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Für Jen. Immer wieder für Dich.




Inhalt



1. Diese Liebe darf es nicht geben

2. Tu es demanquée


Diese Liebe darf es nicht geben



Sie begegneten sich auf offener Straße an einem regnerischen Tag mitten in Paris.
Die Champs Elysées war bereits nicht mehr so belebt, wie man es von ihr gewohnt war und doch schienen die Menschenmassen die Gedanken zu erdrücken.
Seit Tagen wusste Gael nicht, ob er sie jemals wiedersehen würde. Traurig schweigend und mit herab hängenden Augen verloren sich seine Gedanken auf dem Pflaster der Liebesstadt. Menschen um ihn herum genossen das Glück oder Unglück, das ihnen gegeben worden war. Vielleicht von Gott, vielleicht aus eigener Arbeit. Welchem Gott man auch huldigte, man beschäftigte sich doch nur mit sich selbst. So war er auch gewesen. Nicht so erfolgreich wie er gerne geträumt hätte.
Doch SIE hatte alles verändert. Sie waren sich an Notre Dame de Paris begegnet, als sie beide die herrlichen Reliefs betrachtet hatten. Es war wie ein Sternenschauer gewesen, als sie sich ihre Blicke trafen und sie beide darin beim jeweils anderen die Faszination für Altes und Totes erkannten. Zwei Menschen, deren Herzen für die Vergangenheit schlugen und zwei Herzen, die sich nicht in der Gegenwart zurecht fanden. Sie wirkte fehl am Platze mit ihrer Dauerfröhlichkeit und ihren bunten Klamotten, während er in der Masse unterging in seinem grauen Mantel und den schwarzen Haaren.
Sie waren Essen gegangen. Und Gael hatte sich in ihre Augen und ihren Namen verliebt. Joelle. Er reimte sich auf seinen eigenen Namen und machte es damit noch schöner. Und beide hatten sie einander gefunden. Nicht auf der Straße zwischen all dem hektischen Treiben. Sondern zwischen einander. Sie sahen sich in die Herzen und öffneten ungeahnte Türen, so als habe das Schicksal selbst seine Pforten geöffnet und entließ eine Flut an Gegebenheiten heraus.
Sie waren beide kein Freund von Handys oder E-Mails gewesen, sodass sie keinerlei Kontaktadressen austauschten. Lediglich ihre Namen und die Gewissheit, das der jeweils andere in Paris war und dort blieb.
 
Es vergingen die Wochen.
Gael ging seinem Beruf nach. Er war Schriftsteller und befand sich gerade dabei, sein Erstlingswerk zu schreiben. Es war schwer, sich zu fokussieren und am Ball zu bleiben, wie sein Vater immer gesagt hatte. Und dennoch versuchte er sein möglichstes. Er bewohnte eine kleine Wohnung am Boulevard du Montparnasse. Gleich um die ecke befand sich ein lauschiges , kleines Lokal und ein Gemüsehandel, der ihn wesentlich mehr prägte als alles andere. Dennoch verging um Gael niemals der Schein der Gedanken.
Immer, wenn er abends im Bett lag und an die Decke seines Zimmers starrte, kreisten sie um Joelle. Um ihre dunklen Haare, die im Winde tanzten und das einnehmende Lächeln, das so entwaffnend war wie die Sonne an einem Regentag. Egal, in welchem Zusammenhang er sie sich vorstellte, war sie wunderschön. Sie war ein Engel auf Erden. Einer Göttin gleich. Sie bewegte sich mit soviel Anmut und war doch so herzhaft menschlich.
Er hatte sie niemals berührt.
Und er bereute diesen Umstand beinahe so sehr wie den, nicht nach ihrer Adresse gefragt zu haben. Er hatte ihr seinen vollen Namen genannt, sodass sie ihn finden konnte, wenn sie denn wollte.
Aber wochenlang tat sich nichts. Jeden Morgen, wenn er hinunter zum Laden ging, um sein Mittagessen zu kaufen und ein wenig durch das Viertel zu bummeln, warf er einen Blick in den Briefkasten und sagte dem alten Merlot, dass er aufpassen sollte, wenn der Briefträger kam. Wenn er einen Brief für Gael hätte, so sollte er ihn aufhalten und mit Zähnen festhalten bis er zurückkam. Und Merlot grinste jedesmal und nickte nur freundlich, während er seine Pfeife stopfte und mit runzligen, müden Augen über die Straße blickte.
Es war wie verhext. Ein Dutzend Geschichten entstanden und in allen spielte Joelle eine tragende Rolle. Jedesmal endete die Liebesgeschichte glücklich, auch wenn die Umstände noch so widrig gestaltet waren. Und jedes Mal, so erschien es Gael, gestaltete er Joelles Charakter mehr und mehr genauer. Er gab ihr eine Geschichte. SIe kam aus Lyon und war nach Paris gekommen, um ihr Glück zu suchen. Wie so viele in ihrem Alter. Ihr Vater war an einer Krankheit gestorben und ihre Mutter lebte allein mit einem kleinen Kind auf dem Land in der Nähe von Lyon. Vielleicht auch Avignon. Er konnte sich nicht entscheiden.
Er hatte Glück. Ein kleiner Verlag kaufte die Geschichten und brachte sie in verschiedenen Zeitschriften als Lückenfüller. Doch egal, wie betrüblich klein die Spalten waren, die man seinem Herzblut zugedachte, so war es doch sein Traum. Seiner und kein anderer. Lächelnd kaufte er am Zeitungsstand an der Ecke Rue du Cornasse eine der Zeitschriften und blätterte darin herum. Schließlich fand er die Geschichte und las sie. Einmal. Zweimal.
Man mochte es Obsession nennen, aber er war glücklich. Denn zum ersten Mal seit seinem Wiederbeginn zu Schreiben erschien ihm Joelles Charakter als abgeschlossen. Sie war dort. Auf dem Papier. Wenn auch nicht real. Aber sie war dort. Er spürte ihren Geist durch die Druckertinte und küsste das Papier wie ein Wirrer.
Lachend warf er den Kopf in den Nacken und blickte in den blauen Himmel über Frankreich. Man mochte es Liebe nennen. Aber für ihn war es ein Leben. Sein Leben. Sein Herz, das entflammt war wie ein Zunderberg. Als habe man einen Funken hinein geworfen. Damit würde er sie erreichen, dachte er. Sein Gettysburgh. Er bezahlte die Zeitschrift und ging beschwingten Schrittes die zwei Blöcke nach Hause.

Man mochte es Schicksal nennen.
Zuhause angekommen hielt ihn der alte Merlot an und berichtete, dass der Briefträger einen Brief dagelassen habe. Beinahe ungeduldig riss er den Briefkasten auf und warf einen Blick hinein. Und tatsächlich. Ein Brief. Fein säuberlich gefaltet und verklebt. Mit einer Briefmarke aus Paris, vielleicht nicht weit von hier eingeworfen. Kein Absender, und doch wusste er, von wem der Brief kommen musste. Als er den Zettel auseinander faltete, hüpfte sein Herz, als er eine weibliche Schrift entzifferte, die folgende Worte zu ihm sprach: 

Mein lieber Gael,
ich bitte Dich, diesen Brief niemals zu lesen. Denn wenn Du es tust, ist das passiert, was ich befürchtet habe. Wir haben uns verliebt!
Mein Herz schlägt jedes Mal, wenn ich an Dich denke oder Deinen Namen auf Papier schreibe. Und wie sehr habe ich mit mir gekämpft, Dir nicht zu sagen, wie ich empfinde. Ich habe mich gewunden, mehr als ein Schlangentänzer, um mich nicht dieser einfachen und zugleich furchtbaren Wahrheit zu stellen.
Als wir uns im Schatten von Notre Dame trafen, wusste ich, wer Du warst. Ich sah Dir an, dass du das Alte so sehr liebst wie ich und dass Du nicht recht zu allem passen wolltest. Du warst ein Eiland in einem endlosen Meer voller Individualismus und Idealen. Noch viel wichtiger: Du warst MEIN Eiland. Ich habe gekämpft, mein lieber Gael. Ich habe mit mir gerungen, um mir das alles nicht einzugestehen.
Ich hatte nicht damit gerechnet und nicht darauf gehofft, einen Menschen wie Dich kennen zu lernen. Der es schafft, mich binnen drei Stunden auf eine Art und Weise zu erreichen, die ich niemals für möglich gehalten hätte. Du hast in mir Türen geöffnet, die ich für immer geschlossen hatte oder noch nicht einmal kannte. Und das alles macht es leider auch unmöglich...
Ich habe die Zeitschrift gelesen, weißt Du?
Ich habe Deine Geschichte gelesen, in der jener Jüngling auf eine Göttin von Frau trifft. Und weißt Du was? Ich habe die Botschaft verstanden. Sobald ich die Geschichte gelesen hatte, habe ich alles verstanden. Du hast mich gezeichnet oder? Du hast mich beschrieben und mich betrachtet. Und all das stammt von Dir. Oder sollte ich sagen: von mir?
Du hast mich betrachtet wie kein anderer jemals zuvor und deshalb ist diese Liebe schon beinahe nicht möglich. Sie darf nicht sein!
Ich weiß, das verwirrt Dich, aber ich kann es nicht anders ausdrücken. Du bist das Perfekte für mich. Meine Perfektion. Aber gleichzeitig mein Untergang. Irgendwann einmal wirst Du verstehen, was ich meine...Aber Du darfst mich nicht im Herzen behalten.
Ich werde morgen um 15 Uhr an Sancre Coeur sein, um Abschied zu nehmen. Nicht von Dir, aber von Paris. Ich fahre nach Hause.
Es gibt Wahrheiten, die wir nicht wahrhaben wollen.
Und ich wünschte, wir wären uns früher begegnet.

Ich liebe Dich,
Joelle


 
Beinahe zerrüttet blickte der junge Mann auf die Worte und Tränen füllten seine Augen. Sollte das alles gewesen sein?! Mit Entsetzen stellte er fest, dass er es vielleicht unmöglich zur Sancre Coeur schaffen konnte. Vielleicht ja, vielleicht nein. Sollte das dumme Schicksal entscheiden.
 
Mit keuchendem Atem und schweißnasser Stirn jagte er die Stufen hinauf.
Als biss ihn der Wolf wirbelte er herum, als er die Platform vor Sancre Coeur erreichte, wo Dutzende von Männern und Frauen mit Erkennungszeichen auf ihre Verabredung warteten. Doch Joelle war nicht da. Gael blickte jeder Frau ins Gesicht, so als suche er Unreinheiten oder sei geistig verwirrt. Er wurde herumgeschubst, weggestoßen oder mit Beleidigungen davon gejagt. Aber all das war vollkommen substanzlos. Unwichtig. Denn er suchte etwas sehr wertvolles. Sein Leben. Sein Herz. Es lag nicht auf der Straße, auch nicht auf den Platten der Platform. Die Menschen sahen nur einen wirren jungen Mann, der traurig und mit einem zerknüllten Zettel in der Faust die Platte entlang lief und einen Namen vor sich her murmelte. Er suchte, das konnten sie sehen. Aber was er suchte, blieb ihnen verborgen.
Bis er es schließlich fand.
Beinahe ehrfürchtig fiel Gael knapp vor dem Tor auf die Knie und blickte auf einen gefalteten Zettel auf der obersten Stufe. Ein Brief. An ihn. Sein Name stand in geschwungener Schrift auf dem obersten Quadrath. Keuchend und vollkommen desillusioniert öffnete er den schmalen Zettel und las:
Ich bin in Dir. Ich bin Du. Du bist ich. Wir sind eins. Auf ewig. Deine Joelle.


Mitleid hatte nur der alte Merlot mit ihm. Er kam gebeugt und geknickt nach Hause, den Mantel gerade so auf den Schultern, während die Haare ihm klebrig in die Stirn hingen. Zu seiner Überraschung sprach ihn Merlot auf Joelle an. Er kannte sogar ihren Namen. Und Gael erzählte. Er erzählte von Gefühlen und Eindrücken. Von Träumen und Vorhaben, die er gemacht hatte und von der Tatsache, dass eine Frau sein Herz war. Und mit einem Mal weinte er. Und er weinte viel. Er hatte vielleicht vor zwanzig Jahren zuletzt Tränen vergossen. Immer stoisch jeden Rückschlag ertragen, jede Schwelle im Leben überstanden und übergangen. Er war dort geblieben. Er war am leben. Doch dieses Mal weinte er. Es war schwer, zu akzeptieren, die Frau seines Lebens verloren zu haben. Vielleicht an einen anderen, vielleicht auch nicht. Doch alles das schlug sich nun in einem verletzten Gemüt nieder wie ein Hammerschlag auf totes Fleisch.
"Du musst schreiben.", sagte Merlot schließlich mit rauer Stimme und paffte an seiner Pfeife. "Du musst schreiben."
Und damit hatte er Recht.

So kam es, dass Gael Cissé Zola immer wieder Geschichten schrieb. Romane, Kurzgeschichten, Novellen, Satiren. Und immer versteckte er einen Teil einer Nachricht in ihr. Eine Nachricht, die nur er kannte und von der er hoffte, dass sie Joelle erreichten. Wo auch immer sie gerade war. Und noch heute ist es so. Gerade in diesem Moment sitzt Gael an seinem Schreibtisch und schreibt an einer Geschichte über eine Liebe, die nicht sein durfte und das Unglück, was dann folgte.
Und wer weiß...
Vielleicht sitzt eine junge Frau jetzt in einem Stuhl oder einem Café und liest in einer Zeitschrift für Frauen. Sie mögen sie vielleicht als nicht besonders erachten, doch wenn Sie glauben, sie liest sehr intensiv eine Groschengeschichte über eine unglückliche Liebe oder ein Paar das sich versöhnt, könnte es sein, dass Sie Joelle gefunden haben.
Wenn ja, dann gehen Sie vorsichtig vor und passen Sie auf sie auf.
Denn Joelle ist mein Herz.

Du wirst immer mein Herz bleiben.
In Liebe,
Dein Gael.




Impressum

Texte: Copyright by Shadow Ter Vey
Tag der Veröffentlichung: 27.02.2011

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