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Schatten und Nacht



„Ich habe dir doch gesagt, dass ich keine Aufträge mehr ausführe! Wie konntest du bloß noch einen von ihm annehmen?“
Der Angesprochene wurde von seinem Gegenüber hart gegen die kalte Steinwand gedrückt. Hinter einer Reihe von ungepflegten, schwarzen und zerrauften Haaren, die seinem Freund ungebändigt ins Gesicht hingen, konnte er zwei kalte, graue Augen erkennen, die ihn zornig anfunkelten. Nel kannte diesen Blick bereits gut, wenn diese grauen Augen mit der schwarzumrandeten Iris einmal nicht Hass oder Gleichgültigkeit ausstrahlten, dann war es Zorn, so groß und erdrückend, dass er damit ganz Madalia hätte einfrieren und unter Eis begraben können.
Aber Nel hatte sich an diese Augen gewöhnt und jetzt erschreckten sie ihn schon lange nicht mehr. Inzwischen waren sie und der, dem sie gehörten, seine Begleiter geworden. Doch er konnte sich noch immer gut daran erinnern, als er den achtzehnjährigen Jungen das erste Mal gesehen hatte. Damals hatte er geglaubt, unter diesen Augen zu kaltem Stein zu erstarren. Niemand sonst hatte solche Augen, die so eisig waren, und doch etwas Vertrauenerweckendes ausstrahlten.
Nel wusste nicht mehr, wie es sich zugetragen hatte, dass sie beide Freunde geworden waren. Das war einfach schon zu lange her und es war viel zu viel passiert, in der Zwischenzeit. Und jetzt, nach elf Jahren, drohte diese Freundschaft zu zerbrechen, wie dünnes Eis, auf das ein harter Stein aufschlug.
„Bitte, Nereth! Nur noch dieses eine Mal“, flehte er, „dann kannst du immer noch gehen, wenn du unbedingt willst! Lyras braucht dich für diese Aufgabe!“ Nel mochte ein Meister der Überredungskunst sein, aber Nereth ging nicht auf seine Worte ein. Wie immer, wenn er anderer Meinung war.
„Lyras muss ohne mich auskommen. Ich werde ihm und seiner verlogenen Gilde keinen einzigen Auftrag mehr erfüllen!“, fauchte der Angesprochene. Nel hatte geahnt, dass Nereth das Diebeshandwerk ablegen wollte, aber nie hätte er gedacht, dass er sogar die Gilde verlassen wollte. Nereth wusste genau, was ihn erwarten würde, wenn er Lyras seinen Dienst verweigerte.
„Ja. Ich verlasse Cuab’barad morgen“, sagte Nereth fest entschlossen, seine Entscheidung auch durchzuführen. Lyras machte ihm keine Angst und damit war er eine Ausnahme. Er ließ seinen Freund los und ging die leere Straße hinunter. Doch ebenso wie er war Nel nicht die Art von Mensch, die sich so leicht abschütteln ließen. Nel zögerte keine Sekunde und rannte Nereth hinterher.
„Lass mich dir doch wenigstens von dem Auftrag erzählen!“, bat er unterwürfig, als er ihn eingeholt hatte. Das Erste, das er gelernt hatte, seit er mit Nereth befreundet war, war, dass man bei ihm nur dann etwas erreichte, wenn man sich ihm unterordnete. Es war einer der wenigen Tricks, die klappten. Und auch jetzt verfehlten Nels Worte ihre Wirkung nicht.
„Gut, von mir aus“, fauchte Nereth widerwillig, aber Nel wusste, dass er jetzt schon fast gewonnen hatte.
„Folgendes“, begann er mit enthusiastischer Begeisterung zu erzählen, „Lyras will, dass ...“
„Kannst du seinen Namen vielleicht weglassen“, zischte Nereth ärgerlich, „ich will ihn nicht mehr hören müssen!“
„Ja, schon gut! Jedenfalls, wir sollen in den Palast einbrechen und eine Schriftrolle von Rhésus stehlen“, berichtete Nel.
„Wir sollen einen Fetzen Pergament klauen? Vom König persönlich?“, rief Nereth ungläubig aus. Er hatte wirklich schon beeindruckendere Aufgaben erfüllt, als Pergament zu stehlen. Doch Nels zufriedener Blick verriet ihm, dass da noch mehr war.
„Kein Fetzen Pergament“, sagte Nel verächtlich und schlug sich die Hand auf den Kopf, „eine niedergeschriebene Prophezeiung. Und das ist noch lange nicht alles, hier geht es um DIE Prophezeiung!“
„Sie interessiert mich nicht“, sagte Nereth unbeeindruckt.
„Nein, du interessierst dich nur für dich selbst! Alles andere ist dir egal!“
„Das ist nicht wahr!“
„Dann hilf mir! Bitte, Nereth, nur noch dieses Mal! Danach helfe ich dir auch, Lyras Rache zu entkommen, wenn du uns wirklich verlassen willst“, bot Nel an, in der Hoffnung, seinen verbitterten Freund vielleicht so umstimmen zu können. Aber Nereth schüttelte den Kopf. „Er würde auch dich töten, wenn er erfährt, dass du mir geholfen hast.“
Nel lachte auf, aber es war kein freudiges Lachen. „Dann ist dir also doch nicht alles so gleichgültig, wie du immer tust! Also, hilfst du mir?“
Nereth seufzte tief. Er hatte nach wie vor nicht die Absicht, dem König die Prophezeiung zu stehlen, aber wenn er so darüber nachdachte, dann war das der gefährlichste Auftrag, der ihm jemals angeboten worden war. Und er konnte ihm vielleicht sogar bei seiner Flucht vor Lyras helfen, ohne dass Nel sich für ihn in Gefahr begeben musste.
„Gut“, sagte er, „aber ich werde nicht mehr mit dir aus dem Palast fliehen, wenn wir das Schriftstück haben. Du wirst alleine zu Lyras zurückkehren, ihm die Prophezeiung geben und ihm sagen, dass ich bei dem Auftrag ums Leben gekommen bin.“
Nel grinste. Er fand es immer wieder bemerkenswert, wie Nereth die Umstände zu seinem Gunsten verändern konnte.
„Lyras wird den Tod des Schattens sicher betrauern“, meinte er und lachte. Aber wieder war es schwarzer Humor. Soweit er wusste, hatte noch nie jemand gewagt, aus Lyras Gilde auszusteigen. Er verstand auch nicht ganz, warum Nereth gerade jetzt gehen wollte. Er war der beste Dieb, den es weit und breit gab und die Leute, die verbotenen Geschäften nachgingen, rissen sich förmlich um seine Dienste. Aber Nel akzeptierte Nereths Entscheidung, auch wenn sie bedeutete, dass sie sich nie wieder sehen würden. Nereth wusste das auch. Dieser Auftrag war der letzte, den der Schatten und die Nacht zusammen erledigten.
Um Mitternacht machten sich die beiden auf zum Palast. Nereth hatte wieder seinen seltsam geformten Bogen und die langen, schwarzen Pfeile dabei. An seiner Seite hing ein altes Kurzschwert, das er aber immer nur im Notfall benutzte. Er war ein geschickter Schütze, der beste, den Nel kannte. Er selbst vertraute eher auf die Durchschlagskraft von großen, massiven Waffen, wie zum Beispiel seinem beidhändigen Langschwert.
„Hast du dir überlegt, wie wir überhaupt in den Palast hineinkommen?“, fragte Nereth, als sie sich im Schatten der verwinkelten, mit Ratten überfüllten Gassen trafen. Nel antwortete nicht. Wozu auch? Es war nicht seine Aufgabe, über das „Wie“ nachzudenken. Aber Nereth machte sich einen Spaß daraus, ihm diese Frage immer wieder zu stellen. Nel wurde plötzlich klar, dass es das letzte Mal war, dass er sie zu hören bekam. Ihr letzter Auftrag zusammen. Irgend etwas an Nereth verriet ihm, dass auch er darüber bedrückt war. Nereth hatte immer so unberührbar und überlegen gewirkt, dass Nel sich neben ihm immer klein und unbedeutend vorgekommen war. Doch nun konnte er etwas an seinem Freund wahrnehmen, das ihn ... menschlicher machte.
Nereth zog das schwarze Tuch, das er immer um den Kopf gebunden trug, fester zu und prüfte schnell und unauffällig, ob es auch ganz sicher seine Ohren verdeckte. Er war sehr darauf bedacht, sein Geheimnis zu wahren, selbst vor Nel.
„Es gibt einen geheimen Eingang in die Kerker des Palastes, der uns auf einigen Umwegen in Rhésus Bibliothek bringt. Ich glaube zwar nicht, dass wir sie dort finden, aber ich habe mit ein paar Leuten gesprochen und mich erkundigt. Angeblich soll der König hinter der Bibliothek eine versteckte Kammer haben, von der nur seine engsten Vertrauten wissen. Er hat nicht einmal Farth davon erzählt!“, berichtete er Nel. Mehr brauchte er nicht zu sagen, für beide war bereits klar, wie sie vorgehen würden. Nereth übernahm die Führung und schlich unbemerkt zu einer dicken Steinwand, die noch zu Rhésus Palast gehörte. Selbst ein gutes Auge hätte die fast unsichtbaren Rillen in der schroffen Wand nicht bemerkt, aber Nereth hatte sie schnell entdeckt. Nel sparte sich die Frage, wie er sie so leicht hatte sehen können. Im Laufe ihres symbiotischen Zusammenlebens hatte Nereth viele außergewöhnliche Fähigkeiten an den Tag gelegt, über die er aber nie sprach. Nereth redete eigentlich überhaupt nie mit Nel oder irgend jemandem sonst über sein Leben und seine Vergangenheit. Nel hatte es bald aufgegeben, ihn danach zu fragen. Die einzige vage Andeutung, die sein großer, schwarzhaariger Freund jemals über seine Vergangenheit gemacht hatte, hatte mit Elfen zu tun gehabt. Aber als Nel ihn weiter danach gefragt hatte, hatte Nereth das getan, war er immer tat, wenn er nicht über etwas sprechen wollte: Er hatte Nel einige bissige Wörter an den Kopf geworfen und war dann einfach verschwunden. Manchmal hatte Nel ihn danach tagelang nicht zu Gesicht bekommen. Wenn er dann überraschend wieder aufgetaucht war, war wieder alles wie immer gewesen.
Während Nel seinen Gedanken nachgehangen hatte, hatte Nereth ihn bereits in das Gefängnis geführt und die Tür sorgfältig hinter sich verriegelt. Niemand hatte sie bemerkt.
„Das war ja einfach!“, bemerkte Nel und warf einen prüfenden Blick in die Zellen, die sie umgaben. Sie waren leer, anscheinend hatte der König gerade keine große Lust, seine Untertanen zu foltern. Doch es gab Tage, da waren Cuab’barads Kerker geradezu zum Bersten gefüllt mit menschlichen Körpern und nicht selten befanden sich zwischen ihnen auch Leichen.
Nereth warf Nel ob seiner Bemerkung einen scharfen, mahnenden Blick zu.
„Leise, verdammt! Und falls du es noch nicht gemerkt hast, das ist ein Gefängnis! Man kommt leicht hinein, aber das Gegenteil davon ist meist etwas schwerer!“, belehrte er seinen Freund überflüssiger Weise. „Und jetzt komm!“
Obwohl Nereth erst einmal in diesem Gefängnis gewesen war, kannte er die Wege in- und auswendig. In Sekundenschnelle hatten sie die Kerkerabteilung hinter sich gelassen. Sie kamen zwar noch nicht in die gepflegteren Teile des Palastes, aber wenigstens stank es hier nicht mehr so abartig nach fauligem Stroh und verwesenden Ratten.
Plötzlich konnte Nereth laute Schritte vor sich vernehmen. Auch Nel hatte es gehört. Er blickte sich schnell, aber mit aller Ruhe nach einem Versteck um, in dem er und Nereth untertauchen konnten. Es gab keines. Natürlich konnte Nereth die unwillkommene Wache einfach erschießen, doch hierbei hatten sie zwei Probleme: Erstens, Lyras hatte ausdrücklich befohlen, niemanden zu töten und zweitens, die Wache würde mit ihrer ganzen eisenbeschlagenen Rüstung auf den Boden prallen, und dann wäre jeder im ganzen Palast alarmiert. Rhésus Palast war bekannt für seine gewaltige Schallweite. Es gab auch kein Fenster, aus dem sie hätten fliehen können, sie waren der Wache mehr oder weniger hilflos ausgeliefert. Nel wurde langsam doch unruhig. Sie konnten auch nicht in die Gefängnisse zurück, weil die alte Eisentür rostig war und laut quietschte, wenn man sie bewegte.
Nel hörte, wie Nereth etwas flüsterte, das er nicht verstand. Es musste eine Fremde Sprache sein, die Nel noch nie gehört hatte. Aber es klang wie eine Art Gebet, das Nereth sprach.
Nereth drehte sich zu Nel um und blickte ihm tief in die Augen. „Ich werde dir mein größtes Geheimnis verraten, Nel“, sagte er, „und ich bitte dich, dich nicht zu fürchten.“
„Warum sollte ich das tun?“, fragte Nel, leicht verwundert über Nereths seltsame Worte.
Sein Freund senkte den Kopf und öffnete mit seinen zarten, aber unglaublich starken Fingern den festen Knopf, der das schwarze Tuch um seinen Kopf zusammenhielt. Nel wartete gespannt. Es war ihm nie wirklich aufgefallen, aber er hatte Nereth noch nie ohne Kopftuch gesehen. Was hatte er außer seiner rätselhaften Vergangenheit noch zu verbergen?
Einen Atemzug später wusste er es. Nel zuckte unweigerlich zurück, als Nereth das Tuch vom Kopf nahm. Er konnte nicht glauben, was er sah; zwischen Nereths zerfransten Haaren waren zwei kleine, spitze Ohren zu sehen.
„Du ... du bist ein ...“, stotterte Nel fassungslos. Er wich noch einen Schritt vor Nereth zurück. Hinter ihm spürte er die feuchte Wand des Korridors.
„Ich bin ein Schattenelf, ja“, seufzte Nereth unglücklich, „aber das könnte uns jetzt das Leben retten. Würdest du dich von mir gefangen nehmen lassen?“
Nel konnte einmal mehr nicht glauben, was er hörte. Nereth hatte ihn gerade um etwas gebeten, das hatte er vorher noch nie getan. Nel wollte alles andere, als sein Leben in die Hände eines Schattenelfs zu legen, aber Nereth war sein Freund und er vertraute ihm. Dass er jetzt ein Schattenelf war, änderte daran nichts, aber es machte ihn unsicher.
Als Gefangener und Schattenelf kamen sie problemlos an der Wache vorbei und sogar bis zur Bibliothek. Nereth schob Nel vor sich hinein und schloss die Tür hastig hinter sich. Er ließ seinen Freund wieder los und öffnete das Seil, das er um seine Hände gebunden hatte, um ihre Erscheinung glaubhafter wirken zu lassen. Dann machte er sich daran, nach einer geheimen Tür zu suchen. Dazu klapperte er systematisch alle Wände und Regale von oben bis unten ab.
„Ich weiß nicht, aber irgendwie bist du anders als die anderen Schattenelfen. Und das sage ich nicht, weil ich dich inzwischen schon seit elf Jahren kenne!“, stellte Nel fest, während er versuchte, Nereth zu helfen. Leider wusste er nicht, wonach er suchen sollte. Nereth war der Experte in Sachen Geheimgänge und –türen, nicht er.
„Wie kommst du darauf?“, fragte Nereth, doch an seiner ablenkenden Stimme konnte Nel erkennen, dass er mit seiner Bemerkung nicht ganz Unrecht gehabt hatte. Er zuckte mit den Schultern und suchte nach Worten, um seinen Eindruck zu beschreiben. „Deine Augen sind nicht steinern, wie die der anderen Schattenelfen, die für den König arbeiten. Deine sind eisig und kalt, aber nicht aus Stein“, sagte er schließlich.
„Einbildung“, kam die erwartete, abweisende Antwort. Aber Nel war sich absolut sicher, dass es keine Einbildung seinerseits gewesen war. Doch er wurde von einem lauten Geräusch abgelenkt, das sich anhörte, als ob Holz auf Holz rieb. Nereth hatte den versteckten Raum gefunden!
Im nächsten Moment drückte er ihm eine kleine, braune Schatulle in die Hand und sah ihn zufrieden an.
„Woher weißt du, dass sie da drin ist?“, fragte Nel. Nereth hatte die Schatulle nicht geöffnet.
„Es sind fünf verschiedene Schlösser, die verhindern, dass sie die falschen Leute öffnen. Kann es also etwas anderes sein, als die Prophezeiung?“
Nel nickte. Nereth hatte natürlich Recht. Bedrückendes Schweigen legte sich zwischen sie und die Regalreihen.
„Tja, damit ist unsere gemeinsame Zeit wohl zu Ende“, sagte Nel betrübt. Er konnte seine Betroffenheit darüber nicht verbergen, und er wolle es auch gar nicht. Er war gerade dabei, seinen besten – seinen einzigen – Freund für immer zu verlieren. Es erschien ihm falsch, jetzt seine Gefühle zu unterdrücken.
Nereth wirkte nicht weniger betroffen. Er band sich wieder sein schwarzes Tuch um den Kopf.
„Keine Sorge, ich werde dein Geheimnis mit mir ins Grab nehmen.“
„Danke.“
Nel zog verwundert die Augenbrauen hoch. „Wie war das?“
Nereth lächelte. Er hatte Nel noch nie gedankt.
„Was wirst du tun, wenn Lyras dich für tot hält?“, fragte Nel.
Nereth zuckte mit den Schultern. Vielleicht würde er nach Osten gehen, wo das Land noch nicht unter Rhésus‘ Tyrannei stand und die Menschen noch frei waren. Oder er ging zu den Elfen. Vielleicht hatten sie ihm und seiner Mutter nach all den Jahren endlich verziehen.
Wie auch immer, er würde es früher oder später wohl erfahren. Oder auch nie. Das Schicksal würde darüber entscheiden, ob er jemals Vergebung finden würde. „Und du?“
„Ich werde Lyras von deinem Tod berichten. Aber er will sicher einen Beweis. Der beste Überlebenskünstler Madalias stirbt nicht einfach so“, meinte Nel. Er hatte nicht Unrecht, Lyras würde sicher misstrauisch werden, wenn Nel ihm einfach so von seinem Tod berichtete. Nereth streifte sich ein feines, silbernes Armkettchen von seinem Handgelenk und gab es Nel. Dann zog er sein Schwert und schnitt sich tief in die Hand. Das Blut ließ er auf das Armkettchen rinnen. „Das wird ihn überzeugen. Er weiß, wie wichtig mir dieses Armband ist und auch, dass ich es nie freiwillig hergegeben hätte“, sagte er und wischte sich die Hand an seinem Gewand ab, machte sich aber weiter nichts daraus. Er hatte schon schlimmere Verletzungen überstanden. „Du kannst es behalten.“
Nel nickte. Bevor sich erneut Stille zwischen sie legen konnte, verließen sie hastig und leise wieder den Palast. Dieses Mal nahmen sie aber einen anderen Weg, der sie gleich näher zu einem der Stadttore führte.
„Du gehst jetzt gleich? Ich dachte, du wolltest bis morgen warten“, sagte Nel, als sie den Palast verließen und er sah, wo sie waren.
„Ja, aber das war, bevor ich mich als tot ausgegeben habe“, rief ihm Nereth in Erinnerung.
„Oh ... also dann, mach’s gut!“
Er wollte sich umdrehen und gehen, aber Nereth hielt ihn noch einmal zurück. Nel sah ihn erwartungsvoll an. Seiner Meinung nach war alles gesagt, aber Nereth schien noch etwas auf dem Herzen zu haben.
„Ich will, dass du eines weißt: Ich habe nie jemand anderem außer dir vertraut, Nel. Und ich werde nach dir keinem mehr vertrauen. Du bist der Einzige, der um mich Bescheid weiß.“
Nel legte ihm brüderlich die Hand auf die Schulter. „Und ich habe nie zu jemand anderem aufgeschaut. Und auch daran wird sich nichts ändern. Vielleicht werde ich dir irgendwann einmal nachfolgen.“
„Meine Wege sind die Wege des Schattens, das weißt du.“
„Die Wege der Nacht sind nicht anders. Wir werden uns wieder sehen, in diesem Leben oder im nächsten.“
Es waren keine Abschiedsworte, die Nel ausgesprochen hatte.

Es war ein Versprechen.

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Tag der Veröffentlichung: 01.02.2010

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