Gut, dass Merish sich bald aus dem Staub machen konnte. Dieses Schnarchen, die plumpe Gestalt, der Verstand eines Kaninchens und der Mundgeruch eines magenkranken Bettlers. Es gab keinen Grund zu bleiben oder die versprochene Hochzeit an zu treten. Was er wollte, hatte er bekommen.
Zum Glück stimmte das Gerücht, das Merina, die neunzehnjährige Tochter eines Weinhändlers noch Jungfrau war. Mit diesen Biberzähnen und einer Haut wie das frischgeteerte Deck eines Handelsschiffs fand ihr Vater nur schwer einen Schwiegersohn. Zumal sein Wohlstand stetig schwand und die ausstehende Mitgift mittlerweile gegen Null tendierte.
Woran Merishs Talent als Dieb einen wesentlichen Anteil hatte.
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«Sie atmet in der Nacht ein wenig laut», hatte ihr Vater gesagt. Eine gewagte Untertreibung. Vermutlich konnten die Gäste im Erdgeschoss die Geräusche hören, obwohl das Zimmer, das er für das Schäferstündchen mietete hatte, unter dem Dach lag. Merish zuckte zusammen, als Merinas Hand nach seiner suchte, sie fand und zärtlich drückte.
Kein Zweifel, es war ihr erstes Mal gewesen. Es brauchte nicht viel Überredungskunst, sie auf eine kleine Kostprobe für zukünftige Nächte zu überreden. Ihre Jungfräulichkeit bewies der rote Fleck auf dem Betttuch zwischen ihnen. Genau das, was er von Anfang an bezweckte. Das letzte Fragment, das er benötigte, um die schönste Frau der Welt zu heiraten.
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Verstohlen stand Merish auf, lauschte den Atemzügen des jungen Mädchens. Seine Finger suchten das kleine Messer, das er am Gürtel trug. Vorsichtig, denn die Bronzeklinge war so scharf, dass ein Mann sich damit rasieren konnte. Als das Schnarchen für einen Augenblick aufhörte, erstarrte er zur Salzsäule. Merina durfte auf keinen Fall aufwachen. Er berührte die Klinge und zog die Waffe aus der Lederscheide. Nach einer kurzen Pause setzten die knarzenden Schlafgeräusche wieder ein. Langsam löste er die Hand aus ihrem Griff, hielt den Atem an. Erst als Merish zweifelsfrei wusste, dass das Mädchen schlief, schnitt er so rasch und präzise, wie es ihm seine Lehrmeister beibrachten.
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An der Hintertür der Schenke stutzte Merish. Er erinnerte sich daran, dass die Tür entsetzlich quietschte, als er mit Merina vor kurzer Zeit das Gebäude betrat. Im Gürtel fand er ein kleines Tonfläschen mit Öl. Ein Gegenstand, den ein gut ausgebildeter Dieb stets dabei hatte. Er ließ einige Tropfen in die Scharniere laufen und wartete ein paar Atemzüge. Der Abort lag hinter der Tür in einer dreckigen Gasse auf der Rückseite des Gasthauses. Er durfte nicht zu lange warten. Jeden Moment konnte einer der lärmenden Gäste auftauchen, um dort seine Notdurft zu erledigen.
Merish hatte das Zimmer unter falschem Namen und mit angeklebtem Bart gemietet. Von dieser Seite brauchte er keine Probleme zu fürchten, wenn morgen früh die Katastrophe ausbrach. Verstohlen suchte er nach dem blutigen Stück in der Tasche. Bald würde er den Zauber beginnen können. Dann gehörte die schönste Frau der Welt ihm.
Er hörte, dass einer der Trunkenbolde in der Schenke aufstand, um in die Gasse zu gehen. Höchste Zeit, zu verschwinden!
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Verfolgt die weiteren Kapitel auf http://peterbrendt.blogspot.de/
Tag der Veröffentlichung: 20.06.2017
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Heute geht eine neue Kurzgeschichte ins Rennen. Freut Euch auf "Ewige Liebe" aus der Welt von "Eisen und Magie"!
Wie immer bereitet das erste Kapitel die Bühne für die folgenden Ereignisse. Außer der Reihe beginnt sie nicht in einer Schenke, sondern in der Nähe. Genauer: im ersten Stock einer Schenke. In einem Schlafzimmer! (Muss ja! Bei dem Titel). Aber keine Sorge. Das Kapitel ist auch für unter 18 Jährige geeignet.
Viel Spaß mit dem ersten Kapitel aus "Eisen und Magie: Ewige Liebe"!