Cover

Stark

Für eine Mutter gibt es nichts traurigeres, als ihr Kind unglücklich zu sehen. Meine 14-jährige Tochter Sue hat Leukämie und lebt nun schon seit 2 Jahren mit dieser Krankheit. Wir leben zusammen mit der Krankheit, sie gehört unglücklicher Weise zu unserer Familie. Zu diesem Zeitpunkt können wir wieder ein geregeltes und normales Leben führen. Die letzen Ergebnisse waren zu Sues Gunsten und der Krebs sei fürs Erste besiegt. Doch meine Tochter ist noch immer gezeichnet von dem Kampf mit der Krankheit. Innerliche Schäden sind für Außenstehende nicht zu sehen, doch die äußerlichen Zeichen sind umso mehr zu erkennen. Abgesehen von der hellen Haut und dem hageren Körper, war es ihr Kopf. Durch die Chemo hatte sie all ihre Haare verloren und trug deshalb immer eine Perücke.

Sue stand eines nachmittags bei und in der Küche und teilte uns mit, dass sie wieder zur Schule gehen wolle. Ihr Vater und ich haben mit Sue lange Gespräche geführt. Uns war bewusst, dass der Schulbesuch neue Probleme mit sich bringt und wir noch nicht wussten, ob Sue stark genug für diesen Schritt war. Meinem Mann und mir war klar, wie grausam Kinder sein können. Unabhängig davon, ob es Worte oder Taten waren. Wir boten ihr sogar an, ihr einen privat Lehrer zu stellen. Doch sie winkte ab. Sie wollte diese neue Stufe betreten, komme was da wolle.
Es war so lange her, dass ich meine Tochter an der Schule abgesetzt hatte. Ich hielt eine Straße weiter, stellte den Motor aus und blickte auf sie herab. Sie saß ruhig neben mir, die Hände im Schoß gefaltet und den Blick gesenkt. Im Auto war es still, ich hörte wie mein Herz vor Aufregung immer schneller gegen meine Brust hämmerte. Sue bemerkte meinen Blick, der auf ihr ruhte. Sie blickte auf und sah mir in die Augen. Die Entschlossenheit spiegelte sich in ihnen und ich verstand meine Tochter. Ich verstand, dass sie es satt hatte, sich von der Krankheit jegliche Erlebnisse, ob Gute oder Schlechte, nehmen zu lassen.
Sie setze sich gerade auf, rückte ihre Perücke zurecht und nahm tief Atem.
Entschieden sagte sie, mehr zu sich selber, als zu mir: "Ich schaff' das."
Mit diesen Worten stieg sie aus dem Auto und in meinem Kopf hallte dieser letze Satz den ganzen Tag in meinem Kopf.

Zur verabredeten Zeit holte ich sie wieder von der Schule ab. Von der vorherigen Entschlossenheit war allderdings nichts mehr zu sehen. Ganz im Gegenteil, Sue sah geschafft und verweint aus. Einzelne Tränenstreifen waren noch auf ihrem Gesicht zu erkennen. Ich fragte sie, was Schreckliches passiert sei, doch sie entgegnete nichts. Sie wollte nicht mit mir über das Geschehene reden.
So ging es drei Wochen lang, sie stieg schweigend in unser Auto, die getrokneten Tränenspuren waren ebenfalls wieder zu erkennen und erzählen wollte sie mir auch nichts über das Vorgefallene.
Es zeriss mir das Herz, meine Tochter so zu sehen, aber ich konnte nichts dagegen tun.

Eines Abends rief sie mich in ihr Zimmer. Ich trat ein und sah Sue unter ihrer Bettdecke liegen. Sie bebte vom  Schluchzen. Ich streichelte zärtlich über ihren Kopf, da ich wusste, dass Worte ihr noch nicht helfen konnten.
Nach einiger Zeit beruhigte Sue sich, aus dem Schluchzen wurde ein ruhiges Atmen.
Sie war bereit, mir von den Vorfällen in der Schule zu erzählen. Sue begann damit, dass die Mitschüler ihr in den Pausen die Perücke wegnehmen und mit ihr umherwerfen. Mir stockte der Atem, bei dem was ich da hörte. Und abermals wischte ich ihr Tränen von der Wange. Ich konnte kaum beshreiben, was in mir vorging, als ich davon erfahren habe. Das einzige, was ich jetzt tun konnte, war meine Tochter in den Armen zu halten. Ich wünschte mir von ganzem Herzen, dass sie so eine Erniedrigung nicht noch einmal ertragen muss.

Wir lagen still da, lauschten auf den Atem des anderen. Gerade als ich ich aufstehen wollte, erklang ihre erschöpfte Stimme im Dunkeln des Zimmers. Sie bat mich noch einmal, sie in die Schule zu fahren. Perplex starrte ich sie an, denn damit hatte ich nicht gerechnet. Ich merkte wie sich meine Arme noch mehr um sie schlossen, damit ich sie beschützen konnte. Innerlich streubte sich alles gegen diese Bitte. Doch ich willigte schluss endlich ein, denn so wie ich meinte Tochter kannte, würde sie in den nächsten Bus einsteigen oder gar zu Fuß zu ihrer Schule gehen. Mir war allerdings nicht klar, warum sie wieder in die Schule wollte. Doch morgen würde ich es erfahren.

Die ganze Autofahrt hinweg, sprach sie kein einziges Wort. Ihr Blick war starr auf die Straße gerichtet. Ich wurde einfach nicht aus ihrem Verhalten schlau. Ich unterbrach die Stille im Auto, indem ich ihr abermals beiflichtete, dass sie nicht in die Schule müsse, wenn sie nicht möchte, da sie Untericht bei uns zu hause bekommen könnte. Doch es hielf alles nichts, Sue blieb bei ihrer Entscheidung.

Nun standen wir da, ich hörte ihren Herzschlag. Sie atmete wieder tief ein und richtete ihren Blick auf mich. Und da war er wieder, dieser entschlossene und entschiedener Blick. Sie war bereit. Doch wofür war sie bereit, ich wusste es immernoch nicht.

Anstelle von Tränen in ihren Augen, lag ein Glitzern in ihnen. Sie führte die rechte Hand zu ihrem Kopf, wo ihre Perücke saß. Nun wusste ich wofür sie bereit war. Sue zog sich ihre Haare vom Kopf, stieg aus dem Auto und an ihrer statt lagen nun ihre Haare neben mir.

Wie viel Mut und Kraft sie für diese Tat auf sich nehmen musste, wusste ich nicht, aber es müssen Unmengen davon sein.

 

 

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 30.07.2013

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Ich widme dieses Buch allen Tagträumern und Andersdenkern. Mögt ihr Mut und Kraft aus Worten schöpfen.

Nächste Seite
Seite 1 /