Ernest Shallow war zufrieden. Er ging seinen Erledigungen nach und störte sich an Nichts, da Nichts sich die Mühe machte ihn zu stören. Vielleicht war es der Grund, dass er sich nur wirklich mit virtuellen Problemen ausseinandersetzte, dass ihn seine reelle Umwelt kaum berührte. Zumindest tat sie das nicht mehr. Dafür hatten seine verräterischen Quadrataugen schon gesorgt.
Als seine Frau ihm Taschen-durch-die-Luft schleudernd erklärte, sie werde sich nicht mehr damit abfinden, einfach nur die Stecker rauszuziehen und ihn ein paar Minuten schmollend und ebenso abwesend wie sonst auf der Couch zu betrachten, bis er die Situation geregelt hatte, hatte er nur nicken können.
Diese Art der Kommunikation war ihm nicht vertraut, der Umgang damit abhanden gekommen. Wer weiß wie lange er schon nicht mehr in deutschen, ganzen Worten gesprochen hatte. Seit seiner Kindheit?
Wöchentlich erklärte ihm sein Arzt, er müsse mehr Bewegung haben; seinen Rücken stärken, der vor lauter Bildschirm-Magnetismus rund war wie ein Ball. Er nickte wöchentlich als Reaktion auf dessen besorgtes und skeptisches Gesicht, was man schon als sportliche Glanzleistung, auf sein Individuum zugeschnitten, betrachten konnte.
Als er das Knacksen seiner Wirbelsäule nicht mehr ertragen konnte, weil es so laut war dass es ihn aus seinen Universal-Irrelevanten Überlegungen riss, hatte er sich dazu aufgerafft einige Büro-Übungsanweisungen aus dem Internet herunterzuladen. Mit sich selbst machte er den Kompromiss, sie jedesmal anzugucken, wenn er sein Postfach bei den ACs öffnete (Anonyme Computerholics), was, wenn es hoch kam, einmal im Monat geschah, weil er sich in seiner Lesezeichenliste in der Reihe geirrt hatte.
Kurz gesagt: Mit ihm war kein Pferdestehlen, da er sich dabei die Füße in der umgepflügten Erde gebrochen, oder noch schöner, vor lauter frischer Luft einen Asthmaanfall bekommen hätte. Aber solange sie im Krankhaus nen Hot-Spot hatten, wäre das für ihn sicher wieder verkraftbar gewesen...
Jeder Mensch ist anders. Manche sind so flüchtig wie eine Fehlermeldung die keinerlei Erklärung oder Lösungsansatz liefert. Und so flüchtig war seine Existenz. Sie stand und fiel mit seiner Initiative in all den Foren und Gruppen die ihn hoffnungslos mit ein „paar“ Computern vernetzten und verkabelten, die sein ganzes Leben beeinhalten und auslöschen konnten. Ging er einkaufen, was er auf das Minimum reduziert hatte, da seine intellektuellen Aktivitäten und Austausche ihm das Hungergefühl entzogen hatten, blickte er alle 30 Sekunden von seinem Handy auf, um die Straße zu überblicken, ansonsten steckte er tief in Diskussionen über moderne Politik, Technologien,.. den Fortgang der Welt.
Wäre diese schon untergangen, hätte er es noch nicht mal bemerkt.
.. Man würde wünschen er verirrte sich mal auf Seiten mit psychologischen Themen, die wenn auch geschäftschädigend für Macintosh, Windows, Krankengymnasten und Psychater.. ihm die Augen hätten öffnen können.. Sie hätten ihm möglicher Weise offenbart, dass die reelle Welt am verschwinden war, die Menschen dabei waren alles zu vernichten was sie an Beweisen ihres Daseins hatten in dem sie es in Zahlen umformatierten.
Vielleicht hoffte Ernest Shallow insgeheim, dass er eines Tages selbst als KB in seinen Rechner verschwinden konnte. Eins werden mit dem Nichts. Der Einbildung. Keine lästigen Vermieter, die einmal im Monat klingelten um das Geld einzutreiben, dass er auf fleißigste Weise durch Veröffentlichungen im Web verdient hatte. Ach ja..
Wenn ich beim Einkaufen in ihn reingerannt wäre, hätte ich ihm diese nette kleine Seite verraten können, wo sie seine Krankheit diskutierten, aber ich fürchte dass hätte ihn zu sehr gefesselt... hmm..
Eines Tages stürzte sein Rechner ab.
Sein Handyakku war leer.
Was war da noch zu sagen.
Er lugte durch ein Loch in der Schmiere an seinem Fenster... und ich gab auf. Was jetzt passieren würde, wollte ich nicht zulassen. Zumindest nicht mitansehen...
Was für eine blöde Charakterwahl, ehrlich. Eines hatte es mich gelehrt. Ihn konnte ich löschen. Ich konnte ignorieren, wie viele autobiographische Details in seine verkorkste Person eingeflossen waren, was hieß, dass ich kaum Geld zusammenbrachte, große Summen verloren habe und jetzt am liebsten meinen Monitor zu Brei treten würde. Was bringen mir unsoziale Personen? Nichts..
Ich stand auf, streckte mich und beschloss mit meiner nächsten, diesmal schillernden Figur, nach dem Einkaufen ein Benefizkonzert für Ernests Beerdigung zuveranstalten. Mit Geld bin ich echt knapp. Und dann würde ich ein neues Leben anfangen, mit dem ich mir die Chips und Cola zur Aufrechterhaltung meiner Tipressourcen besser sichern konnte.
Ihr müsst zugeben, meine Grundgedanken sind gar nicht mal so schlecht, aber mit der Vermarktung klappt es noch nicht so wirklich...
Ich löschte meinen Avatar, fuhr die Festplatte herunter und quälte mich notgedrungen aus dem Haus.
Texte: Copyright
Charlie Crumble
Tag der Veröffentlichung: 16.07.2009
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