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Träume

Mittlerweile träumte er jede Nacht von Belahs Augen. Sie schauten ihm zu, wenn er sich zum Schlafen niederlegte. Das tiefe Braun und die Liebe in ihrem Blick verließen ihn in dem Augenblick, wo er die Lider öffnete und ein neuer Tag begann.

 

Nach ihrer Trennung begleitete dieses Bild Nash viele Wochen lang. Bis ihre Begegnungen in seinen Träumen von Mal zu Mal seltener wurden und sie ihn endlich allein ließ. Zurück blieb ein Gefühl, als habe ihm ihr Weggang das Herz und den Mut aus dem Körper gerissen.

 

Die Alten im Dorf trösteten ihn, brachten morgens etwas Essen und legten ihm abends am Feuer die besten Stücke hin. Alle kannten den Schmerz des Verlusts, das jeden Lebensmut raubte und niemand zu trösten vermochte. Dann kamen sie immer seltener.

 

Sie hatte schon einmal Nash verlassen. Nach zwei Jahren Leere begegneten sie sich wieder. Und sie blieb. Und taten das, wofür die Götter sie zusammenbrachten. Aber eines Tages wachte er auf und fand ihr Lager verwaist vor. Ohne Abschied war sie verschwunden.

 

Der Verlust traf ihn nicht unerwartet. Es gab Zeichen, die ihn warnten. Die er aus ihrer ersten Trennung kannte. Er erkannte ihre Unruhe. Die Art, wie sie ihr Lieblingsessen unentschlossen hin und her schob und es lustlos aß. Also war Nash gewarnt und beobachtete sie sorgsam.

 

Aber die Waldgötter mussten seine Ohren mit Taubheit geschlagen haben, so dass er ihren Aufbruch nicht bemerkte. Er, der sonst jede ihrer Bewegungen selbst im Schlaf spürte, wenn sie in ihren Träumen jagte, erhielt keine Gelegenheit, ihr Glück zu wünschen.

 

Es dauerte zwei Winter und einen langen Sommer, den Nash im Lager des Stammes verbrachte. Erneut lernte er, die Dinge zu tun, die man tun musste, damit die Gemeinschaft überlebte. Und er gehörte irgendwann zu den Männern, die als der erste Schnee fiel, morgens einem Einsamen etwas zu essen brachten und ihm am Lagerfeuer die besten Bissen vorlegten. Denn er erkannte die Leere in den Blicken des Stammesbruders wieder und fühlte den Schmerz mit, der einen Jäger zerriss, der verlassen wurde.

 

Die Seele genas im Laufe der Zeit, während ihre Augen immer seltener wiederkehrten. Er lernte zu ertragen, dass sie auf seine Rufe nicht antwortete, wenn er sie auch oft noch mit den Herzen in den dunklen Wäldern suchte.

 

Irgendwann kam der Zeitpunkt, an dem er neue Aufgaben erhielt. Sie schickten ihn in die tiefste Einsamkeit, um die zu finden, die die Sippe verlor. In verborgenen Höhlen lebten die, die den Tod einer Gefährtin niemals überwanden. Keiner sorgte sich um sie und niemand begrub sie, wenn sie starben. Alle wussten, dass die Männer dort in ihrer Traurigkeit allein sein wollten und nie den Weg in ihre Gemeinschaft zurückfanden. Dennoch machte der Stamm einen Versuch, sie zurückzugewinnen. Vielleicht schaffte es Nash, der ja das gleiche Schicksal erlitt, die einstigen Jäger zurück in den Kreis der Stammesmitglieder zu führen. Doch auch er versagte.

 

Ihm blieb nur die Hoffnung, dass die wilde Welt da draußen niemals den letzten Tribut von Belah forderte. Dass ihr Herz nicht versteinerte und sie erneut nach ihrem Gefährten rufen konnte. Denn schon einmal hatte seine Gefährtin ihn verlassen, um ihr Lager mit einem Anderen zu teilen und neue Aufgaben zu erfüllen.

 

Dann erschien sie ihm nachts im Traum. Erst dachte Nash, es handelte sich nur um Erinnerungen an gute und harte Tage, wie sie ein jeden von Zeit zu Zeit befallen und bei Sonnenaufgang mit einem bitteren Geschmack auf der Zunge wecken.

 

Doch sie hinterließen eine Unruhe in seiner Seele, kamen wieder und wieder. Er erledigte die Pflichten, die ihm der Stamm auftrug immer oberflächlicher und fahriger. Aber die Stammesbrüder und -schwestern lächelten und niemand beklagte sich. Abends am Feuer erklangen in ihren Liedern Nash und Belahs Namen und am Ende blieb das Bild ihrer Augen auch am Tag.

 

Da wusste er, es war die Zeit gekommen sie zu suchen.

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Tag der Veröffentlichung: 09.06.2017

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