Trübselig blickte Tosh auf den Boden seines geleerten Bechers.
Mit der verbliebenen Hand durchsuchte er geschickt die zerlumpte Kleidung. Vielleicht schauten die Götter heute zu, und er fand in einer Falte ein vergessenes Geldstück.
In allen Kriegen füllten die anschließenden Plünderungen seine Taschen. Neben dem Sold lernte er im Laufe der Zeit genug Wege, seine Börse zu füllen. Nicht immer legal, doch solche Feinheiten störten einen Soldaten nicht. Das Geld zerrann jedes Mal in Gast- oder Hurenhäusern. Am Ende seines Dienstes kostete der letzte Kampf einen Arm. Zum Ausgleich erhielt er einen winzigen Hof, aber er hatte nie gelernt, als Bauer zu leben. Es dauerte nicht lange, und er verkaufte seinen Besitz für einen Bruchteil des Wertes.
Der Erlös verwandelte sich erwartungsgemäß im Handumdrehen in Fusel. Trotz der Trunksucht, die in seinem Gesicht Spuren hinterlassen hatte, wirkte er in seiner grobschlächtigen Gestalt bedrohlich. Zusammen mit seinen Narben reichte dieser Eindruck, um bisweilen eine Anstellung als Leibwächter zu ergattern.
Seufzend musste er sich eingestehen, dass er pleite war.
Ausgeschlossen, dass der Wirt Kredit geben würde. Es blieb nur eine Möglichkeit. Sollten es die Götter wollen, fand er draußen einen hilflosen Zecher. Wichtig, schneller als die Huren zu sein, die auf die gleiche Beute hofften. Nicht auszuschließen, dass sich das Opfer unter den Gästen im Gastraum befand.
Suchend ließ er seinen Blick durch die Schenke wandern. Am Anfang ohne Erfolg. Die Betrunkenen schienen ebenfalls keine Münzen mehr zu besitzen und der Rest nicht abgefüllt genug.
Ein junger Kerl weckte am Ende seine Aufmerksamkeit. Er wirkte nüchtern und winkte ihm sogar zu.
Der ehemalige Soldat versuchte, ihn einzuschätzen. Es war nicht zu übersehen, dass er über Bares verfügte, denn am Gürtel hing ein wohlgefüllter Beutel. Wenn er sich nicht irrte, handelte es sich um einen der Novizen aus dem Kloster. Gelegentlich wagten sich einige in dieses Viertel und suchten nach zweifelhaftem Vergnügen.
Das versprach in der Gasse noch Spaß. Er lud sein Opfer mit einer Handbewegung ein, an seinem Tisch Platz zu nehmen. Zufrieden beobachtete er, dass der Bursche vorher an die Theke ging, bestellte und zwei gefüllte Trinkbecher mitbrachte.
»Ich erkenne einen durstigen Mann von weitem. Das wird uns beiden schmecken.«
Sein neuer Trinkgenosse stellte die Becher ab und setzte sich.
»Ich danke dir. Du siehst aus, als wenn du Gesellschaft suchst. Willst du nur trinken, oder brauchst du etwas Vergnügen?« dabei zwinkerte er dem Novizen zu.
»Zunächst das Vergnügen einen aufrechten Krieger einzuladen. Nennt mich einen Freund. Zum Wohl.«
Dankbar nahm der Veteran an. Dieses Getränk bemerkte er, schmeckte süßer, süffiger, als er es hier gewohnt war.
„Ihr seid freigebig, Freund. Was ist das für ein Wein?“
„Ich habe ein paar Cathsa-Beeren hineingetan. Die Freudenmädchen von Lasoth benutzen sie. Die Früchte machen ihre Kunden stärker, ausdauernder.“
„Ihr meint, dass so etwas nötig ist!“
„Nein, auf keinen Fall. Aber ihr solltet ihre erfrischende Wirkung schon spüren. Merkt ihr, wie der Atem leichter wird und sich euer Körper … strafft?“
Der Fremde fasste den Veteranen sanft am Arm, streichelte fast zärtlich die Haut unter dem Ärmel. „Warum nicht die Lust verstärken. Jede neue Erfahrung macht reicher.“ Er hob seinen Becher und prostete ihm zu. „Doch vorher brauche ich Hilfe. Ihr kennt alle in der Stadt, heißt es.“
„Ihr habt genügend Silber? Drüben ist die Hintertür. Lasst uns zusammen rausgehen. Dort in der Gasse bekommt ihr, was ihr braucht. Hier haben die Wände zu viele Ohren.“
Der junge Mann lehnte sich gelassen zurück. „Zuvor müssten wir beide ein Problem lösen.“ Dabei deutete er zum Handrücken des alten Soldaten, an die Stelle, an der er ihn eben noch berührt hatte.
„Da schiebt sich gerade eine Kath-Spinne aus eurem Ärmel. Besser, ihr bewegt euch nicht mehr.“
Der Veteran schaute nach seiner Hand, und da war wirklich eine Spinne. Grün, glatt und mit zahlreichen Augen. Ihr Rumpf schien fast größer als seine Faust. Acht Beine betasteten beinahe zärtlich seine Haut.
„Nicht bewegen. Ihr Biss ist giftig. Es gibt Städte, in denen nutzt man sie für Hinrichtungen.“
„Nehmt sie weg. Helft mir!“ Wo kam dieses scheußliche Tier her.
Der Blick seines neuen Freundes fixierte eine Stelle am Hemdkragen des Soldaten. „Ein schwieriges Unterfangen. Diese Spinne ist nicht alleine. Ein noch kräftigeres Exemplar bewegt sich an eurem Hals. Ihr müsstet eines seiner Beine am rechten Ohrläppchen spüren.“
Wirklich spürte der Veteran im nächsten Augenblick ein leichtes Zupfen am Ohr, als ob ein kleines, schmales Bein dort Halt suchen würde. Kalter Schweiß lief ihm über die Stirn und in die Augen. Die Schenke wurde dunkler, Nebel schob sich in sein Blickfeld. Was ging hier vor?
Sein Gegenüber trank einen Schluck. „Ich habe einmal gesehen, wie ein Mann nach einem Biss gestorben ist. Er brauchte dazu mehr als fünfzehn Minuten, und als es vorbei war, lag er in seinen eigenen Gedärmen.“
Er stellte seinen Trinkbecher zurück, und legte ein Rohr aus Kupfer auf den Tisch. „Erkennt ihr es. Nein, seid still! Bewegt euch besser nicht.“
Dann beugte er sich nach vorne und flüsterte sanft: „Ihr müsstet eigentlich auch meine dritte Freundin spüren. Sie sollte euer Hosenbein hochgekrochen sein.“ Er zwinkerte: „Ratet mal, welches kostbare Körperteil gerade in Reichweite ihrer Giftzähne liegt.“
Der junge Mönch nahm Toshs Becher und flößte dem erstarrten Meuchelmörder etwas Wein ein. „Trinkt einen Schluck. Der Geschmack von Cathsa-Beeren ist nicht der schlechteste Eindruck, der einen begleitet, bevor man diese Welt verlässt.“
„Was wollt ihr …?“ Die Worte kamen nur noch gepresst.
„Richtig. Ich schweife ab. Kommen wir wieder zu diesem Gegenstand. Ihr kennt ihn. Manche nennen das ein Fernrohr, andere eine Fernlinse. Ihr seid ihm bestimmt während eurer Zeit bei den Soldaten begegnet. Ihr habt das Gerät verkauft, als ihr an der nördlichen Grenze Dienst machtet. An einen Wirt, weil ihr die Zeche schuldetet.“
„Nehmt sie weg.“
„Wo habt ihr es her.“
„Kriegsbeute. Weiß nicht.“
„Kriegsbeute. Nicht gewonnen. Gefunden?“
„Beute.“
„Vonhagen war euer Sergeant als ihr es … erbeutet habt.“
„Ja. Vonhagen … Sergeant.“
„Ihr habt dafür einen Mönch erschlagen. Einen Mönch, der mein Freund war.“
„Bitte …“
„Wenn ich mit den Fingern schnippe, beißen die Spinnen zu. Euer einziger Trost wird sein, dass bei so vielen Tieren der Todeskampf nur wenige Minuten dauern wird. Meine letzte Frage: Wo ist Vonhagen?“
„Armee.“
„Falsch. Er ist desertiert. Wo ist er?“
„Bitte … kann nicht mehr.“
„Wo?“
„Weiß … nicht ..“
„Schade.“
Der junge Mann nahm das Kupferrohr, erhob sich und ging zur Hintertür. Bevor er die Schenke verlies, drehte er sich noch zu dem regungslosen Meuchelmörder um. Er zögerte einen Moment und schnippte laut mit den Fingern.
Der Todeskampf des Veteranen dauerte nur kurz. Er sprang vom Stuhl und fiel im gleichen Augenblick unter Krämpfen zu Boden. Als die Zuckungen nachließen, eilten die Gäste herbei und durchsuchten seine Kleidung nach Münzen.
Sheen blieb stehen und schaute zu. In seiner Tasche befühlte der Kriegermönch die Fernlinse. Er hatte lange nach ihr gesucht. Sie war Teil der Erinnerungen an das Kloster, in dem er als Novize gelebt und gelernt hatte. Sein Lehrer Torsohn hatte die Linse gebaut. Vonhagen und seine Männer töteten ihn und seine Mitbrüder. Der Tote hatte zu seinen Leuten gehört.
Es bestand keinerlei Gefahr, dass die Spinnen die plündernden Gäste vergiften würden. Es gab keine Spinnen.
Cathsa-Beeren öffneten die Sinne und machten den Menschen empfänglicher für Einflüsterungen und Versprechen. Tosh hatte sich unter ihrem Einfluss die giftigen Tiere eingebildet und Sheens Worten geglaubt.
Der Kriegermönch verließ die Spelunke. Jetzt musste er weiter nach Vonhagen suchen.
Texte: Peter Brendt
Bildmaterialien: peterhilger
Tag der Veröffentlichung: 04.11.2012
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