Der Anblick auf fünf Schwerter wirkte ernüchternd. Das galt gerade für einen Zwerg, der ihre spitzen Enden immer von einer niedrigen Perspektive aus betrachten muss.
Dazu kam ein weiteres Problem. Hillgrimm wollte einfach nicht nüchtern werden. Er vermisste die Erinnerung an den gestrigen Abend, die letzte Nacht. So heftige Kopfschmerzen plagten ihn morgens noch nie.
Er verbrachte die meiste Zeit fernab vom Zwergenvolk. Dies bedeutete, dass er daran gewohnt war, dass sein Blickwinkel etwa in Höhe der Gürtelschnalle der Menschen lag.
Hillgrimm wäre nicht Hillgrimm, wenn er nicht gelernt hätte, damit umzugehen. Das galt auch für einen Kampf oder eine Rauferei. Im Rücken fühlte er die Wand der Schenke. Von dort konnte sich keiner anschleichen.
Aber solches Schädelbrummen nach einer durchzechten Nacht kannte er bisher nicht, und er brauchte alle Konzentration um seine Gedanken zu sammeln. Zufrieden stellte er fest, dass die Streitaxt an seinem Gürtel hing.
Ah, nur noch vier Schwerter.
Der Schläger in der Mitte der Gruppe um ihn herum wurde beiseitegeschoben. An seiner Stelle trat ein Mann, den Hillgrimm heute Morgen am wenigsten sehen wollte. Shadeks in viele Zöpfe geflochtener Kinnbart gehörte zu seinem Markenzeichen, ebenso die beiden schweren Wurfmesser in einer Rückenhalterung. Die Kanten und Falten im gepflegten Seidengewand verrieten das Kettenhemd darunter.
Shadek war auf Streit aus.
Diese höllischen Kopfschmerzen.
„Kein Problem, dich zu finden. Meine Leute fingen in der schäbigsten Schenke der Stadt an. Aber dort räumte der Wirt gerade die Trümmer der Schlägerei weg, die du gestern angezettelt hast. Also gingen sie weiter zur zweitschäbigsten Spelunke. Und siehe da. Der gesuchte Zwerg. Vollgetrunken unter einem Tisch.“
„Was willst du?“
„Mein Buchhalter übermittelte mir die Übergabe von vierzig Silber an dich. Fügst du die beinahe Zehn dazu, die ich vorgelegt habe, um deine Zeche im „Blauen Thron“ zu bezahlen, erhöhen sich deine Schulden auf fünfzig.“
Mein Kopf. Hölle, er hat Recht. Da war was.
„Diese Summe war die Anzahlung für einen kleinen Auftrag. Aber die Herolde des Tempels verkündeten eben, dass das „Siegeshorn“ wie angekündigt morgen ausgestellt wird. Nach meiner Planung und unserer Absprache sollte sich der Gegenstand mittlerweile in meinem Besitz befinden.“
„Ich kann mich nicht erinnern.“
„Von allen Ausreden die denkbar Schlechteste, Zwerg.“
„Und nun?“
„Ich gehe davon aus, dass du das Horn nicht hast. Das Geld dürfte weg sein.“
„Richtig.“ Hölle, was war passiert?
„Dann bleibt nur die Entscheidung, ob meine Männer deinen linken oder den rechten Arm abschneiden sollen.“
Warum gab dieser brummende Schädel keine Ruhe. Er musste sich erinnern. „Hatte ich nicht noch Zeit?“
„Die Abmachung galt für heute bei Sonnenaufgang“.
„Kleines Missverständnis. Ich bringe dir das Horn morgen früh.“
„Morgen früh, mein lieber Freund, werden es die Priester auf der „Großen Treppe“ dem Volk zeigen. Dann ist es zu spät.“
„Also um Mitternacht. Hier, oder wo immer ihr wollt.“
„Den Auftrag hat ein anderer. Du bist raus. Du kannst uns zum Sklavenmarkt begleiten. Sie suchen noch Leute für die Galeeren. Zwei Stücke Silber geben sie für einen Zwerg.“
Zur Hölle mit dem Brummschädel. „Shadek!“
„Hillgrimm.“
„Du bist ein Schwein.“
„Und du gleich Schweinefutter.“
Shadek machte Platz. Nun waren es wieder fünf Schwerter.
***
Dunkelheit ängstigte sie nicht. Durch die alten Bäume der Wälder drang mit ihren dichten Kronen nur wenig Licht bis zum Boden.
Auch die engen Mauern der Menschenstädte fürchtete Nevelle nicht. Die Elfen kannten Städte. Allerdings nutzten die Waldbewohner zu ihrem Bau Holz und keine Steine.
Die weiten offenen Ebenen im Süden schüchterten schon eher ein. Dort verlor sich das Auge am Horizont, nirgendwo ein Strauch, ein Busch oder ein anderes Gewächs, das einen Blick festhielt.
Die Drohungen ihrer Bewacher prallten an ihr ab. Solange ihre Furcht unsichtbar blieb, ließen die Wächter ihre Finger von ihr. Ihnen ging es darum, sie in Panik zu versetzen. Und nach ihrer Einschätzung verlangte Ferke, dass seine Gefangene unversehrt auf seinen Sklavenmarkt kam. Ein solches Angebot stellte eine Sensation in der Hafenstadt dar. Kratzer und Wunden verringerten den Preis, der erzielt werden konnte. Und der Gedanke, womöglich als Erster in der Stadt eine Waldelfin zu besitzen, garantierte einen hohen Gewinn.
Die Ketten bereiteten Nevelle die größeren Probleme.
Jeder Elf liebte Bewegungsfreiheit. Angebunden zu sein, bedeutete die größte Schmach. Die Wärter hatten ihre Handgelenke über ihren Kopf an die Decke gebunden, so dass ihre Fußspitzen gerade den Kerkerboden erreichten. Ihre Versuche, die Füße zu entlasten, scheiterten, weil dann das scharfe Eisen ihrer Fesseln die Haut blutig schürfte.
Diese Situation war ihr fremd. Nur die Geräusche in diesem Verlies kannte sie. Ratten!
Der mitgenommene Holztisch im »Blauen Thron« hatte schon harte Zeiten mitgemacht. Der Wirt kaufte die alten Bretter eines Seglers, als er kurz nach der Belagerung durch die Armee der Wilden Horde die Schenke neu aufbauen musste. Über die Jahre bewährte sich diese Entscheidung, denn das Möbelstück überstand so manche Wirtshauskeilerei. Das Holz weckte Erinnerungen bei seinen Gästen, die zu einem großen Teil aus Matrosen und Seeleuten bestanden. Es roch immer noch nach Salz und dem Teer, der einst die Ritzen zwischen den Planken abdichtete. Auch jetzt fuhr einer der beiden Männer, die dort saßen, eindeutig zur See.
Sein Gegenüber, ganz in Schwarz in einen seltsamen Pelz gehüllt, schlug mit seinem Becher auf die Tischplatte. „Egal, was du sagst, Bud. Wir brauchen einen Zwerg.“
Der Seefahrer boxte ihn als Antwort gegen seinen Oberarm: „Rattenfänger, bist du wahnsinnig. Sei leise. Die anderen Gäste geht das nichts an.“
Doch sein Freund gab keine Ruhe. „Ohne Zwergenaugen kommt niemand so tief unter die Erde.“
„Du kennst die Elfin. Nevelle hasst die Kurzen.“
„Sie erfährt es erst in dem Augenblick, wo wir vor ihrer Zellentür stehen.“
Die Streithähne bestellten frisches Bier. Die Kellnerin kannte die Kundschaft im »Blauen Thron« und wartete, bis die nötigen Münzen auf ihrer Hand lagen. Dann ein prüfender Blick, ob die Summe stimmte. Als alles zur ihrer Zufriedenheit ausfiel, stellte die Bedienung die Becher ab. Bud und Rattenfänger gehörten zu den Stammgästen. Wenn es jedoch um ihre Liquidität ging, erlebten die Zwei gute, aber häufig genug schlechte Tage. Kein Grund also, unvorsichtig zu sein.
Betrübt blickten die Beiden ihr nach. Das waren ihre letzten Geldstücke gewesen.
Sobald niemand mehr mithören konnte, eröffnete der Seefahrer erneut die Diskussion: „Was ist mit dir. Du jagst Ratten. Du bist die Arbeit da unten gewohnt.“
„Irrtum. Erfahrene Rattenjäger bleiben schön da, wo ausreichend Tageslicht einfällt. So tief suchen nur die Narren. Und nie lange. “
Bud seufzte: „Ich verbrachte mein Leben auf See. Oder in Schenken wie dieser. Dunkle Keller, Spinnweben! Da läuft es mir eiskalt meinen Rücken runter. Meine Welt sind frische Luft und Wind.“
Ein Matrose torkelte vorbei. Rattenfänger stellte ihm heimlich ein Bein. Freundlich half er dem gestürzten Mann aufzustehen. Dann drehte er ihn in Richtung Hintertür, wo sich der Abort des »Blauen Throns« befand. „Diesen Kurs halten. Dort findest du alles, was du brauchst.“
Er beobachtete den schwankenden Seemann, bis er durch die Tür und damit außer Sichtweite war. Lässig warf er ein paar Münzen hin, die er gerade aus dessen Tasche gezogen hatte. „Reicht für zwei weitere Becher. Doch wir werden bald einen Entschluss fassen müssen.“
Beide brüteten über ihren Getränken.
Der Betrunkene kehrte zurück und stellte sich an die Theke zu seinen Freunden. Nach einer Weile lieferte er sich mit seinen Trinkgenossen ein heftiges Wortgefecht.
Bud, griff erneut die Initiative: „Nevelle hatte irgendwas am Kochen. Ausreichend Geld, um ihre Reise auf dem Fluss bis nach Gerond zu bezahlen. Und genug für uns.“
„Gerond und dann weiter in die Waldstädte. Es verging kein Tag ohne dieses Thema.“
„Das war ihr Traum. Wieder zu ihrem Volk.“
„Noch ist Nevelle nicht tot.“
Mittlerweile musste er die Stimme anheben. Der Streit an der Theke wurde lauter.
„Stimmt. Wieso hat Ferke sie in nen Keller gesteckt.“
„Schulden, nehme ich an.“
„Im Keller kann niemand bezahlen.“
„Schätze, er will sie verkaufen. Ein Elf bringt nen guten Preis.“
„Wenn er das vorhat, setzen die ihn auf ihre Todesliste.“
„Er macht eh nie Geschäfte bei den Waldleuten.“
Der Streit verlagerte sich von der Theke zu ihrem Tisch. Der Matrose brachte diesmal eine Handvoll Zechkumpane mit und stellte sich vor Rattenfänger in Position: „Du hast mich beklaut.“
Der verzog keine Miene: „Wieviel?“
Der Seemann schaute sich um: „Mindestens 5 Stücke Silber waren in meinen Taschen, als ich durch die Hintertür wollte. Gib sie her!“
Bud hob fragend die Augenbraunen, aber sein Freund schüttelte den Kopf. „So viel Geld. Da säßen wir längst nicht mehr im „Blauen Thron“. Da kraulten uns die Mädchen in Cleos Stall das lockige Haupt. Und andere haarige Körperteile. Mach dich weg, du störst ein wichtiges Gespräch.“
„Dein Komplize ist gleich danach dran. Komm hoch, damit ich dir das Mundwerk stopfen kann.“
„Ich brauche Ruhe zum Nachdenken.“ Bud stand auf. Über zwei Meter tätowierte Muskelmasse und Narben. Die Matrosen erkannten die kreisrunden Male der Tiefseekraken, die der Riese jahrelang jagte. Ihr Gegner gehörte zu den wenigen Harpunierern, die diese Ungeheuer des Meeres bekämpft hatten.
Und es überlebte.
Es gab keine so großen Kraken mehr. Die Tiere verschwanden vor einigen Jahren, daraufhin war die lukrative Jagd eingestellt worden.
Der Krakenjäger griff nach seiner Harpune. Die andere Hand rückte drohend das schwere Entermesser in seinem Gürtel zurecht.
Dann erhob sich Rattenfänger.
Deutlich kleiner und schmaler als sein Freund wirkte er in seinem dünnen Mantel harmloser. Bis er freudlos lächelnd von irgendwo ein Paar Wurfmesser hervorzauberte, die er so schnell rotieren ließ, dass das Auge ihnen nicht folgen konnte. In der Bewegung verwandelten sich die zwei Messer in drei, schließlich in vier Klingen. Ein kurzer Ruck aus dem Handgelenk und alle steckten sauber in einer Reihe direkt vor ihm in der Holzplatte.
Eine der Streitlustigen scharrte mit den Füßen: „Komm Sargh. Du hast in diesem Hafen noch nie mehr als fünfzig Kupferstücke besessen. Von fünf Silbermünzen ganz zu schweigen. Keine Lust, mich für dich aufschlitzen zu lassen.“
Seine Kumpane stimmten murmelnd ein und die Gruppe zog sich an die Theke zurück.
Bud zeigte auf die Messer: „Die drehten sich früher schneller.“ Er setzte sich und griff nach seinem Bier.
„Halts Maul.“ Auch Rattenfänger nahm sich seinen Stuhl. Nach einem Schluck führten die Beiden ihr Gespräch wieder fort: „Nevelle wird ihn umbringen.“
„Sie ist schlau und wird es einsehen. Ohne Hilfe bekommen wir sie nicht aus dem Verlies raus.“
„Dann tötet sie ihn, sobald wir draußen sind.“
„Das kann uns in diesem Moment egal sein. Hauptsache wir können sie befreien.“
„Was willst du dem Zwerg anbieten?“
„Na, Geld.“
„Welches Geld?“
Wie erwartet umzingelten ihn seine Gegner sofort. Er nutzte die Zeit, die ihm noch blieb, um die schwächsten Glieder in der Kette der Schwerter zu finden.
Als bester Kandidat bot sich ein junger Kerl mit dichten Augenbrauen an. Sein ängstlicher Blick verriet, dass dieser Streit sein erster echter Kampf war. Er schätzte der Bursche würde aus Nervosität seine Waffe verlieren.
Grund zum Optimismus gab der Typ links daneben. Der Glatzkopf wirkte angetrunken. An der Schwerthand fehlten zwei Finger. Hillgrimm entschied, sie zuerst anzugreifen. Die anderen Gegner mussten warten.
Der Zwerg beschloss, seinen Ausbruch an dieser Stelle zu versuchen. Nach einem wilden Kampfschrei landete er direkt vor ihnen.
Augenbraue bewies, dass er Anfänger war. Er hob das Schwert weit über die Schulter, um zuzuschlagen. Eine falsche Entscheidung in einer engen Schenke, gerade dann, wenn ein Mitkämpfer neben einem steht. Glatze trat einen Schritt zurück, um dem Schwung, mit dem sein Nachbar seine Waffe schwang, auszuweichen. Dabei störte er das Gleichgewicht seines Komplizen.
Hillgrimm machte es besser. Er fasste seine Streitaxt unterhalb der Doppelklinge. In einer kräftigen Bewegung stieß er die verstärkte untere Spitze des Axtstiels aus Hüfthöhe gegen den Fußrücken seines Gegenübers. Zufrieden hörte er Knochen brechen. Ein Schwert weniger.
Er benutzte die Lücke zwischen den beiden schwächsten Kämpfern. Sein Ziel war der Schanktisch. Sein letzter Sprung endete oben auf der rissigen Holzplatte. Er nutzte die kleine Pause, die seine Gegner brauchten, um sich neu zu formieren. Zeit, sich einen Überblick zu verschaffen.
Augenbraue kroch weinend in Deckung und hielt seinen gebrochenen Fuß. Glatze wartete, bis seine Komplizen neben ihm standen. Dann ging die Bande langsam in Reihe in Richtung Theke.
Hillgrimm warf einen Blick über die Schulter. Der Kneipenwirt hatte seinen Stammplatz verlassen. Er vermutete, er suchte draußen die Wachen. Die würden aber erst reinkommen, wenn sie sicher sein konnten, dass das Blutvergießen vorbei war.
Er hüpfte herunter und verwendete den Schanktisch als Deckung. Das alte Holz der Verkleidung besaß genügend Risse, die es dem Zwerg erlaubten, unentdeckt seine Gegner zu beobachten. Er schob sich leise nach links, in der Hoffnung, dass sie seinen neuen Standort nicht bemerkten. Als die Reihe kurz vor der Theke stand, warf er eine Weinflasche weit nach rechts über die Thekenplatte. Im gleichen Moment sprang er hinauf und kam genau gegenüber Glatze auf dem Tresen zum Stehen. Der verfolgte noch immer den Flug der Flasche. Ausreichend Zeit für Hillgrimm ihm die Streitaxt quer unter das Kinn zu schlagen.
Die Wucht des Hiebs hob seinen Gegner etwa zwei Zentimeter hoch, dann brach er mit verdrehten Augen zusammen. Blieben drei Schwerter übrig.
Er warf einen kurzen Blick zur Tür der Schenke. Dahinter wartete die Sicherheit der Straße. Wenn er es bis dahin schaffte, besaßen seine Verfolger keine Chance gegen ihn.
Doch zu seinem Schrecken stand dort Shadek, offenbar äußerst unzufrieden über das Ergebnis des Kampfes. An ihm kam er nicht vorbei. Der Zwerg suchte nach dem Hinterausgang. Der war noch nicht versperrt, aber dazu musste er zuerst an den drei verbliebenen Gegnern vorbeikommen.
In gleichen Moment schleuderte Shadek eins seiner Wurfmesser.
Sofort warf sich Hillgrimm hinter dem Tresen in Deckung. Die harte Landung presste ihm die Luft aus seinen Lungen. Mühsam rang er nach Atem. Purem Glück verdankte er, dass das Messer nicht ihn, sondern ein Fass voll Branntwein im Regal traf. Die Wucht des Treffers riss den Zapfen ab, und die klare Flüssigkeit floss auf den am Boden liegenden Zwerg.
Er konnte der Versuchung nicht widerstehen, eine kleine Probe zu nehmen. Der Geschmack erinnerte ihn vage an ein Ereignis der letzten Nacht. So langsam klärte sich die Erinnerung, Einzelheiten traten
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Texte: Peter Hilger
Bildmaterialien: Peter Hilger
Tag der Veröffentlichung: 14.08.2014
ISBN: 978-3-7368-3211-4
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