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Randolf liegt unter einem unscheinbaren Schlafsack in einem engen, quadratigen, nicht zu vergessen, dunklen Vierer-Zimmer einer Jugendherberge. Und es ist nicht nur Dunkel, weil es zufällig Nachts ist, nein, der Mond scheint penetrant hell in das winzige Zimmer und wirft seine spöttischen Schatten so geschickt, dass man Randolf unter seinem unscheinbaren Schlafsack gar nicht bemerken würde, wenn ich es nicht gerade verraten hätte, mist.
Man kann also sowieso schon nicht gut schlafen. Seine Zimmergenossen stemmen ihre zitternden Oberkörper so leise wie irgend möglich in die Höhe und recken ihre überdimensionalen Lauscher in Richtung des eigentümlichen Gemurmels das unter dem tiefschwarzen Hügel auf dem Bett unter dem Fenster hervor kriecht.
Eine Sache ist da, die Randolfs Koordinaten sehr wohl preisgibt. Seine entnervte Telefonstimme, die er sich eigens dafür zugelegt hat. Warum er sich also noch unter seinem Schlafsack versteckt, kann und muss man nicht versuchen zu verstehen. Vielleicht kommt ihm das ganze so weniger peinlich vor…


„Ja, Mama. Ja, ich ruf an, wenn ich eingeschlafen bin, versprochen!“

Ungläubige, nicht wahrnehmbare Blicke schießen erst zielgerichtet zwischen den Betten hin und her, dann verloren an die Decke. Imaginäre Finger wandern in mehr oder weniger saubere Ohren um sie einer gründlichen Wartung zu unterziehen. Sie dürfen jetzt nicht lachen und auch nicht verwirrt fragen. Vielleicht wird es gleich noch viel lustiger. Schraap, Schraap…

„ Ja, Mama. Gleich als erstes. Bevor ich meine Kleider einsortiere…Du… Mama, ich hab gar keine Kleider… Was?.. ich soll mich nicht über dich lustig machen? Nein.. OK… kommt nicht wieder vor!“

Kurzes gespanntes Schweigen. Was würde wohl als nächstes kommen?

„Mama, ich hab dir doch gesagt, ich weiß es nicht. Nein, wirklich. Auch wenn ich mein Handy auflade, heißt es nicht, dass es da drüben Empfang hat. Was, es ist mein Traum, ich muss das wissen? Hast du es immer noch nicht verstanden? Ich habe nicht den vollen Zugang zu allen Daten in meinem Gehirn, also kann ich auch nicht.. ?.. Was?.. Ich soll nur ordentlich suchen? Ja.. dann mach das doch mal und lass mich schlafen.. räum auf, geh den Code suchen, du findest ja sonst immer alles.. ja, auch wenn es den gar nicht gibt…
Wenn ich jetzt n Joint rauche, schlafe ich gar nicht mehr, danke… und seit wann findest du das gut? Ich muss jetzt Schluss machen, ich weck die anderen noch auf. Pieep!..

Man hört einen unangenehm lauten Abschaltton und ein leises Rascheln, während Randolf versucht sich geräuschlos in Position zu rücken.

„Randy.“ Flüstern alle drei anderen im Chor. Er tut so, als hätte er geschlafen und macht irritierte Störgeräusche..

Hmm.. Mhhh..

„Randy….. Du kannst uns nicht verscheißern. Was sollte die Show gerade?“

„Hmm.. Mhhh.. welche Show, ich hab ge…!“

„ Du hast gar nichts, du willst uns nur nerven, oder? Was laberst du da für einen Müll unter deinem Mistsack?“

„ DER.. DER is neu, sagt ma gar nichts… was wollt ihr?“

„ Dein Handy, alter. Gib her!“

„Ähh, ne.. das.. das.. ist..

„auch neu, wissen wir, du Proll. Das Geld hast du gar nicht. Gib her!“

„Wieso?


„Nur mal was nachprüfen…!“

Die Jungs rangeln um den wertvollen Schlafsack und seinen noch viel kostbareren Inhalt.

„Yep, ich habs..!“
ruft einer und die anderen beiden haken sich sofort als Schutzschild vor ihm zusammen.

Randolf grunzt. Alles muss seine Mutter ihm versauen.

„Letzte Anrufe…. Mama.. 23:34, Uhrenvergleich.. !“..

Drei im Dunkeln erheblich im Wert geminderte Mobiltelefone leuchten auf und werden wieder dunkel.

„Bitteschön!“
sagt der hinter den nackten Schultern versteckte Junge zu Randolf, kommt dahinter hervor und gibt ihm sein zerschrammtes, im Display angeknackstes Nokia-Handy zurück.

„ Dann schieß mal los. Wer hat hier den Knall. Du oder deine Mutter?“

„Meine Mutter lasst ihr in Ruhe, sie ist nur…!“

„Nur WAS?“..

„ überbehütend.“ Gibt Randolf kleinlaut zurück.

„Aber immerhin wehre ich mich dagegen! ergänzt er mit etwas festerer Stimme.

„ Das haben wir gehört!“ schwebt mit einem akustischen Grinsen zu ihm herüber.

Kurze Stille…


„Na schön!“
Randolf holt einmal tief Luft, legt die unsichtbare Stirn in konzentrierte Falten und kramt im Komposthaufen seiner wirren Erinnerungen.
Wie kann er es so anfangen, dass sie es verstehen?

„ Seit ich mich erinnern kann, hat meine Mutter mich immer ins Bett gebracht. Ich habe oft nach meinem Dad gefragt, ihn bedrängt mir eine Geschichte zu erzählen, oder doch wenigstens vorzulesen. Aber er war dafür leider nicht zugänglich. Irgendetwas schien ihn zu stören, so dass er nie an mein Bett kam, wenn meine Mutter mich zu deckte. Ich gewöhnte mich daran. Sie war immer da. Egal wie kurz vor dem Einschlafen ich mich befand, sie würde in das Zimmer gerannt kommen, sich schwer atmend und noch so schmutzig auf meine schöne Decke fallen lassen und anfangen mir dermaßen seltsame Fragen zu stellen, dass ich nur frech werden konnte. Es ging soweit, dass ich bei ihrem bloßen Erscheinen schon die Arme verschränken und fragen würde: Was soll das jetzt wieder? Ich hatte keine Ahnung was sie wollte und erst recht keine wie ich sie loswerden konnte. Das machte sie misstrauisch. Ihre Fragen gingen von seltsam in unheimlich und nervtötend über. Umso mehr Fragen stellte ich mir. Beziehungsweise formulierte ich die eine Frage immer wieder um: Wer war diese Frau und was hatte die in ihrem Kopf anstelle eines Gehirns? War es wenigstens essbar? Als 5-Jähriger durfte man so was selbstverständlich nicht denken, und deshalb gewöhnte ich mich immer mehr daran, dass meine Mutter jeden Bereich meines Lebens, nicht nur meine Tage, meine Ess- und Spielgewohnheiten, sondern auch meinen Schlaf bestimmte. So gut sie das jedenfalls konnte. Das Ärgerliche, und daran leide ich noch immer: Sie gibt einfach nicht auf es zu versuchen. Seitdem widme ich mein ganzes Leben dem einzigen Ziel und Lebensinhalt, sie aus meinem „LEBEN“ zu vergraulen. Verdammt harte Arbeit, kann ich euch sagen, und deshalb kann ich es gar nicht gebrauchen, dass ihr mir auch noch in den Rücken fallt!“

Die bleichen, im Mondlicht schimmernden Gesichter erscheinen wie in die Luft montiert. Sie rühren sich kein bisschen, keine Miene verzieht sich. Wie auch, wie soll man auf so eine Ansage bitte schön reagieren? Kopfschütteln ist eindeutig ausgereizt, das können sie nicht bringen, dafür ist die Geschichte viel zu überzeugt erzählt. Wann hätte er sich das ausdenken sollen? Und wer wäre so bescheuert und dächte sich so etwas aus?


„ Eigentlich beschäftige ich mich schon genug damit alleine, weil mir sonst ja keiner zuhört, was ich verstehen kann: Es klingt nach totalem Blumenkohlmus. Aber wenn es euch interessiert, gebe ich euch ein Beispiel…"

„Uns ist es egal, obs wahr ist oder nicht, solange du noch die Puste hast…!“


„Na gut. Seht selbst.“ Und Randolf gibt jedem von ihnen eine Art Stecker, der aussieht wie ein normales USB Kabel, nur dass an seinen Enden kleine metallene Plättchen sind, die voneinander weg springen. Anscheinend magnetisch. „Klebt das eine Ende an eure Schläfe, es wird halten. Ich lege mich jetzt zum Schlafen hin. Ich glaube das wird heut besser klappen, ich bin wenigstens nicht mehr alleine..."

„Willst du uns nicht einfach irgendwas erzählen? Was soll denn der Quatsch hier? Und wie soll das funktionieren?“

Die Jungs blicken sich in der Dunkelheit besorgt an und schließlich das komische Kabel. Sind sie selbst schon verrückt genug, um diese idiotische Idee mitzumachen? Und woher hat Randolf eigentlich dieses Zeugs? Unschlüssig lassen sie es um ihren Kopf sirren und bekommen eine riesigen Schreck als ihr Ende der isolierten Strippe, das kalte Metall sich an ihre Schläfe saugt und dort kleben bleibt, als wäre es sein einziges Lebensziel, wenn es denn eins haben kann, oder etwa doch?.. Die Augen werden immer größer und verängstigter, während Randolf zu Schnarchen beginnt, anscheinend nie zufriedener mit der Tagesbilanz.
Für seine Zimmergenossen fängt der Spaß erst an.
Angespannt liegen sie, so gut wie eben möglich, ihre Köpfe seitlich auf ihre Kissen und versuchen alles um sich herum zu vergessen, vergessen, vergessen, dass sie Idioten mit idiotischen Ideen sind. Einfach nur schlafen… Die Kabel bleiben hartnäckig, die würden sie morgen entfernen, zur Not herausoperieren lassen… Randolf würde Prügel kriegen!
Eine perfekte Sägen und Pfeifharmonie breitet sich im kleinen, mondbeschienenen Zimmer aus…So friedlich, so schön… Keine Mutter würde diese Idylle zerstören wollen, geschweige denn können, oder etwa doch?


Die Südsee.. im leichten Wind wogende Palmenblätter, mit gefährlich wogenden Kokosnüssen, die Randolf in seiner wohl positionierten Hängematte um wenige Millimeter verfehlen würden… Ein Bambustischchen, mit Melonenschalentellern gefüllt mit deutschen Kartoffeln. Kartoffeln sind gar nicht Deutsch! Wollen die mich verarschen? Beim genauen hinsehen, sind es Grapefruits und Bananen, in einer ausgehöhlten Kokosnussschale ist Carokaffee ohne Milch, den Randolf hasst… er nippt am überhängenden Strohalm und bekommt vor Erleichterung fast einen Lachanfall… Es ist ungemilchter Espresso… der ist auch scheiße, aber wenigstens nicht der Lieblingskaffee seiner Mutter… Es besteht noch Hoffnung…
Sein Oberkörper ist braun gebrannt und durchtrainiert, seine weite Badehose ist übersät mit Hamburgern und Bratwurst Motiven, sein Haar ist halblang, dunkelbraun und sehr sehr sexy… Das fängt guuuuut an!
In weiter Ferne kreischen die Papageien, und die Affen und scheinen darüber zu streiten wer den Eindringling zu erst mit Bananenschalen bewerfen darf. Da die Papageien in ihren kleinen Krallenfüßen nicht ausreichend Kraft haben und dieses Argument den Streit klar für die Affen entscheidet wird es bald darauf still auf der kleinen sandigen Landzunge namens Südseehausen im tiefsten Schwarzwald…
Die Sonne geht unter, versinkt klischeehaft schmerzend im gleißenden Meer und Randolf seufzt zufrieden. Bis jetzt kein Telefon und Südseehausen ist für seine Mutter viel zu weit weg…
Schlürf, schlürf.. schlürf.. als Randolf dösig wird, vollgepumpt mit Kokospresso und Karmusen beginnt das Wasser, einige Meter von ihm entfernt zu schwappen und zu gluckern. Es steigt für einen kurzen Moment in die Höhe.. und manifestiert sich triefend in einer augenzerstörenden, mit Trekkingklamotten und Thermounterwäsche ausgestatteten Gestalt, die sich auch noch herausnimmt zu sprechen anzufangen… Ob die Affen das gutheißen würden? Immerhin ist sie jetzt der höchste Punkt, sie würde die Schalenattacken abgekommen!


„Randolf! ruft sie vorwurfsvoll: Was hast du dir dabei gedacht?“


„ Wobei!“ tut Randolf unwissend, seinen seidenzarten Zuckerrohr Strohhalm zerbeißend.
„Du hast doch gesehen wie viel ich anhatte, als ich auf deinem Bett saß!

„ Erstens, hast du gar nichts auf meinem Bett, geschweige denn in meinem Traum zu suchen, zweitens:
Du hast mir erzählt du kämst von draußen, woher sollte ich das wissen, dass du mich hierher verfolgst?

Seine Mutter runzelt ungläubig die Stirn

„Ach komm schon, das ist dein Traum! Du könntest auf so etwas wirklich langsam mal Rücksicht nehmen!"

Randolf schweigt, das würde sie nie verstehen.
Er versucht seine ewige Anstrengung, sie so lange zu ignorieren, bis sie sich in Luft auflösen würde, so verbissen, dass er sein Kokosglas zerdrückt und die leckere Eisschokolade in die sich das Getränk so eben verwandelt hat auf seiner wenigen Kleidung und seinem knackigen Bauch verteilt.
Langsam wird er wirklich wütend! Doch seine Mutter scheint seine Aufregung nicht im geringsten zu bemerken…


„Übrigens Randolf, nimm dich vor diesen skrupellosen, fast-nackten Blondinen in Acht, fang bloß nichts mit denen an, hörst du?“ sagt sie aus mehr oder weniger heiterem, aber dunklen Himmel, besorgt um sich schauend…

„Oh, wirklich, hier sind welche? Um diese Uhrzeit? Wo, zeig sie mir!“ erwidert Randolf provozierend.

„Werd nicht frech, Bürschchen! Nach all dem was ich für dich getan habe!?“

„Um ehrlich zu sein, Mama, die sind nur hier, um dich wegzuekeln. Im tiefsten Innern meines Herzens stehe ich auf sanfte, bebrillte, brünette Bibliothekarinnen, versprochen!“

„Das glaubst du doch wohl selber nicht!“ kreischt sie schon fast so laut wie die Affen zuvor, was sie immer tat, wenn ihr Sohn sich „zu“ Erwachsen gab.


„Also, das war wirklich die erste vernünftige Antwort seit langer Zeit!“

„Wie kommst du auf Brünette…mir ist völlig gleich, welche Haarfarbe sie haben…darum geht es nicht, es geht um…!“

„Ja Mama, ich weiß! Ich hab gegen beide nichts, aber zu mir sind die Blondinen nett, also…"

Hrmpf…kam es mürrisch zwischen den nassen Kleidungsstücken und strähnigen Haaren hervor.


„Mama, warum gehst du nicht zurück in dein Schlafzimmer und hast Sex mit Dad!“

„Der schnarcht doch schon längst! Gibt sie schnippisch zurück.

„Der Glückliche.“ Murmelt Randolf neidisch.


„Der kann das halt alleine, das musst du verstehen. Du bist doch mein Kind!“

„Das lässt sich leider nicht leugnen, aber willst du mir in meinem nächsten Traum oder vielleicht schon in diesem, beim Sex mit einer Unbekannten zugucken, oder setzt dein Schamgefühl vielleicht schon früher ein. Ich frag bloß, nicht dass du sagst ich hätte dich nicht gewarnt! Dies ist mein Traum, schon vergessen?“

„Besorg dir ein Telefon, bitte, versprichst du es mir? Ich mache mir sonst wirklich Sorgen…“

„ Wenn du nicht dauernd mithörst, ok…darf ich jetzt alleine weiter träumen?“

„ Na gut, ich geh mich erstmal umziehen! Aber ich guck später noch mal nach dir… "

„och, wenns sonst weh tut“ er dreht sich demonstrativ in seiner Hängematte um und stellt sich theatralisch schlafend.

Seine Mutter zwinkert ihm zu und lässt sich zurück ins Wasser klatschen, wie ein Wal mit der Fluke schlagend…

Ein riesiger Felsen in Form eines altmodischen Telefons erscheint an der Stelle an der sie verschwunden ist, Randolf reibt sich triumphierend die Hände und setzt sich vergnügt auf die steinige Gabel, damit er sie nicht abnehmen muss, falls es klingeln würde.

Randolf erwacht, und seine Zimmergenossen ebenfalls, es ist schon morgens, die Kabel sind von selbst abgefallen im Laufe der Nacht und niemand erinnert sich mehr an ein genaues Gespräch am letzten Abend.
Oder zumindest nur vage..

Jeder singt ein wirres Liedchen vor sich hin, von Brünetten und Bananenbomben, Felsentelefonen, als sie nacheinander ins Bad gehen, um sich für ein lausiges Frühstück mit anschließender lausiger Stadtführung fertig zu machen…

Träume sind hartnäckig, sie bringen den Irrsinn ans Licht, den man in der Welt nicht versteht, und wenn man dann wach genug ist um diesen verflixten Schwachsinn der letzten Nacht endlich mal in Angriff zu nehmen, ist er schon längst wieder in den tiefen der Traumsüdsee verschwunden. Nicht selten spiegelt sich die Verwirrung auf Grund des Vergessens in der Verzwirbelung der Augenbrauen wieder, und der Tiefe der Stirnfurchen…Manche grinsen den lieben langen Tag dümmlich vor sich hin, weil sie so schön dumm geträumt haben. Das wiederum beschehrt ihnen ein schönes Leben, weil sie alles schön finden und der Traum in der folgenden Nacht wird so nicht zum aushalten schön, dass man sich beim aufwachen am liebsten ausknocken will… blablabla.. Aber auf Randolfs Gesicht prangt eine kleine Narbe, die einen Schriftzug bildet, wenn man denn mal in seinen Kopf geguckt hat: Mum

Vorerst ist er froh darüber endlich wach und frei zu sein… auf Klassenfahrt, auf einer so langweiligen Stadtführung, zu der seine Mutter nie gehen würde…

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Tag der Veröffentlichung: 17.06.2011

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