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Kapitel 2


Am späten Vormittag des folgenden Tages.
Es schüttet wie aus Eimern. Der Tag hat schon mit reichlich Gewittern begonnen und scheint sich auch nicht beruhigen zu wollen. Von heißen Sonnentagen ist jetzt keine Rede mehr, denn es hat sich merklich abgekühlt. Trotzdem kündet häufiges Grollen in den Wolken vom Kampf der Temperaturen und lässt nichts Gutes erahnen.
Ungeachtet dessen findet ein blauer Kleinwagen sein Weg auf der nahe gelegenen Landstraße zur Familie Schluck. Es ist Bernd Wichtel in seinem mobilen Einsatzfahrzeug für Havarien der häuslichen Sanitärinstallation. Er ist ein Freund des Bauern und häufiger Besucher in dessen Haus. Ein lustiges Kerlchen in den Zwanzigern mit coolen Sprüchen auf den Lippen zu jeder Tageszeit und einer optimistischen Lebenseinstellung, die offenbar durch nichts zu erschüttern ist. Der junge Mann ist äußerst beliebt im Ort und das nicht nur wegen seines hilfsbereiten Wesens. Stets höflich und nett kommt er daher und man kann getrost sagen, dass er der Schwarm sämtlicher Schwie­germütter ist.
Verabredet waren er und der Bauer auf der Wiese am nahen Waldrand. Aber bei diesem Wetter zieht es der junge Mann vor seinen Be­kannten zu Hause
aufzusuchen. Kurze Zeit später zuckelt das Ge­fährt auf den Kiesweg neben dem schmucken Einfamilienhaus. Mit einem beherzten Sprung findet sich der Fahrer neben dem Fahrzeug wieder und steuert ohne Umschweife auf den Eingang zu.
Irgend etwas scheint nicht zu stimmen, denn die Pforte steht sperrangelweit offen und zu sehen ist von den Bewohnern nicht die ge­ringste Spur.
“Manne!“, ruft der Freund und steht nur Augen­blicke später mit verdutzter Miene im Hausflur.
“Keiner da?!“, ruft er in die Räumlichkeiten.
Vermutlich schleicht ein ungutes Gefühl in Bernd Wichtel hoch, denn sein Augenaufschlag sucht offensichtlich eine Erklärung für die Stil­le. Wie angewurzelt verharrt er in Erwartung einer Antwort, die aber auch nach einigen Mo­menten ausbleibt. Etwas unsicher tragen ihn seine Füße in die Küche. Nichts Auffälliges ist zu erkennen und die aufgeräumte Ordnung spiegelt den Putzfimmel der Hausfrau wieder. Kein Stäubchen ist zu sehen und sogar die vier Stühle am Tisch in der Mitte scheinen wie gehorsame Soldaten, in Reih und Glied, auf ihren Einsatz zu warten. Es riecht nach reichlich Desinfektionsmittel und nicht nach dem wohligen Geruch edler Speisen einer le­bendigen Küche. Und so ist es kein Wunder, dass der Besucher den Ort schleunigst ver­lässt. Doch wie vom Schlag getroffen bleibt der Fremde vor der Treppe zu den oberen Stock­werken stehen. Sein Verstand will wohl nicht glauben, was seine Augen gerade sehen. Wie hypnotisiert starrt der Mann auf eine Reihe von Bluttropfen. Große und kleine wechseln sich in ungleichem Muster ab.
“Oh, Scheiße“, fährt es ihm leise über die Lip­pen.
Und in den folgenden Augenblicken wechselt die Gesichtsfarbe ins blasse Grün des Schocks.
“Manne!!“, brüllt Bernd nach oben.
Aber keine Antwort.
Seine Hände umklammern krampfhaft das höl­zerne Geländer. Die Vorahnung lähmt ihn sichtlich, denn wie ein schwerfälliger Flaschen­zug ziehen die Arme den Mann unerbittlich nach oben. Es gibt kein Entrinnen, denn wider Willen greifen die Hände zu, obwohl der Kör­per sich sperrig zeigt.
Schritt um Schritt, Stufe um Stufe und Tropfen um Tropfen nähert er sich dem Ort des Grau­ens. Irgendwann ist der obere Treppenabsatz erklommen. Mit offenem Mund und großen Au­gen erblickt Wichtel den Tatort.
Völlig entgeistert schweift sein Blick über die Wände des ehelichen Schlafraumes.
Bizarre Muster hat das herab laufende Blut auf
Tapeten und Mobiliar gezeichnet. Hier, direkt vor dem grausigen Ort, riecht es nach einer Mischung aus Innereien und Kot. Das ehemalige Bett ist als solches nicht unbedingt zu erkennen, denn ein wüstes Chaos aus Fe­dern, Bettzeug und rotem Körpersaft stapelt sich im Zentrum des Zimmers.
Der Mann stiert minutenlang auf das vor ihm liegende Bild und scheint keiner Regung fähig. Nur seine Gesichtsfarbe wechselt sekündlich von Weiß in Grasgrün und umgekehrt. Die Au­gäpfel zwirbeln von rechts nach links und zu­rück.
Doch plötzlich bleiben diese schlagartig an ei­nem ausgemachten Gegenstand am Bettende haften. Es ist ein kreidebleicher Männerfuß, der wie ein Überbleibsel des Schlachtfestes zu signalisieren scheint: Komm ja nicht näher!
“Oh...“, haucht es gerade noch aus ihm heraus.
Als sogleich ein lauter Knall seine Ohnmacht bekundet. Wie lange der Zustand angehalten hat, kann Bernd nach seinen Erwachen vermutlich nicht einschätzen. Aber das ist jetzt auch wohl nicht wichtig, denn ohne einen weiteren Blick auf den Raum zu werfen greift er nach seinen Han­dy in der rechten Hosentasche und wählt nur einen Augenblick später mit zitternden Fin­gern die Eins, Eins, Null.
„Polizeirevier Süd“, ertönt eine männliche Stimme am anderen Ende.
Doch der Anrufer bekommt keinen Ton heraus. Mit der linken Hand wild fuchtelnd, ringt der junge Mann um Worte. Zu allem Übel wird es ihm schlecht und auch der letzte Rest Gallenflüssigkeit sucht sich seinen Weg ins Freie.
“Sie haben den Notruf gewählt! Wenn sie nichts sagen, dann können wir ihnen nicht hel­fen!“, kommt es nach geraumer Zeit aus dem Telefon.
Statt einer Antwort sucht erneut die Galle von Bernd Wichtel den Ausgang. Wie ein Hirsch röhrt er und so ist es kein Wunder, dass der vormals freundliche Beamte in der Einsatzzen­trale etwas ungehalten reagiert: “Sind sie be­trunken? Wo befinden sie sich? Brauchen sie Hilfe? Ich brauche ihren genauen Standort!“
Das akustische Hörspiel der Magenentleerung dauert. Erst Minuten später ist der Spuk vorbei und der ungewollte Gast des gruseligen Ortes in der Lage einige Worte über die Lippen zu bringen: “Überall Blut!“
„Wo sind sie?“, unterbricht der Polizist.
„Bei Manne.“
„Wer ist Manne?“
„Manne Schluck!“
„Wo?“, hakt der Beamte nach.
Aber keine Antwort.
„Sagen sie mir, wo sie sich aufhalten. Den Ort bitte!“
„In Krimelsburg“, antwortet der Gefragte.
„Sind sie verletzt?“
„Nein“, antwortet er noch und drückt sodann die Taste zum beenden des Gespräches.
Wie von Sinnen springt der Mann von einem Bein aufs andere und kann seinen Unmut über die vorgefundene Situation nicht länger brem­sen.
„Warum ausgerechnet ich? Wenn die Bullen mich hier finden, dann denken die noch, dass ich was damit zu tun habe. Ausgerechnet ich muss hier herkommen. Konnte ich nicht einfach wieder nach Hause fahren? Nein, überall die Nase rein stecken. Ich Idiot! So ein Mist! Was soll ich nur machen?“
Die Frage beantwortet sich von selbst, denn wie von der Tarantel gestochen macht der Un­glückswurm kehrt und stürmt die Treppe run­ter. Jedoch ist die vorletzte Stufe sein Verhäng­nis, denn stolpernd findet er sich schneller un­ten als gedacht.
“Au!“, ruft der Gefallene in die Weiten des Hauses.
Macht sich danach humpelnd und knurrend von dannen. Seine Flucht vor dem Unfassbaren scheint geglückt und nur wenig später verlässt der Kleinwagen im Eiltempo das Grundstück.
Wenngleich seine persönliche Visitenkarte, in Form des Erbrochenen, geduldig auf die Spuren­sicherung wartet, atmet Bernd Wichtel während der Fahrt auf.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 29.04.2010

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Das Pilotbuch zur Serie!

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