Es regnet. Endlich.
Doch nach drei Wochen tropischer Hitze prasselt es noch nicht mal richtig, sondern tröpfelt nur leicht auf die Dächer und die halbaufgeweichte Straße vor meinem Haus.
In Shorts und T-Shirt sitze ich am Küchentisch, grade am überlegen, was für einen Eisbecher ich mir später in der Eisdiele holen will, da hört es auch schon wieder auf. In spätestens einer halben Stunde wird alles wieder trocken sein. Ein Hahn kräht, der wohl bis eben verpennt hat. Vor lauter Ferien kommen anscheinend selbst die Tiere durcheinander. Alle haben sie Ferien und verlieren erfolgreich das Zeitgefühl, nur meine Mutter wird wie sonst auch erst um 8 Uhr nach Hause kommen um mir ein Jugendfeindliches Festmahl zu zaubern, so lange Staub zusaugen bis sich die Nachbarn beschweren und dann wie von einer Betäubungspistole getroffen ins Bett zu fallen. Sie lebt kein Leben, sie ist ein Zombie, versuche ich ihr jeden Morgen in den 5 Minuten die ich sie vor der Arbeit sehe zu verklickern, doch von ihrem Sohn, der genauso gut ihr langjähriger Untermieter sein könnte, lässt sie sich natürlich nichts sagen. Meistens aus Zeitgründen.
Es ist immer noch zu heiß um irgendwas zu tun. Meine Gehirnwindungen scheinen angeschmolzen und aneinander festgeklebt zu sein. Ich kann gar nicht denken, diese Schwüle drückt nicht nur auf meinen Brustkorb sondern liegt auch wie eine tonnenschwere Ladung Betonblöcke auf meinem Kopf. Ich gebe es auf. Ich werde losschlendern zum Marktplatz und den Kellner darum bitten einen Becher für mich auszusuchen. Ich mache alle Fenster zu, schließe die Tür ab und mache mich auf den Weg. Vielleicht würde ich meinem Kopf ja etwas Gutes tun, wenn ich einen Hut oder eine Mütze aufsetzte. Meine dunklen Haare sind wahrscheinlich hauptsächlich für meine Verwirrtheit und Orientierungslosigkeit verantwortlich und ziehen die ganzen Sonnenstrahlen an. Jetzt haben sich auch alle Wolken wieder verzogen und der leuchtend blaue Himmel spiegelt die verlorene Hoffnung auf eine erlösende Regendusche wieder. Ich will in den Regenwald! Ich krieg’ gleich wieder Kopfschmerzen. Alles sieht aus als hätte das Wasser es nie berührt, auch wenn die Leute gerade erst anfangen aus ihren Häusern zu kommen, scheint es als wären sie vor etwas geflüchtet das nie da war. Alles geht weiter seinen gewohnten Gang: Sonnenschirme werden wieder aufgestellt, Stühle ausgeklappt und alles ströhmt zurück zum Freibad und muss den Eintritt noch mal bezahlen. Muss ein gutes Geschäft für den Bademeister sein heute Nachmittag (Also, ich glaube es ist Nachmittag!) Während ich mit meinen schwitzigen Füßen in meinen Sandalen herumrutschend am Springbrunnen vorbeikomme in dem ich am liebsten ausrutschen würde (aus versehen, natürlich) sehe ich das proppevolle Eiscafé. Da sieht man mal wie viele Menschen es hier her treibt. In ihrer Verwirrung, aus purem instinktiven Verhalten. Ich setze mich an einen kleinen runden Tisch mit hübschem Deckchen, direkt neben einem riesigen rot-weiß-grünen Sonnenschirm. Kaum knallt mein Arsch auf das geblümte Schaumstoffkissen steht die hübsche Kellnerin schon neben mir: „ Was kann ich dir denn bringen?“ (Schon irgendwie ne dumme Frage, oder?) „Einen Schokobecher bitte!“ „Kommt sofort!“ und lächelnd watschelt sie davon, fast ein Bisschen wie ein Pinguin, in ihrem schwarzen Shirt, ihrer schwarzen Hose und der weißen Schürze. Wieso designen die nicht was sommerliches für so Zeiten wie jetzt, die muss doch schwitzen wie Hölle.
Was für Gedanken habe ich eigentlich? Praktisch-ökologische wahrscheinlich. Ich würde es in diesen Klamotten jedenfalls nicht aushalten. Ein paar Kinder krabbeln, kraxeln und balancieren auf dem Rand des Springbrunnens herum. Auch aus simplen praktisch-ökologischen Gründen wahrscheinlich. Wenn ich diese Hemmungen mich zu blamieren und zum Kind degradieren zu lassen, nicht hätte, würde ich sofort einsteigen und mich reinschmeißen. Als ich meinen Blick abwende steht mein Schokobecher, ein riesiges Vieh, schon vor meiner Nase und enttäuscht stoße ich meinen langen Eislöffel in die Sahnehaube. Aber ich kann wohl nichts anderes machen als anfangen zu essen und zu hoffen, dass sie auch zum Bezahlen kommt. Halb durch meinen Eisbecher, völlig in Gedanken versunken setzt sich jemand neben mich.
Ach ja, das ist ja der Grund weshalb ich überhaupt hier bin. Nikolas grinst mir ins Gesicht und versucht noch schnell die Karte zu studieren bevor der Pinguin wieder kommt.
„Halloooooo! Alles klar? Spielst wieder den Einsiedler? Habe dich ja tagelang nicht gesehen!“
Ich runzele die Stirn, warum versucht der Kerl mich immer zu analysieren? „Mir geht’s gut, Danke, andersrum?“ „Oh, frag erst gar nicht, bestens wie immer. Bin wahrscheinlich der glücklichste Idiot auf der ganzen Welt, was denkst du? „Ja! Definitiv!“
Ich drehe meinen Kopf wieder zum Eingang, wo sie gerade heraustritt. „Und, was hättest du gerne?“ wendet sie sich kurz darauf an den Deppen neben mir.
„Einen Schwedenbecher, bitte!“ „Apfelmus?“ ungläubig lehne ich mich dann doch wieder zurück und starre ihn an. „Ja! Apfelmus, solltest du Tonnen von essen, bestens gegen Liebeskummer, glaub mir, so wie du die da drüben anglotzt...!“ er nickt zum Pinguin, der gerade wieder hineingeht...Aber übrigens auch hervorragend zum Energietanken, Schlaffi!“ Ich versenke meine Stirn in meiner übriggebliebenen Schoko-Vanille-Sauce und schlucke. Warum um „Gottes“ Willen habe ich nachgegeben? Warum? Warum habe ich am Telefon ja gesagt und auch noch das gleiche Eiscafé angegeben. „Also, was sind denn so deine neusten Wehwehchen?“ „Gar keine, wenn du’s genau wissen willst!“ Ich hebe den Kopf und sehe ihm genervt ins Gesicht.
„Warum tust du dir das überhaupt an, ey?“ Ich habe jedenfalls große Zweifel an dieser Doktor-Patient-Beziehung um ehrlich zu sein. „Weil ich es nicht verantworten kann, das du vor sozialem Entzug eingehst, darum?“ Ich habe das Gefühl, dass meine Augäpfel sich schon für eine halbe Stunde im Kreis gedreht haben... Und außerdem, dass ich vor sozialen Zumutungen schon längst den Löffel hätte abgeben müssen.
„Siehst du, du bist schon im nächsten Stadium: Du verdrängst alles. Aber schon ok, damit, dass ich dir hier den Apfelmus um die Ohren schmiere ist dir auch nicht geholfen. Weil du ja noch mehr abblockst. Ich werde hier sitzen, mich zurücklehnen, meinen Appelbrei genießen und darauf warten, dass sich eine schöne, bauchige Glühlampe der Einsicht über deinem Kopf akklimatisiert. Iss dein Eis und starr Linda hinterher, permission granted!“
Mein Kopf hat sich bestimmt schon aus seinem Schraubgewinde gedreht. Ich glaube lange halte ich diese Überheblichkeit nicht mehr aus. Was sag ich, ich bin vor lauter Anstrengung schon im Delirium. „Linda? Wer’s Linda? Jetzt verdreht Nikolas die Augen. Sehr zu meiner Verärgerung.
In dem Moment steht sie auch schon vor uns, lächelt und fragt: „Ich hoffe es hat euch geschmeckt, wollt ihr noch etwas?“ Und als ob diese ganze Situation nicht schon zuviel für mein armes Hirn wäre, öffnet Nikolas seinen bestimmt schon fusseligen Mund: Sag mal, Linda, könntest du unserem lieben Freund Manu hier bitte noch einen Irish Coffee bringen?“ „Manu also, hab mich schon gewundert wer sich hier von dir breitschlagen lässt mit dir unsere schöne Atmosphäre unseres Cafés zu zerstören. Wer bist du eigentlich?“ Hä?, Also läuft das jetzt nach seinen Vorstellungen oder ist das neuerdings der normale Umgangston?
„Und außerdem, warum kann sich unser hotty hier nicht selbst vorstellen, ha? Musst du immer allen das Wort abschneiden?“ Sie hält mir ihre Hand entgegen. „Linda!“ Ich ergreife sie mit zitternden Fingern und schlucke. Linda.. jetzt sickert es erst richtig ein. Und weil ich sie nur verlegen angrinse übernimmt sie wieder, während Nikolas vor lauter Gegrinse Muskelkater an den Mundwinkeln kriegt. „Willst du wirklich n Irish Coffee? Der is ziemlich stark, weißt du!“
„Ne, schon ok.. aber Nikolas hier hätte gerne noch n doppelten Scotch mit ner Kugel Melone und Schokostreußeln, is bloß zu Feige um zu fragen.“ Sie lächelt und ihre Augen glitzern mich an, während der Freak die Stirn runzelt bis seine Augenbrauen zusammenwachsen.
„Weist Du!“ sage ich „Der Grund weshalb ich so schrecklich einsam bin ist einfach nur deine Gesellschaft unter der ich mich einfach nicht entfalten kann, Apfelmus Fetischist. Ich hätte gerne noch ne Cola, Linda!“ „Das ist doch mal was, was ich verstehe, kommt sofort!“ Und sie watschelt davon, hier und da eine Bestellung aufnehmend. Ich glaube ich werde mir noch 100 Colas bestellen.
Leider, anstatt ihn zutiefst beleidigt zu haben und ihn für immer los zu sein, lockert der Apfelmusfanatiker seine verschränkten Arme wieder und wendet sich nach 5 minütigem schweigenden Protest wieder meiner armen Person zu. „Weißt du, Ich muss echt sagen, dass ich es echt stark finde wie sehr dein Selbstvertrauen sich gebessert hat, das haut mich ja echt um, nur weiter so!“ Er nickt mir zu wie ein Onkel der ganz erstaunt das Schulzeug seines Neffen betrachtet und macht keine Anstalten sich zu erheben und mir den verdienten Frieden in meinem Leben zu geben. Als Linda mit meiner Cola kommt lichtet sich meine Laune wieder ein Bisschen als wäre es jedes Mal ein kleiner, freudiger Schock sie zu sehen. Ich könnte mein Getränk nehmen und den Tisch wechseln, aber damit wäre es auch nicht getan, also konzentriere ich mich auf die schön geschnittene Zitrone in meinem Glas. „Weißt du eigentlich, dass Manu dich wegen Verletzung seiner, und meiner übrigens auch, Privatssphäre anzeigen könnte?“ sagt Linda, von der ich gar nicht mehr erwartet hatte, dass sie da war.
Nikolas protestiert, scheinbar eine ganz andere Rolle ihr gegenüber einnehmend: „Verletzung der Privatssphäre? Wir sind Freunde, Bitte Schön, und dass hier ist ein öffentliches Eiscafé, oder etwas nicht? Oder seid ihr neuerdings nicht mehr auf Kunden angewiesen?“ Ein spöttisches Grinsen spielt um seine Mundwinkel. „Auf Kunden wie dich jeden Falls nicht, du bist ja kräftig dabei all unsere WUNDERVOLLEN, ANGENEHMEN, ANDEREN zu vergraulen!“ Dann wird sie wieder abgelenkt und ich nehme ihr nichts übel, nichts ist eine größere Zeitverschwendung als mit Nikolas zu diskutieren.
„Wieso beschwert die sich eigentlich? Sie ist doch diejenige die hier unsere Vertraulichen Gespräche belauscht. Hat die nicht ihren Job zu erledigen?“ wendet sich Nikolas wieder mir zu.
„Deine vertraulichen Monologe, wohl gemerkt!“ murmele ich genervt. „Woher hast du eigentlich ihren Namen, du Spanner?“ „Och, sehr ausgeprägte Beobachtungsgabe, als ich an der Küche vorbei gegangen bin hab ich ihn gehört.“
LINDA! LINDA! LINDA! LINDA! Während ich meine Cola schlürfe konzentriere ich mich nur noch auf ihren Namen: LINDA! LINDA! LINDA! Der Tag ist wundervoll solange ich nur mein Glas anstarre. Solange ihr hübsches Bild noch in meinem Kopf herumschwebt werde ich mich nicht mir Erklärungen abgeben wie ich Leuten wie diesem Pycho-Tyrannen neben mir überhaupt begegnen konnte. Das Leben ist viel zu kurz und man muss die schönsten Momente auskosten weil sie plötzlich wie aus dem Nichts auftauchen und wieder verschwinden.
Texte: Charlie Crumble
Tag der Veröffentlichung: 09.06.2009
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