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Sabine ist euer Name?

Eure Eltern taten wohl daran, euch diesen Namen zu geben, sicherlich wißt ihr woher euer Name kommt ? Er kommt vom Stamm der Sabiner, deren Geschichte um den Raub der Sabinerinnen, und deren wagemutiges Handeln ihr sicherlich kennt. Euer Name assoziiert also Klugheit, Würde und Mut. All die Wesensmerkmale, die man sicherlich auch bei euch beobachten kann. Doch, wenn ich darüber nachdenke, Frauen waren eigentlich schon immer klüger und mutiger als wir Männer. Das belegt die Geschichte zu genüge, und dank meiner hohen Erfahrung kann ich euch das nur bestätigen.
Aber ich plappere hier so vor mich hin, dabei habe ich mich noch gar nicht vorgestellt.
Gestattet, mein Name ist Don Juan.
Don Juan de Miguel. Nein, ich bin natürlich nicht wirklich Don Juan, sondern nur sein ruheloser Geist. Mein Körper ist seit mehr als vierhundertundfünfzig Jahren tot. Ihr fragt euch nun sicherlich, was das alles zu bedeuten hat, wieso ihr hier die Zeilen eines Ruhelosen in Händen haltet.
Wenn ihr mir ein wenig eurer Zeit schenkt, werde ich es euch erklären.
Habt keine Angst, ich werde euch nicht mit der Geschichte meines Lebens langweilen, dies wurde nun wirklich zu genüge getan. Erzählt und niedergeschrieben von Scharlatanen und Schwätzern, die nicht einen Funken Verstand in ihren Köpfen hatten. Was dichteten sie mir nicht alles an. Sie machten mich in ihren Geschichten zum Draufgänger, zum Mörder und gar zum Vergewaltiger. Zum Gecken, der nichts Anderes im Sinne hatte, als den Damen ihre Ehre zu rauben. Der Erste dieser Schwätzer, ein gewisser Tirso de Molina nahm später sogar meinen Namen an. Nannte sich fortan Don Juan Tenorio. Dieser Verblendete. Er hatte doch keine Ahnung, was wirklich in mir vorging. Glaubte er doch wirklich, es währe mir nur um die Eroberung gegangen, glaubte, ich währe nicht in der Lage gewesen, wirklich zu lieben.
Ich will euch von den Frauen erzählen, von meiner Suche nach der wirklichen Liebe. Von meiner Suche nach der Frau, die mich um meiner selbst willen liebt und nicht wegen meiner abscheulichen Schönheit, von meiner Suche, die meine Seele bis heute nicht zur Ruhe kommen läßt.
Seltsames Verlangen mich euch plötzlich anzuvertrauen. Ach, die Komödien und Vorstellungen zu denen sie mich zwingen. Denn mein Geist muß leben, solange auf der Erde verweilen bis ich die Frau finde, die sich mir nicht ergibt. Oh, vor der Frau, die sich nicht verführen läßt oder sich mir aus erhabenen Gründen hingibt, beuge ich meine Stirn in den Staub.
Mein ganzes Leben lang begleitet mich nur die Liebe der Frauen und meine Scham wegen dieser Liebe.
Scham darüber, daß ich ihre Liebe meiner Schönheit schuldete, meiner widerlichen Schönheit, die die Wimpern der Schönen erzittern läßt, meiner erbärmlichen Schönheit, von der sie mir seit meinem vierzehnten Geburtstag an, die Ohren vollschwatzten. Schönheit , das heißt Fleisch von einer gewissen Länge, Fleisch von einem gewissen Gewicht und weiße Knöchelchen im Mund, vollzählig zweiunddreißig Stück.
Besitze ich diese Länge, dieses Gewicht und diese Knöchelchen, so wird sie ein Engel sein, eine barmherzige Schwester der Liebe, eine Heilige. Aber besitze ich sie nicht, dann wehe mir! Und wäre ich ein Genie an Güte und Intelligenz und liebte sie über alles, hätten aber nur hundertfünfzig Zentimeter Fleisch zu bieten, so würde ihre unsterbliche Seele nicht mitmachen, und nie würde sie mich mit all ihrer unsterblichen Seele lieben. Nie wäre sie für mich ein Engel, eine Heldin, zu jedem Opfer bereit.
Wenn nun in einem Mann die Liebe zu einer Frau entflammt ist, und der Unglückliche nur eine kleine Länge zu bieten hat, spuckt sie darauf. Hundertsiebzig Zentimeter muß er schon bieten können. Wenn er also angenommen nur hundertfünfzig Zentimeter groß wäre und trotzdem versuchte, ihr seine tiefste und aufrichtigste Liebe zu gestehen, so wird sie eine herzlose dumme Gans sein und seine Kürze nur mit einem verächtlichen Blick strafen.
Jawohl, zwanzig Zentimeter weniger Fleisch, und seine Seele ist ihr egal, und nie und nimmer wird sie sich vor seine Brust werfen, um ihn vor dem Messer eines Räubers zu schützen. Desgleichen, falls er obengenanntes Genie wäre, jedoch nicht genügend Knöchelchen im Mund hätte! Diese so auf Geistigkeit erpichten Damen bestehen auf die Knöchelchen. Sie schwelgen zwar in unsichtbaren Realitäten, aber von den Knöchelchen verlangen sie, daß sie sichtbar sind.
Und sie brauchen Viele davon. Auf jedem Fall müssen die vorderen Schneideknöchelchen vollzählig sein. Sollten auch nur Zwei oder Drei fehlen, so sind diese Engelsgeschöpfe nicht mehr imstande, seine moralischen Qualitäten zu schätzen, und ihre Seele macht nicht mehr mit. Zwei oder drei Millimeter Knöchelchen weniger, und er ist erledigt und muß alleine und ohne Liebe leben. Und falls er es wagt, ihr von Liebe zu reden, wird sie ihm einen Becher ins Gesicht schleudern, in der Hoffnung, ihm ein Auge auszuschlagen. Wie, würde sie sagen, du hast keine Knöchelchen im Mund und wagst es, mich zu lieben! Verschwinde, Elender, und nimm noch diesen Fußtritt in den Hintern mit!
Also, man braucht nicht gut und intelligent zu sein –ein Ersatz genügt– wenn man nur das nötige Kilogewicht hat und mit all den kleinen Beißern und Schneidern versehen ist.
Nun wirft sich die Frage auf, welche Bedeutung soll man einem Gefühl beimessen, das von einem halben Dutzend Knöchelchen abhängt, deren Länge kaum mehr als zwei Zentimeter mißt.
Ihr glaubt mir nicht?
Hätte Julia Romeo geliebt wenn ihm vier Schneidezähne gefehlt hätten und sein Mund nur ein großes schwarzes Loch gewesen wäre?
Nein!
Und doch hätte er die gleichen moralischen Qualitäten besessen.
Also warum flöten ihm die Frauen ständig vor, nur die Seele und die moralische Qualität zählt.
Wie naiv von ihm, darauf zu beharren. Das Alles ist ihnen ja wohlbekannt. Sie wollen ja nur, daß man nicht klar und deutlich darüber spricht, daß man Falschmünzerei betreibt, große und vornehme Worte in den Mund nimmt, daß man statt hundertachtzig Zentimeter und alle Knöchelchen, erhabene Gestalt und verführerisches Lächeln sagt. Man schweige also, man verachte mich nicht weiter, und man flüstere sich nicht länger zu, ich sei ein Schändlicher. Hier ist der Schändliche, nicht der, an den man denkt.
Und nichts entgeht ihnen, diesen reizenden Wesen. Bei der ersten Begegnung erzählen sie vom heiligen Franziskus von Assisi und von kirchlicher Musik, und dabei nehmen sie ihn mit den Augen auseinander und fällen dann ihr Urteil. Ohne daß er es merkt, haben sie alles entdeckt, einschließlich Anzahl und Qualität der Knöchelchen im Mund, und falls ihm Eins oder Zwei fehlen, ist er verloren.
Ist er dagegen appetitlich, so wissen sie auf den ersten Blick, daß er braune, aber auch ein wenig grüne Augen hat, mit einigen goldenen Flecken, worauf er von selbst nie gekommen wäre. Sie sind Beobachterinnen ersten Ranges.
Und das ist nicht alles. Sie begnügen sich nicht mit der Inspektion seines Gesichtes. Sie gehen aufs Ganze. Bei der ersten Begegnung haben sie ihn mit blauem und engelhaftem Blick entkleidet, ohne daß er es sich bewußt wird, und ohne daß sie sich dessen bewußt sind, den sie gestehen sich ihre Blicke nicht selber ein. Alle tun es. Alle ziehen ihn in Sekundenschnelle aus, auch die Jungfräulichsten. Mit ihrem geschulten Blick wissen sie sofort, wie das Fleisch unter den Kleidern beschaffen ist. Ob er genügend Muskeln hat, die Brust breit, der Bauch flach ist, ob die Hüften schmal sind und er kein Fett angesetzt hat. Denn wenn er Fett angesetzt hat, auch nur ein wenig, ist er verloren. Zwei oder drei unschuldige Pfunde Fett zuviel auf dem Bauch, und er ist nicht mehr interessant. Sie wollen nichts mehr von ihm wissen.
Außerdem sind sie hartnäckige kleine Untersuchungsrichterinnen. Glauben nur was nachgewiesen ist, und richten es so ein, ihn im Laufe einer vornehmen Plauderei voller Natur und zwitschernder Vöglein mit harmloser Miene auszufragen, um herauszufinden ob sein Körper sich zu kräftigen Bewegungen eignet, indem sie zu erfahren suchen, ob er das Leben im Freien und den Sport liebe.
So schenkt das Skarabäus Weibchen dem Männchen nur Glauben, wenn es sich als sportlich erweist. Dieses arme Kerlchen muß Kugeln aufladen, die oft dreimal so groß sind, wie er selbst.
Und wenn sie hören, daß du reitest oder auf Berge kletterst, ist das wie eine Garantie. Dann genießen sie dich, glücklich und sicher, daß du für den Kampf der Erzeuger geeignet bist. Aber natürlich hüten sie sich, solch niedrige Dinge zu denken, denn sie haben ja Seelen, die sich hoch erheben, sind sie doch aus dem guten Bürgertum. Sie verdecken alles mit edlen Worten, und anstatt von flachem Bauch und gutem Erzeuger zu reden, behaupten sie er hätte Charme. Der Adel ist eine Sache des Vokabulars.
Schrecklich. Denn diese Schönheit, die sie alle wollen, vor der ihre Wimpern zittern, diese männliche Schönheit, hohe Gestalt, harten Muskeln und starken Zähne, was ist die Schönheit anderes, als der Beweis von Jugend und Gesundheit. Das heißt von physischer Kraft, das heißt von jener Macht, die sich im Kampf bestätigt. Im Zufügen von Schaden und deren Gipfel, Heiligung und letzter geheimer Ursprung, die Macht zu töten ist. Jene uralte Macht der Steinzeit, es ist jene Macht, welche die zarten, gläubigen und spirituellen Geschöpfe unbewußt suchen. Kurz, um ihm in Liebe zu verfallen, müssen sie in ihm den möglichen Töter spüren, der sie beschützen kann.
Ihr fragt euch nun vielleicht, warum ich mir nicht einfach eine alte Bucklige erwählte.
Weil ich ein schreckliches Manntier bin. Daß die behaarten Fleischfresser sind, das akzeptiere ich. Aber sie, sie, an die ich glaube, sie, meine reinen Frauen, das akzeptiere ich nicht. Sie mit ihren Blicken, ihren edlen Gesten, ihrer Scham, immer wieder bei ihnen entdecken zu müssen, daß sie Schönheit verlangen, um mir ihre Liebe zu geben, das einzige göttliche Gefühl auf dieser Erde, das ist meine Qual, und daran ging ich zugrunde. Ich kann es nicht akzeptieren, und es gelingt mir nicht, Achtung für sie zu empfinden. So bin ich, auf ewig Sohn der Frau. Ich schäme mich für sie, wenn sie mich anschauen, mich messen und mich abwägen. Wenn sie mit den Augen, jawohl mit den Augen, mein Äußeres mit allem drum und dran beschnüffeln, schäme ich mich. Wenn ich ihre plötzlich interessierten und ernsthaften Blicke sehe, mit denen sie mein Fleisch verehren, schäme ich mich für sie. Wenn ich sie dabei überrasche, wie sie sich von meinem Lächeln bezaubern lassen, von jenem bereits sichtbaren Stück meines Skeletts.
Übrigens ist es noch verzeihlich, die weibliche Schönheit zu bewundern, denn sie ist ein Versprechen von Zärtlichkeit, Empfindsamkeit, Mütterlichkeit. All die lieben Mädchen, die so gerne pflegen möchten und denen es in Kriegszeiten unter den Röcken brennt, Krankenschwester zu werden, das ist rührend. Ich habe das moralische Recht, diese Art von Fleisch zu lieben. Aber sie, diese schreckliche Anziehung, die männliche Schönheit auf sie ausübt, die in ihren Augen physische Kraft verheißt, Mut, Angriffslust, kurz, animalische Tugenden. Nein es gibt kein Pardon für sie.
Ja ich weiß, eine klägliche Verführung. Meine absurden Ausführungen über die Zweckmäßigkeit eines schönen Körpers und die Macht zu töten, und ich bin noch nicht einmal am Ende. Es ist so einfach über Bach, von Gott zu reden und sie dann keusch zu fragen, wollen sie mir ihre Freundschaft schenken? Wer weiß, vielleicht sagt sie edel und mit gesenktem Blick, ja, folgt mir dann ganz einfach in mein Rattenloch, an dessen hinteren Ende sich immer ein Schlafzimmer befindet. Aber ich kann und will nicht mehr verführen, wie sie es wollen. Ich will dieses entehrende Spiel nicht mehr.
Was für eine Schande es war, seine Liebe der erbärmlichen hohen Stellung verdanken zu müssen, die sich meine Familie, und auch ich, durch List und unerbittliche Vernichtung erworben hat. Graf und Lehnsherr, Kriegsherr und Beraterhanswurst des Königs und was weiß ich nicht was noch alles, es war nur um der Schönheit der Sache willen.
Auch ein wenig Komödiant, ja ich, Don Juan, Achter derer von den de Miguel, Gerichtsrat am Hofe des Königs, zum Gesindel des Hofs gehörig, kläglicher Obermacher im summenden Bienenkorb ohne Honig, im Bienenkorb der Drohnen, Gerichtsfliege auf dem Bock der leeren Kutsche. Ach sagen sie mir, was hatte ich inmitten dieser politischen Hampelmänner, Minister und Gesandten zu suchen, die alle keine Seele hatten. Alle dumm und schlau waren, Wichtigtuer und Schwätzer, auf der Flußoberfläche schwimmende Korken, die sich einbildeten, die Strömung folge ihnen, joviale Schwätzer auf den Gängen und im großen Saal. Schulterklopfer und Rückenumarmer des lieben und verhaßten Freundes, stets beschäftigt einander zu schaden und sich wichtig zu machen, um auf der Leiter der Wichtigkeit ein paar Sprossen höher zu klimmen, von wo sie jedoch bald herunterstürzen werden, in ein großes Loch in der Erde, und dann endlich still in ihrer Holzkiste liegen. Was hatte ich zu suchen unter denen, die da herumrennen und feierlich über das Protokoll und die Steuern diskutieren, die ihre großen politischen Affären ernst nehmen, jene schmutzigen Familienintrigen und Dorfgeschichten, aufgebauscht von diesen Narren, gewichtig dreinblicken, die Hände in den Taschen, die Rosette im Knopfloch und in glänzenden Pluderhosen.
Und jeden Tag spielte ich diese Komödie mit. Jeden Tag tat ich, als ob ich dazugehörte, diskutierte ernsthaft, jawohl, auch ich, verzapfte kategorischen Blödsinn, mit den Händen in den Taschen, ja auch ich, mit dem Blick auf die große Politik. Ich verachtete diesen Jahrmarkt, aber ich verbarg meine Verachtung, denn ich habe meine Seele für meinen Titel verkauft, für einige Seidenhemden, einige Ländereien, ein Bad jeden Tag und meine Verzweiflung. Genug.
Schaut, all diese künftigen Leichname auf den Straßen, auf den Bürgersteigen, so eilig, so geschäftig, und sie wissen nicht, daß die Erde, in der man sie einst begraben wird, schon auf sie wartet. Künftige Leichname, sie scherzen ,entrüsten oder rühmen sich. Zum Tode verurteilte lachende Frauen, die soviel von ihren Brüsten zeigen, wie sie nur können. Sie vor sich hertragen, ganz närrisch stolz auf ihre Milchsäcke. Und schauen sie, jene künftigen Leichname, die in der kurzen Zeit ihres Lebens böse sind und gerne »Juda verrecke« auf die Wände schmieren, soll man durch die Welt ziehen und zu den Menschen reden? Sie überzeugen, daß sie miteinander Mitleid haben sollen? Sie mit ihrem baldigen Tod vollstopfen? Nichts zu machen, sie wollen böse sein.Das ist der Fluch des Wolfszahns. Seit zweitausend jahren Haß, Verleumdung, Kabalen, Intrigen, Kriege. Was für Waffen wird man in dreißig Jahren erfunden haben? Diese gelehrten Affen werden sich noch einmal alle umbringen, und dann geht die Menschheit an ihrer Bosheit zugrunde. Es gibt nur einen Trost, die Liebe einer Frau. Aber diese Liebe zu gewinnen, ist so leicht und so entehrend. Immer die gleiche alte Strategie und die gleichen ,erbärmlichen Beweggründe, das Fleisch und die gesellschaftliche Stellung, jawohl gesellschaftlich.
Natürlich ist sie zu edel, um ein Snob zu sein. Sie glaubt seiner Stellung keinerlei Bedeutung beizumessen. Aber ihr Unterbewußtsein ist furchtbar versnobt, wie jegliches Unterbewußtsein, das ja stets nur die Macht anbetet. Sie protestiert schweigend, und findet meinen Geist niedrig. Sie ist dermaßen überzeugt, daß für sie nur die Kultur, die Vornehmheit, die Erhabenheit der Gefühle, die Ehrlichkeit, die Treue, der Edelmut, die Liebe zur Natur und so weiter und so weiter, zählen. Aber, dumme Kuh, siehst du denn nicht, das all diese edlen Dinge Zeichen deiner Zugehörigkeit zur Kaste der Mächtigen sind? Daß du nur aus diesem tiefen, geheimen und dir selbst unbekannten Grund einen solchen Wert darauf legst? Diese Zugehörigkeit ist es nämlich, die in Wirklichkeit einen Kerl in den Augen dieser Schönen erst charmant macht. Natürlich glaubt sie mir nicht. Sie wird mir nie glauben.
Betrachtungen über Bach und Gott sind Losungsworte, die auf diese Zugehörigkeit hinweisen. Daher die erhabenen Gespräche zu Beginn einer Liebe. Er hat gesagt, er liebt Bach. Dadurch ist die Dumme ganz entzückt. Sie bildet sich ein, sie sei entzückt, weil er ihr intellektuell etwas bedeutet. In Wirklichkeit bedeutet er ihr nur etwas in gesellschaftlicher Hinsicht. Über Kafka, Bach und Gott zu reden, bedeutet dasgleiche wie gute Manieren bei Tisch, das Brot nur mit der Hand zu brechen, nicht mit dem Messer zu schneiden, und mit geschlossenem Mund zu essen. Ehrlichkeit, Treue, Edelmut, Liebe zur Natur sind ebenfalls Zeichen einer sozialen Zugehörigkeit. Die Privilegierten haben Geld. Warum sollten sie dann nicht ehrlich und edelmütig sein? Sie sind von der Wiege bis zum Grabe beschützt. Die Gesellschaft verfährt nur sanft mit ihnen. Warum sollten sie dann Betrüger oder Lügner sein? Was die Liebe zur Natur angehet, so ist sie in den Elendsvierteln der Städte nicht häufig anzutreffen. Dort braucht man eher Renten. Und was ist Vornehmheit, wenn nicht die Manieren und das Vokabular, wie es in der Klasse der Mächtigen üblich ist? Wenn ich heute sage, Herr Soundso und seine Dame, so klingt das ordinär. Dieser, vor einigen Jahrhunderten vornehme Ausdruck, ist erst ordinär geworden, seit das Proletariat sich seiner bemächtigt hat. Wenn es aber in der guten Gesellschaft Usus wäre, Herr Soundso und seine Dame zu sagen, so würden es alle schrecklich finden, wenn ich Herr Soundso und seine Frau sagte. All das, Ehrlichkeit, Treue, Edelmut, Liebe zur Natur, Vornehmheit, all diese hübschen Dinge, sind Beweise der Zugehörigkeit zur herrschenden Klasse. Deshalb messen sie ihnen solche angeblich moralische Bedeutung zu. Und das beweist, daß sie die Macht anbeten.
Jawohl die Macht, den Reichtum, Verbindungen, Freundschaften und Beziehungen verleihen jenen bedeutenden Vertretern der Gesellschaft die Macht zu schaden. Daraus schließe ich, daß ihre Ehrfurcht vor der Kultur, dem Erbe der Kaste der Mächtigen, letzten Endes und im Grunde genommen nur Ehrfurcht vor der Macht zu töten ist. Eine geheime und ihnen selbst noch gar nicht bewußte Ehrfurcht. Natürlich lächeln sie. Sie werden alle lächeln und die Schultern zucken. Meine Wahrheit ist unbequem.
Allgemeine Anbetung der Macht. Ach, die gleiche Blume in der Sonne des Herrschenden erblühende Untergebenen, ach, ihre liebenden Blicke für ihre Mächtigen, ach, ihr ewig breites Lächeln und ihr herzhaftes Lachen, wenn er irgendeine schlechte Possen reißt. Herzhaft, ja, und ehrlich, und das ist das Schreckliche. Denn hinter der eigennützigen Liebe eines Untergebenen zum Herrscher steht eine wahre uneigennützige Liebe, die abscheulichen Liebe der Macht, die Anbetung dessen, der schaden kann. Ach, sein ewig bezaubertes Lächeln, seine verliebte Aufmerksamkeit, die Ergebenheit in der Linie seines Popos, während der Herrscher spricht. Wie bei den Affen. Sobald der große Pavian in seinen Käfig tritt, nehmen alle männlichen, jugendlichen und kleineren Paviane eine weibliche Begrüßungsstellung ein. Sie hocken sich auf vier Pfoten und zollen dem, der die Macht zu schaden und zu töten hat, einen verliebten sexuellen Tribut. Das tun sie unweigerlich, sobald das große, gefürchtete Männchen den Käfig betritt. Lest nur in den Büchern über Affen nach, und ihr werdet sehen, daß ich die Wahrheit sage.
Diese tierische Anbetung erweist sich auch im Vokabular. Die mit der Größe verbundenen Worte drücken immer Ehrfurcht aus. Ein >großer< Schriftsteller, ein >gewaltiges< Werk, >erhabene< Gefühle, >höhere< Inspiration, immer das Bild des hochgewachsenen Kerls, des möglichen Töters. Dagegen sind alle mit Schwächen verbundene Eigenschaften verächtlich. Ein >bescheidenes< Wesen, >niedrige< Gefühle, ein >schwaches< Werk. Und warum sind >edel< und >ritterlich< Ausdrücke des Lobes? Eine aus dem Mittelalter ererbte Ehrfurcht. Als Träger der einzigen, wirklichen Macht, nämlich der Waffen, vermochten die Edlen und Ritter Leid zu bringen und zu töten, waren also die, denen man mit Ehrfurcht und Bewunderung zu begegnen hatte. Die Menschheit ist also in Flagranti ertappt. Um ihre Bewunderung auszudrücken, haben sie nichts Besseres, als die Bezeichnung gefunden, deren Bedeutung Lehensherrschaft und Krieg ist, also Mord, und das ist das Ziel und die höchste Ehre im Leben eines Menschen. In Epen und Heldenliedern sind die Edlen und Ritter unaufhörlich mit dem Töten beschäftigt, und man sieht nur noch Gedärme, die aus den Leibern quellen, gespaltene Schädel, aus denen die Hirnmasse rinnt, bis zur Hüfte gespaltene Reiter. Wie edel! Wie ritterlich!
Aber genug. Warum erzähle ich euch das Alles?
Vielleicht ist es ja eine gute Einleitung, um euch von der Verführung zu erzählen.
Es ist so leicht eine Frau zu verführen. So leicht, daß ich es in jungen Jahren fertigbrachte, mir selbst eine Frau wegzunehmen. Es ist eine komplizierte Geschichte von Zwillingsbrüdern, und ich war sowohl der Glattrasierte, als auch der mit dem falschen Schnurrbart. Aber diese Geschichte werde ich ihnen vielleicht später erzählen.
Erzählen möchte ich euch von der sprichwörtlichen Verführungswut Don Juans. Denn in Wirklichkeit war ich keusch, hatte nicht viel für diese Bettgefechte übrig, fand sie eintönig und primitiv, ja letztlich lächerlich. Aber sie waren unerläßlich, damit die Frauen mich liebten. So sind sie nun einmal. Sie bestehen darauf. Und ich brauche ihre Liebe. Erstens, als Ablenkung, um den Tod zu vergessen und daß es kein Leben danach gibt, keinen Gott, keine Hoffnung, keinen Sinn, nur das Schweigen eines unbeseelten Alls. Kurzum, sich verstricken in die Liebe einer Frau, um die Angst zu übertönen. ( Heute weiß ich es besser, aber was ist das für ein Leben als Geist. Und, kann man es überhaupt Leben nennen?)
Zweitens die Suche nach Trost. Ihre Anbetung tröstete mich über mein Alleinsein hinweg. Es gehörte zu meiner Erhabenheit, deren Dienerin und Ehrendame immer Einsamkeit heißt. Drittens halfen sie mir zu ertragen, daß ich nicht König war. Denn ich war geschaffen, König zu sein, von Geburt an, ohne besondere Mühen. König sein war mir verwehrt. So herrschte ich also über die Frauen. Sie waren mein Volk, Ich wählte nur Edle und Reine, denn welches Vergnügen hätte mir die Unterwerfung einer Unreinen gebracht? Übrigens sind die Edlen und Reinen auch bessere Dienerinnen im Bett.
Der wichtigste Grund für meine Verführungswut war, die Hoffnung auf eine Niederlage, daß eine Frau mir endlich widerstanden hätte. Während ich nach Gott gierte, bestätigte mir jeder meiner traurigen Siege, die geringe Wahrscheinlichkeit der Existenz Gottes. Sie alle, die Edlen und Reinen, die Eine nach der Anderen so schnell bereit waren sich hinzulegen, gestern noch Madonnengesichter, heute wild mit den Zungen spielend und nach einer Zunge verlangend, waren mir immer wieder Beweis, daß es auch keine Tugend als Absolutheit gibt, daß folglich und noch einmal dieser Gott, auf den ich hoffte, nicht sein wollte.
Außer den beiden Zweckdienlichkeiten, der körperlichen und der gesellschaftlichen, sind noch einige Kunstgriffe nötig.
Erster Kunstgriff, die Frau vorwarnen, daß man sie verführen wird. Es ist ein gutes Mittel, um sie am weggehen zu hindern. Sie bleibt aus Trotz und will der Niederlage des anmaßenden Kerls beiwohnen.
Nächster Kunstgriff, die Komödie des Poetischen. Man spielt den überlegenen Grandseigneur, den romantischen Außenseiter, mit prunkvoller Kleidung, hochherrschaftlichem Haus und behutsam verborgenen Leberkrisen. Und das alles, damit die Närrin daraus schließt, daß man zu der wunderbaren Kategorie der Liebhaber gehört, also ganz das Gegenteil, der Abführmittel einnehmenden Ehemänner bin, also ein herrliches Leben verspreche. Der arme Ehemann kann ja gar nicht poetisch sein. Es ist unmöglich vierundzwanzig Stunden am Tag Theater zu spielen. Stets ihren Blicken ausgesetzt, ist er gezwungen, er selbst, und demnach kläglich zu sein. Alle Männer sind kläglich. Auch die Verführer, wenn sie alleine sind und nicht vor einer bewundernden Närrin auf der Bühne stehen. Alle kläglich, und ich als erster.
Wieder nach Hause zurückgekehrt, wird sie ihren Mann mit dem Lieferanten der romantischen Poesie vergleichen und ihn verachten. Dann dient ihr Alles zum Vorwand zur Geringschätzung, bis zur schmutzigen Wäsche des Ehemannes. Als ob der Verführer seine Hemden nicht waschen ließe. Aber die Närrin sieht ihn eben nur, wie er auf der Bühne steht, immer von seiner besten Seite, frisch gewaschen und herausgeputzt. Sie bildet sich ein, er sei ein Held, der niemals die Hemden schmutzig macht und niemals Zahnschmerzen bekommt. Aber auch er bekommt Zahnschmerzen, genau wie ihr Mann, nur gibt er es nicht zu. Denn der Verführer steht immer auf der Bühne, ist stets getarnt, versteckt seine körperlichen Miseren, tut jedoch im Geheimen alles, was der Ehemann ganz offen tut. Aber da er sich dabei verbirgt, und sie wenig Phantasie hat, ist er für sie ein Halbgott. Ach die lüsternen sehnsuchtsvollen Blicke der bald ehebrecherischen Närrin, ach, ihr offenstehender Mund, wenn sie den edlen Reden ihres Märchenprinzen lauscht, der ja auch sieben Meter Gedärme in seinem Bauch trägt. Ach, die auf Zauber, Lüge und auf das Andere versessene Närrin. Alles an ihrem Mann wird ihr auf die Nerven gehen. Seine harmlose Gewohnheit sich dreimal am Tag den Bart zu kämmen, der arme Schatz, seine Pantoffeln, sein Rheuma, seine Pfeifen nach dem Aufstehen, seine Geräusche beim Zähneputzen, seine harmlose Manie, sie bei jeder Gelegenheit mit Kosenamen wie Schätzchen, Häschen oder Mäuschen zu titulieren, was so schal schmeckt und sie aus der Haut fahren läßt. Denn Madame braucht fortwährend Erhabenes.
Sie ist also zu sich nach Hause zurückgekehrt. Eben noch schmückte der Verehrer sie mit Girlanden, nannte sie Göttin der Wälder und wieder auf der Erde weilende Diana, da verwandelt sie ihr Ehemann wieder in ein Häschen oder Mäuschen. Das ärgert sie. Eben noch hörte sie anmutig verzaubert dem Verführer zu, als er sie mit erhabenen Themen füttert, mit Malerei, Bildhauerei, Literatur, Kultur, Natur, wartet auf ihr Stichwort und erteilt sublime Antworten. Zwei Schmierenkomödianten während der Vorstellung, und da kommt jetzt der arme Ehemann in aller Unschuld, fragt sie, was sie vom herbstlichen Wetter halte und was es zum Abendessen gäbe. Kurz, nichts Erhabenes vom Ehemann, kein hochtrabender Gedankenaustausch über Kafka, schon spürt die Närrin, sie habe ihr leben mit diesem Schnarcher vertan und sei zu einer Existenz gezwungen, die ihrer unwürdig ist. Denn eitel ist sie noch obendrein.
Das Komische ist, daß sie ihrem Mann nicht nur vorwirft, nicht poetisch zu sein, sondern vor allem und ganz besonderes, daß sie sich vor ihm nicht poetisch geben kann. Ohne es zu merken, verzeiht sie ihm nicht, der Zeuge ihrer täglichen Miseren zu sein. Beim Erwachen der schlechte Mundgeruch, das zerzauste Haar, die glänzende Nase und alles Übrige, einschließlich vielleicht des Rizinusöls vom Vorabend oder des Pflaumensaftes. In Geselligkeit der Zahnbürsten und Pantoffeln fühlt sie sich ihrer Krone beraubt, macht dafür den Unglücklichen verantwortlich, der doch gar nichts dafür kann.
Dagegen welcher Triumpfmarsch um fünf Uhr nachmittags, wenn sie gründlich gewaschen, mit Dauerwellen und ganz ohne Schuppen, glücklicher und nicht weniger stolz als die Nike von Samothrake, mit weitausholenden Schritten zu ihrem edlen geheimen Leberkranken eilt. Sie singt Choräle von Bach in der glorreichen Erwartung, bald vor ihrem Darmträger die Erhabene und Schöne zu spielen und sich folglich und vor Allem, mit dieser so gelungenen Dauerwelle ganz wie die unbefleckte Prinzessin zu fühlen.
Rotkäpchen auf dem Weg zum bösen Wolf, darauf bedacht nicht von der Großmutter ertappt zu werden.
Bei den strenggläubigen Juden rasiert sich die Frau am ersten Tag ihrer Ehe den Schädel kahl und setzt sich eine Perücke auf. Das gefällt mir. Keine Schönheit mehr, Gott sei dank. Wenn ich dagegen die allerschönsten Damen bei Hofe sehe, die gerade weil sie sich für unwiderstehlich glauben, die großen Verführerinnen spielen, ihre Popos in Positur setzen, und gerade weil sie eben nur das sind, will ich sie für ihre Schönheit, dieses Horn des Teufels, bestrafen und stelle sie mir von heftigen Bauchschmerzen geplagt mit einer großen Klistierspritze vor. Schon haben sie allen Glanz verloren, ich will sie nicht mehr. Sollen sie auf ihren Toiletten sitzen bleiben. Aber eine Jüdin mit Perücke verliert ihr Prestige nie, denn sie hat sich auf eine Ebene begeben, wo die körperlichen Miseren ihr keine Krone mehr rauben können.
Es gibt nichts größeres als die heilige Ehe, den Bund zweier Menschen, die nicht die Leidenschaft vereint, die ja nur Brunst und tierisches Gehabe ist und immer schnell vergeht, sondern die Zärtlichkeit, das Spiegelbild Gottes. Jawohl, Bund zweier Unglücklicher, die der Krankheit und dem Tod versprochen sind, die sich nur die Gnade wünschen, gemeinsam zu altern, von denen der Eine des Anderen einziger Verwandter wird. Deine Frau wirst du Bruder und Schwester nennen, sagt die Bibel. In Wahrheit, sage ich euch, das Weib, das den Furunkel ihres Mannes ausdrückt, um den Eiter herauszulassen, ist ergreifender und schöner als Anna Karenina mit ihren Hüftverrenkungen und Karpfensprüngen. Gelobt sei also die Bibel, und Schande über die Ehebrecherinnen, die auf das tierische Gehabe Versessenen, die ans Meer fahren, mit Feuer unter ihren Röcken. Jawohl, tierisches Gehabe, denn Anna liebt den Körper des blonden Wronskij, und das ist Alles, all die schönen Worte sind Dunst und Flitterkram, der das Fleisch bedeckt.
Ihr glaubt mir nicht?
Wenn nun aber Wronskij infolge eines Drüsenleidens fett geworden wäre, dreißig Kilo Fett auf dem Bauch angesetzt hätte, das heißt dreihundert Buttertafeln, zu hundert Gramm das Stück, auf dem Bauch, hätte sie sich dann auf den ersten Blick in ihn verliebt?
Nur das Fleisch also, und schweigt mir von allem Anderen.
Dritter Kunstgriff, die Komödie des starken Mannes. Ach, die schmutzige Komödie der Verführung. Der Hahn kräht, und damit sie weiß, das er ein zäher Kerl ist, trommelt sich der Gorilla auf die Brust. »Die Offiziere kommen« riefen die Frauen von Sevilia und richten sich schnell das Haar. Sie sind auf Kraft versessen, und registrieren alles, was als Beweis dafür dienen kann. Wenn er ihr hart und direkt in die Augen schaut, ist sie köstlich verwirrt und schmilzt vor dieser lieben Drohung dahin. Macht er sich mit Autorität in einem Sessel bereit, so verehrt sie ihn. Wirkt er wie ein lakonischer Forschungsreisender, der nur die Pfeife aus dem Mund nimmt um kurz >ja< zu sagen, so sieht sie Tiefe in diesem >ja< und bewundert seine Art, an seiner Pfeife herumzukauen und ihren widerlichen Saft einzusaugen. Das ist männlich und aufregend. Der Verführer kann ruhig Blödsinn verzapfen, aber wenn er ihn im Brustton der Überzeugung hervorbringt, mit männlicher Stimme, das heißt mit sonorer Baßstimme, wird sie ihn mit feuchten Glotzaugen anstarren, als habe er eine noch allgemeinere Relativitätstheorie entdeckt. Alles registriert sie, die Art, wie er geht, wie er sich plötzlich umdreht, und daraus beschließt sie bereits, daß er Gott sei dank, aggressiv und gefährlich ist. Darüber hinaus muß er, um ihr zu gefallen, andere Männer beherrschen und demütigen, aber so daß sie es sieht. Welche Scham und welches Mitleid überkam mich immer dabei. Jawohl ich schämte mich, schämte mich meines erbärmlich überlegenen Tones. Dieses überlegenen Tones, den ich anschlagen mußte, um die Männer in einen Zustand von Scheu und Schüchternheit zu versetzen, und sie vor den Augen der Närrinnen zu vernichten.
Wenn er einen Hund verführen will, braucht er nur gut zu ihm zu sein. Der Hund macht sich wenig aus seiner Kraft. Aber sie, nein, sie verlangen, sie wollen die liebe Gefahr. Jawohl, es ist das Gefährliche an der Kraft, der Macht zu töten, das die Närrinnen anzieht und erregt. Ich kannte ein junges Mädchen, aus guter Familie, aus einer Familie voller Religionen und erhabener Gefühle, ein ganz reines junges Mädchen, das sich für einen Musiker von hundertachtzig Zentimetern Länge entflammte, der aber leider sanft und schüchtern war. Da sie ihn nicht in einen energischen Kerl verwandeln konnte, sich jedoch wünschte, ihn immer mehr zu lieben, versuchte sie, ihm künstliche Männlichkeit einzuspritzen, um sich daran aufzugeilen ,um ihn noch mehr Lieben zu können. So sagte sie ihm von Zeit zu Zeit auf ihren unschuldigen Spaziergängen: »Seien sie entschlossener«. Und eines Tages schenkte sie ihm eine Pfeife, eine ganz kurze, wie die eines Seebären. Sie ließ ihm keine Ruhe, bis er sie sich vor ihr in den Mund steckte, zu ihrem Genuß und ihrer Befriedigung. Die Pfeife erregte das arme Kind. Aber am folgenden Tag begegnete sie in einem eleganten Salon einem Karriereleutnant. Und als sie die Uniform und das Schwert sah, schmolz sie sofort vor Verliebtheit dahin. Das Blut ihres Herzens klopfte an die offene Tür ihrer Seele. Sie fühlte, daß die Verteidigung des Vaterlandes doch etwas Besseres sei als die Musik. Ein Schwert ist immerhin aufregender als eine Pfeife.
Kraft, Kraft, nur dieses Wort haben sie im Mund. Und Kraft ist schließlich nichts anderes, als die alte Macht, mit der man vor hunderttausend Jahren den vorsintflutlichen Kumpel am Rande des Urwaldes erschlug. Kraft, Macht zu töten. Ja ich weiß, ich habe es bereits gesagt, aber ich wiederhole es, und werde es immer wieder wiederholen. Beobachten sie die Närrinnen, und sie werden sehen, daß nicht nur ein möglichst langer Herr, sondern auch ein Energischer mit Charakter erwünscht ist. Dabei schlagen sie bewundernd die Augen auf, als ob es schön und erhaben wäre, wo es doch in Wirklichkeit abscheulich ist. Charakter! Sie geben es zu. Sie machen keinen Hehl daraus, diese unverschämten Engelchen, daß sie einen starken und schweigsamen Kerl brauchen, mit willensstarkem Kinn, einen Recken, einen ganzen Mann, einen aufgeplusterten Hahn, der immer recht hat, einen Mann des Wortes und der Tat, einen Hartnäckigen und Herzlosen, Einen, der Schaden zufügen kann und schließlich Einen, der des Mordes fähig ist. Hier wird Charakter nur an die Stelle der körperlichen Kraft gesetzt. Der Mann mit Charakter ist nur der zivilisierte Ersatz für den Gorilla.
Von diesem fleischigen und muskelstarken Gorilla, das heißt von diesem möglichen Töter, verlangen sie, daß er edle Worte im Munde führt, daß er ihnen von Gott spricht und daß er am Abend vor dem Schlafen gehen, mit ihr in der Bibel liest. Alibi und Gipfel der Verderbtheit. So können diese listigen Weiber in aller Ruhe die breite haarige Brust, die Schlägerfäuste, die kalten Augen und die Pfeife bewundern. Mit Schlagsahne bedeckte Schweinsfüße, mit Blumen und Papierspitzen geschmückte Hammelkeule wie in den Auslagen der Schlächtereien. Falsche Münze immer und überall. Statt >hundertachtzig Zentimeter< muß man >schön< sagen, oder >imposante Gestalt<, oder >von gutem Aussehen<. Anstatt >gefährlich< und >roher Kerl mit kalten Augen<, der ihnen so schöne Augen machen kann, muß man >energisch> und >mit Charakter< sagen. Und anstatt >Todesangst< und >egoistischer Wunsch, das der liebe kleine Bauchnabel auf ewig währt<, muß man >Geist<, >Jenseits<, >ewiges Leben< sagen.
Nichts zu machen, sie sind urzeitliche Geschöpfe, Nachkommen der Weiber mit der niedrigen Stirn, die demütig dem kleinen stämmigen Mann mit der Steinaxt folgten. Ich glaube nicht, daß auch nur eine einzige Frau in Christus verliebt war, als er noch lebte, und nur ein Mann mit traurigen Augen war. Nicht männlich genug, miauten wahrscheinlich die jungen Damen aus Galiläa. Bestimmt warfen sie ihm vor, die andere Wange hinzuhalten. Dagegen rissen sie die Augen auf und ließen die Mäuler hängen, wenn die römischen Zenturionen mit ihren energischen Kinnen in ihre Nähe kamen. Ach, ihre Bewunderung erfüllt mich mit Mitleid, ihre widerliche Bewunderung für einen schweigsamen und moralischen Martin Eden, Spezialist des direkten Kinnhakens. O Schrecken meiner Jugendliebe, wie versessen ich darauf war, des tierischen und männlichen Gehabes wegen geliebt zu werden, das sie mir aufzwangen und von mir erwarteten. Für all das geliebt zu werden, was dem dummen Huhn am widerwärtigen Gockel gefällt. Um ihnen zu gefallen, spielte ich den Kecken, der ich gar nicht war, den starken Mann, der ich gewiß nicht war, und Gott sei dafür gedankt. Aber sie liebten es, und ich schämte mich, doch ich brauchte ihre Liebe, so erbärmlicher Natur sie auch sein mochte.
Stark, stark, sie führten nur dieses Wort im Mund. Wie sie mir damit in den Ohren gelegen haben. Du bist stark, sagten sie zu mir, und ich schämte mich. Eine von ihnen, die noch geiler und weibchenhafter war als die anderen, sagte sogar zu mir, >du bist ein Starker<. Das war noch mehr als stark, und versetzte mich in die göttliche Kategorie der großen Gorillas. Vor Scham und Ekel bekam ich sogar Zahnschmerzen, vor Scham und Ekel dieser Bestialität gegenüber. Ich hatte Lust, ihr entgegenzuschreien, ich sei der schwächste Mensch auf Erden. Aber dann hätte sie mich fallenlassen. Und ich brauchte ihre Zärtlichkeit, diese Zärtlichkeit, die sie nur schenken, wenn die Leidenschaft sie ergreift, jene göttliche Mütterlichkeit der liebenden Frauen. Und allein um dieser Zärtlichkeit willen, erkaufte ich mir ihre Leidenschaft, indem ich den Gorilla spielte, und, Scham im Herzen, gab ich mich so energisch wie möglich, setzte mich mit Selbstsicherheit, schlug die Beine bis zur letzten Grenze der Arroganz übereinander und argumentierte in knappen herrischen Worten.
All dieses Gorillagehabe, wo es mir lieber gewesen wäre, sie hätten an meinem Bett gesessen, sie in einem Sessel, ich liegend und ihre Hand haltend oder den Rocksaum, sie mir ein Wiegenlied singend. Aber nein, ich mußte den Willensstarken und Gefährlichen spielen, ständig Charakter zeigen, mich energisch gebärden und mir dabei lächerlich vorkommen. Lächerlich, weil sie mich darum verehrten. Ich sage diese Dinge nicht gern. Wie hätte es mich beglückt, diese Zärtlichkeit von Männern zu empfangen, einen Freund zu haben, ihn bei seiner Ankunft zu umarmen und mich mit ihm bis spät in die Nacht hinein oder sogar bis zum Morgengrauen zu unterhalten. Aber die Männer liebten mich nicht, ich war ihnen peinlich, sie mißtrauten mir. Ich gehörte nicht zu ihnen, sie fühlten, daß ich alleine war. So mußte ich die Zärtlichkeit dort suchen, wo man sie mir gab.
Und die Spinnen. Kennen sie die Sitten der Spinnen? Sie verlangen, daß das Männchen seine Kraft beweist, indem es Sprünge macht. Wenn das Männchen keine Sprünge macht, nicht ständig herumhüpft, ist nichts zu machen. Dann wendet sich die Seele der Spinne von ihm ab. Sie fährt gleich mit einem neuen Spinnenmann ans Meer, der noch ganz frisch verliebt ist, herumhüpft und sich dreht und wendet, daß es eine wahre Freude ist. Dieser Spinnenmann ist ein Neger. Den sie müssen wissen, daß sie Neger lieben, aber das ist ein Geheimnis, das sie sich nachts im Mondschein, wenn gerade kein Weißer in der Nähe ist, zuflüstern. Und dann muß der Arme am Ufer des seidigen und sich kräuselnden Meeres, Sprünge von fünf, sechs und sogar sieben Zentimeter Höhe machen, wofür sie ihn anbetet.
Aber plötzlich die Tragödie. Ein dritter Spinnenmann taucht auf, und macht noch höhere Sprünge, als der Neger. Da sagt sich die Spinne, endlich ist der Wunderspinnenmann, der Spinnenmann ihrer ganzen Seele gekommen. Scheidung! Dritte Heirat. Lusttrunkene Reise mit dem neuen Spinnenmann an ein neues Meer. Flitterwochen in Venedig, wo die kleine Närrin sich an den Steinen und Farben genüßlich erbaut, sich furchtbar künstlerisch vorkommt und mit den Augen zwinkert, um sich ganz von einem genialen gelben Fleck in der Ecke eines Bildes durchdringen zu lassen, um tausend Wunder darin zu erblicken, während ein Pensionat von jungen Kühen in ästhetischem Almauftrieb an ihr vorüberzieht. Dieser Aufenthalt in Venedig ist so schön, weil voller Poesie. Voller Poesie, weil er viel Geld kostet und überdies ein Apartment im teuersten Hotel zur Verfügung steht.
Aber da der arme dritte Spinnenmann nach der sechsten Woche viel weniger springt, schlapp und häuslich wird, vom physiologischen ein bißchen genug hat und wieder an die Gesellschaft, an seine Arbeit denkt, von seinem Rheuma spricht, begreift sie plötzlich, voller sittlicher Erhabenheit und Würde, daß sie sich getäuscht hat. Es bleibt nie aus, dieses Gefühl des Sichgetäuschthabens. Also beschließt sie, ganz edelmütig mit ihm zu reden. Um sich feierlich zu geben, setzt sie sich einen hohen goldenen Turban auf. »Lieber dritter Spinnenmann« sagte die Spinne und faltet ihre behaarten Beine, »Seien wir einander würdig und trennen uns ohne billige Beschuldigungen. Besudeln wir nicht die edlen Erinnerung an vergangenes Glück mit unnützen Beschimpfungen. Ich bin dir die Wahrheit schuldig, und die Wahrheit, mein Lieber, ist, daß ich dich nicht mehr liebe. Eine Lüge wäre niederträchtig« fährt sie fort. »Was willst du mein Lieber? Ich habe mich getäuscht. Mit ganzer Seele hatte ich geglaubt, du seist der ewige Spinnenmann. Es tut mir leid. Wisse, daß ein vierter Spinnenmann in mein Leben getreten ist und mir alles bedeutet. « Sie sagen gern, »er bedeutet mir alles«, denn das klingt edler als »ich gehe mit ihm ins Bett«. Und so fährt die liebe Gute fort, und zeigt immer höhere Gefühle. » Siehst du, ich liebe ihn aus ganzer Seele, und sein Charakter ist von höchster Moralität. Gott hat ihn auf meinen Weg geführt. Ach wie ich leide, denn der Schlag, den ich dir zufüge, ist wahrscheinlich tödlich. Aber was soll ich tun? Ich kann nur in der Wahrheit leben. Ich kann nicht lügen, denn mein Mund und meine Seele müssen rein bleiben. Also adieu mein Lieber, und denke noch manchmal an deine kleine Spinnenfrau«. Oder sie stellt ihm am Ende ihrer Rede ein letztes Beisammensein im Bett vor, als Beweis ihrer ehrlichen Zuneigung. Um ihm eine schöne Erinnerung zu hinterlassen. Aber meistens endet es mit: » Sei stark, und wir bleiben Freunde.«
Ich verabscheue sie. Ich verabscheue sie, denn sie wird niemals eingestehen, daß sie den Vierten nur liebt, weil er neu ist und nach dem Dritten Abwechslung bringt. Nein, sie reden immer von der neuen Liebe wie von einem Schlag des Schicksals. Wie von etwas Unabwendbarem, von einem herrlichen Mysterium, sie legen ihre ganze Seele hinein. So schwingt sie also ihre Seele und ihren Popo, verschwindet mit dem Vierten nach Ägypten, wo er sie an dem Tag enttäuschen wird, da sie merkt, daß er genau wie der letzte Spinnenmann, an Verdauungsstörungen leidet.
Ich sage diese abscheulichen Worte, die ich gleich darauf bedauere, diese urzeitlichen und gorillahaften Worte. Ich muß sie ständig wiederholen, weil es mich empört, daß sie nicht so sind, wie sie es zu sein verdienen. So wie sie im Grunde meines Herzens sind. Engel sind sie, ich weiß. Aber warum dann diese Steinzeitfrau hinter dem Engel? Hören sie mein Geheimnis: Manchmal wachte ich in der Nacht auf, schweißgebadet vor Entsetzen. Wie ist es nur möglich, daß sie, die Sanftmütigen und Zärtlichen, mein Ideal und meine Religion, daß sie die Gorillas, die Gorillamanieren lieben. Entsetzen meiner Nächte, daß die Frauen, diese Wunder der Schöpfung, Jungfrauen und Mütter zugleich, einer anderen Welt, als der der Männer entstammend, den Männern so überlegen. Daß die Frauen, Verkündung und Prophezeiung der kommenden, heiligen Menschheit, der endlich menschlichen Menschheit, daß die Frauen, die anmutsvoll zu Boden blicken, Gnade und Wesen der Zärtlichkeit und Licht Gottes, daß sie, und das ist mein Entsetzen, sich von der Kraft verführen lassen, welche die Macht zu töten ist. O Empörung, daß sie der Anbetung der Starken verfallen. O Empörung meiner Nächte, und ich verstehe es nicht, werde es nie hinnehmen. Sie sind so viel mehr wert, als die scheußlichen Kraftmeier, von denen sie sich angezogen fühlen. Verstehen sie das? Dieser unglaubliche Widerspruch ist meine Qual, daß meine Frauen sich von gräßlichen behaarten Wesen angezogen fühlen.
Göttlich, jawohl!
Haben die Frauen vielleicht die Keulen, die Pfeile, die Lanzen, die Schwerter, die griechischen Feuer, die Bombarden, die Bomben erfunden? Nein, die Starken waren es, ihre geliebten Mannsbilder. Und doch beten sie Einen meiner Rasse an, den Propheten mit den traurigen Augen, der die Liebe war.
Aura, die meine Frau war. In der letzen Zeit unserer Ehe, und weil ich mich außerhalb der Gesellschaft gestellt, die Maske des Erfolgsmenschen abgenommen hatte. Weil ich nicht mehr ein elender Hanswurst am Hofe war. Weil ich, ein Heiliger, arm und mit absurdem Bart nicht mehr die Komödie des starken Mannes spielte, als ich ihr, mein Entsetzen über ihre welkende Liebe gestand, meine Qual, mich wie ein Nichts behandelt zu sehen, mich, den einstigen Herrn ihrer ganzen Seelen. Ach, wie undurchdringlich war da ihr Schweigen und ihr Gesicht, ihr Gesicht von Stein. Ach dieser Tag, da ich in unserem elenden kleinen Zimmer Gnade finden wollte und selbst das Geschirr wusch, einen Teller fallen ließ und mich dafür entschuldigte, ich armer Idiot, ach ihre schreckliche kleine überdrüssige Verachtung, die Verachtung des Weibchens. Ich war arm, also schwach. Ich war kein wichtiger Mann, kein erbärmlicher Sieger mehr. Beharrlich in meiner absurden Hoffnung, sagte ich ihr meine Verzweiflung, nicht mehr geliebt zu sein, sicher, daß sie mich in die Arme nehmen würde, wenn sie verstünde. Ich wartete auf ein gütiges Wort, wartete mit vor Unglück hilflos geöffnetem Mund. Ich hoffte, ich glaubte an sie. Sagst du mir nichts mein Schatz? Ich habe nichts zu sagen, hat darauf das Weibchen dem Armen, dem Besiegten geantwortet. Sie war hart wie Stein geworden, weil ich um Hilfe rief, weil ich sie brauchte. Ich habe nichts zu sagen, wiederholte das Weib mit dem lächerlichen Ausdruck einer unnahbaren Kaiserin, der dieser um Zärtlichkeit Bettelnde lästig wurde. Und doch war es dieselbe, die mich einst sklavisch angebetet hatte, als ich noch glanzvoller Sieger war.
Vierter Kunstgriff, die Grausamkeit. Sie verlangen es, sie brauchen es. Wie oft sind sie mir morgens im Bett auf die Nerven gegangen, wenn ich unbedingt mein schönes grausames Lächeln, oder mein liebes ironisches Lächeln aufsetzen mußte, während ich nur ein einziges Verlangen hatte, nämlich ihr mit der ganzen Liebe meiner Seele die Butter aufs Brot zu streichen. Ihr den Tee ans Bett zu bringen. Verdrängtes Verlangen natürlich, denn das Frühstückstablett hätte ihrer Leidenschaft einen empfindlichen Stoß versetzt. Also zog ich Armer meine Lippen zurück und zeigte meine Knöchelchen, um grausam zu lächeln, sie zufrieden zu stellen. Armer Juan, nichts haben sie dir erspart. Eines Nachts, nach jener Gymnastik, an der sie so ein erstaunliches Interesse zeigen, hat sie es sich nicht verkneifen können, eine Nettigkeit in der Art von » mein böser Schatz, der gestern so unausstehlich zu mir war.« zu gurren. Und mit Dankbarkeit noch dazu. So hat sie mir für Allerlei, gegen meinen Willen erfundene Grausamkeiten gedankt und mir dabei zärtlich die nackte Schulter gestreichelt. Entsetzlich.
Nein, es ekelt mich an, ich kann nicht mehr. Lieber verführe ich einen Hund, ja, ich weiß, ich wiederhole mich. Die Manie meiner Rasse, die leidenschaftlich in ihre Wahrheiten verliebt ist. Lesen sie die Propheten, die heiligen Wiederkäuer.
Um einen Hund zu verführen, brauche ich mich nicht zu rasieren, oder mich schön zu machen, oder den Kraftmeier zu spielen. Ich muß gütig sein. Ich brauche ihm nur den kleinen Schädel zu kraulen, ihm zu sagen, er sei ein guter Hund und ich auch. Dann wird er mit dem Schwanz wedeln, mich lieben, mich mit seinen gütigen Augen anschauen, und er wird mich auch lieben, wenn ich alt, häßlich, arm und von Allen verachtet bin. Er wird mich auch lieben, wenn mir die zweiunddreißig Knochenstückchen im Maul fehlen. Er wird mich lieben, o wunder, selbst wenn ich vor Liebe alt und schwach bin. Ich achte die Hunde. Vielleicht werde ich als nächstes einen Hund verführen und ihm meine ganze Liebe widmen. Ich dachte auch schon darüber nach, homosexuell zu werden. Nein, bärtige Lippen zu küssen ist nicht komisch. Schon daran kann man übrigens die Frauen beurteilen, diese unglaublichen Geschöpfe, die es lieben, Männern Küsse zu geben, was abscheulich ist.
Ich hatte einmal einen Kater, Ernesto.
Für ihn habe ich ein kleines Haus gekauft, draußen, vor den Toren der Stadt. Ja, ein ganzes Haus, den in der Burg fühlte er sich nicht wohl. Ein Häuschen, damit er Bäume hatte, auf die er klettern konnte und sich die Krallen wetzen, eine Wiese mit guten Naturdüften, wo er herumspringen und jagen konnte. Seinen Salon hatte ich mit einem Sofa, ein paar Sesseln und einem Teppich aus dem Orient möbliert. Ich liebte ihn, diesen Kleinbürger mit seinen Gewohnheiten und Behaglichkeiten, der wie ein kleiner Graf in seinem Sessel schlief, aber auch ein Anarchist war und nie gehorchte, wenn ich ihm sagte er solle liegenbleiben. Er war ein kleptomanischer kleiner Engel, und behielt ein ernsthaftes kleines Köpfchen, selbst wenn er Dummheiten machte, schnurrte fleißig, wie ein pausbäckiges und sanftes Herrchen, ein stiller schnurrbärtiger Herr, ganz Friede und Sanftmut vor dem Feuer, und dann wieder so fern und würdevoll, wie aus dem Märchen. Mit Ernesto konnte ich ganz unbeschwert zärtlich, absurd und jungenhaft sein. Ernesto, mein Musselinkaterchen, er zog plötzlich den Kopf ein, wenn es ihm einfiel, gefühlvoll zu sein, schloß die Augen in zartem Verständnis, öffnete sie halb und schaute mich liebevoll an, weil ich ihm sagte, er sei ein liebes Kätzchen. Zerzauster Ernesto, wenn er in der Sonne träumte, sein Näschen in die Sonne streckte, das Leben schön fand, das liebe kleine Leben in der Sonne. Der so gewissenhafte Ernesto, wenn er einer plötzlichen Eingebung folgend in der Sonne seine Toilette machte, sich die Hinterpfoten leckte, sich dabei mit der Geste eines Baßgeigers bewegte, wie er plötzlich innehielt, um mich mit erstauntem Interesse anzusehen, zu begreifen versuchte oder zerstreut nachdachte, kleiner, von der Sonne benommener Denker. Wenn ich von den Menschen zurückkam, war es ein kleines Glück, ihn wiederzusehen, fern der bösen Affen am Hofe. Ihn wiederzusehen, zu sehen, wie er mir folgte, wie er an mich glaubte, wie er sich in meine Knie krallte, mir Zärtlichkeit darbrachte, sein gleichgültig dreinblickendes Köpfchen an meiner Hand rieb. Jenes Köpfchen, das nie schlecht von mir dachte, mein kleiner schnurrender Schatz.
Er verstand mehr als zwanzig Worte. Er verstand Ausgehen, Vorsicht böser Hund, Essen, Brei, Fisch, ein schönes Stück Leber, sei lieb, sag guten Tag. Dann rieb er sich mit seinem Köpfchen an meiner Hand, um mir guten Tag zu sagen. Er verstand Fliege, und dieses Wort bezog er auf alles was Flügel hatte. Und dann stürzte sich der kleine Jäger ans Fenster, in der Hoffnung auf eine Beute. Er verstand auch Pfui, aber damit war er nie einverstanden und protestierte. Er verstand nimm und komm. Er kam nicht immer wenn ich »komm« zu ihm sagte. Aber wie eilte er herbei, liebenswürdig und beflissen, wie die Verkäuferin eines teuren Ladens, wenn ich »nimm« zu ihm sagte. Wenn ich ihm sagte, Alles ist aus zwischen uns, kroch er unter das Sofa und litt. Aber dann holte ich ihn mit dem Spazierstock wieder hervor und tröstete ihn. Dann gab er mir einen Katzenkuß, fuhr mir einmal ganz kurz mit der rauhen Zunge über die Hand. Dann schnurrten wir gemeinsam, er und ich.
Der Arme blieb den ganzen Tag alleine in dem großen Haus. Seine einzige Gesellschaft war die Frau des Gärtners, die morgens und abends kam, um sein Essen zu bereiten. Und wenn er sich allzusehr langweilte, sich nach mir sehnte, machte er kleine Dummheiten und zerkratzte mit den Krallen die auf dem Tisch des Salons liegende Bibel. Das war ein kleines kabbalistisches Unternehmen, einen Beschwörung, ein Zauber, der mich, den unersetzlichen Freund, magisch zu ihm bringen sollte. In seinem kleinen Hirn hatte er nämlich Folgendes gedacht: Wenn ich etwas Böses tue, schilt er mich aus, und folglich ist er da. Es war eigentlich nicht viel absurder als ein Gebet.
Wenn ich abends nach Hause kam, wie sprang er da durch den Flur, sobald er den wunderbaren Klang des Schlüssels in der Tür hörte. Dann gab es eine kleine Eheszene. Ich habe mich gegrämt, sagte sein trauriges Miauen, du läßt mich zu viel allein. Und das ist kein Leben. Dann holte ich das Stückchen Leber hervor, das ich mitgebracht hatte, zerschnitt es, und dann war wieder alles in Ordnung. Eine Idylle. Er hatte mir verziehen. Mit vor Ungeduld und Glück zitterndem Schwanz brachte er ein ganz wundervolles Schnurren hervor. Er rieb sich mit seinem Gesicht an meinem Bein, um mir zu zeigen, wie sehr er mich liebte und schätzte, daß ich ihm die Leber kleinschnitt. War die Leber einmal im Näpfchen, wollte ich sie ihm nicht gleich geben. Ich ging durch die Küche, den Flur und den Salon, machte Umwege. Er folgte mir festlich gestimmt, würdig einherschreitend wie ein Marquise, zeremoniös, Musterkind und Lord zugleich, in Galafrack, mit zitterndem und erhobenem Schwanz, folgte mir anmutig und samtpfotig, eilfertig und tänzelnd, beschwingt von Gier und Freundschaft, die Augen auf das heilige Näpfchen gerichtet, treu ergeben und bereit mir bis an das Ende der Welt zu folgen. Mein liebes, kleines, falsches Glück, mein Kätzchen.
Kam ich nach Hause, wenn er draußen war, am anderen Ende der Wiese, wie rannte und sprang er da. Gleich einem kleinen Wurfgeschoß raste er auf mich zu, und das war Liebe. Vor mir angelangt blieb er stehen, nahm eine würdige Haltung an, schritt langsam um mich herum, majestätisch, kokett und mit gespielter Gleichgültigkeit, jedoch mit Stolz und glücklich erhobenem Schwanz. Beim zweiten mal kam er näher, rieb seinen Schwanz an meinen Stiefeln, erhob die Augen um mich anzusehen, krümmte anmutig den Rücken und sperrte sein rosa Schnäuzchen auf, um mich taktvoll daran zu erinnern, daß es für ihn Essenszeit sei. Nach beendeter Mahlzeit ging er in den Salon, um sein Nickerchen zu machen, richtete sich auf dem besten Sessel, das heißt dem zerkratztesten ein und fiel sofort in Schlaf, wobei er eins seiner Samtpfötchen vor Augen hielt, um sich besser vor dem Licht zu schützen. Aber plötzlich richteten sich die Ohren des schlafenden Ernesto auf, wandten sich dem Fenster und irgendeinem wichtigen Geräusch dort draußen zu. Er erhob sich, wechselte plötzlich von Schlaf zu leidenschaftlicher Aufmerksamkeit, erschreckend und schön, lauschte gebannt auf interessante Geräusche und setzte zum Sprung an. Auf dem Fensterbrett, vor dem Gitter verharrte er einen Augenblick wie versteinert, gespannt und interessiert, die Augen auf eine unsichtbare Beute gerichtet, kleine abgehackte und klagende Schreie katzenhafter Begierde ausstoßend. Endlich, nach vorbereiteten Windungen und Wendungen, Hüftbewegungen und einem letzen Anspannen sprang er durch das Gitter: Läufige Katze im Garten.
Er liebte es, mit mir zu schlafen. Das war eines seiner Lebensziele. Wenn er auf der Terrasse ein Sonnenbad nahm, oder mit einem kleinen gierigen Zucken einem Spatzen auflauerte und ich mich auf das Sofa im Salon legte, sprang er sogleich durch das offene Fenster hinein. Dann machten seine kleinen Krallen ein knisterndes Geräusch auf dem Parkett. Ernesto sprang mir auf die Brust, lief einige Male hin und her und suchte sich seinen Platz. Dieses hin und herlaufen, als wollte man sich ein Lager glätten, glich einem rituellen Tanz und stammte wahrscheinlich aus vorgeschichtlicher Zeit, als seine Urahnen im Wald ein Lager aus trockenen Blättern schichteten, bevor sie sich schlafen legten. Dann lag Ernesto auf meiner Brust, langgestreckt und prinzenhaft ,vollkommen glücklich. So setzte sich der kleine Motor in seiner Kehle in Bewegung, zuerst etwas stockend kurz darauf im direkten Gang. Nun schwelgte er im Glück, des gemeinsamen Schläfchens. Er legte seine Pfote auf meine Hand, um ganz sicher zu sein, daß ich da war. Wenn ich ihm sagte, er sei ein liebes Kätzchen, stieß Ernesto mir ein ganz klein wenig seine Krallen in die Hand, ohne mir weh zu tun, gerade genug um mir zu danken, um mir zu zeigen, daß er mich verstanden hatte, um mir zu sagen, daß wir Freunde waren und uns bei einander wohlfühlten.
Aber ich wollte ihnen von der Verführung erzählen. Die Grausamkeit, es ist ganz einfach, ich liebte sie und wollte, das sie mich liebt. Ich konnte schließlich nicht an ihrer statt einen Hund lieben, nur weil er besser war als sie. Also verführte ich, verrichtete meine abscheuliche technische Arbeit, und verlor meine Seele. Zwang mich zu List und Abgefeimtheit. Denn dann liebten sie mich, und tausendmal mehr, als wenn ich ein kleiner Schreiber gewesen wäre. Wenn du ihre große Liebe kennenlernen willst, zahle den schmutzigen Preis und wühle im Misthaufen der Wunder.
Aber man muß sich in acht nehmen, am Anfang keinen übermäßigen Eifer zeigen, nicht bevor das Versuchskaninchen sich leidenschaftlich gebärdet. Bevor man noch keine richtigen Wurzeln geschlagen hat, würden allzu deutliche Bösartigkeiten sie abstoßen. Am Anfang bleibt ihnen noch ein wenig Vernunft. Folglich muß man taktvoll sein und Maß halten. Am besten, man beschränkt sich darauf, sie fühlen zu lassen, daß man fähig ist, grausam zu sein. Diese Fähigkeit läßt man sie am besten zwischen zwei Liebenswürdigkeiten fühlen, durch einen deutlichen Blick, durch das berühmte grausame Lächeln, durch kurze ironische Bemerkungen oder durch irgendeine kleine Unverschämtheit. Zum Beispiel, wenn man ihr sagt, ihre Nase glänze. Sie wird entrüstet sein, aber insgeheim liebt sie das. Wie kläglich, ihr Mißfallen zu müssen, damit man ihr gefällt.
Oder, man setzt eine undurchdringliche Maske auf, schaut geistesabwesend drein, und stellt sich taub. Wenn man mit vorgetäuschter Zerstreutheit eine gestellte Frage nicht beantwortet, wird es sie verwirren, aber nicht mißfallen. Das ist eine geistige Ohrfeige, ein leichter Anflug von Grausamkeit, eine kleine Geste sexueller Geringschätzung, eine männliche Gleichgültigkeit. Überdies wird diese Gleichgültigkeit ihr Verlangen steigern, seine Aufmerksamkeit zu fesseln, ihn zu interessieren und ihm zu gefallen. Es wird sie mit einem vagen Gefühl des Respekts erfüllen. Sie wird sich sagen, nein sie wird es sich nicht sagen, aber irgendwie wird sie fühlen, daß er es gewohnt ist, all jenen Frauen, die ihn belagern, nicht allzu aufmerksam zuzuhören. Dadurch wird er interessant. Er ist von vollkommener Höflichkeit, aber er könnte, wenn er wollte, auch sehr böse sein. Und das wird sie genießen. Ach, ich habe sie ja nicht erschaffen. Schrecklich wie sie sich von Grausamkeit, hinter der sich Kraft verbirgt, angezogen fühlen. Wer grausam ist, ist auch sexuell begabt, imstande weh zu tun, aber auch gewisse Freuden zu schenken, denkt sie zumindest. Ein leicht teuflischer Beherrscher zieht sie an, ein gefährliches Lächeln erregt sie. Sie sind ganz vernarrt in das Dämonische. Der Teufel ist für sie bezaubernd. Entsetzlich dieses Prestige des Bösen.
Also, während des Verführungsprozesses Vorsicht und Behutsamkeit. Doch hat man sie erst einmal im Sattel, kann man aufs Ganze gehen. Nach dem ersten Akt, den man seltsamerweise Liebesakt nennt, ist es sogar ratsam, vorausgesetzt er war gelungen und wurde von der stummen Armen gutgeheißen, wäre es also ratsam ,ihr zu verkünden, sie würde mit ihm leiden. Noch schwitzend und an ihm klebend, wird sie dann erwidern, es mache ihr nichts aus und das Leiden mit ihm sei für sie noch ein zusätzliches Glück. »Wenn du mich nur liebst« wird sie flüstern und ihn dabei treuherzig anblicken. Ja, sie nehmen das Leiden wirklich mutig hin. Besonders bevor sie wirklich leiden.
Und wenn sie dann völlig von der Leidenschaft ergriffen ist, unverhüllte Grausamkeit. Aber man muß sie dosieren. Grausamkeit mit Maß. Das Salz ist vorzüglich, aber zuviel davon ist schlecht. Folglich abwechselnd Härte und Sanftmut, ohne den obligaten Sanftmut außer acht zu lassen. Der Cocktail der Leidenschaft. Man muß der heißgeliebte Feind sein, von Zeit zu Zeit Bosheiten einstreuen, damit sie sich immer fragt, welches Unheil sie erwartet, damit sie leidet, besonders aus Eifersucht, hofft, auf Versöhnung wartet, unerwartete Zärtlichkeiten genießt. Kurz, sie darf sich niemals langweilen. Versöhnung gibt einer Beziehung erst die richtige Würze. Wenn man ihr nach einer kalten Dusche oder einer ähnlichen Grausamkeit, ein Lächeln schenkt, zerschmilzt die arme Gefoppte vor Dankbarkeit, läuft schnell zu ihrer besten Freundin, und erzählt ihr, wie wunderbar er ist und wie gütig im Grunde. Sie danken ihm für seine Bosheit, indem sie ihn mit Güte krönen.
Damit sie ihn weiterhin leidenschaftlich liebt, ist er verurteilt, sich stets zu überwachen, zum Beispiel immer zu spät zum Stelldichein zu kommen, so daß sie wie auf Kohlen zappelt. Und von Zeit zu Zeit, wenn sie ihn nach sorgfältiger Toilette völlig ausgehbereit erwartet und sich nicht vom Fleck rührt, aus Angst sie könne sich schmutzig machen, muß er sie im letzten Augenblick benachrichtigen, ihr mitteilen er sei verhindert, auch wenn er zum Sterben gern mit ihr ausgehen möchte. Oder besser noch, gar nicht erst hingehen und sie auch nicht benachrichtigen. Dann kocht sie und verzweifelt. Wozu das Haarewaschen und die Dauerwelle, wenn doch der heißgeliebte Bösewicht nicht gekommen ist? Wozu dieses neue Kleid, das ihr so gut steht? Sie weint die Arme, sie schneuzt sich mit viel Geräusch. Sie ist allein, sie schneuzt sich und schneuzt sich mit einem Haufen kleiner Spitzentüchlein. Sie fährt sich mit einem weichen Tuch über die von Tränen geschwollenen Augenlider, zerbricht sich das Köpfchen, und erfindet bei jedem Tüchlein eine neue Hypothese. Aber warum ist er nicht gekommen? Ist er krank? Liebt er mich weniger? Ist er bei dieser Frau? Ach, sie ist ein geschicktes Luder, sie schmeichelt ihm, und das natürlich mit all den maßgeschneiderten Kleidern, die sie sich leisten kann. Ach, er ist bestimmt bei ihr. Und erst gestern sagte er mir noch... ach, es ist einfach nicht Recht, wo ich ihm Alles geopfert habe. Und so weiter. Die ganze Leier des gebrochenen Herzens.
Und am nächsten Tag schluchzt sie an seiner Schulter und sagt >mein süßer böser Schatz, ich habe die ganze Nacht geweint. Ach, verlaß mich nicht. Ich kann ohne dich nicht leben.< Das ist die schmutzige Arbeit, zu der sie ihn zwingt, wenn er ihre ganze Leidenschaft haben will.
Er darf sich nicht zu seiner angeborenen Güte verleiten lassen, wenn er sie so tränenfeucht und völlig am Boden zerstört vor sich sieht. Er darf nie auf die Grausamkeit verzichten, welche die Leidenschaft belebt und ihr aufs neue strahlenden Glanz verleiht. Sie wird es ihm vorwerfen, aber sie wird ihn lieben. Sollte er jemals die Dummheit begehen, nicht mehr böse zu sein, so wird sie es ihm nicht vorhalten, aber sie wird ihn weniger lieben. Erstens weil er seinen Reiz verliert, zweitens weil sie sich mit ihm langweilen würde, wie mit ihrem Ehemann. Mit einem bösen Geliebten gähnt man nie. Man beobachtet ihn und hofft auf gute Laune. Man macht sich schön, um Gnade zu finden. Man blickt ihn mit flehenden Augen an, man hofft, daß er morgen nett sein wird.
Kurz, man leidet, und das ist interessant.
Und wirklich, am nächsten Tag ist er ganz zauberhaft. Das ist ein Paradies, das man schätzt und in dem keine blassen Blumen der Langeweile wachsen, da man ja jeden Augenblick fürchten muß, das Paradies wieder verschwinden zu sehen, dieses schöne Paradies. Kurz, ein abwechslungsreiches Leben. Stürme, Zyklone, plötzliche Aufhellung und Regenbogen, man hat Freuden, gewiß, aber weniger häufig als Leid. Und so bastelt man sich eine hingebungsvolle Liebe zusammen.
Das Schreckliche ist nur, daß diese zu einem so schmutzigen Preis erkaufte, hingebungsvolle Liebe das Wunder der Welt ist. Aber derjenige, der hingebungsvoll geliebt sein will, muß einen Pakt mit dem Teufel schließen, denn er verliert seine Seele.
Sie haben mich gezwungen Bösartigkeit vorzutäuschen, und das werde ich ihnen nie verzeihen. Aber was sollte ich tun? Ich brauchte sie, sie, die so schön sind wenn sie schlafen, brauchte ihren Milchbrötchenduft wenn sie schlafen, brauchte ihre reizenden Päderastengesten, brauchte ihre Scham, die rasch den erstaunlichen Beflissenhiten im Halbdunkel der Nächte weicht. Nichts überrascht oder erschreckt sie, wenn es um einen Dienst der Liebe geht. Ich brauchte ihre Blicke, wenn ich ankam und sie mich erwarteten, rührend auf der Schwelle unter den Rosen. O Nacht, o Glück, o Wunder ihres Kusses auf meiner Hand. Und dann auch, und vor allem, o Brot der Engel, brauchte ich diese begnadete Zärtlichkeit, die sie nur schenken, wenn die Leidenschaft sie ergriffen hat, jene Leidenschaft, die sie nur den Bösen schenken. Also Grausamkeit um Leidenschaft zu erkaufen, und Leidenschaft um Zärtlichkeit zu erkaufen.
Nächster Kunstgriff, die Verletzlichkeit.
Gewiß, man muß männlich und grausam sein, aber wenn man vollkommen geliebt werden will, muß man auch Mütterlichkeit erwecken. Hinter all seiner Kraft muß sie ein Quentchen Schwäche entdecken. Sie lieben es, hinter dem kräftigen Mordskerl das Kind zu sehen. Ein wenig Zerbrechlichkeit hier und da –aber nicht zuviel– das gefällt ihnen sehr und rührt sie ungemein. Kurz, neun zehntel Gorilla und ein zehntel armes Waisenkind, das verdreht ihnen voll und ganz den Kopf.
Siebenter Kunstgriff, die im vorhinein bekundete Verachtung. Sie muß sobald wie möglich gezeigt werden, aber nicht in Worten. Frauen sind im Bezug auf das Vokabular sehr empfindlich, besonders zu Anfang. Aber diese Verachtung in einer gewissen Sprachweise, in einem gewissen Lächeln, das spüren sie sofort, und das gefällt ihnen. Es beunruhigt sie. Ihr inneres Wesen sagt sich, daß er da verachtet, weil er es gewohnt ist, geliebt zu werden und Frauen geringzuschätzen. Also ein Herr und Meister, der sie alle in die Knie zwingt. Ich auch, ich auch, ich will auch in die Knie gezwungen werden, verlangt ihr Innerstes. Ja, morgen werde ich einen Hund verführen, und wir werden jeden Tag zusammen ausgehen. Er wird so glücklich sein mit mir spazierenzugehen, wird vor mir herlaufen, aber sich immer wieder umdrehen um mich anzuschauen, um sicherzusein, daß der Schatz, der ich für ihn bin, noch immer da ist. Plötzlich wird er auf mich losstürzen, mich anspringen und mich mit den Vorderpfoten liebevoll beschmutzen. Welche Frau würde das tun.
Achter Kunstgriff, Rücksicht und Komplimente.
Wenn sie auch unbewußt Verachtung lieben, so verlangt ihr Bewußtsein Rücksichtnahme. Dieser Kunstgriff ist besonders am Anfang anzuwenden, später kann man darauf verzichten. Auch während der Verführung wird sie es genießen, wenn der, der alle Anderen verachtet, sie preist, und sie wird jubeln die Einzige zu sein, die Gnade findet. So muß man der seiner kaum verborgenen Verachtung Bewunderung in Worten hinzufügen, so das sie sich sagt, endlich Einer der mich versteht. Den sie wollen vor allem verstanden werden, ohne allerdings genau zu wissen was, das bedeutet. Man muß sie nur einmal fragen, wenn sie ihn mit edler Trauermine anblickt und ihm jenen berühmten Satz vom Ehemann der sie nicht versteht, verkündet. Wenn man sie dann fragt was sie unter Nichtverstandensein versteht, wird man seinen Ohren nicht trauen, wenn man ihre konfuse Antwort hört.
Also zu Beginn massive Komplimente. Und man braucht auch gar nicht zu befürchten, zu weit zu gehen. Sie schlucken alles. Es ist eine guter Köder, sich ihre Eitelkeit zunutze zu machen. Eitel? Ja, aber vor allem sind sie so wenig sicher, sie brauchen ständige Bestätigung. Denn frühmorgens vor dem Spiegel entdecken sie eine menge Unvollkommenheiten, mattes und trockenes Haar und Schuppen, zu weit geöffnete Poren, und die Zehen sind nicht schön, vor allem die letzte, die bucklige, die kleine mißgestaltete mit dem verwachsenen Nagel. Daran kann man sehen, welchen gefallen man ihr erweist, wenn man sie zu Göttin macht. Nie sind sie sich ihrer sicher. Daher das krankhafte Bedürfnis nach neuen Kleidern, die sie weder neu noch begehrenswert machen. Ach, die armen, zu langen und lackierten Fingernägel, die idiotischen ausgezupften Augenbrauen, der stumpfsinnige Gehorsam, mit dem sie sich dem Diktat der Mode unterwerfen. Man sage ihnen, in diesem Jahr seien Röcke mit einem großen Loch am Rückenende modern, und sie werden sich eiligst solche anfertigen lassen und ihre nackten Popos zeigen. Man macht ihr also über alles Komplimente, auch über die absurdesten Dinge wie den katastrophalen Hut, den sie sich wie eine ewige strafe auf den Kopf klebt. Komplimente sind ebenso Sauerstoff für sie, wie ein neues Kleid, sie atmet sie mit vollen Lungen ein und blüht wieder auf. Kurz, man muß derjenige sein, der ihr ständig neues Selbstvertrauen spendet, und sie wird nicht mehr ohne ihn auskommen können, selbst wenn es ihm am ersten Abend noch nicht gelungen ist sie vollständig zu verführen. Jeden Morgen beim Erwachen wird sie an ihn denken und sich seine Lobreden wiederholen, während sie sich ihr Schamhaar krault, was offenbar ihre Konzentrationsfähigkeit fördert.
Nebenbei gesagt, man darf keine Angst haben, von Zeit zu Zeit anzüglich zu sein. Das öffnet manche Schranken. Sobald sie weiß, daß man um das Vorhandensein dieses geheimen Haarbüschels weiß und das man sich es vorstellt, blond, braun oder schwarz, ist sie schon viel wehrloser.
Neunter Kunstgriff, der mit dem siebten verwandt ist, und den ich indirekte Sexualität nenne.
Von der ersten Begegnung an soll sie seine Männlichkeit gegenüber ihrer Weiblichkeit verspüren. Kleine und so geringfügige Anzüglichkeiten, daß sie ihr stets Rückzieher gestatten und ihr nicht mißfallen, da der anstand gewahrt bleibt. Zum Beispiel zwischen zwei respektvollen Sätzen, ein wie zufällig eingestreutes Du, wofür man sich sogleich entschuldigt. Und vor allem muß er ihr direkt in die Augen blicken, mit einer gewissen Verachtung, einer gewissen Güte, einem gewissen Begehren, einer gewissen Gleichgültigkeit, einer gewissen Grausamkeit. Das ist eine gute Mischung, und sie kostet nicht viel. Kurz, der widerliche filtrierte Blick, der unternehmungslustige, ironische und ruhige, leicht amüsierte und respektlose Blick von geheimer Vertraulichkeit. Hosianna, wird dann ihr Unbewußtes ausrufen, der da ist ein wahrer Don Juan. Er respektiert mich nicht. Er kennt sich aus. Hallelulja, ich bin köstlich betört und kann ihm nicht widerstehen. Sie sehen wie widersprüchlich man sein muß. Stark, aber verletzlich, verächtlich, aber einschmeichelnd, respektvoll, aber sexuell anzüglich. Und jeder Kunstgriff hebt den Gegensatz hervor und macht ihn noch anziehender.
Noch eins. Er braucht sich nicht zu genieren aufmerksam ihre Brüste zu betrachten. Solange er nichts sagt ist es in Ordnung. Sie wird sein Verlangen erraten und keineswegs böse sein. Nur Worte beleidigen. Und während er mit ihr über irgendein hochanständiges Thema spricht, singt er ihr stumm, das Hohelied seines Begehrens.
Ja, das Hohelied in seinen Augen, das Hohelied ihrer Brüste. O Brüste von erschreckender Gegenwärtigkeit, Ruhm der Weiblichkeit, erhabene Fülle, überwältigend und fremd vor ihm, unberührt, gegenwärtig und verboten, grausam gezeigt, zu sehr und zugleich nicht genügend gezeigt, engelhafte Bomben, süße Ruhestätten, aufragend in seltsamer Macht, begehrenswerte Ernte, quälende Wunder und junger Stolz, eine rechts und eine links, o zweifaches Leid, o dargebotene Früchte, welche die wohlgefällige Schwester ihm zeigt, o zweifache Schwere, so nahe deiner Hand.
So werden seine Augen zu ihr sprechen. Wenn sie doch nur Barmherzigkeit zeigte und sie herausholte, werden seine Augen sagen, wenn sie sie nur herausholte, da sie ihre Brüste ihm ja zeigt, ohne sie zu zeigen, sie so schlecht verbirgt, absichtlich so schlecht verbirgt. O die Grausame, wie tief sie atmet, denn nun treten sie noch deutlicher hervor, reiche und reife Frucht, o die fruchtbeladene und heißgeliebte. Wenn sie sie nur herausholte, denn er will ja leben bevor er stirbt, wenn sie sie entblößt und ihm reicht, mit ihren erhaben vortretenden und befreiten Spitzen, so daß er sie endlich berühren kann und ihr Gewicht und ihren Segen spürt. Erbarmen werden seine Augen sagen, wenn sie nur den Stoff ihres Kleides öffnet, den heuchlerischen Stoff, der sie bedeckt und doch offenbart, ruhmreich gerüstete und anmaßende Brüste, und wenn sie sie ihm wenigstens zeigen würde, sie ihm ein für allemal zeigen würde, offen und ehrlich.
Genug von diesem Stoff, der aufreizt und verbietet und ihn wahnsinnig Macht. Genug, genug der Verstellungen. Die Bäume, die Seen und Felder, alles was er vor dem Fenster sieht, wird noch da sein, wenn der bleiche Bote des Todes ihn in seinen Armen fortträgt, ihn für immer in seinen Armen in das feuchte Reich des Erstickens fortträgt. Noch schnell ihre Lippen, werden seine Augen sagen, die Berührung ihres Körpers, sich auf sie zu legen, und sie erkennen, und in ihr leben und wunderbar sterben.
Alleine auf der Welt und seinesgleichen beraubt, sie ist ihm versprochen, edel und in der Sonne ihrer Jugend, o ihr flacher und so köstlich über dem Nabel gewölbter Bauch, o schöne und Frau, o leichte Mulde ihres Bauches, o herrliche Beine, so lang und anmutig, o weibliche Macht, o Schenkel, so gegenwärtig unter dem unerträglichen Kleid, das sich über ihnen spannt. Es ist wahrhaft verrückt, o blühende Hüften, o Schoß, süße Zuflucht, o die langen geschwungenen Wimpern, o ihre bald erschlaffte Hingabe. Ja Geliebte, seine Augen werden es ihr sagen, ja, ich begehre dich und bin nur noch dieses Begehren, lechze nach dir und deinem Geheimnis, deinem Geheimnis dessen Gegenwart ich unter deinem Kleid spüre, das unter deinem Kleid ist.
Das werden seine Augen ihr sagen und noch viel mehr, während sie sich ganz sittsam über Bach unterhaltet. Und wenn er mit ihr tanzt, ist es ratsam schweigend ihrer Schönheit zu huldigen. Er sollte nie aufdringlich sein, sondern mit seinen Worten Zurückhaltung üben. Übrigens richten die besten Verführer es so ein, daß sie nie recht wissen, was vorgefallen ist. Nach beendetem Tanz ist es dann wieder Bach.
O Sonne der Jugend.
Laure, damals in dem Chalet in den Bergen. Die Kinder hatten sich rasch mit mir angefreundet, und ich spielte mit ihnen. Ein paar Tage später beschlossen sie mich Onkel zu nennen. Sie war so schön, so schön mit ihren vierzehn Jahren, nein dreizehn, und schon richtige Brüste und Hüften, ach so schön, so schon, schon ganz Frau und doch mit kindlicher Anmut, und als wir den steilen Berghang im Geröll herunterklettern mußten, habe ich sie gefragt, ob sie sich fürchte. O nein, mit ihnen habe ich keine Angst, aber halten sie mich fest. Und ich habe sie festgehalten und sie an mich gedrückt . Sie hat gesagt, ja oh ja. Und in ihren Augen, als sie mich anblickte, war die Liebe, wahre und ganze Liebe. Und am nächsten Tag hat sie mich geduzt und zu mir gesagt, weißt du, ich liebe dich viel mehr als man gewöhnlich einen Onkel liebt. O Laure, mit deinen dreizehn Jahren, die Spiele mit ihr, am liebsten haben wir auf der Wippe gesessen, um uns gegenüber zu sein und uns lange anschauen zu können, ohne daß die anderen etwas merkten. Aber nie haben wir uns eingestanden, wenn wir auf der Wippe saßen und auf und ab wippten, und einander anblickten ohne ein Wort, ohne ein Lächeln, stumm vor Liebe, ganz ernsthaft vor Liebe. Ich fand sie schön , sie fand mich schön und wir schauten uns an, tranken einander mit den Blicken. Aber wie könnt ihr nur stundenlang auf der Wippe sitzen, fragte dann ihre Mutter, und als die Mutter fortging, haben wir wieder angefangen. Haben uns wieder angeblickt und waren so ernst. Mit den anderen Kindern haben wir sibirischer Schlitten gespielt, um uns unter der decke des Schlittens an den Händen halten zu können. Wir liebten uns, haben es uns aber nie gesagt. Wir waren rein, fast rein, und am nachmittag bat sie mich zum Fangespiel mit ihrem kleinen Bruder und ihrer Freundin Maria, die sie für eine Woche in diesem Chalet besuchte. O Laure, Laure, sie liebte es so, wenn ich sie fing, stieß sie kleine Angstschreie aus wenn ich sie einholte, griff und an mich drückte. Einmal sagte sie ganz leise, es sei schrecklich wie gut es tut. Und eines abends schmollte sie, weil ich am nachmittag zu oft Maria gefangen hatte, und ach ihr Blick, als wir uns eines abends verspäteten und es auf dem Heimweg im Wald dunkel wurde, da sagte sie, halt mich fest, ich hab Angst. Und ich habe sie um die Taille gefaßt, aber sie nahm meine Hand und legte sie auf ihre Brust, drückte sie fest auf ihre Brust, atmete dabei ganz tief ein. Jeden Abend nach dem Essen, wenn sie und ihr kleiner Bruder sich vor dem Schlafengehen von den Erwachsenen verabschiedeten, gab sie jedem einen Kuß, um den Schein zu wahren. Mir gab sie den letzten, auf die Wange, ganz sittsam mit niedergeschlagenen Augen und ein bißchen Angst. Diesen Kuß erwarteten wir beide sehnlich während des ganzen Essens, freuten uns auf diesen Kuß und blickten uns während des ganzen Essens an, merkten nichts. Im herrlichen Augenblick des Kusses spielten wir die Gleichgültigen. Ich war damals zwanzig und sie dreizehn. Laure, Laure, unsre Liebe eines Sommers, ich war zwanzig, sie war dreizehn, und nach dem Mittagessen kam sie, lieber Onkel, spiele Mittagsschlaf mit mir. Komme auf die Wiese und schlaf mit mir, wir nehmen uns eine Decke mit. Ich war zwanzig und sie war dreizehn und oben auf der Wiese legten wir uns ins Gras unter die große Tanne, ich und sie, und ihr kleiner Bruder auch, um den Schein zu wahren. Aber das sagten wir uns nicht, über diese Dinge sprachen wir nie. Ich war zwanzig und sie war dreizehn, und es war so schön, wenn wir da oben im Gras lagen, es um uns summte und duftete. Sie wollte immer, das wir drei uns zudeckten, dann nahm sie meine Hand, schloß die Augen über meiner Hand, stellte sich schlafend über meiner Hand, ihre Lippen auf meiner Hand aber unbeweglich, denn sie traute sich nicht mir die Hand zu küssen. Ich war zwanzig sie war dreizehn. Sie ließ sich ganz unter die Decke gleiten, o die Decke unsrer Liebe, unserer großen Liebe eines Sommers. Dann legte sie den Kopf auf meine Knie, angeblich um zu schlafen. Dann aber hob sie den Kopf um mich anzublicken. Ich war zwanzig sie war dreizehn, und ich liebte sie, ich liebte sie. Laure, o Laure, o Kind und Frau. Als die Ferien zu Ende waren, am morgen ihrer Abfahrt, hat mir Laure, die dreizehnjährige Laure, plötzlich gesagt, ich weiß warum du immer wolltest, daß wir mit anderen sind, und nie alleine du und ich. Ich weiß wovor du Angst hattest. Du hattest Angst, daß es andere Dinge zwischen uns geben würde. Ich hätte gern andere Dinge zwischen uns gehabt, ich wäre gern einen ganzen Tag und eine ganze Nacht mit dir allein gewesen.
Leb wohl Laure von dreizehn Jahren, o meine Liebe eines Sommers, meine große Liebe.
In der Stunde meines Todes, als ich mich selbst richtete, um diesem Leben der Scham und Komödien ein Ende zu machen, als ich mich freute unter der Erde zu liegen in Gesellschaft der Wurzeln und den stummen, sich windenden Würmer, ganz grün und verdorrt in einer morschen Kiste, in dieser Stunde, ich zählte inzwischen zweiunddreißig Jahre, sah ich sie plötzlich wieder vor mir, meine Laure, Liebe eines Sommers.
Ich weiß nicht ob ihr es verstehen werdet, aber ich hatte einfach genug von ihnen, genug von den Komödien, genug vom ewigen Kampf, genug von der Schönheit, genug von der Verpflichtung bei ihr liegen zu bleiben, nachdem das, was man die übliche Sache nennt, vorbei ist. Dann gurren sie gefühlvoll und streicheln dir die Schultern, das tun sie immer danach, das ist ihre Manie, und sie erwarten immer ein Stück Zucker zur Belohnung, daß man ihnen dankbare Artigkeiten sagt und wie göttlich es gewesen sei. Sie gaben mir noch nicht einmal die Zeit meine Scham in Ruhe zu verdauen. Also genug dachte ich, keine Frauen mehr. Alle Zähne werde ich mir ziehen lassen. Dann wollen sie Nichts mehr von mir wissen, und ich bin sie los, dachte ich. Aber leider war nichts zu machen, sie verfolgten mich Tag und Nacht. Und eines nachts, als ich es gar nicht mehr ertragen konnte, machte ich meinem Leben ein Ende, in der Hoffnung nun endlich Ruhe zu finden. Ein schneller Stich, und alles ist vorbei. So dachte ich zumindest.....
Ihr könnt euch meine Bestürzung kaum vorstellen, als ich bemerkte das mein Leben zwar verwirkt, aber meine Seele keine Ruhe gefunden hatte. Ich haderte mit mir, der Welt und mit Gott, bis ich irgendwann begriff, daß ich solange keine Ruhe finden werde, bis ich sie gefunden habe. Sie, die Frau die sich nicht verführen läßt, die sich mir aus wirklich erhabenen Gründen hingibt. Sie wird meine Rettung sein.
Und so irrte ich durch die Jahrhunderte, habe sie aber nie gefunden. Trotz intensiver Suche, keine Spur von ihr. Was habe ich nicht alles versucht. Ich nahm die verschiedensten Körper und Charaktere an, versuchte es mal als Zwerg und mal als Riese, als Tauber oder Blinder, als Dicker oder Dürrer. Aber niemals fand ich die wirkliche reine Liebe.
Nur mit meiner eigenen Gestalt habe ich es nach meine Tod nie wieder versucht.
Aber ich versprach ja, euch nicht mit meinem Leben zu langweilen. Lassen sie mich noch kurz die letzen beiden Kunstgriffe erklären.
Der zehnte Kunstgriff, das Rivalitätsgefühl in ihnen wecken.
Am besten legt er ihr gleich am ersten Abend den Zaum an. Er muß sie nur wissen lassen, daß er von einer Anderen geliebt wird, die von erschreckender Schönheit ist. Dann läßt er sie wissen, daß er im Begriff war, die andere zu lieben, nun aber sie getroffen hat. Sie, die Einzigartige, die so herrliche wunderbare dumme Gans, was ja auch wahr sein könnte. Und dann ist es um sein vorhaben bestellt, denn die dumme Gans ist Kleptomanin, wie alle ihresgleichen.
Und nun ist sie reif für den letzten Kunstgriff, die Erklärung.
Er benutzt alle Klischees, die ihm nur einfallen, muß aber dabei auf seine Stimme und ihre Wärme achten. Ein tiefer Klang ist immer von Nutzen. Er läßt sie natürlich wissen, daß sie ihr Leben mit dem legitimen Spinnenmännchen vergeudet, das diese Existenz ihrer unwürdig ist, und sogleich sieht er, wie sie märtyrerhaft aufseufzt. Es ist ein besonderes Seufzen durch die Nase, und es bedeutet, >ach, wenn sie wüßten, was ich mit diesem Mann durchgemacht habe, aber ich sage nichts, denn ich bin vornehm und von unendlichem Zartgefühl<. Natürlich wird er ihr sagen, sie sie die Einzige und Alleinige, darauf besteht sie, daß ihre Augen eine Öffnung auch das Göttliche seien, was sie nicht begreifen, aber so schön finden wird, das sie besagte Öffnungen schließt und fühlt, das Leben mit ihm werde ein stets von den lästigen Banden der Ehe freies sein. Und um das Maß voll zu machen, sagt er ihr auch, sie sei Fliederduft und Milde der Nacht , der Gesang des Regens im Garten. Ein starkes und billiges Parfum. Dann wird er sie gerührter sehen, als vor einem alten Mann, der mit Aufrichtigkeit zu ihr spricht. Sie schlucken jedes Blech, wenn nur die stimme wie ein Cello klingt. Er muß auch heftig sein, damit sie fühlt, das es mit ihm ein ewiges Paradies der Fleischlichkeit sein wird, was sie dann >intensiv leben< nennen wird. Und er darf auch nicht vergessen, von den Liebesfahrten ans Meer zu sprechen, denn das haben sie furchtbar gern. Liebesfahrt ans Meer, diese Worte wirken wahre Wunder. Dann wird er sie die Arme heben sehen, er wählt ein warmes Land, Üppigkeiten, Sonne, kurz alles, was in Ideenverbindung zu gelungenen körperlichen Beziehungen und Luxusleben steht. Aufbruch ist das Meisterwort, Aufbruch ist ihr Laster. Sobald er ihr von Aufbruch spricht, schließt sie die Augen und öffnet den Mund. Jetzt ist sie gargekocht, und er kann sie mit der Traurigkeit verspeisen. Das ist alles.
Ich glaube, ich habe euch nun genug eurer kostbaren Zeit gestohlen. Ich frage mich, und ihr sicherlich auch, warum ich euch das alles erzählte. Vielleicht braucht auch ein Geist hier und da ein Ohr, daß ihm zuhört.
Ich möchte euch dafür danken, und hoffe, das ihr mich vielleicht auch ein kleines Bißchen verstanden habt. Schließlich seit ihr eine Frau, und somit klüger als wir Männer. Vielleicht habt ihr auch beim Nächstenmal, wenn ihr irgendwo meinen Namen hört, ein kleines Lächeln für mich übrig, das wäre sehr schön.
Die Zeit rennt nur so davon, und ich plapper immer noch vor mich hin. Es wird Zeit, daß ich euch verlasse. Habt Dank, für euer aufmerksames Zuhören.

Es grüßt Euch

Don Juan de Miguel

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 06.02.2011

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