch schlafen. Doch jegliche Entspannung fiel von mir ab, als mir der Brief auf meinem Sekretär auffiel. Ulrich. Die Briefe, die er mir geschrieben hatte, hatten nun eine ganz andere Bedeutung. Ich wollte mich mit dem nicht befassen. Wollte nicht darüber nachdenken, was er wohl geschrieben hatte und schon gar nicht wollte mich wieder völlig aufwühlen lassen. Doch es brachte nichts, sich mit anderen Dingen zu beschäftigen, meine Gedanken lagen allein auf dem Sekretär. Fluchend sprang ich auf, nahm den Brief und öffnete den Brief. Diesmal gab es kein Zögern, nichts hielt mich zurück und es drängte mich, seine Worte zu lesen. Nun wusste ich, man konnte seinen Worten glauben schenken. Sie enthielten die Wahrheit und keine Lügen.

Meine liebste Charlotte,

jeder Tag ohne Dich, war ein Tag ohne Sonne.

Alles erschien mir grau und bedeutungslos, ohne dich, deiner Liebe und deiner Schönheit.

Deine Abwesenheit brannte in mir ein tiefes Loch, hinterließ in mir eine gähnende Leere, die mich in den Wahnsinn trieb.

Mein Herz seufzt leise, sehnsuchtsvoll klammert es sich an Erinnerungen, die deinem wahren Ich nicht gerecht wird. Es genügt mir nicht.

Du bist des meines Herzens Wunsch, mein Atem. Wie kann ich dir nur begreiflich machen, wo meine Worte versagen.

Das immerwährende Feuer, das mich zu verbrennen scheint, brennt noch lichterloh.

Umstände machten mich zum Monster, das ich nicht bin.

Denke nicht an den Schmerz,

denke an unsere Liebe, die jede Finsternis hell erleuchtet und jedes Leid auslöschen kann .

Ich bitte dich,

erlaube es dir zu lieben.

Liebe mich

 

Ulrich

 

In mir riss und brannte es. Blind sah ich die Worte und las den Brief ein weiteres Mal. Eine Welle des Elends überkam mich. Er liebte mich! Für alle Zeiten. Und ich liebte ihn. Doch eine Liebe ohne Vertrauen war nichts, nur eine Talfahrt von Schmerz. Meine Augen brannten und ich würde jeden Moment anfangen zu weinen. Hastig schmiss ich den Brief ins Feuer. Ich konnte mir das nicht antun. Nicht noch einmal. Tränen liefen mir unaufhaltsam die Wange entlang. Nein. Eine Liebe ohne Vertrauen war nichts.

 

Da stand das Gemäuer. Groß und mächtig. Dafür gebaut um Jahrzehnte lang die Bewohner vor Feinden zu schützen, die Attacken zahlreicher Feinde abzuwehren und den Bewohnern ein glückliches Leben zu bieten. Er blickte hinauf, hinauf auf das Gebäude, das sein Leben ein weiteres Mal erschüttern würde. Einst hatte es ihm an einem unbedeutenden Tag auf einem belanglosen Fest wieder einen Sinn im Leben gegeben. Hatte ihm in seiner grauen Welt seine Sonne wiedergegeben, die er so schmerzlich vermisst hatte. Und nun würde er zurückkehren. Er würde zurückkehren und um seine Liebe kämpfen. Um seine Liebe und seinen Sohn. Er würde ihn endlich kennenlernen. Seinen Sohn! Wie fremd das für ihn war. Ein einziger Gedanke hatten ihn in den letzten Wochen beherrscht: Er musste ihn sehen, er musste seinen Sohn sehen! Kopfschüttelnd zügelte er sein Pferd. Er konnte es nicht glauben. Sein Sohn war ihm wie aus dem Gesicht geschnitten und doch hatte er jahrelang keine Ahnung über seine Existenz gehabt. Grenzenlose Wut hatte ihn erfüllt als er an all die verpassten Momente im Leben seines Sohnes dachte. An die Nähe von Mutter und Sohn. Und was hatte er?! Nichts!

Er hatte immer gedacht, der Junge wäre nur ein Beweis für Charlottes Betrug gewesen, dass sie Raphael geheiratet hatte und nicht ihn. Doch als der Kleine ihn mit seinen großen Augen ansah fühlte er sich in seine Kindheit zurückversetzt, wenn er sein Gesicht in den Spiegelungen des Wassers gesehen hatte. Ihm fiel es wie Schuppen von den Augen. Der Junge war Charlottes und sein Sohn! Und er wusste noch nicht einmal seinen Namen! Fassungslos hatte er den Jungen angestarrt, während dieser unbekümmert weiter spielte.

Und ausgerechnet Charlotte sprach von Verrat! Wie hatte sie ihm das nur antun können. Ihm einfach verschweigen, dass er einen Sohn hatte. Einen Sohn! Er war Vater all die Jahre und er hatte keine Ahnung gehabt. Es war reiner Zufall gewesen, dass er sie in der Nacht aufgesucht hatte. Er erinnerte sich noch genau, wie es dazu kam…

Gedankenverloren starrte er seinen Becher an. Tiefrot schimmerte der unverdünnte Wein. Ulrich nahm einen tiefen Schluck und leerte den Becher. Er hatte schon unzählige Male den Becher nachgefüllt und dennoch war es nicht genug. In sich wand sich ein dunkler Schleim genannt Eifersucht durch seine Organe und verätzte ihn. Nicht zum ersten Mal an diesem Abend dachte er an das ereignisvolle Essen. Seine Mutter hatte Recht so ungern er es auch zugab. Es gab keinen Grund, dass Rachel Raphael geheiratet hat. Ihm fiel einfach kein einziger Grund ein! Dass sie ihn lieben könnte war unmöglich! Oder? Er konnte diese Möglichkeit nicht ertragen. Mit einem weiteren Schluck verdrängte er jeden weiteren Gedanken daran. Und doch hämmerte es in seinem Kopf und machte ihn verrückt. Der einzige Grund für eine Heirat ist Liebe. Liebe. Sie liebte ihn. Raphael und nicht ihn. Die Worte waren wie Säure die sich durch seinen Innern fraß und jeden Widerstand auflöste. Mit zitternden Händen öffnete er die Schublade seines Sekretärs und griff nach dem verhassten Beutel. Er musste sich beruhigen, damit er nicht zu Rachel rannte. Er wusste was er sich damit antat, wusste dass er sich somit jede Chance auf Rachel zunichte machte, aber hatte keine Wahl. Er konnte nicht anders. Sein ganzer Körper verzehrte sich nach den grünen Blättern. Und außerdem, dachte er sich, als er mit Todesverachtung die Kräuter nahm, Rachel wollte ihn doch eh nicht. Sie hatte es ihm deutlich zu verstehen gegeben. Augenblicklich fühlte er sich besser. Und doch erfasste ihn eine Welle von Scham. Warum konnte er, ein sonst so starker und mächtiger Mann, der jeden Kampf gewann, diesen nicht gewinnen? Die Kräuter hatten sein Leben zerstört und hier saß er, erfüllt von der zerstörerischen Substanz und spürte diese vertraute Gefühllosigkeit. Gramerfüllt krümmte er sich. Er versagte. Ein weiteres Mal. Hastig sprang er auf und rannte aus dem Zimmer. Er musste hier raus! Musste etwas gegen den Drang tun, der ihn nur zu Rachel führen würde und ihn einen weiteren schrecklichen Fehler machen ließ. Ulrich rannte und rannte. Rannte so schnell er konnte. Ihn interessierte es nicht wohin, er musste einfach weg. Er wusste nicht wie lange er gelaufen war, aber als er schließlich langsamer wurde war er schweißgebadet und sein Hemd klebte an seiner Brust. Vor ihm erblickte er den See. Er fühlte sich so ausgelaugt. Ohne einen weiteren Gedanken an seine Kleidung zu verschwenden sprang er ins Wasser. Mutlos ließ er sich vom Wasser treiben uns starrte die hellen Lichter am nachtschwarzen Himmel an. „Nicht los lassen“, hatte sie geflüstert und ihn mit ihren großen blauen Augen ängstlich angesehen. Hatte ihm ihr ganzes Vertrauen, ihre Liebe geschenkt. Und er hatte beides verloren.

Ulrich wusste nicht wie lange er so im Wasser lag, als er schließlich wieder aus dem Wasser stieg und auf den Weg in sein Zimmer machte. Doch er fühlte sich so kraftlos. Jeder Schritt war für ihn eine Überwindung. Eine bleierne Müdigkeit überkam ihn und ließ ihn innehalten. Er wollte diese unsäglichen Gedanken nicht loswerden, er wollte Gewissheit! Aber wollte nicht zu ihr gehen, ihr womöglich wieder einmal wehtun oder- es erfüllte ihn mit Schrecken- die eiternde Wunde wieder aufreißen. Erschöpft sank er in sich zusammen und verharrte regungslos, unfähig sich auf einen einzigen Gedanken auf etwas anderes als auf Rachel zu konzentrieren. „Herr Ulrich?“ Erschrocken wirbelte Ulrich herum und erblickte eine ältere Version seiner Herzensdame. Fürstin Helene lächelte leicht, „Ist alles in Ordnung bei euch?“ Ulrich zwang sich zu nicken. Die Fürstin neigte den Kopf und blickte ihn mitfühlend an, „Ich hoffe Ihr vergebt mir, aber ich glaube meine Tochter ist der Grund für eure Versstimmung. Deshalb möchte ich euch einen Rat geben“, Ulrich sah sie an und wunderte sich über ihren Scharfblick. Sie lächelte. „Charlotte ist nicht perfekt. Sie ist dickköpfig und will einfach nicht einsehen, dass sie dich immer noch liebt.“ Ulrichs Kopf ruckte hoch uns er sah sie ungläubig an, „Das ist schwer zu glauben“ Helene nickte zustimmend, „Aber es ist wahr.“ Da fiel ihm etwas ein. Eindringlich sah er sie an, „Bitte, verratet mir etwas. Was war der Grund für die Heirat? Ich verstehe es nicht.“ Bekümmert schüttelte sie den Kopf, „Das kann ich nicht. Du musst mit ihr reden. Frag sie. Es gibt einen Grund. Bring sie dazu, es dir zu sagen“ Verwundert sah er sie an, dann nickte er. „ Ich danke euch“, sagte er und machte sich entschlossen auf den Weg zu Charlotte…

Der Schrei eines Vogels schreckte ihn auf. Er brauchte einen Moment, bis er sich seiner Umgebung gewahr wurde und trieb entschlossen sein Pferd an. Er musste zu ihr. Er musste ihn sehen. Als wäre der Teufel hinter ihm galoppierte er zum Tor der Burg. Das Horn erklang und begrüßte den Besucher und die Tore schwangen auf. Sein Herz pochte heftig in seiner Brust. Was sollte er tun? Er wusste nicht wie er sich verhalten sollte. Mit einer wilden Unruhe in seinem Herzen sprang er vom Pferd und übergab das Pferd dem Stalljungen. Sein Blich wanderte über den Hof. Keine Charlotte. Gerade als er sich auf die Suche nach Charlotte machen wollte, sah er Julia auf sich zukommen. Dieser sah ihn freudig und Stirnrunzelnd zugleich an. Ulrich musste sich ein Lachen verkneifen. Ganz der sorgende große Bruder. Lächelnd begrüßte Julian Ulrich. „Ulrich, welch eine Freude, dich hier zu sehen. Eine nette Überraschung dich hier zu sehen. Was führt dich denn hier her?“ Lachend umarmte er seinen alten Kampfgefährten, „Keine Sorge alter Freund. Ich tue schon nichts. Ich bin nur hier um mit deiner Schwester zu reden und meinen Sohn zu sehen.“ Julian erblasste. Aha. Er wusste es also auch. Gab es denn überhaupt einen Menschen auf dieser verdammten Welt, der nicht Bescheid wusste?! Er biss sich auf die Zunge um seine Wut zu zügeln, doch es war so verdammt schwer. Julian lächelte gequält, „Du weißt es also?“ Stumm nickte er. Julian seufzte, „Also gut. Geh zu ihr und rede mit ihr. Ich halte mich da raus. Versuch dein Glück“ Abermals nickte Ulrich grimmig. „Das werde ich tun.“ Besorgt blickte Julian ihn an, „Geh nicht zu hart mit ihr ins Gericht. Sie hatte ihre Gründe“ Ulrich wandte sich ab um Julian nicht anzuschreien. Sie hatte ihre Gründe. Welche verdammten Gründe waren denn so wichtig, dass sie ihrem Sohn ihren Vater vorenthielt und ihn seinen Sohn?! Trotz all seiner Wut, schrie sein Herz sehnsuchtsvoll nach ihr. „Herr Ulrich!“ Ulrich drehte sich um und entdeckte Fürstin Helene. Er musste lächeln. Sie hatte ihm geholfen Charlottes kleines Geheimnis zu lüften. Diese sah ihn jedoch verwundert an, „Was führt euch denn hier her?“, dann aber schmunzelte sie, „Welch eine Frage! Charlotte.“ Ulrich nickte und verbeugte sich vor ihr, „Ihr habt Recht. Aber ich möchte auch meinen Sohn kennenlernen“ Die Fürstin nickte ernst, „Das wäre wirklich das Beste. Aber gibt Acht, Charlotte hat Angst und wenn Charlotte Angst hat, dann geschehen meist unvorhergesehene Dinge“ Ulrich lachte schallend, „Da habt ihr Recht. Sie ist wie ein wandelndes Feuer!“, mit einem Mal verstummte sein Lachen, „Wo finde ich sie?“ Helene seufzte, „Charlotte wird mich umbringen, aber sie ist bei den Ställen“ Erleichtert verbeugte sich Ulrich ein weiteres Mal und ging dann zügig zu den Ställen.

Er entdeckte sie auf Anhieb. Sie sprach gerade mit einem Mann, der wohl ihr Vater sein musste. Sie stand ihm den Rücken zugewandt und bemerkte seine Anwesenheit nicht. Das gab ihm einen Moment um sie zu betrachten. Ihre wunderschönen blonden Haare hatte sie zu einem Zopf geflochten und glänzte golden in der Sonne. Sein Herz schwoll an, als er sah wie sie energisch auf ihren Vater einredete und ihr Hinter dabei so verführerisch wackelte. Zugleich spürte er auch eine gewisse Enge in seiner Hose. Verdammt! Er wütend auf sie und doch allein ihr Anblick ließ sein Herz wild klopfen und seine Wut verpuffte, während es in seiner Hose schmerzhaft zog.

Seine Charlotte. Sein Herz, sein Leben. Die Mutter seines Sohnes. Er liebte von ganzem Herzen und raubte ihm seinen Atem. Er würde sie nie wieder loslassen. Als er langsam näher trat bekam er das Gespräch zwischen den beiden mit. „Nein. Es ist noch viel zu früh. Leonard ist noch zu jung um reiten zu lernen. Er kann sich doch noch gar nicht auf dem Pferd halten!“ Ulrich erstarrte. Leonard, sein Sohn. Seine Stimme sollte bedeutend für die Ereignisse seines Sohnes sein, er sollte mitentscheiden können, sollte Charlotte für ihre Überfürsorge necken und doch hatte er keinerlei Rechte.

Ihr Vater lachte, „Ich war im gleichen Alter, als ich das Reiten erlernte!“, „Das tut nichts zur Sache. Ich will es nicht!“ Ulrich musste lächeln. Seine Charlotte. Hatte sie sich einmal etwas in den Kopf gesetzt, konnte sie auch niemand mehr davon abbringen. Kleiner Sturkopf.

Charlottes Vater wollte noch etwas erwidern, entdeckte dann aber Ulrich und lächelte, „Seid gegrüßt, ich bin Leopold Hausherr. Ihr müsst wohl der neue Ankömmling sein. Verzeiht, dass ich euch nicht angemessen empfangen konnte, aber ich hatte noch wichtige Erledigungen zu machen. Was führt euch denn her?“ Ulrich verbeugte sich, „Das war kein Problem. Euer Sohn hat sich meiner bemächtigt. Ich bin ein alter Freund von ihm. Außerdem bin ich auf der Suche nach meinem Herz, das mir ein weiteres Mal abhanden gekommen ist. Habt Ihr es vielleicht gesehen?“ Verwirrt blickte Leopold seinen Besucher an und war aufgrund Charlottes Reaktion völlig durcheinander. Als sie die Stimme hörte, versteifte sie sich unwillkürlich und wirbelte herum und sah den Mann völlig überrascht an. „Was machst du denn hier?!“, fragte sie ihn entgeistert. Ratlos blickte Leopold zwischen den beiden jungen Menschen hin und her und konnte sich einfach nicht erklären, was da vor sich ging. Er runzelte die Stirn und sah den Fremden an, „Wer seid Ihr?“ Ulrich zuckte mit den Schultern und sah Charlotte mit hochgezogenen Brauen an, „Willst du es ihm sagen oder soll ich?“ Streng sah Leopold seine Tochter an, die ihren Kopf einzog, als wollte sie sich vor Leopolds Strenge schützen. „Charlotte was geht hier vor?“ Sie bedachte Ulrich mit einem bösen Blick, der jeden anderen die Knie schlottern ließ, ihn aber nur zum schmunzeln brachte. Sein kleiner Sturkopf sah verlegen zu Boden und beschäftigte sich überaus interessiert mit dem Dreck. Amüsiert beobachtete Ulrich, wie sich ihre Wangen rot färbten, „Nun ja, Vater das ist Ulrich. Ulrich von Sayn. Er ist…“, „Der Mann, der ihrer Tochter sein Herz zu Füßen legt“, „Ulrich!“, „Und der Werber ihres Herzens“ Erbost starrte sie ihn an und bewarf ihn mit finsteren Blicken, aber er konnte einfach nicht anders, als zu grinsen. „Auch wenn sie immer wieder auf mein armes Herz herumtrampelt“ Charlotte öffnete ihren wunderhübschen Mund um ihm- wie er wusste- eine giftige Antwort zu geben, schloss ihn zu seinem Erstaunen aber wieder. Sein Grinsen verblasste, als er Leopolds finstere Miene sah. Nachdenklich strich sich Leopold über seinen Bart, „Soso, du bist das also. Ich habe nicht Gutes über euch gehört. Aber wenn Ihr ein Freund Julians seid, müsst ihr ein Edelmann sein. Ich vertraue der Menschenkenntnis meines Sohnes.“ Ernst nickte Ulrich, „Ihr habt Recht. Ich habe schlimme Dinge getan. Gewollt oder nicht gewollt, das spielt keine Rolle. Doch ich weiß nicht, was Julian in mir sieht“ Überrascht blickte der Fürst Ulrich an. Er schien die Wahrheit zu sprechen. Er blickte zu seiner Tochter. Abwesend sah sie Ulrich an. Sie wirkte bedrückt. Sie machte Anstalten ihn zu berühren, doch ihre Hand zuckte zurück. Nun richtete sich Leopolds strenger Blick gegen Ulrich. Dieser zuckte nicht einmal zurück. Hm…der Junge hatte Mumm. Manch anderer Mann wäre unter seinem berüchtigten Blick zusammengezuckt. „Welche Absichten hegt Ihr für meine Tochter?“, „Die feierlichsten, Sir“, sagte Ulrich mit solch einer Inbrunst, dass Leopold beinahe lächelte. Aber auch nur beinahe. „Und wie steht es mit meiner Tochter? Erwidert sie eure Gefühle?“ Ulrich grinste, wandte seinen Kopf und beachte Charlotte mit einem zärtlichen Blick, „Sie ziert sich noch ein wenig“ Leopold lachte dröhnend, „Das stimmt. Das tut sie immer. Wie ich ihre Mutter. Das wahrlich ein Spiesrutenlauf gewesen! Nun gut, versuch dein Glück“, „Vater!“ Seine Tochter war nun puderrot und sah ihren Vater beleidigt an. Dann bedachte sie Ulrich noch mit einem weiteren finsteren Blick und rauschte mit einem Schnauben davon. Liebevoll blickte Ulrich ihr hinterher. Leopold bemerkte seinen Blick und wusste, dass er die richtige Entscheidung getroffen hatte. Er klopfte seinem Schwiegersohn in spe freundschaftlich auf die Schulter, „Ich wünsche dir viel Glück. Bei diesem Sturkopf wirst du es brauchen!“ Ulrich nickte lächelnd. Ja. Er würde ihr beweisen, dass er ihrer Liebe wert war.

 

Unfassbar! Ich konnte es nicht fassen. Da gab Vater Ulrich seine Erlaubnis mir den Hof zu machen! Nach den erholsamen Wochen in der Kur hatte ich versucht jeden Gedanken an Ulrich zu verbannen und dennoch durchzuckte mich jedes Mal wenn ich Leonard sah leichte Panik. Was würde Ulrich nun tun, da er jetzt wusste, dass er einen Sohn hatte. Ich wusste es nicht. Aber niemals hatte ich erwartet, dass er hier auftauchen und mir den Hof machen würde. Und dann machte er sich mit meinem Vater über mich lustig! Erbost schüttelte ich den Kopf. Unfassbar!

Hinter mir ertönten Schritte. Ich musste seufzen. Natürlich. Er war da. Immer mein Schatten. Ein Gefühl von Geborgenheit durchrieselte mich. Ich drehte mich zu ihm um und meine Augen weiteten sich erschrocken. Er war so nah. Mein Herz hämmerte heftig in der Brust und mein ganzer Körper sehnte sich nach ihm. In meinem Inner hatte sich eine Tür geöffnet, die sich nicht mehr schließen ließ. Mit einer Heftigkeit, die mir beinahe Angst machte, begehrte ich ihn. Sein Atem strich verführerisch über meine Haut und ließ mich erschaudern. Seine Augen funkelten, als er mich sinnlich ansah. „Du hast mir gefehlt, mein Schatz“ Seufzend lehnte ich mich an ihn, atmete seinen berauschenden Duft ein, „Du solltest das nicht tun. Es wird doch nur noch mehr weh tun, wenn du gehst“ Er lachte leise, „Ich werde nicht gehen“ Verwundert blickte ich auf, „Wie meinst du das?“, „Du hast mir einmal gesagt, wir würden uns nicht mehr kennen. Ich möchte dich und meinen Sohn kennenlernen. Ich werde bleiben solange bis du mir dein Vertrauen schenkst“ Fassungslos sah ich ihn an, „Du willst was?!“ Es war doch schon schlimm genug ihn für ein paar Augenblicke zu sehen und zu wissen, dass wir keine Zukunft haben. Wie soll ich das denn nur aushalten?

Traurig schüttelte ich den Kopf, „Ulrich ich kann nicht vertrauen. Niemanden. Außer meiner Familie. Vor langer Zeit konnte ich ihm blind vertrauen. Jetzt nicht mehr. Blindes Vertrauen hat fatale Folgen. Ich kann mir das einfach nicht noch einmal antun. Ich möchte nicht, dass du oder ich noch mehr verletzt werden. Wir haben genug gelitten. Bitte geh!“

Ich konnte nicht länger das mitfühlende Lächeln ertragen und wollte gehen, doch er hielt mich am Arm fest. „Ich werde bleiben. Ich werde dir zeigen, dass du keine Angst zu haben brauchst. Ich bin es wert, dass du mir vertraust.“ Verständnislos sah ich ihn an, „Ulrich du hast doch ein Leben. Du kannst es doch nicht wegwerfen und hier sitzen und etwas versuchen, dass so oder so aussichtslos ist.“ Ulrich seufzte leise und nahm zärtlich mein Gesicht zwischen seine großen Hände. Allzu deutlich bemerkte ich die Wärme seiner Hände auf meiner Haut. Ganz langsam breitete sich die Wärme über meinen ganzen Körper aus. Verdammt! Ulrich sah mir tief in meiner Augen, schien mir bis auf den Grund meiner Seele zu blicken. „Rachel, ich werde mich niemals wieder in das Monster von damals verwandeln.“ Ich zuckte zusammen, die Wärme verpuffte, als hätte es sie nie gegeben und er ließ mich los. Ich wusste mir nicht zu helfen und floh. Warum sagte er so etwas? Kannte er mich so gut, dass er wusste was mir Angst machte ohne dass ich es selber wusste? Ich verstand es nicht! Wieso kann er mich denn nicht vergessen, wieso konnte er nicht sein Leben leben, sondern rannte einer Wahnvorstellung nach. Ulrich war kein Mann, der sich binden konnte, gleich wie groß seine Liebe ist. Er würde schon nach einer Weile bemerken, dass es nicht funktioniert und gehen. Aber bis dahin würde er wohl noch bleiben. Nach einer Weile hielt ich inne und ich merkte, dass seine Hartnäckigkeit in mir eine verräterische Wärme hervorrief, sodass ich lächelte. Schnell schüttelte ich diese ab und ging weg. Meine Füße trugen mich weg, weg von Ulrich. Ich war viel zu sehr in meine Gedanken verstreck, die sich allein um die Ankunft Ulrichs und sein Vorhaben drehten, dass ich mir gar nicht bewusst war, wo ich hinlief.

 

 

 

[1]

Erst als ein Windstoß meine Haut streifte, wurde ich mir bewusst, wo ich mich befand. Ich war im Garten. Unwillkürlich musste ich lächeln. Mein Paradies. Der schönste Ort auf diesem Anwesen. Die Blumen, um die sich die Gärtner mühevoll kümmerten, erblühten in voller Pracht und hießen mich willkommen. Der Himmel erstrahlte in seinem hellsten Blau und es war keine einzige Wolke zu sehen. Dieser Ort übertraf alles, was ich je gesehen hatte.

„Schöner Platz, nich‘ kleine Lady?“

Ich zuckte zusammen und drehte mich zu der Stimme um. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass noch jemand im Garten war.

Es blickte mich ein Mann im mittleren Alter an. Seine Haare waren von einer undefinierbaren Farbe und trieften nur so von Fett. Glücklicherweise waren sie unter einem alten zerschlissenen Tuch versteckt, das ihn vor der Sonne schützte. Seine Haut war durch die jahrelange Sonneneinwirkung tiefgebräunt und ledrig. Trübe braune Augen blickten mich an, betrachteten mich und glitten an meinen Körper hinunter. Ich unterdrückte ein Schaudern.

Sein untersetzter Körper schüttelte sich vor Lachen, als ich errötete.

„Du brauchst doch keine Angst vor mir haben, Mylady. Ich bin nur ein einfacher Mann, der Ihren Garten so wunderschön hält.“

Ich lächelte unsicher und nickte. Der Mann grinste und zeigte mir seine halb verfaulten Zähne. „Ich erinnere mich noch genau an dich. Als du noch ein kleines Baby warst. Du warst ein wirklich schönes Baby gewesen. Und nun bist du zu einer Frau herangereift. Zu einer wunderschönen Frau.“ Er leckte sich die Lippen und starrte mich an. Ich widerstand dem Drang zurückzuweichen und lächelte reserviert. „Ich möchte dich nicht von der Arbeit abhalten. Ich gehe dann lieber.“

Brüsk wandte ich mich ab und schritt davon. Ich verspürte den Wunsch mich zu waschen. Der Kerl war einfach nur widerlich!

Schnell verbannte ich diese Begegnung aus meinen Kopf. Sie sollte mir nicht den Tag verderben. „Charlotte! Mama!“

Überrascht sah ich auf und entdeckte Mutter und Leonard, die auf mich zukamen. Unwillkürlich lächelte ich. Leonard stürmte auf mich zu und ich hob ihn hoch und drückte ihm einen Kuss auf die Wange, „Hallo mein Großer. Was hast du schon wieder getrieben? Ärgerst du wieder die Mägde?“

Leonard machte sich immer einen Spaß daraus, den Mägden zu entwischen, die auf ihn aufpassten, versteckte sich und erschreckte sie anschließend, wenn sie vorbeikamen. Leonard grinste und schüttelte den Kopf, Helene will mir ein Pony kaufen!“

Ich bedachte Mutter mit einem kurzen bösen Blick. Sie wusste ebenso genau, was ich von dieser Idee hielt. Zärtlich strich Helene über Leonards Kopf, „Aber nur, wenn du brav bist!“

Unfassbar! Meine wütenden Blicke ignorierte sie einfach! Stattdessen zwinkerte sie mir frech zu. Fassungslos starrte ich sie an. Meine Eltern verhielten sich wie Kinder! Schlimmer, sie verhalten sich, als wäre ich noch ein Kind! Als wäre ich nicht fähig meinen Sohn zu erziehen. Doch dieses Gespräch würde ich später mit den beiden führen. Zunächst gab es wichtigeres zu regeln. „Mutter, Ulrich ist da“

Helene neigte ihren Kopf um mich besser zu betrachten, „Ich weiß.“ Überrascht sah ich sie an. „Ich bin ihm auf dem Hof begegnet.“ Niemand hielt es für angebracht, mich vorzuwarnen! Ist Mutter denn nicht in den Sinn gekommen, mir Bescheid zu geben, damit ich ganz schnell und unauffällig verschwinden konnte. In die Berge vielleicht. Und Leonard würde ich natürlich mitnehmen. Ich atmete tief ein. Ich musste mich beruhigen, das führte zu nichts.

„Also weißt du auch, warum er hier ist?“ Mutter nickte, „Ich halte es für eine gute Idee“

Sprachlos starrte ich sie an. Sie hatte den Verstand verloren. Genug ist genug. Bevor ich ihr ziemlich deutlich meine Meinung sagen konnte, tauchten Julian und Ulrich auf. „Um Himmels Willen!“, knurrte ich, „Das kann doch nicht wahr sein!“

Er schien mich zu verfolgen. Wie konnte es nur sein, dass ich ihm auf so einem großen Anwesen nicht aus dem Weg gehen konnte?

Julian und Ulrich unterhielten sich und Ulrich boxte meinem Bruder gerade spielerisch in den Bauch, als er plötzlich aufschaute und mich entdeckte. Sein Lächeln wurde zärtlich und seine Augen streichelten mein Gesicht. Unwillkürlich begann mein Herz wild zu schlagen. Das durfte doch nicht wahr sein! Blödes Herz.

Schließlich entdeckte auch Julian uns und er lächelte, „Hallo ihr!“ Leonards Kopf ruckte hoch, als er die vertraute Stimme seines Onkels hörte und stürmte auf ihn zu, der ihn prompt in der Luft herumwirbelte. „Leonard! Warum so stürmisch? Hast du wieder etwas ausgefressen?“ Mutter lachte, „Er ist genauso wie du in seinem Alter. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich schwören, dass du vor mir stehst“ Julian grinste und klopfte Leonard stolz auf die Schulter, als er ihn wieder absetzte.

Während Julian und Mutter ihre Aufmerksamkeit Leonard schenkten, so galt meine Aufmerksamkeit Ulrich. Ich spürte seinen Schmerz mehr, als dass ich ihn sah. Hatte er vor einem Moment noch gelacht, so war sein Blick wie eh und je undurchschaubar. Aber dennoch wirkte er, als wäre er in Gedanken ganz wo anders. Seine Hand zuckte, als wollte er Leonard berühren. Dann aber wurde seine würden seine Gesichtszüge ganz starr und sein wütender Blick traf mich. Ich fröstelte. Ich brauchte nicht seine Gedanken zu lesen, um zu wissen was er dachte. Es war die gleiche Schuldzuweisung wie damals. Ich hatte ihm den Sohn vorenthalten und er hatte recht. Doch ich bereute meine Entscheidung nicht. Es war die richtige Entscheidung gewesen. Aber trotzallem verursachte es einen Stich in meinem Herzen, ihn so leiden zu sehen.

Als Julian sich kurz an Ulrich wandte, bemerkte er schließlich auch seinen Blick. Ratlos blickte er zwischen Ulrich und mir hin und her und wandte sich anschließend hilfesuchend an Helene. Doch auch sie betrachtete uns schweigend und schien auf etwas zu warten. Allein Leonard schien die veränderte Stimmung nicht zu bemerken und drängte Helene ungeduldig, weiterzugehen. „Großmutter gehen wir jetzt? Bitte!“ Er wandte sich an Julian, „Und du musst auch mitkommen!“ Sollte ich aufgebracht oder erleichtert sein, dass Leonard seine Mutter nicht dabei haben möchte?

Julian zögerte und sah mich an, dann aber konnte ich sehen, wie diesem verschlagenen Kopf eine Idee kam und er grinste mich an, „ Ich müsste noch Ulrich sein Gemach zeigen, aber das kann ja auch Charlotte machen“

Ich wollte schon protestieren. Auf gar keinen Fall werde ich allein mit Ulrich sein Schlafgemach aufsuchen. Niemals! Händeringend suchte ich nach einer passablen Ausrede, die mich davor bewahrte, doch mir fiel einfach nichts ein. Helene, die sofort begriff, was Julian vorhatte, nickte begeistert, „Das ist eine wunderbare Idee!“ Selbst Leonard, der nicht verstand, worum es wirklich ging, ließ sich anstecken und klatschte begeistert in die Hände, „Ja Mama, machst du das?“ dabei sah er mich mit seinen großen niedlichen grauen Augen an, dass ich dahin schmolz. Das ist nicht fair! Leonard konnte ich nichts abschlagen! Julian konnte sich nur mühsam das Lachen verkneifen. Ich würde ihn umbringen. Ganz langsam und schmerzvoll.

Während ich noch mit mir selbst haderte und in die hoffnungsvollen Augen meines Sohnes sah, hatte sich Ulrichs Stimmung wieder vollkommen gedreht und betrachtete die Situation amüsiert, aber schweigend. Seine Augen blitzten vergnügt.

Als ich schließlich nicht antwortete, sahen Julian und Helene dies als meine Zustimmung und nahmen Leonard an die Hand und verabschiedeten sich eiligst.

Ich blickte den beiden hinterher und fluchte leise. Mist. Verdammter Mist.

Hier war ich nun allein mit Ulrich. Allein.

Ich straffte meinen Rücken, raffte mein Kleid und ging an ihm vorbei, „ Komm ich zeig dir dein Zimmer“ Ich wagte es nicht ihm in die Augen zu blicken. Was würde ich sehen? Wut oder Schalk?

Weit kam ich aber nicht voran, denn Ulrich packte meinen Arm und zog mich an sich. Mein Atem beschleunigte sich. Wie machte er das nur?

Zärtlich sah er mich an, beugte sich zu mir hinunter und küsste mich. Sanft legten sich seine Lippen auf die meinen und schienen sich nie wieder lösen zu wollen. Unwillkürlich seufzte ich. Nach ein paar unendlich langen Sekunden löste er sich von mir und lächelte, „Kleiner Angsthase“ Völlig benommen sah ihn an. Wie schaffte er es nur immer wieder, mich mit nur einem Kuss völlig aus der Bahn zu werfen? Er lachte leise und drückte mir noch einen Kuss auf den Mund, „Na los. Ich warte“ Ohne eine Wort machte ich mich auf den Weg zu den Gästezimmern. Ulrich schloss zu mir auf und nahm meine Hand. Mich durchrieselte ein warmes Gefühl, als er einen kleinen Kuss auf meinen Handrücken drückte. Keiner von uns sprach. Aber das war auch nicht nötig.

Ich schloss die Tür seines Zimmers auf und ließ ihn eintreten. Unschlüssig stand ich an der Türschwelle und wagte es nicht einzutreten. In meinem Zustand wäre das keine gute Idee. Immer wieder schaffte es Ulrich meine Verteidigungsbarrieren zu durchbrechen und ich fühlte mich wieder wie das junge Mädchen, das ihm hoffnungslos verfallen ist. Währenddessen begutachtete überaus interessiert das Bett.

Ich musste schlucken. Mein Mund fühlte sich wie ausgetrocknet.

Ein sehr lüsternes junges Mädchen.

Ulrich richtete seinen intensiven Blick auf mich. Ich konnte mich nicht bewegen, ich war wie erstarrt. Ein laszives Lächeln umspielte seine Lippen und in seinen Augen glitzerte die Begierde. Ich wusste, es wäre keine gute Idee zu bleiben, aber ich konnte nicht anders. Nervös biss ich mir auf die Lippe. Ich sollte wirklich nicht hier sein.

Wie ein Löwe, der auf der Lauer lag um seine Beute zu fangen, kam Ulrich langsam auf mich zu und nahm eine Strähne meines Haares zwischen die Finger und zupfte daran, „Wo ist denn nur meine mutige Rachel geblieben?“ Ja wo ist sie nur? Ich fühlte mich eher wie ein hilfloses Lamm, das bald vom Löwen verschlungen werden würde.

Er kam noch ein Schritt näher. Sein Atme streifte meine Wange und ich fühlte wie meine Beine schwach wurden. Sachte lehnte ich mich an ihn, genoss seinen Duft, der mich benebelte. Alles in mir schrie, ich sollte gehen, die Tür zu machen und verschwinden. Stattdessen legte ich zögernd eine Hand auf seine Brust und fuhr mit den Fingern seine Muskeln nach.

Es war so neu für mich. Dies hier geschah in meinem Leben, in meinem Territorium, wo ich die Oberhand besaß. Oder sie zumindest haben sollte. Doch in diesem Moment fühlte ich mich wie ein unerfahrenes kleines Mädchen, das zum ersten Mal das Liebesspiel zweier Menschen erlebt.

Ulrich zog scharf die Luft ein und unterbrach so meinen Gedankengang. In seinen Augen stand das unmissverständliche Verlangen, doch er rührte sich nicht. Er schien zu warten. Sein Blick brannte sich in den meinen, erforschte mich und zog mich in seinen Bann. Als wäre es das natürlichste auf der Welt umschlangen meine Arme seinen Hals. Zart, fast scheu streichelten meine Fingerspitzen seinen Nacken.

Ganz und gar versank ich seinen Augen. In mir brannte eine Hitze, die gestillt werden wollte.

Es war nur ein Flüstern, doch dies war der Anfang von meinem Ende:

„Ich bin Dein“

Dies war das Ende von Ulrichs mühevoller Beherrschung. Verlangend presste er seinen Körper an mich. Wie von selbst pressten sich meine Lippen hungrig auf seine. Verschwunden war das kleine Mädchen. Ulrich stöhnte und drängte mich gegen eine Wand, seine Hände umfassten zärtlich mein Gesicht. Einen Moment lang hielt er inne und sah mich an, dann senkte sich sein Mund wieder auf meinen. Seine Hand wanderte meinen Körper hinab und hielt an meinem Schenkel inne. Schließlich litt seine Hand meinem Innenschenkel hinauf, bis er eine Stelle erreichte die mich laut aufstöhnen ließ. Er lachte leise und verschloss meinen Mund mit einem Kuss, „Wollen wir mal sehen, ob ich das nicht besser hinbekomme“

Seine Finger strichen kreisen an meinem empfindlichsten Punkt, sodass ich das Gefühl hatte zu zergehen. Ich wollte laut aufschreien, doch ein weiteres Mal erstickte Ulrich jeglichen Laut mit seinem Mund. Ich spürte mehr sein Lächeln, als dass ich es sah. Boshaft biss ich ihm in sein Ohrläppchen und hörte mit Genugtuung sein Stöhnen. Meine Hand wanderte seine Brust entlang, immer tiefer, bis sie seine Hose erreichte. Gnadenlos rieb ich meine Hand gegen die große Ausbuchtung an seiner Hose. Schadenfroh kicherte ich, als ich spürte wie er zusammenzuckte. Sein ganzer Körper bebte. Bedrohlich sah er mich an, „Das wirst du büßen“ Voller Freude hieß ich seine Strafe willkommen. Ich schlang meine Beine um seinen Körper und rieb mich, nur um ihn zu ärgern, an ihm. Ulrich knurrte und setzte zum Gegenangriff an.

Wir waren wie von Sinnen. Keinen einzigen klaren Gedanken konnte ich fassen. Seine Hände waren so stark, seine Lippen so weich...wohlig schloss ich meine Augen und genoss seinen Körper an meinen gepresst, als es plötzlich an der Tür klopfte. Erschrocken fuhr er zurück und fluchte: „Warum muss mich ausgerechnet jetzt jemand stören?“ Er sah zu mir hinüber und ich konnte noch immer die gleiche Begierde in seinen Augen sehen, wie einige Augenblicke zuvor. Mir erging es nicht anders In mir brodelte das alles verzehrende Verlangen nach ihm. Mein Brust hob und senkte sich heftig und ich wollte nichts sehnlichster, als dass Ulrich mich wieder in seine Arme nahm und fortfuhr. Doch es klopfte ein weiteres Mal und Ulrich starrte auf die Tür, unfähig zu wissen, was wir nun tun sollten. Ulrich raufte sich die Haare, „Verdammt!“ Beschämt schaute ich zu Boden. Wie Kinder, haben wir haben wir uns hingegeben, ohne auch nur an irgendwelchen Konsequenzen zu denken. Ich habe mich ihm hingegeben ohne mich zu kümmern, dass uns jemand entdecken könnte. Allmählich beruhigte sich mein Atem wieder und ich konnte langsam wieder klar denken. In letzter Sekunde schaffte ich es, um die Ecke zu verschwinden, bevor sich die Tür öffnete. Mein Herz klopfte wild in meiner Brust. Als ich an mir hinunter sah, musste ich ein Seufzen unterdrücken. Ich sah wirklich unmöglich aus. Die oberen Knöpfe waren in unanständigeren Art und Weise geöffnet, meine Haare waren vollkommen zerzaust und mein Gesicht war gerötet. Wenn man mich in dieser Verfassung sehen würde…ich wäre das Stadtgespräch.

Die neue Stimme lenkte mich einen Moment lang von meinen unheilvollen Gedanken ab. „Mein Herr, ich wurde geschickt, um euer Gemach herzurichten. Verzeiht mir meine Unpünktlichkeit, doch es gab noch so viel zu tun und ich schaffte es einfach nicht rechtzeitig.“ Als ich vorsichtig um die Ecke spähte, sah ich Ulrich nicken. Erleichtert, nicht bestraft zu werden, knickste die Magd vor Ulrich, „Habt Dank“ Ich erkannte in der Magd das Mädchen Clara. Sie war ein wirklich nettes Mädchen, aber sie konnte nicht ihren Mund halten. Binnen eines Tages wüsste die ganze Dienerschaft Bescheid und anschließend die ganze Stadt und dann der gesamte Adel. Das durfte nicht passieren! Clara ging zum Bett, schüttelte die Bettdecke auf und plauderte mit Ulrich. Oder vielmehr sie flirtete mit ihm. Vielleicht war sie doch nicht so nett. Mit einem Mal wünschte ich ihr die Krätze an den Hals. Wie konnte sie es wagen, ihren jungen, unverbrauchten Körper Ulrich entgegenzustrecken, während sie das Bett richtete und wie ihre Stimme einen verführerischen Unterton annahm. Nicht zuletzt schwang sie einladend ihre Hüften! Ein offensichtlicheres Angebot hatte ich noch nicht gesehen. Und Ulrich lächelt auch noch! Seine Augen blitzten vergnügt auf. Wütend ballte ich meine Hände zu Fäusten. Das war doch typisch Mann! Typisch Ulrich!

Doch meine Wut verrauchte in dem Moment, als Clara sich in meine Richtung bewegte. Ich sah wie Ulrich erbleichte und vor Schreck setzte mein Herz einen Moment lang aus. Jeden Augenblick würde sie mich entdecken und mein Ruf wäre für immer zerstört.

Auf einmal lächelte Ulrich, schnappte sich Claras Arm und blickte sie mit seinem typisch lasziven Blick an, „Das reicht. Sei doch so nett, und besorg‘ mir einen Krug Wein, ja? Das wäre einfach wunderbar!“ Einen Augenblick lang sah sie ihn verwundert an, aber dann lächelte sie aufreizend und nickte.

Erleichtert atmete ich aus, als sich die Tür hinter Clara schloss. Einen Moment lang herrschte völlige Stille im Zimmer, aber dann brachen wir beide in Gelächter aus. „Das war wirklich knapp“, lachte Ulrich. Plötzlich wurde er wieder schlagartig ernst und sah mich anzüglich an, „Aber ich beende gern, womit ich begonnen habe“

In meinem Magen rumorte es erwartungsvoll, aber ich streckte patzig die Nase in die Luft und reckte stolz mein Kinn. „Kein Interesse mehr“ Nicht nachdem er die Magd mit dem gleichen Blick betört hatte. Verwirrt sah er mich an, „Was ist denn?“ Scheinbar lässig zuckte ich mit den Schultern, „ Was soll denn sein? Ich mein durch den ganzen Schreck ist mir die Lust vergangen“ Lügnerin! Mühsam ignorierte ich die lodernde Hitze meiner Lenden und lächelte Ulrich scheinbar gelassen an, „ Du brauchst dich ja nicht beklagen. Die Kleine ist bestimmt in wenigen Minuten wieder da und wahrscheinlich sind auch schon die ersten Knöpfe ihres Kleides geöffnet“ Unauffällig versuchte ich meinen sehr offenherzigen Ausschnitt zu verbergen. Sprachlos starrte Ulrich mich an. Dann lachte er lauthals. Verärgert spürte ich, wie mir die Röte ins Gesicht stieg, „Ich gehe jetzt“, und bewegte mich in Richtung Tür. Doch bevor ich die Tür erreichte, ergriff Ulrich meinen Arm und drängte mich erneut gegen die Wand. Immer noch lachte er leise. Finster sah ich ihn an und versuchte mich aus seinem Griff zu entwinden, aber er hielt mich eisern fest. Unfassbar! Er machte sich über mich lustig! In seinen Augen stand immer noch die Belustigung, aber zugleich lag in seinen Augen eine so unendliche Zärtlichkeit, dass ich erschauerte. „Mein kleiner unsicherer Engel, bist du etwa eifersüchtig?“

Empört sah ich an, „Ich? Eifersüchtig? Ich bin doch nicht eifersüchtig! Dafür gibt es keinen Grund!“ Abermals musste Ulrich lachen und seine Lippen pressten sich auf meine, bevor ich ihm noch weiter widersprechen konnte. Mit einer Intensität, die mich zu verschlingen drohte, küsste er mich. Ohne weiter nachzudenken, schlang ich meine Arme um seinen Hals und erwiderte seinen Kuss. Doch viel zu früh löste er sich von mir und sah mich liebevoll an, „ Du bist eifersüchtig. Aber du hast keinen Grund dazu. Du bist es, der mein Herz gehört. Niemals wird sich das ändern. Ich werde dich nicht verlassen, auch wenn du dich noch so oft gegen mich sträubst.“

Ich dachte mein Herz würde vor Freude zerspringen.

„Ich weiß, dass du mir wohl nicht glauben kannst, aber ich habe noch Hoffnung für uns. Du und ich wir könnten uns gemeinsam ein Leben aufbauen. Mit Leonard. Wir würden jeglichen Schmerz Vergangenheit werden lassen“

Er sah mich so hoffnungsvoll an, dass es mir einen Stich versetzte.

„Doch ich glaube dir“ Überrascht sah er mich an. Unsicher biss ich mir auf die Lippe, „Ich habe deine Briefe gelesen.“

Ulrichs Gesicht strahlte vor Freude, als er meine Worte hörte, doch er sagte nichts. Stattdessen nahm er mein Gesicht zwischen seine Hände und beugte sich zu mir hinüber und küsste mich. Die Welt verschwamm und allein Ulrich war noch von Bedeutung. Sanft schmiegten sich seine Lippen an meine, liebkosten sie und versetzten mich in einen Zustand vollkommenen Glückes.

Und mit einem Mal, hatte ich das Gefühl, dass wirklich noch Hoffnung bestand. Hoffnung auf ein Leben in Glück und Freude-gemeinsam mit Ulrich. Er und ich würden heiraten und mit Leonard wären wir eine richtige Familie. Halt! In meinem Kopf schrillten die Alarmglocken. So hatte ich schon einmal gedacht und es hatte nichts als Schmerz verursacht. Ich wich zurück, „ Nein.“ Verständnislos sah Ulrich mich an, „Was?“, „Ich muss gehen.“ Ungläubig sah Ulrich mich an, „Warum?“ Verzweifelt suchte ich nach einer passenden Ausrede, „Ich bin müde“ Das war sie nicht gewesen. Zweifelnd hob Ulrich eine Braue, „Das ist nicht dein Ernst“ Verdammter Mist! „Doch.“ Bevor Ulrich noch etwas sagen konnte, entwand ich mich ihm und floh aus seinem Zimmer. Völlig erschöpft lehnte ich mich gegen Ulrichs Tür.

Wieso brach nur jedes Mal, wenn ich Ulrich begegnete, mein Widerstand? Ich führte mich auf wie ein liebestolles Mädchen. Es gab keine Chance auf Hoffnung. Es gab keine. Ich musste mir das immer wieder sagen, sonst würde ich es nicht mehr glauben. Ich darf Ulrich kein Glauben schenken. Ich darf nicht!

Völlig entkräftet ging ich in mein Zimmer und legte mich in mein Bett. Ich brauchte nur einen Moment lang Ruhe. Nur einen kleinen Moment lang.

Das plötzliche Klopfen an der Tür weckte mich. Verwirrt strich ich mir meine wirren Haare aus dem Gesicht. Mit einem Lächeln sann ich meinem Traum nach, der eher einer alten Erinnerung glich als einer Phantasie. Dann aber besann ich mich auf das Klopfen, das immer eindringlicher wurde. Als ich aus dem Fenster sah, sah ich nur Dunkelheit. Ich musste wohl doch eingeschlafen sein und wer stört mich denn bitte mitten in der Nacht. Panik ergriff mich, vielleicht ist Leonard etwas zugestoßen! Hastig stieg ich aus dem Bett und öffnete die Tür. Doch es war nicht wie erwartet Mutter, sondern Ulrich. „Ulrich? Was machst du denn hier?“ Mit lustvollverhangenen Lidern blickte er mich an, ohne Vorwarnung nahm er mein Gesicht zwischen seine Hände und drängte mich zu meinem Bett. Ich war viel zu sehr verblüfft um sich zu wehren. Sanft strich sein Daumen um meine Lippen. „Die schönsten Lippen auf der Welt“, flüsterte er. Sein Körper strahlte eine Hitze aus, die direkt auf mich überspringt. Seine Augen starrten auf meine Lippen, als wolle er sie küssen. „Was machst du hier?“, wiederholte ich meine Frage und lenkte Ulrich einen Moment lang von meinen Lippen ab. Er lächelte, „ Ich sagte doch, ich suche mein Herz. Habe es gerade gefunden“ Lustvoll knapperte er an meinem Mundwinkel,

„Was ist nun, lässt du mich in deins?“ Ich zog scharf den Atem ein, als seine Lippen nun mein Ohrläppchen streiften.

Ein kleiner Teil meines Verstandes, der sich noch nicht verabschiedet hatte, schrie mich an, Ulrich hinauszuwerfen. Doch der Rest meines Körpers verlangte nach mehr. Wie sollte ich bei solch einem Überfall-anders konnte man das auch nicht bezeichnen- klar denken? Ich schlang meine Arme um seinen Hals und sah ihm tief in die Augen, „Komm rein“

 

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 26.09.2009

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