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Zugfahrt der Liebe

Ich gähnte leise. Es war noch früh am Morgen und ich fröstelte einwenig. Der Bahnhof war bereits voll von Menschen und ich hatte reichlich Mühe mich zum Brezelstand vorzudrängen. Endlich war ich an der Reihe und bestellte einen Brezel und einen Becher Kaffe. Der Verkäufer machte das ganze nicht besser, indem er mir die Dinge vor die Nase warf. Gereizt schnappte ich mir mein Frühstück und quetschte mich durch die Masse zu einer Bank hin, wo ich mich neben einer alten, dicken Dame niederliess.
Erfreut vernahm ich das Geräusch des sich nähernden Zuges. Ich sprang auf, direkt in den Rücken eines Mannes. Verdutzt fiel ich auf die Bank zurück. Zum Glück hatte ich den Kaffe nicht verschüttet, ansonsten wäre der Morgen wohl gänzlich in die Hose gegangen. Die Person drehte sich um und sah mich an. Es war ein junger Mann in meinem Alter. Seine schwarzen Haare waren vom Winde leicht zerzaust und die blauen Augen musterten mich prüfend. Und in genau diesem Augenblick passieret etwas. Der Wind trug mir seinen Geruch zu. Ich merkte wie mir der Kaffe aus der Hand fiel und sich auf dem Boden verteilte. Ich hatte das Gefühl in seinen Augen zu ertinken. In diesen tiefen, blauen Augen, in denen ein unlöschbares Feuer brannte. Ich wollte etwas sagen, mich entschuldigen, doch seine überirdische Schönheit raubte mir den Atem. Die Gesichtszüge waren so edel und voller Stolz. Da sagte er plötzlich: "Bist du gerade in mich hinein gelaufen?" Ich fing mich wieder und stammelte: "Ja, ich... Also, ja..." Er unterbrach mich: "Ist schon okay. Das ist wahrscheinlich nur der Stress hier." Er lächelte. Nervös erwiederte ich das Lächeln und pflichtete ihm Nicken zu. "Musst du auch in diesen Zug?" fragte er. Ich nickte erneut. "Dann komm. Wir können ja zusammen fahren" bot er an.
So sass ich kurze Zeit später mit ihm in einem Abteil. Er streckte mir die Hand entgegen und stellte sich vor: "Mein Name ist Oliver." Ich lächelte. Langsam konnte ich mich entspannen. "Ich bin Amber." Er lehnte sich lässig zurück und fragte: "Wo musst du raus?" Ich antwortete: "In Bern. Und du?" "Eine vorher. Als was arbeitest du?" "Ich bin Angestellte in einem Büro, aber ich bin im Begriff den Beruf zu kündigen. Es ist mir einfach zu langweilig. Wie stets mit Dir?" "Ich bin Lehrer." Auf einmal war meine Nervosität verschwunden und ich konnte wunderbar mit ihm reden. Es war so einfach.Bei ihm konnte ich einfach loslassen. Bis er schliesslich ausstieg. Doch kurz davor gab er mir einen Zettel mit seiner Telefonnummer mit den Worten: "Ruf mich an, wenn du mal Lust hast."
Sofort, als ich nach einem langen Arbeitstag zu Hause ankam speicherte ich Oliver's Nummer auf meinem Handy, traute mich jedoch nicht ihn anzurufen.

Am nächsten Morgen war Freitag. Ich freute mich, Morgen endlich frei zu haben und meine Laune war besser als die Tage zuvor. Doch ich hatte in dieser Nacht kaum geschlafen, da meine Gedanken andauernd zu Oliver gewandert waren. Einige Male hatte ich mit dem Gedanken gespielt, ihn anzurufen, mich dann aber doch dagegen entschieden. Ich hoffte ihn Heute wieder zu sehen und setzte mich desswegen wieder an den selben Platz wie Gestern.
Kurz bevor der Zug einfuhr, erschien er dann tatsächlich. Es verlief genau gleich wie am voherigen Tag. Ich badete förmlich im Gück.

Lange Zeit wiederholten wir dies und es wurde zu unserem persönlichen Ritual. Und trotz allem hatte ich ihn noch nie angerufen, was aber nicht weiter schlimm war. Ich behielt meinen Job, um weiterhin mit Oliver fahren zu können.
So verging beinahe ein halbes Jahr. Wir wurden einander immer vertrauter und ich merkte wie ich mich mehr und mehr in ihn verliebte. Ich wusste, dass mein Leben ohne ihn nur noch ein schwarzes Loch sein würde. Ich wollte ihn nicht mehr verlieren. Und zum ertsen Mal im Leben war ich froh, dass es die SBB gab. Sie hatte mich zu meiner wahren Liebe geführt...

Eines Morgens im Zug wirkte Oliver seltsam verklemmt. Ich fragte, ob es ihm gut ginge, doch er verriet mir nichts. Er hatte ein Geheimnis vor mir, was mich zutiefst kränkte. Wütend starrte ich aus dem Fenster und grübelte über unsere Freundschaft nach, als er plötzlich sagte: "Hör mal, ich möchte diese Gute-Freunde-Beziehung beenden." Mein Herz schien einen Moment lang still zu stehen. Fassungslos schüttelte ich den Kopf, Tränen stiegen mir in die Augen. "Warum?" presste ich mit erstickter Simme hervor. In mir machte sich eine riesige Trauer breit. "Was habe ich dir getan, damit du mir so etwas antust?" fragte ich völlig entäust. Er nahm meine Hand, doch ich zog sie weg. "Nein, Amber, du verstehst das falsch." sagte er. "Ach ja? Dann erkläre es mir." verlangte ich. Und Oliver begann zu erzählen: "Als ich dich zum ersten Mal sah, konnte ich kaum glauben, dass du real bist. Du hast so wunderschön ausgesehen und ich wollte dich um alles in der Welt kennen lernen." In mir keimte ein kleiner Funken Hoffnung auf. "Du bist die schönste Frau, mit dem besten Karakter, die mir jemals begegnet ist. Ich möchte dich desshalb fragen, ob du mit mir zusammen sein willst?" Auf seinem Gesicht erschien ein Lächeln und es sah noch immer genau gleich aus, wie an dem Tag, als wir uns kennen gelernt hatten. Erst verstand ich nicht recht was er gesagt hatte, aber dann... Eine Träne löste sich aus meinem Auge, Doch dieses Mal vor Freude. Ich nickte völlig überwältigt und ehe ich mich versah, zog er mich in seine Arme und hielt mich fest.

Wir wurden ein glückliches Paar und heirateten bald. Wir bekamen zwei Kinder, ein Mädchen und ein Junge. Oliver starb mit Siebzig Jahren an Krebs. Und heute stehe ich hier, an diesem Ort, wo ich Oliver zum ersten Mal gesehn habe. Einem Ort, der von Liebe und Treue, aber sogleich von Sorge und Schmerz, durchtränkt ist. Ich bin heute Einundachtzig und erinnere mich, als wäre es erst gestern gewesen. Ich danke dem Herrn, dass er mich hier jeden Morgen hat Zug fahren lassen, bis ich meine Bestimmung gefunden habe. Und jetzt sitze ich glücklich und leicht wehmütig auf der alten Bank und sehe hoch in den Himmel. Ach, Oliver... Wenn du doch blos hier bei mir sein könntest... Ich liebe dich...

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Tag der Veröffentlichung: 09.11.2012

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